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Schwache Verben, starke Verben

Begonnen von Maja, 21. April 2013, 21:27:41

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Leann

Mir ist auch die literarische Bedeutung von "schwachen" und "starken" Verben ein Begriff. Dass es auch noch eine grammatikalische gibt hatte ich schon fast vergessen.
Meiner Meinung nach sollte da unterschieden werden, in welchem Status sich der Text gerade befindet. Ist es der erste Entwurf, kann und sollte man sich als Autor überlegen, ob man die schwachen Verben im Eifer des Schreibens als eine Art Platzhalter verwendet hat und ob es einen treffenderen Ausdruck gibt. Auch der Status des Autors spielt eine Rolle. Wer seinen Stil schon gefunden hat und das Schreibhandwerk schon sehr gut beherscht, ist sich der Einsatzmöglichkeiten von schwachen und starken Verben bewusst und kann damit "spielen", während Anfänger wie ich oft gar nicht merken, dass da nun zum hundertsten Mal eine "sein"-Form aus sprachlichem Unvermögen steht. 
Was ich überhaupt nicht gut finde ist, wenn eine Lektorin die vermeintlich schwachen Verben einfach gegen andere austauscht. Wie Churke schon sagte, 
ZitatWenn man ein allgemeines Verb durch ein spezielles ersetzt, bekommt der Satz automatisch Konnotationen und Bedeutungen, die der Autor womöglich gar nicht beabsichtigt.
Da liegt es wohl am "man". Der Autor kann das tun, andere sollten nur darauf hinweisen, dass evtl. ein anderes Verb passender sein könnte, nicht aber eines vorgeben.
Mir als Leserin ist ein goldener Mittelweg am liebsten. Sobald es sich starkverbig gestelzt und gewollt anhört gefällt mir ein Text genauso wenig wie eine reine öde Aneinanderreihung von Schwachverben.



Angela

Ich frage mich in diesem Zusammenhang, wie man einer Lektorin/einem Lektor schonend beibringt, dass man die Verbesserungen schlicht als Verschlechterung empfindet. Weil, wenn ich mir so einige neuere Schreibratgeber ansehe, propagieren sie da unterschiedliche Standards:  kein sagte, doch gerade sagte, nur keine Inquits, doch Inquits ..., reine Vorlieben in meinen Augen und nicht in Stein gemeißelt.
Ausdrucksstarke Verben sind wohl 'in' und sollen in einem Wort was auch immer beinhalten. Irgendwie tendiert es immer mehr zum Kurzsatz, oder? Wobei ihr natürlich recht habt: Der Satz muss klingen und den Inhalt transportieren.

Nirahil

Mir wurde in der Schule ebenfalls beigebracht, "sagen" zu vermeiden. Ich habe das so verinnerlicht, dass ich eigentlich bewusst kein sagen mehr nehme - und mich dann frage, wieso überhaupt. Warum? Sagen hat diesselbe Daseinsberechtigung wie rufen, erklären, murmeln. Es wird manchmal viel zu oft verwendet, weil es keinen steigernden Beigeschmack mehr hat (im Sinne von bei einer großen Rede sagen zu verwenden, wo eigentlich ein epochales Gefühl transportiert werden will), aber - und das ist für mich der springende Punkt - es ist nicht grundsätzlich falsch. Ich habe viele Bücher gelesen, die viel sagen in den Dialogen verwenden und es hat mich nicht gestört. Es sei denn, es war einfach ständig dasselbe Wort, aber das fällt, wie von meinen Vorrednern schon genannt, in die Wiederholung. Und auch verwende ich wieder sagen, wenn ich nicht ausufern will und es ohnehin schon lange nicht mehr verwendet habe. Einen längeren Dialog kann man nicht ständig nur mit ausufernden Verben schmücken, das fühlt sich überladen an, finde ich.

Deshalb mein Fazit: es ist tatsächlich eine Sache des Stils.

Schonend beibringen kann man sowas wohl eher nicht. Entweder hat sie Verständnis dafür, oder sie stellt sich quer, weil sie sich im Recht denkt. Gerade weil es keine eindeutige Norm gibt, ist das sehr schwierig.
Ich tanze wie ein Kind im Nebel,
zufrieden, weil ohne Ziel.
Callejon - Kind im Nebel

TheaEvanda

#18
Es gibt etwas, das man Erzählmoden nennen könnte, und es gibt Lektoratsmoden.

Eine Mode ist recht eindeutig, dass in einer gewissen Altersklasse die Lektoren (und damit die Leute, die zu einer bestimmten Zeit Germanistik studiert haben) davon überzeugt sind, dass ein echter Konjunktiv von Übel ist. Die Auflösung aller Konjunktive in "möge", "würde", "hätte" und "hätte gehabt" - Konstruktionen läuft bei diesen Leuten beinahe automatisch ab. Begründung, wenn man mal nachfragt: Konjunktive macht man heute nicht mehr.

Sind die Lektoren deutlich älter, so wird eine aufgelöste Konjunktivkonstruktion auch mal zu einem echten Konjunktiv verstrafft - aber nur, wenn er nicht mit einem Indikativ gleichlautend ist. Letzteres ist von Übel, da es die Leser verwirrt, sagen sie.

Die neueste Generation Lektoren scheint es recht locker zu nehmen und kann mit beiden Sorten Konjunktiv leben. Die Texte, die dabei herauskommen, gefallen mir am Besten: Abwechslungsreich in der Grammatik, und ohne überbordende Hilfsverbengräber.

In Sachen starke und schwache Verben bin ich noch nicht mit einem Lektor zusammengerasselt - meine wichtigsten Erfahrungen stehen im Bereich der Konjunktive. Aber auch bei der Verbenwahl scheint es Denkschulen zu geben, die mal mehr oder mal weniger tonangebend sind. Ein Lektor sagte mir einmal im zwanglosen Gespräch, dass starke Verben nur dann wirken, wenn aussenrum genug schwache Verben stehen. Maja ist offenbar auf jemanden aus dem entgegengesetzten Ende des Spektrums gestoßen.

Auch die Sache mit den Inquits ist mir schon mehrfach untergekommen.

Ein Redakteur erklärte mir, dass Menschen nur Sachen sagen oder über Dinge sprechen können. Alles andere sei unakzeptabel. Kein Mensch außer Waldorfschülern(1) hüpfe einen Satz, und das oben genannte Beispiel
Zitat"Gehe er hinfort", strich der König über seinen Purpurmantel.
wäre wahrscheinlich ein Grund gewesen, mich sofort aus der Autorenriege der Reihe zu entfernen. Ich höre den Redakteur schon ausflippen: Da graust es noch nicht mal mehr einer Sau. Die rennt schreiend weg. Mäntel können nicht reden, Basta. Schreib "sagte er und strich sich über den Mantel", oder  :pfanne: .
Das nenne ich für mich die englische Schule: Dort wird "..., he said" nicht als Stilfehler angesehen, sondern als vom Leser still aufgenommene Information.

Dagegen kommt die deutsche Schule mit ihrem "Adjektive sind doof und Wortwiederholungen böse" - Prinzip. "... sagte er" ist damit keine aktzeptable Attributierung zur Information des Lesers. Aber manchmal braucht man es ja doch, also dürfen die Charaktere schreien, brüllen, jammern, niesen, husten und schnurren, was das Zeug hält. Nur sagen dürfen sie nix. Sagen ist ja ein schwaches Verb und transportiert damit kaum Inhalt.

Als Schreiber bin ich nach vielen Jahren Lektüre englischer Romane und englischer Schreibratgeber und englischer Blogs ein klitzekleines bisschen anglistisch geprägt. Aber in einem deutschen Text nehme ich mir trotzdem kein "sagte sie, sagte er" heraus. Irgendwie erscheint es mir falsch. Also vermeide ich jede Situation, in der ein Inquit notwendig wird, nach Kräften. Und das sieht dann so aus:

ZitatAdara musste zugeben, dass ihre Verhandlungsbasis nicht sehr gut war. Ein bisschen Artigkeit konnte nicht schaden. »Entschuldigt, Ritter Hemger. Es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu beleidigen.« Sie verkniff sich einen flötenden Tonfall. »Es ist sehr zuvorkommend von Euch, mir ein derart erhabenes Geleit zu geben. Leider fehlen mir die Mittel, diese Leute zu unterhalten.«
Aureolus spießte sie mit einem ungläubigen Blick auf. »Ich bezweifle, dass Euch die Mittel fehlen. Ihr seid nur nicht bereit, sie auszugeben.« Er winkte einen der Geißler zu sich. »Darf ich Euch Knappe Praiomar von Mühlenburg vorstellen? Er führt den Trupp.«

Es geht also auch fast ohne Inquit. Aber als Leser stört mich weder die englische noch die deutsche Schule sonderlich. Nur, wenn die starken Verben in penetranter Anzahl auftauchen und vor lauter Sprachmalerei der Inhalt des Texts kaputtgeht - dann erinnere ich mich wieder daran, weshalb ich Unterhaltungsliteratur und nicht Nobelpreisliteratur schreibe. Letzeres liegt mir weder als Leser noch als Schreiber.

--Thea
Herzogenaurach, Germany

(1) seine Aussage. Ich habe nichts gegen Waldorfschulen, ich wäre gerne auf eine gegangen. Meine Cousine hat diese Sorte Schulbildung genossen, und ich war ja sooo neidisch. --TH

FeeamPC

Starke Verben, schwache Verben- jedem Tierchen sein Pläsierchen.
Wa ich brauche, das sind Rexte mit einer guten Erzählstimme, und die hängt nicht von Verben ab, sondern davon, dass der Textfluss harmonisch ist und die richtige Stimmung erzeugt.
Und viele "starke" Verben klingen halt manchmal so überzogen und gekünstelt, dass sie den Textfluss regelrecht zerreissen. Als Leser denke ich dann: Häh? Welchen geistigen Höhenflug hat der Autor denn jetzt schon wieder? Was hat er da gewollt und nicht gekonnt?

chaosqueen

Ich hatte lange das umgekehrte "Problem" wie Maja und Malinche: Ich habe - durchaus durch Schreibratgeber und Betaleser entsprechender Schulung unterstützt - extrem viele ausdrucksstarke und kaum ausdrucksschwache Verben verwendet. Ich hatte immer Angst, dass mein Text sonst nicht anspruchsvoll genug ist, und ich merke noch heute, wo ich meinen Stil gemildert habe, dass ich mich beim Lesen manchmal frage, ob das nicht alles zu einfach vom Sprachanspruch her geworden ist.

Im Endeffekt unterschreibe ich den hier vorherrschenden Tenor: Jedes Stilmittel zu seiner Zeit und in Maßen einzusetzen. Der tote Körper im Besitz klingt mir sehr nach einer Leiche im Keller, und zwar physisch. Bäh! Man hat ja auch die Anmut einer Elfe und besitzt sie nicht. Wäre auch unfair, was macht die arme Elfe, der man ihre Anmut geklaut hat? ;)

Letztendlich kommt es eben immer darauf an, was man sagen will. Und wenn Du, Maja, mit Deinen "schwachen" Verben genau das aussagst, was Dir vorschwebt und alles andere sich falsch, verdreht oder aufgesetzt anfühlt - dann lass es. Es ist Dein Buch und Dein Stil, und wie ich Dich kenne und Deine Texte bisher kennengelernt habe, weißt Du sehr genau, wann Du welches Stilmittel und welchen Ausdruck einsetzt.

Verwirrter Geist

Imho ist das entscheidene Argument gegen schwache Verben nicht unbedingt Verbfaulheit, oder ein gewisser Hang zu mehr Wiederholungen, es ist schlichtweg der Interpretationsspielraum.
"Sie lief langsam" wird Leser A vielleicht eher mit Schleichen assozieren, Leser B mit Humpeln, Leser C mit Torkeln etc.
Wenn der Text sonst sehr klar formuliert und evtl. minutiös gestaltet ist, sind schwache Verben sicher oft eine gute Wahl, weil sie durch das sonstige Wissen des Rezipienten richtig aufgefasst werden. Neigt man aber zu eher kurzen und prägnanten Beschreibungen braucht man vermutlich starke Verben, um etwaige Missverständnisse zu verhindern.

Also meine These wäre: Opulente Beschreibungen + viele starke Verben = too much. Kurze Satzstrukturen + schwache Verben = zu beliebig.

Churke

Man könnte aber auch die Frage stellen, weshalb der Autor "sie lief langsam" und nichts anderes geschrieben hat. Vielleicht wollte er solche Assoziationen absichtlich ausschließen. Vielleicht ist die Frage, wie sie läuft, in diesem Zusammenhang auch völlig belanglos und lenkt von wichtigeren Dingen ab.

Zitat von: Verwirrter Geist am 26. April 2013, 23:50:22
Kurze Satzstrukturen + schwache Verben = zu beliebig.
Zu beliebig ist es dann, wenn keine Beliebigkeit gewollt ist. "Starke" Verben haben immmer Subtext. Aber wer sagt denn, dass der im Satz drin sein soll?

Eliyanor Aruval

Ich habe jetzt nicht jeden einzelnen Post gelesen und weiß nicht, was jeder genau gesagt hat, aber dem Anfangsbeitrag muss ich zustimmen. Es müssen zwar nicht alles schwache Verben sein, aber sie dürfen gerne oft benutzt werden und ich denke auch, dass Verben den Satz schnell kaputt machen können. Was für mich eine wichtige Regel ist: Der Erzähler muss so einfach sprechen, dass auch einfachere Menschen es ohne Probleme verstehen können (außer man hat die Absicht, eine anfangs nicht verständliche Stelle zu schreiben). Die einzelnen Charaktere können dann abhängig von ihrer Bildung von allerlei Ausdrücken Gebrauch machen und auch stets so Worte wie "herstellen" oder gar "kreieren" oder "erzeugen" statt "machen" benutzen, solange es zur Person passt. Aber beim Erzähler würde ich das als das bezeichnen, was einige meiner Freunde ganz locker "rumfappen" nennen. (Rumfappen vom englischen "fap": sich selbst so toll finden weil man mit Fremdwörtern die keiner versteht um sich schmeißen kann, dass man sogar darauf masturbiert). :D
Bei mir persönlich beschränkt sich eigentlich das Vokabular, das zu einer direkten Rede führt bis auf Ausnahmen auf: fragte, rief, schrie, flüsterte, sagte, sprach, antwortete, brüllte. Ein wenig Abwechslung bringe ich rein, damit es nicht immer nur sagte sagte sagte sagte ist. Ab und zu kommt dann auch mal "wollte wissen" oder "gab von sich", aber damit spare ich auch, weil das sonst auch mir zu doof wäre. Es geht ja um die Geschichte und nicht um "wie kann ich am besten damit angeben, unendlich viele Umschreibungen von "sagen" zu kennen?".
Starke Verben sollten da sein, aber nicht immer. Es ist halt situationsbedingt und wir schreiben das Buch ja für normale Menschen und nicht für Deutschlehrer (wobei Deutschlehrer sich jetzt nicht beleidigt fühlen sollten, die sind ja auch normale Menschen, wenn sie den Deutschlehrer ausschalten, was sie beim Lesen von Romanen meiner Meinung nach tun sollten ;) )
Also, Erzähler im einfachen, aber noch etwas sachlichen Stil, was die Charaktere dann in der wörtlichen Rede machen ist natürlich ganz was anderes :)

Cailyn

Liebe Maja

Für mich ist die Entscheidung für ein "schwaches" oder "starkes" Verb vor allem im Dialog wichtig.

Wenn Dialogsätze voll von hartem Tobak sind, komplex und inhaltsträchtig, dann finde ich es sehr angenehm, wenn danach einfach steht sagte er/sie.

Sind die Dialogsätze aber eher kurz oder simpel wie "Hey du!" oder "Weg da!" "Wie meinen?", dann mag ich gut gewählte Verben wie presste er hervor oder entgeisterte sie sich.

Wenn schwere Dialogsätze mit ausgefeilten Verben aufeinander treffen, wirkt es dann oft zu kontruiert; bei simplen Kurzsätzen und simplem Verben hingegen wirkt es zu phantasielos.

Daher mein Fazit: die gute Mischung macht's.

LG, Cailyn

Sternenlicht

Grammatikalisch gibt es grob gesagt:
Vollverben (beziehen sich auf eine Handlung, einen Vorgang oder einen Zustand),
Modalverben (müssen, können, wollen u.ä.)
und Hilfsverben (sein, haben und werden). Hilfsverben dienen dazu andere Verbformen zu bilden (hat gekauft, ist gegangen usw.), sie können aber auch als Vollverb benutzt werden (Sie ist glücklich, sie hat eine Katze, etc.)

Vom Stil her, ist es meiner Meinung nach zum einen Geschmacksache, zum anderen aber auch eine Frage der Bedeutung. "Sie besitzt den Körper einer Toten" hört sich für mein Empfinden nicht nur schräg an, es hat auch eine andere Bedeutung. Die Betonung liegt in diesem Fall auf dem "Besitz", nicht auf dem "Körper einer Toten", was, vermute ich mal, nicht deine Intention ist. Ebenso bei dem "Wir sind aus dem Stoff wie Träume sind", der sich nicht auf den Vorgang des Herstellens bezieht, sondern um den Vergleich Mensch - Traum.

Das sind wirklich grobe Verschlimmbesserungen  :(