Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: HauntingWitch am 04. Juni 2014, 17:04:53

Titel: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: HauntingWitch am 04. Juni 2014, 17:04:53
Ich meinte, dass wir hier im Forum schon ähnliche Diskussionen hatten, aber irgendwie habe ich keinen Thread dazu gefunden. Falls doch schon einer existieren sollte, bitte einfach umtopfen. ;)

Es ist eine Frage, die mich schon länger beschäftigt, doch da ich gerade ein neues Projekt plane, wird das nun sehr konkret. Wie mache ich jemanden mit fragwürdigen Charaktereigenschaften sympathisch? Und ich meine jetzt nicht den typischen Anti-Helden, der dauerdeprimiert ist und eigentlich von seiner Aufgabe nichts wissen will. Sondern ich rede von Personen, deren gewisse Eigenschaft für die meisten Menschen fragwürdig/bedenklich/krankhaft oder was auch immer ist.

Z.B. wäre mein neuer Protagonist rein vom Charakter her jemand, der dazu neigt, seine Frau zu betrügen und dies auch tut. Nun, vermutlich würden die meisten Frauen ihn schon deswegen unsympathisch finden und ein Buch mit so einem Macho in die Ecke pfeffern. Ich möchte ihn aber eigentlich als sympathisch Darstellen, als jemanden, den Frau angeifern kann. Und das soll sich nicht ändern, wenn die Leserin herausfindet, dass er ein Fremdgeher ist.

Ein anderes Beispiel hatte ich vor einigen Monaten bei einer KG, ein Typ mit einem Blutfetisch und entsprechend seltsamen sexuellen Vorlieben. Eigentlich abartig, oder? Aber das ist ja nicht seine einzige Eigenschaft und doch eine wichtige (weil plotrelevant). Vermutlich würden aber die meisten ihn deswegen verurteilen, was ich ja vermeiden möchte...

Versteht ihr, was ich meine? Habt ihr Erfahrungen mit solchen Figuren und worauf achtet ihr?

Bitte startet keine Diskussion über persönliches Empfinden von Recht und Unrecht, normal und nicht normal, das ist ja ein sehr emotionales Thema und die Ansichten sind sehr individuell, was gut ist so. Ich würde einfach gerne sachlich über diese Romanfiguren reden, auf der Suche nach Input. ;)
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Antonia Assmann am 04. Juni 2014, 17:27:48
Hmm, ganz spontan: Wenn er fremd geht, dann lass ihn ein charmanten Fremdgeher sein. Gib ihm eine besondere Begabung Frauen Komplimente zu machen, oder lass ihn kochen wie einen Gott. Was ich meine: Wenn dein Prota eine Eigenschaft hat, die ihn prinzipiell die Missgunst der weiblichen Leserschaft auf den Hals hetzt, dann musst du dir ein Gegengewicht holen. Eine Möglichkeit.
Oder du gibst ihm gleich noch eine zweite negative Eigenschaft mit auf den Weg. Rein mathematisch gesehen: Minus X Minus = Plus.
Funktioniert auch bei Geschichten. Wenn du das Fremdgehen relativieren willst, dann gib ihm noch eine negative Eigenschaft mit auf den Weg, die ihn jetzt nicht körperlich abstoßend macht, aber für seine Leserinnen sehr menschlich.

Wenn jemand einen körperlichen, also damit sinnlichen "Defekt" hat, gib ihm einen sinnlichen Austausch. Er steht auf Blut und alles was dazugehört? Iih, BäH? Dann lass ihn Blumen züchten. Musizieren. Kochen. Starke Bilder, die gegen das Blutbild angehen.

Er ist ein Fremdgänger? Vielleicht noch einer, der nie pünktlich ist? Der sogar ganze Termine vergisst? Lass ihn Kuchenbacken und Gedichte schreiben. Die Damen werden es ihm verzeihen ...

Also so würde ich das handhaben und hoffe, dass du mit meiner Antwort was anfangen kannst ...

:winke: Antonia
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Kati am 04. Juni 2014, 17:39:53
Ich weiß gerade nicht, inwieweit das überhaupt möglich ist und ich denke, das ist auch von Leser zu Leser ganz subjektiv. Einen Betrüger würde ich niemals sympathisch finden, egal, was er in dem Buch sonst noch tut, weil dieser Aspekt seines Charakters dann bei mir einen unschönen Nachgeschmack hinterlässt. Wenn er einmal auf einer Party eine andere Frau küsst und das dann dementsprechend bereut, fände ich das aber zum Beispiel viel weniger schlimm und könnte ihn trotzdem noch sympathisch finden. Wenn er aber wirklich ständig fremd geht und dabei auch nichts findet, dann würde ich ihn wohl niemals mögen. Aber es wird auch LeserInnen geben, die das ganz anders sehen, da gibt es wohl gar keine richtige Antwort drauf, weil ja alle Leser solche Figuren anders wahrnehmen. Bei deinem zweiten Beispiel hätte ich zum Beispiel überhaupt keine Probleme ihn "trotzdem" zu mögen, wenn er sich nur mit Leuten auslebt, die ihr Einverständnis gegeben haben. Aber das ist wie du ja auch sagtest völlig subjektiv.

Wenn ich Figuren schreibe, die ich persönlich nicht sympatisch finde, aber Lesern sympatisch verkaufen möchte, dann achte ich meist darauf, dass ich nicht über die Strenge schlage. Also ausnutze, wie subjektiv solche Dinge empfunden werden und nicht etwas nehme, wo ich von vorn herein weiß, dass die meisten Menschen die Figur deswegen nicht mögen werden. Ich weiß nicht, inwieweit es überhaupt möglich ist eine Figur sympathisch zu zeigen, die einfach überhaupt nicht sympathisch ist. Man kann blöde Typen schon sympatisch zeichnen, solang sie auch noch irgendwie liebenswert wirken. Viele gehen da über die Schiene, die Figur etwas putzig und trottelig wirken zu lassen, also nicht abgebrüht und sich voll darüber bewusst, dass er oder sie etwas falsch macht. Aber das funktioniert glaube ich auch nur solange, wie man eben nicht zu extrem wird und die Figur etwas tun lässt, was die meisten Leser ganz sicher als unentschuldbar empfinden würden.

Bei deinem Fremdgeher könnte ich mir vorstellen, dass er eigentlich ein total lieber Typ ist, alle Frauen gut behandelt und gar nicht sieht, dass er etwas Falsches macht. Es hilft auch immer, wenn die Figur über die Geschichte lernt, dass sie sich falsch benimmt und dann versucht sich zu ändern oder einen Weg zu finden, die Art, wie er oder sie ist so zu leben, dass es niemandem schadet. Er könnte zum Beispiel anfangen in offenen Beziehungen zu leben, wo es seinen Partnerinnen nichts ausmacht, wenn er mal was mit einer anderen hat, weil alles vorher abgesprochen ist. Ich denke, wichtig ist, dass die Figur am Ende niemandem schadet, wenn sie sympatisch erscheinen soll. Ich habe aber im Moment ein ähnliches Problem: Der Love Interest ist ein Auftragskiller und soll schon sympathisch wirken, obwohl er ein Mörder ist. Da hilft mir vielleicht der Fantasyaspekt, weil es sich bei seinen Opfern nicht um Menschen handelt, aber trotzdem bin ich nicht so sicher. Ich lese hier einfach mal mit, was noch für Anregungen kommen.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Issun am 04. Juni 2014, 17:41:14
Ich habe ebenfalls einen untreuen Protagonisten, der allerdings auch in anderer Hinsicht fragwürdig ist. Und ich habe mir dieselbe Frage schon öfters gestellt.  :hmmm:

Psychologisch gesehen scheint es so zu sein, dass die meisten Leute, die etwas tun, das von ihrem Umfeld als Unrecht empfunden wird, Beweggründe haben, die für sie überzeugend sind. Auch Wahnsinn folgt häufig einer bestimmten, für Außenstehende schwer bis gar nicht erkennbaren Logik. Als Leser interessiert es mich besonders, was in der Figur vorgeht, warum sie tut, was sie tut: Warum betrügt sie andere? Warum diese ganzen Liebschaften? Solche Begründungen sind zwar teilweise schwer zu erfassen, aber sie machen es leichter, mit einer Figur zu sympathisieren. Persönlich kann ich nichts damit anfangen, wenn eine Figur einfach nur "böse" oder unsympathisch ist, ohne dass man die Hintergründe dazu erfährt. Zwar kann es wohl ziemlich aufgesetzt wirken, die Beweggründe einer Figur in der Geschichte direkt anzusprechen. Aber ich denke, wenn man als Autor über die Schwächen einer Figur Bescheid weiß, vermittelt man auch leichter den Eindruck, dass die Figur zwar Dinge tut, die nicht in Ordnung sind, aber deswegen noch lange nicht rundum unsympathisch ist. 
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Debbie am 04. Juni 2014, 17:43:47
Motivation is everything!  ;D

Dein Fremdgänger braucht einen guten Grund: Ist seine Frau vielleicht nicht seine wahre Liebe? Ist er von seiner ersten großen Liebe selbst betrogen worden? Glaubt er vielleicht insgeheim, dass seine Frau zu gut für ihn ist und ihn irgendwann verlassen wird? Will seine Frau vielleicht keinen Sex oder kann sie aus gesundheitlichen Gründen keinen haben?
Und am besten ändert er sich zum Schluss, will heißen: Der Beweggrund sollte gleich  noch Potential haben für den Wandel.

Motivation ist natürlich immer das A und O - niemand ist oder tut etwas einfach so. Das Verständnis für die Beweggründe ist wichtig für die Leseridentifikation.

Ansonsten: Sagen wir dein Prota ist ein Killer oder pervers veranlagt, etc.. Dann muss es neben der Motivation am besten noch ein Gegengewicht geben, also z. B.:

Killer -> Liebender Sohn
Perverser -> Toller Vater
Skrupelloser Geschäftsmann -> Tierschützer



Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Issun am 04. Juni 2014, 17:48:55
Zitat von: Debbie am 04. Juni 2014, 17:43:47
Motivation is everything!  ;D

Das drückt kurz und knackig das aus, was ich sagen wollte! Kann ich nur unterschreiben.  :)
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Arcor am 04. Juni 2014, 18:08:47
Vom guten Grund abgesehen halte ich Humor noch für ein probates Mittel, um Mistkerle sympathisch zu machen. Das ist natürlich ein ebenso subjektives Feld und kann, wenn es nicht der Humor des Lesers ist, diesen vergraulen.

Wobei ich Humor zweideutig meine:
Zum einen geht es um den Stil. Wenn du fragwürdige Sachen in humorvollem Stil erzählst, wirkt es weniger schlimm. Ich lese gerade Scott Lynch und der macht das ständig, z. B.
ZitatJean miraculously returned to life, and with a few quick swings of his fists he eloquently convinced the two guards to lie down and be unconscious for a while.
Theoretisch kann man das ganze auch sehr viel direkter und brutaler beschreiben. Nun ist die Figur kein Mistkerl, aber es funktioniert trotzdem, finde ich. Zumindest trifft so ein Stil meinen Humor und ich akzeptiere damit auch Entscheidungen, die ich manchmal unnötig finde.

Zum anderen geht es natürlich um den Humor der Figuren. Je nachdem, mit welchen Worten sie ihre Taten darstellen, offenbart das für mich eine Innensicht, die mich einfach schmunzeln lässt, (fast) egal was sie tun. Das spielt sicherlich in die Richtung der Motivation für ihr Handeln, was Debbie geschrieben hat, untermalt das aber nochmal. Die Art, wie die Figur das eigene Handeln sieht, kann durchaus überzeugend wirken.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Kadeius am 04. Juni 2014, 18:31:22
Ich hab auch so einen Nebenchara, von dem einige sagen, dass sie ihn gern als Prota gesehen hätten. Ich schätze nur, er ist gerade deshalb so super, weil er Nebencharakter ist. Er ist ein bisschen leichtsinnig, macht an unpassenden Stellen Witze, um die Stimmung aufzulockern, ist ein echt smarter Typ und selbst in brenzligen Situationen versucht er, sich um Kopf und Kragen zu reden. Dabei ist er möglichst charmant und nie beleidigend. Und immer meint er es vollkommen ernst mit seiner Nächsten, obwohl er weiß, dass er sich selbst damit nur etwas vormacht.

Die große Frage ist, ob dein Fremdgeher notorischer Seitenspringer sein soll, ob er es aus Jux und Tollerei tut, ob es sich "zufällig" ergibt, oder oder oder ...
Manchmal werden die Leute vielen Lesern dann von ganz allein sympathisch, zumindest in gewissem Maße.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Churke am 04. Juni 2014, 19:06:13
Zitat von: HauntingWitch am 04. Juni 2014, 17:04:53
Wie mache ich jemanden mit fragwürdigen Charaktereigenschaften sympathisch?

Indem du ihm positive Charaktereigenschaften, die die negativen (über-)kompensieren. Bei einem tollen Typ ist man bereit, über andere Schwächen hinweg zu sehen.
Überhaupt kann jeder Schurke beim Leser Punkte machen, wenn er sich identitätsstiftend positiv verhält. 
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Snöblumma am 04. Juni 2014, 19:14:03
Motivation und Gründe. Der Charakter muss (plausible) Gründe haben, wieso er sich so verhält, wie er sich verhält. Natürlich muss das nun nicht moralisch nachvollziehbar bedeuten - sonst wäre es ja wieder gar nichts Heikles. Zumindest innerhalb des Charakters (falls aus seiner Sicht geschrieben) müssen die Handlungen absolut logisch zwingend und stringent sein.

Wenn man sichergehen will, verpasst man dem Charakter noch eine moralisch eher einwandfreie Motivation, aber ich finde immer, das ändert die Grundrichtung zu sehr - wer beispielsweise Drogen dealt und Leute abzieht, um damit seiner kranken Mutter zu helfen, handelt vielleicht falsch, aber sehr nachvollziehbar. Das Robin Hood-Syndrom eben: Jeder weiß, dass Diebstahl nicht okay ist, aber von den Reichen nehmen um den Armen zu geben? Da sieht die Welt gleich ganz anders aus.

Allerdings ist das wohl nicht ganz das, was du meinst, oder? Ich finde Antonias Ansatz mit dem Gegengewicht sehr gut, also entweder ein moralisch/motivatorisches Gegengewicht (das wäre dann wohl Robin Hood) oder ein Sinnliches. Was mir persönlich hiflt, um den Charakter mit allen Schwächen darzustellen, ist mir selber eine Erklärung zurechtlegen, wieso er so geworden ist, wie er ist. Gewisse Grundanlagen hat jeder, keine Frage, aber wieso geht gerade er dieser Pervesion nach / stürzt sich fast zwanghaft in jede Affäre / wird bei jedem Kaufhausbesuch schwach und stielt? Was hat ihn dazu gebracht, nicht nach dem gesellschaftlich anerkannten Maßstab zu leben? Wieso hat er beschlossen, sich außerhalb die Norm zu stellen? War es ein bewusster Entschluss? Steckt eine Krankheit dahinter? Was tut er, um die Krankheit zu bekämpfen? Ist ihm selber überhaupt klar, was er da anrichtet? Lebt er in einer ganz eigenen Welt, in der die Maßstäbe sich vollkommen verschoben haben?

Wenn ich diese Dinge über meine Figuren weiß, kann ich ihnen Gründe geben, um zu handeln, wie sie handeln. Ich glaube ja, dass wir Menschen schon zufrieden gestellt werden können, wenn es einen plausiblen Grund gibt. Nur das "grundlos Böse", wie es so gerne heißt, das würden wir einem Charakter sicher nie verzeihen. Wenn es also keinerlei Hintergründe gibt, wenn jemand bspw. einfach nur mordet, um zu morden, wahllos, einfach so, und da steckt keinerlei Krankheit dahinter, kein psychischer Defekt, keine wie geringen Reizungen durch die Opfer auch immer - pure Mordlust eben -, einen solchen Charakter würden wir nie verstehen. Gibt es dagegen in der Logik des Charakters zwingende Gründe, können wir ihn zumindest verstehen. Sind diese Gründe auch noch moralisch gut ("nur mal kurz die Welt retten"), dann werden wir ihm fast alles verzeihen.

Insofern würde ich es wirklich zusammenfassen auf Motivation und innere Logik :D.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Coppelia am 04. Juni 2014, 20:00:47
Ich habe jetzt die Anmerkungen der anderen nicht gelesen, aber: Du gibst ihm Perspektive (was du ja offenbar tatsächlich vorhattest). Leser neigen dazu, sich mit dem Perspektiventräger zu identifizieren, selbst wenn er Dinge tut, die nicht mit ihrem moralischen Empfinden harmonieren.
Ob er dadurch tatsächlich sympathisch wird, ist zweitrangig. Wenn klar wird, welche Ziele er hat und warum es für ihn wichtig ist, sie zu erreichen, wird der Leser mit großer Wahrscheinlichkeit auch mit einem charakterlich bedenklichen Protagonisten mitfiebern.

Das Reizvolle ist dann ja gerade, dass die Leser (im besten Fall) das Verhalten verurteilen, aber trotzdem von der Handlung mitgerissen werden. Außerdem hat dein Protagonist ja die Chance, sich im Lauf des Romans moralisch zu verbessern.

Du kommst da in interessante Bereiche des Schreibens, wo man sich fragen kann, ob das Schreiben nicht selbst schon eine moralisch bedenkliche Handlung ist. Nicht gerade bei einem Schürzenjäger; aber wenn man darüber schreiben würde, wie ein grausamer Diktator an die Macht kommt, wäre es etwas anderes.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Rhiannon am 04. Juni 2014, 20:22:37
Gegenfrage: Muss er unbedingt sympathisch sein? Ich meine z.B. in "Das Parfum" wird der Protagonist nicht wirklich sympathisch. Der Autor trägt auch nicht dazu bei, denn er beschimpft seinen Protagonisten sogar im Laufe des Buchs. Aber die Geschichte funktioniert.
Ansonsten wurde alles, was ich dir hätte sagen können, schon genannt mit dem Gegengewicht etc.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Issun am 04. Juni 2014, 20:55:22
Zitat von: Coppelia am 04. Juni 2014, 20:00:47
aber wenn man darüber schreiben würde, wie ein grausamer Diktator an die Macht kommt, wäre es etwas anderes.

Das bringt mich auf eine Idee. Ich glaube, auch die persönliche Stellungnahme des Autors ist wichtig. Der Fall des Diktators wäre für mich dann moralisch bedenklich, wenn man die Machtergreifung nicht problematisiert. Ich finde es z.B. recht interessant, wenn moralisches Fehlverhalten negative Konsequenzen für eine Figur hat.
Mir fällt im Gegensatz dazu auch gerade ein Beispiel ein, in dem ein unverbesserlicher Frauenheld einen kometenhaften Aufstieg macht: "Bel-Ami" von Maupassant. :)   
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: K a t e am 04. Juni 2014, 21:13:05
Ohne jetzt jeden vorherigen Post ganz genau gelesen zu haben:

Ich glaube, negativen Eigenschaften eines Protas können für den Leser verständlicher rüberkommen, wenn es eine gute Erklärung dafür gibt. Um bei dem Beispiel des untreuen Ehemannes zu bleiben: wenn der Prota z.B. eine Art Bindungsangst hat und nur bei seiner Frau, die ihm viel bedeutet und die er ungern enttäuschen möchte, bleiben kann, indem er für sich diese Bindung lockert, indem er mit anderen Frauen schläft, würde seine Situation und seine Gründe verständlicher werden. Wenn er dann auch noch ein sehr charmanter Betrüger ist, umso besser. (Aus persönlichen Erfahrungen kann ich sagen, dass das auch wirklich funktioniert und Frau ihm aufgrund seiner psychischen Probleme nicht böse sein kann.)

Bei der Perversion dasselbe: vielleicht hat ein prägendes Ereignis in seiner Vergangenheit (Körperliche Gewalt etc.) unter die er leiden musste und psychisch so geschädigt, dass er jetzt eine seltsame Vorliebe für Blut hat oder schmerzhaften Sex, um damit fertig zu werden? Oder vielleicht hat er selbst jemanden mal so verletzt, dass er sich glaubt selbst bestrafen zu müssen (wenn er derjenige ist, der verletzt werden möchte)?

Zwei kurze Gedanken. Ich würde einfach versuchen das teils unmoralische Verhalten der Figur mit einem Ereignis in der Vergangenheit zu koppeln, dass sie so sehr geprägt oder verletzt hat und das momentane Verhalten erklären würde.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: pink_paulchen am 04. Juni 2014, 22:59:14
Zum Thema "Gegengewicht schaffen" hat writing excuses gerade eine passende Folge gehabt: http://www.writingexcuses.com/2014/03/30/writing-excuses-9-13-three-prong-character-development/
Falls dein englisch dafür ausreicht, ist das sicher sehr hilfreich. Die These ist, dass eine Figur mittels dreier "Schieber" geregelt werden kann: Sympathie, Kompetenz und Eigeninitiative.
Dr. House funktioniert beispielsweise völlig ohne Sympathie mit viel Initiative und Kompetenz als Figur.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Siara am 04. Juni 2014, 23:21:13
Also, vieles wurde ja bereits gesagt. Die beiden Hauptpunkte sind für mich auch Motivation (bzw. Hintergrund) und ein Gegengewicht, wobei letzteres überwiegt. Mistkerle mit weichen Seiten, Schwächen oder sehr extremen positiven Eigenschaften sammeln Pluspunkte.

Um noch etwas hinzuzufügen: Auch wenn es schwammig formuliert ist, Sympathie ergibt sich auch einfach durch die Ausstrahlung. Beim Schreiben ist das natürlich nur schwer fassbar, aber bei mir gilt bei Figuren dasselbe wie bei realen Menschen: Manche mag man eben. Das kann durch eine bestimmte Sprechweise geschehen, durch beschriebene Mimik und Gestik, Angewohnheiten und die Farbe allen Textes, in denen sie eine Rolle spielen. Wie genau man es als Schriftsteller am besten lenkt, ist eine anderer Frage, die ich für schon oft zu beantworten versucht habe. Das gehört hier aber wohl nicht her. ;)

Für mich ergibt sich auf jeden Fall sehr viel durch dieses "Gefühl". Manche Figuren, die auf den ersten Blick positive Eigenschaften haben und vielleicht auch unterhaltsam sind, kann ich trotzdem bis zum Ende nicht leiden. Dafür gibt es immer wieder Mistkerle, denen ein "Gegengewicht" fehlt und mit denen ich trotzdem sympathisiere. Aber das kommt vermutlich auf den Geschmack des jeweiligen Lesers an.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: traumfängerin am 04. Juni 2014, 23:42:53
Dem, was all meine Vorredner gesagt haben, kann ich wenig hinzufügen, nur folgendes: Ich wünsche mir viel mehr Perspektivträger mit Stärken und Schwächen. Und zwar echten Schwächen, nicht so etwas wie, "er ist ja ein wenig zu eifersüchtig, aber nur, weil er mich so lieb hat", oder "wenn er doch lernen würde, nicht immer sofort zu sagen, was er denkt (auch bösartigen Tyrannen gegenüber), dann würde er sich im Leben so einiges ersparen." Ernsthaft, Helden mit Charakterschwächen sind die interessantesten Figuren.

Das funktioniert bei Dr. House, der nun wirklich ein furchtbarer Mensch ist, seine Freunde ausnutzt, jeden wahllos der Lüge bezichtigt, und was weiß ich nicht noch alles tut. Doch er ist auch ein Genie, kommt mit der Annahme, dass alle lügen würden, oft näher an die Wahrheit heran als all seine Kollegen, und ist dabei noch höchst amüsant - eine Kombination, die übrigens auch beim Sherlock Holmes aus den neuen Filmen funktioniert.

Das funktioniert ebenso bei Jamie Lannister.
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
Klar kann die Frau deines Fremdgehers so furchtbar sein, dass jeder versteht, warum er das tut. Vielleicht ist er aber auch einfach nur ein mieser, fieser Mistkerl was den Umgang mit Frauen angeht. Solange er genug andere positive Eigenschaften hat, er schlagfertig und charmant ist, er in Lebensgefahr gerät, beschimpft oder verstümmelt wird, werden deine Leser ihn dennoch lieben.  :P

[MONI] Ich habe mal deine Ausführungen zu Jamie Lannister ent-spoilert. Bitte auf solche Dinge unbedingt achten, wenn man durchaus wichtge Aspekte über andere Werke in Forenpostings beschreibt. Nicht jeder hat schon alles gelesen.  8) Danke!
[/MONI]
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: HauntingWitch am 05. Juni 2014, 10:28:27
Oh, schon so viele Antworten.  ;D Erstmal vielen lieben Dank euch allen. Ich werde später noch genauer drauf eingehen, habe nur im Moment gerade etwas wenig Zeit für's Forum.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: heroine am 05. Juni 2014, 11:26:06
Zitat von: HauntingWitch am 04. Juni 2014, 17:04:53
Wie mache ich jemanden mit fragwürdigen Charaktereigenschaften sympathisch?

Meine Meinung nach gibt es da ein paar Methoden. Die ersten zwei wurden ja schon häufig genannt, ich zähle sie aber trotzdem mal mit auf. Die folgenden, waren wenn dann nur angedeutet. Wenn ich es jetzt übersehen haben sollte, nicht übel nehmen.

Herausheben der positiven Eigenschaften/Gegengewicht:
Wenn man viele positive Charaktereigenschaften in die Waagschale wirft, wirkt es ein bisschen menschlicher und negative/fragwürdige Charaktereigenschaften werden eher akzeptiert. Da haben ja schon Antonia, Debbie und Snöblumma was dazu gesagt.
Zu deinen Beispielen:
Er geht zwar fremd, hat aber einen Haufen toller Qualitäten, wie bereits dargestellt (z.B. Kochen).
Er hat einen Blutfetisch? Gut, dafür ist er extrem höflich und friedliebend.

Anmerkung: Bei einem zu krassen Gegengewicht kommt mit der Charakter noch psychopathischer vor. Z.B. Ein Folterknecht, der in seiner Freizeit in aller Seelenruhe Hasen züchtet und diese zarten Geschöpfe absolut verehrt und keiner Biene etwas tun könnte, kommt mir dann extrem gruselig vor.

Die Motiven verständlich machen:
Durch die Erklärung, warum sich etwas so entwickelt hat wird der Charakter besser verstanden und dadurch kommen unter Umständen auch Sympathiepunkte. Also was auch Issun angesprochen hat.
Deine Beispiele:
Grundsätzlich schwaches Selbstbewusstsein, daher mag er es wenn er Aufmerksamkeit bekommt und findet den Punkt nicht an dem er Nein sagen sollte. Oder: Er mag Frauen einfach wahnsinnig gerne und ist sehr gerne in ihrer Nähe, für ihn ist es einfach großartig ihnen ein gutes Gefühl zu geben und da gehört Sex, als Wertschätzung einfach dazu.
Er hat einen Fetisch entwickelt, weil seine Großmutter früher immer auf dem Hof geschlachtet hat und das Blutwurst zubereiten, bzw. auch das Putzen in Verbindung mit dem Geruch von Blut bei ihm ein wohliges Gefühl verursacht. Vielleicht war er früher auch Ritzer und sein eigenes Blut hat einfach eine beruhigende Wirkung und entspannt ihn, was er dann beim Sex auch sucht und mag.

Nicht direkt das Gleiche, aber eng damit verknüpft ist es natürlich einen Charakter sehr lebendig zu machen. Je lebendiger er ist, desto mehr kann er Schwächen ausgleichen. Das müssen dann nicht konkret die Motive für seine Schwächen sein. Aber je mehr man von einem Charakter weiß, desto mehr Punkte kann der Leser finden bei denen er sagt: trotzdem sympathisch.

Schwäche mit Prinzipien verbinden:
Wenn die Schwäche, als Schwäche erkannt wird, der Protagonist aber selbstständig eine Grenze zieht über die er nicht gehen will, dann kann ihm das auch Sympathiepunkte geben.
Beispiele:
Er geht fremd, sagt aber immer, dass er eine Freundin hat. Er würde nie die Gesundheit seiner Freundin riskieren und benutzt dementsprechend immer Kondome.
Er hat einen Blutfetisch, aber für es darf nie über eine gewisse Menge hinaus gehen, nicht mit Schmerzen verbunden sein, nicht öfter als drei Mal im Monat o.ä.

Schwächen nicht in den Mittelpunkt rücken:
Gut, das klingt jetzt ein wenig merkwürdig, aber wenn man es nicht groß thematisiert, dann ist da auch nicht der Schwerpunkt der Geschichte, es ist einfach etwas was nebenbei passiert. Damit sind die anderen Dinge im Fokus und die negativen Charaktereigenschaften sind einfach Schwächen des Charakters um ihn lebendiger zu machen.
Beispiele:
Bei deinem Fremdgeher, kommt es weniger darauf an, dass er gelegentlich mal fremd geht sondern darauf, dass er wenn er es nicht tut eben ein konkretes Ziel hat.
Vermutlich funktioniert das nicht bei deinem Blutfetischler, da das ja entscheidend ist. Aber nicht jedes Mittel funktioniert immer. ;)

Schwächen durch die anderen Charaktere akzeptieren/Sympathieübertragung:
Wenn durch die Handlungen oder Interaktionen anderer Charaktere die Schwäche nicht unglaublich ins Negative gezogen wird, kommt es vor, dass die Wahrnehmung der Leser sich von den eigentlichen Sympathieträgern beeinflussen lässt.
Beispiele:
Die beste Freundin des Fremdgehers ist ein unglaublich lieber, verständnisvoller, treuer Mensch. Sie findet es nicht unbedingt toll, was er macht, aber sie mag ihn für das was er ist und obwohl er es macht, hält sie ihn immer noch einen guten Menschen.
Der Blutfetischist ist bei anderen bekannt und wird als persönliche Sache wahrgenommen. Keinen stört es wirklich.

Mitleidsbonus:
Er wurde schon von traumfängerin angesprochen. Man kann den armen Unsympath ordentlich leiden lassen und somit versuchen Sympathiepunkte zu sammeln.
Beispiele:
Der Fremdgeher verliert seinen Job, wird von seiner Familie verstoßen o.ä.
Der Blutanhänger wurde früher verstümmelt und gequält.

Ansonsten kann ich Kati zustimmen, es ist sehr subjektiv wie Schwächen wahrgenommen werden. Ob die Leser bereits Erfahrung damit gemacht haben (positive oder negative; z.B. beim Fremdgehen: wurde hintergangen oder hat mitbekommen wie schlimm es war als ein Freund betrogen wurde / wurde betrogen und das ganze hat wieder neuen Schwung in die Beziehung gebracht und gezeigt, dass man sich doch nicht auseinander gelebt hat). Manche Dinge sind nicht verzeihlich und andere werden nicht einmal als schlimm empfunden.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: HauntingWitch am 05. Juni 2014, 11:56:02
@Antonia: Bei deinem Post musste ich erstmal lachen. Kochen kann mein Prota definitiv nicht... oder vielleicht doch... :hm: Interessante Anregungen, danke.

Zitat von: KatiWenn er einmal auf einer Party eine andere Frau küsst und das dann dementsprechend bereut, fände ich das aber zum Beispiel viel weniger schlimm und könnte ihn trotzdem noch sympathisch finden. Wenn er aber wirklich ständig fremd geht und dabei auch nichts findet, dann würde ich ihn wohl niemals mögen.

Er geht zwar oft fremd, aber er bereut es auch mächtig. Er liebt seine Frau über alles und deshalb geht es ihm immer ziemlich schlecht, wenn er es mal wieder getan hat, aber er kann sich halt nicht beherrschen. An den Gründen arbeite ich noch.

Zitat von: KatiWenn ich Figuren schreibe, die ich persönlich nicht sympatisch finde, aber Lesern sympatisch verkaufen möchte, dann achte ich meist darauf, dass ich nicht über die Strenge schlage.

Es ist nicht so, dass ich selber ihn unsympathisch finde, im Gegenteil. Keinen meiner Protagonisten finde ich unsympathisch, sonst wären sie Antagonisten. Aber ich befürchte halt, dass man das selber immer etwas anders wahrnimmt.

@Arcor: Humor ist bei mir immer etwas schwierig, das geht meistens in die Hose. Ich kann irgendwie einfach nicht gezielt Humor schreiben. Aber danke für das Beispiel, das ist sehr interessant und gut.

@Snö: Es geht schon in die Richtung, was ich meine, nur denke ich an etwas (für mein Empfinden) ,,drastischere" Beispiele als Robin Hood. ;)

Zitat von: CoppeliaDu kommst da in interessante Bereiche des Schreibens, wo man sich fragen kann, ob das Schreiben nicht selbst schon eine moralisch bedenkliche Handlung ist. Nicht gerade bei einem Schürzenjäger; aber wenn man darüber schreiben würde, wie ein grausamer Diktator an die Macht kommt, wäre es etwas anderes.

Das wäre wirklich mal interessant. Viel dazu sagen könnte ich vermutlich nicht, aber es ist ein Gedanke, den ich auch schon hatte.

Zitat von: RhiannonGegenfrage: Muss er unbedingt sympathisch sein?

Ja, ich möchte, dass er es ist. Unsympathische Protas schreiben ist nichts für mich, glaube ich, obwohl ich die Autoren bewundere, die das können. ;)

@paulchen: Danke für den Link, das schaue ich mir dann am Wochenende in Ruhe an.

Zitat von: SiaraUm noch etwas hinzuzufügen: Auch wenn es schwammig formuliert ist, Sympathie ergibt sich auch einfach durch die Ausstrahlung. Beim Schreiben ist das natürlich nur schwer fassbar, aber bei mir gilt bei Figuren dasselbe wie bei realen Menschen: Manche mag man eben. Das kann durch eine bestimmte Sprechweise geschehen, durch beschriebene Mimik und Gestik, Angewohnheiten und die Farbe allen Textes, in denen sie eine Rolle spielen. Wie genau man es als Schriftsteller am besten lenkt, ist eine anderer Frage, die ich für schon oft zu beantworten versucht habe. Das gehört hier aber wohl nicht her.

Ich verstehe, was du meinst, geht mir auch so.

@traumfängerin: Das versuche ich möglichst zu erreichen, denn ich bevorzuge solche Charaktere ja auch selber.

@heroine: Vielen Dank für diese detaillierte Aufstellung, das hilft sehr. :)

@all: Okay, jetzt wird mir einiges klarer. Danke euch allen, ihr habt mir sehr geholfen.
Natürlich darf die Diskussion aber auch weitergeführt werden, wenn ihr mögt.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: canis lupus niger am 05. Juni 2014, 12:11:00
Hach, da war Heroine schneller als ich!

Meiner Meinung nach muss man gar nicht so tiefschürfend werden. Einen guten Grund für das Fehlverhalten, damit der leser es verstehen kann, schön und gut. Aber will man als Leser denn immer Tiefenpsychologie betreiben? Ich fände es besser, negative Charaktereigenschaften beim Schreiben zu relativieren.

Der Kerl ist ein notorischer Fremdgänger? Na, wenn schon. Heißt es nicht oft, dass männliche Fremdgänger Affären ohnehin nicht wichtig nehmen, dass sie sie wie einen Sport betreiben, zur Bestätigung ihrer Männlichkeit? Wenn die Frauen dann dahinter kommen und vom Betrügen und von Trennung reden, dann sind die Schufte oft genug verständnislos ("Scheidung? DESWEGEN? War doch nur ein One-Night-Stand. Die Frau hat mir nicht das geringste bedeutet.")

Lass Deinen Prota ein solches Testosteron-gesteuertes Exemplar sein, das noch dazu gut aussieht und charmant ist bis zum abwinken. Vielleicht hat er auch noch genug Geld, um mit seinen Affären ein paar richtig schöne, luxuriöse Stunden zu verbringen, mit Nobel-Restaurant oder Hotelsuite mit Zimmerservice, und es ist glaubhaft, dass er genug Frauen findet, die sich gerne ein bisschen von ihm verwöhnen lassen würden. Vielleicht haben auch diese Frauen keine Bindungsabsichten, sondern nur Lust auf eine Nacht mit diesem tollen Kerl. Irgendwie habe ich da gerade die Figur des Tony Stark aus Iron Man 1 vor Augen, der (neben seinen anderen exzentrischen Eigenschaften) den Frauen ganz deutlich zu verstehen gab, dass er nur mit ihnen schlafen wollte.

Und dieser Blutfetisch, ... ich persönlich fände es auch ekelig, aber es kommt irgendwie auf die Menge an, oder? Wenn er nur einen winzigen Tropfen (wie bei einer Blutzuckeruntersuchung) von der Fingerkuppe der Frau lutscht, ist das was ganz anderes, als wenn er ihr einen halben Liter Blut abzapft und sich diesen dann vor ihren Augen zu Gemüte führt. Es gibt ja schließlich noch ganz andere Fetische, und trotzdem finden deren Liebhaber auch ihre passenden Partner. Wie gesagt, es ist eine Frage der Darstellung.

In einer Novelle habe ich die erste Begegnung eines jungen Orks mit Menschen aus seiner Sicht beschrieben. Uns Menschen als verachtenswert und abstoßend darzustellen, und z.B. den Geschmack und Duft von rohem Fleisch als besonders lecker,  war eine Herausforderung. Aber ich glaube, ich habe es ganz gut hingekriegt. Alles ist relativ. 

*edit* Haunting Witch war auch schneller, und ich insgesamt zu langsam ... ; )
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Guddy am 05. Juni 2014, 22:19:45
Sympathisch wird ein Mensch ja nicht nur durch Fakten. "Er ist ein Fremdgeher" ist ein Fakt, doch was fehlt, ist das Charisma, die kleinen Gesten und Details, kurz: Die gesamte Persönlichkeit. Es gibt Menschen, die, würde man ihre Eigenschaften auf Papier lesen, grauenvoll erscheinen - und die einem doch grundsympathisch sind. Umgekehrt auch.
Wenn der Fremdgeher nett ist, wenn es plausibel ist etc., dann sieht man eher darüber hinweg. Wichtig finde ich auch, dem Leser diese negative Eigenschaft nicht direkt zu Beginn vor den Latz zu knallen. Aber gut, ich wiederhole euch. ;)

Ich mag Charaktere mit Ecken und Kanten, da hatten wir ja wirklich mal einen Thread zu. Gibt es eigtl auch einen Thread, wo man genau solche Charaktere einfach mal vorstellt? Würde mich mal interessieren, wie andere solche Charas in ihre Storys einbauen.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Siara am 05. Juni 2014, 22:31:40
Zitat von: Guddy am 05. Juni 2014, 22:19:45
Gibt es eigtl auch einen Thread, wo man genau solche Charaktere einfach mal vorstellt? Würde mich mal interessieren, wie andere solche Charas in ihre Storys einbauen
Falls nicht, stimme ich eindeutig dafür, mal einen aufzumachen. Das würde mich auch interessieren. ;D
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: HauntingWitch am 06. Juni 2014, 08:18:21
@canis: Bei deinem Post musste ich auch lachen, genau so ein Typ ist er irgendwie. Naja, vielleicht nicht gleich mit dem ganzen Luxusgedöns, aber genug Geld hätte er schon...  ;D

@Guddy: Ich glaube, diesen Thread gibt es noch nicht. Und noch eine kleine Bitte: Könntest du auf Punkte und Satzzeichen achten, das lenkt mich immer ab beim Lesen, wenn da etwas fehlt. Ich weiss, ist ein bisschen spiessig, aber wenn das möglich wäre, wäre ich dir sehr dankbar.  ;)
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Guddy am 06. Juni 2014, 08:48:03
Du meinst die Punkte am Ende? Kein Problem, mich stört es auch, wenn jemand ß-Wörter mit "ss" schreibt, Schweiz hin oder her, verstehe dein Problem also und werde es hier im Forum ändern. ;) (ja, ich weiß grundsätzlich, wie man Satzzeichen verwendet, keine Sorge, empfinde sie nur gerade zwischen Satz und Smiley zu gestelzt. )
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Judith am 06. Juni 2014, 08:51:16
Zitat von: Guddy am 06. Juni 2014, 08:48:03
Kein Problem, mich stört es auch, wenn jemand ß-Wörter mit "ss" schreibt, Österreich hin oder her
Das ist in der Schweiz - in Österreich haben wir auch das ß. Sorry, komplett OT, aber das wollte ich nur kurz der Richtigkeit halber anmerken.  ;)
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Guddy am 06. Juni 2014, 08:52:34
Verzeihung.  ;D Ich verwechsle das immer, da eine österreichische Freundin auch eine ß-Spezialistin ist. ;) Mein Kopf hat sich dort einfach eine fiese Eselbrücke gebaut!
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: HauntingWitch am 06. Juni 2014, 08:56:33
Zitat von: Guddy am 06. Juni 2014, 08:48:03
Du meinst die Punkte am Ende? Kein Problem, mich stört es auch, wenn jemand ß-Wörter mit "ss" schreibt, Schweiz hin oder her, verstehe dein Problem also und werde es hier im Forum ändern. ;)

Tut mir leid, ich wollte dich nicht angreifen, das sollte wirklich nur eine nette Bitte sein. Und das Problem mit "ss" ist, ich habe das "ß" nicht auf der Tastatur, müsste es also jedesmal aus Word kopieren und das ist mir zu umständlich. Aber okay, jetzt Ende Labermodus.  ;)
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Guddy am 06. Juni 2014, 09:10:31
Fand es nur dezent dubios, da ich beileibe nicht die einzige im Forum bin, die an solchen Stellen den Punkt verschluckt und hätte daher nicht gedacht, dass das solch ein Problem darstellt. Sehe schließlich selber schulterzuckend über etliche Dinge hinweg.

So, Thema Mistkerl. Ich hatte gestern nochmal darüber nachgedacht. Es hängt auch damit zusammen, wer die Charaktere sind, zu denen ein Prota gemein ist bzw. an denen er seine Unzulänglichkeiten auslässt. Es ist ein himmelweiter Unterschied für mich, ob meinem Lieblingschar das Messer im Herzen herumgedreht wird oder irgendeinem Charakter, der mir egal ist. Je lieber mir ein Char ist, desto heftiger wirft eine ungute Aktion auf ihn ein schlechtes Licht auf den Verursacher.
Wenn ein Mistkerl sympathisch sein soll, sollte er vielleicht nicht gerade Everyreaders Darling betrügen.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: FeeamPC am 06. Juni 2014, 09:38:57
Ich würde mir einfach mal Rhett Butler von "Im Winde verweht" ansehen. Was macht den Kerl sympathisch? Er ist ein Frauenheld, ein Kriegsgewinnler, ein skrupelloser Geschäftsmann, der sein Fägnchan nach dem Wind schwenkt, aber er ist der einzige Mann, der Scarlett Paroli bieten kann, der sie versteht und der imstande ist, ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Und obwohl die meisten Leute seiner Zeit ihn als Mistkerl empfinden (Scarlett manchmal inklusive), erobert er durch seine charmante Art und seine letztendlich tragische Liebe unsere Herzen im Kino.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Judith am 06. Juni 2014, 11:57:06
Ich finde Rhett Butler absolut furchtbar und weder sympathisch noch charmant.  ;)

Und das wiederum zeigt, dass Sympathie natürlich sehr subjektiv ist. Durch eine Balance aus Stärken und Schwächen sowie durch eine gute Motivation kann man dafür sorgen, dass eine Figur zumindest tendenziell sympathisch ist, wie ja schon viele hier geschrieben haben. Trotzdem gibt es vermutlich Eigenschaften an einer Figur (bzw. "Fehler"), die manche gar nicht mögen, ganz egal, wie sie umgesetzt werden. Dagegen wird man nicht viel machen können - ich glaube, dass es nur sehr selten (wenn überhaupt) Figuren gibt, die alle Leser sympathisch finden.
Oft mag ich auch Figuren, ohne sie sympathisch zu finden; für mich ist Sympathie auch keine Voraussetzung für potenzielle Lieblingsfiguren (ich liebe es, aus Cersei Lannisters Perspektive zu lesen, obwohl ich sie unsympathisch ohne Ende finde). Ich kann mir auch vorstellen, dass Rhett Butler so jemand ist, den viele nicht per se sympathisch, als Romanfigur aber dennoch großartig finden.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Nandriel am 21. Juli 2014, 23:09:49
Ah, das finde ich sehr spannend! Ich habe zwar nicht alles gelesen (was ich aber gern noch nachholen werde), jedoch musste ich bei diesem Problem sofort an ein Buch denken, das mir eine Freundin empfohlen hat, die Producerin ist:

Blake Snyder: "Save the Cat!: The Last Book on Screenwriting You'll Ever Need". Michael Wiese, 2005. (http://www.amazon.de/Save-Cat-Last-Screenwriting-Youll/dp/1932907009)

Zwar geht es hier primär um die Entwicklung von Filmen, allerdings lässt sich da doch auch einiges auf die Roman- und vor allem die Figurenentwicklung anwenden.

Ich habe mir das Buch als eBook gekauft, es ist leider nur in Englisch erhältlich soweit ich weiß, was es nicht ganz einfach macht, alles zu verstehen. In der Buchvorschau von Amazon kann man aber gerade zu dem Problem, wie man einen eigentlich unsympathischen Charakter sympathisch macht, Folgendes nachlesen (Kapitel 6, S. 121ff.):

"To review, Save the Cat is the screenwriting rule that says: 'The hero has to do something when we meet him so that we like him and want him to win.'"

Er erklärt das Ganze dann am Beispiel von Pulp Fiction, wobei die titelgebende Szene wohl aus einem Film stammt, wo ein Gangsterboss zu Beginn eine Katze rettet und man diesen erstmal einfach mögen muss, bevor man ihn als knallharten Verbrecher erlebt - allerdings finde ich gerade die Stelle nicht wieder.

Übertragen aufs Buch hieße das also, dass der Protagonist erstmal was machen muss, was absolut sympathisch rüberkommt, bevor wir auch seine schlechten Seiten kennen lernen - bis dahin mögen wir ihn nämlich bereits.

Im Grunde wurde das so ähnlich aber alles bereits genannt, trotzdem hilft es (mir) aber ungemein, sich mal durchzulesen, wie solche Szenen für Filme strukturiert sein müssen, damit sie funktionieren. Das aber nur als kleine Ergänzung zu den vielen vorherigen Ideen :)
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Siara am 21. Juli 2014, 23:19:53
Zitat von: Nandriel am 21. Juli 2014, 23:09:49
Übertragen aufs Buch hieße das also, dass der Protagonist erstmal was machen muss, was absolut sympathisch rüberkommt, bevor wir auch seine schlechten Seiten kennen lernen - bis dahin mögen wir ihn nämlich bereits.
Das ist sicher eine Möglichkeit, aber in meinen Augen absolut kein "Muss". Einen netten Charakter zu haben und den langsam ein bisschen dunkler zu färben, macht ihn interessanter und vielschichtiger. Du hast vollkommen recht, wenn man seine guten Seiten bereits erlebt hat, sind die schlechten leichter zu verzeihen.

Für mich liegt der größere Reiz aber in der Umkehrung. Eine Figur als richtigen Mistkerl dazustellen, über den man als Leser entweder die Augen verdrehen möchte, oder sich Schutz suchend in eine Ecke flüchtet, und diesem dann etwas Gegenteiliges zu geben - das hat mich schon mehrmals wirklich beeindruckt. Ob es nun eine Schwäche ist, ein "unpassendes" Hobby oder schlicht eine gutherzige Seite, ist natürlich von Charakter zu Charakter unterschiedlich. Aber den Bösen von außen zu sehen und dann die harte Schale durchbrechen zu dürfen, so habe ich schon so manchen Finsterling/Mistkerl lieb gewonnen.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Sprotte am 22. Juli 2014, 01:02:59
Ich habe einen Roman mit einem richtig kleinen Kotzbrocken gestartet. Er ist arrogant, ganz besonders von sich und seinen Besonderheiten eingenommen, hält sich für ein Geschenk der Götter an alle Frauen (und "weiß", daß er sie im Bett absolut beglücken wird wie noch kein anderer zuvor ...). Er ist ein Feigling, ein Schnösel und kleiner Widerling. Aber er hat auch eine verletzliche Seite, eine Vorgeschichte, die Stück für Stück ans Licht kommt, und als er sich endlich verliebt, ist er selbstlos, liebevoll und wundervoll überfordert. Er kann sogar bescheiden sein!
Bisherige Testleserinnen schwankten zwischen dem Bedürfnis, ihn an die Wand zu klatschen, und dem innigen Wunsch, ihn beschützend in den Arm zu nehmen.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: FeeamPC am 23. Juli 2014, 13:59:09
Michael Corleone startet als netter junger Mann, der sich von den kriminellen Machenschaften seiner Familie distanzieren will. Hinterher wird er ein knallharter, bösartiger Mafiaboss (DerPate). Was macht ihn trotzdem für den Leser  sympathisch?
Sein Charakterumschwung wird durch die Ermordung seiner jungen Frau induziert.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: HauntingWitch am 23. Juli 2014, 14:06:25
@Sprotte: Ich kenne deinen Charakter jetzt nicht, aber so etwas finde ich immer etwas heikel bzw. schwierig. Ich mag diese Charaktere nicht, die von einem Moment auf den nächsten wirken wie ein umgedrehter Handschuh, nur weil Mr. oder Mrs. Right vorbei kommt. Das würde ich auf jeden Fall vermeiden wollen.

Erstmal finde ich es richtig toll, dass dieser Thread immer noch so aktiv ist und immer wieder neue Inputs kommen. :) Ich habe mittlerweile auch selbst noch ein wenig darüber nachgedacht. Mir ist etwas aufgefallen: Sympathie oder Antiphatie für einen Menschen hängt bei mir von so vielen unzähligen Faktoren ab, teilweise ist es auch recht abstrus. Überwiegt aber die Sympathie, verzeihe ich jemandem negative Eigenschaften eher. Demnach müsste man sich als Autor eigentlich sagen können: Was soll's, entweder mögen sie ihn oder eben nicht. Nur, warum kann ich das nicht?  ;D
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Guddy am 23. Juli 2014, 15:43:40
@Sprotte Bei solchen Charakteren finde ich es wichtig, dass die andere Seite auch beim "vorher" immer wieder durchblitzt. Schließlich sind es Eigenschaften, die nicht plötzlich auftauchen und die bereits in ihm stecken müssen. Wenn sich ein Protagonist so unwahrscheinlich stark verändert, kam es auch bei mir fast nie gut an, es hat was von Metamorphose. Und die halte ich psychologisch nicht für ganz einwandfrei ;)

Mein Protagonist ist allerdings ähnlich - in einer stark abgeschwächten Version.
Meiner meinung nach kann Liebe einen nämlich nicht komplett umändern. Sie verlagert nur Prioritäten und kann einem einen neuen Blick, eine neue Einfärbung schenken. Doch eine komplette Typänderung.. zumindest wird sie dann eher temporär sein.
Aber vielelicht klang es bei deiner kurzen Ausführung gerade auch einfach nur dramatischer, als es tatsächlich ist :) Charakterliche Veränderungen an sich sind ja sehr spannend(und wichtig!), wenn man sie gut begründet und es zu beschreiben weiß!
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Sprotte am 23. Juli 2014, 15:54:45
Es blitzt durch, keine Sorge. Er macht keinen 180-Grad-Schwenk.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Guddy am 23. Juli 2014, 15:57:40
Juhu! Dann will ich nichts gesagt haben  ;D
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Aleya Sihana am 28. Juli 2014, 10:58:09
Das ist ein spannendes Thema ;) Ich persönlich finde die Bösewichte/Mistkerle ja immer die interessantesten Figuren. Sie sind ja nicht von Grund auf "böse". Jeder hat als unbeschriebenes, weisses Blatt begonnen und die individuellen Erlebnisse formen dann langsam den Charakter. Da gefällt mir auch besonders, wenn der Feind schliesslich zum Freund wird. Die Auslöser für so eine Wandlung können da ja ganz verschieden sein. Ich schreibe im Moment etwas Ähnliches. Der Bösewicht wird von seinen eigenen Leuten gezwungen sich so zu verhalten, wodurch er von sich aus meist aggressiv ist und Stimmungsschwankungen hat. Irgendwann platzt ihm der Kragen und er haut ab. Sobald er wieder er selbst sein kann, erfährt man dann schnell wie er eigentlich wirklich ist.
Ich weiss, es geht jetzt eigentlich nicht um Gut und Böse, sondern um reale Mistkerle. Aber Bösewichte sind ja meistens auch Mistkerle ;D
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Norrive am 28. Juli 2014, 14:51:10
Hey ihr lieben,

ich bemühe mich auch immer, meinen Bösewichtern Tiefe zu verleihen, Motive, und auch manchmal die ganz verborgenen weichen, netten guten Eigenschaften hervorblitzen zu lassen. Aber ich hatte da letztens auch schon mit Korahan diskutiert: Ich habe das Bedürftnis, eine wirklich grausame, sadistische Prota zu erzählen (Im Groben eine Sadistin anstatt einer Opportunistin, die nur böse handelt um Ziele zu verfolgen). 

Ich möchte zeigen, dass die Frau nah am Wahnsinn dran ist und den Sinn für Mitleid und Empathie verloren hat. Bis ich die Hintergründe erklären kann ( 2000 Jahre lang in einem magischen Sarg bei vollem Bewusstsein eingesperrt....) stehe ich aber eventuell vor dem Problem, den Leser bei der Figur zu halten und sie nicht einfach als arme Irre abzuschreiben. Würden bei solch einer radikal bösen Person immer noch kleinste Durchblicke auf das ehemals Gute ausreichen, bzw. lassen sich die hier genannten Methoden auch noch auf ganz radikale Charaktere anwenden?
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: HauntingWitch am 28. Juli 2014, 15:24:25
@Norrive: Ich denke, das sollte funktionieren. Kennst du "Die Schwarzen Juwelen" von Anne Bishop? In deren Band I, "Dunkelheit", gibt es auch einen Protagonisten, der zu Beginn ein richtiges A.... zu sein scheint. Allmählich erfährt man aber, wie er so geworden ist und zwischendurch wird immer wieder einer seiner positiven Aspekte hervorgehoben. Am Ende ist er der anständigste von allen. :rofl: Ich bin mir nicht sicher, ob es das ist, was du meinst, ob der Boshaftigkeitsgrad, sozusagen, vergleichbar ist. Das nur so als Gedanke. Selber ausprobiert habe ich aber noch nichts vom hier im Thread erwähnten, ich fange da auch erst an.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Lothen am 28. Juli 2014, 20:40:53
@ Norrive: Ich denke, wenn der Leser weiß, dass die Dame einfach nicht unbedingt sympathisch ist, dürfte ihn diese Tatsache ja nicht vom Lesen abhalten. Im Gegenteil: Vielleicht kannst du es ja so gestalten, dass das Interesse an ihrem Werdegang eher noch wächst statt abnimmt?

Man sollte es mit den "guten Aspekten" auch nicht übertreiben. Manche Personen sind einfach nicht nett oder sind vielleicht sogar stereotyp in ihren negativen Eigenschaften - und das ist meiner Ansicht nach auch okay. Gerade Empathie, das Norrive angesprochen hat, ist eine sehr elementare Eigenschaft, die Menschen nur schwer erlernen können, wenn sie sie im Laufe ihrer Entwicklung nicht gelernt haben. Eine sadistische, grausame Person, die plötzlich anfängt, Mitleid mit ihren Mitmenschen zu haben, fände ich inkonsequent.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Norrive am 28. Juli 2014, 21:06:29
@Witch: Ohja, die Bücher hab ich verschlungen. Daemon  :knuddel: Apropos, Daimon aus vampire diaries macht ja auch so eine Entwicklung durch oder? Sehe die Serie immer nur wenn ich vorm TV einschlafe ;D  Ich wollte meine Prota noch wesentlich dunkler schreiben als besagten Band I Villain. Aber die Motivation der beiden ist vielleicht ähnlicher als ich dachte. Nur den Wandel zum Gutmensch wird sie nicht so schaffen können, dafür ist sie zu kaputt. Aber vielleicht verschaffe ich ihr wenigstens Seelenfrieden am Plotende. Charakter steht, Plot noch nicht  :vibes:

@Lothen Es wäre natürlich genial, wenn ich den Leser durch die Antipathie und nur wenige lichte Momente doch fesseln könnte. Das vage Gefühl, das hinter bösen Protas noch mehr steckt, habe ich auch immer mal wieder und freue mich wie ein Kind, wenn ich Recht hatte ;D Sie hat Empathie ja nur verlernt. Ich glaube, sie ist mental da, wo die Longbottoms sind, nur weniger auf der Gemüseseite als auf der Mörderische-Rache-an-Feinden-Seite, allerdings gleichsam verrückt.

Außerdem will ich es eigentlich schaffen, dem Leser ein ungutes Gefühl des Verständnisses zu geben und vielleicht ein ganz kleines bisschen Grausamkeit zu genießen. Das ginge mit einem zu flachen Charakter nicht, aber zu gut darf sie dann auch nicht sein.

Zitat von: Lothen am 28. Juli 2014, 20:40:53
Man sollte es mit den "guten Aspekten" auch nicht übertreiben. Manche Personen sind einfach nicht nett oder sind vielleicht sogar stereotyp in ihren negativen Eigenschaften - und das ist meiner Ansicht nach auch okay.

Das trifft es ganz gut, glaube ich :)
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Lothen am 28. Juli 2014, 21:16:05
Zitat von: Norrive am 28. Juli 2014, 21:06:29
Außerdem will ich es eigentlich schaffen, dem Leser ein ungutes Gefühl des Verständnisses zu geben und vielleicht ein ganz kleines bisschen Grausamkeit zu genießen. Das ginge mit einem zu flachen Charakter nicht, aber zu gut darf sie dann auch nicht sein. 

Das klingt doch super - mir würde das gefallen :)
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Snöblumma am 29. Juli 2014, 21:34:38
Ich hab hier jetzt eine Weile mitgelesen und mich gefragt, ob die Frage nach dem "sympathischen" Bösewicht eigentlich die Kernfrage war ;). Was nicht heißen soll, dass diese Frage nicht auch sehr spannend ist - eindimensionale Bösewichte sind meistens ja nicht so die Bringer, haben einfach zu wenig Potenzial für Konflikt und sind im Grunde genommen langweilig, wenn man nicht auf der Schiene unterwegs ist, das absolut abgrundtiefe Böse, das Grundlose sozusagen, darzustellen. Letzteres kann ja auch seinen Reiz haben ;).

Aber ich will die Frage mal umformulieren: Wie mache ich aus dem sympathischen Bubiface einen Mistkerl? Wie also gebe ich einer Figur (Love Interest, bester Freund des Helden, der Held selbst?) solche Ecken und Kanten, dass sie nicht mehr einfach nur nett und sympathisch ist, sondern eher "grau"? Das ist für mich eigentlich oft schwerer als den Bösewicht nett wirken zu lassen (Katzen, Kindern, die alte Oma - das kann für rührende Szenen sorgen).

Ein an sich positiver Charakter muss ja am Ende immer noch positiv besetzt sein, nicht nur "böse, aber vielleicht ab und zu ganz nett und nachvollziehbar". Er darf also nicht ZU böse werden, nicht zu abartig, zu fremd, zu "anders". Da finde ich es immer wichtig, die Genreerwartungen abzustecken. Im Romancebereich sind ganz andere Dinge erlaubt und möglich als in der High Fantasy, ein Steampunkroman kann andere Charaktere ab, und in einer Dystopie sind die Karten wieder ganz anders gemischt. Natürlich darf der Mistkerl ein knallharter Fighter sein, aber er muss es dann immer mit Grund tun, so dass wir als Leser es nachvollziehen können. Wichtig ist in der Hinsicht auch, dass solche Figuren zwar Fehler haben dürfen - dass sie diese aber zwangsläufig überwinden müssen, wenn sie wirklich Fehler der Sorte sind, die man ihnen übelnimmt. Natürlich darf der LoveInterest ein notorischer Fremdgeher sein, aber sobald er auf Misses Right trifft, muss sich das ändern. Der desillusionierte Polizist (oder ähnliches) in einer Dystopie darf vielleicht desillusionert bleiben, aber im Grunde genommen warten wir doch darauf, dass er das Kämpfen wieder lernt und sich noch mal aufrafft...

Ob man Charaktereigenschaften per se als fragwürdig wahrnimmt, hängt natürlich sowohl vom Wertesystem des Lesers ab als noch viel stärker vom Wertesystem, das diese Geschichte trägt. Darum finde ich es immer elementar, zu wissen, welche Werte die Gesellschaft meiner Figuren so schätzt, welche nicht, wieso sie das tut, ob es darin Brüche gibt...

Bei einer meiner Figuren aus meinem Steampunk aus dem letzten NaNo beispielsweise ist sehr schnell klar, dass er ein absoluter Feigling ist, obwohl er Offizier geworden ist. Tapferkeit und militärische Ehren gehen gerade in seiner Lebensumwelt (Adel) über alles. Kurzum: Er ist ein kriecherischer, schmieriger Feigling, der noch dazu nicht vor seiner eigenen Familie Halt gemacht hat, um seinen eigenen Vorteil zu verfolgen. Er ist also eine Figur, die sowohl von den Lesern als auch innerhalb des Systems verachtet wird. Dennoch wird nach und nach klar, wieso er so handelt: Er ist einfach nicht dazu geboren, sondern eher ein zurückhaltender Denker, der viel lieber an der Uni geblieben wäre, aber aufgrund der äußeren Umstände in den Militärdienst gezwungen wurde. Auf diese Weise hoffe ich, dass diese Figur zumindest im Ansehen der Leser steigt. Er macht ja das Beste aus seiner Lage ;).

Anders ist es bei meinen Romance-Projekten (wo ja auch die epische Bezeichung des "mysteriösen Mistkerls" entstand, nicht wahr, Malinche :D ). Ich mag die Love Interests, die eigentlich viel zu arrogant sind, solche von sich selbst überzeugten Machos, die aber eigentlich ein weiches Herz haben ;). Aber das passt nun nicht ganz zum High Fantasy-Genre, also höre ich schon wieder auf :D.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: HauntingWitch am 30. Juli 2014, 09:36:18
Snö, deine Ausführungen sind wie immer sehr spannend.  :) Dann will ich mal drauf eingehen.

ZitatAber ich will die Frage mal umformulieren: Wie mache ich aus dem sympathischen Bubiface einen Mistkerl? Wie also gebe ich einer Figur (Love Interest, bester Freund des Helden, der Held selbst?) solche Ecken und Kanten, dass sie nicht mehr einfach nur nett und sympathisch ist, sondern eher "grau"?

Das wiederum fällt mir nicht schwer. Für mich ist ein grauer Charakter selten ein Mistkerl, sondern realistisch und sympathisch. Wie ich es mache, dass er eben nicht mehr einfach nur sympathisch und nett wirkt, sondern auch Ecken und Kanten hat? Ich gebe ihm Abgründe, Charaktereigenschaften, die er schlecht unter Kontrolle hat oder ihm nicht bewusst sind oder auch Eigenschaften, die von vielen Leuten negativ aufgenommen werden. Mein einer Hauptcharakter hat z.B. einen sehr ausgeprägten Stolz in sich und neigt dazu, eine Wut offen zu zeigen. Ausserdem hat er den Tod seiner Mutter nie vollständig verarbeitet... Schon ist er nicht mehr so nett und niedlich.  ;) (Hoffe ich zumindest). Beispiele aus Büchern, die ich gelesen habe, fallen mir jetzt leider gerade keine ein.

ZitatNatürlich darf der LoveInterest ein notorischer Fremdgeher sein, aber sobald er auf Misses Right trifft, muss sich das ändern.

Das sehe ich anders. Mir würde das unrealistisch erscheinen. So etwas ist ja erfahrungsgemäss eher charakterlich bedingt und hat weniger mit der anderen Person zu tun. Manchmal, sicher, aber meistens ändern sich Leute nicht von Grund auf, nur weil jemand ach-so-Besonderes (;)) in ihr Leben tritt. Jemand, der seinen Partner betrügt, wird vermutlich auch den nächsten Partner betrügen. Am Anfang glaubt man ja immer, dieser sei nun der Richtige.

ZitatOb man Charaktereigenschaften per se als fragwürdig wahrnimmt, hängt natürlich sowohl vom Wertesystem des Lesers ab als noch viel stärker vom Wertesystem, das diese Geschichte trägt. Darum finde ich es immer elementar, zu wissen, welche Werte die Gesellschaft meiner Figuren so schätzt, welche nicht, wieso sie das tut, ob es darin Brüche gibt...

Das ist das Puzzleteil, das mir vor ein paar Tagen noch gefehlt hat, danke!  :)

ZitatAnders ist es bei meinen Romance-Projekten (wo ja auch die epische Bezeichung des "mysteriösen Mistkerls" entstand, nicht wahr, Malinche ). Ich mag die Love Interests, die eigentlich viel zu arrogant sind, solche von sich selbst überzeugten Machos, die aber eigentlich ein weiches Herz haben .

Hihi, es ist ja oft auch so, dass solche vermeintlich superharten Typen unter dieser Schale mehr ihre Unsicherheit und Verletzlichkeit verbergen als etwas anderes. Da gibt es allerdings auch Abstufungen. Wenn jemand das schon zu lange so macht, wird er es schwerer haben, diese Seite seines selbst wiederzufinden bzw. zu zeigen und möglicherweise noch mehr den Mistkerl raushängen lassen. Jemand, der eigentlich nur darauf wartet, dass eine ihm das Herz öffnet und das auch gegenüber sich selbst zugibt, wird einfacher zu knacken sein...
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Norrive am 30. Juli 2014, 16:31:05
Der 'mysteriöse Mistkerl' ist aber doch eigentlich genau das, worauf der Thread hier abzielt (dachte ich nach Lesen der Posts ;D )

Er muss (bei Romance natürlich) eigentlich richtig unausstehlich sein, aber vor Erotik prickeln (und ich glaube letzteres lässt gerade Romance-Leserinnen über einiges andere hinwegsehen ;D ). Ich denke auch bei anderen Genres (und natürlich auch dem Leser selbst!) gibt es solche Schlüsseleigenschaften, die einen Charakter trotz aller Widrigkeiten sympathisch machen. Als Beispiel nehme ich gerne Han Cho-Bei aus RED 2. Der beste Auftragsmörder der Welt, ehemaliger koreanischer Agent, der durch Verrat zum Landesverräter wird, und hinter dem Hauptcharakter Frank Moses her ist. Ich kann Han nicht widerstehen, weil er einen ganz ganz trockenen Humor hat (''Nein, Grashüpfer, ist es nicht'') und sich in den unpassendsten Momenten über Nichtigkeiten aufregen kann
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Aber die Sache mit den verschiedenen Wertesystemen, die Snö erwähnt hat, ist glaube ich bei dem sympathischen Mistkerl entscheidend. Und die Frage, wem gegenüber er sympathisch sein soll (--> Einem anderen Char: Wertesystem im Buch --> Dem Leser: Wertesystem des Lesers).

Grüße
Norrive
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Lazlo am 04. August 2014, 13:57:06
Ich kann da Arcor nur zustimmen, über Humor geht einiges.
Ich hatte das gleiche Problem mit meinem Antagonisten, den ich auch nicht nur "böse" darstellen wollte, sondern facettenreich. Er ist der Teufel höchstpersönlich. Er ist sarkastisch, sicherlich auch bösartig, aber durch seinen Humor zieht er den Leser doch ab und zu auf seine Seite. Das kann man doch auch immer hervorragend durch die Erlebte Rede erreichen, indem man seine Gefühlen, Beweggründe und Gedanken beschreibt und so die Handlungen nachvollziehen kann.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Schwarzhand am 05. August 2014, 12:28:09
Zitat von: Lazlo am 04. August 2014, 13:57:06
Ich hatte das gleiche Problem mit meinem Antagonisten, den ich auch nicht nur "böse" darstellen wollte, sondern facettenreich. Er ist der Teufel höchstpersönlich. Er ist sarkastisch, sicherlich auch bösartig, aber durch seinen Humor zieht er den Leser doch ab und zu auf seine Seite. Das kann man doch auch immer hervorragend durch die Erlebte Rede erreichen, indem man seine Gefühlen, Beweggründe und Gedanken beschreibt und so die Handlungen nachvollziehen kann.

Und ich glaube genau das ist es, was einen eigentlichen Mistkerl zum Leserliebling mutieren lässt:
Seine Verschlagenheit und dem trockenen Humor, mit dem er gegenüber anderen Charakteren heraussticht.
Allerdings(und da beziehe ich mich einmal auf George R.R. Martin)schaffen es einige Autoren ihre Antagonisten ohne diese bestimmte Art von Humor und auch ohne diese Motivation, die
schon genannt wurde, den eigentlich bösen und grausamen Charakter dem Leser ans Herz zu legen.
Ich habe da so Cersei im Blick, die ich anfangs nicht leiden konnte, aber nach und nach mit ihr "anbändelte".
Jetzt wird einjeder sagen, Cersei hätte doch ebenfalls diese Motivation und den Gegensatz, den die liebende Mutter darstellt, doch dafür wird ihre Rolle als besorgte Mutter, so finde ich, zu wenig hervorgehoben.
Um jedoch auf das eigentliche Thema zurückzukommen  ;):
Ich denke, dass es ein klar verschlagener, gieriger und grausamer Charakter sehr viel einfacher hat, wenn man ihm mit einem guten Humor und einer großen Palette von Gefühlen ausstattet, dem Leser zu gefallen. Es ist aber auch nicht unmöglich , einen Charakter ohne die eben beschrieben Eigenschaften sympathisch wirken zu lassen.


Grüße Daljien
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: zDatze am 05. August 2014, 16:03:33
Ich mag ja Bösewichte/Mistkerle sehr gerne, bei denen ich absolut nicht einschätzen kann, was sie als nächstes tun werden. Diese Unberechenbarkeit zieht mich richtig in den Bann und ich werde dann immer ein bisschen pampig, wenn die "normalen" Protagonisten im nächsten Kapitel wieder das Ruder übernehmen, um weiter ihren bereits ausgetüftelten Plan in die Tat umzusetzen.

Wenn eine Figur nur ein Mistkerl ist, ohne eine antagonistischen Rolle zu übernehmen, dann finde ich es mit der Sympathie schon schwieriger. Eine Figur, die sich ohne anfangs ersichtlichen Grund, wie ein A*loch verhält, und die man im Verlauf der Geschichte trotzdem liebgewinnen soll und das bitte auch noch ohne in eines der unzähligen Erklärungs-Klischees zu verfallen.
Manchmal frage ich mich wirklich, warum in so ziemlich jedem meiner Projekte mindestens eine Figur auftaucht, die ihre Arroganz mit Stolz zur Schau trägt und dabei eigentlich Publikumsliebling sein will. :d'oh:
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Coppelia am 27. Januar 2015, 13:12:35
Das hier ist wohl der richtige Thread für mich. Also, ich kämpfe momentan auch mal wieder mit dem Plot und vor allem mit meiner Hauptfigur (wer in der Vhaskalia mitgelesen hat: Es ist Atanis). Die Hauptfigur in meinem antiken Setting ist ein junger Mann von Adel. Er will den schlechten Ruf seines Vaters abschütteln, der ein berüchtigter Schürzenjäger war, und sich als Politiker einen Namen machen. Leider habe ich einige Probleme damit, ihn sympathisch zu machen. Ein richtiger Mistkerl ist er eigentlich nicht: Er will an sich alles richtig machen und es allen Beteiligten recht machen. Nur: Er bekommt es nicht hin. Er will sich moralisch verhalten, aber er hat eine Affäre mit einer verheirateten Frau (die in ihrer Ehe allerdings ziemlich unglücklich ist). Er will sich für die Benachteiligten einsetzen, aber ihm werden die Möglichkeiten verbaut. Letzten Endes geht er aus mangelnder Erfahrung politisch dermaßen ungeschickt vor, dass er Tumulte auslöst und auch noch wesentlich dazu beiträgt, eine Diktatorin zu etablieren. Das ist Teil 1 - was ihn in Teil 2 erwartet, versuche ich noch herauszufinden. :-\ Nein, er ist kein Mistkerl. Ein Wort, das ihn beschreibt, wäre Hallodri oder Windbeutel. :P Und er handelt auch vor allem aus Egoismus: Dass er als Politiker sowas wie Verantwortung hat, wird ihm erst klar, als es zu spät ist.

Hier wurden folgende Punkte genannt, um eine Person sympathischer zu machen:
- positive Eigenschaften (hm ... er ist nett, sportlich, lustig, gutaussehend ... aber ihm scheint das Großartige zu fehlen)
- Motivation (besteht wie gesagt darin, den Ruf seines Vaters abzuschütteln und sich selbst zu etablieren, also ein egoistsches Motiv)
- Prinzipien (Er will nicht, dass jemand stirbt, aber er ist im Moment auch nicht in der Situation, Einfluss darauf zu nehmen, ansonsten weiß ich nicht ....)
- Mitleidsbonus (Er hat einen strengen Lehrmeister, und sein Vater stirbt - durch sein Verschulden. Mitleid?)

Ich selbst habe meinen Spaß, seinen Werdegang zu verfolgen, aber ich fürchte, dass die Leser ihn zum großen Teil ablehen würden. Im Vhaskalia-Thread war er ja auch nicht gerade die beliebteste Figur, und ich kann es irgnedwie auch verstehen. Hätte jemand Ideen, was ich tun/verändern kann, um die Sympathie der Leser für ihn zu wecken?
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Churke am 27. Januar 2015, 13:44:47
Zitat von: Coppelia am 27. Januar 2015, 13:12:35
Ich selbst habe meinen Spaß, seinen Werdegang zu verfolgen, aber ich fürchte, dass die Leser ihn zum großen Teil ablehen würden. Im Vhaskalia-Thread war er ja auch nicht gerade die beliebteste Figur, und ich kann es irgnedwie auch verstehen. Hätte jemand Ideen, was ich tun/verändern kann, um die Sympathie der Leser für ihn zu wecken?

Das Problem ist, dass du ihm eklatante Charakterschwächen gibst, die einfach negativ rüber kommen müssen. Als gescheiterter Gutmensch reißt er ständig die eigene Messlatte. In seinem Arbeitszeugnis würde man schreiben: "bemühte sich stets, den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht zu werden..."
Ich denke, wenn du ihn seine Werte über Bord werfen lässt, an die er sich sowieso nicht hält, lässt ihn das in einem besseren Licht erscheinen. Er kann sie beim Marsch durch die Institutionen verlieren oder vielleicht hatte er auch nie Werte. Du sprichst von Egoismus: Wenn er einfach nur Karriere machen will in einem Umfeld, in dem jeder nur Karriere machen will, würde ihm das die Leserschaft wohl kaum ankreiden.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Siara am 27. Januar 2015, 14:13:28
@Coppi: Leider ist dein Thread mir zwar im NaNo ein bisschen entwischt, aber ich habe ja vorher schon im Romanboard mitgelesen. Und ich mag Atanis. ;D Für mich ist er eben jemand, der zwar theoretisch das Richtige tun will, praktisch aber entweder nicht weiß, wie das geht, oder sich von niederen Bedürfnissen (ob nun das Verhältnis oder einfach sein Egoismus) immer wieder abbringen lässt. Kurz: Er hat eine gewisse Tragik an sich. Und das finde ich durchaus sympathisch. Nein, er ist wohl kaum jemand, mit dem ich gerne befreundet wäre. Aber als Akteur in deinem Roman stelle ich ihn mir mit diesen Eigenschaften sehr interessant vor. Gerade das Schwanken zwischen Augenverdrehen über ihn und echtem Mitgefühl bindet den Leser auch an ihn. Würde mir zumindest so gehen. ;)

Ich finde also nicht, dass du ihn irgendwie sympathischer machen müsstest. Es gibt schließlich mehrere Arten von Sympathie. Bei mir haben die Fehlerbehafteten, die gar nicht merken, was für A***löcher sie sind, durchaus keine schlechten Chancen.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Coppelia am 27. Januar 2015, 17:20:32
@ Churke
Ja, so ungefähr würde ich es auch selbst einschätzen. Interessanten Lösungsansatz hast du da. Ich selbst glaube auch, dass ein skrupelloser und egoistischer Mensch, der sein Ziel aber konsequent verfolgt, beim Leser mehr Sympathie erringt als einer, der's gut meint, aber herumhühnert und nicht in die Puschen kommt.
ZitatIch denke, wenn du ihn seine Werte über Bord werfen lässt, an die er sich sowieso nicht hält, lässt ihn das in einem besseren Licht erscheinen.
Du meinst: Zuerst versucht er das Beste, und als es nicht klappt, wirft er seine Werte über Bord? Oder dass er von Anfang an skrupellos sein sollte?
Das zweite würde nämlich nicht klappen, das erste aber vielleicht schon. Ich weiß nur nicht so genau, ob die Figur es hergibt. Und dann wäre für mich die Frage: Gewinnt die Figur wirklich an Sympathie beim Leser, wenn sie "härter" wird, fieser und egoistischer? ???

@ Siara
Ich glaube dir das gern. ;D Allerdings hast du in deinem Plot auch selbst so etwas schrägere Figuren, die in kein Schema passen, sodass ich vermute, dass wir da ähnliche Vorlieben haben und beide nicht recht repräsentativ bin.
Aber ich kann mich natürlich irren. Die Rückmeldung finde ich ermutigend. :)
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Siara am 27. Januar 2015, 18:53:58
Hehe, das kann natürlich sein, Coppelia. Aber trotzdem sind wir sicher nicht allein damit, die unperfekten Figuren mit ihren Macken zu bevorzugen. Sicher gibt es viele Liebhaber klassischerer Charaktere und einen großen Markt für diese. Aber die Menge derer, die tragische und schräge Figuren mögen, schätze ich trotzdem alles andere als klein ein. (Hast du die Klingen-Saga von Joe Abercrombie gelesen? Keiner der Figuren möchte ich in echt begegnen, aus den verschiedensten Gründen :gähn:).

Den ersten Lösungsansatz finde ich allerdings trotzdem sehr interessant. Jemand, der in einer skrupellosen Gesellschaft skrupellos handelt, wie Churke es vorschlug, würde bei mir keine Sympathie wecken. Anpassung ist in meinen Augen immer langweilig, selbst wenn es Anpassung zur "Stärke" hin ist. Aber den anderen Weg, Atanis seine Prinzipien irgendwann entnervt und mit erhobenen Armen wegwerfen zu sehen, das wiederum könnte Spaß machen. Vor allem, wenn zu ahnen ist, dass er es damit nicht unbedingt besser macht. :snicker:
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Churke am 27. Januar 2015, 19:03:58
Zitat von: Coppelia am 27. Januar 2015, 17:20:32
Du meinst: Zuerst versucht er das Beste, und als es nicht klappt, wirft er seine Werte über Bord? Oder dass er von Anfang an skrupellos sein sollte?

Ich dachte da an den Marsch durch die Institutionen. Nach dem Motto: "Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer es mit 30 immer noch ist, hat keinen Verstand."
Kann durchaus auch subtiler sein. Ich habe mal einen französischen Film über eine Gruppe ENA-Absolventen gesehen. An der Universität sind sie alle stramme Sozialisten (Der Film beginnt in den 70ern) und wollen die Gesellschaft verändern. Dann kommen die Sozialisten an die Regierung. Die Protagonisten steigen in hohe Positionen auf und entfernen sich dabei mehr und mehr von dem, was sie ursprünglich vertreten haben und einlösen wollten. Von der Revolution über das Revolutiönchen zur Restauration. Einerseits durch die "Korruption der Macht", andererseits aber auch durch politische und ökonomische Sachzwänge. Am Schluss sind sie genauso wie die Leute, die sie einst beseitigen wollten.
Titel: Re: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
Beitrag von: Coppelia am 28. Januar 2015, 06:43:11
Argh, ich hasse mein sensibles Touchpad! Einmal an der falschen Stelle berührt, und der Beitrag der letzten halben Stunde ist hin. :( Daher noch einmal in kurz, entschuldigt bitte:

Vielen Dank, ich glaube, mein Problem ist gelöst! Die Entwicklung von Atanis ergibt mehr Sinn, wenn man ihn als Antagonisten sieht, der im 2. Teil die bisherige Antagonistin ablöst. Seine Entwicklung geht ja zum Negativen hin. Da ist es folgerichtig, wenn er irgendwann auch die moralischen Maßstäbe über Bord wirft. Seinen Vater hat er zu dem Zeitpunkt schon geopfert, wenn auch unabsichtlich. Dazu kommt ja, dass er, um der Alleinherrscherin nachfolgen will, sie entweder ermorden oder beerben muss (am besten beides).
Sympathisch ist er so zwar eher noch weniger, aber ich habe nicht länger das Problem, dass mein Protagonist unsympathisch ist. Wenn der Leser will, kann er ihn hassen und verachten, und wenn er gern mit Leuten auf dem absteigenden Ast mitfiebert, geht das auch. ;)
Meine zweite Protagonistin wird damit wohl meine einzige.