• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Von der "anderen Seite" erzählen

Begonnen von Bisou, 20. September 2009, 14:18:30

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Bisou

Huhu :)

Ich hätte da mal eine Frage, weil ich darüber schon längere Zeit nachgrüble, ob ich das machen kann und ob das ankommt. Mein Roman ist auf zwei Bücher ausgelegt, also in zwei große Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt wechselt die Perspektive zwischen 3 Perspektiventrägern, bis sie auf zwei Träger zusammengeführt wird. Das klappt auch so, ich hab's ausgetestet und es gefällt mir gut, weil es ein wenig Frische in den Roman reinbringt.
Im zweiten Abschnitt ist es aber anders. Da gibt es erstmal eine Ich-Erzählerin und dann noch einen personalen Erzähler (der leider unverzichtbar ist, sonst würde ich ihn weglassen).
Das Problem stellt für mich nicht der Perspektivenwechsel dar, sondern dass die Ich-Erzählern der "bösen Seite" angehört und dadurch natürlich ganz andere Ideale und Standpunkte vermittelt als der personale Erzähler.

Und das ist meine Frage. Kann das funktionieren. Wenn ihr das Buch lesen würdet, wären euch die Sprünge zu abrupt und unvermittelt, bzw. die Einschnitte zu krass? Ich persönlich finde, dass gerade dieser Wechsel noch einen Tacken mehr Authentizität verleiht, aber einer meiner Betaleser meinte, dass es dem Ganzen einen Abbruch tut.

Was würdet ihr machen? Es ändern und damit einen Handlungsstrang komplett absägen? Oder würdet ihr es durchziehen, weil ihr findet, dass es dem Buch gut tut?

Ich hoffe, das Thema ist an der richtigen Stelle und ist noch nicht da gewesen. Wenn doch, tut es mir leid.

Liebe Grüße,

sou

Luciel

Mich erinnert das jetzt ganz spontan an Bartimäus - und da hat es mich kein bißchen gestört, dass Bartimäus in Ich-Forn und Natanael als personalisierter Erzähler auftritt. Der Autor ist allerdings auch sehr konsequent und hält das ohne Schummeln bis zum Ende durch.

Was ich bei dir etwas bedenklich finde, ist der verschiedene Aufbau von Buch 1 und Buch 2. Wenn mir ein Buch so gut gefällt, dass ich mir die Fortsetzung hole, dann nervt es mich gewaltig, wenn der Stil plötzlich ganz anders ist. Ich an deiner Stelle würde mich entscheiden, entweder von Anfang an einen personalen Erzähler auftreten zu lassen - oder ihn ganz wegzulassen ... das geht. Ich habe mich selbst gerade davon überzeugen lassen, dass es sehr wohl möglich ist, alles aus der Ich-Perspektive zu erzählen. Einige Dinge werden dadurch zwar entfallen müssen, aber wenn man mal ganz genau hinschaut, sind sie nicht so wichtig, dass man deswegen auf der Perspektive beharren muss.

Wuo Long

Ich finde diese Frage sehr interessant und antworte einfach mal darauf, in der Hoffnung, dass es nicht irgendwo schon mal in einem Thread besprochen wurde.

Grundsätzlich behaupte ich, dass fast alles funktioniert, so lange nur der Autor gut genug ist.  8) Deine Idee, sozusagen "beide Seiten" im Buch zu Wort kommen zu lassen finde ich persönlich sehr reizvoll und wird meiner Meinung nach im Fantasy-Mainstream viel zu wenig umgesetzt. Allerdings kommt hier halt wieder die alte Diskussion auf, dass die meisten Leser, also die Masse, doch mit den alten Klischees bedient werden möchte und sich von alternativen Ideen eher distanzieren.

Nochmal eine allgemeine Anmerkung zu deiner Umsetzung: Wie bei fast 99,xx Prozent aller Fantasy-Geschichten machst auch du eine klare Einteilung zwischen gut und böse. Während es zwar möglich ist böse Charaktere so richtig stilvoll zu beschreiben, identifiziert sich der durchschnittliche Leser wahrscheinlich lieber mit den Goodies.  :engel:
Dieses Problem kannst du umgehen, indem du beide Seiten nicht explizit in gut/böse, schwarz/weiß einteilst, sondern sie wie du auch selbst sagst einfach als zwei Seiten mit unterschiedlichen Idealen und Moralvorstellungen präsentierst. Das bedeutet natürlich auch, dass du beide Seiten gleichwertig mit ihren Fehlern und ihren Vorzügen zeigen muss. Ist nur so ein Vorschlag von mir, weil ich diesen ewigen gut-gegen-böse Konflikte in Fantasy-Geschichten überdrüssig bin.

Bisou

Huhu :) Danke euch für eure Antworten. :D

Zitat von: Luciel am 20. September 2009, 14:40:54
Was ich bei dir etwas bedenklich finde, ist der verschiedene Aufbau von Buch 1 und Buch 2. Wenn mir ein Buch so gut gefällt, dass ich mir die Fortsetzung hole, dann nervt es mich gewaltig, wenn der Stil plötzlich ganz anders ist. Ich an deiner Stelle würde mich entscheiden, entweder von Anfang an einen personalen Erzähler auftreten zu lassen - oder ihn ganz wegzulassen ... das geht. Ich habe mich selbst gerade davon überzeugen lassen, dass es sehr wohl möglich ist, alles aus der Ich-Perspektive zu erzählen. Einige Dinge werden dadurch zwar entfallen müssen, aber wenn man mal ganz genau hinschaut, sind sie nicht so wichtig, dass man deswegen auf der Perspektive beharren muss.

Hallo Luciel!

Ich glaube, du hast da etwas falsch verstanden, bzw. ich habe es missverständlich formuliert. Das Buch in sich ist geschlossen, nur eben in zwei Teile aufgespalten. Es bleibt aber trotzdem in einem Buch.
Der personale Erzähler taucht auch von Anfang an auf, aber die Figur stirbt am Ende des ersten Abschnittes, beziehungsweise verschwindet und die Perspektive hört auf. Weglassen kann ich sie nicht, da sie sehr wichtig ist und eine der Hauptfiguren begleitet, bzw. der erste Teil der Geschichte wird von der 1. Hauptfigu erzählt, im personalen Stil.
Den ersten Teil aus derselben Ich-Perspektive zu erzählen, ist nicht möglich, weil ich sonst das Ende praktisch vorwegnehme. Dann kann ich mir den ersten Teil des Buches komplett sparen und das will ich nicht, weil das sonst alles keinen Sinn macht.
Ich hoffe, das ist jetzt etwas klarer.

Hallo Wuo Long,

ob ich gut genug bin um das alles hinzukriegen sei mal dahingestellt, aber ich tue mein Bestes.  ;)

Das mit dem Gut und Böse ist recht schwierig finde ich. Grenzt man es zu wenig ab wirkt es schwummrig und wird unglaubwürdig, denn der Antagonist hat im Prinzip ja immer "böse" Absichten. Ob man sich in meinem Buch mit den Guten identifizieren möchte, ist fraglich. *harhar*  :darth:
Ich gebe mir Mühe, die Seiten unterschiedlich zu präsentieren und meine "Böse Seite" durchlebt auch die ein oder andere Wandlung und ist zum Ende hin eigentlich eher hellgrau.
Aber ich kann dich natürlich verstehen, auch ich kann dieses Hickhack zwischen Gut und Böse, hell und dunkel und Himmel und Erde mittlerweile nicht mehr sehen. Dafür gibt es meines Erachtens auch viel zu viele Bücher, die ebendiese Sparte abdecken.

Aber ich mache mir mal Gedanken, wie ich meine Anta noch ein bisschen besser ausbauen kann. Dankeschön dir für deine Antwort!

Lucien

Hm, ich halte es auch eher für eine Frage der Umsetzung, ob etwas gut ankommt oder nicht.
Ich erzähle auch gerne von beiden "Seiten". Es passt einfach, weil ich ohnehin mehrere Handlungsstränge und Perspektiven habe.
Also ich finde es sehr reizvoll, wenn auch mal "das Böse" zu Wort kommt.  :darth:

Anamalya

Hallo!
Ich stimme Jenny erst einmal vollkommen zu. Ich bin auch der Meinung, aus der Sicht der "Bösen" zu schreiben, ist interessant.
In meinem Buch gibt es auch einige Protas, die man, würde ich nicht aus ihrer Sicht schreiben, sofort als Böse abstempeln würde (mein Ziel ist es das Gut- Böse im Laufe meiner Geschichte verschwinden zu lassen).
Aber genau das finde ich interessant, wenn man beide Seiten sieht, deshalb finde ich deine Idee gut bisou!
Wenn deine Böse aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, ist es nur möglich, dass es schwer fällt das Gut-Böse Bild aufrecht zu erhalten, weil der Leser vielleicht mehr dazu neigt, sich mit dem "Ich" zu identifizieren.
Es könnte natürlich ein wenig irritieren, wenn das "Ich" erst in der zweiten Hälfte deines Buches auftaucht.
Prinzipiell stören mich zwei verschiedene Erzählweisen aber nicht. Neben Bartimäus kommt das auch in der Krimireihe von Monika Feth "Der Erdbeerpflücker, Der Mädchenmaler etc." da fand ich den Wechsel sogar ziemlich erfrischend.
LG
Anamalya

Feather

Die Aufteilung deiner Geschichte erinnert mich an die Geschichten von Christoph Marzi, er schreibt auch verschiedene "Bücher" in einem.
Spontan fällt mir zu deinem Problem eine Trilogie ein "Der schwarze Tag" ein. Dabei wird das erste Buch nur von einem personellen Erzähler geschildert und ab dem zweiten Buch springt der Autor auch in die Perspektive des bösen.  Zwar keine Ich -Perspektive doch so ähnlich. Am Ende waren es glaub ich auch drei verschiedene Handlungsstränge. Eigentlich eine interessante Sache.

Persönlich stört mich eine solche Schreibweise nicht, so lange wie klar heraus geht wer da erzählt. Wenn ich bei dem Ich- Erzähler nicht weiß wer da spricht und vor allem wenn er das Böse darstellt nervt mich das schon.
Klar ist es zu Anfang etwas verwirrend in eine solche, sonst nicht im Buch verwendete, Erzählweise zu springen, doch wenn es sich mit einfügt und den weiteren Verlauf der Geschichte voranbringt gewöhnt man sich daran. Nur es sollte meiner Meinung nach die einzigste Ich -Perspektive bleiben, sonst wird das ganze zu verwirrend.

Lg Feather

Bisou

Huhu ihr Lieben, vielen Dank für eure Rückmeldungen!

Den Erdbeerflücker und die anderen Bände habe ich verschlungen, daher kam auch der Gedanke, dass man das ja mal ausprobieren könnte. Mittlerweile hat sich das weiterentwickelt und es ist eine eigenständige Idee daraus geworden.
Es überrascht mich, dass ihr das alle so seht, also dass ein Ich-Erzähler erst später eingeführt werden kann und dann auch noch aus der Sicht des "Bösen" erzählt. Aber es freut mich definitiv.  ;D
Die Ich-Perspektive wird auf jeden Fall die Einzige bleiben, ich will den Leser ja nicht noch übermäßig verwirren und alles durcheinanderwerfen.

Verschiedene Handlungsstränge finde ich deshalb reizvoll, weil es einfach erfrischend ist. Man muss den Leser ja nicht andauernd mit Cliffhangern in der Luft rumzappeln lassen, aber ich finde, durch Perspektivenwechsel kann eine Geschichte, bzw. ein Geschehen viel effektiver und authentischer beleuchtet werden, vor allem von allen möglichen Seiten.
Deswegen lese ich auch so gerne Geschichte mit Perspektivenwechseln. Vor allem, wenn man sich mit der einzig ezählenden Figur nicht identifizieren kann, ist das grässlich. Da bietet der wechselnde Erzählstil ja einen deutlich größeren Raum für Identifikationen.  ;)

An dieser Stelle nochmal vielen Dank und *Schüssel Kekse in den Raum stell* Und jetzt frischen Mutes an die Nano-Organisation.

LG, sou

Lucien

Huuu, mir ist da grad noch was zu eingefallen, was so ein wenig den Sadisten im Leser wecken könnte:
Ich wechsel ja zwischendurch immer wieder. Gut, böse, gut, böse... Als Leser weiß man da unter Umständen schon Dinge, die der Böse nicht weiß und umgekehrt. Dabei ist das "umgekehrt" bisweilen ganz schön gemein, je nachdem, mit wem man sich lieber identifizieren mag.  :darth:  Da hofft z.B. eine ganze Gruppe von Menschen, der arme Kerl in der Folterkammer möge nicht reden und uns verraten. Sie klammern sich an diese Hoffnung, aber die böse Seite weiß längst: Nyahahahaaaa, er hat längst geredet!
Ich finde, das gibt einem Buch noch so einenHauch Dramatik.  :hmmm:

Churke

Zitat von: bisou am 20. September 2009, 14:18:30
Und das ist meine Frage. Kann das funktionieren. Wenn ihr das Buch lesen würdet, wären euch die Sprünge zu abrupt und unvermittelt, bzw. die Einschnitte zu krass?

Zunächst einmal hängt hier - wie bereits meine Vorschreiber sagten - vieles von der Umsetzung ab. Aus der Ferne lässt sich - abgesehen von Plattheiten - schlecht eine richtige Einschätzung geben. Wenn es den Beta-Lestern nicht gefällt, werden die schon ihre Gründe haben, die du nicht ignorieren solltest. ;)

Stilistisch liegt zwischen einem Ich- und einem personalen Erzähler ein eklatanter Bruch. Das kann beinahe so sein, als ob man ein anderes Buch läse. Einmal ganz abgesehen davon, dass man es als Autor irgendwie begründen muss. Ich rate jedenfalls zu höchster Vorsicht. Als Anschauungslektüre kann ich "Alatriste" empfehlen.