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Eine Geschichte in eine andere Welt portieren

Begonnen von TheaEvanda, 04. Mai 2009, 20:28:21

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TheaEvanda

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Rassistisches Vokabular entfernt.
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Eine Geschichte in eine andere Welt portieren

Vor einiger Zeit schrieb ich an einem Roman, der in einer Rollenspiel-Welt verankert war. Im Laufe der Bearbeitung wurde mir klar, dass mir die Grundidee zu lieb und teuer war, als dass ich sie in dieser doch recht einschränkenden Welt verarbeiten wollte. Ein Verkauf des Romans käme einem Verkauf der Idee gleich, und auch wenn die Charaktere weiterhin »mir« gehörten – Plot und Umsetzung wären erschienen und ständen mir in meinem »wirklich eigenen« Werk nicht mehr weiter zur Verfügung.
That´s Life bei Spielwelten. Für mich war der Weg nicht (mehr) gangbar, und so schuf ich mir eine eigene Welt, die die Idee und ihre Umsetzung fassen konnte, und portierte den alten Inhalt in den neuen Rahmen. Für mich hat die Sache außerordentlich gut  funktioniert; die Geschichte hat viel an Breite und Tiefe gewonnen.
Das Portieren ist nicht unbedingt einfach, und das Umschreiben der Handlung auf die neuen Hintergründe ist immer noch nicht vollständig abgeschlossen, aber die Grundprinzipien sind recht einfach.

a) Der Hintergrund
Dieser Teil der Weltentwicklung besteht aus Völkern, Rassen, Kreaturen etc. Welche Teile des alten Settings sind wirklich plotrelevant? Alle plotrelevanten Teile des Hintergrundes benötigen eine Entsprechung in der neuen Welt.
Wenn der Hauptcharakter der Urspungsgeschichte ein Minotaur ist, und er ein Minotaur sein muss, um weiter Protagonist zu sein, braucht auch die neue Welt Minotauren.
Genauso wichtig sind geschichtliche Einschnitte: Gab es in der alten Welt einen Krieg oder Königsmord, der die Charaktere und politische Konstellation beeinflusst, so muss auch in der neuen Welt ein Krieg oder Königsmord stattgefunden haben. Allerdings kann man ungeliebten Ballast auch leicht unter den Tisch fallen lassen und die Setzung anpassen. Beim Erstentwurf muss man ja nicht unbedingt sagen, dass König X ermordet wurde – er hat sich halt an Pilzen den Magen verdorben und ist eine Woche später unter ungeklärten Umständen gestorben.

b) Die Völker
Welche Kulturen bzw. Kulturkreise aus der alten Welt sind für die Geschichte wichtig? Auch diese Teile müssen passend ersetzt werden. Die Völkerschaften haben meist äusserliche (Aussehen, Kleidung, Lebenswandel) und innere (Sprache, Kultur, Religion) Charakteristika, die möglichst früh gesetzt werden müssen.
Dazu kommen potenzielle Konflikte (die [Ersetzung: rassistische Fremdbezeichnung für Sinti und Roma] klauen unser Vieh) und Allianzen (das Volk des Papstes kann uns nicht böse gesonnen sein).

c) Die Charaktere
Die Charaktere brauchen eine Volksgruppe aus der sie stammen, und Völker, denen sie sich zugehörig fühlen oder von denen sie ausgestoßen wurden – wie immer eben.
Zusätzlich müssen meist alle Charaktere neue Namen bekommen, da die Volkskonstellation nicht mehr stimmt und ein Name wie »Praoiotin« in Aventurien Sinn macht, nicht aber in Bayern. Zusätzlich hilft das Umbenennen dabei, die Charaktere aus ihrem alten Kontext zu lösen und sie zu neuen Charakteren werden zu lassen. Der Prozess ist schleichend, aber sehr wichtig.

d) Götter und Magie
Diese wichtigen Zutaten sind meist durch Copyright-Beschränkungen und gesunden Menschenverstand nicht 1:1 übertragbar. Also müssen ein neues Pantheon und ein neues Magiesystem her.
Ich persönlich tendiere dazu, alles mystischer als vorher zu machen. Die meisten Spielwelten sind im Magiebereich so verregelt, dass ein eingeweihter Leser schon bei der ersten Silbe eines zitierten Zaubers schreit, dass diese Anwendung jetzt gerade gar nicht möglich ist ... Jedem das Seine, ich kappe die Regeln oder mache sie unsichtbar.
Ein neues Pantheon aus dem Pantheon der alten Welt zu machen ist nicht allzu schwierig – wir greifen alle auf die gleichen Quellen zurück, und die römischen oder griechischen Götter können sich nicht mehr gegen Schindluder wehren.
Schwieriger ist es, aus einer polytheistischen Religion ein monotheistisches Konstrukt zu machen, aber es geht.

e) Gilden, Kammern und Innungen
Die diversen Selbsthilfeorganisationen von Handwerkern, Magiern, Priestern etc. brauchen meist nur wenig Veränderung, um in die neue Welt zu passen.

f) Die Weltkarte
Zuletzt - und das mit Absicht – kommt die Anpassung der Weltkarte. Die alten Städte brauchen neue Namen (auszuwählen nach dem Volk, das dort wohnt) und eine neue Geographie. Jetzt hat man die Gelegenheit, endlich mal 200km Abstand zwischen zwei unwahrscheinliche Großstädte zu bringen, ein Dorf zur Stadt zu befördern und den fehlenden Gerichtsstandort zu platzieren.
Etwas Berücksichtigung von naturräumlichen Gegebenheiten hilft bei der Glaubwürdigkeit der neuen Welt.

Damit ist das Gröbste geschafft.
Jetzt nimmt man alle seine Notizen, macht aus dem alten Text eine neue Datei mit neuem Namen und geht mit Suchen und Ersetzen durch den Text. Alle Fachbegriffe, Namen, Fremdwörter etc. müssen ersetzt werden.
Erst wenn alles ersetzt ist, sollte man den Text überarbeiten - mit den neuen Gegebenheiten im Kopf muss man alles von vorne bis hinten händisch anpassen.

Meine Umwandlung eines Roman-Rohlings von 100 Seiten Umfang nahm etwa 4 Wochen in Anspruch.

--Thea
Herzogenaurach, Germany

Coppelia

#1
Danke für deinen Beitrag, Thea!

Leider hilft er mir nicht. :( Das alles habe ich schon längst getan und auch viel tiefgreifender. Bei mir besteht das Problem wohl gleich in Punkt a - da alle plotrelevanten Dinge eine Entsprechung brauchten, ist das Original noch erkennbar. Zumindest zu erkennbar für mich. Ich weiß nicht, ob jeder es gleich erkennen würde. Daher weiß ich auch nicht, ob trotz sämtlicher Umbenennungen, Änderungen, Epoche-Änderungen, Welt-Hintergrund-Änderungen und wasweißich nicht doch noch Copyrightprobleme bestehen. :-\
Aber mein Projekt ist auch eher Steampunk. Vielleicht klappt das Portieren von mittelalterlichen Settings besser.

Einmal hat die Portierung allerdings auch recht gut geklappt, und das hat der Geschichte auch gut getan. Da habe ich es tatsächlich so gemacht, wie du es hier beschreibst. Samt Umbenennungen - da reicht wirklich Suchen und Ersetzen. Ist mein "Funkenfänger", mein Prinz.

Shay

Ich hab auch schon mehrfach Geschichten portiert.
Gegen das von dir beschriebene Problem kenne ich zwei Lösungen, Coppi.
1. Einfach abwarten. Die Geschichte portieren und sie dann in der neuen Welt weiter entwickeln. Mit etwas Glück kommen irgendwann so viele neue Details dazu, daß die Ähnlichkeit zur alten Welt verblasst. Dieser Weg braucht aber in meiner Erfahrung recht viel Zeit.
2. Mehrfach portieren. Das habe ich noch nie mit Absicht gemacht, aber meine beiden ältesten Protas leben mittlerweile auf der vierten Welt (bei stets gleichem Plot). Außerdem verpflanze ich meine Protas gerne mal aus Spaß in irgendwelche anderen Welten. Dabei bleibt dann doch auch immer ein bißchen was hängen und sie entfernen sich von der Ausgangsbasis.
Überhaupt finde ich für die Plotentwicklung das wilde Spielen fernab von jeder Sinnhaftigkeit einfach inspirierend. Ich habe meinen obercoolen Söldner auch schon zu Germany's Next Topmodel versetzt - schließlich muß man seine Protas ja auch mal herausfordern ;) Dabei ist mir vollkommen klar, daß die Geschichte Schwachsinn ist, aber gerade deswegen kann man umso freier drauflosfabulieren.

Sprotte

Ich habe das nun - simpler - auch hinter mir. Ist ein "heiterer Thriller" (komische Kombi, ich weiß), der ursprünglich in den USA spielte. Nun habe ich ihn ins nördliche Schleswig-Holstein verfrachtet. Die Story ließ es zu, warum ich den anno dazumal überhaupt in die USA gesetzt habe, erschließt sich mir heute nicht mehr.
Suchen - Ersetzen war sehr hilfreich, danach noch ein klein wenig Feinarbeit. Hat dem Roman weder geschadet noch genützt, denke ich, aber vielleicht läßt sich ein norddeutscher Roman von einer norddeutschen Autorin besser an den Mann bringen.

TheaEvanda

Beim Hintergrund-Übertragen habe ich gelernt, das aktuelle Setting und die Entwicklung dahin zu trennen.

Hat die "alte Welt" einen Krieg, zerstörte Städte und unsichere politische Verhältnisse, auf die sich die Geschichte stützt, dann muss man für sich entscheiden, ob man denn wirklich den Krieg, oder die unsicheren politischen Verhältnisse oder die zerstörten Städte braucht. Wenn man für die Charaktere nur die zerstörten Städte benötigt - dann kann auch eine andere Katastrophe für die Zerstörung herhalten.
Die zerstörten Städte kann man auch mit Naturkatastrophen (Taifun, Erdbeben, Hochwasser, Tsunami) herbeirufen, die unsicheren politischen Verhältnisse können in der Herrschaft (König zu schwach, zerstrittene Ratsregierung, Interregnum mit 16-jährigem pubertierenden Prinzen, Bürgerkrieg) oder im Verschwinden derselben (Königsmord, Tod des Kronrats durch die obigen Naturkatastrophen, mangelndes Vertrauen, Entführung) begründet sein.
Und wenn es wirklich Krieg sein muss? Dann kann man die Art des Krieges ummodeln: Bauern/Bürgerkrieg, Invasion von oder nach Aussen (vom Kreuzzug bis zum Wikingerüberfall), ständige, gerade hochkochende Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarn. Gleichzeitig kann man die Richtung und kleinen Konsequenzen des Kriegs ändern: Ist das Fokus-Volk siegreich und "overextended"? Droht dadurch eine Hungersnot? Ging die letzte Schlacht mit einem Unentschieden aus? Hat sich einer der Feldherren den Namen "Zauderer" und ein anderer den Namen "Schlächter" verdent?

Beim Portieren ist alles möglich.
Man muss sich nur bewusst sein, dass man eigentlich mit Versatzstücken spielt, die man nach Gutdünken wieder zusammensetzen kann - und natürlich, dass jeder Plot schon irgendwann mal ausformuliert wurde.

--Thea
Herzogenaurach, Germany

Coppelia

Bei mir dient eine bestimmte Technologie, die mit der Beschaffenheit der Welt zusammenhängt, als Handlungshintergrund. Ich hab es nicht mal 1:1 übernommen, aber es ist einfach noch zu dicht am Original. Ansonsten habe ich wirklich viel geändert, und auch schon über Jahre hinweg und auch durch mehrere Welten ... aber es wird nichts. Ich sollte die Hoffnung wohl einfach drangeben.

Ich glaube, je standardmäßiger und beliebiger der Plot, desto einfacher ist es, den zu portieren. Bei meinem Prinzen geht es um Bruderkrieg und um schwarze und weiße Magier - joah, dazu eine neue Welt zu machen, war nicht soooo das Problem. ;D Und es ist eine wirklich schöne Welt geworden, viel origineller als die Exvorlage, find ich. Sie ist nun auch schon ca. 10 Jahre alt.