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Ritzen

Begonnen von Nycra, 07. Juni 2010, 11:19:53

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Simara

Zitat von: Thaliope am 07. Juni 2010, 14:34:05
Ich glaube, ein wesentliches Kriterium für das "klassische" Ritzen ist, dass es eben nicht "kontrolliert" ausgeführt wird, dass es eine Handlung unter einem ungeheuren Druck ist, bei der der Handelnde nicht klar denken kann, und sich nur noch "befreien" will. Diesen Zwang kann ich mir ehrlich gesagt nicht in Verbindung mit ästhetischen Interessen denken.
LG
Thali

Damit hast du natürlich Recht, der Drang zum ritzen kommt plötzlich und es ist schwer ihm nicht sofort nachzugeben. Aber es ist nicht unmöglich. Viele Therapeuten empfehlen ja auch wenn man den Druck sich selbst zu verletzen nicht wiederstehen kann und alle alternativen nicht helfen, sich vorher fest vor zu nehmen nur so und so viele Schnitte zu benutzen. Ich weiß aus eigener Erfahrung (denn ich selbst habe mich mit zwölf Jahren zu ritzen begonnen, allerdings vor über einem Jahr eigenständig damit aufgehört. Ich habe es nicht sehr lange getan und rechtzeitig damit aufgehört als ich merkte wie es außer Kontrolle geriet.) dass es nicht einfach ist sich soweit unter Kontrolle zu bekommen, aber mit genügend Selbstbeherrschung ist es möglich. Natürlich ist es nicht so befreiend wie einfach drauf los zu schneiden, aber es ist meiner Meinung nach der erste Schritt zum aufhören. 

Waffelkuchen

Zitat von: Nycra am 07. Juni 2010, 15:28:30
Bei anderem Suchtverhalten kommt es doch auch vor, dass der Süchtige alles versucht, seine "Krankheit" vor Außenstehenden zu verbergen. Warum sollte es beim Ritzen nicht genauso sein?

Ich kenne drei Mädchen, die sich ritzen und die verstecken die Narben alle unter Pullis und Armreifen. Ich kann mir das mit dieser Verzierung nicht vorstellen- würde sie sich rein aus ästhetischen Gründen ritzen, dann wäre es noch mal was anderes, aber sie tut es ja aus Selbsthass und demnach kann ich mir nicht vorstellen, dass sie das dann in der Form kontrollieren kann. Vor allem nicht von Anfang an.

Gut, wahrscheinlich bin ich da auch nicht objektiv- ich steck im Moment ziemlich tief in zwei der drei Geschichten drin und bei dem Thema stellen sich mir alle Nackenhaare auf...
Ich heb mein Glas und salutier dir, Universum / Dir ist ganz egal, ob und wer ich bin
Fremde - Max Herre, Sophie Hunger

Hanna

Zitat von: Simara am 07. Juni 2010, 16:08:45
Damit hast du natürlich Recht, der Drang zum ritzen kommt plötzlich und es ist schwer ihm nicht sofort nachzugeben. Aber es ist nicht unmöglich. Viele Therapeuten empfehlen ja auch wenn man den Druck sich selbst zu verletzen nicht wiederstehen kann und alle alternativen nicht helfen, sich vorher fest vor zu nehmen nur so und so viele Schnitte zu benutzen. Ich weiß aus eigener Erfahrung (denn ich selbst habe mich mit zwölf Jahren zu ritzen begonnen, allerdings vor über einem Jahr eigenständig damit aufgehört. Ich habe es nicht sehr lange getan und rechtzeitig damit aufgehört als ich merkte wie es außer Kontrolle geriet.) dass es nicht einfach ist sich soweit unter Kontrolle zu bekommen, aber mit genügend Selbstbeherrschung ist es möglich. Natürlich ist es nicht so befreiend wie einfach drauf los zu schneiden, aber es ist meiner Meinung nach der erste Schritt zum aufhören.

Der Ansatz ist mir neu. Für gewöhnlich gilt es als Rückfall sobald man Gewebe verletzt. Ich kenne als Methoden, um sich vom Ritzen abzulenken, eher so Sachen wie

- Hände mit sehr heißem oder kaltem Wasser waschen
- getrocknete Erbsen in die Schuhe tun
- in eine Zitronenscheibe beißen
- Kneifen
- Wäscheklammern auf die Haut setzen

also im Prinzip starke körperliche Reize, die dich vom Ritzdruck ablenken. Schmerz, ohne Gewebe zu verletzen. Auf solche Sachen greife ich auch heute noch zurück, wenn ich Ritzdruck verspüre. Geschnitten habe ich mich schon seit Jahren nicht mehr und ich habe auch von selbst aufgehört, allerdings weiß ich nicht mehr, wie oder warum. Ich denke, es hatte etwas mit dem Beginn einer Partnerschaft zu tun. Dafür bin ich aber jetzt schon zum 2. Mal in Therapie und habe mit meinem Thera auch über das Ritzen gesprochen. Obwohl es lange zurück liegt, ist das halt ein Teil von mir und wird auch öfter mal wieder Thema. Es ist mir auch bewusst, dass ich jederzeit rückfällig werden könnte, sollte mein Leben aus den Fugen geraten. Allerdings gehört da heute schon mehr zu, als damals, wo es reichte, dass mich jemand schief ansah.
#notdeadyet

Lila

#18
Hmm, so ziemlich alles, was ich zu dem Thema noch zu sagen gehabt hätte wurde hier eigentlich bereits angesprochen.

Zum einen finde ich es super wichtig, dass man "Ritzen" (sorry, aber ich hasse diesen Ausdruck dafür...) und das Borderline-Syndrom nicht zu ein und derselben Sache macht. Wer sich selbst schneidet (ja, ich nenne es so, weil es nämlich genau das und nichts anderes ist) leidet nicht zwangsläufig am Borderline-Syndrom. Dafür bin ich wohl das beste Beispiel.

Warum ich was gegen den Ausdruck "Ritzen" habe kann ich ja vielleicht auch gleich noch dazu sagen. "Ritzen" ist für mich sowas in der Art: ich nehme mir 'ne Stecknadel und schabe mir damit ein paar mal über die Haut.
Hört sich das auch nur im geringsten so an, als würde es massive Wunden und Narben verursachen? Nein? Finde ich auch nicht. Deshalb finde ich es auch völlig widersinnig in solch harten Fällen von "Ritzen" zu sprechen. Das klingt verharmlosend und albern. Fast wie ein Modebegriff. In diesem Zusammenhang würde ich da nie von "Ritzen" sprechen. Das klingt für mich, wie wenn jemand davon redet, der davon eigentlich keine Ahnung hat. So pädagogisch und stempelaufdrückend. Da krieg ich 'ne Krise. Dann soll man das Ganze doch lieber gleich beim Namen nennen: die Haut wird zerschnitten, verdammt nochmal, und nicht bloß oberflächlich eingeritzt! Sorry, aber das musste jetzt einfach mal raus. :-[

"Ritzen"... also, ganz ehrlich. Das klingt so romantisch. Wie wenn ich meine und die Initialen meines Liebsten mit einem Taschenmesser in einen Baum ritze. Aber ganz ehrlich, mit Romantik hat das alles nun mal überhaupt nichts zu tun. Da steht ein enormer Druck dahinter, sonst würde man gar nicht auf die Idee kommen so etwas zu tun. Wie gesagt, ich spreche da aus eigener Erfahrung und wenn du Fragen hast, Nycra, immer gerne per PN an mich. Wobei ich da, wie Gothanna, inzwischen auch "drüber weg" bin. Und auch ich habe es aus eigenem Antrieb geschafft aufzuhören und es seitdem tatsächlich nicht mehr getan.

Ich habe übrigens selbst einen (ebenfalls weiblichen) Charakter, der dieses "Problem" hat. Allerdings ist sie kein Fantasy-Charakter sondern aus unserer realen Welt und aus einer Geschichte, die in unserer realen Welt spielt und nicht in einer Fantasy-Welt. Sie ist sogar tatsächlich Borderlinerin. Wobei mich dieses Thema hier gerade zum Grübeln gebracht hat und ich jetzt ernsthaft am überlegen bin, ob ich den Borderline-Aspekt nicht doch rausnehme. Schließlich reagiere ich da inzwischen echt allergisch drauf, wenn andere ständig das eine und das andere in ein und denselben Topf werfen. Da will gerade ich das jetzt nicht auch noch unbedingt propagieren. Es wäre doch mal nett, wenn jemand endlich mal mit diesen ganzen Vorurteilen und Verallgemeinerungen aka "SVV=Borderline" aufräumte. :hmmm:


EDITED:
Öhm, da sich hier offenbar keiner mehr traut was zu schreiben vielleicht nochmal für alle. Mein Ton oben sollte keinesfalls erzürnt oder aufgebracht klingen, denn ich bin weder das eine, noch das andere. Mir liegt dieses Thema nur sehr am Herzen und ich hatte gehofft, dass das irgendwie zum Ausdruck kommt. Wenn ich meine Worte etwas schärfer gewählt habe und das falsch rübergekommen ist tut mir das sehr leid! Ich wollte hier niemanden verschrecken! Ich bin absolut für freie Meinungsäußerung und jeder kann, darf und soll ruhig zu dem Thema sagen dürfen was ihm dazu einfällt oder ihn bewegt! Das wollte ich nur nochmal ausdrücklich betonen. :engel:
Livid Oppressed King: Ignite!
Tyranny Has Overcome Rules."
(oder: was man nicht alles aus LOKI & THOR machen kann!) - TasTä (aka Lila)

Hanna

Mach dir mal keine Sorgen, TasTä! Du hast doch selbst schon angemerkt, dass schon fast alles gesagt wurde. Ich glaube nicht, dass deinetwegen keiner mehr antwortet.  :knuddel: Ich bin übrigens auch kein Borderliner.
#notdeadyet

Lila

#20
Zitat von: Gothanna am 09. Juni 2010, 06:40:59Mach dir mal keine Sorgen, TasTä! Du hast doch selbst schon angemerkt, dass schon fast alles gesagt wurde. Ich glaube nicht, dass deinetwegen keiner mehr antwortet.  :knuddel: Ich bin übrigens auch kein Borderliner.

Na, dann ist ja gut. :knuddel:

Ich weiß zwar keine genauen Zahlen, aber ich schätze mal, dass der Anteil derer in der Bevölkerung, die sich selbst verletzen (oder verletzt haben) OHNE gleichzeitig an einer BSP zu leiden gar nicht so niedrig ist. Vor allem aber denke ich, dass es gerade für die Leute MIT Borderline-Persönlichkeitsstörung wesentlich schwieriger ist mit dem SVV aufzuhören (wenn sie es überhaupt tun), als für Menschen ohne diese Krankheit. Stimmst du mir zu?
Livid Oppressed King: Ignite!
Tyranny Has Overcome Rules."
(oder: was man nicht alles aus LOKI & THOR machen kann!) - TasTä (aka Lila)

Vali

Selbstverletzendes Verhalten kann bei verdammt vielen psychischen Krankheiten ein Symptom sein. Häufig sind neben Borderline-Persönlichkeitsstörungen glaube ich Depressionen, Verhaltensstörungen wie Anorexie und Bulimie und posttraumatische Störungen (<-- was in dem Fall der Figur wohl zutrifft). Andere Möglichkeiten die mir einfallen wären Zwangsstörungen, Krankheiten aus dem schizophrenen Formenkreis und geistige Behinderung (wobei da das Selbstschlagen und -beißen häufiger vorkommt als Schneiden).
Mal davon abgesehen fände ich es schwierig eine Romanfigur mit Borderlinestörung darzustellen, vor allem wenn man selbst solche Personen nicht für längere Zeit erlebt hat. Das ist ein ganz schön komplexes Krankheitsbild, das sich auf fast alle Bereiche des Lebens auswirkt. Eine solche Figur würde mir beim Plotten ganz schön oft in die Quere kommen.
Jedenfalls empfand ich den Umgang mit solchen Patienten als höchst anstrengend (vor allem diese überschwänglich emotionale Hassliebe gegenüber einem als Arzt), aber auch faszinierend, vor allem was ihre Fantasie und Kreativität angeht. Wenn eine Figur schon eine psychische Krankheit haben soll, dann lieber was einfacheres, was man selbst aber auch unwissende Leser gut nachvollziehen können.

Hanna

Zitat von: Tastentänzerin am 09. Juni 2010, 18:23:53
Ich weiß zwar keine genauen Zahlen, aber ich schätze mal, dass der Anteil derer in der Bevölkerung, die sich selbst verletzen (oder verletzt haben) OHNE gleichzeitig an einer BSP zu leiden gar nicht so niedrig ist. Vor allem aber denke ich, dass es gerade für die Leute MIT Borderline-Persönlichkeitsstörung wesentlich schwieriger ist mit dem SVV aufzuhören (wenn sie es überhaupt tun), als für Menschen ohne diese Krankheit. Stimmst du mir zu?

Ich denke, das muss man von Fall zu Fall betrachten. Generell ist es aber so, dass man natürlich schwächer ist, wenn es einem gerade nicht gut geht. Und auch bei Borderline gibt es Phasen, in denen es den Patienten sehr gut geht.

Auf mich trifft wohl "posttraumatische Störung" zu. Außerdem leide ich seit Jahren an Depressionen und bin gerade wieder in Therapie deshalb. Letztes Jahr gipfelte es darin, dass mein Freund mit mir Schluss gemacht hat, weil er mit meiner Depression nicht zurecht kam. An dem Abend, als ich seine Email gelesen habe, bin ich zig Mal in die Küche gerannt, habe die Besteckschublade aufgerissen und wieder zugeknallt. Aber ich habe gerade noch mal die Kurve gekriegt und bin gleich am nächsten Tag zum Arzt, um mir Hilfe zu holen - immerhin habe ich ein kleines Kind und muss mich unter Kontrolle haben.

Zum Glück konnte ich wieder ziemlich schnell zu meinem früheren Thera, der mir damals bei meiner sozialen Phobie so geholfen hat. Der hat mich ganz schnell wieder gerade gebogen. Und mit meinem Schatz war ich auch schnell wieder zusammen - was er wohl nicht bereut hat, denn heute ist unsere Beziehung besser denn je.

Aber ich fürchte, jetzt kommen wir etwas vom Thema ab.
#notdeadyet

Rika

Whoa, was ein Thema...
Massig Respekt an euch, die ihr damit zu kämpfen hattet und jetzt offen drüber reden könnt!

Und wer mag:  :knuddel:
(Habe mich nie direkt selbstverletzt, aber selbstsabotierendes Verhalten kommt bei mir in depressiven Zeiten durchaus vor.)

   As to who I am now, if you're prompted to ask:
   I'm the ghost of my future and the sum of my past.

    - Talis Kimberley, Small Mended Corners

Thaliope

Auch wenns jetzt tatsächlich OT ist, @Hanna: meinen Riesenrespekt! In so ner Situation der Versuchung zu widerstehen, ist echt ne Leistung!  :knuddel:

Nycra

Das ganze Thema ist ziemlich komplex und ich verspreche schonmal vorab, nichts übers Knie zu brechen. Es war/ist eine Idee, die ich "im Vorbeigehen" hatte. Gerade weil ich mich damit überhaupt nicht auskenne, habe ich lange gezögert, hier überhaupt zu posten. Und die Antworten, die ich bekam, haben meinen Anfangsverdacht bestätigt: Hier kann man viel falsch machen! Genau deshalb kann ein sponanter Geistesblitz in die Hose gehen.

Sicher ist eine Krankheit dieser Art nicht einfach zu beschreiben, da gebe ich Vali Recht. Sie soll in meinem Fall auch nicht das Buch dominieren. Die Geschichte, die ich erzähle, wird um die Probleme meiner Prota herumgewebt. Dennoch möchte ich offensichtliche Fehler und Klischees vermeiden, denn die Verletzungen, die sie sich zufügt, werden wie ein roter Faden durchs Buch ziehen. Es wird - obwohl Fantasy - keinen Zauberer oder Ähnliches geben, der die Prota heilt und alles wieder gut macht. Sie soll damit fertig werden - oder nicht - wie ein realer Mensch.

Ich danke euch sehr, dass ihr mit mir offen über das Thema und eure eigenen Erfahrungen sprecht, sei es hier im Forum oder über PN. Durch die hiesige Diskussion ist mir klar geworden, dass ich noch viel vor mir habe und ich weiß, dass ich bestimmt Fehler dabei machen werde. Wie naiv ich mich zu dem Thema anstelle, habt ihr in meinen Postings gelesen bzw. habe ich selbst beim Lesen eurer Kommentare gemerkt.

Trotzdem will ich es versuchen (du hast mich überzeugt Tastentänzerin  ;D).

Und nochmal ein fettes DANKE euch allen! Ich hab euch lieb ...

Nycra

P.S. Ich schließe mich Thaliope an: RESPEKT! Allen, die es schaffen zu wiederstehen...

Lila

@Rika:
Wow, das ist echt ein tolles Zitat! :jau:


Zitat von: Nycra am 10. Juni 2010, 10:37:21P.S. Ich schließe mich Thaliope an: RESPEKT! Allen, die es schaffen zu wiederstehen...

Ich stand auch schon oft genug kurz davor es wieder zu tun und habe es dann doch nicht gemacht, deshalb kann ich bestätigen: es ist (manchmal) wirklich verdammt schwer zu widerstehen! Aber eben zum Glück und offensichtlich nicht unmöglich. :knuddel:
Livid Oppressed King: Ignite!
Tyranny Has Overcome Rules."
(oder: was man nicht alles aus LOKI & THOR machen kann!) - TasTä (aka Lila)