Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Möchtegernautorin am 29. März 2015, 12:42:59

Titel: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Möchtegernautorin am 29. März 2015, 12:42:59
Hallo allerseits :)

Ich habe mir in den letzten Wochen öfter die Frage nach dem Kürzen von Manuskripten gestellt. In diversen Ratgebern und von diversen Autoren liest und hört man immer wieder, dass der Text immer noch – teilweise radikal – gekürzt werden muss, damit er etwas her macht.

Nun ist mir bei meinen eigenen Überarbeitungen aber eher das Gegenteil aufgefallen: Ich habe einen Rohbau und den muss ich dann noch mit Leben füllen; Charaktere vertiefen, Atmosphäre schaffen, all das eben. Ich erweitere meine Texte also eher, als dass ich kürze.

Meine Überlegungen, warum es bei mir andersherum zu laufen scheint, führe ich darauf zurück, dass ich eine ziemlich genaue Planerin bin. Bevor ich etwas schreibe, notiere ich mir Szene für Szene, was ich brauche und schreiben will. Manchmal stellt sich hinterher heraus, dass ich noch ein paar Szenen zusätzlich benötige, um das Ganze in eine Linie zu bringen. Sehr selten stelle ich fest, dass ich eine Szene nicht brauche.
Habe ich die Geschichte dann geschrieben, habe ich im Grunde nur einen Rohbau, der noch gefüllt und ausgeschmückt werden will. Und da wachsen meine Manuskripte immer noch mal an. Zwar nicht um die weitere 100te Seiten, aber dennoch kommt noch einiges dazu.

Mit dem Vorgehen scheine ich aber wohl zu einer Minderheit zu gehören – oder bin ich vielleicht sogar die einzige, die das so macht? Es kommen dabei immerhin Texte heraus, die mir gefallen, also ist es wohl nicht ganz so falsch. Aber meine Methode scheint nicht üblich zu sein, wenn man sich die ganzen Ratgeber und dergleichen anschaut.

Und ja, jetzt kommt das, was mich eigentlich interessiert: kürzt ihr oder gibt es vielleicht doch vereinzelt noch ein paar Schreiberlinge, die wie ich noch aufplustern müssen?
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Rosentinte am 29. März 2015, 12:51:36
Ich gehöre definitiv zu denjenigen, die eher auffüllen müssen. Das liegt allerdings daran, dass ich beim Schreiben meinen Leser eher als zu dumm einschätze und ihm deshalb alles noch einmal haargenau erkläre oder meine POVs schwafeln lasse. Mittlerweile habe ich für mich herausgefunden, dass die Texte viel besser funktionieren (und angenehmer zu lesen sind), wenn ich solche überflüssigen Textstellen rigoros streiche.
Wo ich hingegen öfter schon mal etwas auffüllen muss, ist bei den Liebesszenen. Da gehe ich manchmal zu objektiv dran oder habe Formulierungen, die ich selbst schon x mal genutzt habe.Da mir Liebesszenen beim Schreiben sowieso schon sehr schwer fallen, verschiebe ich das immer lieber auf die Überarbeitung.
Manchmal fehlt mir auch noch einiges an Informationen zu den fantastischen Elementen. Dann ist es meistens so, dass mir das alles schon klar ist, weil ich ja schon beim Plotten sehr viel damit gearbeitet habe. Für genau solche Sachen hole ich mir dann Testleser, die mir im Zweifelsfall rückmelden, wenn sie etwas nicht ganz verstanden haben.

Ob das Problem des Kürzens/Auffüllens tatsächlich am Plotten liegt, weiß ich nicht genau. Ich bin allerdings auch jemand, der zwar einen Szenenplan haben muss, die einzelnen Szenen darf ich allerdings dann nicht mehr genau planen. Ich muss meinen Charakteren da ein bisschen Freiraum lassen, sonst interessiert es mich gar nicht mehr, die Szene zu schreiben. Dadurch entsteht aber eben auch schon mal längeres Gelaber, wenn ich mir noch nicht ganz sicher bin, wie ich die Szene angehen will ;)
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Tigermöhre am 29. März 2015, 12:58:51
Ich schreibe auch immer zuerst nur ein Rohbau, denn ich auffüllen muss. Bei mir laufen in der ersten Fassung immer gesichtslose Charaktere vor einem weißen Hintergrund rum. Das anmalen passiert dann in der 2. Phase.
Aber, im Nano stellte ich fest, dass Kürzen auch super ist. Um die maximale Schnipsellänge von 200 Wörtern einzuhalten, musste ich die Abschnitte, auch wenn sie mir schon gut gefielen, nochmal kürzen. Zum Teil habe ich da 30% weggeschmissen. Und ich muss sagen, die überarbeiten Szenen gefielen mir danach nochmal deutlich besser.
Also, ich bin einfach für beides. Erstmal auffüllen und danach wieder wegkürzen.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Arcor am 29. März 2015, 13:07:18
Ich gehöre auch eher zu den Auffüllern. Das liegt einfach daran, dass ich am Anfang vor allem den Plot schreibe: Wer macht was, warum passiert das und worin resultiert das. Erst in der Überarbeitung kommen dann die Feinheiten der Charaktere wirklich zum Tragen. Persönliche Perspektiven, Eigenarten und auch die Details des Weltenbaus sprudeln erst dann so richtig aus mir raus, wenn der Rest schon steht. Da kommt immer einiges zusammen.

Auf der anderen Seite kürze ich aber auch in der Überarbeitung. Das spielt sich aber mehr auf der sprachlichen Ebene ab: Füllwörter, komplizierte Beschreibungen, überflüssige Adjektive. Hier und da fliegt auch mal ein ganzer Absatz an Beschreibungen raus. Szenen habe ich hingegen eher selten entfernt.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Siara am 29. März 2015, 13:27:26
Bei meinem Erstling musste ich massiv kürzen. Nicht nur einzelne Wörter (ich denke, Füllwörter und überflüssige Adverben zu streichen ist bei fast jeder Rohversion nötig), sondern ganze Passagen. Ausschweifungen über die Welt, ewige Monologe, alltägliche und belanglose Gespräche. Bei mir kam der Umschwung mit dem Moment, als ich begann, mich mit dem Handwerkszeug zu befassen. Denn neben den üblichen Verdächtigen wie "Show, don't tell!" und Ähnliches ist wohl eine der häufigsten Regeln, auf die man stößt: "Schreib nichts Unnötiges. Bloß nichts Unnötiges!"

Seitdem muss ich auch massiv auffüllen. Nicht unbedingt Erklärungen oder ganze Szenen, aber Kleinigkeiten, die den Roman lebendig halten. Denn würde man nur schreiben, was dringend nötig ist, würde das sicher kein sonderlich unterhaltsames oder authentisches Buch werden.

Nebenbei kommt es bei mir aber auch auf den Charakter an, aus dessen Perspektive ich schreibe. Manche sind Labermäuler, andere eher zurückhaltend. Letzteren ziehe ich bei der Überarbeitung noch einiges aus der Nase. Bei den Ersten wird gestrichen, wo aus interessanten oder unterhaltsamen Zusatzinfos langweilige Ausführungen werden.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Lazlo am 29. März 2015, 13:41:22
Ich gehöre auch zu den Plotstopfern, gehe auch so vor wie Arcor. Die Fassade des Hauses steht, die einzelnen kahlen Zimmer werden nach und nach dekoriert und mit Leben gefüllt. Das liegt daran, dass ich die wichtigsten Geschehnisse schon vorkonstruiert haben will, dann schreibe ich einfach drauf los und meist kommen die besten Ideen, ohne dass ich darüber lange nachgedacht habe. Danach kann ich mir in Ruhe überlegen, wo ich noch einzelne Szenen einbauen will, wo Dialoge fehlen oder wo z.B. noch die Gedanken des Protas fehlen, um sich in ihn hineinzuversetzen.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: BiancaS am 29. März 2015, 13:44:37
Ich mache beides, aber tendiere mehr zum Auffüllen, was bei mir einfach daran liegt, dass ich beim ersten Schreiben die Geschichte aufs Papier bringe und dabei Beschreibungen etc. immer etwas vernachlässige. Somit habe ich dann ein solides Grundgerüst, bei dem aber keiner außer mir wirklich weiß, wie es um die Charaktere herum aussieht :D Dennoch merke ich oft, wenn ich geschwafelt habe, kürze das und setze aber ganz oft dann doch noch eine weitere Szene drauf.
Aber ich habe auch gemerkt, dass ich so besser klar komme: erst mal schreiben und dann auffüllen, weil ich eben auch weiß, dass mir z.B. Beschreibungen nicht so leicht fallen und dann kann ich mir in der ersten Überarbeitung Zeit dafür nehmen, anstatt mich schon beim ersten Schreiben damit aufzuhalten und eventuell einen Stopp in meinen Fluss zu setzen.

Zitataber Kleinigkeiten, die den Roman lebendig halten.
Geht mir auch so. Oft habe ich schon einige Kleinigkeiten drin, die dann aber immer mehr in den Hintergrund wandern, die muss ich später oft auch wieder einbauen oder mitziehen, sodass es eben passt und nicht plötzlich seltsam wird.

Ich denke, ob man kürzen oder auffüllen muss, hängt auch ganz stark davon ab, wie man schreibt. Ich habe sowieso einen recht abgespeckten Stil und bei Rohfassungen ist das noch "schlimmer", also muss ich so oder so immer irgendwo etwas auffüllen, auch wenn ich an anderen Stellen kürze. Da ich oft nur einen groben Plot habe und viel mit discovery writing mache, muss ich meistens nur doppelte Erklärungen wirklich streichen und die Sätze ein bisschen straffen, während ich überall anders auffüllen muss :)
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Christopher am 29. März 2015, 14:05:18
Es kommt denke ich darauf an, wie man an die Sache herangegangen ist. Bei meinem Erstling und Herzensprojekt hab ich verdammt viele Szenen (und Perspektiven) gehabt, die es überladen haben. Da musste/muss ich viel streichen.

Mit dem Wissen darum, bin ich dann in den NaNo 14 gegangen und habe die Hyme geschrieben. Und was passiert? In nur 210 Seiten hab ich die Hauptgeschichte komplett abgearbeitet. Da fehlt mir dann aber die Tiefe, die Zeit, mit den Charakteren warm zu werden und ein paar von diesen "überflüssigen" Szenen, die nicht die Hauptgeschichte voranbringen, aber bei der Fantasy eben notwendig sind. Ein paar Dialoge/Handlungen, die die Welt zeigen/erklären, ein paar Randhandlungen, die dasselbe tun, ein Nebenplot, bei dem der Hauptcharakter unabhängig von der großen Aufgabe, die Welt zu retten, auch mal Persönliches zeigen kann usw.

Bei der Hymne hatte ich eben den Willen, mich nicht wieder zu verzetteln und daher wurde sie sehr kurz und hat nun Auffüllbedarf. Je strikter man etwas plant, desto eher fallen die oben genannten Szenen weg. Da sie aber in meinen Augen durchaus wichtig sind und eine Daseinsberechtigung haben (wenn auch nicht immer), muss man denke ich bei gut geplanten Sachen eher auffüllen.

Letztendlich hängt es aber wohl hauptsächlich vom Autor ab. Schwallst du gerne oder nicht? Neigst du dazu, Szenen einzubauen, in denen der Charakter richtig glänzen kann, obwohl sie nicht so richtig in die Handlung passen? Wenn du das bejahen kannst, wirst du öfter kürzen als auffüllen müssen ;D
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Klecks am 29. März 2015, 14:28:17
Ich gehöre zu den Autorinnen, die nie bewusst kürzen. Was ich schreibe, gehört für mich ins Buch und bleibt da auch, es sei denn, eine Lektorin zeigt mir etwas, das so nicht funktioniert, aber das ist nochmal was anderes als das, wovon wir hier sprechen, finde ich. Wenn ich in einem Moment eine lange Landschaftsbeschreibung habe, dann ist das eben so. Wenn ein Dialog ein bisschen lang ist, dann ist das eben so. Wenn ein Monolog einer Figur etwas lang ist, dann ist das eben so. Die Überarbeitung beschränkt sich bei meinen Romanen auch auf: Grammatik und Rechtschreibung; häufig benutze Wörter werden durch Synonyme ersetzt; und die Suche nach logischen Fehlern und Plotlöchern, die dann natürlich umgeschrieben bzw. gestopft werden. Ansonsten wird bei mir weder gekürzt, noch überarbeitet. Auffüllen in dem Sinne, wie ich das hier im Thread verstanden habe, gibt es bei mir auch nicht.  :hmmm:
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Debbie am 29. März 2015, 15:18:42
Kürzen und Auffüllen, definitiv. Szenen kürze ich schon mal raus, wenn sie keinen ordentlichen Spannungsbogen haben oder nicht zwingend relevante Informationen vermitteln, die für den weiteren Verlauf der Geschichte wichtig sind.

Ich bin allerdings ein Beschreibungs-DAU. Meinen Szenen fehlt in der Rohfassung gerne mal eine Ortsbeschreibung, Zeitangabe, Beschreibungen von Gegenständen, etc.. Beim Schreiben hänge ich sehr stark am Plot, dem Dialog und den Handlungen der Figuren. Und das ist dann auch wirklich gut, nur eben leider nicht sehr atmosphärisch  :-\
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: PinkPuma am 29. März 2015, 16:16:27
Bei mir ist es auch so, dass ich sowohl kürze als auch auffülle. In der Regel schreibe ich zunächst am Plot entlang, habe aber immer wieder Szenen dabei, die nicht zwangsweise handlungsleitend sind. Ich schreibe sie aber dennoch, wenn ich das Gefühl habe, sie könnten dazu beitragen z.B. einen Charakter greifbarer zu machen.

Im ersten Überarbeitungsschritt konzentriere ich mich dann darauf, ob für das Verständnis der Handlung noch die ein oder andere Szene wichtig sein könnte. Sprich ich fülle auf. Gleichzeitig oder auch erst während der zweiten Überarbeitung gehe ich dann getreu dem Motto ,,kill your darlings" vor. Da fliegt ab und an auch eine Szene raus, die ich zu Beginn des Schreibens noch für mega toll und wichtig hielt.
In der Regel sind es meist Monologe oder Szenen einer Nebenhandlung, die ich rauskürze. Bei meinem aktuellen Projekt sind sogar zwei Figuren aus der Geschichte geflogen.

Oft hört man ja das Argument, es gehöre alles zur Geschichte, was der Autor hineinschreibt. Jein, würde ich sagen. Im Endeffekt gehört natürlich ALLES zur Geschichte. Die Frage ist nur, ob der Leser diese Szenen für wichtig und fesselnd hält oder nicht. Es ist immer ein Abwiegen zwischen dem, was ich als Autor für wichtig empfinde und dem, was den Leser dazu bringt, meine Geschichte zu mögen. Natürlich sollte man in erster Linie für sich selbst schreiben, aber wenn man möchte, dass das Buch ankommt, dann muss man eben manchmal auch aus der Leserperspektive denken und eventuell eine Szene raushauen, die man selbst vielleicht sehr gelungen fand. Schwieriges Thema, finde ich...

Aber egal ob kürzen oder auffüllen, ich finde es wichtig und gleichzeitig schwierig den Punkt zu finden, an dem man das Projekt mal aus der Hand legt und aufhört, daran rumzubasteln.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Shedzyala am 29. März 2015, 16:52:50
Ich kürze beim Überarbeiten mehr, als dass ich auffülle. Denn ich habe erst einmal immer Angst, dass der Leser meine Intention nicht nachvollziehen kann, weshalb meine Charaktere zu viel überflüssigen Unfug denken. Meistens merke ich dann beim nochmaligen Lesen, dass meine Dialoge auch ganz ohne Erklärungen klappen und all die kommentierenden Gedankengänge fliegen raus. Auch muss ich zugeben, dass meine Rohfassungen meist vor Füllwörtern triefen  :-[
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Churke am 29. März 2015, 16:56:04
Zitat von: Drachenelfe am 29. März 2015, 12:42:59
Ich habe mir in den letzten Wochen öfter die Frage nach dem Kürzen von Manuskripten gestellt. In diversen Ratgebern und von diversen Autoren liest und hört man immer wieder, dass der Text immer noch – teilweise radikal – gekürzt werden muss, damit er etwas her macht.

Ich könnte mir vorstellen, dass sich dieser Rat auf eine andere Überarbeitungsphase bezieht. Mir kommt mindestens die Hälfte aller Ideen beim Überarbeiten. Selbstverständlich wird der Text davon nicht kürzer.
Aber: Das Ausmisten ist mindestens genauso wichtig. Wenn der Plot steht, wenn alle Ideen eingebaut sind, dann kommt der Punkt, an dem man sich ganz unvoreingenommen an die Strichfassung macht. Dann neige ich dazu, eher zuviel zu kürzen. Ich erlebe immer wieder, dass Lektoren Dinge wissen wollen, die ich rausgekürzt habe. Aber das ist mir lieber als Kürzungsorgien im Lektorat.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Miezekatzemaus am 29. März 2015, 18:30:34
Ich kürze bei meinen Projekten immer. Die Menge ist davon abhängig, wie viel ich im Halbschlaf geschrieben habe, denn dann neige ich zu einer Häufung von inneren Monologen und zum Stilmittel der Wiederholungen, was sich im Fließtext nicht gut macht. Wenn ich meine Texte lese, sind sie manchmal sehr langatmig, daher muss ich dann gerade Wiederholungen sowie (unlogische) innere Monologe streichen. Manchmal bleiben aber auch welche drin, je nach dem, ob sie in der Situation Sinn machen, (was sie, wenn ich im Halbschlaf schreibe, erschreckend häufig nicht tun.)

Ich würde gern auffüllen, weil meine Manuskripte teilweise erschreckend schlank sind, aber das gelingt mir meistens nicht. Wenn ich ein Buch schreibe, steht idealerweise alles drin, was drinstehen muss - wenn ich genau weiß, dass ich eine Szene übersprungen habe, kann ich nicht weiterschreiben, also schreibe ich zuerst die übersprungene Szene dazu und dann die nächste. So ergibt sich ein hoffentlich recht stimmiges Gesamtbild. Und wenn ich das Buch dann beende, ist es fertig - mit Beschreibungen, mit Handlung, mit Figuren. Ab und an arbeite ich einen Handlungsstrang um, der nicht ganz passt, aber einen neuen eingefügt habe ich noch nie.
Bei einer Novelle von mir befrage ich gerade einige Testleser, wo ihnen Szenen fehlen/wo die Szenen noch ausführlicher sein könnten, da ich die Novelle gern ausarbeiten möchte. Sie gehört nämlich zu den sehr kurzen Werken von mir, die ich gern länger hätte und bei ihr weiß ich auch, dass da ausnahmsweiße nur das Grundgerüst ist.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: HauntingWitch am 30. März 2015, 08:15:32
Bei mir ist das sehr unterschiedlich. Manches wird gekürzt, anderes aufgefüllt. Ich habe in meiner beruflichen Ausbildung einen Satz gelernt, den ich auch auf das Schreiben anwende: Erstelle zuerst 100% Inhalt. Das heisst bei mir Plot herunterschreiben, so wie es mir gerade von der Hand geht. Danach, bei der Überarbeitung, kommt das Streichen, Umschreiben und Auffüllen, je nachdem, was der jeweilige Abschnitt verlangt. Ich habe keine fixe Regel, ich mache alles nach Gefühl.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Anj am 30. März 2015, 17:54:22
Ich mache inzwischen auch beides.

@Drachenelfe (und alle anderen): Die Auffüll-Technik kenne ich übrigens als Layer-Technik (http://tintenklecks.forumieren.com/t261-layer-technik?highlight=Layer))

Ich kürze ebenfalls viel Innensicht, manchmal Szenen, insbesondere am Anfang, bei dem ich mich warmschreibe. Ich plane und plotte nur sehr rudimentär, von daher denke ich auch nicht, dass das wirklich ausschlaggebend ist. Viel wichtiger sind die Rückmeldungen der Testleser, aber auch der Blick auf Dopplungen (hachja, davon strotzen meine Rohfassungen^^) und Erklärbär-Anfälle. Wobei letzteres ein zweischneidiges Schwert ist, weil das oft nur von mir als zu viel empfunden wird, von den Lesern aber seltener angekreidet wird.
In der Regel knabbere ich an den Passagen recht lange, entweder, weil ich ein ungutes Bauchgefühl habe, das ich nicht festmachen kann, oder weil ich beim drüberlesen ständig hin und her ändere. Dann braucht die Stelle einfach noch etwas Zeit oder ich entscheide, jetzt reicht es und die Geschichte wird beendet. (Ich könnte sonst wohl unendlich lange weiter überarbeiten^^)
Andere Szenen fülle ich sehr stark auf. Da geht es meist um Beschreibungen des Settings, Emotionen und Interaktionen von Figuren, die manchmal nicht ausreichend logisch dargestellt sind, weil sich diese Ebenen erst beim Schreiben entfalten und ich dann im Kopfkino bin und mir alles logisch erscheint. Da kann ich dann auch nach eine Pause selbst drüberlesen und mir denken "Häh? Wie jetzt? Da haste aber irgendwie 40 % der Beziehungsdynamik nicht aufgeschrieben!" Glücklicherweise kenne ich meine Figuren immer gut genug, um das aufzufüllen. (Von kleinen Abweichungen durch monatelanges Liegenlassen oder durch unkonzentriertes Schreiben mal abgesehen. Aber auch das ist machbar.) @Miezekatzemaus: Das mit dem im Halbschlaf schreiben kenne ich auch gut. Da kommen oft die aberwitzigsten Passagen raus. *g* Gerne kombiniert mit falschen Worten, die ich durchs nebenherlaufende TV aufschnappe und statt dem richtigen hinschreibe  :versteck: :rofl:

Ich denke grundsätzlich geht es bei den Regeln eher um die ausufernden Erklärungen und Belanglosigkeiten, die man eben leider in sehr vielen frühen Texten findet. Letztlich haben diese Regeln alle bestimmte Effekte zugrundeliegen, die wichtiger sind, als die daraus abgeleitete Regel. Und nicht jeder tappt in diese Effektfallen. (Mein Lieblingsbeispiel: Wiederholungen, um die Dramatik und Emotionalität zu verdeutlichen  :psssst:)

Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Sternsaphir am 30. März 2015, 19:58:34
Bei mir ist es unterschiedlich.
Bei Ortsbeschreibungen muss ich meist kürzen, weil ich mich gern in den Details von Landschaften verliere. Auch bei bestimmten Szenen geraten mir diese zu lang oder zu ausschweifend.
Bei meinen Charakteren ist es meist so, dass sie am Anfang eher noch nicht ganz entwickelt sind. Ich lerne sie während des Schreibens näher kennen und wenn ich dann überarbeite, merke ich, dass manchmal der Charakter in eine ganz andere Richtung läuft als gedacht oder dass er zu Beginn der Geschichte eher farblos erscheint und im Laufe der Erzählung an Farbe gewinnt. Heißt im Klartext: auch wieder ändern, umarbeiten, füllen oder abbauen.

Allgemein muss ich aber auch immer wieder die Geschichte füllen. Vor allem bei Szenen, die ich lange geplant habe, rausche ich im Sauseschritt hindurch und stelle hinterher fest, dass einige Detalis vollkommen vergessen wurden.
Wenn ich das Abspecken und Füllen gegeneinander verrechne, komme ich in den meisten Fällen auf ein leichtes Auffüllen.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Fynja am 30. März 2015, 21:58:00
Mich beruhigt es auch gerade, dass es noch anderen so geht, dass die Wortzahl beim Überarbeiten eher steigt als abnimmt.  ;D Vielen Dank übrigens für den Link, Anjana! Bisher gehe ich meine Überarbeitungen viel zu unkoordiniert an und der Link scheint mir nach einer Methode auszusehen, die für mich brauchbar sein könnte.

Generell gehöre ich also auch er "Auffüller"-Fraktion an. Ob es besser ist, zu kürzen oder aufzufüllen, kommt natürlich auf den Schreibstil und das jeweilige Manuskript an, keine Frage, aber vor allem bei mir auch auf die Art des Texts innerhalb eines Manurskripts. Ich neige zu Füllwörtern oder zu vielen Adjektiven, diese muss ich rauskürzen. (Natürlich sollte man es auch hier nicht übertreiben, und ich denke auch, dass man die Regel, nur das zu schreiben, was den Plot voranbringt, nicht zu akribisch beachten muss.) Auch neige ich zu Schachtelsätzen, die ich dann aufteilen oder kürzer machen muss.
Wozu ich ebenfalls neige, sind viel zu lange Monologe oder umständliche Erklärungen und Deutungen des Verhaltens der Perspektivträger oder anderen Figuren, auch dann, wenn das Tempo der Geschichte schneller sein soll. Ich philosophiere sehr gern und lebe selbst mehr in meiner Innenwelt als in der Außenwelt, aber in meinen Romanen spiegelt sich das leider oft zu deutlich wieder, was das Lesen zu zäh macht.

Andererseits aber bin ich jemand, der fast nie etwas beschreibt und wenn, dann in der Rohfassung oft nur kurz und leblos. Beschreibungen muss ich also jedes Mal noch einfügen. Oft schreibe ich Rohfassung, ohne überhaupt das Aussehen meiner Protas zu beschreiben und auch das Setting nur sehr spärlich. Immerhin muss ich mir um ausufernde Beschreibungen keine Gedanken zu machen, aber zu wenig ist auch nicht gut.
Die Entwicklung der Figuren wurde hier ja auch schon genannt. Auch hier sind kleine, zusätzliche Szenen bei mir wichtig. Oder auch das Einstreuen von Hinweisen, die ich selbst erst nach dem Ende der Geschichte kenne.
Am meisten wächst mein Wordcount beim Überarbeiten aber tatsächlich durch ganze, für den Plot wichtige Szenen, die ich hinzufüge. Die Höhepunkte in meinen Texten laufen oft viel zu schnell ab oder es ergeben sich viel zu schnell Schlüsselszenen, für die eigentlich noch viel mehr Vorwissen/ Entwicklung davor gebraucht wird. Erst durch diese zusätzlichen Szenen wird meine Geschichte rund und wirklich vollständig.

Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Möchtegernautorin am 31. März 2015, 10:47:15
Das hätte ich ja nicht gedacht, dass es doch so viele gibt, die die Texte noch auffüllen :)

@Acor
Zitat
Auf der anderen Seite kürze ich aber auch in der Überarbeitung. Das spielt sich aber mehr auf der sprachlichen Ebene ab: Füllwörter, komplizierte Beschreibungen, überflüssige Adjektive.
Gut, überflüssige Worte kürze ich natürlich auch raus ;) Beschreibungen eher weniger. Wenn die zu kompliziert sind, neige ich eher zum Umschreiben.

@Christopher
Zitat
Es kommt denke ich darauf an, wie man an die Sache herangegangen ist. Bei meinem Erstling und Herzensprojekt hab ich verdammt viele Szenen (und Perspektiven) gehabt, die es überladen haben. Da musste/muss ich viel streichen.
Das hatte ich ja auch vermutet :) Wenn ich so darüber nachdenke, denke ich: hätte ich mein ,,Erstlingswerk" überarbeitet, hätte ich wohl auch sehr viel kürzen müssen. Aber ich hatte es vorgezogen, es mit Planung noch einmal neu zu schreiben – nur überarbeitet habe ich die zweite Version auch noch nicht vernünftig. Da kann ich also gar nicht sagen, ob ich da vielleicht doch mehr kürzen müsste.

@Klecks
Zitat
Ich gehöre zu den Autorinnen, die nie bewusst kürzen.
Und das funktioniert? Ich glaube, dann wäre ich mit meinen Texten trotzdem nicht zufrieden ;)

@PinkPuma
Zitat
Oft hört man ja das Argument, es gehöre alles zur Geschichte, was der Autor hineinschreibt. Jein, würde ich sagen. Im Endeffekt gehört natürlich ALLES zur Geschichte.
Ich denke schon, dass alles zur Geschichte gehört. Die Frage ist doch eigentlich nur: Was von der Geschichte gehört in das Buch? :) Ich schreibe auch immer viel um die Geschichten drum herum und entwickle vor allem meine Charaktere. Aber diese Sachen landen in meinem Blog, die hätten im eigentlichen Roman nichts zu suchen.

@Churk
Zitat
Ich könnte mir vorstellen, dass sich dieser Rat auf eine andere Überarbeitungsphase bezieht. Mir kommt mindestens die Hälfte aller Ideen beim Überarbeiten. Selbstverständlich wird der Text davon nicht kürzer.
Aber: Das Ausmisten ist mindestens genauso wichtig.
Klar, ausmisten ist gut, wenn wirklich zu viel drin ist. Aber wie gesagt, das scheint bei meiner Planung selten der Fall zu sein. In keiner meiner Überarbeitungsphasen kommt bei mir noch wirklich viel raus. Ich neige eher dazu, Szenen und Absätze umzuschreiben, denn rauszuwerfen.

@Anjana
Zitat
@Drachenelfe (und alle anderen): Die Auffüll-Technik kenne ich übrigens als Layer-Technik (http://tintenklecks.forumieren.com/t261-layer-technik?highlight=Layer))
Ach, sieh an :) Zumindest war meine Vermutung dann richtig, dass diese ,,Layer-Technik" nicht sehr bekannt sein dürfte. Also, vielen Dank für den Link! Da bin ich zumindest nun doch wieder etwas schlauer geworden.

@Fynja
Zitat
Mich beruhigt es auch gerade, dass es noch anderen so geht, dass die Wortzahl beim Überarbeiten eher steigt als abnimmt.
Das unterschreibe ich! ;D

Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: PinkPuma am 31. März 2015, 12:34:05
Zitat von: DrachenelfeDie Frage ist doch eigentlich nur: Was von der Geschichte gehört in das Buch?
Das meinte ich, nur du hast es auf den Punkt gebracht.  :hmmm:
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Churke am 31. März 2015, 12:46:25
Zitat von: Drachenelfe am 31. März 2015, 10:47:15
@ChurkKlar, ausmisten ist gut, wenn wirklich zu viel drin ist. Aber wie gesagt, das scheint bei meiner Planung selten der Fall zu sein. In keiner meiner Überarbeitungsphasen kommt bei mir noch wirklich viel raus. Ich neige eher dazu, Szenen und Absätze umzuschreiben, denn rauszuwerfen.

Da muss ich doch nochmal einhaken. Dass man Überflüssiges kürzen soll, werden die allermeisten Autoren unterschreiben. Aber: Was ist überflüssig?
Die Übung besteht darin a) das Überflüssige erst einmal zu erkennen und b) sich von Liebgewonnenem zu trennen, wenn es dem Text dient.
"Kürzen, kürzen, kürzen" sehe ich als Ratschlag, jeden Text immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und in Zweifelsfällen radikal zu kürzen. Die wenigsten Bücher sind zu kurz, aber viele haben Längen und einige zu sind zu lang. 
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Ary am 31. März 2015, 12:53:05
Da tue ich mich ganz schwer: das Überflüssige zu erkennen. Denn natürlich bin ich in meinen Text verliebt und hänge erst mal an jedem Wort. Trotzdem merke ich immer wieder, dass kürzen dem Text guttut. Und suche mir Hilfe von Betalesern, die mir sagen, was sie für wichtig oder weniger wichtig halten. Das hilft mir dann, einen Blick dafür zu bekommen, gerade wenn von verschiedenen Personen die gleiche Bemerkung kommt.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Debbie am 31. März 2015, 15:27:54
@Anjana: Von mir ebenfalls ein Danke für den Link!  :)

So ähnlich sieht das Ganze bei mir meist in der ersten Überarbeitungsphase aus. Allerdings fülle ich dann vorher noch meinen Szenebogen aus, was den Vorgang etwas geplanter aussehen lässt und dadurch beschleunigt. Aber die atmosphärischen Dinge baue ich auch größtenteils "nach dem Schreiben" in einer Art Baukastensystem in den Text ein. Dabei bin ich immer wieder verblüfft darüber, was für großartige Resultate dabei herauskommen können.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Anj am 31. März 2015, 18:08:43
@Drachenelfe und @Debbie Bitte, gerne. Mir hat die Beschreibung damals auch sehr weiter geholfen. :)

@Churke genau da sehe ich auch die Herausforderungen. Die Erkenntnis und das sich trennen von den liebgewonnenen Stellen. Wobei ich da noch mal unterscheide zwischen der Arbeit auf Wortebene und auf Plotebene. In meinem ersten Romanmanuskript habe ich eine eigene Erfahrung verarbeitet. Bis ich diese Szenen streichen/verändern konnte mussten tatsächlich sogar einige Jahre ins Land gehen. Bei Herzblutprojekten steckt bei mir immer recht viel eigenes drin, das rauszuschmeißen fällt mir sehr schwer. Auch wenn es dem Text letztendlich sehr gut tut.

@Aryana Ich frage bei so etwas auch gerne gezielt Betaleser, allerdings bekomme ich bei uns häufiger mal kontroverse Hinweise, da ist das dann doch schwieriger zu entscheiden "wer recht hat". Meist "gewinnt" erstmal der, der mir seine Sicht am plausibelsten erklären kann.^^ Inzwischen lasse ich aber auch wirklich sehr gerne zwei Varianten stehen oder ändere auch schon mal probeweise, denn ich bin mir inzwischen ziemlich sicher, dass ich es intuitiv wieder zurückändere, wenn es nicht die bessere Variante ist. Ändere ich es nicht mehr, ist auch kein Fokus mehr drauf und es hat dem Text meist eher gut getan. Dieses Vertrauen in mich selbst, bzw. mein Bauchgefühl als letzte Entscheidungsinstanz hat mich wirklich sehr befreit. Es ist nicht immer leicht, vergleichbar mit dem Abziehen eines Pflasters.

Ein anderes Problem, das sich durch auffüllen/umschieben gerne mal bietet ist der zerschossene Wortwitz. Das tut mir dann im Moment immer so richtig weh.  :'( :brüll: Inzwischen sammel ich diese Schnipsel auf dem Klemmbrett bei Papyrus und oft kann ich die Idee woanders einbauen. Oder ich vergesse es und es bleibt in der Sammelbox.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Klecks am 31. März 2015, 18:21:32
Zitat von: Drachenelfe am 31. März 2015, 10:47:15
Und das funktioniert? Ich glaube, dann wäre ich mit meinen Texten trotzdem nicht zufrieden ;)

Wenn es nicht funktionieren würde, würde ich es nicht tun.  ;D
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: canis lupus niger am 01. April 2015, 21:10:04
Meiner Meinung nach ist die Wahrnehmung, was zu lang ist (und gekürzt werden muss), eine sehr subjektive. Wenn es sich schön liest, wenn also das Lese-Erlebnis dadurch bereichert wird, kann auch eine langsamere/ausführlichere Passage (oder Erzählweise insgesamt) sinnvoll sein. Wenn ein Autor dem Leser ein Setting lebendig vor Augen führen kann oder einen Charakter so echt gestaltet, dass der Leser beides zu sehen glaubt, dann kann jedes Wort gerechtfertigt sein. Das mit wenigen Worten zu schaffen, ist schwer.

Selbst Tolkiens Herr der Ringe wird von vielen Fans der Verfilmung (wegen der 'langatmigen' Erzählweise) für unlesbar gehalten, und immer wieder hört oder liest man, dass ein Roman wie HdR heutzutage von keinem Verlag mehr angenommen würde. Aber trotzdem wurde die Reihe von Tausenden Angehörigen der Britischen Literarischen Gesellschaft zum bedeutendsten englischsprachigen Buch aller Zeiten gewählt.

Offenbar sind die Leserwünsche in dieser Hinsicht so verschieden wie die Leser selber. Leider sind die Wünsche der Verlage dagegen relativ einheitlich: Jedes gedruckte Wort kostet Geld, daher muss ein 'guter', das heißt möglichst gewinnversprechender Roman i.d.R. möglichst kurz sein. Möglich, dass dem Leser dadurch mancher schön lange Roman entgeht ...  :buch:

Wie gehe ich selber mit der Textlänge um? Hm, meist quillt die Rohfassung einer Geschichte völlig unkontrolliert aus mir heraus. In den unzähligen Überarbeitungsgängen ändere ich dann aufgrund eigener Maßstäbe oder aufgrund von Beta-Kommentaren, auch an der Länge, kürze oder erweitere nach Bedarf. Ob ich es einigermaßen hingekriegt habe, erfahre ich durch das Lektorat oder spätestens durch Leserkommentare.   
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Mütze am 02. April 2015, 11:14:53
Hey da draußen!

Ich für meinen Teil bin über mein derzeitiges Manuskript mit dem Bulldozer drüber geballert. Nachdem einige Leser zu den Vorgängerkapiteln sagten, dass sie viel zu lang seien. Also habe ich, nachdem ich meine Frustarie überwunden hatte alles bisher Geschriebene auf den Prüfstand gestellt und nahezu 70! Prozent rausgeschmissen.

Mit der jetzigen Erkenntnis, dass da wer zu sehr ausgerastet ist.

Aus den damals angepeilten 800/900 NS werden jetzt 220-260/270. Kann aber auch sein, dass es noch etwas mehr wird. Ich irgendwo knapp unter 300 lande. Ich muss schauen. Da ich in der derzeitigen Version fast keine Personenbeschreibungen drin habe. Ich habe mich auf die Welt und die reinen Fakten konzentriert. Das die Geschichte zügig voran getrieben wird.

Sicherlich könnte es jetzt so kommen, dass, wenn ich es mal wieder jemandem zum Lesen gebe, dieser sagt, es wirkt zu "getrieben". Mal schauen.

Manchmal kommt es mir vor, als könne ich nur in den zwei Extremen. Viel zu lang, oder viel zu kurz.

Ich bin gespannt, wo ich am Ende mit der Seitenzahl lande...
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: PinkPuma am 02. April 2015, 16:44:24
Mütze, ja zwischen 800 und 300 NS liegt allerdings ein "bisschen" Textstrecke.  ;D

Zitat von: MützeIch bin gespannt, wo ich am Ende mit der Seitenzahl lande...
Da bin ich jetzt ehrlich gesagt auch mal gespannt.

Tatsächlich gehen Lesermeinungen in Bezug auf dieses Thema ja ziemlich weit auseinander. Und gerade in der Fantasy findet man ja alles - vom 200-Seiten-"Büchlein" bis zum 1.000-Seiten-Wälzer. Ich finde, es hat beides seinen Reiz und letztlich muss doch auch jeder Autor für sich selbst entscheiden, mit welcher Länge sich der eigene Text richtig anfühlt.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Arcor am 02. April 2015, 17:46:45
In meinen Augen braucht eine Geschichte so lange, wie sie eben braucht. Es gibt welche, die brauchen 200 Seiten und welche, die brauchen nun einmal 1000 - oder mehr, siehe SOIAF. Auf die Seitenzahl alleine sollte man sich darum nie stützen oder sich daran orientieren, finde ich. Wenn die Geschichte genau den richtigen Platz bekommt, funktioniert sie. Längen oder Hektik und zu wenig Informationen kann jede Geschichte haben - unabhängig von der Länge.

Deswegen finde ich es gerade krass, Mütze, dass du 70% der Story eingedampft hast.  :gähn:
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Mütze am 02. April 2015, 19:41:31
Ja...ist echt krass. Und Anfangs hätte ich auch nicht gedacht, dass das so gewaltig wird.
Aber wie auch gesagt, habe ich nun an gewissen Stellen zu viel gestrichen. Und ich selbst nicht mehr
zufrieden bin. Aber ich weiß im Groben wo die Stellen sind.

Und um mal ganz genau zu sein (Ich Zahlenfreak Ich): Habe derzeit bis Kapitel 22 gekürzt.
Aus 438 Seiten wurden 165. Eine genaue Streichrate von 62,34 % Wenn ich mich nicht verrechnet habe. :D
Das ist jetzt nicht mehr ganz soooo gewaltig. Oder doch? Egal...

Nach Kapitel 23 ist es dann wieder mehr Neuland. Zwar habe ich den Text in dem Bereich auch schon grob angerissen.
Wobei das aber aus meinen ersten ernsten "Gehversuchen" stammt und wohl eher was für Horrorfans ist.

Ich werde irgendwo in den 30er landen, was die Kapitel betrifft. Gehe mal davon aus, dass so
ca. 100 Seiten dazu kommen. Plus die Passagen, die ich zum derzeit vorhandenen noch hinzufügen möchte/muss.
Wird es nahezu wirklich die 270-300 Seiten erreichen.

Und somit bin ich auch nicht sooooo weit vom durchschnittlichen Erstling entfernt, der, so wie ich
gelesen habe, sich im Bereich von 250 Normseiten bewegt.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Aljana am 12. April 2015, 07:23:59
Schön, eure Erfahrungen zu lesen, und dass es noch andere gibt, die auch schonmal mehrere hundert Seiten wegstreichen. Dennoch kommen dafür bei mir oft an anderer Stelle ebensoviele, wenn nicht mehr Seiten, dazu.
Die Essenz einer Geschichte und wie weit man sie kondensieren kann, hängt, finde ich, auch immer ein bisschen davon ab, in was für einem Zeitrahmen eine Geschichte spielt und wie viele Charaktere in den Fokus gerückt werden sollen.
Ich meine, ein Epos, wie HdR, in dem es fast ein Dutzend Charas gibt, eine Reise von über einem Jahr beschrieben wird und eine ganze Welt dem Leser bildlich dargestellt werden muss, kommt mit 250 Seiten nicht aus.
Aber eine Geschichte, deren Zeitrahmen nicht mehr als ein paar Tage im Leben eines oder zwei Protas beschreibt, kann spannend und aussagekräftig mit nur 150 seiten sein. Hat man dann 100 Seiten zusätzlich rumgeschwafelt, über Schauplätze, die im eigenen Kopf nur grob umrissen sind, oder eine Fantasywelt, die nich bis ins letzte Detail ausgearbeitet ist, dann kann die Geschichte durch ordentlich einkürzen auch gewinnen, denn es geht ja nicht immer um die Details. Manchmal geht es einfach nur um eine ganz bestimmte Wendung.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: DoroMara am 02. Juni 2015, 08:56:30
Ich schreibe - überarbeite und erweitere grosszügig - dann kürze ich radikal. Nachher habe ich nur noch ein grosses Fragezeichen im Kopf und weiss nicht mehr weiter.
Dann hilft mir nur noch der Betaleser. Dabei fühle ich mich dann oft etwas hilflos. Aber ich sehe wirklich nicht mehr durch und im Gespräch klärt sich dann einiges.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: moonjunkie am 02. Juni 2015, 09:12:32
Da meine ersten Entwürfe meistens etwas kurz sind (so um die 200 Seiten), gehöre ich eher zu denen, die danach auffüllen. Zuerst gehe ich Kapitel für Kapitel durch und gucke, wo man noch etwas ergänzen müsste bzw. wo irgendwas nicht passt. Dadurch allein entstehen meistens schon ein paar neue Szenen. Die Betaleser helfen mir danach auch weiter, wenn ich nicht mehr weiß, wo was fehlt oder zu viel ist und auch dadurch entstehen wieder neue Szenen und Kapitel. Am Ende der groben Überarbeitung habe ich dann meistens einige Seiten mehr (ich glaube, bei meiner Mondschwinge waren es nach der Überarbeitung tatsächlich über 100 Seiten mehr). Gekürzt wird dann sprachlich und beim letzten Durchgang, meistens auch nochmal im Lektorat (wobei bei mir auch dann nochmal Szenen dazu kommen können, aber nur kleinere).

Bei meinem ersten Romanversuch sind übrigens mehrere hundert Seiten rausgefallen, das war quasi mein Übungsprojekt. Ich habe aber durch das "zu viel" an Seiten auch jede Menge gelernt, über die Figuren oder die Geschichte oder auch darüber, wie es nicht so gut funktioniert in einem Roman ...  :omn: Mittlerweile muss ich selten so viele Seiten streichen und eher ergänzen, wie gesagt.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Chrikue am 04. Juni 2015, 12:29:16
Ich glaube, die Frage nach kürzen oder auffüllen, sind eigentlich zwei verschiedene Fragen.

Die erste Frage wäre eher eine nach der Art: Habe ich alles erzählt, was ich erzählen will? Jedes Bild, jede Figurentwickung etc. pp.?

Wenn nein, dann fülle ich die fehlenden Informationen etc. auf.

Die zweite Frage wäre eher: Habe ich meine Geschichte möglichst effektiv (im Sinne von klar, deutlich, nicht langweilig, ohne Füllsel) erzählt?

Wenn nein, dann kürze ich Füllwörter und -sätze, Wiederholungen, Infodump usw.

Beides schließt natürlich das Umschreiben einiger Passagen nicht aus.

Beim Überarbeiten fällt einem natürlich durchaus beides auf und man geht beides an. Wobei ich mal vermuten würde, dass die meisten von uns lieber was hinzufügen mögen, als schöne heilige selbstgeschriebene Worte zu entfernen. ;-) Deswegen mein Respekt, von 900 MS auf unter 300 zu kürzen. Manchmal ist es aber ziemlich gut, so rigoros zu sein.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Tika am 05. Juni 2015, 01:32:52
Bei meinem ersten Roman hatte ich das Gefühl, der wird viel zu kurz und staunte am Ende, dass er länger wurde als gedacht. In der Überarbeitung wollte ich dann "kürzen" - am Ende war er um zwei Kapitel länger.

Bei meinem zweiten Roman habe ich gar nicht mehr darauf geachtet, ob er kurz oder lang werden würde. Er wurde dann verhältnismäßig kurz mit seinen 330 Normseiten. Was soll ich sagen, die Geschichte ist erzählt und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Mein dritter Roman wird allerdings ein Marathon-Projekt, für meine Verhältnisse zumindest. Aber nicht, weil ich ausufernd erzähle, sondern einfach, weil meine Protas die ganzen Szenen brauchen, um zum Ende zu kommen.
"Kürzen" sollte ich den wohl am Schluß besser nicht, sonst wird er noch länger...

Fazit: Eine Geschichte ist einfach so lang, wie sie braucht, um erzählt zu werden. Und wenn ich "kürze" wird sie eher länger.
Titel: Re: Kürzen, kürzen, kürzen oder auffüllen?
Beitrag von: Aljana am 05. Juni 2015, 19:23:21
@Tika "Ja hier sollte ich diesen überflüssigen Bandwurmsatz streichen ... Aber oh mein Gott  :d'oh: die Beweggründe meines protas kommen so gar nicht wirklich zum Ausdruck ... ich mache dann mal lieber einen ganzen neuen absatz mit kurzen knackigen Sätzen"

*zehn Seiten später* "Da ist ja noch so ein Schachtelsatz, den ich dringend wegkürzen muss ... *narf* "

Kenn ich ... kenn ich nur zu gut ;)