• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Ironie – Qualitätsmerkmal oder Sargnagel einer Geschichte?

Begonnen von Issun, 08. Februar 2014, 18:38:33

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Cailyn

Issun,
Auf deinen Text bezogen, habe ich mich gefragt, ob dem Kritiker die Ironie missfallen hat, weil sie sich eventuell vom Rest des Textes abhebt. Ich meine, wenn z.B. eine Geschichte durchwegs blumig, verspielt oder dramatisch daher kommt und am Ende kommt erst die Ironie hinzu, dann kann wird damit das "Versprechen" an den Leser natürlich gebrochen. Ironie zu gebrauchen verlangt - wie alle anderen Stilmittel -  nach einer gewissen Konsequenz. Man sollte ein und diesselbe Figur nicht mit verschiedenen Stilmitteln beschreiben, es sei denn durch eine andere Figur.

Fianna

Zitat von: Issun am 10. Februar 2014, 18:24:33
@Fianna: Jetzt bin ich wild entschlossen, mir wieder mal einen Pratchett zu Gemüte zu führen. Ich habe ihn früher gerngehabt, und die von dir genannten Bücher kenne ich noch nicht. Danke für den Tipp! :)
"Die Nachtwache" ist mein Lieblingsbuch von Pratchett, allerdings erfülle ich auch die beiden Voraussetzungen für optimalen Lesegenuss:

  • Ich kenne den ersten Band "Wachen, Wachen"
  • Ich kenne die anderen Wächter-Bände, in denen Vetinari Mumm manipuliert (z.b. indem er Mumm dazu bringt, so zu handeln, dass Mumm glaubt, er habe Vetinari erpresst/getäuscht/manipuliert)
    • Ich kenne die wichtigen historischen Revolutionen und einige Revolutionstheorien
    Natürlich kann man das Buch auch so lesen. Aber Pratchett hat immer verschiedene Ebenen, und wer die alle entschlüsseln kann, hat natürlich eine andere Lesart.
    Falls es also Dein erstes Wächter-Buch von Pratchett ist oder Du mit Geschichte/Revolutionen nichts am Hut hast, ist es für Dich vielleicht nicht der beste Band der Scheibenwelt... Wobei, wenn ich es mir recht überlege, ist Pratchett da schon am tiefgründigsten.

    Könnte klappen  ;D

Issun

@Cailyn: Das Problem war anscheinend, dass die Ironie einer bestimmten ernsten Situation am Ende der Geschichte nicht angemessen war. Aber es stimmt, dass auch der Stil im Gesamten nicht plötzlich umschlagen sollte.

@Fianna: Ich studiere Alte Geschichte, neuere interessiert mich naturgemäß auch. Ich glaube, ich freue mich schon sehr auf die Reihe! ;D

Fianna

Zitat von: Issun am 12. Februar 2014, 22:28:54
@Fianna: Ich studiere Alte Geschichte, neuere interessiert mich naturgemäß auch. Ich glaube, ich freue mich schon sehr auf die Reihe! ;D
Die ersten 2 Bände, "Wachen, Wachen!" (Guards, Guards) und "Helle Barden" (Men at arms) beschäftigen sich eher mit phantstischen und mythologischen Stereotypen. "Hohle Köpfe" (Feet of Clay) hat sich davon gelöst, ist aber noch nicht bei den historischen Anspielungen angekommen. Es geht um kulturelle Identität verschiedener Vertreter unterschiedlicher phantastischer Völker sowie Giftmorde. Krimi-Fans kommen da ganz gut auf ihre Kosten bei den Anspielungen (dort müsste auch ein extrem lustiger Absatz zu Sherlock Holmes Spureninterpretation gewesen sein - denn Mumm glaubt nicht an Spuren und konstruiert dann für eine Holmes'sche Erklärung sofort eine Alternative).
Erst mit "Fliegende Fetzen" (Django) beginnen diese Anspielungen, dort noch sehr auf europäisch-arabische Konflikte und Krieg sowie Kriegsrechtfertigungen an sich ausgelegt. An Sun-Tzu kommt man da natürlich auch nicht vorbei.
In "Der fünfte Elefant" (The Fifth Elephant) geht es stark um Diplomatie, um Machtkonzentration und es gibt diverse nationalsozialistische Anspielungen in Wort und Bild. Ich kann es Andreas Brandhorst bis heute nicht verzeihen, dass er "Freude durch Stärke" statt "Freude durch Kraft" übersetzt hat - als Deutscher dieser Generation und noch dazu professioneller Übersetzer, der schon soviel bildliche plakative Nazi-Anspielungen übersetzt hat, regt mich diese Stelle immer auf. Wenn man als Leser schon an der deutschen Übersetzung sieht, was im Englischen dort stand und eine bessere Übersetzung findet, das ist arm.
Dann kommt "Die Nachtwache" (Nightwatch) und "Klonk!" (Thud!). Das Buch hab ich vergessen bei meinen Lieblingen, es beschäftigt sich stark mit gewachsenen kulturellen Konflikten und ihren Hintergründen, den Problemen von multikulturellen Gesellschaften und Verschwörungstheorien. Wer die Zwerge und Trolle der Scheibenwelt nicht kennt, wird vermutlich nur halb soviel Spaß an diesem Buch haben.
Als letztes "Steife Brise" (Snuff), das fällt da in gewisser Weise raus, weil es nicht in Ankh-Morpork spielt, weil demnach fast nur Mumm vorkommt und noch einiges andere ungewohnt ist. Mir hat das Buch dennoch gefallen.

Schwieriger einzuordnen sind Bücher, die von anderen Personen getragen werden und in denen die Wache nur eine kleine Rolle einnimmt: "Die volle Wahrheit" (The Times) und "Weiberregiment" (Monstrous Regiment).
Man kann die Bücher schon in die Wachenchronologie einpassen, sie gehören für mich aber nicht direkt dazu.

Issun

*Off-Topic an*

Fianna, ich glaube, ich werde mir "Wachen! Wachen!" zulegen, um mich mal einzulesen. Danke für deine ausführlichen Beschreibungen! :)

*Off Topic aus* ;)

Mithras

Ich lehne mich vermutlich etwas weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass Ironie maßgeblich zur Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit einer Geschichte beitragen kann, selbst und gerade dann, wenn die Grundstimmung der Geschichte düster ist. Bisweilen übertreiben es Autoren mit der Schilderung der Umstände und Schicksalsschläge, denen ihre Protagonisten ausgesetzt sind. Alles düster, alles depressiv, alles tot. Oft wird unterschätzt, dass der Überlebenswille in vielen Menschen sehr stark ist, und jeder entwickelt dabei seine eigene Strategie. Oftmals ist Ironie in irgendeiner Form daran beteiligt. Von derartigen Extremsituationen bin ich bislang zum Glück verschont geblieben, doch ich betrachte Selbstironie und Galgenhumor in diesem Kontext als eine Art Selbstschutzmechanismus. Wenn mal wieder alles über mir zusammenzubrechen und mich in die Tiefe zu reißen droht, kann ich mich dem zwar nicht immer erwehren, doch dann kommt irgendwann der Punkt, an dem ich beginne, mich selbst zu verspotten, und das hilft mir dann stets, schnell wieder auf die Beine zu kommen.

Um mein Lieblingsbeispiel zu nennen: Ein Charakter wie Tyrion Lannister wäre nicht annähernd so lebendig, wenn er auf Sarkasmus und Galgenhumor verzichten würde - was bleibt ihm auch anderes übrig, wenn er sein Leben meistern muss und sich nicht in Selbstmitleid und Depressionen suhlen möchte?

Letztlich muss ich mich aber doch der Mehrheit anschließen: Selbst der (selbst-)ironischte Mensch wird in Situationen geraten, in denen er sicht nicht mehr hinter diesem Schild verstecken kann, und exzessiver Einsatz macht dieses Stilmittel rasch wirkungslos und unglaubwürdig - ganz so wie in meinen Augen der Nicht-Einsatz.

Einem ironischen Umgang des Autors mit seinen Figuren stehe ich allerdings etwas skeptisch gegenüber, da es Distanz schaffen kann. Unter Umständen ist genau das beabsichtigt - gerade in meinen Satiren, die ich früher wie am Fließband geschrieben habe, ist das ein adäquates Mittel, um die Groteske noch stärker hervorzuheben. Doch es handelt sich dabei eben um Satiren und nicht um ernst gemeinte Geschichten.
Ein Autor kann nur dann ironisch auf Distanz zu seinen Figuren gehen, wenn er als auktorialer Erzähler auftritt, und damit habe ich prinzipiell große Probleme, eben weil das Distanz zwischen dem Leser und dem Geschehen schafft, den Leser bevormundet und wertet. Ironie ist unter diesen Bedingungen in meinen Augen eher der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen kann; das Hauptproblem ist jedoch die gesamte Erzählweise, die sich mMn nicht zu ernsthaft gemeinten Geschichten passt. Hier sollte sich der Autor eher anderer Kniffe bedienen, etwa der lebhaften Schilderung grotesker Situationen oder sarkastischer Aussagen seiner Figuren. Aber bitte nichts Wertendes.

Issun

#36
Interessant, was du zu dem Thema meinst, Mithras!
Tyrion Lannister ist ein hervorragendes Beispiel für eine Figur, die häufig das Gegenteil von dem meint, was sie sagt.
Nur den letzten Punkten, die du nennst, kann ich nicht ganz zustimmen. Ich halte es eher mit Judith, die in einem früheren Post geschrieben hat, dass Distanz nichts Negatives sein muss. In manchen Geschichten ist sie sogar notwendig. Ich würde die auktoriale Perspektive auch nicht als wertend bezeichnen, ich finde sie schlicht nötig, um bestimmte Effekte zu erzielen.
Was ich mich auch häufig frage: Warum sollte sich eine Figur nicht wertend äußern, wenn dies dem Charakter der Figur und der jeweiligen Situation entspricht? Dass bösartig wertende Figuren vielleicht weniger als Sympathieträger geeignet sind als andere, wurde bereits festgehalten, aber auch solche Figuren können einen Zweck erfüllen.

Mithras

#37
Zitat von: Issun am 21. Februar 2014, 00:41:43Was ich mich auch häufig frage: Warum sollte sich eine Figur nicht wertend äußern, wenn dies dem Charakter der Figur und der jeweiligen Situation entspricht? Dass bösartig wertende Figuren vielleicht weniger als Sympathieträger geeignet sind als andere, wurde bereits festgehalten, aber auch solche Figuren können einen Zweck erfüllen.
Wenn du es auf die Figuren beziehst, hast du mich missverstanden! ^^ Ich habe damit Probleme, wenn der Autor direkt seine Wertung in den Text einfließen lässt und es dabei auch noch ernst meint. Da fühle ich mich rasch bevormundet - ich will mir einen Reim auf das Geschehen machen, ich will das Für und Wider moralisch fragwürdiger Entscheidungen abwägen, ich will meine Entscheidung fällen. Wertende Kommengtare von Seiten eines auktorialen Erzählers haben etwas Endgültiges, Unanfechtbares, und daher sollte mit allen Aussagen, die man ihm in den Mund legt, sehr vorsichtig sein. Was er sagt, nimmt der Leser naturgemäß als gegeben und richtig hin, und wenn er auf ironische Weise wertet und Partei ergreift, dann muss man als Leser ernst nehmen, dass der Erzähler einige Dinge seiner eigenen Geschichte nicht ernst nimmt. Und das muss zur Geschichte passen, anders als Ironie seitens der Charaktere, die in meinen Augen in irgendeiner Form dazugehört.

Gerade bei Steven Eriksons Spiel der Götter/Malazan Book of the Fallen hätte eine selbstironische Wertung des Autors durchaus gepasst. Erikson bedient sich immer wieder auktorialer Elemente, die den Blickwinkel erweitern, die aber Distanz zu den Charakteren schaffen, weil es auf Kosten der Intensität der Erzählung geht; und ich bin auch davon überzeugt, dass er sein an Gigantomanie leidendes Konzept bei weitem nicht so ernst nimmt wie viele seiner Leser. Ein ironischer Umgang mit den zum Teil schon arg überzeichneten Charakteren hätte zur Entspannung durchaus beigetragen, und damit letztlich auch zur Ernsthaftigkeit, weil ich Eriksons Geschichte nur bedingt ernst nehmen kann und er mir damit gezeigt hätte, dass das auch nicht seine Intention ist. In Ansätzen ist das vorhanden (Kruppe, Lady Envy), doch etwas mehr wäre von meiner Seite aus durchaus wünschenswert gewesen.

Bei Martin hätte mich ein derartiges Vorgehen eher befremdet, da seine Grundstimmung viel realistischer und düsterer ist, was in meinen Augen Hand in Hand geht. Eine ironische Distanz seitens des Erzählers hätte diese Atmosphäre eher zerstört oder gar nicht erst entstehen lassen, doch reich an Ironie und Witz sind die Bücher trotzdem. Hier sind nur eben die Charaktere selbst dafür verantwortlich, gerade Tyrion, aber auch Jaime oder Olenna Tyrell.

Issun

Ja, ich hatte es auf die Figuren bezogen.  ;)

Ist schon ein paar Jahre her, dass ich Erikson gelesen habe, darum kann ich mich zu diesem Aspekt seines Werks nicht wirklich äußern. Wie viele Bände hast du denn gelesen? Ich glaube, ich bin damals nach dem vierten, fünften Band ausgestiegen, bis dahin war ich aber ziemlich angetan von der Geschichte.