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Groß, Klein & Indie: Massengeschmack vs. Kleinkunstperlen

Begonnen von Maja, 04. September 2015, 21:07:51

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Ryadne

Ich habe heute in der aktuellen Nautilus das Interview mit Patrick Rothfuss gelesen. Darin beklagt sich der Reporter gegenüber dem Autor, dass die Fantasy-Literatur in Deutschland wenig abwechslungsreich sei. Ich fand es schon enttäuschend, das von jemandem zu hören, der sich in der deutschsprachigen Szene doch eigentlich auskennen sollte. Denn ja, auch die deutschsprachige Fantasyliteratur wagt durchaus ihre Experimente (die Phantastik sowieso).

Und das sowohl in Groß- als auch Kleinverlagen. Gerade Publikumsverlage, die nicht unbedingt auf Fantasy spezialisiert sind, bringen oft innovative Titel unter, wenn auch nicht immer unter dem Label ,,Fantasy". Allerdings handelt es sich dabei für gewöhnlich um Romane von Autoren, die sich entweder bereits mit zugänglicheren Werken einen Namen gemacht haben oder aber auf Erfolge im Ausland zurückblicken können (wie Viktor Pelewin oder, um ein prominenteres Beispiel zu nehmen, China Miéville).

Die wenigen deutschsprachigen Autoren, die mit scheinbar Mainstream-untauglicher Literatur soliden Erfolg haben, kommen tatsächlich oft aus der Kleinverlagsecke oder zumindest von unabhängigen Verlagen. Zu nennen wäre hier etwa Oliver Plaschka. Ich bezweifle, dass er heute bei Klett-Cotta & Co. wäre, wenn nicht vorher Feder & Schwert ,,Fairwater" veröffentlicht hätte. Das zu tun, war von Seiten Feder & Schwerts mit Sicherheit in Wagnis – immerhin ist der Roman weder chronologisch erzählt, noch hat er eine eindeutige Lösung. Aber ab und zu schätzen die Leser solche Abwechslungen offenbar.

Insofern denke ich immer noch, dass Kleinverlage gerade ,,experimentelleren" deutschsprachigen Autoren bessere Einstiegsmöglichkeiten bieten (wobei auch längst nicht jeder Kleinverlag so experimentell ist, wie er sich gerne gibt). Was neben Majas Rechnung noch auf andere Gründe zurückzuführen sein dürfte. Der wichtigste – der teilweise auch schon angesprochen wurde – ist der, dass Kleinverleger ebenso wie ihre Leser meistens aus der Szene kommen. Sie kennen die Genreliteratur und sie wollen die Grenzen dessen austesten. Der 08/15-Fantasyleser, der seine Bücher bei Thalia kauft, möchte epische Unterhaltung für den Feierabend, um es mal platt auszudrücken. Wer sich mit dem Genre tiefer auseinandersetzt, möchte ,,mehr" als das. Dieses Phänomen findet sich in zahlreichen Medien: Bei den Arthouse-Liebhabern ebenso wie bei den Progressive Rock-Hörern und den Fans expressionistischer Malerei.
Diese Genreliebhaber können Kleinverlage vergleichsweise gut erreichen und deshalb haben experimentelle Autoren hier die Möglichkeit, sich in einer Nische zu etablieren und vielleicht auch mit Nischen-Literatur Massenerfolge zu feiern. Wie gesagt - ab und zu schätzt auch das breite Publikum die Abwechslung. (Übrigens gibt es auch viele Abstufungen zwischen Nische und Mainstream ;).) Als Autor muss man aber auch akzeptieren, nicht mit jeder Art von Literatur die breite Masse erreichen zu können. Irgendwie wären wir doch auch enttäuscht, wenn China Miéville plötzlich der neue John Grisham würde ;)

Abgesehen davon gibt es ein paar Kleinverlage, die sich darauf verstehen, nur ,,schräge" Genreliteratur herauszugeben und sich damit ein Image und einen eigenen, soliden Kundenstamm aufzubauen. Bestes Beispiel dürfte momentan ,,Das Beben" sein.

Mara-OT:
Die Abneigung gegenüber deutschen Genrefilmen hat beim Misserfolg von "Mara" sicher mitgespielt. Aber fairerweise muss man auch sagen, dass es auch andere Probleme wie die völlig verspätete Trailer-Veröffentlichung gab. Und davon abgesehen war der Film für ein genre-fernes Publikum tatsächlich vorrangig Familienunterhaltung.

Fianna

Zitat von: Ryadne am 06. September 2015, 21:53:02
Ich habe heute in der aktuellen Nautilus das Interview mit Patrick Rothfuss gelesen. Darin beklagt sich der Reporter gegenüber dem Autor, dass die Fantasy-Literatur in Deutschland wenig abwechslungsreich sei. Ich fand es schon enttäuschend, das von jemandem zu hören, der sich in der deutschsprachigen Szene doch eigentlich auskennen sollte.
Der Reporter gegenüber dem Autor - das ist doch nicht ganz so schlimm.
Gibt genug Autoren, die in Interviews meinen, sie hätten irgendwas erfunden (z.B. character-driven) und dann am besten noch irgendwo erzählen, sie hätten seit Jahren nix mehr gelesen.