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Die Anglifizierung des Textes - sinnvoll oder überflüssig?

Begonnen von chaosqueen, 24. Juli 2015, 13:10:11

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Lothen

Da stimme ich Norrive zu - die Assoziationen sind nicht von der Hand zu weisen!

Ich spiele mich ja schon länger mit dem Gedanken, auch mal einen Thriller oder Krimi zu schreiben, aber wenn ich den in einem Ort ansiedle, der mir persönlich vertraut ist (München, Regensburg, Nürnberg) schwingt da gleich diese Provinzkrimi-Assoziation mit, die ich nicht würde haben wollen.

Ansonsten, um ganz grundlegend etwas zur Thematik zu sagen,  finde ich es aber auch sehr schade, dass viele Autoren glauben oder Glauben gemacht werden, ihre Romane seien nur dann interessant, wenn sie irgendwo im internationalen Ausland spielen. Wenn es zur Geschichte passt oder die Geschichte nach einem bestimmten Setting ruft, dann sehe ich kein Problem damit, aber wenn es nur gemacht wird, weil es "cool" oder "anders" ist, finde ich es schade. Das hat für mich was von Effekthascherei.

Dass Verkaufszahlen solche Entwicklungen vorantreiben, ist wirklich sehr schade.  :P

traumfängerin

Es geht aber auch anders. In diesem Interview erzählt Sebastian Fitzek, wie ihm sein Agent dazu riet, sein Manuskript dort anzusiedeln, wo er sich auskennt (nämlich in Deutschland) und eben nicht in den USA. Sebastian Fitzek bezeichnet dies als besten Ratschlag, den er je bekommen hat, und verlegte die Handlung nach Berlin. Inzwischen ist er ein Bestsellerautor und damit ein hervorragendes Beispiel dafür, dass hohe Verkaufszahlen auch mit einem deutschen Setting möglich sind.

Zit

Könnt ihr Romane nennen, in denen eurer Meinung nach der Handlungsort irrelevant ist und der Autor lieber hätte Deutschland wählen können? Ich kann mir bei dem Vorwurf, ehrlich gesagt, nichts darunter vorstellen, da für mich zu einem Roman auch immer Ortsbeschreibungen gehören, die natürlich über reine Wegbeschreibungen oder versteckte Architektur-Vorlesungen hinaus gehen.

Ansonsten ist mir das persönlich wumpe. Unsere Welt ist zu schön und zu bunt, um Geschichten nur in Deutschland spielen zu lassen. Andererseits ist natürlich Deutschland auch bunt und schön, sodass es sich nicht zu verstecken braucht. (Gilt natürlich auch für Schweiz oder Österreich. ;) )
Ich wähle Handlungsorte und -zeiten nach Flair. Ob nun zu Wikingerzeiten oder in der Neuzeit, in Maine oder in einer fiktiven Variante meines Heimatortes, macht für mich keinen Unterschied. Entsprechend versuche ich das Flair auch einzubinden. Ob das nun zu 100% stimmt? Sicherlich nicht. Aber wenn ich nur über das schreiben sollte, das ich kenne, wären nicht nur Handlungszeit und -ort arg eingeschränkt, auch meine Charaktere wären stark limitiert -- und klassische Fantasy mit eigenen Welten ginge ja schon mal gleich gar nicht. ;D

Zitat von: TigermöhreUnd genau sowas bietet einem doch ein super Setting. Es wurde zu tief gegraben und irgendwas wird geweckt. (Ja, der Herr der Ringe lässt grüßen.) Zwerge und Goblins bekriegen sich in stillgelegten Minen ...

Hm. Wenn Fantasy schon in einer bestimmten Gegend spielt, dann müssen imho auch die übernatürlichen Wesen dazu passen. Zugegeben, Vampire sind mittlerweile ziemlich global, aber "Goblins" in Deutschland? Dann doch lieber Bergmönche oder lokale Sagen. (Ich habe keine Assoziationen zu Castrop-Rauxel, aber ich gehe davon aus, dass das Ruhrgebiet reich an eigenen Sagen ist.)

Aber zur allg. Anglifizierung:
Die Sache mit dem Titelschutz ist mir nicht wirklich bewusst bzw. ist es auch oft so, dass Verlage Titel schützen wollen, bei denen es nicht geht. Der Gourmet, Verblendung, Erziehung, etc. bspw. sind alle viel zu beliebig.
Ansonsten gibt es natürlich auch Fälle, bei denen ich mich frage, ob das wirklich sein müsste. In der SchreibBar hatte ich letztens schon mal erwähnt, dass mich die After-Reihe von Anna Todd belustigt, weil ich After im deutschen Sinne lese. Manchmal ist mir klar, dass eine deutsche Übersetzung viel zu lang und wenig griffig für einen Titel ist oder der Wortwitz abhanden kommt (50 Schattierungen des/ von Grau) und eine deutsche Titulierung entsprechend viel zu viel Zeit frisst. Manchmal ist es auch einfach der aktuellen Trend-Sprache geschuldet (war Deutsch ja auch mal). Aktuell ist es eben Englisch und nicht Japanisch. Ich hätte auch nichts gegen italienische, spanische oder französische Titel. Muss man halt entscheiden, ob der Roman nur eben zum Klischee passt, das die Sprachen/ dazugehörigen Länder transportieren. Oder halt für das deutsche Sprachgefühl schön klingen. :omn: (Wobei ich auch den Inhalt des Romans mit einbeziehe. Jour d'Amour und Hintertupfingen passen nicht so ganz zusammen. :rofl:)
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

HauntingWitch

Zitat von: flowriteHandlung ist gefragt, die Stimmung wird zwischen die Zeilen verbannt. Da dort so viel Platz nicht ist und auch dem Publikum die Fantasie fehlt, irgendwas hineinzulesen, leiht man das Zeug einfach implizit von Hollywood.

Ich glaube, du unterschätzt die Leser. Man darf nicht vergessen, lesen tut man nicht auf die gleiche Art wie man einen Film schaut. Leser sind viel offener und viel eher bereit, mitzudenken und ihre Fantasie spielen zu lassen als Filmzuschauer (natürlich sind viele Leute sowohl Leser als auch Filmzuschauer ;)). Das sind zwei verschiedene Kunstformen, die mit verschiedenen Erwartungshaltungen konsumiert werden. Ich mag übrigens Stimmung zwischen den Zeilen und hasse endlos lange Beschreibungen (ich habe schon Bücher deswegen beiseite gelegt). Das halte ich auch als Autorin so. Ich denke, dass die Film- und Serienlandschaft sicher einen gewissen Einfluss hat, aber alles darauf abzuwälzen fände ich zu einfach.

Zitat von: NorriveAus dem gleichen Grund steht L.A. für Sonne, Stars und JetSet, New York hat diesen internationalen Flair, der schwer zu definieren ist, und GB hat den britischen Charme mit Tee, Tradition und Königshaus.
[...]
Aber viele deutsche Städte klingen eben in meinen Ohren total nach Provinz mit all ihren Nachteilen. Rollerfahrende Jugendliche, Jungesellenfeste, Schützenverein. Nicht, dass das an sich schlecht wäre, aber das muss ich nicht auch noch beim Lesen haben. Da liegt das englischsprachige/exotische Setting irgendwie nahe.

Stimmt, diese Assoziationen gibt es, ohne Frage. Aber wie sehr stimmt das? Es gibt bestimmt auch in London oder New York spiessige Jungessellenfeste und bürgerliche Vereine (ob es nun ein Schützenverein oder etwas anderes ist). Es gibt auch in L.A. Imbissbudenverkäufer und auch dort regnet es bestimmt ab und zu. Auch in Grossbritannien gibt es Starbucks, H&M und Co. Was ich sagen möchte, ist: Wer sagt denn, dass man sich als Autor diesen Vorstellungen unterwerfen muss? Man kann ja auch damit spielen, aber das wiederum geht vor allem dann - da stimme ich Leann zu - wenn man einen Ort wirklich selber kennt. Die Schweiz steht im Ausland auch für Berge, Käse, Uhren und Schokolade. Ich müsste aber echt lange überlegen, bis ich eine Geschichte von mir finde, in dem irgendetwas davon eine unmittelbare Relevanz hat.  ;)

Norrive

Zitat von: Witch am 27. Juli 2015, 08:33:12
Stimmt, diese Assoziationen gibt es, ohne Frage. Aber wie sehr stimmt das? Es gibt bestimmt auch in London oder New York spiessige Jungessellenfeste und bürgerliche Vereine (ob es nun ein Schützenverein oder etwas anderes ist). Es gibt auch in L.A. Imbissbudenverkäufer und auch dort regnet es bestimmt ab und zu. Auch in Grossbritannien gibt es Starbucks, H&M und Co.
Ja, das ist wohl wahr, aber wenn man in New York oder so damit nicht konfrontiert werden möchte wird man das auch nicht. Weil ZU groß.  Wenn bei uns im Dorf Jungesellenfest ist/war, dann wusste ich das Wochen vorher und wurde von Freunden/Bekannten/Verwandten damit genervt und ich denke es ging da vielen anderen genauso ;D Und in den großen Städten hat man genug Alternativen (Gilt in dem Fall natürlich auch für deutsche Großstädte). Wenn man allerdings in einem Eifeldorf festsitzt, kann man eben nicht mal eben ins Theater gehen anstatt sich auf irgendeinem Acker zu betrinken. *hust*

Allerdings, da stimme ich dir zu, es ist bestimmt spannend, mal die andere Seite der Städte zu zeigen. Die Menschen, die an der Suche nach Ruhm gescheitert sind oder denen die Stadt auf die Nerven geht, sie aber nicht weg können, weil Beruf oder Familie.

Zitat
Was ich sagen möchte, ist: Wer sagt denn, dass man sich als Autor diesen Vorstellungen unterwerfen muss? Man kann ja auch damit spielen, aber das wiederum geht vor allem dann - da stimme ich Leann zu - wenn man einen Ort wirklich selber kennt.
Nein, das sagt natürlich niemand. Und ich stelle mir es auch sehr spaßig vor, mal die anderen Seiten des Heimatlandes zu zeigen, die wirklich nur ein Ortskundiger kennt. 
Aber das erfordert viel Fingerspitzengefühl und passt eben meiner Meinung nach nicht immer zu Fantasy oder Romance.
Gerade bei Romance ist die Anglifizierung trend, aber ich verstehe auch gut warum. Wenn ich Romance lese, will ich nichts lesen, was so auch in Nachbardorf A passieren könnte. Und dieser Faktor ist irgendwo schon ein entscheidender, denn Romance ist zum Träumen da.
Es gab schon viele Bücher im Romance-Bereich, die habe ich wegen deutschen Settings weggelegt, weil es schon im Klappentext die Atmosphäre kaputt gemacht hat. Damit habe ich vielleicht auch vielen gut geschriebenen Büchern unrecht getan, aber so ist es nunmal. 
Ich assoziiere mit deutschen Settings kurioserweise auch bestimmte Plots, die ich so gar nicht gern lese (u.A. Die Jugendliebe kommt wieder in die Stadt, die Alleinerziehende trifft einen potentiellen neuen Ehemann, oder schlecht gemachte Dreiecksbeziehungen um die Dorfschönheit). Allerdings denke ich, dass das mein eigener Spleen ist und kein Trend in der Bevölkerung ;D

pink_paulchen

Ich habe diesen Thread komplett gelesen und finde viele Aspekte spannend. Ich bin über Dunkellicht gestolpert, weil ich "Fantasy in Dortmund" spannend fand. Das Setting hat für mich gut funktioniert.
Ich kann mir aber wiederum die Edelsteintrilogie nicht in Deutschland vorstellen. Scheinbar verbinde ich mit Büchern den Handlungsort recht stark.
Können mal ein paar genre-erfahrene Leser etwas zu Romance sagen? Mein Nano-Projekt ist ein humorvoller Frauenroman mit einer toughen Politikerin, die durch die Umstände aufs Land und zu ihrer großen Liebe findet.
Würdet ihr erwarten, dass sie von New York nach Kansas zieht oder könntet ihr euch auch Düsseldorf/Vorort vorstellen? Und was ist mit fiktiven Orten? Ich bin unschlüssig, was die Leser/Verlage/Agenten von Romance heute erwarten und was da modern/verkaufbar ist.
Für mich aus Autorensicht bin ich für alle drei Varianten offen und da kann ich ja durchaus auch die Erwartungshaltung bedienen, wenn es sie denn gibt.

Zit

Muss schon zugeben, dass USA einen größeren Coolness-Faktor haben als Deutschland. Also bei tougher Politikerin denke ich eher an den Charme von House of Cards, wenn es in den USA spielen soll. Wenn es Deutschland sein soll, denke ich da eher an Mord mit Aussicht (Eifel), was ja so ein bisschen mit den Vorurteilen zwischen Großstadtpflanze und Dörflern spielt und lustige Momente nicht auslässt. Zu deiner Geschichte kann ich mir letzteres aber gut vorstellen. Weiß nur nicht, ob du das so siehst. ;D
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Unbekannt