Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Allgemeines => Tintenzirkel => Thema gestartet von: HauntingWitch am 23. Dezember 2016, 12:42:51

Titel: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: HauntingWitch am 23. Dezember 2016, 12:42:51
Seit Wochen möchte ich diesen Thread eröffnen, habe aber lange nicht gewusst, wie ich anfangen soll. @Mods: Ich habe mit der Suche nichts dergleichen gefunden und kann mich auch nicht erinnern, daher falls es das schon gibt, schon einmal Entschuldigung. ;)

Mich beschäftigt derzeit Folgendes. Wenn ich lese, fällt mir auf, dass ich die Autoren am besten finde, bei denen eben nicht alles schön und gut ist, sondern vieles - eigentlich das Meiste - eben nicht so schön und teilweise schrecklich, brutal, widerlich, hässlich etc. ist. Als Beispiel kann man Stephen King oder John Ajvide Lindqvist wählen, gibt aber auch noch andere. Das sind Autoren, die sich nicht scheuen, das Unschöne auszusprechen und eben auch die dazugehörige Sprache zu nutzen. Also, wenn der Perspektivträger alles Scheisse findet, dann benutzt er das Wort "Scheisse" auch regelmässig. Zum Beispiel. Aber auch die menschlichen Abgründe, dass die Gedanken und Gefühle eines narzisstischen Vaters oder einer Frau, die ihren Mann emotional fertigmacht, oder eines Drogensüchtigen usw. ausführlich dargestellt werden. Und da wird kein Wert auf political correctness oder eine schöne Kulisse gelegt. Da geht es nur darum, wie der Perspektivträger (gerade) ist und wenn er ein A*** ist, das Ausländer hasst und Frauen nur als Sexobjekte und Dienstmädchen betrachtet, wird das eben auch ausgeschrieben.

Als ich dann für meinen letzten Roman eine Kurzgeschichte, die ursprünglich die Idee losgetreten hatte, wieder gelesen habe, war ich erstaunt. Ich habe zwei Dinge festgestellt:
Erstens, dass mir dieser Mut fehlt. Ich lege zu viel Wert auf schöne Kulissen, meine Protas "müssen" auch immer gut aussehen und dürfen nicht entstellt werden bzw. ich kann/möchte ihnen das nicht antun. Ich verwende auch nicht gerne unschöne Wörter.
Zweitens: Ich hatte ihn einmal. In dieser Kurzgeschichte wird geflucht, es gibt "die behämmerte Tussi", die die eine Figur nicht ausstehen kann, halb verwesende Zombies werden beschrieben etc.

Ich habe mich dann gefragt, wann ich diesen Mut eigentlich verloren habe. Und ich glaube, ich weiss es auch: Seit ich angefangen habe, Rücksicht darauf zu nehmen, wie etwas eventuell ankommen könnte. Nun würde ich diesen Mut, das Unschöne direkt anzusprechen, gerne wieder finden, weiss aber noch nicht so recht wie. Ich übe.  :omn:

Mich würde nun interessieren, was ihr dazu sagt? Wie haltet ihr das? Was sind eure Gedanken dazu?
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Maubel am 23. Dezember 2016, 13:03:47
Also ich glaube, mir fehlt es nicht an Mut, sondern mir gefällt es einfach nicht. Menschliche Abgründe okay, aber wenigstens ein sympathischer Aspekt muss dabei sein. Ich mag diese superdreckigen Arschlochfiguren nicht ;) Aber die habe ich durchaus drin.
Flüche tue ich mir sehr schwer. Ich mag sie einfach nicht. Und zwar weder zu schreiben, noch zu lesen. Und da schreibe ich einfach meine Geschichte so, wie ich sie lesen möchte.

Und wenn das bei dir anders ist und du gerne von diesen Figuren lesen möchtest und es magst, wenn sie so "dreckig" fluchen, dann schreibst du das :) Ich hoffe, du findest deinen Mut dazu, das zu schreiben, was du lesen möchtest.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Kati am 23. Dezember 2016, 13:05:39
Ich persönlich möchte keine Bücher lesen, die einen "politisch unkorrekten" Protagonisten haben, der dann auch schön vor sich hin hetzt. Ich hätte da persönlich keinen Spaß dran und der "Sinn" solcher Bücher erschließt sich mir auch nicht. Ich möchte jetzt aber niemanden angreifen, der sowas gern liest (vielleicht einfach, weil man es interessant findet, mal diese Sichtweise kennenzulernen), ich verstehe nur persönlich den Reiz nicht. Es kommt dabei für mich aber stark darauf an, wie es gemacht ist. Ein Roman voller Hass und Intoleranz nur dem Hass und der Intoleranz wegen würde mir persönlich absolut nicht gefallen und ich würde mich fragen, wieso der Autor beschlossen hat, so ein Buch zu schreiben. Weil er zeigen wollte, wie solche Menschen ticken? Weil er es cool findet, politisch unkorrekt zu sein und anzuecken? Weil er die Sichtweisen sogar teilt? Es kann aber natürlich auch so gemacht sein, dass durch das Vorkommen einer solchen Figur, vielleicht sogar als Hauptperson, genau diese Dinge kritisch gezeigt und angeprangert werden, was ich ganz interessant finde. Was ich schon gesehen habe, waren Bücher mit solchen Figuren, auch als Erzähler, bei denen man klar gemerkt hat, dass man die Figur als negativ wahrnehmen soll. Für mich war es da sehr unangenehm im Kopf dieser Figur stecken zu müssen, aber da ist jeder Leser anders.

Ich finde es persönlich auch nicht "mutig" einen frauenfeindlichen etc. Protagonisten zu schreiben. Dir werden leider bei sowas mehr Leute zustimmen, als wenn du zum Beispiel eine Feministin als Protagonistin hättest, weil solche Meinungen wie wir in letzter Zeit deutlich sehen, besonders was Ausländer angeht, noch sehr weit verbreitet sind. Für mich ist der Gedanke, dass jemand, der so denkt mein Buch liest und sich davon bestätigt fühlt, nicht schön. Ich würde das aber auch ganz klar in zwei Kategorien teilen (also für mich selbst), was du jetzt vermischt hast:

1. Frauenfeindlichleit, Rassismus etc. beim Protagonisten ausschreiben: Da sehe ich wie beschrieben den Sinn nicht, ich sehe nicht, was daran mutig ist und wieso ich es machen sollte. Mir ist persönlich nicht egal, wie meine Bücher bei meinen Lesern ankommen, weil ich zwar großteils für mich schreibe, aber auch möchte, dass das mal jemand liest und es ihm auch gefällt. Das ist aber nur, wie ich das persönlich handhabe. Es gibt ja auch Autoren, denen es egal ist, wem das Buch gefällt und wem nicht. Da gehöre ich einfach nicht dazu.

2. Unschöne Dinge wie Gewalt, Tod, Entstellung, Fluchen etc. ausschreiben: Da sehe ich es wie du und damit habe ich persönlich auch keine Probleme. Wenn jemand zum Beispiel tot ist, dann möchte ich auch, dass beim Leser ankommt, dass etwas Schlimmes passiert ist und das versehe ich dann auch nicht mit einer Schicht Zuckerguss. Das hat für mich aber eher damit zu tun, dass ich die Konsequenzen von Gewalt, Tod etc. einfach realistisch zeigen und nicht runterspielen möchte, weniger mit Mut.

Also zusammengefasst: Für mich sind das zwei Kategorien, die ich nicht gern vermischen würde. Ob ich Gewalt ausschreibe, Tod und dergleichen, ist etwas komplett anderes, als wenn ich meine Figuren frauenfeindlich oder ausländerfeindlich gestalte ohne selbst eine Wertung zu dem Verhalten abzugeben. Ob ich meinen "hässlichen" Prota wild fluchen lasse, während die Zombies seinen besten Freund fressen ist da einfach etwas ganz anderes, als wenn mein Prota denkt, Frauen sind nur Dienstmädchen für ihn und ständig negativ über Ausländer auf seiner Arbeit herzieht. Das erste finde ich für mich persönlich wichtig (in den entsprechenden Genres natürlich), bei dem zweiten bin ich nicht sicher, was der Mehrwert wäre. Für mich selbst und auch für den Leser. :hmmm:
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Fianna am 23. Dezember 2016, 13:18:04
Ich denke, das ist auch eine Genre-Frage. In manchen Genres ist es ja geradezu Pflicht, solche Dinge anzusprechen - vielleicht schreibst Du in genau den Teilbereichen, in denen es nicht der Fall ist?

Ich persönlich umgehe diese Hürde durch meine Fixierung auf Konflikte. Ich plotte viel damit (jede Story fängt bei mir an mit Hauptkonflikt + Lösung, die Subplots werden kreiert durch Konflikt + Lösung usw), und wenn ich mir denke, dass eine Person mit einer bestimmten Aussagen zu unsympathisch wirkt oder ein Charakterzug nicht gut ankommen könnte beim Leser - da überlege ich mir immer, inwiefern das für meinen Konflikt wichtig ist. In der Regel unterstreicht die unpopuläre Aussage eine Grundhaltung, die wichtig für die Position in diesem Konflikt ist oder ein unangenehmer Charakterzug ergibt sich direkt aus der Rivalität oder etwas anderem mit dem (Neben-)Antagonisten - die Figur wird also greifbar mit ihrer in diesem Fall unangenehmen Art, das hat alles einen Grund.

Indem ich in meinem Kopf solche Dinge mit bestimmten notwendigen Gegebenheiten des Plots verbinde, schwindet in mir der drang, die Person sympathischer zu machen.

Oder eine Figur hat eine bestimmte "Mission" (ob eine gute oder schlechte, das kann noch fraglich sein), der sie alles unterordnet und weswegen es zu diesen unsympathischen Zügen kommt.


Das klingt jetzt alles sehr begreifbar und relativiert, allerdings habe ich bei meiner Leipzig-Wohnungs-Truppe ein bisschen den Ruf düsterer Geschichten, also kommt das geschrieben nicht ganz so relativiert rüber.


Das könnte also ein zweiter Ansatzpunkt sein für Dich - die Notwendigkeit dieser Tatsache für einen Punkt der Geschichte (Plot, Konflikt, Characterbuilding), und deswegen kannst Du es einbauen.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Churke am 23. Dezember 2016, 13:33:16
Zwei Gedanken dazu. Eine Lektorin reagierte letztens ziemlich unbegeistert. Der Protagonist sei ein Arsch, keine Idenitifkationsfigur, total unsympathisch. Sie hat das emotional gespürt, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie das Warum erkannt hat: Der Protagonist verstößt gegen die ungeschriebenen Helden-Konventionen des Genres. Er ist, wenn man so will, politisch unkorrekt. Diese Wirkung auf den Leser sollte man nicht unterschätzen.

Ich denke auch, dass ein politisch korrekt denkender Autor nichts politisch Unkorrektes schreiben kann. Da muss man erst mal den Kopf frei machen.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Leann am 23. Dezember 2016, 13:36:26
Das, was du beschreibst, nenne ich für mich "Schreiben mit angezogener Handbremse". Jede Autorin hat vermutlich bei gewissen Dingen Hemmungen. Bei der einen mag das Gewalt sein, bei der anderen Sexszenen, etc.. Entweder man vermeidet dann solche Szenen, oder man schreibt sie halbherzig und gehemmt und schöpft das Potential der Geschichte nicht aus. Wenn man schon während des Schreibens der Rohfassung ängstlich darauf schielt, wie das Geschriebene bei den Lesern ankommt, zuckt die Hand schon zur Handbremse. Früher habe ich oft nicht genau gewusst, warum mir dieser Roman besser gefällt als jener. Mit mehr Schreiberfahrung glaube ich zu erkennen, dass bei den Passagen, die mich nicht packen, eben mit der angezogenen Handbremse geschrieben wurde. Da wird um die Gefühle der Protagonisten herumgeeiert und zu viel angedeutet, ohne richtig zu Potte zu kommen, oder da steuert alles auf ein grausames Gemetzel hin und dann verläuft es feige im Sande. Damit meine ich jetzt nicht, subtile, treffende Andeutungen zwischen den Zeilen, die ja oft eindrücklicher sein können als explizite Beschreibungen, denn manchmal ist es passender, einiges der Phantasie der Leser zu überlassen. Ich meine die Passagen, in denen sich der Autor drückt und, wie du es ausdrückst, den Mut verloren hat. Die eigentlich guten Geschichten werden dann irgendwie saft- und kraftlos und dümpeln ohne Pfeffer vor sich hin.

Zur Überwindung könntest du ja mal versuchen, einfach nur für dich zu schreiben. Sag dir vorher, dass es niemals jemand lesen wird, was du verfasst. Und dann leg los. Lös die Handbremse. Hol ordentlich Schwung (das kann evtl. ein paar tausend Wörter dauern) und geh in die Vollen, ohne Rücksicht auf Verluste. Danach legst du das Geschriebene weg und holst es erst nach ein paar Tagen wieder raus.

Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Merwyn am 23. Dezember 2016, 14:05:25
Ich stimme dir da zu. Ich will als Leser ehrliche, glaubhafte Charaktere.
Wenn der beschissene Neonazi-Prota das N-Wort benutzt um afroamerikanische Mitbürger zu betiteln, dann sollte man das nicht schön umschreiben, sonst kann ich das nicht ernstnehmen.
Und ich denke auch, dass jemand, der sich political correctness auf die Fahne schreibt, Bücher mit z.B. eben Nazis als Protas gar nicht erst lesen wird, von daher muss einen meiner Meinung nach die Frage ob man das darf oder nicht, sich das traut oder nicht gar nicht übermäßig beschäftigen. Es kommt natürlich schon immer auf die Art der Geschichte an.
Erzähle ich, wie sich besagter Neonazi bessert und ein "normaler" Mensch wird? Dann sollte sich die Entwicklung, die er durchläuft, logischerweise auch in seiner Erzählperspektive spiegeln, so dass er eben irgendwann selber checkt, dass es scheiße ist, N**** [Edit Alana] Problematisches Vokabular entfernt[Edit] zu sagen. Will ich den Neonazi als Nebenfigur "einfach nur" rumstänkern lassen oder soll er gar der böse Anta sein, der so dumm bleibt, wie er ist, dann ist das eine ganz andere Sache.

Ich würde von mir schon behaupten, dass ich diesen Mut selbst habe, denn ich schreibe gern so, wie mir der Schnabel gewachsen ist, wozu auch gehört, die Dinge beim Namen zu nennen. Und fluchen ist ja quasi sowieso eines meiner liebsten Hobbies.
Dann aber halt auch richtig und nicht so was wie "Sch... nürsenkel" (außer vielleicht, wenn in der Szene gerade Kleinkinder anwesend sind ;)) oder "bei Merlins Barte" und anderer erfundener Fantasyquatsch. Das kann für mich in wirklich sehr wenigen Fällen gut funktionieren, die anderen 99,99% empfinde ich allerdings nur als megapeinlich mit  ::)-Charakter.
Das einzige, was ich tatsächlich aktiv versuche, zu vermeiden, sind Sachen wie "Oh mein Gott", "Um Himmels Willen", "Gott sei Dank" usw. Keine Ahnung, ob die einen Sammelbegriff haben.
Mir persönlich ist das schlicht zu religiös. Eine richtige Logik verbirgt sich dahinter bei mir aber auch nicht, denn Sachen mit Teufel und Verdammnis habe ich schon drin.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: cryphos am 23. Dezember 2016, 14:22:40
Weiß auf Weiß sieht man nicht und schwarz auf schwarz ebenso wenig.
Der Kontrast zwischen den Elementen und Ebenen macht das Bild.

Dabei reicht es nicht einen schwarzen Bösewicht zu haben und einen strahlenden Helden, das ist zu einseitig, zu flach, zu eindimensional. Ebenso eindimensional ist der abgewichste Krüppel, Antisemit, Rassist, Arschlochheld wider Willen oder widerlicher Abschaum POV.

Ein interessantes Bild entsteht, wenn zum Kontrast noch Tiefe kommt.

Also vielschichtige Charaktere, innere Zerissenheit, innere Spannungen, Gesellschaftliche Zerissenheit, Unterschiede in Denken, Handeln und Sein das macht das Bild interessant.
Scheisse ja, wir dürfen politisch inkorrekt sein und verdammt nochmal, wir müssen es sogar sein, denn unsere Welt(en) leben davon.

Oder um es mit einem Gleichnis von Buddha zu umschreiben:
ZitatBuddha fragte ihn: "Bekommt man einen schönen Klang, wenn man die Saiten zu straff oder zu lose spannt?" Er antwortete: "Nein, beides wäre falsch. Wenn man die Saite zu sehr spannt, wird sie reißen. Wenn sie zu lose ist, ist der Klang nicht schön. Für einen schönen Klang sollte sie genau in der Mitte sein, weder zu straff noch zu lose".

Oder ganz einfach, wie so oft: Die Mischung machts.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Trippelschritt am 24. Dezember 2016, 06:44:13
Oh, dieses Ausgangsproblem klingt richtig böse, denn nichts ist schlimmer für einen Autor als eine Schere im Kopf.
Was mann dagegen tun kann? Schwierig. Man kann es mal mit nachdenken versuchen. Ein Autor wählt eine ganz bestimmte Geschichte, die er erzählen möchte. Diese Idee und die beteiligten Figuren bestimmen die Sprache. Und political correctness hat in der Literatur nichts zu suchen.

Ob diese Gedanken geholfen haben? Wahrscheinlich wenig. Und wenn man wirklich nur heile Welt schreiben will und die ganzen Arschköcher draußen vor lassen will, muss man über eine dreckige Sprache nicht nachdenken. Ich kann nur von mir sagen, dass ich es nicht so mit Grausamkeiten habe und lasse Menschen auch lieber am Leben, als dass ich sie umbringe, aber Fantasy und Mittelalterverschnitt ohne Tote geht auch nicht. Bleibt nur ein anderer Weg.

Schreib schmutzig!!! Zunächst nur für Dich. Bedecke eine Viertel Seite mit den Wort Scheiße oder arschlöcher und lass diese ganzen verrfickten Sternchen weg, die wohlerzogene Bürgerstöchter da immer einfügen, weil sie sich sonst den Mund mit Seife auswaschen müssen. Tjaaaa. Und wenn das geht, weil es ja keiner liest, dann kann man auch mal vorsichtig versuchen einen unkorrekten Text irgendwo einzustellen.

Und eine Lösung habe ich doch noch, weil ich ein ähnliches Problem hatte. Als älterer Herr, dessen Sturm- und Drangzeit schon etwas her ist, hatte ich allergrößte Schwierigkeiten mit Liebesszenen. Das war mir schlichtweg megapeinlich. Aber kein Buch verkauft sich, wenn da nicht irgendwo zarte Bande geknüpft werden. Was tun?

Ich habe mir einen Schrfeibratgeber gekauft, der versprach, jemandem zu erklären, wie man erotische Geschichten schreibt. Der eine oder andere Ratschlag klang interessant und ich begann zu experimentieren. Und dann habe ich Ein- oder Zweidutzend Pornos geschrieben so über drei Jahre und die in einem Forum eingestellt. Nachdem ich gelernt hatte, wie man Pornos schreibt, tat ich mich mit den Liebesszenen nicht mehr so schwer. Heute schreibe ich keine erotischen Geschichten mehr. Ich weiß, dass ich das kann und das genügt mir.

Bleibt also - scheint's - tatsächlich nur: Überwindung durch Tun. Und dazu kann ich dich nur ermuntern und ermutigen. Und wenn man über die Schwelle ins verbotene Land getreten ist und gemerkt hat, dass es gar nicht so schlimm ist und man damit umgehen kann, kann man später immer noch entscheiden, wie weit zu gehen man bereit ist, wenn es in einem Roman ernst wird. Es geht erst, wenn man es probiert hat.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: HauntingWitch am 24. Dezember 2016, 12:54:50
Danke für eure Antworten. Ich finde das alles sehr interessant. Ich kann nicht auf alle genauer eingehen, manches lasse ich einfach mal so stehen.

Zitat von: Charlotte am 23. Dezember 2016, 13:05:39
Was ich schon gesehen habe, waren Bücher mit solchen Figuren, auch als Erzähler, bei denen man klar gemerkt hat, dass man die Figur als negativ wahrnehmen soll. Für mich war es da sehr unangenehm im Kopf dieser Figur stecken zu müssen, aber da ist jeder Leser anders.

Ja, das ist auch das, was ich bevorzuge. In den Büchern, die ich meine, gibt es meistens auch einen Gegenpol zu der negativen Figur. Sehr oft wird es aber auch ohne Wertung des Autors dargestellt, einfach eine Schilderung eines Charakters. Aber die Autoren gehen da so tief rein, dass man selbst die nachvollziehen kann und das ist es, was mich beeindruckt. Das ist dann eine Schilderung und weniger ein moralischer Wink. Ich muss dazu ehrlich sagen, dass ich auch diese Geschichten nicht mag, aus denen der miese Charakter am Ende total geläutert hervorgeht und plötzlich zum Charity-Guru wird. Ich meine, viel realistischer ist doch das Szenario "Game Of Thrones" (Serie): Den einen (z.B. Cersei Lannister) kann da alle Scheisse passieren und die ändern sich doch nicht. Weil das einfach ihre Persönlichkeit ist. Das empfinde ich als realistischer, obwohl es die anderen auch gibt.

Die Sache ist halt, ich habe solche Menschen kennengelernt. In meinem vorherigen Job gab es viele sehr Rechte und ich habe Aussagen gehört, die ich nicht einmal denen selbst wünschen würde. Und auch wenn ich das nicht gut heisse, sind auch die Menschen, die am Abend zu ihrer Familie nach Hause gehen, die ihnen wichtig ist (oder auch nicht, aber das ist ja eben das Interessante). Was steckt also dahinter? Und ich als eher Linke sitze dann vor dem Manuskript und denke: Nee, das kannst du doch jetzt nicht bringen, das sendet evtl. eine falsche Botschaft! Das ist das Problem, man schränkt sich ein dadurch, finde ich. Muss aber jeder halten, wie er möchte.

Zitat von: FiannaIndem ich in meinem Kopf solche Dinge mit bestimmten notwendigen Gegebenheiten des Plots verbinde, schwindet in mir der drang, die Person sympathischer zu machen.

Das ist ein interessanter Ansatz, werde mich mal weiter damit befassen. :)

@Leann: Genau das. Handbremse ist ein gutes Stichwort. Ich übe zurzeit mit einem meiner aktuellen Projekte, die Handbremse zu lösen und Gas zu geben, aber ich finde es nicht einfach. Zwei Beispiele:
Ich habe eine Frau, die einen Fetisch hat. Der ist nicht so bekannt und wird von Aussen meistens eher als sonderbar gesehen. Ich traue mich dann nicht, das ausführlich zu schreiben, weil ich denke, dass es vielleicht peinlich rüberkommt bzw. die Prota weniger sympathisch macht. Für sie ist es kein Problem, sie hat auch einen Mann, der das mitmacht. Das Problem ist meins als Autorin, dass ich denke, dass das zu viele Leute nicht verstehen und den Roman deswegen schlechter finden oder so.
Dann habe ich einen Typen, der eine asexuelle Freundin hat. Nur weiss sie das noch nicht und stellt das erst fest, als sie es mit ihm versucht. Er versteht wiederum nicht, warum ihr das alles nicht gefällt und reagiert dann ungehalten. Dann denke ich mir, dass das vielleicht doof ist, weil er dann viellicht wie so ein Typ wirkt, der Frauen schlecht behandelt. Aber wenn er total nett und verständnisvoll wäre, gäbe es erstens keine richtige Story und zweitens wäre das total out of character.
Kurzum: Ich schätze, du hast recht, ich sollte nicht daran denken, das zu veröffentlichen.  :rofl: ;)

Zitat von: MerwynWenn der beschissene Neonazi-Prota das N-Wort benutzt um afroamerikanische Mitbürger zu betiteln, dann sollte man das nicht schön umschreiben, sonst kann ich das nicht ernstnehmen.

Ja, es gibt auch einfach Dinge, die kann man nicht schön schreiben, weil es nichts zu beschönigen gibt. Sprich Suchtproblematiken, das ist einfach etwas Trauriges, Hässliches und Schlimmes. Warum da herum reden? Man könnte das bloss meiden, wenn man es schön haben will in seiner Geschichte, aber das ist es ja. Eine Geschichte, die nur schön ist, funktioniert nicht. Und ich sehe es irgendwo als eine Art Aufgabe als Autorin, eben auch solche Themen anzusprechen.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: criepy am 24. Dezember 2016, 16:32:34
Ich muss ehrlich sagen, jetzt wo ich so darüber nachdenke, hab ich das Problem auch. Wobei für mich das nichts mit Mut zutun hat - sondern mit Realismus. Kein Mensch ist der selben Meinung oder hat die gleichen Ansichten - es gibt nunmal auch Rassisten und Frauenfeindliche Menschen. Also sollte es sie in einem Buch auch geben, egal wie die Kernthematik aussieht. Wenn der Prota eine Weltreise macht begegnen ihm nicht nur Charaktere, die eine politisch korrekte Meinung haben. Das ist einfach unmöglich. Der Prota stößt genauso auf Menschen, die er wegen seiner Ansichten nicht leiden kann. Aber dieser Mensch/Charakter muss nicht gleich in die Position eines Antas springen. Denn auch homophobe Menschen können persönlich ganz nett sein. Man kann mit ihnen genauso gut klar kommen, wie mit nicht-homophoben Menschen, vor allem wenn man deren Meinung zu dieser Thematik noch nicht kennt. Jeder hat Ecken und Kanten, aber diese müssen nicht sofort beim ersten Treffen ersichtlich sein.
Selbst wenn man jetzt einen Frauenfeindlichen Protagonisten hat, hetzt er doch nicht in jedem Absatz darüber und sei es nur gedanklich. Wenn das erst am Schluss auffliegt, ist es doch auch in Ordnung und vermittelt auch irgendwie ein Bild an den Leser.

Ich persönlich habe denke ich auch das Problem, dass ich zu...steif schreibe. Meine Charaktere sprechen oft so, wie ich eben schreibe. Das wirkt meist steif und eben nicht "echt". Flüche passen da bei mir also gar nicht rein und wirken recht billig oder gezwungen. Da habe ich angefangen, für Charaktere ein gewisses Vokabular anzulegen, passend zum Hintergrund und versuche ihnen so individuelle Stimmen zu geben.
Ansonsten hat Leann denke ich schon extrem viel hilfreiches gesagt. Einfach mal ausprobieren und sehen, wie es läuft.
Dein Beispiel mit dem Typen und der asexuellen Freundin kann ich eig gut nachvollziehen. Ich bin selbst asexuell und für mich scheint das eine vollkommen gut nachvollziehbare Reaktion zu sein. Selbst für jemanden, der eigentlich der total liebe Kerl ist. Kann sein, dass ich das aus einer anderen Sicht sehe, aber für mich ist das komplett legitim und meiner Meinung nach kannst du da ruhig die Handbremse loslassen.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: canis lupus niger am 27. Dezember 2016, 10:08:03
Einerseits verstehe ich jedermanns inneren Widerstand dagegen, "Hässliches" oder sondern sogar Verurteilenswertes aufzuschreiben. Auch ich mag etwas, das meinen eigenen Überzeugungen so sehr widerspricht, weder gerne schreiben, noch lesen. Aber:

Zitat von: Trippelschritt am 24. Dezember 2016, 06:44:13
Ein Autor wählt eine ganz bestimmte Geschichte, die er erzählen möchte. Diese Idee und die beteiligten Figuren bestimmen die Sprache. Und political correctness hat in der Literatur nichts zu suchen.
Genau so!

Wenn man das nicht kann, dann muss man eben etwas anderes schreiben oder lesen. Oder - etwas netter ausgedrückt - man muss sich eine Welt, ein Setting, einen Protagonisten suchen, die mit dem eigenen Sinn für Ästhetik harmonieren. Wenn man jedoch die verurteilenswerten Gedanken eines verurteilenswerten Charakters, sowie dessen Wortschatz und viele andere Eigenschaften lebendig und nachvollziehbar darstellen will, dann muss man auch dessen Formulierungen verwenden. Wie soll man sonst "show, don't tell" praktizieren? Man muss halt deutlich machen, dass es sich um die Meinung des verwendeten Charakters handelt, und nicht um die des Autors. Wenn dagegen etwas nur beschrieben werden soll, dann kann man als Autor natürlich ganz anders (weil losgelöst vom Charakter) formulieren.

Andererseits kann etwas Unschönes zu sagen, bzw. zu schreiben ja auch eine Chance sein, mal ganz anders zu denken als sonst. Man kann Altlasten und Abgründe ausloten, die man sich selber vielleicht nie ehrlich eingestanden hat, und sich auf diese Weise selber besser kennenlernen, verstehen und vielleicht sogar von manchem Müll befreien, den man unbewusst mit sich herumschleppt. Das habe ich nicht nur über den Austausch hier im TiZi, sondern auch über die Beschäftigung mit meinen Buchcharakteren und "ihren" möglichen Abgründen kennen gelernt. Ein bisschen wie ein Maskenball, auf dem man jemanden darstellen kann, der man nicht wirklich zu sein glaubt. Ob man die Ergebnisse dieser Gedankenexperimente am Ende öffentlich macht, bleibt ja jedem selber überlassen.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Anj am 10. Januar 2017, 09:00:22
Ich finde, das Thema ist deutlich vielschichtiger als es erstmal den Anschein hat. Geht es um den gesamten Ton des Buches, geht es um Nebenfiguren oder eben um die Figuren, in deren Köpfe wir direkt schauen?

Ich persönlich bin der Meinung, dass explizite Gewalt oder politisch nichtkorrekte Ansichten immer dann gut passen, wenn sie in ein passendes Setting eingebettet sind. Sie stehen ja nicht allein, sondern werden erst in der Interaktion mit anderen lebendig. Das bedeutet, es ist nicht nur wichtig, wie reagiert die "negative" Person, sondern mindestens genauso wichtig ist wie das Umfeld reagiert.
Da bilden sich dann tatsächlich Kontraste und Tiefe, die Denkanstöße geben und keine reine Verherrlichung sind. (Reine Verherrlichung finde ich als einziges wirklich problematisch)
Wenn ich also eine starke Sorge habe, dass ein Leser auf eine bestimmte Art und Weise reagieren wird, schaue ich, ob ich nicht eine Figur im Roman genauso reagieren lassen kann (oder die Figur selbst sich Gedanken über diese mögliche Reaktion machen). Und dann lasse ich ggf. die "Reizfigur" ebenfalls wieder reagieren. Und damit habe ich dem möglicherweise konsternierten Leser einen Spiegel vorgehalten. Und nun kann er überlegen, ob er sich Gedanken über seine eigene Meinung machen will oder die Geschichte halt einfach blöd findet oder einfach drüber wegliest, ohne sich weiter damit aufzuhalten. Hierfür sind für mich durchaus auch Betaleser während des Schreibprozesses sehr hilfreich, wenn ich da wirklich mal hadere. (Also vielleicht hebelt es den Zensor aus, seine Gedanken übungshalber neben den expliziten Inhalten ebenfalls zu thematisieren. Zumindest, wenn letztlich die Sorge dahintersteht, dass ich als Autor verurteilt werde und nicht "nur" meine Geschichte)

Ebenfalls wichtig ist für mich, dass die provokanten Anteile nicht zum Selbstzweck wird. Wenn jede Figur in jeder Situation nur Gossensprache kann, dann ist das genauso wenig realistisch, wie überall Zuckerguss. Ein Autor sollte meiner Meinung nach in der Lage sein, sich zumindest in seinen Geschichten in verschiedenen sozialen Schichten zu bewegen und dies auch darzustellen, wenn die Geschichte das eben fordert.

Dass man Menschen damit bestärkt, das ist etwas, bei dem ich persönlich weniger Verantwortung beim Autor sehe, solange er sich bewusst ist, warum und wie er diese Stilmittel in seiner Geschichte einsetzt. Wir können letztlich nicht kontrollieren, wie unsere Worte bei anderen ankommen und wer sich bestätigt fühlen will, kriegt das auch hin.

Aus rein menschlicher Sicht finde ich es übrigens sogar gut, wenn derartige Figuren nicht nur schwarz und weiß gezeichnet sind, denn im realen Leben sind sie das meist auch nicht. Und eine kontrastreiche Auseinandersetzung damit in einem Buch, kann auch eine Grundlage sein, damit sich Menschen annähern. Denn Verständnis dafür warum der andere bestimmte Meinungen ausgebildet hat/haben könnte, ist der erste Schritt zu einem echten Austausch von Meinungen, der Veränderungen möglich macht (wenn auch leider immer in beide Richtungen). Also weg von Pauschalisierungen und hin zu konkreten, individuellen Aussagen. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 10. Januar 2017, 09:51:32
Der Thread spricht mir aus der Seele, es hat tatsächlich mit Mut zu tun und mit Überwindung, Unschönes direkt auszusprechen und nicht zu verharmlosen.
Ich erinnere mich noch an die Rohfassung meines Erstlings, in dem die ganze "Folterszene" aus zwei eher lahmen Ohrfeigen bestand und schon das verlangte mir alles ab, was ich mit 17 an Mut und Energie aufbringen konnte. Die überarbeiteten Versionen fielen drastischer aus. Viel drastischer. Einer Betaleserin ist davon schlecht geworden. Und... mir beim Schreiben um ehrlich zu sein auch.
In meiner neunbändigen Vampirreihe habe ich unter anderem eine Perspektivträgerin, die aufgrund eines ganzen Clusters aus Traumata eine ungesunde Einstellung zu sich selbst und ihren Mitmenschen hat und ihren Ehemann emotional und sexuell missbraucht. Und diese Figur hat so einige Szenen (auch wenn sie in keiner davon direkt damit beschäftigt ist, ihren Ehemann zu vergewaltigen - das war dann meine persönliche Grenze).
Und allerlei andere Szenen.
Und jede Szene - so nötig sie für die Handlung ist - hat mich vollständig ausgelaugt und an meine Grenzen geführt. Ich kann jeden Autor verstehen, der abmildernd schreibt, weil er oder sie selbst das Ausmaß des Geschriebenen sonst gar nicht ertragen könnte.

Flüche sehe ich im Vergleich dazu eher mild, habe aber hier das Problem, dass ich selbst eben nicht fluche. Unter keinen Umständen. Aber meine Figuren schon.

Für mich hat der Mut, das Unschöne (sowohl im Sinne von "Das Unaussprechliche, das Brutale, das Schreckliche" als auch "das in meinen Augen Unästhetische") auszusprechen, also tatsächlich mit der täglichen Überwindung von Grenzen zu tun.
Mir hilft es dabei sehr, Bücher zu lesen, in denen Grenzen überschritten werden, an die ich mich nicht getraut habe. George Martin war in der Hinsicht für mich eine Offenbarung.

Die Grenzen sind natürlich für jeden anders. Ich hätte kein Problem mit halbverwesten Zombies (da hätte ich noch den größten Spaß, mir so unappetitliche Dinge wie in Augenhöhlen herumkriechende Maden auszudenken), aber als mein Protagonist in einem Streit zwischen Teenagern als "Pussy" bezeichnet wurde, habe ich in der Fassung, die zum Glück so nicht beim Verlag gelandet ist, erstmal nur "P****" an dieser Stelle geschrieben, weil ich mich nicht getraut habe.

Was hilft, um Grenzen auszuloten und zu überqueren, ist, sich von den Figuren leiten zu lassen. Ich schreibe zu einem Drittel planend und zu zwei Drittel entdeckend, was den Figuren viel Freiraum lässt. Und wenn eine Figur in eine Situation kommt, in der es mir SAU-unangenehm ist, die zu schreiben, dann zwinge ich mich.
Eine erste Fassung kann man verbessern. Dann wird es beim ersten Versuch eben peinlich, gezwungen (oder wie im Falle von oben - zensiert man sich eben selbst, bis man den Mut hat, es nicht mehr zu tun) und eher lächerlich als so, wie beabsichtigt. Aber man hat schon mal die schriftstellerische Grenze überwunden und etwas erzählt, was erzählt werden musste, selbst wenn es einem nicht gefällt.

ZitatEs kann aber natürlich auch so gemacht sein, dass durch das Vorkommen einer solchen Figur, vielleicht sogar als Hauptperson, genau diese Dinge kritisch gezeigt und angeprangert werden, was ich ganz interessant finde. Was ich schon gesehen habe, waren Bücher mit solchen Figuren, auch als Erzähler, bei denen man klar gemerkt hat, dass man die Figur als negativ wahrnehmen soll. Für mich war es da sehr unangenehm im Kopf dieser Figur stecken zu müssen, aber da ist jeder Leser anders.
Ich liebe solche Bücher, weil sie mich beim Lesen an meine persönlichen Moralgrenzen zu gehen zwingen. Aber ich gehöre auch zu den Menschen, die beim Lesen bewusst nach einer Art Katharsis suchen. Ich möchte beim Lesen dazu gezwungen werden, durch die Hölle zu gehen (mittels Empathie) um nach der Lektüre ein besserer Mensch zu sein. Toleranter, weltoffener, weniger vorurteilsbehaftet.
Daher ist das auch der Sinn für mich persönlich dahinter, sowas auch in meinen Geschichten vorkommen zu lassen. Katharsis für den Leser. Es muss wehtun, damit es hinterher gut heilen kann.
Aber jeder Mensch liest aus einem anderen Grund. (Und ich halte mich auch nicht für besser als andere, nur weil ich Bücher gerne danach aussuche, ob sie mich leiden lassen. Es ist nur meine persönliche Begründung dafür, dass ich Bücher mit unschönen Dingen sowohl lese als auch zu schreiben versuche. Nur bei zweiterem verlässt mich eben manchmal der Mut, so weit zu gehen, wie es für den gewünschten Katharsis-Effekt nötig wäre und dann fühle ich mich so unzulänglich  :'( ).

Zur Frage, warum man sowas tut:
In einer meiner Romanreihe habe ich eine scheinbar egalitäre, im tiefsten Inneren jedoch höchst sexistische und heteronormative Gesellschaft - aber in einem Matriarchat realisiert. Und einige der Damen sind ausgesprochen männerfeindlich. Es ist für mich sehr, sehr unangenehm, in den entsprechenden Köpfen zu stecken (oder im Kopf eines Jungen, der sich anhören darf, dass er für einen Mann gar nicht mal so dumm ist, wie frau dachte). Aber ich verfolge damit beispielsweise unter anderem den Zweck, frauenfeindlichen Männern einen Spiegel vorzuhalten (Nach dem Motto "Wie würde es euch gefallen, wenn man euch so behandelt, wie ihr Frauen behandelt?") und gleichzeitig aufzuzeigen, dass es auch sexistisch ist, uns Frauen als die Göttinnen von Liebe, Frieden und Gerechtigkeit überzuidealisieren und nicht ernst zu nehmen. Frauen in Machtpositionen tun genau das, was Männer in Machtpositionen tun. Weil bestimmtes Verhalten in diesen Situationen universal menschlich ist.

Wobei es generell auf das Genre ankommt. In Psychothrillern ist es beispielsweise vollkommen normal, dass einer der Perspektiventräger der Serienmörder ist und wir nicht nur in den kranken Kopf reingucken, sondern auch vom Autor bewusst dazu verleitet werden sollen, eine gewisse Empathie auch für den Täter zu empfinden, bei aller Abscheu vor seinen Taten. Da ist das eins der Markenzeichen des Genres und wird nicht hinterfragt.

In Fantasy habe ich dagegen oft das Gefühl, dass z.B. die Folgen einer Schwertkampfwunde, die Auswirkungen von Gewalt etc. manchmal heruntergespielt werden (weshalb Martin mit seiner hoffnungslos ehrlich brutalen Welt ja so eine Offenbarung für mich war :D).

ZitatIch denke auch, dass ein politisch korrekt denkender Autor nichts politisch Unkorrektes schreiben kann. Da muss man erst mal den Kopf frei machen.
Würde ich so nicht zwingend unterschreiben, @Churke. Ich sehe mich als geradezu abstrus politisch korrekten Menschen. Ich habe meinen Eltern erfolgreich das N-Wort ausgeredet, jetzt müsste ich es schaffen, das Gleiche beim Z-Wort zu tun.
Aber gerade weil ich mich politisch ganz klar auf der "guten Seite der Macht" verorte und mich als empathischen Menschen sehe, der bewusst daran arbeitet, sich nicht instrumentalisieren zu lassen, muss ich so viele politisch unkorrekte Menschen in meinen Geschichten auftauchen lassen. Und zwar nicht nur als Antagonisten, sondern auch als "der Typ von nebenan, der doch eigentlich total sympathisch ist und kein Nazi sein kann, der ist doch viel zu nett und päppelt in seiner Freizeit Hundebabys".

ZitatWeiß auf Weiß sieht man nicht und schwarz auf schwarz ebenso wenig.
Der Kontrast zwischen den Elementen und Ebenen macht das Bild.
Exakt, @cryphos . Auch den Rest deines Beitrags kann ich nur unterschreiben.

@Witch
ZitatDann habe ich einen Typen, der eine asexuelle Freundin hat. Nur weiss sie das noch nicht und stellt das erst fest, als sie es mit ihm versucht. Er versteht wiederum nicht, warum ihr das alles nicht gefällt und reagiert dann ungehalten. Dann denke ich mir, dass das vielleicht doof ist, weil er dann viellicht wie so ein Typ wirkt, der Frauen schlecht behandelt. Aber wenn er total nett und verständnisvoll wäre, gäbe es erstens keine richtige Story und zweitens wäre das total out of character.
Das Verhalten des Freundes ist (leider) vermutlich das, was sehr viele Asexuelle und Demisexuelle (zu denen ich mich zähle) am eigenen Leib erlebt haben. Also nichts, was dir peinlich sein müsste so zu schreiben. Die, die das aus eigener Anschauung kennen, werden an dieser Stelle traurig nicken.
Denn natürlich wird der Kerl das Ganze erst einmal als Ablehnung der eigenen Person interpretieren und sich aus seiner Unsicherheit heraus aggressiv geben. Und die Freundin, die selbst noch nicht richtig weiß, was Sache ist, kann ihm nicht so richtig helfen (und er wird ihr auch erstmal nicht glauben, dass es nicht an ihm persönlich liegt). Finde ich also psychologisch so vollkommen realistisch und macht den Freund nicht automatisch frauenfeindlich. Welcher Mensch reagiert bitte nett und verständnisvoll darauf, abgelehnt zu werden? Besonders, wenn wie in sexuellen Dingen oft, eigene Unsicherheiten mitschwingen?
Also wie gesagt, nichts, was dir peinlich sein muss.
(Zur ersten Problemstellung kann ich ohne weiteres Wissen nichts sagen, aber wird schon auch klargehen  :knuddel: ).

ZitatWenn man jedoch die verurteilenswerten Gedanken eines verurteilenswerten Charakters, sowie dessen Wortschatz und viele andere Eigenschaften lebendig und nachvollziehbar darstellen will, dann muss man auch dessen Formulierungen verwenden. Wie soll man sonst "show, don't tell" praktizieren? Man muss halt deutlich machen, dass es sich um die Meinung des verwendeten Charakters handelt, und nicht um die des Autors. Wenn dagegen etwas nur beschrieben werden soll, dann kann man als Autor natürlich ganz anders (weil losgelöst vom Charakter) formulieren.
Exakt. Ich trenne immer sehr streng meine Haltung von der Haltung aller meiner Figuren, auch von der einiger "Guten", weil die nicht zwingend mit meiner übereinstimmt.
Und die meisten Leser sind intelligent genug, diese Trennung auch geistig durchzuführen und Autor, Erzähler und POV nicht durcheinanderzubringen. Das sind ja je nach Erzählart gerne bis zu drei verschiedene Instanzen. Das macht mir persönlich die wenigsten Sorgen, wenn ich ehrlich bin.

ZitatReine Verherrlichung finde ich als einziges wirklich problematisch)
Dito. DA ist auch für mich eine Grenze überschritten.

ZitatAus rein menschlicher Sicht finde ich es übrigens sogar gut, wenn derartige Figuren nicht nur schwarz und weiß gezeichnet sind, denn im realen Leben sind sie das meist auch nicht. Und eine kontrastreiche Auseinandersetzung damit in einem Buch, kann auch eine Grundlage sein, damit sich Menschen annähern. Denn Verständnis dafür warum der andere bestimmte Meinungen ausgebildet hat/haben könnte, ist der erste Schritt zu einem echten Austausch von Meinungen, der Veränderungen möglich macht (wenn auch leider immer in beide Richtungen). Also weg von Pauschalisierungen und hin zu konkreten, individuellen Aussagen. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Das ist viel besser formuliert, als meine Versuche weiter oben. Nein, im Ernst. Gerade solche Dinge wie "der Rassismus der Mitte" können durch entsprechende Buchfiguren dargestellt und damit für den Leser greifbarer gemacht werden. Wenn der Leser bisher dachte, bestimmte Meinungen seien nur am Rande der Gesellschaft zu finden und gehen ihn nichts an, kann das zum Umdenken führen - und der Leser wird dann zum Multiplikator dafür, dass es ein Problem gibt, es alle was angeht und man versuchen muss, es zu lösen. Statt es zu ignorieren. Egal von welchem Problem die Rede ist.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: canis lupus niger am 10. Januar 2017, 11:44:32
Wenn ich die hier bisher geposteten Beiträge noch einmal überfliege, einschließlich meiner eigenen  8), bin ich natürlich mit allem immer noch einverstanden. Aber mir geht durch den Kopf, dass ein Autor dabei u.U. ganz schön hohe Anforderungen an seine Leser stellt, wenn er von diesem verlangt, ihm zu folgen.

Ich erinnere mich an einen SciFi-Roman, den ich in meiner lange vergangenen Teenagerzeit gelesen habe. Darin wurde vom Untergang aller menschlichen Zivilisationen durch - ich glaube - eine technische Katastrophe erzählt. Die Erzählperspektive war das von Außerirdischen gefundene und ausgewertete Tagebuch eines ursprünglich privilegierten Briten, der sich nörgelnd darüber beklagte, wie unangenehm das Schicksal mit ihm persönlich verfuhr. Im Vorwort wiesen die Auswerter eigens darauf hin, wie enttäuschend es sei, dass ausgerechnet allein dieses in einer Thermosflasche verwahrte Bündel Papier aus dem Zeitalter der auf vergänglichem Papier und elektronisch gespeicherten Dokumente erhalten geblieben war.  Also war auch für einen eher action- bzw. romantikverliebten Leser, wie ich es damals war, erkennbar, wie es gemeint war. Trotzdem habe ich es seinerzeit gehasst, die eigentlich spannende Geschichte aus so einer nervigen Perspektive geschildert zu bekommen. Ich war einfach noch nicht reif genug dafür. Schade im Rückblick! Leider weiß ich den Titel nicht mehr.

Aber dieses Schicksal kann auch heutzutage jedem Autor passieren, der eine derartig anspruchsvolle Geschichte schreibt. Es ist schon ziemlich schwer, die dafür geeignete anspruchsvolle Leserschaft zu finden und zu erreichen - sicherlich schwerer, als mit einer üblichen Mainstream-Geschichte.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Fianna am 10. Januar 2017, 12:38:17
Zitat von: Evanesca Feuerblut am 10. Januar 2017, 09:51:32
Exakt. Ich trenne immer sehr streng meine Haltung von der Haltung aller meiner Figuren, auch von der einiger "Guten", weil die nicht zwingend mit meiner übereinstimmt.
Und die meisten Leser sind intelligent genug, diese Trennung auch geistig durchzuführen und Autor, Erzähler und POV nicht durcheinanderzubringen. Das sind ja je nach Erzählart gerne bis zu drei verschiedene Instanzen. Das macht mir persönlich die wenigsten Sorgen, wenn ich ehrlich bin.
Ich habe von durchaus lesenden Menschen schon etwas irritierende Reaktionen geerntet. "Ich hätte niiiiie gedacht, dass Du so eine Haltung hast!" - "Ähems, das ist die Figur, die spricht, nicht der Autor." - "ABER Du hast das doch geschrieben. Warum wohl?!" - Ja, warum nur?

Ich denke, die meisten Leser (wenn man die Gesamtheit aller buchlesenden Menschen betrachtet) führen eine solche Trennung nicht durch, und schon gar nicht so dreiteilig wie Evanesca. Aber das sollte einen nicht davon abhalten, so zu schreiben und darauf zu hoffen, dass die eigenen Leser zum hinterfragenderen Teil gehören.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: HauntingWitch am 10. Januar 2017, 12:44:25
@Anjana: Dein Beitrag ist ein super Input. Danke.  :knuddel:

@Evanesca Feuerblut:

Zitat
In meiner neunbändigen Vampirreihe habe ich unter anderem eine Perspektivträgerin, die aufgrund eines ganzen Clusters aus Traumata eine ungesunde Einstellung zu sich selbst und ihren Mitmenschen hat und ihren Ehemann emotional und sexuell missbraucht. Und diese Figur hat so einige Szenen (auch wenn sie in keiner davon direkt damit beschäftigt ist, ihren Ehemann zu vergewaltigen - das war dann meine persönliche Grenze).
Und allerlei andere Szenen.

Sind wir vielleicht seelenverwandt und wissen das nicht? ;-) Spass beiseite, ich habe exakt dasselbe Problem mit meinem zweiten aktuellen Projekt. Nur, dass meine Frau eine Nebenfigur ist und der Protagonist ihr Mann, der von ihr emotional missbraucht und geschlagen wird... Das ist aber auch so etwas, das ich sehr schwierig finde. Einerseits persönlich, das, was du beschreibst, weil mir manche Szenen schon sehr nahe gehen. Andererseits aber auch dieses "es richtig machen wollen", das ganze richtig darzustellen und eben nicht auf eine verklärte, verharmlosende Weise oder gar als Karikatur. Finde ich sehr anspruchsvoll zum Schreiben.

ZitatFür mich hat der Mut, das Unschöne (sowohl im Sinne von "Das Unaussprechliche, das Brutale, das Schreckliche" als auch "das in meinen Augen Unästhetische") auszusprechen, also tatsächlich mit der täglichen Überwindung von Grenzen zu tun.
Mir hilft es dabei sehr, Bücher zu lesen, in denen Grenzen überschritten werden, an die ich mich nicht getraut habe. George Martin war in der Hinsicht für mich eine Offenbarung.

Das ist ein interessanter Ansatz. Für mich geht es aber noch einen Schritt weiter, als das Unaussprechliche oder Schreckliche, teilweise sind es auch viel einfachere Dinge. Zum Beispiel lese ich gerade "Die Soldaten" von Tobias O. Meissner (ein Genie) und da geht es um einige wild zusammengewürfelte Rekruten. Nun kommt irgendwann eine Szene, in der sie alle gezwungen werden, eine Einheitsfrisur zu tragen, während davor alle verschiedene Frisuren haben. Das führt zu einem Riesentheater über zwei Kapitel oder so. Es liest sich mega lustig und natürlich ist es mega peinlich und kindisch und überhaupt, aber das ist ja der Witz daran. Der springende Punkt ist jetzt, dass ich als Autorin sehr schnell denke: Nee, so etwas kannst du nicht bringen, das ist total peinlich und auch ein bisschen lächerlich! Aber Meissner hat überhaupt keine Hemmungen, das zu bringen, weil er ja genau diese Peinlichkeit, diese Situation mit sich bringt, zeigen will. Und das bewundere ich total, weil ich das so schwierig finde. Dass es einem egal ist, wenn es vielleicht ein bisschen lächerlich daherkommt (was es nicht einmal tut, aber das führt jetzt zu weit).

Bei Zombies, Leichen und so körperlichen Sachen habe ich auch Mühe, hauptsächlich aber wegen meinem eigenen Ekel. Naja, ich habe es schon einmal geschafft, also irgendwie geht es.

ZitatDas Verhalten des Freundes ist (leider) vermutlich das, was sehr viele Asexuelle und Demisexuelle (zu denen ich mich zähle) am eigenen Leib erlebt haben. Also nichts, was dir peinlich sein müsste so zu schreiben. Die, die das aus eigener Anschauung kennen, werden an dieser Stelle traurig nicken.

Ja. Und eben deshalb will ich ja auch diese realistische Darstellung haben und nicht eine weichgespülte "alles kein Problem, kommt schon alles gut"-Story. Aber ich stelle mir solche Fragen halt. Ich denke, dass ich es vielleicht auch einfach durchziehen und das fertig schreiben muss (was ich sowieso vorhabe) und damit auch mehr Mut zurückkommt. :)

@canis lupus niger: Das ist aber meiner Ansicht nach ein anderes Problem, ein zweites Problem, wenn man so will. Aber was mich an vielen Mainstream-Romanen oder auch Filmen stört, ist, dass es eben diese Weichspülerei gibt: "Wir haben diese Krankheit, aber das ist kein Problem, wir bleiben cool und bewältigen das mit Happy End" oder die Beziehung ist schwierig, aber beide werden durch irgendein Ereignis total geläutert und bessern sich, happy ever after, Ende. Das ist einfach Quatsch, so schön es auch klingt. Und ganz ehrlich, Leser, die lieber das möchten als das andere, sind dann halt eben nicht mein Zielpublikum. ;)
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Churke am 10. Januar 2017, 13:48:50
Zitat von: Witch am 10. Januar 2017, 12:44:25
Sind wir vielleicht seelenverwandt und wissen das nicht? ;-) Spass beiseite, ich habe exakt dasselbe Problem mit meinem zweiten aktuellen Projekt. Nur, dass meine Frau eine Nebenfigur ist und der Protagonist ihr Mann, der von ihr emotional missbraucht und geschlagen wird... Das ist aber auch so etwas, das ich sehr schwierig finde.

Vielleicht, weil wir die Dinge aus der heutigen Perspektive betrachten. Die "Erfüllung der ehelichen Pflichten" wurde die meiste Zeit der Geschichte als völlig normale Pflichtübung angesehen. Werden sich die Betroffenen als Opfer wahrnehmen? Können sie das überhaupt? Was der Leser als Trauma empfindet, ist für die Figuren möglicherweise eine nebensächliche Alltagserfahrung.

Ein anderes Beispiel: Im alten Rom galten Gladiatorenkämpfe als Kinderpgoramm. Die Traumata betroffener Kinder würden die Jugendämter heute mit einer Armee von Psychologen therapieren.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Kati am 10. Januar 2017, 14:25:16
Zitat von: FiannaIch habe von durchaus lesenden Menschen schon etwas irritierende Reaktionen geerntet. "Ich hätte niiiiie gedacht, dass Du so eine Haltung hast!" - "Ähems, das ist die Figur, die spricht, nicht der Autor." - "ABER Du hast das doch geschrieben. Warum wohl?!" - Ja, warum nur?

Dazu muss man aber auch sagen, dass es wirklich nicht leicht ist im Roman erkenntlich zu machen, dass man nicht die eigene Meinung im Roman auslebt. Und das sollte man, finde ich zumindest, doch tun. Natürlich ist es immer erstmal besser als Leser anzunehmen, dass der Autor nicht selbst solche Meinungen vertritt, aber wenn im ganzen Roman keine Wertung des Verhaltens zu finden ist, kann es trotzdem schwer sein. Es gibt eben einfach fremdenfeindliche Menschen und ich finde nicht, dass Leser blind darauf vertrauen müssen, dass der Autor keiner ist. Das kann man nicht wissen und, wenn es aus der Darstellung im Buch nicht ersichtlich wird, finde ich nicht, dass es dumm ist als Leser dann auch am Autor zu zweifeln, sofern dieser nirgendwo eine Stellungsnahme abgegeben hat. "Der Autor wird schon nicht fremdenfeindlich sein" ist natürlich erstmal eine positive Herangehensweise, aber man kann niemals einfach davon ausgehen, dass das so stimmt, wenn es nichts gibt, woran man das festmachen kann.  :hmmm: Das ist für mich schon eine Problematik. Natürlich will ich keinem Autor irgendwelche Meinungen unterstellen, aber wenn fremdenfeindliches Verhalten im Roman ohne Wertung dargestellt wird, dann weiß ich einfach nicht, was der Autor wirklich denkt und einfach davon ausgehen, dass der schon okay sein wird, kann man da leider nicht. Das hat für mich auch ganz klar etwas mit Hinterfragen zu tun, die Worte des Autors und seine eigene Stellung nicht einfach als "wird schon okay sein" hinzunehmen.

Generell finde ich, dass hier im Thread im Moment ein paar Sachen zusammengeworfen werden, die ich persönlich für mich strikt trennen würde. In einem Roman Missstände aufzuzeigen und das deutlich zu kennzeichnen ist für mich ganz klar etwas anderes, als ungewertete Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und dergleichen einfach deshalb aufzunehmen, weil es das gibt (also ohne Zweck oder Wertung). Tobias O. Meissner (ein Genie, ja) schreibt in "Sieben Heere" auch sehr schonungslos, wie ein paar Dorfbewohner nach und nach eine gesamte besetzende Armee töten. Das Buch war großartig. Aber sowas ist für mich, genau wie faulige Zombies oder Fluchen oder zu einem gewissen Grad auch Gewalt, etwas anderes, als Themen wie Fremdenfeindlichkeit und dergleichen. Nicht, weil ich zu ängstlich oder zu sensibel bin um darüber zu schreiben (Ich schreibe Thriller und Horror, das wäre kontraproduktiv), sondern, weil ich einfach nicht weiß, wieso ich solche Themen ohne Wertung im Roman einbringen soll. Wenn ich über Fremdenfeindlichkeit schreiben wollte, würde ich persönlich das eher aus Sicht des Fremden angehen mit den entsprechenden Nebenfiguren, die dann auch nicht alle komplett böse sind, sondern eben vielschichtige Menschen. Die Bisexualität meines Helden in meinem momentanen Projekt wird auch nicht von allen akzeptiert und es gibt Reibungen. Aber mir entzieht sich einfach ein bisschen, wieso ich so eine Geschichte aus Sicht des "Täters" schreiben soll und wieso das mutiger wäre, als sie aus Sicht des Betroffenen zu schreiben. Ich verstehe noch nicht so richtig, was der Vorteil daran wäre, wieso ich so jemanden, trotz aller Fassaden, die er oder sie haben mag, als "Heldenfigur" unterbringen soll und wieso das mutig ist.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Lothen am 10. Januar 2017, 14:32:55
Zitat von: Charlotte am 10. Januar 2017, 14:25:16Ich verstehe noch nicht so richtig, was der Vorteil daran wäre, wieso ich so jemanden, trotz aller Fassaden, die er oder sie haben mag, als "Heldenfigur" unterbringen soll und wieso das mutig ist.
Der große Vorteil, den ich daran sehe, ist, sich mit der Frage des "warum" oder "wieso" zu beschäftigen. Wieso entwickelt ein Mensch fremdenfeindliche Neigungen? Wieso verhält sich jemand brutal/gewalttätig? Was treibt ihn an, was sind seine Ziele und Motive, was hat ihn zu dem Menschen gemacht, der er ist? Und - daraus resultierend - was hätte getan werden können oder könnte noch getan werden, um das zu verhindern? Held ist ja auch ein dehnbarer Begriff, es gibt ja schließlich auch den Anti-Helden.

Das sind alles Gedanken, die ich sehr wichtig finde, weil sie von einer Schwarz-Weiß-Betrachtung wegführen. Nicht jeder Täter ist sofort per se "böse", sondern hat irgendeine Vorgeschichte, die ihn dorthin gebracht hat. Wenn es einem Autor gelingt, diese Ansicht ins Hier und Jetzt zu transferieren, ist das eine große Hilfe, denn das wirkt der Pauschal-Verurteilung bestimmter Menschengruppen massiv entgegen, wenn es gut gemacht ist.

Ob das jetzt besonders mutig ist, sei dahin gestellt. Aber ich halte das für durchaus legitim.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Churke am 10. Januar 2017, 15:13:49
Das ist auch eine Frage des literarischen Stils. Ich sehe die Neutralität des Autors als die größte Errungenschaft des bürgerlichen Realismus im 19. Jahrhundert. "Mach dich nicht gemein mit einer Sache, auch nicht mit einer guten." Das Ergebnis sind objektive Gesellschaftsporträts, die die Position des Autors häufig gerade NICHT erkennen lassen.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: HauntingWitch am 10. Januar 2017, 15:18:32
Zitat von: Churke am 10. Januar 2017, 13:48:50
Zitat von: Witch am 10. Januar 2017, 12:44:25
Sind wir vielleicht seelenverwandt und wissen das nicht? ;-) Spass beiseite, ich habe exakt dasselbe Problem mit meinem zweiten aktuellen Projekt. Nur, dass meine Frau eine Nebenfigur ist und der Protagonist ihr Mann, der von ihr emotional missbraucht und geschlagen wird... Das ist aber auch so etwas, das ich sehr schwierig finde.
Vielleicht, weil wir die Dinge aus der heutigen Perspektive betrachten. Die "Erfüllung der ehelichen Pflichten" wurde die meiste Zeit der Geschichte als völlig normale Pflichtübung angesehen. Werden sich die Betroffenen als Opfer wahrnehmen? Können sie das überhaupt? Was der Leser als Trauma empfindet, ist für die Figuren möglicherweise eine nebensächliche Alltagserfahrung.

Ein anderes Beispiel: Im alten Rom galten Gladiatorenkämpfe als Kinderpgoramm. Die Traumata betroffener Kinder würden die Jugendämter heute mit einer Armee von Psychologen therapieren.

Spontan hätte ich jetzt gesagt: Deswegen ist ja unsere Gesellschaft so kaputt. Aber ich muss erst einmal darüber nachdenken und möchte mich deshalb nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

@Charlotte: Lothen hat das bereits viel besser ausgedrückt, als ich es könnte. Für mich geht es auch nicht darum, so jemandem zum Helden zu machen. Sondern darum, zu analysieren, wie es dazu kommt, was auch die gesellschaftlichen und sozialen Hintergründe sind, die zu solchen Haltungen führen.

Ich habe im Zuge meiner Recherche für weiter oben genanntes Beispiel der Gewalttätigkeit durch die Frau eine Doku gesehen, in der sie eine solche, ehemals gewalttätige Frau interviewt haben. Es stellte sich heraus, dass sie eine sehr kaputte Seele hat, die von massiven Kindheitstraumata herrührte. Ihr war nicht einmal vollends bewusst, was sie ihrem Mann antat bzw. wie weit die Konsequenzen reichen. Das wurde ihr erst später klar, als sie in die Therapie ging. Und genau das finde ich das Interessante, dass eben nichts schwarz-weiss ist. Das Verhalten ist damit zwar nicht entschuldigt, ganz klar, aber erklärt und wie Evanesca finde ich, dass (gegenseitiges) Verstehen ein wichtiger Schritt zu einem besseren Miteinander ist.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: canis lupus niger am 10. Januar 2017, 15:21:17
Zitat von: Witch am 10. Januar 2017, 12:44:25
happy ever after, Ende. Das ist einfach Quatsch, so schön es auch klingt. Und ganz ehrlich, Leser, die lieber das möchten als das andere, sind dann halt eben nicht mein Zielpublikum. ;)

In dieser Hinsicht sind wir absolut einer Meinung. Ich hatte ja bloß geschrieben, dass manche Leser mit der Trennung von Buchcharaktermeinung und Autorenmeinung Schwierigkeiten haben. Einige andere Beiträge geben wieder, dass andere Mitglieder diesen Eindruck auch gewonnen haben. Deshalb halte ich es für sinnvoll zu überlegen, wie ich dem Leser helfe(n kann/muss), diese Trennung nachzuvollziehen.


*Argh, ich hab den letzten Satz korrigiert. War ja zum Fußnägel-Hochrollen!*
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Lothen am 10. Januar 2017, 15:34:27
Zitat von: canis lupus niger am 10. Januar 2017, 15:21:17Meine Überlegung dazu ist einfach, dass ich mir als Autor überlege, wie ich dem Leser helfe(n muss), diese Trennung nachzuvollziehen.
Das ist wirklich die interessante Frage daran, denn ich glaube, die Tendenz, den Autor und die Einstellungen der Figuren irgendwie in Einklang bringen zu wollen, ist bei jedem Menschen vorhanden. Das lässt sich kaum ausschalten.

Ich könnte mir vorstellen, dass der Kontakt zu den Lesern wichtig ist, sei es über Facebook, Twitter, Homepage oder Messen. Ich denke, so lassen sich Vorurteile oder Vorverurteilungen am effektivsten ausräumen. Ich denke, man kann dazu auch aktiv selbst Stellung beziehen, in Form eines Blogartikels oder Ähnlichem. Aber ob man das ganz eliminieren kann? Ich weiß nicht.

Eine andere, werk-immanente Möglichkeit könnte sein, verschiedene Perspektiven darzustellen, sodass nicht der Eindruck entsteht, der Autor würde für eine Seite Partei ergreifen. In den wenigsten Fällen wird ja einfach nur Gewalt gezeigt, ohne eine alternative Option oder eine ablehnende Haltung ebenso darzustellen. In dem Fall ist die Identifikation des Autors mit der einen Seite, die Gewalt/Homophobie/Fremdenhass befürwortet, schwieriger, weil sie andererseits ja auch abgelehnt wird.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Zit am 10. Januar 2017, 17:11:16
Einerseits kann ich Charlotte verstehen – andererseits finde ich es aber genauso schwierig automatisch am Autor zu zweifeln und ihm zu unterstellen, böse zu sein, nur weil Figuren auftauchen, die eine andere Moral und Ethik haben als der Leser. Um ehrlich zu sein, habe ich es mir lange abgewöhnt, irgendetwas aus Werken auf den Erschaffer zu beziehen. Wenn ich weiß, dass er Anwalt ist und dann einen recht trockenen Stil an den Tag legt (der nicht unbedingt auf den Perspektivträger zurückzuführen), kann ich 1 und 1 zusammen zählen. Aber ich würde mich hüten, eine wie auch geartete Aussage einer Figur dem Autor in den Mund legen zu wollen.

Meiner Meinung nach leiten sich Verhaltensweisen und Äußerungen aus der Welt und dem Hintergrund der Figuren ab. Wenn die halt negative Erfahrungen mit Fremden gemacht haben, sind die eben vorsichtig (vor jedem Fremden, nicht unbedingt nur vor dem Klischeebild Refugee) und wem ein Böller in der Hand explodiert ist, überlegt zweimal, ob er so ein Ding nochmal in die Hand nimmt. Das heißt nicht, dass ich Fremdenfeindlichkeit als trivial betrachte. Ich frage mich nur manchmal, warum man Angst hat oder sich schämt, etwas zu schreiben, wenn es nicht gerade mit einem eigenen Traumata einher geht. Mir geht es gelegentlich auch so, so ist es nicht. Ich frage mich dann nur, ob das noch der Geschichte dient oder ob das nur menschliche Sensationsgeilheit ist. Wenn es der Sache dient, dann muss ich da wohl durch.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Tejoka am 10. Januar 2017, 17:18:53
Echt eine interessante Diskussion. :pompom: Ihr habt mich schon ein paar mal zum Nachdenken gebracht.

Als Leserin finde ich es bei den meisten Büchern leicht, zu sehen, ob der Autor eine bestimmte Position eines seiner Charaktere als richtig darstellt oder nicht. Das hängt vielleicht damit zusammen, ob der Charakter generell eher positiv oder negativ dargestellt wird, wie andere darauf reagieren, ob er letzten Endes Erfolg hat, seine Meinung ändert oder sie ihm Probleme bereitet - aber manchmal kann ich gar nicht genau sagen, wieso, ich glaube einfach zu wissen, dass hier nur der Erzähler spricht, nicht der Autor. Ob das jetzt immer stimmt, weiß ich nicht :P

Das Problem, so etwas wie Missbrauch angemessen darzustellen, hat für mich wenig mit dem vorhergehenden zu tun. Hier habe ich den Eindruck, dass man oft unabsichtlich die Sachen herabmildert beim Schreiben. Zumindest weiß ich, dass ich da aufpassen muss. Gerade in der Fantasy ist es ja oft einfach, jemandem eine traumatische Backstory zu geben oder ihm etwas Schlimmes zustoßen zu lassen, um die Spannung zu vertiefen oder dem Charakter einen Stein in den Weg zu schmeißen oder so. Aber auch wenn man sich dann mit den Folgen davon befasst, ist das vielleicht nicht immer realistisch. Gerade die Langzeitfolgen diverser Traumata kommen meiner Empfindung nach oft nicht wirklich zum Vorschein. Wobei ich natürlich auch keine Psychologin bin.
Ich will hier niemandem etwas unterstellen, das ist mir nur aufgefallen.


Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Mondfräulein am 10. Januar 2017, 22:00:50
Ich habe das Gefühl, hier wird über verschiedene Dinge gesprochen. Automatisch kann ich von den Meinungen einer Figur nicht auf die des Autors schließen, das wissen und merken die meisten Leser ganz automatisch, weil das, was eine Figur tut, denkt und sagt nie außerhalb des Kontextes existiert, in das der Leser dies setzt. Natürlich liegt es erst einmal nahe, die Werte des Protagonisten mit denen des Autoren gleichzusetzen, aber ich kann als Autor eine Menge tun, damit dem nicht so ist. Wenn meine Figur denkt, dass Frauen minderwertige Menschen sind, dann kommt es darauf an, ob das Buch/die Geschichte ihm Recht gibt oder widerspricht. Das kann alleine dadurch passieren, dass ich eine Frauenfigur in das Buch einbaue, auf die die Vorurteile der Figur nicht zutreffen, wodurch der Leser deutlich merkt, dass das so nicht stimmen kann. Ich kann ein Buch über eine ziemlich rassistische Mitarbeiterin einer Ausländerbehörde schreiben und gleichzeitig Rassismus kritisieren, indem ich zum Beispiel die Folgen ihres Tuns thematisiere und zeige, oder indem ich die Figur in ihrem Rassismus vorführe.

Wenn ich aber eine rassistische oder sexistische Figur schreibe und gleichzeitig nichts da ist, was darauf hindeuten könnte, dass die Figur nicht Recht hat und ich dabei nur darauf setze, dass der Leser schon wissen wird, dass Sexismus schlecht ist, dann weiß ich nicht, wie ich darauf kommen sollte, dass der Autor Sexismus nicht ganz so geil findet wie der Protagonist. Zum Beispiel eine ziemlich rassistische Bemerkung nebenbei, die die ziemlich rassistische Haltung des Protagonisten zeigt, ohne Folgen für den Plot oder irgendetwas, ohne Reflexion durch irgendetwas an irgendeiner anderen Stelle im Buch, ohne Widerspruch und ohne, dass der Protagonist sonst allgemein unsympathisch wirken soll. In diesem Fall weiß ich aber auch nicht, warum ich so eine krasse Meinung überhaupt ins Buch einbringen sollte, außer einfach um mich mal geil zu finden, weil ich etwas tue, was sonst niemand tut. Und ich weiß nicht, warum man erstreben oder darauf stolz sein sollte, dass man als Autor nach dem Lesen eines Buches mit Werten assoziiert wird, die man überhaupt nicht teilt.

Die Haltung der Protagonisten deckt sich nicht zwangsläufig mit dem, was ich hier mal die Grundaussage des Buches nenne - das, von dem ich als Leser am Ende denke, dass der Autor es mir sagen wollte. Das Buch über die rassistische Mitarbeiterin der Ausländerbehörde kann ziemlich schnell zu einem eindrucksvollen Plädoyer gegen Rassismus werden, wenn ich zum Beispiel für den Leser deutlich mache, welche Folgen diese Haltung für die Menschen hat, die sie betreuen soll, auch wenn die Mitarbeiterin diese Einsicht am Ende nicht teilt. Ich habe als Autor tausend und eine Möglichkeit, die Taten und Ansichten meiner Protagonisten für den Leser zu reflektieren, zu analysieren und zu kritisieren. Ich kann jedoch nicht erwarten, dass der Leser sich das schon irgendwie selbst zusammen reimt, weil er ja schon kein Rassist sein wird. Im besten Fall tut er das und denkt, ich als Autor bin rassistisch und liest keine Bücher mehr von mir. Im schlechtesten Fall stimmt er dem Buch zu. Denn warum sollte ein Autor, der nicht rassistisch ist, ein Buch schreiben, in dem der Protagonist Rassist sein darf, ohne dass es irgendwo einen subtilen Hinweis darauf gibt, dass Rassismus falsch ist?

Ein gutes Beispiel ist für mich Oscar Wilde. Immer wieder tauchen Zitate seiner Figuren als Zitate von ihm auf, obwohl man davon ausgehen kann, dass er das bestimmt alles nicht so gemeint hat, wie sie es gesagt haben, weil er auch durch seine Figuren teilweise sehr scharfe Gesellschaftskritik geübt hat. Das merkt man, wenn man das Buch oder Stück liest, nicht aber, wenn man nur das Zitat vor sich hat. Der Unterschied ist aber, dass man es im Buch merkt. Er hat sie das alles nicht einfach so sagen lassen, ohne sich darum zu scheren, wie das am Ende rüber kommt. Nach allem, was ich über Oscar Wilde weiß (und solange @Charlotte nicht kommt und mich korrigiert, die kennt sich da eindeutig besser aus als ich) hat er sich darüber wahrscheinlich sogar sehr, sehr viele Gedanken gemacht.

Meine persönliche Meinung ist, dass man seine Protagonisten schon krasse Meinung geben kann, aber nicht einfach so, weil "cool, niemand macht das sonst, aber ich, die große Autorin traue mich das". So ein Thema einzubringen ist einfach kompliziert und schwierig, die Thematik anspruchsvoll und die Gefahr, aus versehen etwas rüberzubringen, was ich gar nicht rüberbringen wollte, ziemlich groß. Ich würde das vielleicht damit vergleichen, einen ganzen Roman chronologisch rückwärts zu erzählen - das kann schon ziemlich geil werden und ein komplexes Meisterwerk - aber es ist auch einfach viel schwieriger, als es klassisch zu machen, braucht Planung, Fingerspitzengefühl, denn es ist viel einfacher, das in den Sand zu setzen als es gut zu machen. Viele meiner Figuren haben Meinungen und Haltungen, die ich nicht teile, aber ich überlege mir jedes Mal dennoch, was ich mit dem Buch sagen will und sorge dafür, dass das so auch rüber kommt.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Fianna am 10. Januar 2017, 23:41:10
Wieso sind wir auf einmal bei Rassismus, Sexismus und den ganz harten Kamellen angelangt?
So etwas würde ich auch nicht unwidersprochen lassen, sei es durch Aktion oder Handeln.
Doch ich finde, eine Figur kann auch in weniger kriminellen Ansätzen eine destruktive Meinung vertreten, die man dementsprechend auch nicht stante pede auf Teufel komm raus negieren muss. Und da wünsche ich mir durchaus, dass Leser nicht automatisch alle möglichen Dinge auf den Autor projizieren, rechne aber damit, dass sie es doch tun (und bin bei Bekannten gleichzeitig genervt, wenn sie nicht trennen.
Ein Beispiel aus meinem Schreiballtag habe ich grad nicht zur Hand, aber es würde zum Beispiel passen "Du kannst nicht über Dein Schicksal bestimmen" oder sonst etwas in diese Richtung...  Ich dachte bei meinem Beitrag weiter oben eher an solche Dinge und nicht "Frauen sind minderwertig, sie verdienen es, dass ich auf ihnen herum trample und dann auf die Trümmer spucke!"
(Ersetze "Frau" durch beliebiges anderes Nomen.)
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: HauntingWitch am 11. Januar 2017, 09:18:44
Zitat von: canis lupus niger am 10. Januar 2017, 15:21:17
Zitat von: Witch am 10. Januar 2017, 12:44:25
happy ever after, Ende. Das ist einfach Quatsch, so schön es auch klingt. Und ganz ehrlich, Leser, die lieber das möchten als das andere, sind dann halt eben nicht mein Zielpublikum. ;)

In dieser Hinsicht sind wir absolut einer Meinung. Ich hatte ja bloß geschrieben, dass manche Leser mit der Trennung von Buchcharaktermeinung und Autorenmeinung Schwierigkeiten haben. Einige andere Beiträge geben wieder, dass andere Mitglieder diesen Eindruck auch gewonnen haben. Deshalb halte ich es für sinnvoll zu überlegen, wie ich dem Leser helfe(n kann/muss), diese Trennung nachzuvollziehen.


*Argh, ich hab den letzten Satz korrigiert. War ja zum Fußnägel-Hochrollen!*

Dann habe ich dich einfach falsch verstanden, alles gut.  :)

Zitat von: Zitkalasa am 10. Januar 2017, 17:11:16
Meiner Meinung nach leiten sich Verhaltensweisen und Äußerungen aus der Welt und dem Hintergrund der Figuren ab. Wenn die halt negative Erfahrungen mit Fremden gemacht haben, sind die eben vorsichtig (vor jedem Fremden, nicht unbedingt nur vor dem Klischeebild Refugee) und wem ein Böller in der Hand explodiert ist, überlegt zweimal, ob er so ein Ding nochmal in die Hand nimmt. Das heißt nicht, dass ich Fremdenfeindlichkeit als trivial betrachte. Ich frage mich nur manchmal, warum man Angst hat oder sich schämt, etwas zu schreiben, wenn es nicht gerade mit einem eigenen Traumata einher geht.

Genau das. Diese Hemmungen möchte ich überwinden.

Okay, bevor es ausartet mit Rassismus, Sexismus usw. Ich bin zwar kein Mod, aber als Threadstellerin fühle ich mich doch ein bisschen verantwortlich. Ich denke, wir sind uns hier alle einig, dass diese Dinge nicht in Ordnung sind und man sie nicht verherrlichen oder verharmlosen sollte. Es wäre deshalb schön, wenn wir zum ursprünglichen Thema zurückkehren könnten, nämlich der Frage: Wie baue ich Hemmungen oder Angst, über etwas Bestimmtes/ein Thema zu schreiben, ab. ;)
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Trippelschritt am 11. Januar 2017, 10:31:57
Jetzt sind wir bei einem spannenden Punkt auf der Grenze zwischen Handwerk und Anspruch.

Zunächst einmal, so denke ich, kann man über alles schreiben und sollte es auch. Ich schreibe Fantasy in einer Art mittelalterlichen Welt und diese Welt ist sexistisch. So wie es wahrscheinlich auch das reale Mittelalter war. Und ich schreibe vor allem darüber, wie einige Frauen dait umgehen, und ob es Auswege gab oder Zwänge. Aber das nur am Rande, denn ...

Wo versteckt sich der Autor Trippelschritt in seinen Romanen? Klar ist, seine Figuren denken und handeln eigenständig und sprechen mit allerlei stimmen, aber keine mit der vom Trippelschritt. Und das weiß der Leser auch, denn anders als bei Romanen in der Ich-Perspektive, gibt es gleich mehrere Figuren mit widersprüchlichen Standpunkten. Wer soll denn da der Autor sein.
Vielleicht in der Erzählerstimme, wenn es denn so etwas gibt? Wohl auch nicht. die ist doch sehr anonym.

Der Autor steckt überall in winzigen Details, denn er hat die Geschichte ersonnen und die Figuren geschaffen. Aber damit lassen sich keine Rückschlüsse auf Meinung oder Intention ziehen. Aber die Möglichkeit besteht. Unbewusst können sich Worte einschleichen, die nicht von einem bestimmten Charakter stammen können. die müssen dann vom Autor sein. Und wenn der sie bewusst setzt, dann ist das an dieser Stelle hohe Kunst.

Wen das interessiert, der kann ja mal James wood lesen. "Die Kunst des Erzählens." Wood ist Literaturkritiker und kein Schriftsteller. Vielleicht kann er genaud eshalb so treffend darüber schreiben. Aber vorsicht, es ist keine ganz leichte Kost. Aber dafür eine Offenbarung. Kehlmann hat ein recht treffendes Vorwort zu diesem Buch geschrieben.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Zit am 11. Januar 2017, 11:06:34
Vielleicht hilft darüber nachzudenken, warum man die Sachen abschwächt?

Ein Kommilitone hat einmal gesagt: "Wir wollen doch alle nur geliebt werden." Ich erinnere mich nicht mehr an die Stuation, aber er hatte es recht unaufgeregt gesagt und nebenbei sodass es mir erst recht im Kopf blieb. Wenn ich dann so Sachen lese oder selbst denke, bei denen man sich Gedanken macht, was andere darüber und von einem denken können, schießt mir immer die Aussage durch den Kopf. Menschliches Sozialverhalten/ Rollenverteilung ist imho komplex und nicht immer so leicht zu durchschauen. Je nach Situation, Laune, Publikum, Umgebung etc. reagieren wir anders und geben andere Dinge von uns Preis, oft auch keine. Die Sache ist nur die: Im Werk hat das nichts zu suchen. Der Drang nach Anerkunng und Liebe ist ein Bedürfnis des Autors und dieses Bedürfnis im Roman freien Lauf zu lassen verwässert die "Bedürfnisse" des Romans/ der Geschichte. Der Autor arbeitet gegen die Geschichte und sich selbst sozusagen, wenn er sich von seiner Angst, was andere über ihn denken, leiten lässt.

Andererseits schwächt man vielleicht auch Dinge ab, um Unsicherheit zu überspielen? Man muss kein Schnitzel sein stimmt vielleicht, aber die beste Recherche hat irgendwo ein Ende, das bei Erfahrung noch ziemlich weit weg ist. Und manche Szenen gehen so tief rein, auch in uns selbst, dass Recherche nicht immer ausreicht.
Das heißt nicht, dass wir alle zu Mördern werden sollten. ;D Aber vielleicht gibt es Dinge, die man übersieht/ nicht bedenkt, wenn man den Mord abschwächt, weil man sich selbst nicht traut, tief in den Täter einzusteigen und nachzufühlen?
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: canis lupus niger am 11. Januar 2017, 11:18:44
Zitat von: Witch am 11. Januar 2017, 09:18:44
Wie baue ich Hemmungen oder Angst, über etwas Bestimmtes/ein Thema zu schreiben, ab. ;)

Hm, für mich kann ich da sagen, dass ich es mit @Trippelschritt halte: Die Story und die Figur bestimmen die Sprache. Ebenso wie ein potentieller Leser mache ich mich davon frei, dass die Figur mit MEINER Sprache sprechen und denken darf. Irgendwie versuche ich für mich diese fiktive Figur möglichst lebendig werden zu lassen, mit allen Charakterdetails. Und ich habe eine ziemlich aktive Fantasie. Manchmal dauert es ein bisschen, bis eine Figur "fertig" ist; das können Wochen werden. Aber dann denkt und spricht sie auch wie sie selber. 

Um die Probleme zu vermeiden, die @Zitkalasa nennt, versuche ich nur über Dinge zu schreiben, die ich tatsächlich schon kennen gelernt habe. Man muss kein Schnitzel sein, das stimmt. Schnitzel haben vermutlich kein allzu intensives Gefühlsleben, und auch der Leser kann noch nie ein Schnitzel gewesen sein. Deshalb ist es sicherlich nicht so schwierig, sich etwas aus den Fingern zu saugen, was den theoretischen Empfindungen und Gedanken eines Schnitzels nachvollziehbar entsprechen könnte.

Aber wenn ich darüber schreiben will, dass jemand tiefen Hass empfindet oder Todesangst, dann muss ich sowas schon mal selber empfunden haben, oder etwas annähernd vergleichbares. Oder jemand, der es selber erlebt hat, muss mir sehr eingehend erzählt haben.

Und manchmal habe ich auch sehr dunkle Empfindungen und Gedanklen, die ich nie- niemals aussprechen würde, weil ich weiß dass sie falsch sind, weil ich weiß, dass sie verwerflich sind. Aber wenn ich eine Figur in meiner Geschichte habe, die so verwerflich ist, dann schreibe ich ihr diese Gedanken in den Kopf, die ich selber vielleicht in einer üblen Stunde schon mal gedacht habe. Keine Beichte, aber so etwas ähnliches wie ein Ausmisten. Glücklicherweise weiß der Leser nicht, welche Schlechtigkeiten schon mal durch meinen eigenen Kopf gegangen sind. Das würde ich auch nicht wollen, weil auch ich lieber gemocht (geliebt) als verachtet werden will. Aber eigentlich finde ich es besser, wenn meine Geschichten gemocht werden. Mich als Autor, als Mensch wird ein Leser kaum genug kennen lernen, um mich in sein Herz zu schließen.

 
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: cryphos am 11. Januar 2017, 12:21:58
Zitat von: Witch am 11. Januar 2017, 09:18:44
[...] Es wäre deshalb schön, wenn wir zum ursprünglichen Thema zurückkehren könnten, nämlich der Frage: Wie baue ich Hemmungen oder Angst, über etwas Bestimmtes/ein Thema zu schreiben, ab. ;)
Indem du dich ihm (EDIT: dem Thema) annäherst.
Hier eine Schreibübung:
Mach dir klar wer du bist und woran du glaubst und für was du einstehst. Schreibe ein paar Kurzgeschichten in diesem Umfeld. Dabei wirst du dich sehr wohl fühlen. Das ist keine Komfortzone.
Dann überlege dir einen Charakter der davon leicht abweichende Ideale hat. Jetzt schreibst du ein paar Geschichten aus dessen POV. Du merkst so sehr schnell wo deine Grenzen sind, wo du diese mit dem Char überschreitest. Evtl. fühlst dich dabei etwas unwohl. Geht es dir dabei gar nicht gut bist du zu weit. Für den Moment reicht ein leichtes Unbehagen. Damit hast du die Grenzen deiner Komfortzone abgesteckt und die ersten Schritte in den Bereich getan, in dem du Neues lernst.
Doch damit nicht genug. Wenn du Mut und die Kraft hast ein Experiment zu wagen suche dir einen Char aus der für dich richtig ekelhaft ist und schreibe eine richtig dreckige Geschichte. Wenn du dich dabei unwohl fühlst oder nur mit Widerwillen schreibst, dann bist du genau da wo ich dich jetzt haben möchte, in deiner Panikzone. Du hast alle Grenzen hinter dir gelassen; bist schutzlos auf unbekannten Terrain.
Genug des Üblen! Ziehe dich in deine Komfortzone zurück und lecke deine Wunden. Mache ein paar Schreibübungen und teste deinen Grenzen wieder aus. Du wirst feststellen, dass du nun etwas mehr Spielraum hast. Wiederhole das Experiment beliebig oft und nähere dich so verschiedenen Themen an.

Praxisbeispiel: 99/00 wäre es mir unmöglich gewesen entweder eine homoerotische Szene zu schreiben noch eine Person auftreten zu lassen, die offen Homosexualität denunziert. Heute kann ich ohne Probleme einerm Char die Worte "Du elende Tucke, Schwuchtel, Lattenpfostenbläser" in den Mund legen. Nicht weil ich hinter diesen Worten stehe, sondern weil ich weiß wer ich bin, wo ich verortet bin und in welchem Kontext ich dies verwenden kann; z.B. dann wenn ich ein Homophobes Arschloch besoffen morgens um drei in eine Schwulenbar taumeln lasse, wo er dann angemacht wird. Dann wird so ein Typ nicht nett sagen "Könnten Sie davon bitte Abstand nehmen, ich fühle mich nicht dieser sexuellen Neigung zugehörig." Nein er wird lospoltern, Abstand gewinnen wollen und verletzend sein.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Trippelschritt am 11. Januar 2017, 16:12:24
Genau so habe ich es vor einigen Jahren auch gemacht. Meine erste Hürde war noch relativ leicht. Ich konnte nicht über Sex und Erotik schreiben. Dann ahbe mir etwas ausgedacht und einfach geschrieben. Es war ja nur für mich. Ich fand es gar nicht mal so schlecht, ließ es liegen, verbesserte es und stellte es in ein entsprechendes Forum. Und der ersten Geschichte folgten noch eine ganze Menge. Das war leichter als ich gedacht habe.

Die erste echte Herausforderung kam, als ich versucht habe, etwas aus dem BDSM-Bereich zu schreiben, denn diese Spiele sind so gar nicht meins. Und ich wollte die Geschichte so gut schreiben, dass die Fans dieser Spielart sie für gut hielten. Es klappte erst im zweiten Versuch, weil ich im ersten noch zu viel Hemmungen hatte.

Aber am schwersten fiel mir eine Geschichte, in der ich plausibel zeigen wollte, wie ein normaler junger Hetero bi wurde. Aber am Ende ist es mir doch gelungen. Aber ich habe lange daran gesessen.

Jetzt, so bilde ich mir ein, kann ich in dem Genre so ziemlich alles schreiben, bis auf meine eigenen Tabus, die niemals in meinen Geschichten vorkommen werden. Und sollte die Problematik auftreten, werde ich mich mit Andeutungen zufrieden geben müssen. Aber auch für mich gibt es ein paar letzte Grenzen, über die ich nie hinwegschreiben werde.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Kati am 11. Januar 2017, 17:04:15
Zitat von: WitchOkay, bevor es ausartet mit Rassismus, Sexismus usw. Ich bin zwar kein Mod, aber als Threadstellerin fühle ich mich doch ein bisschen verantwortlich. Ich denke, wir sind uns hier alle einig, dass diese Dinge nicht in Ordnung sind und man sie nicht verherrlichen oder verharmlosen sollte. Es wäre deshalb schön, wenn wir zum ursprünglichen Thema zurückkehren könnten, nämlich der Frage: Wie baue ich Hemmungen oder Angst, über etwas Bestimmtes/ein Thema zu schreiben, ab. ;)

:jau: Ich denke, wenn es einfach darum geht, Hemmungen abzubauen hilft nur Übung und Überwindung. Was ich mir auch vorstellen kann ist, dass es hilft sich Filme anzugucken oder Romane zu lesen, die ungefähr in die Richtung gehen, in die man schreiben möchte. Nicht nur bekommt man dann ein Gefühl für die Konventionen und Herangehensweisen an solche Themen, man wird auch automatisch gezwungen seine Hemmungen ein Stück weit zu verlieren. Das einzige, das mir geholfen hat, bessere Thrillerplots auszuarbeiten war tatsächlich, viele Thriller zu lesen und dabei habe ich auch gemerkt, dass mir der Umgang mit Tod, Gewalt und Verbrechen immer leichter fiel. Nicht nur beim selbst drüber Schreiben, sondern auch ganz allgemein. An ganz harte Thriller wage ich mich immer noch nicht ran, aber die möchte ich auch nicht selbst schreiben, deshalb ist es für mich okay, dass ich das wahrscheinlich auch nicht könnte. Aber ich denke, es ist nie verkehrt sich anzugucken, wie andere Autoren die Probleme, die man mit dem Schreiben von solchen Themen hat, gelöst haben und welche Konventionen im Genre oder generell im Umgang mit dem Thema beliebt sind.

Darüber hinaus stimmt es natürlich, dass man nicht alles recherchieren kann, aber Recherche ist ein sehr viel größerer Punkt, als viele glauben. Ich kenne viele Thrillerautoren, die Dokumentationen oder Biographien über Serienkiller lesen oder anschauen, bevor sie Bücher schreiben, in denen welche vorkommen. Besonders in kreativen Handwerken ist Empathie und Vorstellungsvermögen nicht selten wichtiger als Erfahrung und, wenn man sich für einen Roman viel mit der Psychologie hinter solchen Verbrechen beschäftigt, senkt das die Hemmschwellen, die man bei dem Thema vielleicht hat, automatisch. Ich glaube, worauf es hinausläuft, zumindest für mich, ist eine intensive Beschäftigung mit dem Thema, auch über Komfortzonen hinaus. Wenn ich über Fremdenfeindlichkeit schreiben will, muss ich mich damit beschäftigen, wie Fremdenfeindlichkeit eigentlich aussieht, welche Folgen sie hat und so weiter. Und man muss sich dann halt auch wirklich in die Psyche von so einem Menschen hineindenken können und wollen, wobei es wohl wirklich sinnvoll ist, Interviews, Artikel und dergleichen mit und von solchen Leuten zu lesen oder anzuschauen, auch, wenn es schwerfällt. Das ist nicht immer leicht und nicht für jeden etwas, aber wenn man wirklich so einen Roman schreiben will, ist das denke ich der allerbeste Weg. Erfahrung ist nicht unwichtig, aber man kann nicht alles selbst erfahren. Einfach losschreiben und hoffen, dass die Hemmungen schon verschwinden, hilft meistens nicht. Für mich war der Schlüssel bisher immer Vorstellungsvermögen und natürlich der Wille, mich in bestimmte Themen einzuarbeiten und reinzudenken, bevor ich über sie schreibe.
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: HauntingWitch am 12. Januar 2017, 09:52:18
@Zitkalasa: Ich glaube, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. ;D

@canis lupus niger: Ja, ich denke auch, dass die Sachen, die man aus eigener Erfahrung (oder ähnlicher Erfahrung) heraus beschreibt, am besten kommen. Aber ich stimme auch Charlotte zu, Recherche und Einfühlungsvermögen sind nicht zu unterschätzen. Man kann ja auch von einer ähnlichen Erfahrung plus Recherche zehren und sich somit ein Bild machen. Wie sehr dieses Bild dann stimmt, ist die andere Frage, aber wie viele Leser wissen es schon besser, um das bemängeln zu können?

@Charlotte und cryphos: Ja, ich denke, ihr habt recht. Überwindung ist vermutlich das Schlüsselwort. Ich gehe dann mal noch ein wenig üben.

@Charlotte: Entsprechende Bücher lesen und Filme ansehen tue ich ja schon, das ist ja mein Punkt. Ich bewundere die Autoren/Macher dann immer, wie die das hinkriegen. Das möchte ich auch erreichen.  :)
Titel: Re: Vom Mut, das Unschöne auszusprechen
Beitrag von: Anj am 12. Januar 2017, 20:08:15
Wenn du klare Vorbilder hast, kann es auch hilfreich sein, eine "Meisterkopie" zu schreiben. Also eine Passage zu schreiben, die aus der Feder des anderen Autors stammen könnte. Das darf zu Übungszwecken auch ruhig eine echte Kopie sein, bei der dieselbe Szene nur abgewandelt wird. Beispielsweise mit eigenen Worten in einem neuen Setting "nachgeschrieben" oder charakteristische Merkmale die bloß ausgetauscht sind.
Mir hat das mal sehr geholfen, mich in den Ton eines Genres einzufinden, den ich gerne erreichen wollte.