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Unterschiede zwischen Kurzgeschichten und Romanen

Begonnen von HauntingWitch, 16. November 2013, 15:48:12

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Judith

Ich finde Kurzgeschichten extrem schwer zu schreiben und habe das Gefühl, dass ich auch nie Ideen habe, die "kompakt" genug dafür sind. Darüber hinaus habe ich auch einfach Probleme damit, eine Handlung so kurz und prägnant auf den Punkt zu bringen.  :-[

Das andere sind die Figuren - meine Romane sind in erster Linie "character driven" und leben sehr stark von der Entwicklung der Figuren und ihrer Beziehungen zueinander. In einer Kurzgeschichte habe ich dafür nicht genug Platz. Zwar würde ich nicht sagen, dass Figuren in einer Kurzgeschichte keine Entwicklung durchmachen, aber es ist nicht die Art von Entwicklung, die mich beim Schreiben fesselt. Ich folge Figuren gern über einen längeren Zeitraum, möchte miterleben, wie sie sich in dieser Zeit verändern und wie sich ihre Beziehungen zu anderen verändern. Dafür braucht man immer eine gewisse Zeit, während Kurzgeschichten ja eher Momentaufnahmen sind. Selbst wenn es ein die Figur veränderndes Ereignis gibt, ist das eben doch eine punktuelle Veränderung und nicht eine langsame Entwicklung.

Linda

Ich schreibe beides und bilde mir ein, auch ganz passabel.

Das ist mein Rezept...
Kleine Idee mit einer Hauptfigur, einem Antagonist bzw einem Konflikt und einer Entwicklung/Entscheidung an einem begrenzten Schauplatz: Kurzgeschichte

Große Idee mit Hauptfigur und ihrer persönlicher Entwicklung, ausgearbeitetem Gegenspieler und seinen Motiven, entsprechenden Nebenfiguren und Handlungssträngen und verschiedenen Orte: Roman

Das Thema kann in beiden Fällen sogar das gleiche sein. Für mich ist eine Kurzgeschichte quasi ein Romanfinale in kurz.  ;D Wobei sich hier der Roman davor in der Gedankenwelt des Lesers abspielt (im Idealfalle).

Pandorah

Ich finde eindeutig Kurzgeschichten schwieriger. Ich habe bisher nicht mal eine Handvoll geschrieben. Meist werde ich zu ausschweifend, schon allein, was die Gedankenwelt und die Beschreibungen betrifft, ganz zu schweigen davon, dass mir dann immer mehr Ideen kommen. Christophers Auflistung, was ihm dazwischen kommt, kann ich so nur unterschreiben. Die große Schwester der Kurzgeschichte - ich glaube, die nennt sich Novelle, also noch kein Roman - die fällt mir schon wieder bedeutend leichter. Da habe ich Zeit, auch kürzere Ideen in ein schillerndes Gewand mit Schleier, Verzierungen, Schnallen und Rüschen zu verpacken. Ich bin einfach nicht der klare, schnörkellose Typ.

Aber ich glaube ganz und gar nicht, dass man das an zu wenig Vorstellungskraft festmachen kann. Es ist einfach eine andere Art zu schreiben, und ich habe viel Respekt vor Schreibern, die es schaffen, ihre Idee so pointiert auf den Punkt zu bringen. Da zählt jeder einzelne Satz und jedes Wort, noch viel mehr als bei einem Gebilde von 300 Seiten und mehr.

Arcor

Zitat von: KaPunkt am 16. November 2013, 22:43:00
Ich denke, aus einer KG-Idee kann man keinen Roman machen und aus einer Roman-Idee eine KG zu basteln, kann nur scheitern.
Die Kunst besteht darin, zu erkennen, für was sich eine Idee eignet.
Da erhebe ich Einspruch - zumindest bei ersterem.
Ich glaube auch, dass es kaum möglich ist, eine umfassende Roman-Idee auf eine KG herunterzubrechen. Das geht eigentlich nur, wenn man einzelne Szenen nimmt und es schafft, sie unabhängig von einer größeren Hintergrundgeschichte zu präsentieren.

Andersherum sieht die Sache für mich anders aus. Mein letztjähriger NaNo-Roman basiert auf einer Kurzgeschichte, die veröffentlicht wurde, und die Resonanzen waren bisher positiv. Ob er dann letztlich veröffentlicht werden wird, muss sich noch herausstellen, aber ich will es auf jeden Fall versuchen. In dem Fall habe ich beim Schreiben der KG einfach gemerkt, dass die Figuren sich unglaublich gut dafür eignen, um mit ihnen eine längere Geschichte zu erzählen. Die Geschehnisse der KG bieten dafür die Ausgangslage. Und ich muss sagen, mir gefällt der Roman inzwischen deutlich besser als die KG. :)
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

KaPunkt

Ja, aber das ist etwas anderes.
Dann ist die KG der Ausgangspunkt, der Anfang der weiteres Geschichte. Oder das Ende. Natürlich geht das.
Aber eine KG, die auf zehn Seiten super erzählt wäre, zu einem zwei hundert Seiten Roman 'aufzublasen' das funktioniert nicht.

Also:
KG als Kern, aus dem ein Roman wächst - ja.
KG stopfen (mit mehr Beschreibungen, längeren Dialogen etc) bis sie auf Romanlänge angeschwollen ist - nein.

Liebe Grüße,
KaPunkt

She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Arcor

@KaPunkt: Ah ok, dann hatte ich dich falsch verstanden. Mit der Unterscheidung, die du jetzt aufmachst, bin ich wiederum vollkommen d'accord.  ;D Die Handlung aufblähen kann nur im Desaster enden.
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Faye - Finding Paradise

HauntingWitch

Danke für die vielen spanennden Antworten.  :)

@Erdbeere: Da hast du natürlich recht, ich vergesse es nur immer wieder gerne.

@Christopher: Das ist genau der Punkt, warum ich frage. Alle diese Dinge, die du aufzählst, erscheinen mir weniger oder in einer anderen Form wichtig. Du sagst, du brauchst mehr Zeit, um Atmosphäre einzubauen und du magst es nicht, wenn etwas nur hinten rum passiert. Genau das sind zum Beispiel zwei Dinge, die ich ganz anders sehe. Ich denke, man kann Atmosphäre auch sehr gut zwischen den Zeilen einflechten (ich hoffe, es gelingt mir auch wirklich) und mag das, was nicht ausgesprochen wird genauso wie das andere.

@KaPunkt: Da geht es mir wie Arcor - mein aktueller Roman war zunächst auch nur eine KG, deren Idee sich weiterentwickelt hat. Aber eine Romane Idee in ein Korsett quetschen, nein, das geht gar nicht.

Aphelion

Zitat von: HauntingWitch am 17. November 2013, 17:01:36
Ich denke, man kann Atmosphäre auch sehr gut zwischen den Zeilen einflechten (ich hoffe, es gelingt mir auch wirklich) und mag das, was nicht ausgesprochen wird genauso wie das andere.
Das ist imho auch ein wichtiger Punkt beim Lesen von Kurzgeschichten: Man muss zwischen den Zeilen lesen können. Ich habe den Verdacht, dass nicht zuletzt deshalb Anthologien ein kleineres Publikum finden. Bei Romanen kann man zwar auch viel zwischen den Zeilen schreiben, aber man ist nicht so sehr darauf "angewiesen", weil die Dichte an Informationen/Andeutungen/Stimmung etc. bei Romanen nicht so hoch sein muss, wie bei Kurzgeschichten. (Nicht zu verwechseln mit Info-Dump!)

Einer der Gründe, warum eine Autorin von Kurzgeschichten den letzten Nobelpreis für Literatur bekam, war: Sie sagt mit ihren Kurzgeschichten mehr, als andere in ganzen Romanen.

Umgekehrt gibt es auch Leser, die Hemingway langweilig finden, weil da so wenig passiert.  ::) Klar: Auf der Oberfläche passiert da oft tatsächlich nicht *so* viel (wobei man sich auch darüber streiten kann).

Das ist (für mich ;)) kein besser-schlechter-Denken; Romane und Kurzgeschichten sind einfach unterschiedliche Textarten, auch wenn Kurzgeschichten oft ein bisschen auf die "kleine Schwester" des Romans reduziert werden.

Ryadne

Zitat von: KaPunkt am 16. November 2013, 22:43:00
Interessant, das KGs über 'flat characters' definiert werden (können). War so bisher nicht bewusst und für mich war immer eine der ehernen Grundregeln, dass sich die Hauptfigur verändern 'muss'. Dass Sie etwas lernen, eine neue, wichtige Erfahrung machen, eine Entscheidung treffen muss. Egal, was für eine Sorte Geschichte.

Ich glaube, es ist eine andere Art der Entwicklung, ähnlich wie von Judith beschrieben. Innerhalb einer Kurzgeschichte kann eine Figur ihre Ansicht ändern - innerhalb eines Romans ihr ganzes Wesen. Gelänge ihr das in einer Kurzgeschichte, käme es vermutlich schnell unglaubwürdig rüber.