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Ein (Fantasy-)Theaterstück schreiben

Begonnen von Hanni, 26. März 2018, 21:06:53

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Hanni

Ich hätte Lust und Ideen, um mich an ein Theaterstück zu setzen. Einfach auch, um mal was ganz anderes auszuprobieren. Okay, ist jetzt nicht gerade üblich für das Fantasy-Genre, aber andererseits auch nicht völlig abwegig (ich meine, man kann auch ein paar Shakespeare-Stücke durchaus fantastisch nennen). Ich wollte mal in die Runde fragen, ob hier schon jemand Erfahrung mit dieser Gattung gemacht hat und vielleicht Tipps geben kann. Wie schätzt man zum Beispiel ein, wie lang das Stück etwa wird? Selbst wenn man es laut vorliest, fehlen ja immer noch die gespielten Stellen. Was muss/kann/darf alles in die Regieanweisung?
Und ganz generell: Glaubt ihr, Fantasy auf der Bühne funktioniert heute? Ich hab den Eindruck, das moderne Theater konzentriert sich eher auf realistische Settings. Was meint ihr?

Araluen

Also Harry Potter and the cursed child hat, denke ich, gut bewiesen, dass auch Magie auf der Bühne funktioniert (hab das Stück zwar nicht gesehen, aber was dann doch so durchsickert, lässt erahnen, dass es wirklich gut gemacht sein soll).
Was ich tatsächlich schon gehört habe, sind Hörspiele im phantastischem Setting und das ging sehr gut für meine Ohren. Man muss natürlich damit leben, dass das Worldbuilding auf die wesentliche Essenz eingedampft wird. Anders ist es vom Umfang her gar nicht machbar. Nun sind Hörspiele keine Theaterstücke, gehen aber immerhin in eine ähnliche Richtung.
Was Umfang und Form (zum Beispiel Art der Regieanweisung) angeht, kann ich nur den Rat geben, eben Theaterstücke analytisch auf genau diese Punkte zu lesen, moderne, klassische und antike gleichermaßen und eben auch Drama und Kommödie. Das Ganze folgt ja recht geregelten Bahnen, die noch etwas enger gesteckt sein dürften, als beim Schreiben eines Romans. Ich erinnere mich, dass es zumindest bei Shakespeare, Sartre, Göthe und Dürrematt recht sparsam mit Regieanweisungen zuging.
Ich würde vermuten, dass man dem laut vorgelesenem Stück noch etwa zehn bis zwanzig Prozent an Zeit draufschlagen kann für reine Darstellung, um die Länge des Stückes grob zu erfassen. Das ist aber jetzt reines Bauchgefühl von mir.

Churke

Bei Drehbüchern steht 1 normformatierte Seite für 1 Filmminute. Das zeitgenössische doitsche Staatstheater ist ein Zuschussbetrieb für Selbstverwirklicher. Kommerziell aufgestellt ist das komödienlastige Boulevardtheater.
Dritter Bereich ist das Kinder- und Jugendtheater. Wenn ein Stück nicht funktioniert, bleiben hier die Zuschauer weg. Wenn Fantasy, würde ich es hier versuchen.

Ein gutes Theaterstück braucht neben dem Stoff eine handwerklich saubere und bühnentaugliche Dramaturgie.

Aphelion

Ich habe kein Theaterstück fertiggeschrieben, insofern weiß ich nicht, ob meine Erfahrung und Meinung über das Praktische viel zählt.

Mein erster Versuch (als Jugendliche) scheiterte vor allem daran, dass ich mich mit Theater zu wenig auskannte. In letzter Zeit habe ich viele Theaterstücke gelesen und mich mit dem Theater allgemein beschäftigt und es juckt mich jetzt auch wieder in den Fingern. Beim Lesen habe ich auch ein gutes Gefühl für die Länge bekommen, denke ich.

Für ein Beispiel habe ich mal nachgeschaut: Bei 36 Zeilen mit ±60 Zeichen haben die Stücke von Peter Shaffer so um die 80 bis 110 Seiten. Shaffers Regieanweisungen sind relativ genau, beim Bühnenbild beschreibt er oft "nur" das Bühnenbild einer bestimmten Inszenierung, die er für besonders gelungen hielt.

Manche Dramatiker geben nur sehr vage Regieanweisungen; es ist anscheinend eine Frage des Stils. Harry Potter ist kein gutes Beispiel, weil sich alles Neue aus dem HP-Universum gut vermarkten lässt. Hinzu kommt: Deutschland und England sind in dieser Hinsicht schwer miteinander zu vergleichen.

Grundsätzlich denke ich, dass Fantasy im Theater möglich ist - auch jenseits von Harry Potter. Aaaber: Theater hat ein anderes Publikum als Film und Literatur. Theater hat nur eine geringe Schnittmenge mit dem, was allgemeinhin als reine Unterhaltungsliteratur bezeichnet wird - und dazu gehört nun einmal auch die meiste Fantasy.

Selbst Komödien sind im Theater... Anders. Anders als Genreliteratur und Blockbuster. Theater würde ich noch am ehesten zwischen Kunstfilmen und "gehobene Literatur" stellen. Deshalb schreibt auch eher jemand wie Sybille Berg sowohl Theaterstücke als auch Romane, und nicht Wolfgang Hohlbein. Wenn du dir ansiehst, wer was (auch) macht und dafür geschätzt wird, zeigt sich ein deutliches Muster.

"geschätzt" kann natürlich alles und jeder von irgendwem werden. Hier muss ich aber ganz klar festhalten, dass in "hochkulturellen Kreisen" (;)) nicht jede Meinung als gleichwertig betrachtet wird. Was der schnöde Pöbel massenweise konsumiert, interessiert das missverstandene Genie des fürnehmen Herrn nicht.  :d'oh: ;) Wobei ich anmerken muss, dass ich diese Ansicht ambivalent bewerte und in dieser Form nicht teile. Diese Perspektive ist aber in Theaterkreisen weit verbreitet. Es gibt eine Art der versnobbten Weltoffenheit, die bei Theatermenschen in leitender Position durchaus öfter vorkommt. [OT]Andererseits: Bei der Mathematik ist es seltsamerweise weniger umstritten, dass manche Menschen begabter sind als andere, und es führt bei den Talentierten gefühlt seltener zu Snobismus. Komisch. Vielleicht, weil Sprache und erfundene Geschichten als persönlicher empfunden werden und jedes Urteil über das sprachliche und schriftstellerische Niveau sich deshalb als persönlicher Angriff anfühlen kann – und, zumindest manchmal, von der anderen Seite auch so gemeint sein kann.[/OT]

Es gibt Fantasy im Theater, so ist es nicht. Wenn ein Stück publikumstauglich sein soll – und damit meine ich das "typische Theaterpublikum" in Deutschland –, dann kommt es jedoch anscheinend stark auf die Umsetzung an. Vor allem, weil auch Regisseure und andere Entscheider auf einen bestimmten Stil geprägt sind. Und der hat nicht nur etwas mit Niveau zu tun, sondern auch mit dem Zeitgeist.

Prinzipiell könnte man natürlich versuchen, mehr Blockbuster-Fans und Netflix-Junkies für das Theater zu interessieren, aber daran sind schon viele gescheitert. Harry Potter schauen sich Fans vielleicht noch an, aber gibt es seitdem lange Schlangen vor allen Theatern, weil die Infizierten zu den Bühnen strömen? Werden nun überall ganz andere Theaterstücke aufgeführt, sozusagen modern-moderne Stücke, die eben nicht das "typische Theaterpublikum" bedienen, sondern den "Mainstream"? ... Eben.

Nachtrag: Kinder- und Jugendtheater lebt auch vom Zwangspublikum, kommt aber auf den Kontext an. Da entscheiden z.B. auch mal Eltern oder Schulleiter, dass die Kinderchen sich das jetzt gefälligst angucken. Oder ein Kulturverein stellt gut gemeint in Zusammenarbeit mit der Schule etwas auf die Beine, um den Kindern einen Zugang zur Kultur zu ermöglichen – völlig unabhängig davon, ob die Kinderchen wollen oder nicht. Hart verdientes Geld für diejenigen, die vor so einem Publikum auftreten müssen, aber es ist Geld und damit lässt sich wieder ein Bedarf nachweisen, um z.B. Fördergelder zu beantragen.

Churke

Zitat von: Aphelion am 27. März 2018, 10:49:42
Nachtrag: Kinder- und Jugendtheater lebt auch vom Zwangspublikum, kommt aber auf den Kontext an. Da entscheiden z.B. auch mal Eltern oder Schulleiter, dass die Kinderchen sich das jetzt gefälligst angucken. Oder ein Kulturverein stellt gut gemeint in Zusammenarbeit mit der Schule etwas auf die Beine, um den Kindern einen Zugang zur Kultur zu ermöglichen – völlig unabhängig davon, ob die Kinderchen wollen oder nicht.

Das kann ich so nicht bestätigen. Es stimmt natürlich, dass da in erster Linie Eltern und Schulen entscheiden, und und in welches Theater gegangen wird. Aber: Kinder und Jugendliche sind keine schöngeistigen Abo-Kunden. Wenn man denen schlechtes Theater bietet, werden die unruhig. Die Theatermacher wissen das und strengen sich entsprechend an. Im Jugendtheater baut man die Stücke auch noch konservativ nach den althergebrachten Theorien des Dramas auf, weil die eben funktionieren.
Meine Mutter ist seit 40 Jahren Theaterkritikerin.

Linda

Hörspiele gehen ja schon ein wenig in die Richtung, und da stimmt die 1 Normseite/1Minute-Regel. Versuch erst mal einen Sketch, dann mal eine Stunde. Auch hier gilt üben üben üben.
Ich würde mir ein Drehbuch-Lehrbuch besorgen (falls es keines für Theaterscripte gibt), da findest du dann auch alle Formalia. Ich bin ja kein Theoriefreund, aber ein wenig Hintergrund würde ich mir schon anlesen. Die 3-Akte bzw 5-Akte Struktur sind auch nützlich fürs Romaneschreiben. Und Kamera-Besonderheiten wie "Close-up" kannst du ja einfach weglassen.
Es gibt im Netz auch Drehbücher bekannter Filme: zB Star Wars IV, da kann man auch einen Eindruck bekommen.
Und ansonsten den guten alten Reclam-Verlag frequentieren mit klassischen Theaterstücken.
Zu genaue Regieanweisungen sind oft auch typische Anfängerfehler bzw bei Schauspielern unbeliebt. Wie genau ein Schauspieler etwas macht, da würde ich ihm vertrauen und die Feinheiten (wie ganz genau was) paukt dann schon der Regisseur mit seinen Vorstellungen durch.

Monkey Mind

Als ehemalige Dramaturgin lehn ich mich mal ein bisschen aus dem Fenster sage: Das ist ein ziemlich komplexes Thema.

Ich versuche mal die Kernfragen einzukreisen.

1. Was für ein Stück soll es sein?
Soll es reines "Unterhaltungstheater" sein? Kunst um der Kunst willen? Etwas pädagogisch wertvolles? Etwas, dass das Publikum zum nachdenken bringt?

2. Wie möchtest Du es inszeniert sehen?
Klassisches Sprechtheater? Als Grundlage für ein Musical oder gar eine Oper? Oder vielleicht ein Puppenspiel?

3. Wie aufwendig wäre die Umsetzung der fantastischen Elemente?
Je nach Budget kann das nämlich sehr schnell den feinen Unterschied zwischen "überwältigend" und "lächerlich" ausmachen...

Wenn Du Antworten auf die drei Fragen hast, dann lässt sich am ehesten sagen, ob und wo ein solches Stück funktionieren könnte.
Churke schrieb ja bereits von einigen unterschiedlichen Theaterformen, ob Fantasy sich aber wirklich nur für Kinder- und Jugendtheater eignet, hängt sehr stark von den Inhalten und Zielen ab.

In die Regieanweisungen kommt idealerweise nur, was für die Handlung elementar wichtig ist und sich nicht aus dem Text ergibt.
(Also zum Beispiel wenn Dein Charakter eine Leiche verstecken muss, bevor die nächste Figur die Bühne betritt  ;) )
Der Regisseur macht sowieso, was er will.
Dementsprechend sind die Hinweise zur Länge auch nur ein grober Richtwert, aber gerade die alten Reclam-Heftchen geben einen guten Anhaltspunkt für spielbare Längen im Sprechtheater. Soll es evtl. als Musiktheater umgesetzt werden (Musicals verkaufen sich super und haben meist etwas mehr Budget in Sachen Bühnenbild und Technik, auch wenn das vor der Stage-Ära noch um einiges besser war), kann das Libretto (Textbuch) durchaus kürzer sein, weil es durch Musik und Songs bzw. Arien deutlich länger wird.




Araluen

ZitatHarry Potter ist kein gutes Beispiel, weil sich alles Neue aus dem HP-Universum gut vermarkten lässt.
Mir ging es nicht um den Erfolg des Theaterstücks, der großteils natürlichauf den Hype zurückzuführen ist. Ich wollte lediglich darauf hinaus, dass effektvolles Theater auch in Sachen Magie sehr gut möglich ist, ohne lächerlich zu sein. Die Zauber sollen im Stück gut umgesetzt worden sein, soweit ich gehört habe. Auch im Musicalbereich findet man viele gute Umsetzungen für phantastische Elemente und auf jeden Fall auch mindestens ein Musical, das wirklich in einer Fantasywelt angesiedelt ist... ich komm nur gerade absolut nicht auf den Namen... die Musik war schön...
Damit halte ich ein Fantasy-Theaterstück durchaus für aufführbar. Aber die aufgeworfene Frage bleibt natürlich bestehen, für welches Publikum und in welcher Form.

Linda

Als Beispiel für ein deutschsprachiges Fantasy-Theaterstück empfehle ich auch "Das Gauklermärchen" von Michael Ende. Gibt es auf jeden Fall noch antiquarisch - ich habe das mit großem Vergnügen in den 80ern in einer Schulaufführung gesehen.
Das Zeitkolorit (hier Seveso-Unfall) ist auch auf andere Umwelt-Katastrophen übertragbar.

Sonnenblumenfee

#9
Zitat von: Araluen am 27. März 2018, 15:31:22
Auch im Musicalbereich findet man viele gute Umsetzungen für phantastische Elemente und auf jeden Fall auch mindestens ein Musical, das wirklich in einer Fantasywelt angesiedelt ist... ich komm nur gerade absolut nicht auf den Namen... die Musik war schön...
Ich komme zwar gerade nicht dazu, den Thread richtig zu lesen aber Araluen, meinst du vielleicht Wicked?

Ansonsten ist zB Tanz der Vampire ja auch Fantasy und da wurden einige "Magie"-Elemente auch richtig gut umgesetzt, fand ich. Zum Beispiel die Tatsache, dass man einen der Vampire in einer Szene im Spiegel nicht sehen kann, seinen Tanzpartner aber sehr wohl.
"Discipline is my freedom" - Gretchen Rubin

Araluen

Ne Wicked wars nicht, aber auch ein sehr gutes Beispiel. Das war mehr ein "Indie" Musical.  Wenn ich drauf komme, geb ich Laut.