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Bleib beim Charakter, weitere Informationen nicht so wichtig?

Begonnen von HauntingWitch, 14. September 2013, 12:47:32

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HauntingWitch

Seit einiger Zeit denke ich über dieses Problem nach. Jetzt, da ich gerade wieder einmal davor stehe, möchte ich die Frage in die Runde werfen. Ich habe gelesen, wenn man in der 3. Person aus Sicht eines Perspektivträgers schreibt, sollte man bei dessen Sicht bleiben und die Welt so beschreiben, wie die Person sie sieht. Logisch. Ich gehe da vollkommen mit und halte das mit meinen Geschichten auch so.

Nun gibt es aber immer wieder Situationen, in denen ich eigentlich für wenige Zeilen zu einem auktorialen Stil switchen müsste, um etwas darzustellen, was die Person gar nicht sieht. Z.B.: Meine Prota steht gerade in einer fremden Welt auf einem Marktplatz und wundert sich über das Geschehen um sie herum. Da sie nun ein Mensch in Jeans und T-Shirt ist, was man in dieser Welt so überhaupt nicht kennt, wird sie von den anderen genauso beäugt. Das Problem: Da sie gerade total damit beschäftigt ist, das alles einzuordnen und zu verarbeiten, realisiert sie natürlich nicht, dass die anderen sie genauso anstarren.

Bleibe ich nun bei ihrer Sicht, kann ich das also nicht erwähnen, denn sie merkt das ja nicht. Um das zu erklären, müsste ich ihre Perspektive verlassen und dadurch hätte ich einen Perspektivbruch. Wenn ich es nicht erkläre, kommen später die Leser und sagen: "Ja, aber wird die denn da nicht auch angestarrt? Warum steht das da nicht?" Das befürchte ich, weil ich nämlich selbst auch so ein verständnisloser, fieser Leser bin, der gerne alles genau wissen möchte. Ich werde langsam offener, aber ja... ;)

Wie löst ihr solche Probleme? Lasst ihr die Informationen "ausserhalb" einfach ganz weg und traut dem Leser zu, dass er sich das denken kann?

Sprotte

Reaktionen von anderen Figuren als dem Perspektivträger lasse ich weg, wenn ich sie nicht durch den Perspektivträger beschreiben kann. So einen Bruch ("alle glotzten sie an, aber sie merkte es nicht") würde ich beim Lesen als extrem störend empfinden.

Nika

Ich stimme Sprotte zu, der Perspektivwechsel wäre schon sehr krass. Wenn es jetzt wirklich um genau die von dir geschilderte Szene geht, kannst du das aber auch durch deine Protagonistin zeigen. Natürlich nicht sofort, aber irgendwann hat sie sich ja auch satt gesehen, oder beim Umblicken bemerkt sie eben, dass alle bei dem, was sie getan haben, innehalten und auf etwas in ihrer Nähe schauen, dann merkt sie, hoppla, die starren ja mich an.

Churke

Zitat von: HauntingWitch am 14. September 2013, 12:47:32
Nun gibt es aber immer wieder Situationen, in denen ich eigentlich für wenige Zeilen zu einem auktorialen Stil switchen müsste, um etwas darzustellen, was die Person gar nicht sieht.

Weshalb musst du das darstellen?
Gerade in deinem Beispiel willst du ohne Not etwas erzählen, was sich - zumal allein aufgrund deiner bewussten Entscheidung - außerhalb der Wahrnehmung der Protagonistin abspielt. Da sehe ich nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie merkt es (vielleicht auch später) oder sie merkt es eben nicht.

Sanjani

Ich würde es auch so machen wie Nika. Als Leser fände ich es vermutlich noch am ehesten seltsam, dass sie selber nicht merkt, dass sie angestarrt wird, aber das käme auch drauf an, ob es 2 Stunden dauert, bis sie sich satt gesehen hat (viel zu lange) oder nur ein paar Minuten oder eine halbe Stunde oder so.

Aber du hast das Thema ja grundsätzlich angeschnitten. Ich glaube, oftmals ist es auch eine Frage der Wortwahl, und den meisten Lesern fällt gar nicht auf, dass hier kurz ein auktorialer Erzähler im Spiel war. Mir fällt leider gerade das Beispiel nicht ein, an das ich denke, ich weiß nur, dass ich so was schon öfter mal gemerkt habe, wo ich dachte, ist nicht so schlimm, aber ich hab es dann trotzdem geändert, weil ich halt inzwischen sehr pingelig mit so etwas bin.

Fakt ist aber auch, dass es Unmengen Bücher auf dem Markt gibt, bei denen genau so geschrieben wurde, Personal, auktorial, personal aus jemand anderes Sicht usw. Und diese Bücher haben sich sehr gut verkauft. Es hat also auch viel mit dem eigenen Anspruch an den eigenen Stil zu tun. Ich persönlich bin da mit den Jahren immer pingeliger geworden und halte zu viel allwissenden Erzähler inzwischen für eher schlechten Stil, aber das ist meine ganz persönliche Meinung und mein persönlicher Anspruch an meine eigenen Texte. Jemand anders sieht das sicher ganz anders.
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

HauntingWitch

@Sprotte: Ja, finde ich eben auch, deshalb frage ich.  ;)

@Nika: Nun, es ist beim Beispiel etwas schwierig, dass nachher zu machen, da dann gleich das nächste passiert. Ich lasse ihr gar keine Zeit, das alles soweit zu verarbeiten. Aber der Tipp mit den Reaktionen ist super, das behalte ich mal so im Hinterkopf.  :)

Berjosa

Es gibt ja auch noch die Möglichkeit, kurz nach dieser Szene eine andere einzubauen, in der aus der Sicht einer anderen, für die Handlung wichtigen Figur beschrieben wird, wie dieses Fremdwesen in seltsamen Klamotten auf dem Marktplatz landet. Die kann dann genauer darauf eingehen, wer noch auf dem Markt ist, was die Leute dort tun und wie sie auf diesen Alien reagieren.
Das macht sich allerdings besser, wenn der Schauplatz und die Anwesenden im weiteren Verlauf noch eine Rolle spielen. Ansonsten reicht vielleicht ein Satz, der darauf Bezug nimmt. "Das muss an dem Markttag gewesen sein, als plötzlich diese Fremde da aufgetaucht ist ..."

Oder du kannst die Spätfolgen der Situation darstellen. Der Heldin ist es vielleicht nicht bewusst geworden, aber ihre Ankunft auf dem Marktplatz wurde von etlichen Leuten beobachtet, besprochen, vielleicht mit wilden Gerüchten aufgebauscht ... und irgendwann, wenn sie glaubt, sich unauffällig in die Umgebung eingefügt zu haben, konfrontiert sie jemand damit.

Außerdem sind mehrere verschiedene Perspektiven ja nicht verboten. Ich finde es nur wichtig, klar zu trennen und deutlich zu machen, dass jetzt jemand anderes beobachtet bzw. die Kamera eingeschaltet wurde und dass aus dieser neuen Perspektive mehr kommt als nur ein Satz.

TheaEvanda

Ich bin auch sehr perspektivenpingelig. Wenn meine Hauptperson über ihre Mutter spricht, ist es "meine Mutter", wen sie mit ihrer Mutter spricht, nennt sie sie "Mama". Manche Leser verwirrt das.

Davon abgesehen: Wenn deine Protagonistin in Jeans und T-Shirt auf dem fremden Marktplatz steht, hat sie vieles zu sehen und einzuordnen. Das kann schon ein oder zwei Absätze füllen. Irgendwann ist die übermächtige Neuheit dann weg, und sie nimmt auch die anderen Menschen wahr, die sie anstarren. Vielleicht geht auch einer davon auf sie zu.

Dann Szenenwechsel zu einer anderen, einheimischen Person. Die sieht den Fremdmenschen, starrt ihn an, beschreibt ihn aus ihrer kulturellen Perspektive. "Trägt keine Burka, die dumme Trine. Will sie unbedingt einen Sonnenbrand und eine Tracht Prügel von ihren Brüdern haben? Was für unanständige Kleider, wenn ich es mir recht überlege ..."
Die Person, aus deren Perspektive du erzählst, muss aber etwas plotrelevantes tun: Die Protagonistin ansprechen, ihr ein Glas Wasser, einen Sonnenschirm oder eben züchtige Kleider anbieten. Sie sollte in der Geschichte auch wieder auftauchen, selbst wenn du sie nur ein einziges Mal als Perspektivträger benutzt. Der Leser hängt sein Herz immer etwas an Perspektivträger, und er will wissen, wie es mit ihnen weitergeht.

--Thea
Herzogenaurach, Germany


Alia

Mir ist auch schon öfters - auch bei namhaften und erfolgreichen Autoren aufgefallen, dass sie zeitweise den Perspektivträger verlassen. Ich mag es nicht.
In deinem Beispiel finde ich es auch realistisch, dass deine Prota erstmal total von den ganzen Eindrücken überrollt wird und sich dort umschaut. Schon relativ schnell sollte sie aber merken, dass sie ebenso angestarrt wird. Vielleicht zieht eine Mutter ihr Kind von ihr Weg, um sie herum entsteht eine größere Freifläche. Die Leute bleiben stehen und starren sie an...
Und da wird ihr dann auch klar, dass sie für die Menschen ebenso exotisch ist, wie die für sie.

Früher habe ich auch immer gemeint, dass ich "alles" schreiben muss, einfach, weil es in meinem Kopf ist. Die Geschichte fühlte sich sonst nicht vollständig an. Mittlerweile bin ich davon abgekommen...

Tanrien

#9
Zitat von: TheaEvanda am 14. September 2013, 14:12:57
Ich bin auch sehr perspektivenpingelig. Wenn meine Hauptperson über ihre Mutter spricht, ist es "meine Mutter", wen sie mit ihrer Mutter spricht, nennt sie sie "Mama". Manche Leser verwirrt das.

Das finde ich so wichtig, damit ich nicht aus der Perspektive fliege. Auch sowas wie Menschen/Charaktere sich in ihrem Kopf selbst bezeichnen. Wenn der Name Christina ist, der Charakter sich selbst als Christa empfindet, aber gerade von allen als Chrissi angesprochen wird... dann muss für mich der Name Christa sein, wenn das so klar getrennt ist. Weil sie sich ja selbst nie als Chrissi bezeichnen würde...

Es kommt ein bisschen auch darauf an, ob ich in der Geschichte über die Charakre oder über den Plot lesen will, grob gesagt. Wenn mich der Plot echt fesselt, sind die POV-"Unstimmigkeiten" für mich gerade noch so in Ordnung, natürlich auch, weil ich sie nicht so bemerke. Aber sobald mich die Charaktere und speziell deren Wahrnehmung und Perspektive auf den Plot interessieren, schmeißt mich das erstmal raus. (Edit: Das schließt ein bisschen an Alia an, bei erfolgreichen Autoren mit vielen Titeln, etc. Lese ich oft für den Plot, jetzt nicht unbedingt nur für den Charakter und die Perspektive.)

Ich finde auch, damit ist man dann auf der sicheren Seite, wenn man eh in die Richtung schreibt, dass es besonders um die interessanten Charaktere geht. So würde ich also auch bei HauntingWitchs Beispiel vorgehen und wollen, dass der/die Autor*in vorgeht, ohne jetzt die Geschichte zu kennen.

Christopher

Kommt für mich auf die Szene drauf an und wie der Autor das da einbringt. Ich bin kein solcher "Perspektivreiter" und beharre strikt auf das "einhalten" der Perspektive. Es ist nicht so, dass es automatisch "falsch" ist, wenn du die Perspektive verlässt. Es gibt Leute die finden das gut und es gibt Leute die finden das schlecht. Es gibt Leute die "Regeln" fürs schreiben aufstellen, in denen das als no-go gilt und es gibt Leute die einen Text aktzeptieren wie er ist - sofern es gut umgesetzt ist.

Die Ausnahme für mich wäre die strikte Ich-Perspektive. Die wähle ich ja gerade DAMIT man nur die Eindrücke des Protagonisten wahrnimmt. Aus der Ich-Perspektive ausbrechen zu wollen, würde den Sinn dieser Perspektive ad absurdum führen.


Sollen deine Leser mit der Protagonistin mitfühlen? Lass die Perspektive nah an ihr dran. Sollen sie die Geschichte erzählt bekommen und erleben können? Zoom ruhig ein bisschen raus, warum denn nicht? Weil irgendjemand sagt, das wäre ein no-go? Weil es irgendjemandem nicht gefällt? Im ernst: es wird IMMER jemanden geben, dem nicht gefällt was du tust. Egal was und wie gut du es machst.
Be brave, dont tryhard.

Mondfräulein

Ich würde die Perspektive in jedem Fall beibehalten. Dennoch kann man sich auch immer entscheiden, ob man nicht eine andere Perspektive wählt, da gibt es unglaublich viele Möglichkeiten, mehr als auktorial und personal.

Was ich oft gelesen habe, ist ein personaler Erzähler aus der Zukunft (beispielsweise Die Geisterseher von Kai Meyer). Dadurch kann man manche Dinge schildern, die über die Perspektive der jeweiligen Person zu diesem spezifischen Zeitpunkt hinaus gehen. Ich kann Andeutungen auf spätere Ereignisse machen, ich kann Dinge schildern, die zu diesem Zeitpunkt der Person noch nicht bekannt sind.

Nicht so berauschend finde ich den auktorialen Erzähler, der sich größtenteils auf eine Person beschränkt. Zum einen kommt das sehr, sehr leicht rüber, als würde man einfach aus der Perspektive fallen, zum anderen finde ich den auktorialen Erzähler allgemein immer etwas ungeschickt und unpersönlich (es gibt Momente, in denen er wirklich gut passt, aber das ist selten).

Wichtig ist dabei nur, dass man eben bei der einen Perspektive bleibt, für die man sich entschieden hat. Wenn ich von Anfang an einen personalen Erzähler aus der Zukunft etabliere, wird sich der Leser daran gewöhnen und auch in Zukunft nicht wundern, wenn ich vorgreife oder etwas schildere, das der Perspektivträger eigentlich gar nicht wissen kann. Wenn ich allerdings erst dann damit anfange, wenn es nötig ist, wundert sich der Leser entsprechend.

Ich glaube nicht, dass alle Informationen immer so notwendig sind. Wenn ich beispielsweise klar mache, dass in deinem Beispiel jetzt die Person absolut nichts um sich herum mitbekommt, wird sich der Leser auch nicht wundern, dass die Leute sie nicht komisch anstarren. Wenn ich aus der personalen Perspektive erzähle, muss ich dafür sorgen, dass der Leser die entsprechenden Informationen bekommt oder klar wird, dass er sie eben nicht erhält, damit sich der Leser sozusagen mitwundern kann. Ihn dann durch einen Perspektivwechsel aus der Person heraus zu holen, für vergleichsweise unnötige Informationen, zumindest nicht soooo notwendige Informationen, ist ungünstig und das wiegt die Kosten nicht auf.

Judith

#12
Dein genanntes Beispiel empfinde ich eigentlich auch nicht als wichtig genug, um die Perspektive zu wechseln.
Jetzt aber mal ganz allgemein betrachtet, finde ich nicht, dass eine Perspektive strikt eingehalten werden muss. Wenn ein Autor nur ein einziges Mal aus der Perspektive fällt, fände ich es störend, aber wenn öfter mal gezielt gewechselt wird, sehe ich darin kein Problem.
Die meisten Leser übrigens wohl auch nicht. Rebecca Gablé schreibt personal und wechselt immer mal wieder die Perspektiven - und mir wäre noch nie untergekommen, dass sich darüber Leser beklagen (auch Leser nicht, die selbst schreiben). Und das ist jetzt nur ein prominentes Beispiel.

Du musst eben die Erzählweise finden, die für dich und deinen Text passt. Und das kann auch eine mit wechselnden Perspektiven sein. Nur sollte es eben, wie schon gesagt, gezielt und überlegt eingesetzt werden und nicht nur für etwa einen einzelnen Satz. Das würde sonst wirklich wie ein "Perspektivenfehler" wirken.

Fianna

Das ist doch eigentlich in diesem speziellen Fall nicht so schwierig. Sie muss sich ja nicht sattgesehen haben, sie kann ja eine bestimmte Person länger anstarren als die anderen (bsondere Kleidung, Tätigkeit, etc) und weil sie diese Figur länger anschaut, merkt sie eben, dass zurück geschaut wird. Vielleicht wendet sie erst den Kopf. Vielleicht steht da auch eine oder zwei Personen, und sie schlußfolgert, dass der Handwerker (?) diese beiden anschaut, und geht rücksichtsvoll aus dem Weg.
Für den Leser ist dann zu erahnen, wie die Situation in Wirklichkeit aussieht.