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Meine Heldin erfährt nichts über die Motive des Antagonisten

Begonnen von Marrin, 27. Februar 2023, 15:25:49

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Marrin

Ich habe vor kurzem einen alten Fantasy-Romanentwurf aus der Schublade geholt und war dabei, ihn zu überarbeiten, als mir auffiel, dass meine Heldengruppe inklusive Protagonistin im gesamten Buch nicht ein einziges Mal über die Motive des Antagonisten aufgeklärt wird, was mir zwar folgerichtig scheint, aber vielleicht zu weit vom geläufigen Muster abweicht?

Zur Handlung:
Meine junge Heldin muss mit ihrem jüngeren Bruder ein Artefakt durch die Fantasy-Lande an seinen Ursprungsort zurückbringen. Wenn sie das nicht schafft, steht der Versuch einer besseren Zukunft für die gesamte Fantasy-Welt auf dem Spiel. Ihnen schließen sich im Verlauf Mitreisende an, die sie durch ihre besonderen Fähigkeiten unterstützen.

Der Antagonist ist eine Art Dämon, der in den Besitz des Artefakts gelangen will, um damit seine Freiheit aus einer Art Gefängnis zu erlangen. Er kann sein Gefängnis nicht verlassen, aber Schergen und Verbündete in Anspruch nehmen, um sie der Gruppe auf den Hals zu schicken. Außerdem hat er die Möglichkeit aus der Ferne die Gruppe zu beobachten.

Auf der persönlichen Ebene: Ihr Bruder hat das Artefakt von dem Ursprungsort mitgenommen und das, obwohl sie auf ihn hätte aufpassen sollen. Deswegen sollen die beiden das jetzt in Ordnung bringen, sagen ihre Eltern.
Der Konflikt zwischen ihr und ihrem Bruder spitzt sich im Verlauf der Geschichte immer weiter zu: Er verwickelt sie immer wieder in Schwierigkeiten, für die er sich aber nicht verantwortlich sieht. Sie hält ihm vor, unverantwortlich und unvernünftig zu sein. Er ist enttäuscht, dass sie ihm niemals glaubt.

Die Gruppe schafft es, das Artefakt zurückzubringen, doch durch ihr eigenes Handeln kommt es dazu, dass die Pläne für eine bessere Zukunft  zunichte gemacht werden. Damit endet Haupthandlungsstrang mehr oder weniger.

Jetzt nehme ich die persönliche Geschichte zwischen Schwester/Bruder auf. Der Streit zwischen beiden eskaliert, der Bruder verschwindet und scheint endgültig von ihr entfremdet. Sie und die Gruppe machen sich (schon wieder) auf die Suche nach ihm. Seine Spur führt sie zum Gefängnis des Dämons, wo dieser den Bruder mit Einflüsterungen umgarnt und in seiner Enttäuschung bestätigt. Der Dämon braucht den Jungen, um in seinem Gefängnis überleben zu können (er muss ständig Körper wechseln, um weiter bestehen zu können).
Die Gruppe findet die beiden und es gelingt der Schwester nach einigem Hin und Her, den Bruder zurückzugewinnen und der Dämon wird von der Gruppe besiegt.

Jetzt zu meinem Problem:
Fast das gesamte Buch wird aus dem POV der Schwester erzählt. Zwar streue ich immer wieder Kapitel aus der Perspektive des Dämons in den Text ein, in dem dieser in innernen Monologen und Rückblenden den Lesenden deutlich macht, was seine Motive und Handlungen sind. Aber die Schwester&Co. bekommen nur die Auswirkungen seiner Handlungen zu spüren, sie erfahren niemals, dass ihnen der Dämon das Artefakt für seine eigenen Ziele abjagen will. Sie wissen nicht einmal, dass es eine Kraft im Hintergrund gibt, die gegen sie arbeitet. Überfälle/Zwischenfälle auf der Reise sind in der Welt nichts Ungewöhnliches und ein Gegenspieler lässt sich allein daraus noch nicht ableiten.
Selbst als sie sich am Ende gegenüberstehen, erfahren sie nichts von den Motiven des Dämons. Hier erfüllt er für mich vor allem die Rolle des Katalysators, der den Abschluss der persönlichen Reise der Heldin und ihre Entwicklung ermöglicht.
Klar, jetzt könnte man sagen, lass doch den Antagonisten der Gruppe gegenüber ausplaudern, was er die ganze Zeit über getan hat und warum; aber diese Superschurken-Geständnis am Höhepunkt finde ich lahm.

Seht ihr in dieser Konstruktion ein Problem? Oder kennt ihr so etwas aus anderen Geschichten?

(Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wo und ob ich so etwas schon mal gelesen/gesehen habe, aber mir fällt nur ein Bilderbuch aus meiner Kindheit ein, in der das so ähnlich gehandhabt wird und wo es zumindest funktionierte.)

Maja

Weil die Frage sich ganz konkret auf deine Geschichte bezieht, habe ich das hierher verschoben.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Marrin

Zitat von: Maja am 27. Februar 2023, 15:41:35Weil die Frage sich ganz konkret auf deine Geschichte bezieht, habe ich das hierher verschoben.
Danke. Ich war am Schwanken zwischen beiden Unterforen.

Mondfräulein

Wenn ihr Bruder so engen Kontakt zum Dämon hat, warum erzählt der Dämon ihm denn nichts über seine Motive? Und warum erzählt er das dann nicht einfach seiner Schwester?

Marrin

Zitat von: Mondfräulein am 27. Februar 2023, 16:49:53Wenn ihr Bruder so engen Kontakt zum Dämon hat, warum erzählt der Dämon ihm denn nichts über seine Motive? Und warum erzählt er das dann nicht einfach seiner Schwester?
Ok, vielleicht noch eine wichtige Information: Die beiden Geschwister sind beide noch sehr jung. Der Bruder ist um die 6 Jahre alt, die Schwester etwa 8 Jahre.
Der Kontakt vom Bruder zum Dämon besteht nur am Ende der Geschichte für vielleicht drei/vier Stunden. Und eigentlich ist dieser Kontakt auch nicht so angelegt, dass für den Dämon ein Grund bestehen würde, seine Pläne mit dem Artefakt darzulegen. Seine Motivation, sich mit dem Jungen abzugeben, entsteht allein daraus, dass er einen neuen Körper benötigt, um für den Moment weiter existieren zu können. Deshalb "bearbeitet" er den Bruder und bestätigt ihn in dessen Überzeugung, dass seine Schwester ihn nicht mögen würde. Der Bruders beginnt beginnt mehr und mehr sich aufzugeben und seine Willenskraft sinkt, was es dem Dämon erst möglich machen wird, sich dem Körper des Bruders zu bemächtigen. Ein Interesse, den Bruder in seine Pläne einzuweihen hat er an dieser Stelle eigentlich nicht.

Das Verhältnis des Bruders zur Schwester ist in diesen letzten Kapiteln so angelegt, dass beiderseitig eine Barriere zum anderen aufgebaut ist und sie nicht mehr miteinander sprechen. Erst dadurch, dass die Schwester erkennt, dass sie ihrem Bruder Unrecht getan hat, Verständnis für ihn zeigt und die Wichtigkeit ihrer beider Beziehung realisiert, wendet sich der Bruder ihr wieder zu. (Und dann folgt ein kurzer Kampf eines der Gruppenmitglieder mit dem Dämon, den dieser dann letztendlich verliert.)
Das alles passiert in nur einem Kapitel, das von mir als abschließender Höhepunkt der Geschichte angelegt ist.

Madrisa

Muss die Protagonistin denn die Motive des Dämons kennen? Oder könnte es nicht genau den Reiz der Geschichte ausmachen, dass sie sie nicht kennt?

(Die Lesenden erfahren, wenn ich es richtig verstanden habe, die Motive ja über die eingestreuten Teile, die aus der Sicht des Antagonisten geschrieben sind. Sie kennen sie also und verstehen so die grösseren Zusammenhänge.)

Mindi

Erst einmal eine grundsätzliche Frage: Was ist die Zielgruppe?

Vom Alter der Geschwister klingt es wie Grundschule, Erstlesen oder Vorlesen/Gemeinsam lesen, vielleicht ab 8, aber eigentlich eher jünger, da die Heldin ja 8 ist. Die Menge der Handlung klingt eher wie 8+ oder 10+ (dann sollten die Kinder sicher älter sein).

Ich denke es wäre passend, wenn die Kinder sich zumindest irgendetwas zusammenreimen, was der Antagonist vorhat, auch wenn vielleicht nicht alle daran glauben oder es nicht stimmt. Es könnte ja auch irgendein ... Lied über den Dämon existieren und erst am Ende verstehen sie es so, wie es gemeint ist und erkennen dadurch die erhöhte Dringlichkeit, den Bruder zu finden, bevor es zu spät ist. Sie will ja trotz Streit nicht, dass ihr Bruder das nächste Gefäß für den Dämon wird. Das setzt die Gefahr noch mal auf ein anderes Level.

Ich finde es nicht schlimm, wenn sie die meiste Zeit nicht wissen, was ihr Gegenspieler plant. Durch die Abschnitte aus dessen POV wissen es die Lesenden ja und "feuern" die Heldengruppe an. Aber zumindest bis zum Finale kann ich mir von dem, was ich weiß, schon vorstellen, dass das Wissen die Stakes nochmal ordentlich in die Höhe schieben würde, was ohne das Wissen nicht so wäre. (Das wäre eher ein "Boh, jetzt muss ich die Nervensäge schon wieder suchen und jetzt lässt der sich auch noch irgendwelchen Müll einreden" statt einem "Ja, er ist eine Nervensäge, aber ich muss mich beeilen, weil er so ein Schicksal nicht verdient hat").
"When we are asleep in this world, we are awake in another." - Salvador Dalí

Marrin

Danke euch für eure Rückmeldungen!

Zitat von: Madrisa am 27. Februar 2023, 21:12:04Muss die Protagonistin denn die Motive des Dämons kennen? Oder könnte es nicht genau den Reiz der Geschichte ausmachen, dass sie sie nicht kennt?

(Die Lesenden erfahren, wenn ich es richtig verstanden habe, die Motive ja über die eingestreuten Teile, die aus der Sicht des Antagonisten geschrieben sind. Sie kennen sie also und verstehen so die grösseren Zusammenhänge.)
Das war auch mein ursprünglicher Gedanke dabei. Und an sich finde ich es so auch eigentlich ganz interessant. Aber ich würde ganz gerne mal mit Geschichten vergleichen, wo das ähnlich angelegt ist, um so vergleichen zu können, wie mir das bei anderen gefällt. Deshalb meine ursprüngliche Frage, ob ihr sowas schonmal gelesen habt.

@Mindi Tja, Zielgruppe ... Das ist eine gute Frage. Ursprünglich hatte ich beim Schreiben keine Zielgruppe vor Augen, sondern wollte etwas schreiben, was mir selbst gefällt. Am ehesten könnte ich hier "Eltern, die lustige Fantasy mögen" sagen (ja, die Fantasy ist auch noch als "lustig" angelegt; das fand ich bisher hier für die ursprüngliche Frage aber noch nicht so wichtig, weshalb ich es nicht auch noch angemerkt habe). Ich bin mir bewusst, wie speziell diese Zielgruppe ist, aber das für andere Zielgruppen jetzt nochmal tiefgreifend anzupassen, würde von meiner eigentlichen Idee nichts mehr übrig lassen. Trotzdem habe ich auch diese Frage noch immer im Hinterkopf.

Die Idee mit dem Reim oder Lied finde ich interessant, Danke für die Anregung!  :) Das gäbe mir die tatsächlich Möglichkeit, die Handlung noch dichter zu machen und in sich zu verknüpfen. Werde ich mal schauen, ob und wie ich das einbauen kann.

Gerrit

Hallo Marrin.

Grundsätzlich finde ich es nicht schlimm, wenn die Gefährten nicht wirklich über den Antagonisten informiert sind. Allerdings kann natürlich jede Enthüllung zusätzliches Momentum für die Geschichte bedeuten. Angenommen die Schwester hätte wirklich genug davon ihrem Bruder immer wieder aus den selbstverursachten Problemen herauszuhelfen. Als er also wieder verschwindet, entscheidet sie oder auch die ganz Gruppe, ihn diesmal nicht zu suchen. Vielleicht gehen sie ja auch davon aus, dass er schon alleine zurückkommen wird, wenn er erstmal Zeit hatte nachzudenken. (Warum ist der Bruder eigentlich überhaupt zum Gefängnis des Dämons gegangen? Hatte er etwa herausgefunden, dass dieser hinter den ganzen Hindernissen steckte?) Jedenfalls, wenn sie dann erkennen, in welcher Gefahr der Bruder wirklich schwebt, bringt das natürlich eine ganze neue Dimension von Motivation mit sich und damit neuen Schwung in die Geschichte.

Jetzt mal dazu wie sie etwas über den Antagonisten erfahren könnten.
Zitat...
Er kann sein Gefängnis nicht verlassen, aber Schergen und Verbündete in Anspruch nehmen, um sie der Gruppe auf den Hals zu schicken. Außerdem hat er die Möglichkeit aus der Ferne die Gruppe zu beobachten.
...
Was ist mit den Schergen und Verbündeten des Dämons? Wenn sie einen von denen besiegen, gefangen nehmen und befragen – könnte derjenige ihnen vielleicht von seinem Herrn/Verbündeten erzählen?
Hat jemand in der Gruppe vielleicht die Möglichkeit die Fernwahrnehmung des Dämons seinerseits zu bemerken? Oder treffen sie vielleicht auf ihren Reisen eine Seherin, die diese Fähigkeit besitzt und sie deshalb darauf hinweisen kann? Vielleicht ist der Hinweis der Seherin auch nicht so ganz eindeutig verständlich, wo wir wieder bei dem Lied aus Mindis Idee wären. Der typische unklare Seherinnenspruch, welcher sich dann aber mit dem Finden von verschiedenen Hinweisen doch noch entschlüsseln lässt. Und zwar zu dem Zeitpunkt, zu dem es Dir am besten in den Spannungsbogen passt.

Liebe Grüße
Gerrit