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Kulturelle Aneignung in Romanen

Begonnen von Nightingale, 02. Juli 2013, 21:48:54

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Cairiel

Danke für die Info, Yamuri! Ich kenne Charlotte auch persönlich und durfte bereits einige sehr anregende Unterhaltungen mit ihr führen, deswegen kann ich guten Gewissens sagen, dass sie eine der letzten Menschen wäre, denen ich keine/wenig Feinfühligkeit im Umgang mit fremden Kulturen unterstellen würde. Eine transparentere Kommunikation nach außen hätte der Diskussion hier vermutlich vorgebeugt, allerdings stimme ich dir auch zu, dass wir ohne ausreichend Hintergrundwissen nicht sofort verurteilen dürfen.

@Mondfräulein, was du ansprichst habe ich so auch schon oft mitbekommen. Das macht die Sache nicht einfacher.
Ein Beispiel aus meinem Umfeld ist eine sehr enge Freundin von mir, die schwarz ist. Deutsche mit afroamerikanischen Wurzeln und US-amerikanischem Pass. Sie hasst die Bezeichnung person/people of color. Das bringt mich in die Bredouille, weil ich gelernt habe, dass das die respektvollste Bezeichnung für POC ist, aber der schwarze Mensch (bewusst gewählt augrund ihrer Präferenz), mit dem ich am engsten befreundet bin, will weder so bezeichnet werden, noch den Begriff überhaupt in ihrer Gegenwart hören und findet ihn schrecklich. Aber das führt zu weit vom eigentlichen Thema weg. Mein Fazit bleibt das gleiche wie am Anfang: Es ist kompliziert. Das beste, was man imA tun kann, ist, mit dem Thema mit viel Feingefühl, Empathie und der nötigen Portion Demut umzugehen.

Mondfräulein

Zitat von: Cairiel am 10. Mai 2022, 10:24:07
Ich kenne Charlotte auch persönlich und durfte bereits einige sehr anregende Unterhaltungen mit ihr führen, deswegen kann ich guten Gewissens sagen, dass sie eine der letzten Menschen wäre, denen ich keine/wenig Feinfühligkeit im Umgang mit fremden Kulturen unterstellen würde.

Das ist absolut kein Angriff auf dich oder Charlotte, also versteh mich bitte nicht falsch, aber ich glaube, hier steckt vielleicht der Schlüssel zu einem größeren Problem, das wir in diesen Debatten immer wieder haben. In unseren Köpfen verstehen wir schon, dass rassistisches Verhalten nicht gut ist, allerdings kommen wir dabei zum Fehlschluss, dass man ein schlechter Mensch sein muss, um sich rassistisch zu verhalten. Rassismus und kulturelle Aneignung verletzen Menschen und jemand, der Menschen verletzt, kann kein guter Mensch sein.

In Wirklichkeit kann jemand ein richtig toller und wahnsinnig netter Mensch sein, der Rassismus scheiße findet und an anderer Stelle sogar bekämpft, und trotzdem rassistisch handeln. Das Bewusstsein dafür, was nicht-weiße Menschen verletzt, müssen wir erlernen und dabei vieles ablegen, was uns von klein auf beigebracht wurde. Wenn wir als Kinder rassistische Lieder singen, weil sie eben in unseren Liederbüchern stehen, oder rassistische Begriffe benutzen, weil sie in unseren Kinderbüchern stehen, woher sollen wir wissen, dass das nicht in Ordnung ist? Viele Äußerungen und Handlungen sind rassistisch und verletzen, aber sie geschehen nicht aus bösem Willen oder weil jemand rassistisch sein will, sondern weil er*sie es nicht besser weiß, weil das Bewusstsein fehlt, weil es ihm*ihr jahrezehntelang anders beigebracht wurde. Gute Menschen können rassistisch sein. Dass sie sonst großartige Menschen sind, macht es nicht besser, aber sie sind deshalb auch nicht auf einmal böse, schlechte Menschen voller hässlicher Absichten.

Dadurch, dass wir im Kern schon verstanden haben, dass rassistisches Handeln nicht gut ist, haben wir in unseren Köpfen diese Verknüpfung erstellt: Rassistisches Handeln =  Rassist = Schlechter Mensch. Dadurch fällt es uns schwer zuzugeben, dass jemand rassistisch gehandelt hat, ohne unsere gesamte Bewertung über diese Person zu verändern. Wenn das jemanden trifft, den wir lange kenne und sehr schätzen, dann ist das natürlich genauso schwer und unangenehm wie wenn es uns selbst trifft, weil wir uns rassistisch verhalten haben. Besonders in linken Kreisen, die gegen Rassismus sind und sich dem Kampf gegen Rassismus verschrieben haben, fällt es Personen häufig sehr schwer anzuerkennen, wenn jemand den sie kennen oder gar sie selbst sich rassistisch verhalten haben. Wenn ich mich selbst als gute und antirassistische Person wahrnehme, fällt es mir besonders schwer zuzugeben, dass ich mich rassistisch verhalten habe.

Das endet häufig darin, dass das Verhalten heruntergespielt wird, dass Verletzungen nicht anerkannt werden, dass rassistisches Verhalten gerechtfertigt wird, weil man diese kognitive Dissonanz anders nicht lösen kann. Und das ist ein großes Problem, denn das Verhalten ist ja trotzdem rassistisch und verletzt, auch wenn die handelnde Person darüber hinaus ein wirklich toller und lieber Mensch ist. Es ist ein Problem, weil es uns davon abhält, aus Fehlern zu lernen und solche Verhaltensweisen nach und nach abzubauen. Wenn ich nicht zugeben kann, dass ich mich rassistisch verhalten habe, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ich mein Verhalten in Zukunft ändere.

Was ich sagen möchte: Irgendwie müssen wir einen Weg finden, diese Dissonanz anders zu lösen. Kritik an einem Verhalten oder einer Äußerung sind keine Kritik am Kern einer Person an sich. Eine Person kann ein toller Mensch sein und sich gleichzeitig rassistisch verhalten. Aber was wenn sich eine Person, die an sich ein toller Mensch ist, der gegen Rassismus ist, sich trotzdem rassistisch verhält? Wie können wir das Verhalten kritisieren, ohne diese Gegenwehr auszulösen? Und da ist das Problem, dass die Kritik an sich schon einen Vorwurf enthält, egal wie nett sie formuliert ist, den manche so ungeheuerlich finden, dass sie ihn einfach nicht annehmen können, ohne ihr ganzes Selbstbild über den Haufen zu werfen, egal wie nett und verständnisvoll sie formuliert ist. Es sachlich und nett zu formulieren bringt einen hier nicht immer weiter, denn selbst auf die netteste Kritik folgen häufig Angriff und Gegenwehr. Da muss die Arbeit in unseren eigenen Köpfen anfangen. Wir müssen lernen, mit so einer Kritik umzugehen, sie auszuhalten und daraus zu lernen, ohne sie wütend von uns zu schmettern, denn das macht am Ende gar nichts besser. Egal ob es um uns selbst geht oder um Menschen, die uns nahestehen.

Es geht mir hier eigentlich auch gar nicht um Charlotte oder diese Ausschreibung, sondern darum, dass ich dieses Verhalten öfter beobachte. Ich glaube euch, dass Charlotte ein super Mensch ist. Aber selbst wenn jemand sich entschieden gegen Rassismus positioniert, schützt ihn*sie das nicht davor, sich selbst rassistisch zu verhalten. Selbst wenn jemand zum Beispiel gut über Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen aufgeklärt ist, schützt ihn*sie das nicht davor, an anderer Stelle Rassismus gegenüber Menschen mit türkischen Wurzeln zu reproduzieren.

Aber es geht bei solcher Kritik letztendlich auch nicht darum, Menschen in ihrem Kern zu verurteilen oder sich darüber zu ereifern, was für schlechte Menschen sie sind. Es geht darum, dass sich nichts ändern wird, wenn so ein Verhalten nicht angesprochen wird. Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welches Verhalten verletzend ist und was wir tun können, um uns in Zukunft besser zu verhalten. Um daraus zu lernen, nicht um über jemanden zu urteilen. Antirassismus funktioniert nur als Work in Progress, denn das allerwichtigste ist die Bereitschaft zu lernen, sich immer wieder selbst zu hinterfragen und zuzuhören. Auch wenn das heißt, dass wir manchmal erkennen müssen, dass wir uns selbst nicht gut verhalten haben, oder dass Menschen, die wir sehr schätzen, Fehler gemacht haben.

Anj

Also das hier find ich echt ironisch:
Zitat von: MondfräuleinDas ist absolut kein Angriff auf dich oder Charlotte, also versteh mich bitte nicht falsch,
Wenn du verlangst, dass Andere sich nur ja so ausdrücken, dass sie niemandem auf die Füße steigen, dann reicht es doch wohl auch bei dir nicht zu sagen "versteh mich nicht falsch", damit deine Worte nicht als Angriff verstanden werden.
Ich meine, du setzt dich doch so sehr dafür ein, dass die Empfänger*innen von Botschaften diejenigen sind, die definieren wie etwas gemeint ist und was es bedeutet, dass ich es echt sehr ironisch finde, dass du für deine eigenen Worte von Anderen verlangst, dass sie dich aber bitte so zu verstehen haben, wie du das willst und - um in dem von dir und Anderen so oft verwendeten Bild zu bleiben - bitte einfach zu ignorieren, dass du ihnen gerade vielleicht auf die Füße trittst.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Mondfräulein

Wenn ich mit diesem Beitrag jemandem auf die Füße getreten bin, dann tut mir das Leid und ich würde mich über einen Hinweis freuen, damit ich meine Formulierungen in Zukunft besser wählen kann. Natürlich spricht es mich nicht davon frei, meine Worte sorgfältig zu wählen, wenn ich so eine Formulierung voranstelle. Dennoch wollte ich das dazusagen, um meine Absicht hoffentlich etwas klarer zu machen.

Dein Vergleich hinkt aber trotzdem. Wenn ich davon spreche, dass man die Deutungshoheit über Rassismus und ähnliche Themen den Betroffenen überlassen sollte, dann weil da auch Machtverhältnisse eine Rolle spielen, die in unserer Gesellschaft ungleich verteilt sind.