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Darf man Zeichensetzung ignorieren, um einen bestimmten Spracheffekt zu erzielen

Begonnen von Feuertraum, 22. Februar 2012, 13:13:55

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gbwolf

Meines Erachtens sollte das Stilmittel konstant durch den Roman hindurch angewendet werden, wenn man sich für einen Bruch entschieden hat. Sonst wird es nicht als Stilmittel erkannt, sondern nur als störend empfunden. Wie Valaé kenne ich - zwar nicht aus dem Studium, sondern aus dem Bibliotheksalltag - verschiedene stilistische Elemente, mit denen gerade in der Hochliteratur gearbeitet wird. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut.
Bei vielen literarisch "anspruchsvollen" Texten ist mir in den letzten Jahren aufgefallen, dass die Gänsefüßchen ganz weggelassen werden. Beispielsweise bei der Vermessung der Welt oder bei Horror Vacui. Den Kehlmann habe ich selbst nicht gelesen, Tina Uebel erzeugt in Horror Vacui dadurch eine Einheit von Denken, Erzählen und Sprechen, auch durch die wilden Wechsel durch die Personen - ich fand den Roman wahnsinnig dicht und intensiv geschrieben. Aber das hat nur funktioniert, weil der Bruch mit den Regeln einer Logik folgte und perfekt zur Atmosphäre passte.
Andere Beispiele, mit denen ich als Leserin nicht zurande komme sind die Werke von Arno Schmidt. Beispielswiese Die Gelehrtenrepublik oder Zettels Traum (Letzteres ignoriert eh alles). Oder viele Literaten wiederholen Dinge gerne hunderttausendfach. Mein Alptraum von einer Lesung des Deutschen Literaturinstituts auf der Messe in Leipzig war ein Text, bei dem ständig alles dreitausendmal auf den Tisch kam: "Als meine Mutter in den Raum kam, sagte sie. Sie sagte, sie wäre jetzt im Raum." oder so ähnlich  :gähn:

Das von Srpotte kritisierte Beispiel mit den Punkten nach jedem Wort ist übrigens etwas, das ich gerne in Kurzgeschichten anwende, vor allem, wenn der ganze Text oder bestimmte Passagen in einen schnellen Stil wechseln (Ebenso mal ein Gedankenstgrich, um eine Pause, ein Zögern anzudeuten oder ich verkürze Sätze ganz bewusst). Mir persönlich gefällt es gut und man kann es für Atemlosigkeit, harte Betonung, etc. verwenden, den Leser an dieser Stelle bremsen oder mitreißen. Aber wie gesagt: Das kommt dann mehr als einmal im Text vor. Bei Romanen bevorzge ich die Betonung auch durch Kursivschreibung oder besser: Dadurch, dass ich versuche, die wörtliche Rede so stark es geht auf die Person und ihre Stimmung anzupassen. Der eine spricht kurz und abgehakt, die andere lang und reich an Adjektiven. Wenn die Figuren auf der Flucht sind, stellt sich der Leser dann meistens auch ein Brüllen von selbst vor, wenn jemand nur kurze Kommandos gibt und klar ist, dass die Figuren nicht nebeneinander stehen. Auch wird man für ein Flüstern im Angesicht des Feindes Worte wählen, die sich wispern lassen.

Insofern sehe ich für Feuertraum keinen nur einen Grund, nicht mal mit den Satzzeichen zu spielen, wenn die innere Logik erhalten bleibt und wenn der Leser dem Inhalt deshalb weiter folgen kann. Und letztendlich muss man sich auch entscheiden: Arbeitet man an einem leichten, unterhaltsamen Text oder ist es ein sperriger Text, der auch einmal unbequem sein darf, weil er genau wegen dieser Anstrengung für den Leser etwas besonderes ist (Als Inhalt sollte man dann natürlich etwas Spektakuläres anbieten, damit sich niemand verschaukelt vorkommt).

Edit:
Zitat von: Feuertraum am 22. Februar 2012, 15:37:29Eine sehr große "Problematik" sehe ich in der von Nycra und Sven angesprochenen Kursivschrift. Dazu muss ich jetzt ein Argument auffahren, dass ich zwar nicht in der Schule, aber während meines Fernkursus bei der Axel Anderson Akademie (so hieß sie damals noch) gelernt habe. Dort wurde mir eingetrichtert, dass das Verändern des Schriftbildes als Mittel, etwas darzustellen, ganz schlechter Stil sei und unbedingt vermieden werden sollte. Notfalls - so die Aussage meines damaligen Korrektors - muss der Satz so umgeschrieben werden, dass derselbe Effekt erzielt wird, ohne dass das Schriftbild verändert wird.
Allerdings ist das schon 21 Jahre her - vielleicht ist es inzwischen legetim.
Bei einem Basisschreibkurs würde ich auch absoluten Wert darauf legen, dass die Absolventen zunächst das saubere Handwerk lernen, bevor sie mit dem Brechen der Regeln beginnen. Für den Fortgeschrittenen ist es meines Erachtens sinnvoll, nach allen Möglichkeiten zu suchen, die er hat, um auszudrücken, was er ausdrücken möchte. Natürlich nicht in einem Heftroman oder für einen monumentalen Fantasywälzer oder für eine schmalzige Liebesgeschichte oder für einen Jugendkrimi, aber Sprache ist ja keine festgemeißelte Konstante. Gerade für Experimente sind ja Kurzgeschichten sehr gut und man kann sich gut in die Bibliothek setzen und einfach mal querlesen, mit welchen Mitteln andere arbeiten. Funktionieren sie? Wie und für welche Art von Text? Welche Zielgruppe habe ich für mein Werk?
Als Beispiel aus dem Fantasy-/SF-Bereich übrigens noch "Blumen für Algernon" (Erstveröffentlichung unter dem Titel "Charly") und einige weiter Werke, die bei Klett-Cotta erschienen sind. Auch phantastische Werke müssen nicht 100% nach Grammatikregeln aufgebaut werden.

Sven

Zitat von: Feuertraum am 22. Februar 2012, 15:37:29
Dort wurde mir eingetrichtert, dass das Verändern des Schriftbildes als Mittel, etwas darzustellen, ganz schlechter Stil sei und unbedingt vermieden werden sollte. Notfalls - so die Aussage meines damaligen Korrektors - muss der Satz so umgeschrieben werden, dass derselbe Effekt erzielt wird, ohne dass das Schriftbild verändert wird.

Im Prinzip ist das auch immer noch so. Manche Lektoren mögen die Kursivschrift nicht besonders. Allerdings hat sich dieser (ich glaube, vorwiegend amerikanische "Brauch") inzwischen eingebürgert. Gedanken werden schneller und einfacher in kursiv gesetzt, statt sie auch in Anführungsstriche, mit einem "dachte er" dahinter, zu versehen (so wie ich es gelernt habe).
Auch Betonungen in kursiv setzen ist okay. Im schlimmsten Fall muss man mit dem Lektor diskutieren  ;)
Beste Grüße,
Sven

Maja

Ich denke, bei Stilmitteln ist alles erlaubt, womit man durchkommt - beim Agenten, beim Lektor und am Ende beim Leser. Genauso, wie man die Rechtschreibung in den Wind schießen kann, wenn man bei wörtlicher Rede einen heftigen Akzent kennzeichnen will (»Ihrrr Hunntt musss aber drrraussen bleiben!«), kann man bei Punkt- und Kommasetzung mit den Mitteln spielen, um seine Stimme hörbar zu machen.

Auch ich habe schon - wenn auch sparsam, man  will das ja nicht abnutzen - mit den Ein-Satz-Wörtern gearbeitet: »Verlass. Sofort. Mein. Zimmer.« klingt eben anders als »Verlass sofort mein Zimmer.« Ich verwende auch gerne das Komma-vor-dem-Und, wiewohl den Regeln nach nicht zulässig, weil es einen Unterschied in der Sprachmelodie macht - und durchaus auch im Inhalt, siehe dazu diese hübsche Erklärung des sog. "Oxford-Kommas" - ist zwar auf Englisch, funktioniert aber auf Deutsch genauso.

Grundsätzlich denke ich, jeder Autor sollte so mit der Sprache umgehen, wie er sich damit wohlfühlt. Ein Malen kann figürlich malen, abstrahiert oder abstrakt. Er kann einen dicken Pinsel, dünnen Pinsel, Borstenpinsel, Spachtel benutzen. Er kann pointillistisch malen, er kann Farbe Kiloweise auf die Leinwand klatschen oder als Aquarell einmal an ihr vorbeitragen. Unsere Farbe als Autor ist die Sprache. Und da lasse ich mir nicht reinreden von irgendwelchen Stilfibeln, die sagen, ein Satz mit mehr als dreißig Wörtern ist ein schlechter Satz. Er ist vielleicht ein langer Satz, aber der Rest hängt von dem ab, der ihn schreibt.

Genauso ist das mit Satzzeichen. Sie sollen einen Satz strukturieren, um dem Leser das Verstehen zu erleichtern, was der Autor sagen will. Und weil der Autor am besten weiß, was er sagen will und welche Melodie im Kopf des Lesers entstehen soll, dürfen wir meiner Achtung nach mit Sprache freier umgehen als in einer Deutschklausur.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Aphelion

Zitat von: Die Wölfin am 22. Februar 2012, 15:41:39
Meines Erachtens sollte das Stilmittel konstant durch den Roman hindurch angewendet werden, wenn man sich für einen Bruch entschieden hat. Sonst wird es nicht als Stilmittel erkannt, sondern nur als störend empfunden.
Das sehe ich ähnlich: Wenn, dann dürfte nicht nur ein (kleiner?) Teil in dieser ungewöhnlichen Form geschrieben werden.

Aber ganz generell finde ich diese Art des "Bruchs" zu... platt. Oder eindimensional. Ich weiß nicht genau, wie ich es nennen soll. Fehlende Satzzeichen fallen sofort auf, sogar, wenn man nur einen Blick auf die beschriebene Seite wirft.
Neben den anderen Nachteilen, die schon genannt wurden (fehlende Betonung, Gliederung usw.), kommt also dazu: Man rückt dem Leser mit der Brechstange auf die Pelle. Hier ist was anders - oder soll anders sein. (Ich kenne den Text, um den es geht, natürlich nicht und gehe deshalb einfach mal davon aus, ich würde irgendeinen x-beliebigen Text ohne Satzzeichen vor mir haben.)

Um einen stilistischen Bruch zu erreichen, wäre etwas subtileres sinnvoller. :) Oder eben eine andere Formatierung, wie ebenfalls schon mehrfach vorgeschlagen wurde.
Kursiv ist nicht "tabu" in dem Sinne, denke ich. Dafür sieht man es zu oft in gedruckten Büchern. ;) Eine Andere Variante: Ich habe mal eine Ausgabe der unendlichen Geschichte in den Händen gehabt, die in dunkelroter und dunkelgrüner Schrift gedruckt war; ich glaube, abhängig davon, ob die Passage in Phantasien oder in der realen welt spielte. Es muss also (bei einer eventuellen Veröffentlichung) nicht bei kursiv und nicht-kursiv bleiben, sondern auch andere Formatierungsunterschiede sind prinzipiell denkbar. Textfarbe ist sicherlich auch ein Kostenfaktor... Aber unterschiedliche Schriftarten habe ich auch schon gesehen (Arial vs. Times New Roman, z.B. - und ja, der Unterschied war auffällig genug). :)

chaosqueen

Ich habe nicht alles gelesen, falls ich nichts Neues liefere, ignoriert mich. ;)

Ich bin Sprottes Meinung: Grammatikregeln haben einen Sinn und sollten benutzt werden. Ich sehe es aber auch so, dass man mit Hilfe dieser Regeln so gut wie alles ausdrücken kann, was man möchte. Jemand, der nachdenkt und daher langsam und abgehackt spricht, kann dies tun, indem man immer mal wieder die wörtliche Rede unterbricht und kurz beschreibt, was er tut oder Punkte, Gedankenstriche und Füllwörter einfügt: "Naja", sagte Johann gedehnt, "ich wollte dir wirklich nicht zu nahe treten", fuhr er dann fort und rieb sich über die Nase, "aber ich hatte nicht gedacht ... dass du es so schwer nimmst." Er schwieg kurz und fügte dann fast trotzig hinzu: "Außerdem bin ich ja nur ein paar Jahre weg!"

Zanoni

Dürfen darf man "in der Kunst" prinzipiell alles. Allerdings geht man mit jeder Übertretung einer Regel, oder einem Bruch mit dem Gewohnten, ein nicht zu unterschätzendes Risiko ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch Nachteile entstehen ist sehr viel größer, als dass sich dieses Vorgehen als Vorteil erweist.

Dazu kommt, dass man erstmal eine Regel - absolut und vollkommen - verstanden und verinnerlicht haben muss, um überhaupt darüber nachdenken zu können, ob und wie eine Missachtung der Regel gewisse Vorzüge mit sich bringen könnte. Und grundsätzlich wird eine solche Missachtung bei bereits etablierten, anerkannten Autoren tendenziell wohlwollender aufgenommen, als bei einem völlig unbekannten Autor.

Insofern wäre ich mit solchen Experimenten extrem vorsichtig.