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Einen "fragmentierten" Roman schreiben

Begonnen von Guddy, 02. April 2014, 14:40:57

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Guddy

Hallöchen,

für meinen CampNaNo-Roman stelle ich mir eine etwas ungewöhnliche Form vor und ich würde gerne wissen, ob das so funktionieren kann, ob ihr vielleicht Beispielromane kennt, die ich kurz zwecks Inspiration durchblättern kann oder vielleicht auch Tipps für mich habt? Ohoder sogar eigene Erfahrungen?

Erzählt wird ja die Hintergrundgeschichte meines Protagonisten meines eigentlichen Projekts, beginnen will ich von der Kindheit an und über die verschiedensten Stationen seiner Laufbahn bishin zum "Jetzt" gehen. Dabei möchte ich nicht jeden verlorenen Milchzahn beschreiben, sondern mich auf Wende-, Tief und Höhepunkte weitestgehend beschränken. Es soll teils ganz normal aus seiner Sicht( personaler Erzähler) geschrieben sein, jedoch auch Berichte/Briefe/etc. über ihn einfließen, sowie Erzählungen beinhalten, die aus der Ich-Form von Anderen geschrieben sind oder zumindest so tun, als spräche man im Jetzt über den Prota von damals. Sodass am Ende eine Geschichte steht, die beschreibt, wie er zu dem geworden ist, was er heute ist.

Würdet ihr so eine Form einer Erzählung zu wirr finden? Habt ihr da noch Ideen oder Vorschläge, wie man es ausbauen/verbessern/whatever kann oder könnt da spezielle No Gos nennen, die ihr persönlich habt?

Dankeschön ;)

Sunflower

Also, das ist zwar schon älter - aber Bram Stokers Dracula ist so geschrieben. Es spielt zwar alles in einer Zeit und macht kaum/keine Zeitsprünge, aber es gibt viele Briefe, Tagebucheinträge usw. vom Prota selbst und von anderen Figuren.
Ansonsten habe ich noch nie ein Buch in der Form gelesen, aber bei Dracula fand ich es sehr passend. Es macht das Ganze authentischer, was ja auch Sinn der Sache war.

Wenn es bei dir einen ähnlichen Sinn hat - Authentizität z.B. - dann finde ich so eine Form okay. Man sollte sie nicht "nur so" nehmen, aber als Möglichkeit, die Vergangenheit des Protas zu beleuchten, finde ich es eigentlich gut.
"Why make anything if you don't believe it could be great?"
- Gabrielle Zevin: Tomorrow, and tomorrow, and tomorrow

Sprotte

Stephen Kings "Carrie" ist ähnlich verfaßt.

RockSheep

Salü Guddy.
Das erinnert mich  an die alten Briefromane. Was ich konkret kenne und gelesen habe ist z.B. Bran Stokers Dracula. Dort wird die gesammte Handlung eigentlich über Briefe und Tagebucheinträge verschiedener Personen erzählt. Ich glaube Die Leiden des jungen Werthers ist auch in dem Stil gehalten und noch viele mehr. Das wären dann aber "reine" Briefromane, das heisst gänzlich ohne personale Erzählung (wobei ein Brief an sich ja schon eine personale Erzählung ist... aber du weisst hoffentlich was ich meine).
Oh, ich glaube aber Frankenstein war eine Mischung aus Briefroman und Ich-Erzählung. Ist schon eine Weile her, seit ich das gelesen hab, darum schwör ich jetzt nicht drauf.

Von dem her ist die Idee schon alt und sie funktioniert offenbar. :) Mir persönlich gefällt dieser Stil eigentlich sehr gut und ich lese gern solche Bücher. Ein zeitgenössisches Beispiel kann ich dir aber nicht nennen.
Ich denke du darfst einfach nicht allzu viele unterschiedliche Erzähler haben, sprich nicht jeder Brief soll wieder von einer anderen Person stammen. Andererseits kann auch das funktionieren... ich denke das müsstest du einfach mal antesten. :)

[Edit] Und alle waren schneller als ich... *g*

Eleanor

Hi Guddie,

also als kleiner Lesetipp würde ich dir "Tannöd" empfehlen. Der Roman setzt sich allerdings aus  verschiedenen Fragmenten von mehreren Personen zusammen und nicht von einer Einzelfigur. So als kleine Anregung ist das Buch vielleicht ganz nützlich.
Diese Art Erzählform würde mich als Leser nicht allzu sehr stören, sie kann wirklich sehr fesselnd sein, solange man es nicht übertreibt. Wenn man irgendwann krampfig allzu viel Verwirrung stiftet gibt der Leser auf   ;)

gbwolf

Ich habe dafür den schönen Begriff Fix-up Novel gelernt: http://en.wikipedia.org/wiki/Fix-up

EIn interessantes Beispiel findest du von Andreas Eschbach: Die Haarteppichknüpfer. Grob gesagt besteht der gesamte Roman aus Kurzgeschichten, die eine fortlaufende Handlung beschrieben. Keine dieser Geschichten hat den selben Protagonisten, alle beleuchten das Hauptgeschehen aus einer anderen Sicht. Dennoch bleiben beispielsweise einige Handlungsorte gleich, daran kann sich der Leser gut orientieren.
Das würde ich mir für einen solchen Roman ebenfalls überlegen: Welche Dinge wechseln (Perspektiven, Sympathien, ...) und welche bleiben konstant (Nur 3-4 Handlungsorte gleichzeitig, die dann langsam gewechselt werden, ...)?
Der rote Faden ist natürlich dein "Protagonist", aber darüber hinaus braucht der Leser natürlich Ankerpunkte. Es sei denn, du schreibst einen völlig literarischen Roman, dann experimentierst du natürlich mit Ankern, Perspektiven, etc. Da fällt mir dann nur leider kein Romanbeispiel ein.

Churke

Zitat von: Guddy am 02. April 2014, 14:40:57
Es soll teils ganz normal aus seiner Sicht( personaler Erzähler) geschrieben sein, jedoch auch Berichte/Briefe/etc. über ihn einfließen, sowie Erzählungen beinhalten, die aus der Ich-Form von Anderen geschrieben sind oder zumindest so tun, als spräche man im Jetzt über den Prota von damals. Sodass am Ende eine Geschichte steht, die beschreibt, wie er zu dem geworden ist, was er heute ist.

Ich bin da sehr, sehr skeptisch. Was ich in diese Richtung gelesen habe, war entweder verquast oder/oder handwerklich miserabel. Die Handlung blieb auf der Strecke und man wusste nicht mehr, was der Dichter damit sagen wollte.

Zitat von: Nadine am 02. April 2014, 15:01:32
EIn interessantes Beispiel findest du von Andreas Eschbach: Die Haarteppichknüpfer. Grob gesagt besteht der gesamte Roman aus Kurzgeschichten, die eine fortlaufende Handlung beschrieben.
Das klingt dann formal schon mal wesentlich konventioneller und, äh, vielversprechender.

HauntingWitch

Zitat von: RockSheep am 02. April 2014, 14:53:02
Oh, ich glaube aber Frankenstein war eine Mischung aus Briefroman und Ich-Erzählung. Ist schon eine Weile her, seit ich das gelesen hab, darum schwör ich jetzt nicht drauf.

Ich meinte, es seien alles Briefe inklusive Erzählung in der Ich-Form. Als Einlese-Tipp auf jeden Fall empfehlenswert.

Aktuell lese ich "Die schwarzen Juwelen (Band I)" von Anne Bishop, da werden die Charaktere auch fragmentweise und teilweise durch die Sicht eines anderen beleuchtet. Das Buch ist allerdings durchgehend im gleichen Stil, personaler Erzähler, geschrieben. Also man hat z.B. die Perspektive von Person A für eine Weile und dann springt sie zu Person B, der Person A begegnet und sich an gewisse Erlebnisse mit diesem erinnert. Wodurch man wiederum etwas über Person A erfährt, obwohl eigentlich gerade Person B "spricht".

Grundsätzlich finde ich die Idee gut. Ich finde es aber wichtig, dass nicht übertrieben wird und man eine Weile Zeit hat, sich in eine Perspektive/Erzählweise einzudenken. Gerade erst vor ein paar Wochen habe ich ein Buch weg gelegt, bei dem alle eineinhalb Seiten der Erzähler wechselte. Das ging mir zu schnell. Kaum hatte mich bei einem wohl gefühlt, wurde wieder unterbrochen und es kam ein anderer dran. Ausserdem waren es zu viele. Aber ich denke, mit etwas Feingefühl bekommt man es besser hin.  ;) ;D

Guddy

#8
Danke schonmal für die Buchtipps :)

Zitatsolange man es nicht übertreibt. Wenn man irgendwann krampfig allzu viel Verwirrung stiftet gibt der Leser auf
Nein, habe ich nicht vor ;D

@Churke Geschmacksache, ich finde bspw. die Art, wie Haarteppichknüpfer geschrieben ist, nicht interessant für mich :) Ob andere Autoren es nun schlecht geschrieben haben, soll mir ja egal sein *g* Wenn du mir sagen kannst, was genau sie falsch gemacht haben, könnte ich daraus zumindest einen Mehrwert für mich ziehen.
Die Handlung wird jedenfalls nicht auf der Strecke bleiben, um die geht es schließlich unter anderem.

@HauntingWitch: ja, das häufige Wechseln der Perspektive ist ohnehin eine Sache, bei der ich nicht so recht weiß, ob ich sie so beherrsche...*g* werde da mal genauer drauf achten!

C.M.Spoerri

Eine neue Fantasy-Reihe mit vielen Perspektiven-Wechseln inkl. Ich-Erzählung ist von Alexander Pehov: "Die Chroniken von Hara". Ich muss gestehen, mir war das dann doch etwas zu viel Hin- und Her. Obwohl die Geschichte an sich sehr gut ist. Aber ist halt Geschmackssache. Was ist cool fand war, dass er verschiedene Schreibstile je nach Perspektive benutzt hat. Kannst vielleicht mal reinschauen und Dir ein paar Dinge abgucken. :)

Fianna

Sowas Ähnliches plane ich auch, und zwar habe ich 2 Protagonisten mit ihren jeweiligen (vor allem selbst verfassten, seltener auch empfangenen oder sie behandelnden) Dokumenten.

~~~~~~~~

Ich finde es schön, wenn es da eine klare Struktur gibt, also Briefe + Ich-Erzähler, eine oder zwei Dokumentenschienen mit klaren Protagonisten oder Schreibern, oder wie bei Carrie eine Erzählebene mit durchmixten Dokumenten. Bei Carrie wirkt diese erzählebene ganz stringent, flüssig, fortlaufend - nicht so durcheinander. Wenn die Erzählebene dort mehrere Brüche hätte, wäre mir das Konzept zu unruhig, es wirkt für mich nur, weil das eine recht "statisch" ist... hoffe, es ist verständlich, was ich meine.

Cailyn

Mich würde diese Form sicherlich ansprechen, zumal man sich als Leserin auch selber ein paar Gedanken machen kann. Allerdings müsste es für mich dann chronologisch sein (auch wenn dazwischen Teile fehlen), also kein hin- und herspringen zwischen älterer und neuerer Vergangenheit.

Vibulanius

Sehr zu empfehlen wäre hier sicherlich Oliver Plaschkas "Fairwater", das auch irgendwann mal den Phantastik-Preis gewonnen hatte. Es ist aber ganz sicher nicht jeden Lesers Geschmack, da es die Perspektivenvielfalt auf eine Geschichte auf die absolute Spitze treibt. Einige Bekannte standen einfach nur mit großen Fragezeichen vor dem Buch. Dennoch würde ich es dir für die Recherche empfehlen. Man kann einiges lernen, was geht, wie es geht und sicherlich auch in Teilen, wie man es nicht machen sollte, wenn man seinen Leser nicht all zu sehr verschrecken will.

Thaliope

In der Theorie finde ich eine solche Form total spannend und interessant. Irgendwann war das auch mal total modern, meine ich. Oder postmodern :)

Aber in der Praxis finde ich es als Leser meist schwierig. Du müsstest es irgendwie schaffen, dass der Leser ganz schnell in die neuen Perspektiven reinfindet, damit er nicht zu doll aus dem Lesefluss gerissen wird, würde ich nach meinen Leseerfahrungen vermuten. Ich tu mich schwer damit, wenn Perspektiven allzu oft wechseln und ich den vertrauten Standpunkt verlassen muss.
So schick es zum Beispiel ist, einen Zeitungsartikel in einen Text einzubinden, habe ich, wenn ich eigentlich einen Roman lese, oft einfach überhaupt keinen Bock, mich durch dieses nüchterne Stück Text zu quälen.
Als Fazit daraus würde ich trotzdem ziehen: Wenn du es schaffst, den Einstieg in jedes Fragment so zu gestalten, dass er Leser sofort gepackt ist, könnte das interessant und spannend werden.

LG
Thali