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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Arcor am 01. Juni 2018, 12:26:36

Titel: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Arcor am 01. Juni 2018, 12:26:36
Ich habe mir letztens den Schreibratgeber Rock your Writing von Cathy Yardley gekauft und durchgeschmökert. Ich finde ihn im großen und ganzen richtig klasse und hoffe, dass ich damit mal ein wenig mehr Struktur in mein oftmals doch etwas chaotisches Plotting bekomme.  :omn:

Ein Problem habe ich aber doch: In Rock your Plot schreibt sie, dass jede Szene mit einem sogenannten "Desaster" enden muss, also der Charakter entweder sein Scene Goal nicht erreicht (No), es noch schlimmer kommt als gedacht (No and furthermore) oder er es erreicht, aber nur zu einem Preis oder nicht ganz so wie gehofft (Yes, but). Die Prämisse muss ihrer Meinung nach sein "Always increase conflict", außer in den Revelation-Szenen am Ende.

Ich finde diesen Gedanken und die Umsetzung ... schwierig. Natürlich sollten die Szenen nicht einfach so für sich stehen, sondern in Zusammenhang mit der Handlung und den Figuren und ihren Zielen. Dass jedes Kapitel so enden soll, kann ich auch auf jeden Fall nachvollziehen, viele Szenen ebenfalls. Aber jede Szene? Ich würde zum Beispiel schätzen, dass man in den allermeisten erfolgreichen Büchern Szenen findet, die in keiner Weise den Konflikt zuspitzen und im Desaster enden. Harry Potter fällt mir auf die Schnelle ein, wo viele Szenen primär der Unterhaltung und dem Weltenbau dienen. Oder die Szenen treiben den Konflikt voran, dies wird aber erst später deutlich, weil der Leser so früh noch nicht die Informationen hat, die ihn befähigen, dies zu erkennen. Das wäre meiner Einschätzung nach aber nicht das Desaster, wie Cathy Yardley es versteht, weil der Leser es ja am Szenenende noch gar nicht erkennt.

Kann mir da jemand auf die Sprünge helfen? Verstehe ich diesen Punkt des Schreibratgebers falsch oder plotte ich falsch?  ??? Und schreibt ihr wirklich nur Szenen, die im Desaster enden?
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Araluen am 01. Juni 2018, 12:45:34
Also zum einen muss das Wort Desaster nicht so dramatisch verstanden werden, wie es das Wort suggeriert. Wichtig ist, dass beim Leser kein Gefühl der Zufriedenheit entsteht wie am Ende des Romans. Dann legt er das Buch nämlich weg. Das passiert dann, wenn die Szene erfolgreich aufgelöst wird - der Prota sein Ziel für diese Szene erreicht.

Bsp. (Blöd aber funktional): Tom geht in den Supermarkt um Eier für den Geburtstagskuchen seiner Freundin zu kaufen.
Positives Ende: Tom geht in den Laden, kauft Eier und backt in der nächsten Szene seinen Kuchen. Spannung? Gegen Null. Liest der Leser weiter? Vermutlich nicht.
Desaster: Tom geht in den Laden. Eier sind ausverkauft. Ziel nicht erreicht, Spannung bleibt oben, denn niemand weiß, wie Tom jetzt seinen Kuchen backen soll. Liest der Leser weiter? Vermutlich.
Tom geht in den Laden und die schöne Blondine von nebenan schnappt ihm die letzte Packung weg -> Handgemenge -> Eier kaputt, Hausverbot, wütende Nachbarin. Das fetzt würdeich sagen.
Tom geht in den Laden und kriegt seine Eier und eie SMS -> Schwiegermutter kommt auch zum Kaffee... Panik bei Tom. Lesen wir weiter? Klar, der Mensch liebt es drohende Katastrophen zu verfolgen.

Wir sehen: Der Leser liest immer weiter, wenn es noch kein zufrieden stellendes Ende gibt und das ist das Desaster. Es schürt den Konflikt und hält die Spannung hoch. Dabei muss es keine Katastrophe im eigentlichen Sinne sein und das Desaster wie in unserem Eierbeispiel (das zu einem superspannenden noch ungeschriebenen Thrilergehört  :rofl:) auch nicht zwingend zum roten Faden oder Hauptkonflikt gehören.

Also ja, jede Szene sollte für den POV in einem Desaster enden. Denn sobald erzufrieden ist, ist es der Leser auch ud legt das Buch weg.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Alana am 01. Juni 2018, 12:53:24
Das Ende einer Szene laut Cathy muss nicht mit einem Desaster enden, es soll nur nicht mit einem vollen Erfolg enden, da der Leser das Buch sonst weglegt. Ihr Tipp ist, jede Szene abzuschließen mit der Frage, hat die Figur in dieser Szene ihr Szenenziel erreicht? Die Antwort auf diese Frage darf nie einfach nur ja lauten, sonst sinkt der Spannungsbogen ab und der rote Faden hängt durch. Die Antwort sollte laut Cathy immer sein:

Nein
Ja, aber ...
Nein, und außerdem ...

Cathy hat wirklich viele tolle Tipps in ihren Büchern, aber man sollte auch das nicht dogmatisch behandeln bzw. versuchen, den Mechanismus zu durchschauen, der dahintersteht. Hier ist es meiner Meinung nach, dass jede Szene den roten Faden der Geschichte behalten, den Plot vorantreiben und die Spannung oben halten muss. Dazu brauchst du aber kein Desaster am Ende der Szene. Alles, was die genannten Dinge gewährleistet, ist in Ordnung. Meistens passt es für mich mit Cathys Tipps, manchmal aber nicht. Dann versuche ich, etwas anderes zu finden, das das Kapitel auf eine Art abschließt, so dass die Spannung erhalten bleibt etc.

Generell finde ich aber, dass Cathys Tipp gut und richtig ist und man auf diese Art einen dichten Plot erhält, der von Szene zu Szene spannend bleibt und nicht durchhängt. Man bemüht sich einfach viel mehr, Fäden, Subplots etc. durchzuflechten, wenn man versucht, wirklich für jedes Kapitel das No/ No and furthermore / Yes but Schema zu beachten.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: zDatze am 01. Juni 2018, 13:00:12
Ich kenne die Methode als "Yes, but & No, and" und sehe sie als nützliches Tool, das man einsetzen kann aber nicht zwangsweise muss. Es hilft dir den Spannungsbogen oben zu halten und ich erkenne das Muster besonders oft bei jenen Büchern, die als Page-Turner angepriesen werden, oder auch, wenn ein Buch sehr episodenhaft geschrieben ist.

Endet die Szene in einem Desaster, dann führt das oft dazu, dass sofort weitergelesen wird. Das kann wunderbar funktionieren, oder aber auch total eintönig werden, wenn es zu viel verwendet wird. Das ist ja nichts anderes als ein Cliffhanger - und auch hier gilt, die Dosis macht das Gift. Nicht jede Szene muss ein Desaster am Ende haben. Nicht jede Szene braucht Action oder einen Cliffhanger, um die Spannung oben zu halten und manchmal sind es gerade die leiseren Töne (und Szenen), die erst wirklich klar machen, was auf dem Spiel steht.

Wenn dir die Methode hilft, den Spannungsbogen besser zu gestalten, dann hast du ein nützliches Tool gefunden. Allerdings gilt auch hier: eine Methode alleine ist kein Allheilmittel. Es kommt darauf an, was für ein Problem du damit beheben magst. :)
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Cailyn am 01. Juni 2018, 13:03:38
Ja, stimmt, es darf einfach kein voller Erfolg sein. Einfach deshalb nicht, weil jede Szene in eine andere übergreifen und zum Weiterlesen anregen sollte. Manchmal kann auch etwas erfolgreich abgeschlossen werden - darauf folgt aber ein "aber". Bsp: Wir haben den hinterhältigen Folterer erledigt, aber - was für ein Mist auch - jetzt ist der Ausgang der Hütte blockiert und wir kommen nicht mehr raus. Solche Desaster bemerkt man manchmal in Büchern gar nicht, weil z.B. das Kapitel endet, nicht aber die Szene. Das Kapitel könnte dort enden, wo der Folterer erledigt wird, und das Desaster - dass sie nicht unbemerkt aus dem Haus kommen - folgt im nächsten Kapitel.

In meinen Plots gibt es manchmal auch Szenen, in denen wirklich alles super scheint. Aber das mache ich dann so übertrieben, dass der Leser auf jeden Fall merkt, dass dem nicht so ist. Also Suspense schaffen, so dass der Leser ahnt, dass noch lange nicht alles vorbei ist wie es scheint.

Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Alana am 01. Juni 2018, 13:16:05
Zitat von: Cailyn am 01. Juni 2018, 13:03:38
In meinen Plots gibt es manchmal auch Szenen, in denen wirklich alles super scheint. Aber das mache ich dann so übertrieben, dass der Leser auf jeden Fall merkt, dass dem nicht so ist. Also Suspense schaffen, so dass der Leser ahnt, dass noch lange nicht alles vorbei ist wie es scheint.

Jup, ganz genau diese Methode habe ich in meinem aktuellen Roman auch schon angwendet. :)
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Arcor am 01. Juni 2018, 13:18:31
Zitat von: Araluen am 01. Juni 2018, 12:45:34
Also ja, jede Szene sollte für den POV in einem Desaster enden. Denn sobald erzufrieden ist, ist es der Leser auch ud legt das Buch weg.

Ich finde eben das zu kurz gegriffen. Natürlich sollen Charaktere leiden, denn wir wollen ja mitfiebern und sehen, wie sie Probleme meistern und Konflikte lösen. Aber diese Äußerungen klingen für mich danach, dass der Autor nie nie niemals den Charakter Erfolg haben darf, außer am Ende. Ich persönlich freue mich auch für Charaktere, wenn sie Erfolg haben, und lese mit einem glücklichen Grinsen auf dem Gesicht weiter.
Ich nehme einfach mal ein eigenes Beispiel, weil ich gerade deswegen Probleme mit diesem Aufbau habe:
Ein Prota von mir möchte mit seinem Schiff fortsegeln, hat aber Diebesgut an Bord und sein Schiff soll durchsucht werden. Dass er das Diebesgut noch an Bord hat, ist später relevant und soll da Nachteile mit sich bringen (sprich Desaster). In der Szene soll er aber Erfolg haben, das Diebesgut verstecken und ungeschoren davonkommen (ergo kein Desaster).
Wäre so etwas jetzt schlechter Aufbau/schlechtes Plotting, weil kein Desaster vorhanden ist, nur weil mein Prota in der Szene mit dem Szenenziel Erfolg hat?

Zitat von: Alana am 01. Juni 2018, 12:53:24
Cathy hat wirklich viele tolle Tipps in ihren Büchern, aber man sollte auch das nicht dogmatisch behandeln bzw. versuchen, den Mechanismus zu durchschauen, der dahintersteht. Hier ist es meiner Meinung nach, dass jede Szene den roten Faden der Geschichte behalten, den Plot vorantreiben und die Spannung oben halten muss. Dazu brauchst du aber kein Desaster am Ende der Szene. Alles, was die genannten Dinge gewährleistet, ist in Ordnung. Meistens passt es für mich mit Cathys Tipps, manchmal aber nicht. Dann versuche ich, etwas anderes zu finden, das das Kapitel auf eine Art abschließt, so dass die Spannung erhalten bleibt etc.
Danke, Alana, das beruhigt mich etwas, dass du das so siehst. Denn ich kann mich schon damit anfreunden, dass eine Szene die Spannung oben hält (zum Beispiel durch eine neu aufgeworfene Frage/eine frische Information etc.), der Charakter aber trotzdem sein Szenenziel erreicht (siehe mein Beispiel von oben).

Zitat von: Alana am 01. Juni 2018, 12:53:24Generell finde ich aber, dass Cathys Tipp gut und richtig ist und man auf diese Art einen dichten Plot erhält, der von Szene zu Szene spannend bleibt und nicht durchhängt. Man bemüht sich einfach viel mehr, Fäden, Subplots etc. durchzuflechten, wenn man versucht, wirklich für jedes Kapitel das No/ No and furthermore / Yes but Schema zu beachten.
Das finde ich gerade interessant, weil ich mich eh frage, wie Cathy scene meint. Szene ist ja ein eher relativer Begriff. Meint man damit den Abschnitt bis zur nächsten Leerzeile, bis zum nächsten Perspektivwechsel oder wenn Ort und Zeit gewechselt werden?

Zitat von: zDatze am 01. Juni 2018, 13:00:12
Wenn dir die Methode hilft, den Spannungsbogen besser zu gestalten, dann hast du ein nützliches Tool gefunden. Allerdings gilt auch hier: eine Methode alleine ist kein Allheilmittel. Es kommt darauf an, was für ein Problem du damit beheben magst. :)
Danke, das ist eine wichtige Anmerkung. Ich werde michd ann wohl nochmal an meine Szenenplanung setzen und schauen, wo vielleicht auch ohne Desaster Spannung erzeugt wird.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Malinche am 01. Juni 2018, 13:27:23
Ich benutze diese Methode mittlerweile sehr gern, wenn ich plotte und meinen Szenenplan ausarbeite - das heißt, ich klopfe wirklich jede Szene darauf ab, ob es am Ende ein Desaster gibt (was ich, wie hier auch schon gesagt wurde, aber lediglich im Hinblick darauf verstehe, ob sie mit einem "nein", "nein und außerdem" oder einem "ja, aber" endet). Da das ja immer in Bezug auf das Scene Goal gedacht ist, klappt das bei mir eigentlich sehr gut - ich habe das Gefühl, dass ich dadurch wirklich eine bessere Dynamik in die Geschichte bekomme.

Ich mache das auch umgekehrt beim Überarbeiten, z.B. jetzt gerade für meine Gestohlene Stadt, und da ist es wirklich spannend zu merken, dass ich diese Elemente überall da habe, wo ich mit einer Szene auch zufrieden bin. Ruhige Szenen habe ich trotzdem viele, aber es gibt eben in jeder eine gewisse Entwicklung und einen Grund, bei der nächsten weiterzulesen (also, zumindest theoretisch).

Als ich bei Cathy Yardley zum ersten Mal von dieser Methode gelesen habe, kam es mir auch sehr krass und schwer umzusetzen vor. Aber wie schon gesagt wurde, es ist ja nicht so, dass jede Szene in einem sprichwörtlichen Desaster enden muss und dadurch nur noch Action herrscht, es geht einfach darum, dass das jeweilige Scene Goal nicht vollumfänglich erreicht wird. Dieses Goal kann auch etwas ganz Kleines, scheinbar Undramatisches sein ("Er will, dass sie ihm die Tür öffnet"), und entsprechend steht dann auch das Desaster immer in Relation dazu ("Nein - sie öffnet ihm die Tür nicht" oder "Nein, sie öffnet ihm die Tür nicht und gießt ihm außerdem vom Fenster aus noch einen Kübel Schmutzwasser über den Kopf").

[EDIT, weil es sich mit Arcor überschnitten hat] Das Beispiel mit dem Diebesgut ist cool. Ich kenne jetzt natürlich den genauen Kontext nicht, aber ich glaube, das wäre dann vielleicht ein Fall für ein "ja, aber"-Ende einer Szene: Ja, er hat das Diebesgut erfolgreich versteckt, aber Person XY von der Durchsuchung hat ihn weiterhin auf dem Kieker, zum Beispiel. Oder: Ja, er hat das Diebesgut erfolgreich versteckt, musste sich dabei aber von Figur AB helfen lassen und hat darum nun einen Mitwisser, der ihm gefährlich werden könnte. So in der Art halt. Oder auch einfach: Ja, er hat das Diebesgut erfolgreich versteckt, aber es ist eben noch immer an Bord und könnte jederzeit entdeckt werden.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Churke am 01. Juni 2018, 13:30:23
Zitat von: Arcor am 01. Juni 2018, 12:26:36
Kann mir da jemand auf die Sprünge helfen? Verstehe ich diesen Punkt des Schreibratgebers falsch oder plotte ich falsch?  ??? Und schreibt ihr wirklich nur Szenen, die im Desaster enden?

Ich habe den Ratgeber nicht gelesen, aber ich finde den Gedanken rundum logisch. Es geht darum, die Erwartungshaltungen des Lesers zu durchkreuzen. "Rock your Writing".
Und es gilt wie bei jeder Regel: Wenn du weißt, wozu sie gut ist, dann weißt du auch, wozu sie schlecht ist, und wann du dich besser nicht daran hältst.
Wenn eine Figur etwa auf eine epische Niederlage zurennt, wäre es völlig falsch, ihr dabei Steine in den Weg zu legen. Das ist wie Napoleon in Russland: Es läuft alles super...  :psssst:

Zitat von: Arcor am 01. Juni 2018, 13:18:31
Ich nehme einfach mal ein eigenes Beispiel, weil ich gerade deswegen Probleme mit diesem Aufbau habe:
Ein Prota von mir möchte mit seinem Schiff fortsegeln, hat aber Diebesgut an Bord und sein Schiff soll durchsucht werden. Dass er das Diebesgut noch an Bord hat, ist später relevant und soll da Nachteile mit sich bringen (sprich Desaster). In der Szene soll er aber Erfolg haben, das Diebesgut verstecken und ungeschoren davonkommen (ergo kein Desaster).
Wäre so etwas jetzt schlechter Aufbau/schlechtes Plotting, weil kein Desaster vorhanden ist, nur weil mein Prota in der Szene mit dem Szenenziel Erfolg hat?

Frage: Warum wählst du diese Szeneneinteilung? In einer Szene beschreibst du eine erfolgose Durchsuchung. Aus der Perspektive des Durchsuchten.
Warum nicht so: Vorherige Szene endet damit, dass Soldaten das Auslaufen des Schiffs verhindern und es durchsuchen wollen. Schnitt. Cliffhanger.
Nächste Szene: Durchsuchung des Schiffs. Die Soldaten finden zwar keine Diebesbeute, aber dafür Schmuggelware, deren Ausfuhr verboten ist. Der Protagonist wird verhaftet. Schnitt. Cliffhanger.
Nächste Szene: Der Protagonist wird peinlich befragt. Dann ergeben die Ermittlungen, dass die Konterbande vom Maat an Bord gebracht wurde, der sich privat was dazu verdienen wollte. Der Protagonist darf gehen, aber der Maat wurde verhaftet und ohne Maat kann das Schiff nicht auslaufen...
Das geht dann irgendwann in Richtung Seifenoper. Vorher sollte man einen Punkt machen und dem Helden einen Plan zugestehen, der ausnahmsweise mal funktioniert.   
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Alana am 01. Juni 2018, 13:32:05
ZitatDenn ich kann mich schon damit anfreunden, dass eine Szene die Spannung oben hält (zum Beispiel durch eine neu aufgeworfene Frage/eine frische Information etc.), der Charakter aber trotzdem sein Szenenziel erreicht (siehe mein Beispiel von oben).

Ich denke, genau das ist es ja, was Cathy mit Yes, but meint. Die Figur hat ihr Szenenziel erreicht, das ist schön, aber jetzt muss irgendwas passieren, damit der Plot weitergeht. In deinem Beispiel wäre das ein Sturm, der aufzieht und alles zu zerstören droht, oder einfach nur eine Erinnerung daran, dass es jetzt erst richtig losgeht, weil die Figur jetzt dank des Diebesguts den Plan vom Anfang endlich in die Tat umsetzen kann, was weiß ich. (Wobei ich das ehrlich gesagt nicht so stark finde, wenn ich überlege, ob mich das als Leser wirklich bei der Stange halten würde.) Oder manchmal einfach nur ganz "billig" ein "und er konnte kaum glauben, was er am Horizont erspähte". Ich sage billig, weil ich das meist nicht schön finde, sondern es mir lieber ist, wenn das But am Ende der Szene schon in der Szene oder im bisherigen Plot angelegt ist. Aber wenn es gut gemacht ist und dadurch ein Kontrast zum sonstigen Ende der Szene entsteht, kann sowas auch gut funktionieren. Die Schwierigkeit ist dann, diese Spannung gleich am Anfang der nächsten Szene mit der Antwort auf die Frage, was da am Horizont auftaucht, nicht wieder fallen zu lassen.

Wenn du Zweifel hast, würde ich es an deiner Stelle einfach mal testen. Schreib die Szene so, wie du sie dir vorstellst, mit positivem Ende. Dann schreib sie noch etwas weiter mit einem Yes, but Ende, vielleicht sogar mit und ohne Desaster. Wahrscheinlich stellst du fest, dass Letzteres besser funktioniert als ein reines Yes-Ende, ist zumindest meine Vermutung.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Araluen am 01. Juni 2018, 13:37:05
In deinem Szenenbeispiel arbeitest du stark mit Suspense, so wie es @Cailyn schon angesprochen hat. Gut, das Diebesrgut wird nicht gefunden, aber er hat immernoch Diebesgut dabei. Für den Leser ist es nur eine Frage der Zeit, bis er auffliegt (Suspense). Weder für Leser noch für POV sinkt die Spannung. Schließlich weiß auch der POV, dass er Diebesgut dabei hat und bei der nächsten Gelegenheit damit auffliegen kann. Richtig aufgelöst wird das Ganze erst, wenn er das Diebesgut los wird. Außerdem hast du bei der Betrachtung deines Beispiels das Pferd ein wenig von hinten aufgezäumt, weshalb es so wirkt, als hättest du kein Desaster. Es ist aber da  ;D
ZitatEin Prota von mir möchte mit seinem Schiff fortsegeln, hat aber Diebesgut an Bord und sein Schiff soll durchsucht werden. Dass er das Diebesgut noch an Bord hat, ist später relevant und soll da Nachteile mit sich bringen (sprich Desaster). In der Szene soll er aber Erfolg haben, das Diebesgut verstecken und ungeschoren davonkommen (ergo kein Desaster).
Das Ziel deines Protas in der Szene ist nämlich nicht, nicht mit dem Schmugglergut aufzufliegen. Sein Ziel ist es das Hafenbecken, vermute ich mal, auf einem Schiff zu verlassen.  Du schreibst ja selbst: Prota möchte mit einem Schiff fortsegeln. Das ist das Ziel. Das Diebesgut ist ein Attribut, was du erst danach noch hinzugefügt hast, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen. Das ist ihm gelungen, ABER das Schiff wurde durchsucht. Er hat seinen Preis gezahlt, die Zeitverzögerung und verdammt viel Adrenalin vermutlich während er dem "Beamten" hinterherdackelte. Das mag nur minimal sein und keine Katastrophe im eigentlichen Sinn, aber es ist ein kleines Desaster, das die Suspense und damit die Spannung hoch treibt. Denn der Leser weiß nun, was dem Prota jederzeit wieder blühen kann, solange er sein Diebesgut dabei hat und dass es beim nächsten Mal schlecht ausgehen kann. Jetzt will er wissen, ob er es wirklich schafft, sein Ziel zu erreichen.
Ein voller Erfolg wäre es gewesen, wenn er aufs Schiff gegangen und los gesegelt wäre, ohne, dass ihn irgendwer auch nur dabei angeschaut hat. Und ich bin mir ziemlich sicher, dann würde niemand mehr weiterlesen.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Feuertraum am 01. Juni 2018, 13:44:47
Ehrlich gesagt sehe ich es einen kleinen Tucken anders. Mal davon abgesehen, dass diese Technik schon im 20. Jahrhundert ein gern genutztes Stilmittel war (sprich es hat schon einige Jährchen mehr auf den Buckel) und besagte Autorin das Rad nicht neu erfunden hat, so behaupte ich dennoch: Nein, nicht jede Szene muss mit einem "Ja" oder "Nein, aber ..." Desaster enden.
Ich bin schon davon überzeugt, dass es auch Situationen gibt, in denen der Prota den einen oder anderen Erfolg am Ende einer Szene vorweisen kann, dann weiter durch die Geschichte wandert und da dann plötzlich etwas passiert.
Natürlich sollen Konflikte die Geschichte aufrechterhalten, und natürlich ist es ein legetimes Stilmittel, einen Konflikt zu verschlimmern bzw. mit anderen zu verknüpfen (ein gutes Beispiel dafür ist der Song "Freitag der 13. von Reinhard May) oder auch einen Konflikt lösen, wobei dann aber 2 - 3 neue dadurch auftauchen. Diese Methode ist übrigens ein sehr beliebtes Stilmittel bei den Drei Fragezeichen.
Aber ein stets und ständiges: Jetzt bekommt Held "aufs Maul" (symbolisch gesehen) und in der nächsten Szene erneut. Und dann wieder. Und schließlich nochmal. Und weils so schön ist, passiert das in den weiteren 27 Szenen ebenfalls.
Selbst im richtigen Leben passieren positive Dinge, lösen sich Konflikte mal in Wohlgefallen auf. Seinem Prota jedoch keine Ruhe zu gönnen und  immer nur "Hau drauf" ist in meinen Augen ein falsches Stilmittel.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Aphelion am 01. Juni 2018, 15:02:21
Ich finde, dass eine gewisse Spannung auch am Ende der Szene wichtig ist, aber ich finde es falsch, diese Spannung auf drei Varianten reduzieren zu wollen (oder krampfhaft alle Möglichkeiten einer der drei Varianten zuordnen zu wollen).

Darüber hinaus ist Spannung um der Spannung Willen nicht immer sinnvoll. Manche Szenen können fast komplett für sich stehen - und das ist auch in Ordnung so. Ich finde es sogar schade, wenn Lesenden nur noch ein Gefühl von schneller-höher-schöner-weiter-schlimmer-dramatischer vermittelt werden soll. Sollen wir die Leute jetzt auch noch in den Literatur-Burnout treiben? :d'oh: ;)

Der Ratgeber beschreibt ganz klar eine bestimmte Art von Literatur. Literatur kann aber auch ‌in Momenten verweilen. Die Kunst besteht mMn darin, die richtige Mischung zu finden, wobei "richtig" je nach Stil, Thema, Handlung und angestrebtem Effekt verschieden sein kann.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Alana am 01. Juni 2018, 15:09:48
ZitatIch finde es falsch, diese Spannung auf drei Varianten reduzieren zu wollen (oder krampfhaft alle Möglichkeiten einer der drei Varianten zuordnen zu wollen).

Ich auch, aber da muss ich jetzt das Buch mal verteidigen, das übrigens einer der tollsten, hilfreichsten Schreibratgeber ist, die ich kenne. Es geht nicht darum, irgendwas zu reduzieren, es geht darum, Autoren einfache, leicht merkbare und gut anwendbare Tipps an die Hand zu geben. Das hat Cathy hier gemacht und wenn man den Sinn dahinter als das Wichtige erkennt, dann kann man diese Regel für sich im Kopf behalten, ohne verkrampft einem dogmatischen Schema zu folgen, was niemals Cathys Rat und auch nicht ihre Absicht ist. Wer Ratgeber oder generell Tipps mit dem Wunsch studiert, feste Regeln zu finden, die immer gleich sind, geht falsch an die Sache ran. Was man versuchen kann, ist, sich ein Repertoire an Leitlinien zuzulegen, die einem helfen, die eigene Story auf Schwachstellen abzuklopfen und sie so gut wie möglich zu schreiben. Und genau das will Cathy hier auch tun.

ZitatSollen wir die Leute jetzt auch noch in den Literatur-Burnout treiben?

Da allerdings stimme ich dir absolut zu. Ich kann Bücher nicht ausstehen, die mich von einer Katastrophe in die nächste hetzen und empfinde den Tipp einiger Ratgeber, dass alles von Kapitel zu Kapitel schlimmer werden muss, als absolut kontraproduktiv. Aber diese groben Anhaltspunkte, die Cathy liefert, lassen sich auf alle Arten von Romanen anwenden, wenn man sie abstrahiert. Nicht immer, denn natürlich ist sie auch nicht perfekt und manchmal ist es schwer, ihre Regeln auf alles anwenden zu wollen. Aber das muss man ja auch nicht und das verlangt sie auch nicht. Dann muss man sich eben nach anderen Möglichkeiten umsehen und vielleicht noch weitere Ratgeber lesen oder in Foren diskutieren. Von wegen Burn-Out: wie ich oben schon beschrieb, was das sogenannte Desaster am Ende einer Szene darstellt, kann vollkommen unterschiedlich und gar nicht desaströs sein. Es können auch winzige Details sein, die nicht mal dramatisch sind. So lange sie den Leser wirklich interessieren und dadurch die Spannung hochhalten.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 01. Juni 2018, 15:18:06
ZitatIch kann Bücher nicht ausstehen, die mich von einer Katastrophe in die nächste hetzen und empfinde den Tipp einiger Ratgeber, dass alles von Kapitel zu Kapitel schlimmer werden muss, als absolut kontraproduktiv.

Mal davon abgesehen, dass, wenn einem nur Katastrophen und Schicksaslsschläge einfallen, um Spannung zu erzeugen, man sowieso eine ganzes Spektrum an Emotionen außer Acht lässt.
Ich denke jeder Wandel (sei es nun ein Twist, zusätzliche Infos oder eine charakterliche Weiterentwicklung, o.ä.) tut hier grundlegend den Dienst, insoweit er neue Fragen aufwirft. Zum Beispiel kann auch die Tatsache, dass sich zwei Figuren, die der Leser schon seit langem zusammen sehen will, endlich zusammenkommen, Spannung erzeugen, weil man weiß, dass das Zusammenkommen und das Zusammenbleiben zwei sehr unterschiedliche Dinge sein können - Wie geht es mit denen weiter? Wie werden die anderen Figuren reagieren?
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Trippelschritt am 01. Juni 2018, 16:34:43
Zitat von: Arcor am 01. Juni 2018, 12:26:36
Kann mir da jemand auf die Sprünge helfen? Verstehe ich diesen Punkt des Schreibratgebers falsch oder plotte ich falsch?  ??? Und schreibt ihr wirklich nur Szenen, die im Desaster enden?

Es sind schon zu viele Tipps gekommen, als dass ich sie alle noch durchlesen kann, aber die Antwort (oder der Sprung) ist einfach. Der Rat des Ratgebers ist falsch. Möglicherweise einer Übersptizung geschuldet. Richtig ist, dass viele Szenen - oder die nomale Szene, denn es gibt auch noch jede Menge anderer - eine Art Roman im Kleinen ist. Er hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende und einen eigenen Spannungsbogen. Und damit auch jede Art von Romanabschlüssen, die man sich denken kann. Und der spektakulärste ist der große Knall.

Eine Szene ist eine durch einen Konflikt ausgelöste Handlungseinheit - im Idealfall ein Storyereignis. Wenn man dieser Definition (McKee) folgt, ist man auf einem guten Weg. Aber es gibt auch noch eine andere Emopfehlung, die etwas mit Dynamik und Tempo zu tun hat. Auf eine Aktionsszene sollte eine Entspannungsszene folgen. Wenn man das wörtlich nimmt und als Schema versteht, geht es auch daneben. Aber Tempo und Ruhe müssen miteinander abwechseln. sonst ist der Text ermüdend. "Entspannungsszene" wäre nun ein Widerspruch in sich. Und schon feängt das Regelwerk an zu wackeln.

Ich orientiere mich daran, dass jede Szene eine Einheit in Raum und/oder Zeit sein soll, in der der Plot weitergeführt wird. Das bedeutet auch, dass jede Szenen eine ganz klare Funktion innerhalb des Storyplots hat. Die Form der Szene ergibt sich aus der Funktion. Sie wird also meist in gewisser Weise abgeschlossen sein (hat Anfang, Mitte und Ende) und führt den Plot weiter. Und da hören für mich die allgemeinen Verbindlichkeiten bereits auf.

Man kann eine Szene aber auch ganz anders sehen. Das will ich nicht verschweigen.

liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Arcor am 01. Juni 2018, 18:55:58
Zitat von: Araluen am 01. Juni 2018, 13:37:05
In deinem Szenenbeispiel arbeitest du stark mit Suspense, so wie es @Cailyn schon angesprochen hat. Gut, das Diebesrgut wird nicht gefunden, aber er hat immernoch Diebesgut dabei. Für den Leser ist es nur eine Frage der Zeit, bis er auffliegt (Suspense). Weder für Leser noch für POV sinkt die Spannung. Schließlich weiß auch der POV, dass er Diebesgut dabei hat und bei der nächsten Gelegenheit damit auffliegen kann. Richtig aufgelöst wird das Ganze erst, wenn er das Diebesgut los wird. Außerdem hast du bei der Betrachtung deines Beispiels das Pferd ein wenig von hinten aufgezäumt, weshalb es so wirkt, als hättest du kein Desaster. Es ist aber da  ;D
ZitatEin Prota von mir möchte mit seinem Schiff fortsegeln, hat aber Diebesgut an Bord und sein Schiff soll durchsucht werden. Dass er das Diebesgut noch an Bord hat, ist später relevant und soll da Nachteile mit sich bringen (sprich Desaster). In der Szene soll er aber Erfolg haben, das Diebesgut verstecken und ungeschoren davonkommen (ergo kein Desaster).
Das Ziel deines Protas in der Szene ist nämlich nicht, nicht mit dem Schmugglergut aufzufliegen. Sein Ziel ist es das Hafenbecken, vermute ich mal, auf einem Schiff zu verlassen.  Du schreibst ja selbst: Prota möchte mit einem Schiff fortsegeln. Das ist das Ziel. Das Diebesgut ist ein Attribut, was du erst danach noch hinzugefügt hast, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen. Das ist ihm gelungen, ABER das Schiff wurde durchsucht. Er hat seinen Preis gezahlt, die Zeitverzögerung und verdammt viel Adrenalin vermutlich während er dem "Beamten" hinterherdackelte. Das mag nur minimal sein und keine Katastrophe im eigentlichen Sinn, aber es ist ein kleines Desaster, das die Suspense und damit die Spannung hoch treibt. Denn der Leser weiß nun, was dem Prota jederzeit wieder blühen kann, solange er sein Diebesgut dabei hat und dass es beim nächsten Mal schlecht ausgehen kann. Jetzt will er wissen, ob er es wirklich schafft, sein Ziel zu erreichen.
Ein voller Erfolg wäre es gewesen, wenn er aufs Schiff gegangen und los gesegelt wäre, ohne, dass ihn irgendwer auch nur dabei angeschaut hat. Und ich bin mir ziemlich sicher, dann würde niemand mehr weiterlesen.

Ich glaube, mit dem hervorgehobenen Teilsatz hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich gewinne den Eindruck, dass ich weniger ein Problem mit dem Desaster und dem Yes but/No/No and furthermore habe, sondern vielmehr mit den Zielen der einzelnen Szenen. Meine Formulierung beim Plotten für das Ziel der Szene wäre nämlich genau gewesen "Nicht mit dem Diebstahl auffliegen". Da habe ich dann ein Problem mit dem Desaster, weil der Prota das ja schaffen soll. Wenn ich aber, wie du vorschlägst, das Ziel verändere, kann ich ein Yes, but daraus machen.
Offenbar muss ich mehr meine Ziele überprüfen.  :d'oh:
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Alana am 01. Juni 2018, 22:48:52
Dass die Ziele das wahre Problem sind - die Erkenntnis hab ich auch schon oft gehabt. ;D Das richtige Ziel für Figuren, den Roman und einzelne Szenen zu finden, ist oft sehr schwer.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Malinche am 01. Juni 2018, 22:49:41
Zitat von: Alana am 01. Juni 2018, 22:48:52
Dass die Ziele das wahre Problem sind - die Erkenntnis hab ich auch schon oft gehabt. ;D Das richtige Ziel für Figuren, den Roman und einzelne Szenen zu finden, ist oft sehr schwer.
Exakt das wollte ich auch gerade schreiben.  ;D
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Cailyn am 02. Juni 2018, 06:19:33
Zitat von: Dämmerungshexe am 01. Juni 2018, 15:18:06
ZitatIch kann Bücher nicht ausstehen, die mich von einer Katastrophe in die nächste hetzen und empfinde den Tipp einiger Ratgeber, dass alles von Kapitel zu Kapitel schlimmer werden muss, als absolut kontraproduktiv.

Mal davon abgesehen, dass, wenn einem nur Katastrophen und Schicksaslsschläge einfallen, um Spannung zu erzeugen, man sowieso eine ganzes Spektrum an Emotionen außer Acht lässt.
Ich denke jeder Wandel (sei es nun ein Twist, zusätzliche Infos oder eine charakterliche Weiterentwicklung, o.ä.) tut hier grundlegend den Dienst, insoweit er neue Fragen aufwirft. Zum Beispiel kann auch die Tatsache, dass sich zwei Figuren, die der Leser schon seit langem zusammen sehen will, endlich zusammenkommen, Spannung erzeugen, weil man weiß, dass das Zusammenkommen und das Zusammenbleiben zwei sehr unterschiedliche Dinge sein können - Wie geht es mit denen weiter? Wie werden die anderen Figuren reagieren?

Ich sehe das ähnlich wie Dämmerungshexe. Schlimmer werden heißt ja nicht, dass es unglaublich schlimme Dramen sein müssen. Das kann auch ein neuer Twist sein oder weitere Fragen, die aufgeworfen werden. Außer dem geht es bei schlimmer ja meist auch um die Fallhöhe, die man subtil erhöhen kann. Das muss ja kein Paukenschlag sein nach jeder Szene oder jedem Plotpoint. Ich meine, wenn ein Prota zum Beispiel in Bedrängnis gerät, muss er nicht nach jeder Szene einen Finger weniger an der Hand haben. Die Bedrängnis kann aber z.B. verdichtet werden, indem sie spürbarer wird oder indem das, was ihn bedrängt ein Gesicht bekommt. Das ist auch schon "schlimmer", auch wenn gar kein neues Drama passiert.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: FeeamPC am 02. Juni 2018, 09:23:18
Das Desaster am Ende der Szene kann etwas so einfaches sein wie : Endlich sehe ich den Traummann meines Lebens, und er geht einfach vorbei, ohne von mit Notiz zu nehmen.
Oder: Zukünftige Schwiegermutter steht vor der Tür, und während ich öffne, brennt das Essen an.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Gizmo am 02. Juni 2018, 11:46:15
Der Begriff 'Desaster' ist mir nun schon in zwei Schreibratgebern untergekommen, in einem Vortrag meiner Autorengruppe war es die 'Katastrophe'. Ich denke ein Problem ist auch, dass diese reißerischen Begriffe dafür verwendet werden, die manche Autoren dann wörtlich nehmen. Wenn die Eier ausverkauft sind, ist das keine Katastrophe, und sobald man nachhakt, darf man den Begriff dann auch nicht wörtlich nehmen. Das finde ich irreführen, vor allem für Anfänger, an die sich diese Werke oft richten.
Ich habe erst letztens für eine Autorin testgelesen, die das absolut verinnerlicht hatte. Jede Szene zwischen dem männlichen und weiblichen Hauptcharakter endete in einer Eskalation, bis das Drama am Ende überhaupt keine Wirkung mehr hatte und ihre Beziehung absolut unglaubwürdig war - das Gegenteil der beabsichtigten Spannung.

Ich hoffe, dass ich mit meiner Meinung richtig liege, dass es genügt, wenn eine Szene Charakterentwicklung und / oder neue Informationen enthält. Dazu gehören nämlich ruhige Szenen, die ich in einem dramatischen Setting mit reichlich Schicksalsschlägen auch gerne lese, um kurz zur Ruhe zu kommen. Ständig von einer Katastrophe in die nächste gejagt zu werden, laugt mich als Leser aus, und ich will mich auch nicht permanent deprimiert fühlen. Davon nehme ich natürlich reine Dramen und Tragödien aus, deren Punkt ja gerade die Katastrophe ist.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Topaz am 04. Juni 2018, 22:13:14
Im Augenblick übe ich mich darin, am Ende der Szenen einen Cliffhanger zu schreiben. Wenn ich mir so durchlese, was hier als "Desaster" definiert wird, passt das mal besser mal weniger gut.
Gibt es eine Abgrenzung zwischen Cliffhanger und Desaster am Szenenende, oder ist beides das Gleiche nur das die Wörter aus verschiedenen Sprache stammen?
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Fianna am 04. Juni 2018, 23:01:14
Ich habe es so verstanden, dass es 2 verschiedene Dinge sind. Das Desaster kann ein Cliffhanger sein, aber es gibt auch Ende  ohne Cliffhanget, die das Kriterium "Desaster" erfüllen.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Alana am 04. Juni 2018, 23:08:33
Na ja, ich denke, das Ziel des Desasters am Ende ist es ja gerade, einen mehr oder weniger fiesen Cliffhanger zu produzieren.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Araluen am 05. Juni 2018, 06:14:36
Beim Cliffhänger lässt man den Leser am ausgestreckten Arm verhungern und zwingt ihn so direkt weiterblättern zu wollen. Dazu wirft man entweder dramatische Erkenntnisse auf, lässt die Auswirkung aber offen - Bsp: Prota erfährt, dass sie adoptiert ist. Wie sie darauf reagiert, erfährt der Leser aber nicht direkt.
Oder man beendet fie Szene an der Climax. Im Falle unseres Beispiels mit dem Schiff würde die Szene enden, sobald der Hafenmeister das Schiff zur Durchsuchung betritt. Aufgabe des Clifffhängers ist es, den Spannungsbogen maximal anzuziehen.
Das Desaster hingegen hat lediglich Aufgabe den Spannungsbogen unter Spannung zu halten. Das Desaster sorgt dafür, dass eine Szene nicht zur vollkommenen Zufriedenheit aufgelöst wird.
Von daher würde ich sagen: jeder Cliffhänger ist ein Desaster aber nicht jedes Desaster ist ein Cliffhänger.
Oder würdet ihr das Fehlen von Eier im Supermarkt als Cliffhänger bezeichnen? ;) Ein Desaster ist es für Tom aber allemal ;)
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Alana am 05. Juni 2018, 09:36:48
Lass es mich anders ausdrücken: Wenn das Desaster nicht mindestens einen kleinen Cliffhanger erzeugt, hat es für mich den Zweck verfehlt. Denn es soll ja genau bewirken, dass der Leser unbedingt weiterlesen will. Ein Cliffhanger muss kein Desaster sein, aber ein Cliffhanger sollte immer da sein. Und der Weg über das Desaster und die Bedeutung dessen für die Figur, hilft, den roten Faden gespannt zu halten und keine "billigen" Cliffhanger zu nehmen, die nicht tief in der Geschichte fußen. Das macht die Dramaturgie besser, sowohl in der einzelnen Szene, als auch im gesamten Roman. Meiner Meinung nach jedenfalls.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Alana am 05. Juni 2018, 09:40:55
Sorry, zitiert statt editiert.  :versteck:
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Trippelschritt am 05. Juni 2018, 09:56:23
Seid mir nicht böse, dass ich da widerspreche. Nicht in dem Wunsch, der Leser möge bitte weiterlesen. Sondern in der Annahme, das ließe sich ausschließlich über Cliffhanger erreichen. Zunächst einmal weiß ich aus einer halbvergessenen Forumsumfrage, dass sich nicht alle Leser durch Cliffhanger ködern lassen. Einige hassen sie sogar. Zum anderen kenne ich mein eigenes Leseverhalten. Jede Szene, die mit einem Cliffhanger endet, würde mich spätesten nach dem ersten Viertel das Buch zuklappen lassen und nie mehr anfassen. Wegen toxischer Langeweile.

Beim Drehuchschreiben gibt es den Ratschlag, jede Szene wie ein kleines Drehbuch zu betrachten mit Anfang, Mitte, Ende. Die Idee gefällt mir gut. Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, wieviele Arten von Enden es so gibt, dann kann ich als Autor auch wählen. Was spricht gegen ein Happy End in einer Szene, wenn es noch dreißig weitere offene Handlungsfäden gibt, von denen die Hälfte lebenbedrohlich ist. Hach, endlich einmal durchatmen ... Oder ein offenes Ende, das mich zu Nachdenken bringt, obwohl klar ist, dass der Autor sich weigert, Stellung zu beziehen.

Wenn also Cilffhanger der Abschluss meiner Wahl ist, dann sollte ich wissen, wo die Vorteile und wo die Nachteile eines solchen Szenenabschlusses iegen. Ich persönlich gehe sparsam mit Cliffhangern um, benutze sie aber in jeder meiner Geschichten. Aber das Geschmacksache.

Liebe Grüße
Wolf
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 05. Juni 2018, 12:30:14
Ich glaube wir hängen und hier etwas zu sehr an der Terminologie auf - "Desaster" und "Cliffhanger" sind einfach Extreme. "Desaster" dazu auch noch im negativen Sinne.

Ich würde ja sagen, es geht hier um "offene Fragen". Ob das jetzt ist: "Wird mein Held überleben?" oder "Wie können sie die Welt noch retten?" oder einfach "Ob der nette Nachbar von nebenan vielleicht mit einem Ei aushelfen kann?", ist an sich vollkommen egal, solange sie jeweils gut verpackt sind.

Für das Gesamtwerk wird wohl eine ausgewogene Mischung zwischen existentiellen Fragen und Nebensächlichkeiten das Gesündeste sein.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Alana am 05. Juni 2018, 13:41:59
Die Umfrage bezog sich meines Wissens nach nicht auf einzelne Szenen, sondern auf ganze Bücher, oder? Abgesehen davon stimme ich Dämmerungshexe zu. Wurde ja hier auch nun mehrfach schon erwähnt, dass diese Begriffe nicht dogmatisch, sondern als Konzept und übergreifender Begriff für verschiedene Möglichkeiten zu sehen sind.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Churke am 05. Juni 2018, 13:51:56
Beim Cliffhanger blendet man just in dem Moment aus, in dem der Held in einer aussichtslosen Lage "an den Klippen hängt".
Da der Held das wahrscheinlich nicht so geplant hat, geht dem Cliffhanger typischerweise ein Desaster voraus. Da ist irgendetwas übelst schief gegangen.

Ein Desaster an sich bedeutet noch keinen Cliffhanger. Wenn ich mit stolz geschwellter Brust in die Prüfung gehe und als Häufchen Elend wieder raus komme, ist die Lage geklärt.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Arcor am 05. Juni 2018, 14:01:58
Zitat von: Alana am 05. Juni 2018, 13:41:59
Die Umfrage bezog sich meines Wissens nach nicht auf einzelne Szenen, sondern auf ganze Bücher, oder? Abgesehen davon stimme ich Dämmerungshexe zu. Wurde ja hier auch nun mehrfach schon erwähnt, dass diese Begriffe nicht dogmatisch, sondern als Konzept und übergreifender Begriff für verschiedene Möglichkeiten zu sehen sind.
Stimmt, ich war besonders darüber gestolpert, dass jede Szene im Desaster enden sollte, wobei sich mein Problem durch das aufgeführte weite Verständnis des Begriffs "Desaster" und die Diskussion über das richtig gewählte Ziel für den POV der Szene ziemlich geklärt hat.

Zum Cliffhanger: Ich würde das auch als zwei Dinge ansehen. Ein Cliffhanger ist ja nur ein Szenen- oder Kapitelende, der so gesetzt ist, dass der Leser ohne wichtige Informationen dasteht, wie es weitergeht - im klassischen Fall halt das Hängen an der Klippe. Ein Desaster kann dagegen auch ein sehr viel weniger dramatischeren Umfang haben.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Topaz am 05. Juni 2018, 21:58:53
Dankeschön @Fianna, @Alana, @Araluen, @Trippelschritt, @Dämmerungshexe, @Churke, @Arcor für eure Meinungen und Beispiele.

Für mich nehme ich jetzt mit:
Desaster ist etwas das nicht so läuft, wie der Held es plant / sich wünscht / erwartet. Wobei das Desaster nicht das Ende der Szene sein muss. Danach kann noch ein Absatz oder mehr kommen, der zeigt, dass es doch noch eine Chance gibt und somit einen positiven Abschluss für die Szene bildet.
Cliffhänger ist, wenn ich in dem Moment die Szene beende, in der es aussichtslos erscheint aus dem Desaster irgendwie wieder raus zu kommen.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Koboldkind am 08. Juni 2018, 17:22:24
Danke für den durchdiskutierten Exkurs. Die Sache mit "Szenenende = Desaster" ist mir auch schonmal untergekommen, habe es aber so noch nicht angewendet, dazu müsste ich mal einen Plot in entsprechende Szenen unterteilen bzw. beim Editieren damit arbeiten.
Mich hat zu Anfang des Threads auch die gewisse Drastik des Ratgebers irritiert. Nur drei Möglichkeiten? Ständig Spannung hoch halten? Wie kommen dann Kennenlernszenen da rein? Halt, welche Art von Spannung ist überhaupt gemeint? Und welchen Umfang von Szenen meint man?

Ich lenke mal vom Thema ab und verweise auf den Dreiakter. Ich denke, jeder Autor nutzt es, sprechen wir doch immer von Anfang, Mitte, Ende. Das wäre für mich der erste Ansatzpunkt, zu gucken, ob hier ein plotübergreifendes Desaster/ein Konflikt/ein Wendepunkt (ich glaube, ich mag das Wort weiter verwenden, es ist nicht so dramatisch und vorbelastet) auftaucht. Die Rebellen erfahren von einer Person, die helfen könnte, die neun Gefährten werden gegründet, Auftakt und eher viel Worldbuilding, wo ich persönlich jetzt auch nicht sehe, wo da kleinere Wendepunkte im ersten Akt liegen könnten. Wenn ich allerdings den ersten Akt ausbreite sehe ich schon, dass hier anders gefärbte Szenen sind, eben die Aufstellung der Leute und das Worldbuilding (Wie, Frau darf keine Kriegerin sein? Desaster.).
Okay, wenn ich so darüber nachdenke bekomme ich weniger Angst vor den Worten "Jede Szene (Wie, auch die kürzeste?!) muss mit einem Desaster enden!", wenn ich mich erstmal von Oben her einarbeite.
Weiterer Gedanke: Mehrere Handlungsstränge. Okay, wenn nur ein PoV dabei ist, ist der Chara definitiv ständig unter Strom - Löst sich das Familienproblem, taucht der Boss auf, kriegt er die Eier, ist dafür zuhause die Milch umgekippt. Wenn ich mir eine Story mit mehreren PoVs vorstelle, denke ich, wäre ich als Leserin damit bedient, dass mal in dieser Handlung, mal in jener gerade die Katastrophe blüht, dafür haben die anderen dann Zeit zu verschnaufen. Der Gedanke verschaft mir als Autorin ein bisschen Gelassenheit.

Und was soll das mit dem Ziel? Charakter will hier ein Ziel erreichen, ich würde ergänzen "Ein Ereignis vermeiden" ist auch ein Ziel. Das zu ergänzen macht es mir etwas leichter zu verstehen.
Ich habe über eine kürzliche Szene nachgedacht: Protagonistin lernt zwei Fremde kennen, andere Kultur, sie wird von ihrem Volk bestraft, wenn die irgendwelche Fraternisierung riechen. Sie kann aber nicht anders, es wird schon niemand erfahren. Vielleicht ist der Wendepunkt hier die sich anbahnende Veränderung in der Geisteshaltung, offenen Auges darauf zu zusteuern. Die Szene ist ruhig, man ist neugierig, aber hier explodieren keine Autos oder entpuppen sich Freunde als Verräter, es gibt keinen Cliffhanger. Wäre das eine Szene nach dem Desaster-Modell?
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Araluen am 08. Juni 2018, 20:44:58
Das Desaster hat nichts mit Action zu tun zumindest nicht zwangsläufig. Auch ruhige Szenen kann man nach dem Grundsatz aufziehen.
Die Frage ist: wie gehtdeine Szene aus? Was macht dieses Beschnuppern mit deiner Prota? Ich vermute mal, sie stellt sich die ein oder andere Grundsatzfrage. Zumindest wäre ich sehr enttäuscht, wenn sie nach dem Trefen heim gehtund morgen ist alles wie bisher. Dann hätte das Treffen auch wegbleiben können.
So kommt bei dieser Szene ein ja, aber heraus. Ja Prota hat es geschafft die Fremden kennen zu lernen und sie sind sogar nett, aber ihr Weltbild dürfte jetzt einige Risse haben (Fragen) oder sie muss nun befürchten, dass sie gesehen wurde und verraten wird (Suspense oder klar formulierte Bedrohung). Spannung für den Leser bleibt - Desaster check.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Trippelschritt am 09. Juni 2018, 13:47:15
Mir ist nicht wohl bei dieser Diskussion. Desaster bedeutet  Katastrophe, was in verschiedenen Ausprägungen gedeutet werden kann wie als gewollte Übertreibung etc. Aber ein Autor sollte neben ausdrucksstark vor allem präzise sein und klar in der Bedeutung. Und was wir hier machen ist eine alte Erkenntnis (Eine Szene ist eine Einheit mit Anfang, Mitte und Schluss, die die Handlung weitertreibt) mit einem so schiefen Begriff verzieren, dass wir hinterher alle möglichen Beispiele uminterpretieren müssen, um sie mit dem neu gewählten Begriff für das Szenenende wieder übereinstimmt. Was ist damit gewonnen, frage ich mich. Und die Antwort liefere ich auch gleich mit. Nichts. Außer der Vernebelung eines uralten Ratschlages bis hin zur völligen Verwirrung. Wenn man schon neue Begriffe einführt, dann sollten sie meiner Meinung nach besser sein als die alten und nicht diffuser.

Aber wahrscheinlich stehe ich mit dieser Ansicht auch wieder allein auf der Flur.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Gizmo am 09. Juni 2018, 14:18:57
Zur Frage was damit gewonnen ist:
Wenn man ein wenig zynisch denkt, könnte man sagen: Man kann einen uralten Ratschlag mit einem grellen Begriff für einen Schreibratgeber neu verpacken. Anschließend hält man Kurse für die verwirrten Leute oder ist zumindest im Gespräch. Insofern hat es wunderbar funktioniert, denn der Begriff 'Desaster' stammte ja aus dem Buch 'Rock Your Writing' von Cathy Yardley und nicht von Arcor selbst. Wir haben also darüber geredet und kennen nun zumindest sie und den Titel ihres Buches, im Gegensatz zu einer Unmenge anderer Schreibratgeber, die es gibt.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Koboldkind am 09. Juni 2018, 16:37:05
@Araluen: So habe ich es mir dann auch erklärt. Die Leute sind Punkt 1 von 3 für ihre letztliche Entscheidung, sich doch zu ändern, aber - um auf die Definitionsfrage von Desaster zu kommen - wirkt es beim ersten Überlegen eben nicht wie ein Desaster.
Trippelschritt, ich bin da voll bei dir. Vorhin habe ich Wendepunkt gesagt, vielleicht steht in anderen Ratgebern auch einfach das Wort "Problem am Ende jeder Szene". Vielleicht ist das Wort wie Gizmo sagt der Vermarkung und dem "Höher, Schneller, Brutaler, Transformers!" geschuldet, der Angst, keine Aufmerksamkeit mehr zu ziehen, wenn man nicht zu drastischen Beschreibungen greift. Daher auch meine obigen Ausführungen der Annäherung - ich fühle mich wahrscheinlich wie die anderen verwirrten Leute im Kurs.

Aber zurück zum Threadthema:
Ein Beispiel aus einem anderen Kurs ist mir eingefallen. Theorie war, dass ein Mensch nur ein Problem hat, wenn er auch ein ZIel hat.
Eine Kurskollegin hat von einem verheirateten Freund erzählt, der eine Affäre hat und damit scheinbar ganz glücklich ist, an der aktuellen Situation mag er nichts ändern. Also hat er kein Problem? Im Gespräch sind wir dann darauf gekommen, dass er sehr wohl ein Problem hat, nämlich jeden Tag, den er seine Affäre treffen möchte und die ganzen Gefahren aus dem Weg räumen muss. Also kein großes Problem, sondern ein "kleines", alltägliches.
So verstehe ich für mich nun auch, dass das "Desaster", das Problem am Ende der Szene ganz unterschiedlich sein kann. Das Wort Desaster klingt nach "Gefährte stirbt/wendet sich ab, Prota gefangen, bekommt keine INformation, ein neues Problem lenkt vom Hauptplot ab", solche großen Sachen, da wo die Spannung schon aus den Worten trieft. Ich denke, das ist noch etwas, das mich in der Eingangsbeschreibung in eine Richtung gelenkt hat: "Die Spannung oben halten". Wie sieht diese Spannung aus? Ich bin ein Abenteuerorientierter Autor, darum Verfolgungsjagden, Kämpfe, Wut und andere Starke Emotionen! Darum bin ich auf das Beispiel mit dem Kennenlernen der Fremden gekommen. Es ist zu ruhig, es ist eine Szene mit Unsicherheit und Verwirrung, alles, was für mich nicht sofort nach Spannung riecht.

Meine Conclusion: Desaster = Problem, und das kann jede Farbe, Gefühl und Stärke haben. Wenn ich mir das beim Prüfen meines Plot/Textes vor Augen halte, denke ich kann ich mit dem Tipp wirklich gut Arbeiten und würde sagen "Ja, ist notwendig. Aber es hat verschiedene Formen"  ;)
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: FeeamPC am 14. Juni 2018, 17:18:38
Vielleicht sind wir hier nur von einer falschen Übersetzung ausgegangen (desaster = Katastrophe).
Desaster kann auch etwas anderes bedeuten: an event or fact that has unfortunate consequences.
Also ein Ereignis oder eine Tatsache mit negativen Konsequenzen.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Arcor am 15. Juni 2018, 09:08:38
Zitat von: FeeamPC am 14. Juni 2018, 17:18:38
Vielleicht sind wir hier nur von einer falschen Übersetzung ausgegangen (desaster = Katastrophe).
Desaster kann auch etwas anderes bedeuten: an event or fact that has unfortunate consequences.
Also ein Ereignis oder eine Tatsache mit negativen Konsequenzen.
So verstehe ich es inzwischen auch und so hat Alana es ja auch immer erklärt. Desaster ist nicht der halbe Weltuntergang, es geht eher darum, dass der Konflikt zugespitzt wird oder zumindest die Spannung nicht abfällt. Ein Prota kann ruhig Erfolg haben (ein ewiges Scheitern ist auch ermüdend), aber es darf nicht so ein Erfolg sein, dass man glaubt, jetzt reitet er glücklich in den Sonnenuntergang und alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Es muss Konsequenzen haben oder Fragen aufwerfen oder neue Informationen liefern, die weitertragen, oder auch einfach schlicht zu einer Reaktion führen.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Araluen am 15. Juni 2018, 09:20:44
Genau das erkläre ich auch seit Anfang an - daher auch mein völlig blödes Beispiel mit den Eiern und dem Geburtstagskuchen  ;D
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Arcor am 15. Juni 2018, 09:43:29
Zitat von: Araluen am 15. Juni 2018, 09:20:44
Genau das erkläre ich auch seit Anfang an - daher auch mein völlig blödes Beispiel mit den Eiern und dem Geburtstagskuchen  ;D
Sorry, Araluen, ich habe jetzt nur Alana aufgezählt. Wollte dich und all die anderen, die hier mein ursprüngliches Grundproblem mitgelöst haben, nicht übergehen.  :versteck:
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Araluen am 15. Juni 2018, 11:33:45
Alles gut @Arcor :knuddel: Du brauchst dich deshalb nicht verstecken ;)
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Silvia am 15. Juni 2018, 19:34:38
Ich hab mal eine alte "Textart" rausgekramt, in der ich vor Jahren auch mal über dieses Thema gestolpert bin und den Artikel ziemlich aufschlussreich fand. Es war mir damals so noch recht neu in der Betrachtung. Von großen bösen Desastern reden die dort auch nicht, eher von der Art, ob und wie der Perspektivträger am Ende der Szene sein Ziel erreicht. Der Perspektivträger soll in jeder Szene ein Ziel haben, dem Widerstände entgegenstehen, und am Ende gäbe es ein Ergebnis. Die Antwort auf die Frage, ob das Ziel erreicht wird, soll nicht einfach nur "ja" lauten, sondern:
a) "Nein."
b) "Ja, aber ..." (Ziel mit Einschränkungen erreicht) oder
c) "Nein, und außerdem ..." (Mach es noch schlimmer. Das Ziel wird nicht erreicht und außerdem kommen noch weitere Probleme hinzu.)
Eine Lösung mit der Antwort "Ja" gehöre erst ans Ende des Buches.

Das klingt jedenfalls nicht ganz so dramatisch. :-) Mir selbst kommt das auch näher, da ich Bücher, die nur auf Action und eine noch immer schlimmere Szene an der anderen dran ausgerichtet sind, irgendwann als stressig empfinde. Ich brauche auch mal ruhige Szenen und Charaktermomente dazwischen.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Araluen am 15. Juni 2018, 19:45:41
Genau das sagt Cathy Yardly ja auch. Nur benutzt die dafür halt das unglücklicj aufgeladene Wort desaster.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Kerstin am 16. Juni 2018, 08:54:08
Zitat von: Araluen am 15. Juni 2018, 19:45:41
Genau das sagt Cathy Yardly ja auch. Nur benutzt die dafür halt das unglücklicj aufgeladene Wort desaster.
Ich persönlich finde es eigentlich nicht unglücklich aufgeladen, vor allem, da sie Desaster nicht benutzt - oder gibt es inzwischen eine Übersetzung? (Ehrlich gemeinte Frage - dann nehme ich alles zurück).
Das Buch ist doch in englisch, sie schreibt von "disaster" (man beachte die andere Schreibweise) und da ist es logisch, dass sie dieses Wort benutzt. Dass wir im Deutschen ein ähnlich klingendes Wort mit deutlich eingeschränkterer Bedeutung haben, und viele einfach falsch übersetzen, ist ja nicht ihr Fehler.
Sobald man sich aber an die korrekte Übersetzung des Wortes hält, die eben bereits bei "Missgeschick" anfängt und irgendwann viel später beim Desaster endet, passt es doch.

Und ja, ich finde diesen Rat sehr hilfreich, deutlich leichter zu merken, als alle anderen Erklärungen, und versuche ihn bei allen meinen Geschichten anzuwenden.
Das hat ja auch gar nichts mit dem Tempo der Geschichte zutun. "Die Geschichte der Bienen" kann man nun wirklich nicht als tempogeladen bezeichen, dennoch finde ich, dass es dort perfekt umgesetzt wurde.

Nachtrag: Prinzipiell finde ich es aber immer unglücklich, wenn man nur einen einzelnen Merksatz aus einem Buch zur Diskussion stellt, obwohl da immer deutlich mehr Erläuterungen zu existieren. Solche Merksätze sind doch nichts anderes als Eselsbrücken, damit man sich das gesamte Thema wieder in Erinnerung ruft.
Wenn man also nur die "Eselsbrücke" diskutiert, tut man in meinen Augen solchen Ratgebern unrecht. (Ich weiß, dass es im Ausgangspost genauer dargestellt wird, aber ich habe den Eindruck, dass sich momentan nur auf das "Das Desaster am Ende jeder Szene" konzentriert wird.)

Nachtrag 2: Übrigens finde ich gerade Harry Potter ein perfektes Beispiel für eine sehr gute Umsetzung von dieser Regel. Selbst in den locker und leichten Szenen, die Atmosphäre schaffen, geht meistens etwas schief, etwas Geheimnissvolles passiert, die Situation wird für Harry gefährlicher oder er gerät immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit (was er ja nicht will).
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Araluen am 16. Juni 2018, 09:19:11
Entschuldige @Kerstin, schlechte englische Rechtschreibung bei mir (ich benutze den Begriff unübersetzt, auch wenn ich ihn nicht schreiben kann  :versteck:) ;) Allerdings steht bei mir, wenn ich Leo nach disaster frage auch an oberster Stelle Katastrophe und erst an vierter oder fünfter Missgeschick. Dazwischen sind noch Desaster und Havarie. Das Wort ist in der deutschen Übersetzung also schon ordentlich aufgeladen.
Das konkrete Zitat, um das es denke ich geht ist: Unless it is a resolution scene, every scene needs to end in a disaster (Cathy Yardly, Rock your Plot, Kapitel 13). Das Zitat stammt selbst wiederum von Bickham.
Und weil ich es gerade gelesen habe: Auch Yardly schreibt, dass es dabei nicht um Cliffhänger und tickende Bomben geht, sondern darum, dass der Leser am Ende nicht einschläft.

Und ich unterschreibe ganz bei dir Kerstin :)
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Kerstin am 16. Juni 2018, 10:28:23
@Araluen: Irgendeine Reihenfolge müssen sie ja angeben. Ich gehe eher davon aus, dass sie in diesem Fall daher kommt, dass wir "Katastrophe" und "Desaster" umgangssprachlich durchaus ähnlich verwenden und nicht in seinem ganz ursprünglichen Sinn.

Wenn meine Tortencreme heute nicht fest wird und mir das Dessert heute Abend vor den Gästen auseinanderläuft, würde ich es wohl auch als Desaster oder Katastrophe bezeichnen, obwohl die Welt davon nicht untergeht. Wenn uns dann noch der Grill abfackelt würde ich sogar davon sprechen, dass der gesamte Abend eine Katastrophe war.

Im englischen Sprachgebrauch ist nach meinem Empfinden diese abgeschwächtere Bedeutung von "disaster" (vor allem in der Umgangssprache) viel geläufiger, als im Deutschen. Wir tun uns deshalb mit der Übersetzung einfach schwer.
Titel: Re: Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?
Beitrag von: Araluen am 16. Juni 2018, 11:43:43
Naja aber drei von vier Übersetzungen sind im Deutschen sehr negativ besetzt. Da wundert es mich nicht, dass hier echte, dramatische Katastrophen erwartet wurden.
Daher ist der Knackpunkt hier, wie du schon sagst, die Übersetzung und nicht die Methode selbst.
Ich finde auch, dass sie gut funktioniert und sich auf jede gute Szene anwenden lässt, wenn man das Ziel des POV richtig definiert und das disaster auch in kleinen Dingen sucht.