• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Eine Figur schaffen, um sie sterben zu lassen

Begonnen von Sturmbluth, 10. Mai 2016, 18:22:09

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

catlord


Zitat von: Culham am 13. Mai 2016, 15:35:42
Da hast du zwar recht - aber trotzdem ruht Napoleon im Porphyrsarkophag im Invalidendom, während Hunderttausende der Grande Armee irgendwo in Russland verscharrt wurden.  ::)
Das eine ist der Tod eines Helden, das andere der Heldentod.

Hah, wie wahr.  ;D

Für mich liegt der Unterschied aber, wie du beschreibst, darin wie der Tod zelebriert wird oder nicht - nicht zwangsweise wie er stattfindet (Sonne verdunkelt sich grundsätzlich nicht nur weil jmd stirbt, egal wer, usw). Es GIBT coole epische Helden-Opfertode und sie mögen passen, aber mich (als Leser) nimmt das weniger emotional mit. Weil ich ja weiss, dass es so sein musste. Beispiel: Der Kriegerprinz opfert sich im Endkampf mit dem bösen Dämon. Das entlockt mir höchstens eine einzelne, männliche Träne des Stolzes. Sein Kreis ist abgeschlossen. Good job, jetzt kommt er in den Himmel. Bruce Willis in Armageddon. Clint Eastwood in Gran Torino. Klar ist man kurz traurig, aber es ist irgendwie befriedigende Trauer. Selbst wenn die Story danach nicht endet (blödes Beispiel, aber Gandalf/Balrog!) kann ich sehr gut damit leben, wenn der Tod würdig und glänzend ist.

Was mich bei Toden besonders berührt ist die unfaire, unendlich brutale Beiläufigkeit mit der sie im echten Leben passieren. Ein "guter" Protagonistentod reflektiert das für mich. Beispiel: Leonardo DiCaprio/Departed. Du siehst oder liest es und sitzt erstmal da und denkst "Fuck!". Keine letzten Worte, kein "Mission accomplished". Das bringt mich dazu, WIRKLICH an die Macht des Todes zu denken.

Reale (...und unreale) physische Gewalt ist unendlich unterschätzt und wird meines Erachtens oft zu 'langsam' und 'inkompetent' dargestellt. Solche Szenen können für mich als Leser mein Lese-Erlebnis ruinieren.
Dämliches Beispiel: Ein Dämon mit schreeeeecklichen Klauen und gemeinem hissenden Schnabel taucht auf und kämpft gegen den Helden.
Variante A: Held tötet das Vieh in einer Auseinandersetzung epischer Ausmaße doch erliegt seinen schweren Verletzungen noch am Kampfort. Glamour, slow clap.
Variante B: Held beisst die Zähne zusammen und wagt einen Angriff - immerhin ist er Heerführer/Champion/Besieger des X/etc. Die Klaue des Dämons ist unweltlich schnell und gleitet durch seine Lederrüstung wie ein gutes Küchenmesser durch Tomaten. Die Szene schliesst damit ab, wie der Dämon ein paar Bissen vom Aufgespiessten nimmt und sich durch sein Portal zurück in die Hölle verzieht.

Variante A ist für mich die U18-Variante und Variante B ist das wirkliche (abgesehen davon dass es komplett ausgedacht ist) Leben. Variante A suggeriert nicht nur dass Menschen/Elfen/etc Dämonen töten können, sondern gibt auch ein befriedigendes Gefühl. Bei Variante B würde bei mir als Leser der emotionale Schock ganz klar überwiegen und vermutlich würde ich auch in nachfolgenden Kapiteln denken "Mann, wäre der Kerl nicht plötzlich draufgegangen, was würde er wohl jetzt machen? Das Leben ist grausam" und "Hoffentlich kommt der Dämon nicht zurück". Wohingegen Variante A mehr so die "OMG der Portagonist war so süß und er ist für seine Liebe gestorben, damit sie jetzt mit seinem Bruder glücklich werden kann - cuteeee xxXX" Schiene bedient.

Maßlos übertrieben natürlich. Und Ausnahmen bestätigen die Regel. Mein Punkt: Je schneller und fieser der Tod, desto größer die damit assoziierte Leser-Emotion. Zumindest bei mir. Wem auch immer das hilft  :omn:

 

Aircaina

Zitat von: catlord am 15. Mai 2016, 08:02:27
Maßlos übertrieben natürlich. Und Ausnahmen bestätigen die Regel. Mein Punkt: Je schneller und fieser der Tod, desto größer die damit assoziierte Leser-Emotion. Zumindest bei mir. Wem auch immer das hilft  :omn:
Ich persönlich mag die Variante B auch lieber. Das erschreckt mich als Leser viel mehr und dieser Schock nimmt mich emotional mehr mit. Es muss nicht mal sowas Episches wie der Kampf gegen einen Dämon sein. Die Figur stolpert, fällt eine Treppe runter und bricht sich das Genick. Solche unnötigen Sache finde ich immer am Härtesten.
Aber auch der klassische Heldentod muss manchmal einfach sein.  ;D Allerdings ist es da meiner Meinung nach wichtig, dass es auch realistisch ist, dass die Figur irgendeine Chance hat gegen wen oder was sie kämpft. Wenn Frodo gegen den Balrog kämpfen würde, würde er es schlichtweg nicht schaffen können, solange zu überleben, bis er Gandalf gerettet hat. Doofes Beispiel. Wo wir dabei sind: Der Tod von Gandalf hat mir zum Beispiel gut gefallen, auch wenn da das typische Motiv der Rettung mit eingeflossen ist.   

Sturmbluth

#62
Zitat von: catlord am 15. Mai 2016, 08:02:27
Dämliches Beispiel: Ein Dämon mit schreeeeecklichen Klauen und gemeinem hissenden Schnabel taucht auf und kämpft gegen den Helden.
Variante A: Held tötet das Vieh in einer Auseinandersetzung epischer Ausmaße doch erliegt seinen schweren Verletzungen noch am Kampfort. Glamour, slow clap.
Variante B: Held beisst die Zähne zusammen und wagt einen Angriff - immerhin ist er Heerführer/Champion/Besieger des X/etc. Die Klaue des Dämons ist unweltlich schnell und gleitet durch seine Lederrüstung wie ein gutes Küchenmesser durch Tomaten. Die Szene schliesst damit ab, wie der Dämon ein paar Bissen vom Aufgespiessten nimmt und sich durch sein Portal zurück in die Hölle verzieht.
Diese Variante B war es, die ich meinte, als ich diesen Thread hier eröffnet habe. Es geht mir um den Tod einer Figur, die eben nicht von Anfang an durch ihre Rolle für den Tod vorgesehen ist (wie in Variante A). Nur habe ich das etwas unglücklich ausgedrückt, indem ich sagte "Damit der Leser emotional angesprochen wird, muss er die Figur ersteinmal mögen." Aber ich denke, du hast es auf den Punkt gebracht. Um den Leser emotional zu packen, geht es nicht (nur) darum, dass er die Figur mag, nein, er muss auch überrascht sein von ihrem Tod.

Churke

Zitat von: Sturmbluth am 15. Mai 2016, 10:40:40
Um den Leser emotional zu packen, geht es nicht (nur) darum, dass er die Figur mag, nein, er muss auch überrascht sein von ihrem Tod.

Wenn ich den Tod als das ultimative Scheitern betrachte, kommt er so überraschend wie eine Niederlage im WM-Endspiel. Man hätte es sehen können, man hätte es sehen müssen...

Tintenteufel

#64
Ohne mich jetzt durch die restlichen vier Seiten gewühlt zu haben, möchte ich nur zu dem letzten Ansatz meinen Senf dazu geben.
Das sehe ich nämlich nicht so. Man muss nicht von ihrem Tod überrascht sein. Einige der besten Todesszenen riecht man Meilen gegen den Wind - entweder weil man die Geschichte schon kennt oder es einfach unausweichlich ist.
Kann mir niemand erzählen, dass irgendwer überrascht ist vom Tod Hamlets oder Siegfrieds.
Tatsächlich kann  es durchaus effektiver und emotionaler sein, wenn der Tod bereits recht früh fest steht und der Leser nur noch dabei zu schaut, wie genau dieser spezifische Zug jetzt eigentlich in den Abgrund rast.

Nehmen wir mal Titanic. Ist jetzt nicht der epischste Fantasyfilm überhaupt...aber definitiv einer der emotionalsten oder schmalzigsten, je nach Geschmack. Aber jeder, absolut jeder, kennt das Ende. Schon bevor der Film raus kam war das allen bekannt. Macht Jacks Tod am Ende jetzt nicht weniger tragisch oder berührend sondern eher noch das Gegenteil: Weil wir wissen, dass die beiden nicht zusammen sein können, dürfen und werden, wird jede Szene mit denen trauriger, tragischer. Selbst die hübschen, leichten Szenen bekommen einen bitteren Geschmack.
Jetzt stellt euch mal bitte vor, der Ehemann von Rose würde Jack einfach bei einem Abendessen erschießen. Aus heiterem Himmel. Zweifellos sehr schockierend, hätte aber die emotionale Schlagkraft eines erdolchten Fisches - all die Liebesszenen liefen so ziemlich ins Leere.

Ganz abgesehen davon, @catlord, dass "grimdark bloody realism" jetzt auch nicht unbedingt so ehm...erwachsen sein muss. Siehe Warhammer 40.000, das absolut lächerlichste, kindischste Franchise, das es neben Transformers so gibt.  ::)