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Verschiedene Figuren und trotzdem alles gleich?

Begonnen von Melenis, 21. März 2014, 00:00:12

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Melenis

Hallöchen liebe Tintenzirkler,

seit Tagen (oder eher schon Wochen) beschäftigt mich ein Gedanke: Sind wir, obwohl wir kreativ tätig sind, doch irgendwie ins uns gefangen und im Kopf "beschränkt"?
Angefangen hat es im Aussehensbeschreibungsthread - mein aktuelles Projekt hat drei Protagonisten, und jeder dieser Figuren hat eine eigene Perspektive - und trotzdem habe ich oft das Gefühl, wenn ich mein Geschriebenes lese, dass eine Figur der nächsten doch sehr gleicht, und ihnen das ganz Eigene fehlt, eine eigene Stimme, eigene Gedanken, eine andere Wahrnehmung der Welt. Man könnte natürlich vermuten, dass es eher daran liegt, dass sich die Figuren vielleicht zu ähnlich sind (was bei zweien sicherlich stimmt), aber ich will nicht glauben, dass es nur daran liegt. Ist es uns überhaupt möglich, komplett verschiedene Wesen zu erschaffen?
Nehmen wir zum Beispiel gerade die Aussehensbeschreibung - wie ich im Thread gelesen habe, haben wir ganz feste Methoden, diese anzugehen. Klar, jeder hat seine eigene Art, das zu tun, aber wir wiederholen uns selbst mit jeder neuen Figur, die wir schreiben, indem wir sie genau auf die gleiche Art und Weise andere Figuren (oder die Umwelt) beschreiben lassen. Aber ist das nicht die falsche Vorgehensweise? Sollten wir uns nicht auf die Figur konzentrieren, und nicht auf das, was uns persönlich am besten gefällt?
Ich möchte mich da nicht herausnehmen - ich erkenne selbst, das ich nicht besser bin. Meine Figuren denken manchmal sogar das gleiche (benutzen den gleichen Satz, oder ähnliches) und manches Mal handeln sie sogar ähnlich (obwohl vollkommen andere Persönlichkeiten  :wums:).
Das könnte man auch auf anderen Dinge ausweiten: Sexszenen oder Gewaltszenen zum Beispiel. Der eine mag es nicht, jenes oder dieses Wort zu benutzen, der andere möchte kein Blut in der Geschichte und der andere kann nicht ohne - aber sollten wir auch nicht da auf die Protagonisten eingehen, anstatt auf unser eigenes Geschmacksempfinden? Manch eine Figur kann nicht wie die andere geschrieben werden und doch merke ich selbst, wie ich in meine Muster falle und die Figur, na ja, fast vergesse. Gerade bei mehreren Perspektivträgern ist es doch unerläßlich, ihnen eine eigene Sprechstimme zu geben, so dass man die Figur auch ohne Erwähnung des Namens erkennt, oder? Ich frage mich zurzeit häufiger, ob mir das gelungen ist und bin da relativ unsicher  :hmmm:

Versteht ihr was ich meine? Wie seht ihr das? Entdeckt ihr euch selbst dabei, wie sich eure Figuren (auch in verschiedenen Projekten) gleichen, obwohl sie eigentlich verschieden sein sollten? Oder ich bin ich die einzige, die sowas macht  ;D
Ich bin sehr gespannt auf eure Antworten!

Liebes Grüßle  :winke:

Guddy

Zitat von: Melenis am 21. März 2014, 00:00:12
(...)aber wir wiederholen uns selbst mit jeder neuen Figur, die wir schreiben, indem wir sie genau auf die gleiche Art und Weise andere Figuren (oder die Umwelt) beschreiben lassen. Aber ist das nicht die falsche Vorgehensweise? Sollten wir uns nicht auf die Figur konzentrieren, und nicht auf das, was uns persönlich am besten gefällt?
Wieso "wir"? Verschiedene Figuren anders wirken und beschreiben zu lassen ist das einzige, was ich kann *g* Ernsthaft.
Und ja: ich finde wirklich, dass man sich auf die Figuren konzentrieren sollte. Der eine liebt jene Wörter(gruppen), der nächste denkt gestelzter, der übernächste....- etc.pp.

Letztlich ist natürlich alles in einer Sprache verfasst, der aktive Wortschatz ist bei jedem Autor mehr oder weniger beschränkt. Den auszuweiten (auch auf semi-Ebene) halte ich für relativ wichtig, was das angeht bin ich ja auch noch stark in der Lernphase, wie bei zu vielen anderen Dingen auch. Manchmal hilft es auch einfach, sich Bücher verschiedener Schreibstile aufzustapeln. Vor Protagonist A liest man in E.A.Poe rein, bei Protagonist B in Charlotte Roche... Mir hilft das manchmal, mich in ein anderes Sprachgefühl reinzufinden. Ähnliches gilt für auf den jeweiligen Charakter festgesetzte Musik u.ä.

Melenis

Gut, das "wir" ist schlecht gewählt, das stimmt  :pfanne: Ein großes Sorry dafür  :-X

Siara

#3
Doch, das kenne ich auch. Bei manchen Charakteren wenigstens. Es gibt bei mir zwei Typen von Figuren:

Die einen, in die ich mich von Anfang an wunderbar reinfühlen kann, die trotzdem vollkommen anders sein können als ich, und deren Denk- und Handlungsweise ich trotzdem bis ins kleinste kenne. Beispielsweise gab es in einem Projekt einen Mann, etwa 20 Jahre älter als ich, psychisch nicht vollkommen klar und dazu noch ziemlich selbstverliebt - mit seiner Person habe ich mich sofort wohl gefühlt, es war einfach natürlich, aus und über ihn zu schreiben. Wenn ich eine solche Person dann tatsächlich verstehe, kommen auch die Eigenheiten, die Wortwahl, der Fokus des Blicks, etc. von ganz allein. Das sind die guten Charaktere.

Bei anderen läuft das nicht so rund. Bei denen muss ich den Charakter "konstruieren", einfach, weil er mir nicht so recht zufliegen will. Und auch während des Schreibens habe ich das Gefühl, viel zu viel nachzudenken. Dann passiert es, dass ich zu sehr als "Ich" schreibe, weil ich einfach keinen Bezug zu den Gefühlen und Wahrnehmungen der Figur finde. Es ist also bei mir eher ein unerwünschtes Phänomen, wenn mir ein Charakter fremd bleibt. Dann absichtlich zu versuchen, auch die Erzählweise zu konstruieren, hat bisher immer im Desaster geendet. Es wirkte einfach steif, "gewollt und nicht gekonnt", unnatürlich. Deshalb versuche ich, diesen Figuren, wo immer es möglich ist, wenig Handlung und keine Rolle als personalen Erzähler zuzuschreiben. Das geht allerdings nicht immer. Und wenn es sein muss, dann ja, merke ich oft, dass diese "fremdem" Figuren sich ähneln, auch wenn ich es zu vermeiden versuche.

Den Tipp mit dem verschiedenen Lesen habe ich auch schon angewandt, und es klappt hin und wieder tatsächlich.

Ein Meister der verschiedenen Perspektiven und Erzählweisen ist, wie ich finde, Tad Williams. Nicht nur, dass alle Bücher, die ich bisher von ihm gelesen habe, jeweils in einem anderen Ton geschrieben waren, auch während "Otherland" gab es genug Perspektivträger, die jeder ihre eigene Stimme hatten. So etwas bewundere ich wirklich.

Bei mir kommt es schlicht auf die Figur an - entweder ich kann mich perfekt in sie hineinversetzen, und sei sie mir noch so unsympathisch, oder eben nicht.

Edit: Auch bei den Figuren, die "nicht so richtig wollen", achte ich noch darauf, sie möglichst glaubwürdig zu schreiben, wenn es sehr auffällig sein muss. Ein Kind denkt und spricht anders als ein Erwachsener, ein Ungebildeter anders als ein Mann mit Doktortitel. Solche extremen Unterschiede lasse ich in jedem Fall deutlich werden. (Wobei ich vorsichtig sein muss, es nicht zu übertreiben - auch da gibt es schließlich einen Grad zwischen Authentik und Albernheit). Nur bei Personen, die auf einem Stand sind, bei dem mein eigener Erzählstil im Grunde möglich wäre, werden sie sich hin und wieder zu ähnlich.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Klecks

Hm, das kenne ich jetzt überhaupt nicht. Mein Schreibstil ist da extrem flexibel und von der Figur abhängig. Manchmal habe ich eher Angst, dass niemand mich als Autorin wiedererkennen würde und bei einem nächsten Projekt enttäuscht sein könnte, weil ich immer eine andere "Stimme" habe, je nach Figur und je nach ihrem Entwicklungsstand. Bei meinem Zweitling musste ich diese Erfahrung schon machen. :hmmm:

Coppelia

Das habe ich mich bei meinen Geschichten zufälligerweise gestern auch gefragt. :hmmm:
Meine Figuren dürften schon alle recht unterschiedlich sein, aber letzten Endes stehe halt hinter allen ich als Autorin. Ich habe einen bestimmten Schreibstil. Natürlich wandele ich bestimmte Dinge wie das Vokabular, den Satzbau oder die Art der Wahrnehmung auch ab, je nach Perspektiventräger, aber einige Elemente bleiben sicher immer gleich. Beispielsweise, wenn es um die Natur geht. Ich liebe die Natur, und irgendwie lieben all meine Figuren auch die Natur oder nehmen sie wenigstens positiv wahr. ::) Und ich vermute auch, dass meine etwas längeren Sätze zwar kürzer werden, wenn eine weniger gebildete Figur Perspektive hat, aber so kurz, wie sie sein könnten, werden sie dann auch nicht.
Ich weiß es nicht - genügt das, was ich mache? Ist es andererseits vielleicht sogar gut, dass man meinen Stil - nehme ich zumindest an - wieder erkennen kann? Wollen die Leser das vielleicht?
Andererseits hatte ich letztens auch den Eindruck, dass die Erzählstimme einer Figur für meinen persönlichen Stil gehalten wurde. Der Mann hatte einen Hang dazu, Dinge auf sehr poetische Weise wahrzunehmen. :hmmm:

Cailyn

Worin äusserst sich denn die Ähnlichkeit, wenn du über deine Figuren schreibst, Melenis? Du hast von Aussehen gesprochen. Aber wie denn sonst noch?
Ich weiss nicht, ob du eher davon redest, ob die Figuren grundsätzlich ähnlich erdacht wurden oder ob man sie in ihrer Andersartigkeit nicht gut darzustellen vermag.

Ich kenne dieses Problem eher weniger, und ich hoffe, dass ich mir das nicht nur einbilde. Ich versuche vor allem, in den Dialogen eine andere Sprache anzuwenden, je nach Figur. Der eine redet in viel kürzeren Sätzen, ein anderer braucht mehr Substantive oder redet eher im Passiv. Wieder jemand anderes macht viele verschachtelte Sätze. Einmal hatte ich auch jemanden, der seine Sätze nie ganz beendet hat. Das war echt lustig, aber leider musste er am Ende rausgestrichen werden, der arme Kerl. 

Coehoorn

#7
Ein Problem das mir nur zu bekannt ist. Du stehst also nicht alleine da. Bei Figuren die nur relativ kurze Auftritte haben fällt es mir leicht sie deutlich von anderen abzugrenzen aber je öfter sie auftreten, desto mehr scheinen sie sich langsam an andere anzugleichen.
Es gibt ein paar Figuren wo ich denke "genial gelungen" und ein paar andere bei denen ich ernstlich versucht bin sie zu einer zu verschmelzen.
Ich muss mir, wenn ich fertig bin, alles nochmal durchlesen und dann dabei gezielt darauf achten. Ich wüsste jetzt nicht wie man dem entgegenwirken kann aber Cailyns Tipps gefallen mir gut  :)

HauntingWitch

Da sprichst du etwas an, Melenis. Mir geht es genau gleich. Bei der Überarbeitung meines Lieblings ist mir aufgefallen, dass meine uralten, magischen, erhabenen Kreaturen teilweise genaus reden, wie meine modernen Städter. Das geht natürlich nicht. Das überschneidet sich ein wenig mit der Diskussion im Perspektiven-Thread.

Ich habe eher das "wiederkehrende Muster"-Problem (wozu wir hier auch irgendwo einen Thread haben). Ich verwende völlig unbewusst immer wieder die gleichen Elemente und habe zuweilen das Gefühl, meine Charaktere ähneln sich alle viel zu sehr. Da man selbst immer kritischer ist, kann man sich natürlich fragen, ob das nur die eigene Wahrnehmung ist. Aber natürlich fliesst in alle meiner Geschichten etwas von mir selbst mit ein, selbst wenn ich versuche, das nicht ausarten zu lassen. Eine Betaleserin und gute Freundin hat mir mal ein Skript zurückgegeben und sagte: "Da bei der Szene, da dachte ich einfach nur: Typisch Witch." Na, klasse. Genau das wollte ich doch eigentlich vermeiden. ;D Aber letztendlich hat sie dieses so typische Element nur als solches erkannt, weil sie mich gut kennt.

Vielleicht erkennt es auch jemand, der mehrere Bücher von einem liest. Natürlich ist das nicht besonders vielfältig, das stimmt. Ob man das aber als Schwäche empfindet oder nicht, hängt meiner Meinung nach vom Leser ab. Anne Rice z.B. hat auch sehr viele gleiche Elemente/Themen, einfach immer anders verpackt. Mir fällt das zwar auf, aber es stört mich nicht. Einen anderen Leser stört es vielleicht.

Ich finde es schwierig, sehr verschiedene Charaktere zu entwerfen, denn teilweise übersteigt das auch einfach mein Wissen bzw. mein Feeling für eine Sache. Wissen an sich kann man ja noch durch Recherche erwerben. Aber es gibt auch Wissen, das auf Erfahrung beruht und erfahrungsgemäss ist es diese Art von Wissen, die die Atmosphäre ausmacht. Mein Lieblingsbeispiel ist da ganz banal immer der Mikrokosmos in der Musik. Ich höre Metal, damit kenne ich mich aus. Ich weiss, was die Subgenres sind, wer gegen wen was hat und weshalb und wie die Leute ticken - und ich kann sagen, ein Thrash-Fan tickt zumindest in Bezug auf die Musik, aber teilweise auch in anderen Bereichen, anders als z.B. ein Glamrock-Fan. Das weiss ich, weil ich Leute aus beiden "Grüppchen" kenne. Ich könnte aber nie z.B. über einen HipHopper (da fängt es schon an, ist das die richtige Bezeichnung?) geschweige denn dessen Szene schreiben, einfach weil ich mich da absolut nicht auskenne. Natürlich kann ich herausfinden, welche Stars allgemein verehrt werden und welche weniger, was für Begrüssungsformeln sie verwenden, usw. - aber das allein macht es nicht aus.

Deshalb finde ich es nicht nur schwierig, sondern auch eine Gratwanderung. Ich bin immer noch der Meinung, wie mehr man selbst über eine Sache weiss, desto besser kann man über sie schreiben. Erfinde ich also eine Figur, deren Wissen mein eigenes übersteigt oder deren Gewohnheiten sich zu sehr von meinen eigenen unterscheiden, laufe ich auch Gefahr, das völlig falsch darzustellen. Ich taste mich nun langsam an solche Figuren heran. Aber ich bewundere Autoren, die das können und bei denen es dann auch noch "echt" wirkt.

Churke

Ich frage mich, ob ein Teil dieses Problems daran hängt, ob man eher "character-driven" oder eher "story-driven" schreibt. Wenn ich mir erst die Figuren ausdenke und dann daraus eine Geschichte bastle, dann ist es doch nur naheliegend, dass ich die Figuren so gemacht habe, dass sie mir gefallen, und das ist eben recht einseitig.  ;)

Wenn sich die Figuren hingegen aus dem Plot ergeben, dann spricht einiges dafür, dass sie notgedrungen unterschiedlich sind und mir vielleicht auch ganz und gar gefallen. Aber sie müssen so sein, wie sie sind, weil es die Story erfordert.

Guddy

Zitat von: Churke am 21. März 2014, 12:37:06
Ich frage mich, ob ein Teil dieses Problems daran hängt, ob man eher "character-driven" oder eher "story-driven" schreibt. Wenn ich mir erst die Figuren ausdenke und dann daraus eine Geschichte bastle, dann ist es doch nur naheliegend, dass ich die Figuren so gemacht habe, dass sie mir gefallen, und das ist eben recht einseitig.  ;)

Wenn sich die Figuren hingegen aus dem Plot ergeben, dann spricht einiges dafür, dass sie notgedrungen unterschiedlich sind und mir vielleicht auch ganz und gar gefallen. Aber sie müssen so sein, wie sie sind, weil es die Story erfordert.
Das kann ich für mich nicht unterstreichen, bei mir tritt eher der umgekehrte Fall ein. Eben weil die Story characterdriven ist, sind die Charaktere bei mir unterschiedlich. Ich habe Protagonisten, die ich mag, und welche, die ich nicht mag(=unsympathisch finde). Interessant finde ich sie allerdings alle, sonst würde ich mich beim Schreiben langweilen.

Auch bei richtigen Büchern fällt mir keine Korrelation auf, es gibt da solche und solche

canis lupus niger

#11
Ich finde es erstaunlich, wie viel ich über mich selber und mein Schreiben aus einer Diskussion lerne, die andere Leute über eine Frage führen, die sich mir nie gestellt hat. Indem ich die Diskussion hier verfolge, erkenne ich, warum ich so schreibe, wie ich es tue, und warum ich das vielleicht gelegentlich ändern muss. Ihr seid echt ein Phänomen, Leute!