Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: HauntingWitch am 07. Juli 2015, 09:44:31

Titel: Realismus vs. Drama
Beitrag von: HauntingWitch am 07. Juli 2015, 09:44:31
Schön seit Längerem beschäftigt mich dieses Thema, doch da ich momentan gerade selbst damit konfrontiert bin, würden mich mal eure Meinungen dazu interessieren. Es geht darum, wie realistisch etwas sein kann/soll, damit es trotzdem spannend und temporeich bleibt. Wie viel Drama es braucht und wie weit dieses die realistischen Aspekte einschränken darf. Was ist wichtiger und wo macht ihr eure Abstriche? Wie entscheidet ihr, wann ihr die richtige Balance gefunden habt?

Die Realität ist ja oft zu langsam (um nicht zu sagen langweilig, denn das stimmt ja eigentlich nicht) für eine Romanhandlung und alles wirkt weniger spektakulär, trockener, wenn man so will. Aber gleichzeitig zeichnet Realitätsnähe einen Roman im Contemporary-Bereich ja auch aus (für High Fantasy gilt es natürlich auch, aber auf eine andere Art). Doch was ist, wenn die Realität einfach der Handlung im Wege steht? Wofür entscheidet man sich?

Ich nehme als Beispiel mal die Serie Nashville, weil ich mich dort bei der Thematik etwas auszukennen glaube. ;) Es geht in der Serie um verschiedene Country-Musiker in den verschiedensten Stadien ihrer Karrieren und deren Leben. Nach meinem bisherigen Wissen über das Musikbusiness, sind die Darstellungen durchaus realistisch. Aber sie sind halt teilweise auch stark vereinfacht oder überzeichnet, dies zugunsten der Dramatik. Welcher Zuschauer möchte schon sehen, wie die in einem Sitzungszimmer hocken und Vertragsverhandlungen führen? Was dann mal kurzerhand auf Sticheleien hinter der Bühne verlagert wird (was bestimmt auch vorkommt, aber wohl kaum so offen und in diesem Ausmass). Aber ihr wisst, was ich meine? Bestimmt gibt es solche Sachen auch noch bei anderen Werken.

Ich denke, die meisten diesbezüglichen Missachtungen seitens des Autors fallen den meisten Lesern gar nicht auf, wie viele von ihnen kennen sich schon so genau mit einem Thema aus... Andererseits hat man ja auch einen gewissen Anspruch an sich selbst.

Bevor ich jetzt noch lange vor mich hin sinniere, Diskussion kann starten.  :)
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Moni am 07. Juli 2015, 10:04:42
Das ist ein total interessantes Thema, ich muß gestehen, bisher habe ich darüber noch gar nicht nachgedacht. Vielleicht liegt das auch an meiner Art zu schreiben,ich habe da schon das ein oder andere Mal gehört, daß es sich sehr "filmisch" liest. (Kann man jetzt positiv oder negativ sehen, wie mir gerade auffällt.  :hmmm: )

Realismus bzw. Realitätsnähe bedeuten für mich nicht unbedingt, daß ich etwas haarklein schildere, sondern allem einen Rahmen gebe, in dem bestimmte Dinge in sich logisch passieren. Wir hatten schon mal einen Thread zum Thema Realismus in der Fantasy, da habe ich das auch so ähnlich schon formuliert.
Ich unterscheide auch zwischen Drama und Dramatik. Dramatik ist etwas, daß ich benutze, um Spannung zu erzeugen, Drama ist eine Überhöhung dieser Dramatik (benutze ich also im Sinne von Melodramatik). Dramatik und Realitätsnähe schließen einander für mich nicht aus, Drama schon eher.

Ich glaube, über das Thema muß ich mir wirklich mal genauer Gedanken machen.  ;D
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Kaeptn am 07. Juli 2015, 10:15:44
Ich stimme Moni zu: Vereinfachungen sind kein Problem, hauptsache die Logik bleibt intakt. Ein klassisches Beispiel wo diesbezüglich massiv übers Ziel hinausgeschossen wird, ist die TV-Serie Sherlock. Manche Fälle sind einfach haarsträubend überdramatisiert (der Reichenbach-Fall beispielsweise war in meinen Augen einfach nur noch unlogischer Käse)  und nur noch deswegen akzeptabel, weil der Grundton der ganzen Serie ja sehr ironisch ist.

Generell denke ich aber, dass man als Autor da höhere Maßstäbe hat als die meisten Leser und der Unterhaltungswert letzlich immer im Vordergrund stehen sollte. Gerade im Krimi-/Thriller-Bereich wird z.B. meist total überdramatisiert und gleichzeitig die Polizeiarbeit extrem vereinfacht dargestellt, einfach weil keiner Lust hat, seitenlange Laborberichte oder Zeugenbefragungen zu lesen. Aufpassen muss man aber bei Themen, wo sich viele auskennen und empfindlich reagiert wird - einer der Gründe, warum ich mich als Autor nicht an SF oder Historisches heranwage.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Shedzyala am 07. Juli 2015, 10:29:38
Tolles Thema, Witch! Diese Frage quält mich nämlich bei so ziemlich jedem neuen Plot.

Bei Drama-Serien (ich schätze, Nashville könnte man so bezeichnen?) wird die Realität zugunsten des Dramas ja meist so zugespitzt, dass die dramatischen Ereignisse immer nur wenige Charaktere betreffen, dafür aber immer wieder. Realistisch gesehen müssten sich die Schicksalsschläge auf einen größeren Personenkreis verteilen. Aber natürlich kann man jetzt keine 20 Protagonisten einführen, weil das realistisch ist. Zu denen würde der Leser/Zuschauer dann keine Nähe aufbauen. Mit dieser Hinwendung zum Drama habe ich persönlich als Zuschauer keine Probleme, auch wenn ich beim Schreiben immer wieder drüber grüble. Ich glaube, gut gemacht ist man bereit zu akzeptieren, dass ein Waisenkind erst von stinkreichen Eltern adoptiert und dann entführt wird, sich in seinen Entführer verliebt und herausfindet, dass alles vom Bruder geplant wurde, der hinter dem Mord an den Eltern die stinkreichen Eltern vermutet, die einer Geheimorganisation angehören, die in den Wahrheit den Entführer selbst auf das Waisenkind angesetzt haben, weil in seiner DNA der Schlüssel zur Heilung von Krebs verborgen ist. Aber realistisch betrachtet geht das wohl etwas zu viel hin und her.

Wo ich zu viel Drama nicht hinnehmen kann, ist bei Intrigen: Wenn es einfach zu unrealistisch wird, was das große Mastermind alles eingeplant haben soll und welche zufälligen Begebenheit angeblich dem großen Plan entstammen sollten. Natürlich sind Wendung dank Intrigen ganz tolles Drama, aber da wird mir einfach zu viel konstruiert. Viele scheint das jedoch trotzdem nicht zu stören, der Unterhaltungswert ist wohl größer als der Wunsch nach Authentizität.

edit: Hat sich mit Kaeptn überschnitten.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Dämmerungshexe am 07. Juli 2015, 11:41:38
Schließlich und endlich schreiben wir Geschichten, Erzählungen - also tatsächlich Dramen, keine Zeitungsmeldungen oder Protokolle.
Ziel einer Geschichte ist es immerhin auch, beim Leser etwas auszulösen emotional, und das geht eher über Dramatik, als über vollständigen Realismus.
Realismus muss insoweit sein, dass es nicht unglaubhaft und unlogisch wird.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Zit am 07. Juli 2015, 11:57:50
ZitatAber natürlich kann man jetzt keine 20 Protagonisten einführen, weil das realistisch ist.

;D Ich habe mal nachgesehen: Nashville kommt insgesamt doch auf 14 Hauptrollen. Ansonsten fielen mir noch The Sopranos, GoT oder Otherland ein.
Und wenn wir bei TV-Serien schon sind, dürfen wir Dallas auch nicht vergessen. (24 Hauptdarsteller in den ersten 14 Staffeln ...)

Ich frage mich immer, was realistisch ist, weil man als Außenstehender selten das Drama anderer Leute mitbekommt. Viel wird unter den Teppich gekehrt oder nicht erwähnt -- entweder, um andere nicht zu belasten, es nicht für nötig erwähnt zu halten oder um den Schein zu wahren. Außerdem habe ich, bspw., auch keine Ahnung, was in unserer Welt manche Pflegekinder alles erleben, positiv wie vor allem aber auch negativ. Wenn es also in einem Krimi ein Kind gibt, das in verschiedenen Familien, unterschiedlich missbraucht wird, würde ich das nicht unbedingt als überdramatisiert abstempeln.

Was natürlich in gewisser Weise abstrus ist, wenn wie in One Upon A Time oder Digimon (oder besser: Sailor Moon) immer stärkere Gegner auftauchen, die sich auch noch die Klinke in die Hand geben. Aber andererseits: Auch in der echten Welt tauchen immer wieder Probleme auf. Und wenn es jetzt heißt, dass da überdramatisiert wird, dann ist es doch das Problem des Rezipienten, dass er "das Drama" des anderen herunter spielt. Als Autoren können wir also gar nicht überdramatisieren, wenn es für uns passt. ;D Der Leser wird es sich vll. denken -- aber das kann ich ja schlecht kontrollieren oder einplanen.

ZitatDie Realität ist ja oft zu langsam (um nicht zu sagen langweilig, denn das stimmt ja eigentlich nicht) für eine Romanhandlung und alles wirkt weniger spektakulär, trockener, wenn man so will.

Ist das wirklich so negativ zu sehen? Ich habe mich zwei Wochen mit einem Problem herum geschlagen, dann das Zepter in die Hand genommen und zwei Tage ängstlich auf einen Anruf gewartet, der vorhin kam. Das war mir eigentlich schon genug. ;D
In der Realität ist es ja letztlich so, dass wir viele kleine und größere Probleme haben, die sich nicht alle jetzt und sofort lösen lassen und die wir dann jonglieren müssen. Im Roman reduzieren sich diese Probleme meist sehr stark bzw. fokussieren sich einfach auf ein großes Problem. Ob das jetzt aber so viel "spektakulärer" ist, weiß ich nicht.

ZitatWie viel Drama es braucht und wie weit dieses die realistischen Aspekte einschränken darf. Was ist wichtiger und wo macht ihr eure Abstriche? Wie entscheidet ihr, wann ihr die richtige Balance gefunden habt?

Die Frage, wie bei fast allem: Wo soll das Ganze hinführen? Welchen speziellen Zweck hat jetzt der Autounfall, den kein anderes Ereignis erfüllen könnte? Wenn ich bspw. meinen Protagonisten ans Krankenhaus fesseln will, kann er da ja auch landen, weil der Blinddarm entfernt werden muss oder er so hart geschuftet hat im Garten, dass er mit Hitzschlag zusammen bricht oder er ist einfach ein Pfleger. Da muss es nicht unbedingt das Auto sein.
Wobei es mir persönlich auch nicht um Balance geht sondern um Schlüssigkeit, sowohl der Handlung als auch der Charaktere. (Dass meine Figuren oft ihren Knacks weg haben, ist aber nur eine Vorliebe von mir und nicht kühle Berechnung.)
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: PinkPuma am 07. Juli 2015, 12:11:17
Zitat von: KaeptnGenerell denke ich aber, dass man als Autor da höhere Maßstäbe hat als die meisten Leser und der Unterhaltungswert letzlich immer im Vordergrund stehen sollte. Gerade im Krimi-/Thriller-Bereich wird z.B. meist total überdramatisiert und gleichzeitig die Polizeiarbeit extrem vereinfacht dargestellt, einfach weil keiner Lust hat, seitenlange Laborberichte oder Zeugenbefragungen zu lesen. Aufpassen muss man aber bei Themen, wo sich viele auskennen und empfindlich reagiert wird - einer der Gründe, warum ich mich als Autor nicht an SF oder Historisches heranwage.

Dass man als Autor oft höhere Ansprüche hat als der Leser, ist sicher richtig. Ebenso, dass viele Leser in erster Linie unterhalten werden wollen und es in diesem Zuge nicht so wichtig ist, ob etwas wirklich realistisch ist oder nicht. ABER ist es für uns als Autoren nicht auch irgendwo Pflicht, so realitätsnah wie möglich und trotzdem so spannend als möglich zu schreiben?

Gerade bei Krimis macht es mich wirklich wütend, wie unrealistisch Polizeiarbeit zum Teil dargestellt wird. Okay, ich bin bei diesem Thema auch überempfindlich, aber muss es nicht die Aufgabe eines Autors sein, Polizeiarbeit realitätsgetreu wiederzugeben und trotzdem eine spannende Geschichte zu schreiben? Dass viele Dinge, wie z.B. Zeugenverhöre, stinklangweilig sind, streite ich gar nicht ab. Aber trotzdem kann ich als Autor nicht so tun, als hätte es sie nie gegeben. Ich muss es ja nicht 1 zu 1 wiedergeben, aber doch zumindest erwähnen, oder nicht?

Bei meinem aktuellen Projekt habe ich selbst das Problem, dass ich viele behördliche Vorgänge schildern will/muss und diese den Text zäh und belehrend machen. Aber es kann ja nicht die Lösung sein, all diese Vorgänge einfach zu streichen. Stattdessen versuche ich, das trockene Blabla irgendwie spannender zu verpacken, sodass es nicht langweilig wird, aber gleichsam auch der realistische Hintergrund nicht verloren geht.

Zitat von: KaeptnAufpassen muss man aber bei Themen, wo sich viele auskennen und empfindlich reagiert wird - einer der Gründe, warum ich mich als Autor nicht an SF oder Historisches heranwage.
Genau hier liegt doch das Problem. Viele Leser kennen sich mit Dingen wie Polizeiarbeit eben nicht aus. Und warum? Weil sie in Romanen, TV-Serien und Filmen teilweise so atemberaubend weltfremd dargestellt wird.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Zit am 07. Juli 2015, 12:23:46
ZitatABER ist es für uns als Autoren nicht auch irgendwo Pflicht, so realitätsnah wie möglich und trotzdem so spannend als möglich zu schreiben?

Nein. Punkt.

Der Beruf des Autors ist nur durch die Tätigkeit als solche definiert: Verfasser und Urheber von Werken. Welche Maßstäbe er dafür anlegt, ist dann ihm selbst überlassen.
Ein weiteres Gegen-Beispiel zur Aussage: So viel Realitätsnähe wie möglich in einem Groschenroman wäre zum einen der vorgegebenen Länge wegen hinderlich, andererseits würde es den Produktionsprozess aufhalten (Recherche) und letztlich würde es auch völlig am Charakter des Groschenromans vorbei gehen: Er ist ein Werk voller Schmacht, eben um der Realität zu entfliehen.
Den letzten Punkt kann man, ganz wertfrei, auch für Genreliteratur übernehmen. Zumindest gehe ich davon aus, dass Menschen lesen, weil ihnen die Realität zu viel ist und sie Erholung im Roman suchen. Unsere Welt ist komplex und nur in sehr kleinem Rahmen für Otto Normalverbraucher gestaltbar, insofern eben auch schwer zu verstehen. Romane specken ab, um aufs Wesentliche zu fokussieren.

Warum Leute aber schreiben, und dann auch noch veröffentlichen? Muss jeder für sich selbst heraus finden. Wenn jemand realitätsnah schreiben will, okey. Als Fantasy-Autor will und kann ich mir das aber nicht zu 110% ans Bein binden.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Churke am 07. Juli 2015, 12:31:26
Zitat von: Witch am 07. Juli 2015, 09:44:31
Die Realität ist ja oft zu langsam (um nicht zu sagen langweilig, denn das stimmt ja eigentlich nicht) für eine Romanhandlung und alles wirkt weniger spektakulär, trockener, wenn man so will.

Wenn das so ist, hat man sich möglicherweise das falsche Thema ausgesucht.  :hmmm:
Ich finde die Realität enorm spannend und immer wieder überraschend. Stichwort "bewiesene Verschwörungstheorien".

Ansonsten ist es halt wichtig, sich zu entscheiden, welche Geschichte man erzählt. Davon hängt dann ab, wie weit man sie verändern kann oder will.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Blackhat am 07. Juli 2015, 12:52:43
ZitatViele Leser kennen sich mit Dingen wie Polizeiarbeit eben nicht aus. Und warum? Weil sie in Romanen, TV-Serien und Filmen teilweise so atemberaubend weltfremd dargestellt wird.

Das sehe ich anders. Ich glaube die meisten Leser/ Zuschauer sind sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass Polizeiarbeit zu einem Großteil aus drögem, administrativem Kram besteht (Beschaffungsanforderung für drei neue Bleistifte ausfüllen). Aber genau das interessiert den normalen Leser/ Zuschauer nicht, denn er will unterhalten werden. Ein Autor macht im Wesentlichen eines: er erzählt Geschichten. In was für einem Setting diese Geschichten spielen, sollte im günstigsten Fall sogar zweitrangig sein. Häufig reichen eine handvoll gut gestreuter Details, um dem Leser/ Zuschauer zu vermitteln: Ah, der Autor hat sich mit der Materie beschäftigt. Mehr nicht, Verwaltungskram interessiert keine Sau, außer in einer Satire vielleicht.  S. King hat mal gesagt: Ich muss nur so viel wissen, dass ich überzeugend lügen kann. das trifft es glaube ich ziemlich gut. Denn es sind die Geschichten, die die Figuren erleben und durchleben und mit ihnen der Leser, das Drumherum ist nur Verpackung. Daher leben Krimis auch entweder vom Thrill oder der Möglichkeit den Fall gemeinsam mit dem Helden zu lösen. Wenn man langweilige Verhöre zumindest erwähnen möchte, kann man das ja machen, aber dann sollte man sich auch fragen, ob sie für die Geschichte wirklich wichtig sind. Wenn sie langweilig sind wohl eher nicht, dann kann man sie auch weglassen.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: HauntingWitch am 07. Juli 2015, 12:59:55
Wow, so viele Antworten, danke euch allen. :) Mir kommen dazu einige Gedanken, mein Gehirn überschlägt sich gerade ein wenig. Aber ich kann im Moment nicht ausführlich schreiben, weil mir soeben ein ziemlich grosser Berg Arbeit überlassen wurde. Ich melde mich dann später wieder.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: PinkPuma am 07. Juli 2015, 13:10:35
Zitat von: ZitkalasaDer Beruf des Autors ist nur durch die Tätigkeit als solche definiert: Verfasser und Urheber von Werken. Welche Maßstäbe er dafür anlegt, ist dann ihm selbst überlassen.

Dass im Berufsbild des Autors der Anspruch des realitätsgetreuen Schreibens nicht definiert ist, ist mir klar. Die Frage ist doch aber, habe ICH als Autor diesen Anspruch? Bei Fantasy ist das eine Sache, bei einem Krimi, der im Jahr 2015 in Hamburg spielt, eine ganz andere – meiner Meinung nach.

Zitat von: BlackhatDas sehe ich anders. Ich glaube die meisten Leser/ Zuschauer sind sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass Polizeiarbeit zu einem Großteil aus drögem, administrativem Kram besteht (Beschaffungsanforderung für drei neue Bleistifte ausfüllen). Aber genau das interessiert den normalen Leser/ Zuschauer nicht, denn er will unterhalten werden.

Dass sich viele Leser über den administrativen Kram im Klaren sind, will ich gar nicht abstreiten. Ebenso bin ich auch der Meinung, dass man den gerne rauslassen oder nur am Rande erwähnen kann. Aber wirklich problematisch wird es in meinen Augen, wenn man Polizeiarbeit in eine Richtung überspitzt, nur um Spannung aufzubauen. Ein pflichtbewusster Polizist stürmt nicht mal eben so ein Haus, weil er vermutet, dass seine Freundin darin festgehalten wird. Eine Polizistin trägt nicht in ihrer Freizeit ihre Waffe in der Handtasche mit sich herum. Aber genau das ist es, was viele Leute denken (ja, habe ich selbst schon erlebt), weil es in Literatur, Film und Fernsehen ab und an so dargestellt wird.

Zitat von: BlackhatHäufig reichen eine handvoll gut gestreuter Details, um dem Leser/ Zuschauer zu vermitteln: Ah, der Autor hat sich mit der Materie beschäftigt.

Absolut, da stimme ich zu. Ich sage auch nicht, dass man alles haarklein ausformulieren muss, um zu beweisen, dass man sich mit der Realität auskennt. Bloß wenn ich anhand von ein, zwei Details erkenne ,,aha, der Autor hat keinen blassen Schimmer", dann lege ich als Leser das Buch beiseite.

Und schlussendlich würde ich mal die These in den Raum werfen, dass Thrill/Spannung/was auch immer und Realitätsnähe sich keinesfalls ausschließen müssen – wenn der Autor es denn schafft, die Realität spannend zu verpacken.  :jau:
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Blackhat am 07. Juli 2015, 13:23:31
ZitatAber wirklich problematisch wird es in meinen Augen, wenn man Polizeiarbeit in eine Richtung überspitzt, nur um Spannung aufzubauen.

Da bin ich voll bei dir, allerdings bewegen wir uns hier auf einer sehr subjektiven Ebene. Den einen stört es (uns), den anderen nicht. Aber dafür gibt es ja gerade in der Krimi Sparte diverse Subgenres, die die verschiedensten Geschmäcker bedienen.

ZitatUnd schlussendlich würde ich mal die These in den Raum werfen, dass Thrill/Spannung/was auch immer und Realitätsnähe sich keinesfalls ausschließen müssen – wenn der Autor es denn schafft, die Realität spannend zu verpacken.  :jau:

D'accord  :)

Mich nervt in diesem Zusammenhang eigentlich am meisten, wenn Krimis, gerade im Fernsehen, als besonders realitätsnah verkauft werden, und dann mit besagter Realität so viel zu tun haben wie ein Apfel mit einem Raumschiff.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: PinkPuma am 07. Juli 2015, 14:21:55
Zitat von: BlackhatMich nervt in diesem Zusammenhang eigentlich am meisten, wenn Krimis, gerade im Fernsehen, als besonders realitätsnah verkauft werden, und dann mit besagter Realität so viel zu tun haben wie ein Apfel mit einem Raumschiff.
Mhh wie der Stuttgart-Tatort vor Kurzem, bei dem eine Karlsruher Bahn durch's Bild fuhr...  ::) Sorry, off topic.

Ja, letztlich geht es eben wieder um das Thema Erwartungen. Wenn ich realitätsnah auf mein Buch draufschreibe, muss auch realitätsnah drin sein. Steht das nicht drauf, bewegen wir uns wohl im Raum der künsterlischen Freiheit.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Churke am 07. Juli 2015, 14:42:49
Ich muss sagen, dass ich hier nicht ganz mitkomme.
Ich habe es doch bereits als Autor in der Hand, auch einen realistischen Plot zu hinzudrehen, dass Langweiliges einfach nicht auftaucht.
Wo die Polizeiarbeit genannt wurde. Was zum Kuckuck zwingt mich dazu, in einen Krimiplot die Vernehmung von 10 Zeugen reinzuschreiben, wenn von denen nur einer was gesehen hat?
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Zit am 07. Juli 2015, 15:14:21
Zitat von: PinkPuma am 07. Juli 2015, 13:10:35
Dass im Berufsbild des Autors der Anspruch des realitätsgetreuen Schreibens nicht definiert ist, ist mir klar. Die Frage ist doch aber, habe ICH als Autor diesen Anspruch? Bei Fantasy ist das eine Sache, bei einem Krimi, der im Jahr 2015 in Hamburg spielt, eine ganz andere – meiner Meinung nach.

Tut mir Leid. Auf mich wirkte das, was du sagtest, sehr allgemein gesprochen und entsprechend habe ich dagegen gehalten.
Trotzdem bleibe ich beim Nein. Für dich hast du die Sache so festgelegt, aber du kannst die Ansicht nicht anderen abverlangen. Natürlich kann man je nach Genre unterscheiden, weil jedes Genre so seine eigenen Ansprüche hat. Ansonsten schließe ich mich Churke an, dass ich gerade nicht weiß, worauf du hinaus willst oder wo für dich das Problem liegt.
Es gibt Dinge, die kann man mit Recherche erledigen (wie die von dir angesprochene falsche Stadtbahn beim Tatort, die einem aber eben auch nur auffällt, wenn man davon weiß), und es gibt Dinge, die kann man unter den Tisch fallen lassen, wenn gerade eine andere Szene, die zur gleichen Zeit spielt, viel wichtiger ist. (Der eine von zehn Zeugen, der was gesehen hat.) Wo ist da das Problem?
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: HauntingWitch am 07. Juli 2015, 15:33:51
Zitat von: MoniRealismus bzw. Realitätsnähe bedeuten für mich nicht unbedingt, daß ich etwas haarklein schildere, sondern allem einen Rahmen gebe, in dem bestimmte Dinge in sich logisch passieren.

Zitat von: DämmerungshexeRealismus muss insoweit sein, dass es nicht unglaubhaft und unlogisch wird.

Aber wo ist die Grenze zwischen nicht exakt realitätsgetreu und unlogisch? Was für den einen einfach nur nicht 100% der Realität entspricht, wirkt auf einen anderen völlig absurd. Gerade erst gestern habe ich einen Roman angelesen, in dem ein angeblicher Superstar ein gewöhnliches Mädchen heiratet. Meiner Ansicht nach ist das dort höchst unlogisch dargestellt. Die Autorin scheint aber ihre Anhänger zu haben, sie stellt das einfach als gegeben für ihre Romanwelt hin (die unsere Welt ist, weshalb sie zumindest eine Erklärung mitliefern müsste, wieso er sich völlig unbehelligt in einem stinknormalen Café bewegen und die andere anflirten und daten kann, ohne dass es jemand merkt, was sie nicht tut...)

Zitat von: ShedzyalaBei Drama-Serien (ich schätze, Nashville könnte man so bezeichnen?) wird die Realität zugunsten des Dramas ja meist so zugespitzt, dass die dramatischen Ereignisse immer nur wenige Charaktere betreffen, dafür aber immer wieder. Realistisch gesehen müssten sich die Schicksalsschläge auf einen größeren Personenkreis verteilen. Aber natürlich kann man jetzt keine 20 Protagonisten einführen, weil das realistisch ist.

Naja, gerade Nashville hat schon recht viele, GoT ja auch und das funktioniert auch. Aber in einem Roman hat man in der Regel nicht so viele, das stimmt. Ausserdem: Nashville ist als ewige Fortsetzungsserie konzipiert. Innerhalb eines einzigen Romans wäre so ein Szenario wie von dir beschrieben völlig überdramatisiert... Aber das ist es ja, es wäre ein Plot. Wenn das Kind erst zu Pflegeeltern kommt, dort nicht besonders geliebt wird, dann mit 16 abhaut, einen Job findet, sich irgendwie durchschlägt und es schliesslich doch noch an die Uni schafft, obwohl er/sie einst die Schule abgebrochen hat... Wäre realistischer, aber das zieht sich über so einen langen Zeitraum hin, wie komprimiert man das spannend? Also, ich hoffe, man versteht, wie ich das meine. Ich finde es verdammt schwierig, so etwas ohne jegliche Action und mit relativ wenig Tempo spannend zu gestalten. Lasse ich doch lieber noch den besten Freund sterben, den Hund überfahren, den Job verlieren und das Haus zusammenbrechen (überspitzt gesagt jetzt). Aber das ist wiederum nicht mehr realistisch.

Zum Thema Masterplan vom Evil Overlord: Ja, das finde ich auch immer zum Augenrollen, aber gerade an Once Upon A Time habe ich trotzdem meine Freude. Da sind so viele geniale Beziehungen drin, da kann ich schon mal über solche Kleinigkeiten hinwegsehen. :engel: Ich merke gerade während ich das schreibe, dass da wohl auch vieles Ansichtssache ist.

Zitat von: ZitkalasaIch frage mich immer, was realistisch ist, weil man als Außenstehender selten das Drama anderer Leute mitbekommt. Viel wird unter den Teppich gekehrt oder nicht erwähnt -- entweder, um andere nicht zu belasten, es nicht für nötig erwähnt zu halten oder um den Schein zu wahren.

Aber beim Schreiben geht es ja unter anderem auch darum, genau das zu erforschen und genau diese Dinge zur Sprache zu bringen. Ich versuche immer, den verborgenen und heimlichen Gedanken der Protagonisten Raum zu geben, eben all das einfliessen zu lassen, was sie gegenüber der Öffentlichkeit (oder den anderen Charakteren) nicht zeigen. Das gehört dazu. Ich sehe gerade nicht, inwiefern das dem Realismus im Weg steht, sind ja meine fiktiven Charaktere, deren Gedanken kenne ich ja (bzw. bestimme ich).

Zitat von: PinkPuma
Genau hier liegt doch das Problem. Viele Leser kennen sich mit Dingen wie Polizeiarbeit eben nicht aus. Und warum? Weil sie in Romanen, TV-Serien und Filmen teilweise so atemberaubend weltfremd dargestellt wird.

Ist es wirklich so ein Problem? Man kann sie doch auch einfach in ihrem Irrglauben lassen oder schadet das jemandem? Wobei ich zwar auch immer lachen muss, wenn ich höre, was manche so für Vorstellungen von Musikern haben. Aber wenn schon, sollen sie doch.

Während ich diesen Post tippe, komme ich zu einem Schluss, glaube ich zumindest. Letztendlich läuft wahrscheinlich alles wieder auf Ansichtssache hinaus. Der eine akzeptiert es, wie es ist, der andere eben nicht. Die einen wissen es halt ein bisschen genauer, andere eben nicht. Oder letztendlich: Die einen werden ein Buch trotzdem gut finden und die anderen eben nicht.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Blackhat am 07. Juli 2015, 15:35:22
@ Churke: Ich glaube, wir liegen da ziemlich dicht beieinander. 

Insgesamt sollte aber beachtet werden, dass das Thema Realitätsnähe sehr eng mit dem jeweiligen Genre verknüpft ist. Bei einem High-Fantasy Roman ist es müßig über Realitätsnähe zu reden, hier muss die innere Logik der erfundenen Welt beachtet werden. Bei gesellschaftskritischen Gegenwartsromanen sieht das hingegen schon ganz anders aus. Hier sollten die Lebensumstände und gesellschaftlichen Zusammmenhänge natürlich sehr genau beobachtet und wiedergegeben werden. Aber auch hier nicht bis ins letzte Detail. Die Kunst des Schreibens besteht im Weglassen. Bei historischen Romanen sollte man natürlich auch historische Fakten beachten, aber mal ganz ehrlich: wie viel Prozent der Leser kennen sich in der Geschichte so genau aus? Wer weiß zum Beipiel, wie viele verschiedene Spanntechniken es für Armbrüste gegeben hat und wen interessiert das am Ende? In »Das Lied des Blutes« (Fantasy, aber egal) wird ellenlang beschrieben, wie ein Schwert geschmiedet wird. Wirklich spannend ist das nicht und für die Geschichte ist es auch nicht wichtig. Hier wollte der Autor offensichtlich nur zeigen, wie fleißig er recherchiert hat. Toll, bravo, ein Fleißbienchen, setzen. Kann man machen, wenn man unbedingt auf 800 Seiten kommen will und sonst nichts zu erzählen hat, was dazu führt, dass Leser wie ich, das Buch nach 400 Seiten entnervt weglegen.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Lothen am 07. Juli 2015, 16:06:35
Zitat von: WitchIst es wirklich so ein Problem? Man kann sie doch auch einfach in ihrem Irrglauben lassen oder schadet das jemandem? Wobei ich zwar auch immer lachen muss, wenn ich höre, was manche so für Vorstellungen von Musikern haben. Aber wenn schon, sollen sie doch.
Da würde ich sagen: Das hängt davon ab.

Nur als Beispiel: Ich schaue hin und wieder mal amerikanische Krimiserien und stoße z.B. bei "Criminal Minds" regelmäßig an meine Grenzen. Wenn man auch nur ansatzweise etwas von forensischer Psychologie und "Profiling" versteht, ist das, was da gezeigt wird, völliger Mist. Und da ärgert es mich schon manchmal, wie plakativ und reißerisch das dargestellt wird. Ich könnte mir vorstellen, dass es dem einen oder anderen Polizisten beim Lesen von Kriminalromanen genauso geht.  :hmmm:

Zitat von: WitchLasse ich doch lieber noch den besten Freund sterben, den Hund überfahren, den Job verlieren und das Haus zusammenbrechen (überspitzt gesagt jetzt). Aber das ist wiederum nicht mehr realistisch.
Eines darf man dabei nicht vergessen: Man schreibt ja einen Roman in der Regel nicht über Frau Mustermann von nebenan, der in ihrem Leben nichts Aufregendes passiert. Protagonisten sind schon deswegen etwas Besonderes, weil sie Protagonisten sind und weil sich um sie eine Geschichte entspinnt. Insofern darf die Geschichte eines/r Prota auch mal außergewöhnlich oder besonders sein und von üblichen Konventionen abweichen (sofern es eine gute Erklärung dafür gibt).

Ansonsten stimme ich meinen Vorrednern zu: Wie viel Realismus "nötig" ist, ist auch immer eine Frage des Genres und der eigenen Konvention. Noah Gordon schreibt ja zum Beispiel im Nachwort des Medicus ganz gezielt, dass der Roman einige historische Unwägbarkeiten hat, die er aber in Kauf genommen hat, um die Geschichte besser entspinnen zu können. Jetzt könnte man aufschreien und sagen, dass das in einem historischen Roman ein absolutes No-Go ist. Noah Gordon hat's gemacht. Und er hatte damit Erfolg. Insofern ...
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Churke am 07. Juli 2015, 16:19:22
Zitat von: Witch am 07. Juli 2015, 15:33:51
Man kann sie doch auch einfach in ihrem Irrglauben lassen oder schadet das jemandem?

Das schadet dir bzw. deinem Ruf, wenn du damit auffliegst.  ;D

Ein Roman, der Falsches behauptet, ist unglaubwürdig.

Zitat von: Blackhat am 07. Juli 2015, 15:35:22
In »Das Lied des Blutes« (Fantasy, aber egal) wird ellenlang beschrieben, wie ein Schwert geschmiedet wird.

Ich finde solche Sachen immer recht unterhaltsam, weil sie sie meistens nicht stimmen. Das würde ich aber nicht als Kompliment an den Autor auffassen.  :pfanne:
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: canis lupus niger am 07. Juli 2015, 19:01:54
Meiner Meinung nach kann ein realistischer Roman ebenso gut unterhalten wie ein fantastischer, wenn der Autor spannend schreibt. Dazu gehört, dass man den Leser nicht mit Infodump überschüttet - egal, wie realistisch dieser ist. Ausschlaggebend ist, wie erforderlich die Informationen für den Zweck des Autors ist. Will er einen dokumentarischen Bericht schreiben? Einen Tatsachenroman? Oder Fantasy? Was muss der Leser wissen, um der Geschichte folgen zu können, um unterhalten zu werden?

Ich persönlich versuche nur in den Bereichen, in denen ich mich wirklich auszukennen glaube (vorhandenden gewesenes oder neu recherchiertes Wissen) ins Detail zu gehen. Ansonsten kann es wirklich peinlich werden. Nicht jeder Leser besitzt ausreichende Kenntnisse über die Schwertschmiedekunst, um hier einen Detailfehler zu erkennen. Aber wenn in einem Roman für kleine Mädchen erzählt wird, dass die Prota auf gefühlten zehn Seiten ebensoviele gravierende Fehler im Umgang mit ihrem Pferd macht, dann darf man davon ausgehen, dass ein hoher Prozentsatz der jungen Leserinnen ausreichend Pferdewissen haben, um diese Fehler zu bemerken. Einfach weil die Zielgruppe sich erfahrungsgemäß für diese Thematik interessiert. Sowas macht mich beim Lesen echt wütend, weil es zeigt, dass der Autor sich nicht mal fünf Minuten Zeit für Recherche genommen hat. Und wenn es sich dann um ein mit Riesen Marketingaufwand von einem Großverlag (sechs Bände, Hardcover mit professioneller Gestaltung, in allen Buchhandlungen im Regal stehend und in etlichen Sprachen übersetzt) erfolgreich auf den Markt gepushtes Werk handelt, dann macht mich das noch wütender. Aber offensichtlich geht sowas, wenn -hier kommen wir wieder zur Ansichtssache- keiner was daran auszusetzen hat. Der Müll wird offenbar trotzdem gekauft, wenn die Leser unkritisch genug und die Geschichte trotzdem unterhaltsam genug ist. 

Insofern hängt es wohl davon ab, wie anspruchsvoll der Autor selber ist, wie gut sein Verhältnis zum Verleger, und wie anspruchsvoll und marktbeherrschend der Verlag.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Moni am 08. Juli 2015, 11:01:10
Zum Thema Realismus in der Fantasy allgemein haben wir auch folgenden Thread: Realismus in der Fantasy (http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,200.0.html). Einige der hier genannten Punkte wurden da auch bereits besprochen, an sich ging es hier ja eher um die Gegenpole Realismus und Drama.



Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Coppelia am 08. Juli 2015, 11:19:15
Für mich ist eine Häufung von Unglücksfällen eigentlich nicht unrealistisch. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir einigermaßen gut behütet werden und leidlich abgesichert sind, aber das ist nicht überall und zu jeder Zeit so. Wer aus den Maschen des Netzes fällt, für den können sich Unglücksfälle schnell häufen, und es wird sehr "dramatisch", um es mal zynisch auszudrücken.
Ich habe in den letzten Wochen historische Recherche über bestimmte Familien im antiken Rom zu einer bestimmten Zeit betrieben und bin kaum auf eine Person gestoßen, die eines natürlichen Todes gestorben ist (diese Personen gehörten der Oberschicht an). Bei der einen Familie, mit der ich mich näher beschäftigt habe, häufen sich Selbstmorde der Familienväter (nach ihren spektakulär ruinierten Karrieren und unfassbaren politischen Dramen, an denen sie beteiligt waren) und ein geradezu schauerliches Ermordet-Werden ihrer Söhne, all das garniert mit Bürgerkrieg, politischen Krisen und den damals ganz alltäglichen Schrecken wie Krankheiten, Fehlgeburten, Tod von Frau und Kind usw. All das ist noch eher repräsentativ als ungewöhnlich.
Klar werden auch diese Leute mal gemütlich und ungestresst die Beine hochgelegt haben. Sie werden auch mal fröhlich gewesen sein und ihre Erfolge gefeiert haben, bevor der Hammer des Schicksals mal wieder zuschlug. Und auch solche Szenen braucht man als Autor, damit sich die Leser zwischendurch mal ein bisschen entspannen können.

Also: Drama kann meiner Ansicht nach sehr realistisch sein, wenn die allgemeinen Umstände es fördern.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: PinkPuma am 08. Juli 2015, 12:47:45
Zitat von: ChurkeWo die Polizeiarbeit genannt wurde. Was zum Kuckuck zwingt mich dazu, in einen Krimiplot die Vernehmung von 10 Zeugen reinzuschreiben, wenn von denen nur einer was gesehen hat?

Dass man das tun sollte, hat ja auch niemand behauptet.  ;)

Zitat von: ZitkalasaTrotzdem bleibe ich beim Nein. Für dich hast du die Sache so festgelegt, aber du kannst die Ansicht nicht anderen abverlangen. Natürlich kann man je nach Genre unterscheiden, weil jedes Genre so seine eigenen Ansprüche hat. Ansonsten schließe ich mich Churke an, dass ich gerade nicht weiß, worauf du hinaus willst oder wo für dich das Problem liegt.

Ich will keinesfalls anderen diese Ansicht abverlangen. Ich wollte lediglich die Frage, ob man als Autor eine gewisse Verpflichtung zur Realität hat, in den Raum werfen. Wie gesagt ist das bei Fantasy für mich eine andere Sache ... da bin ich ganz bei Blackhat:

Zitat von: BlackhatInsgesamt sollte aber beachtet werden, dass das Thema Realitätsnähe sehr eng mit dem jeweiligen Genre verknüpft ist. Bei einem High-Fantasy Roman ist es müßig über Realitätsnähe zu reden, hier muss die innere Logik der erfundenen Welt beachtet werden.

... aber bei einem Krimi, der in der realen Welt angesiedelt ist und vielleicht auch noch explizit das Jahr 2015 und einen konkreten Handlungsort nennt, sieht es für mich anders aus. Hier habe ich einen gewissen Realitätsanspruch. Das soll keinesfalls heißen, dass ich der Meinung bin, mal solle detailgetreu das fünfte Verhör wiedergeben. Es geht mir nicht so sehr darum, ob man langweilige Dinge rauslassen kann oder nicht. Ich habe vielmehr ein Problem damit, wenn Dinge an den Haaren herbeigezogen werden, die in der Realität so einfach nicht ablaufen, nur um Spannung aufzubauen. Das meinte ich mit Realitätsanspruch.

Zitat von: WitchIst es wirklich so ein Problem? Man kann sie doch auch einfach in ihrem Irrglauben lassen oder schadet das jemandem? Wobei ich zwar auch immer lachen muss, wenn ich höre, was manche so für Vorstellungen von Musikern haben. Aber wenn schon, sollen sie doch.

Als ,,Problem" würde ich es vielleicht nicht beschreiben. Aber für meinen Mann und andere Polizisten (sicher nicht alle) ist es einfach nervenaufreibend, wenn jeder zweite Bürger ihnen ihre Arbeit erklären will, weil ja alle ach so gut Bescheid wissen.
Wobei ich in dieser Hinsicht auch eher Film und Fernsehen statt Bücher als Auslöser des ,,Problems" sehen würde.

Zitat von: LothenNur als Beispiel: Ich schaue hin und wieder mal amerikanische Krimiserien und stoße z.B. bei "Criminal Minds" regelmäßig an meine Grenzen. Wenn man auch nur ansatzweise etwas von forensischer Psychologie und "Profiling" versteht, ist das, was da gezeigt wird, völliger Mist. Und da ärgert es mich schon manchmal, wie plakativ und reißerisch das dargestellt wird. Ich könnte mir vorstellen, dass es dem einen oder anderen Polizisten beim Lesen von Kriminalromanen genauso geht.  :hmmm:

Genau das ist der Punkt. Ein wirkliches Problem ist es nicht, aber es ist für diejenigen, die sich auskennen, einfach wahnsinnig ärgerlich!

Kurzum: Klar kann Realismus mit Drama verknüpft sein, aber bitte in einem Maße, dass die Realität noch realistisch bleibt.
Titel: Re: Realismus vs. Drama
Beitrag von: Blackhat am 08. Juli 2015, 13:05:20
Zitat... aber bei einem Krimi, der in der realen Welt angesiedelt ist und vielleicht auch noch explizit das Jahr 2015 und einen konkreten Handlungsort nennt, sieht es für mich anders aus. Hier habe ich einen gewissen Realitätsanspruch. Das soll keinesfalls heißen, dass ich der Meinung bin, mal solle detailgetreu das fünfte Verhör wiedergeben. Es geht mir nicht so sehr darum, ob man langweilige Dinge rauslassen kann oder nicht. Ich habe vielmehr ein Problem damit, wenn Dinge an den Haaren herbeigezogen werden, die in der Realität so einfach nicht ablaufen, nur um Spannung aufzubauen. Das meinte ich mit Realitätsanspruch.

Da bin ich ganz bei dir. Was ich nur immer wieder feststelle, ist, dass die meisten Leser/Zuschauer das offenbar nicht stört. Man muss sich als Autor halt auch immer fragen, für was für ein Zielpublikum man eigentlich schreibt (außer man schreibt nur für sich, aber mal ehrlich, wer tut das schon?  ;))