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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Feuertraum am 30. Oktober 2013, 12:09:38

Titel: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Feuertraum am 30. Oktober 2013, 12:09:38
Hallo an Alle!

Ich habe gerade für mein aktuelles Romanprojekt eine Erfindung "beschrieben", die zum Zeitpunkt seiner Erfindung noch nicht vollkommen ausgereift war, dann aber von einem meiner Protas Jahrzehnte später verbessert wurde. (konkret geht es um einen Schuh, dessen Sohle sich durch Reibung an einer Wand so dermaßen erhitzt, dass ein brennbares Material, welches man dann an die Sohle hält, Feuer fängt.
Diese Erfindung - das Schuhsohlenstreichholz - war jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgereift, so dass der Schuh Feuer fängt, wenn sein Träger mit ihm rennt.
Nun ist das Problem, dass dieses Streichholz zu einem Zeitpunkt erfunden wurde, in dem schon lange die richtige Mischung fürs sichere Streichholz bekannt war (so an die 30 - 35 Jahre Differenz).

Jetzt überlege ich, ob ich einen auf stur mache und meine Idee trotz dieser historischen Ungenauigkeit drin lasse.
Wie sehen Sie das als Leser?
Wann lassen Sie eine Ungenauigkeit gelten? Lassen Sie überhaupt eine Ungenauigkeit gelten? Oder pfeffern Sie das Buch dann in die nächste Ecke? Verbiegen Sie selbst die Jahreszahlen, um der Szene den passenden Rahmen zu geben und schreiben im Vorwort, dass aufgrund des Romans bewusst einige Daten verändert wurden? Oder ist das für Sie ein absolutes No-Go und sie verwerfen lieber die Idee als dass man ihnen mangelnde Recherche vorwirft?

Neugierige Grüße
Feuertraum
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Kati am 30. Oktober 2013, 12:52:48
Ich bin ja jemand, der es historisch gern so genau wie möglich hätte. Allerdings muss selbst ich sagen: Ganz genau geht es nie. Wir waren ja nicht dabei. Bei großen Erfindungen würde ich Ihnen das ankreiden, wenn Sie jetzt zum Beispiel die Dampfmaschine hernehmen wollten. Bei dieser Schuherfindung, das ist eher sowas, das weiß keiner. Wer kein Profi auf dem Gebiet ist, wird das nicht bemerken. Da kommt es dann eher darauf an, welchen Anspruch Sie an sich selbst haben: Ist Ihnen das egal oder können Sie damit leben, die Erfindung vorzuziehen? Ich persönlich würde das nicht machen wollen, aber das muss der Autor selbst wissen.

Ich denke, wenn ein Buch richtig, richtig gut ist, verzeiht der Leser viele Fehler. In einem Buch der von mir verehrten Mary Hooper hat sie auch ein bestimmtes historisches Ereignis einfach in der Zeit vorverlegt. Das ist schon ein starkes Stück, aber das Buch war trotzdem sehr gut. (Sie hat allerdings in einem Nachwort erklärt, wieso sie das gemacht hat und wie es wirklich war. Das ist immer eine gute Idee, dann zeigt man, dass man es weiß und sich nicht einfach irgendwas ausgedacht hat, weil man nicht weiter recherchieren wollte.)

Ich zum Beispiel finde Fehler im Verhalten der Figuren in historischen Romanen eigentlich um Ecken schlimmer, als wenn eine Erfindung auftaucht, die es eigentlich noch nicht gab. Wichtig ist, dass man merkt, dass Sie schon Ahnung haben. Wegen einer solchen Sache würde ich niemals ein Buch weglegen, wegen zweien auch nicht, wenn es sich aber häuft und offensichtlich wird, dass der Autor nicht recherchieren wollte oder ihm alles egal war, werde ich ungehalten. Ich hatte auch schon ein Buch, das von der Geschichte her einfach nur gut war, aber auf jeder dritten Seite fanden sich große historische Fehler. Das macht dann keinen Spaß mehr.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Churke am 30. Oktober 2013, 13:00:28
Zitat von: Feuertraum am 30. Oktober 2013, 12:09:38
Wann lassen Sie eine Ungenauigkeit gelten?

Wenn es keine Ungenauigkeit und auch nicht "falsch", sondern nach Schiller die dichterische Wahrheit ist.
Und natürlich kommt es auch darauf an, welche Maßstäbe Sie selbst an Ihre historische Korrektheit legen. Bei Ihrem Beispiel gefällt mir nicht, dass Sie die historische Wahrheit für einen Knalleffekt opfern.

Ich mache selbst mit einem ähnlichen Problem herum: Da zitiert eine Figur aus der lateinischen Bibel, der Vulgata. Aber aus einer Fassung der Vulgata, die es zum Zeitpunkt meiner Geschichte noch nicht gab. Er kann sie also gar nicht kennen. Warum mache ich das?
1. In den Ohren jedes Nichtlatriners klingt der Text besser
2. Das Setting ist historische Fantasy
3. 99,9 % der Leser merken sowieso nicht, dass ich aus der falschen Bibel zitiere

Wäre nur eine dieser 3 Bedingungen nicht erfüllt, würde es nicht machen. Vor allem bei Punkt 3 hätte ich zu große Angst, dass man mir unterstellt, ich wüsste nicht, dass ich aus der falschen Bibel zitiere.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Kati am 30. Oktober 2013, 13:29:44
Das ist ein bisschen so, wie der Umstand, dass die Figuren in Romanen, die im Mittelalter spielen ja auch nicht Mittelhochdeutsch sprechen, sondern modernes Deutsch. Es wäre natürlich übertrieben, die Figuren Mittelhochdeutsch sprechen zu lassen, aber da verschwimmen dann die Grenzen zwischen "historisch falsch" und "notwendige Änderung". Ich denke, wenn man die alte Textstelle, die dann wohl auch viel unbekannter ist (?) nehmen würde, könnte es eher passieren, dass die Leser einem vorwerfen nicht richtig zitieren zu können, weil sie eben nur die neue Fassung kennen. Das ist bei mir ein Problem mit der Erwartungshaltung: Königin Victoria ist den meisten als bittere, strenge, prüde alte Frau bekannt. So war sie in Wirklichkeit nicht, aber, wenn ich sie anders darstelle, muss ich mir ganz sicherlich von den meisten Lesern anhören, dass das nicht die Victoria ist, von der sie gehört haben und deshalb muss es falsch sein. Was man da dann macht, muss man selbst entscheiden.

Was die Erfindung angeht: Es ist eine kleine Erfindung, die auf die Veränderung der Welt keinen allzu großen Einfluss hatte. Man muss halt gucken, ob eine Verlegung der Erfindung irgendeinen historischen Ablauf durcheinander bringt. Wenn nicht, kann man das machen, wenn man möchte. Bei der Schuhsache kommt hinzu, dass das keiner weiß. Jedenfalls kaum jemand. Ginge es um das erste Automobil, die erste Untergrundbahn... das wäre etwas völlig anderes. Man muss halt schauen, wie bekannt die Erfindung ist und inwieweit man einen chronologischen Ablauf kaputt macht, wenn man die Erfindung verlegt. Wenn es keine oder kaum Auswirkungen hat, warum nicht. Ich würde es nicht machen, aber ich würde es niemandem übel nehmen. Schon allein, weil ich es in diesem Fall nicht mal merken würde.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Feuertraum am 30. Oktober 2013, 13:50:06
Danke erst einmal für die Antworten.
Im Grunde genommen stimme ich Ihnen beiden zu: wenn die Historische Ungenauigkeit zu extrem ist, würde ich dem Autor unterstellen, dass er gar nicht erst recherchiert hat (zum Beispiel wenn ich eine Geschichte um einen Menschen schreibe, der die Französische Revolution im Jahre 1487 miterlebt hat).

Aber ich bin etwas skeptisch, wenn es ums "Das kennt der Leser so, deswegen muss ich es so schreiben!" geht.
So schreibt man Marie Antoinette den Satz "Wenn das Volk kein Brot hat, dann gebt ihm Kuchen" zu, auch wenn die Historiker inzwischen meinen, dass dieser Spruch schon um einiges älter ist.
Man neigt auch mittlerweile dazu, nicht Amerigo Vespucci, sondern Richard Ameryk als Namenspatron für Amerika in Erwägung zu ziehen, und auch der bei Caears Ermordung gesprochene Satz "Auch du, mein Sohn Brutus" soll angeblich nie gefallen sein.
Gehen wir jetzt mal davon aus, dass diese Aussagen, die ich in verschiedenen Quellen las, stimmen, so muss ich als Autor trotzdem das Falsche hochhalten, weil es jeder kennt? Darf ich also gar nicht schreiben, was "wirklich" geschah, nur um nicht als "Tatasachenverdreher" da zu stehen?

Wegen Erfindung: Klar, diese Erfindung ist nur von mir ausgedacht (und hat somit keinen wirklichen Einfluss auf die Weltgeschichte). Das Streichholz jedoch schon, auch wenn es sicherlich in unserer heutigen Zeit in die Sparte "Och, da machen wir uns eigentlich keine Gedanken drum." fällt.
Nun wenn beim Leser eben damit das Interesse geweckt ist und er nun deshalb doch nachschaut...
:-\
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Kati am 30. Oktober 2013, 14:10:41
Ich glaube, ich verstehe jetzt erst, was Ihr Problem ist. Sie haben sich etwas ausgedacht, dass es nie gegeben hat, aber das Streichholz selbst wurde erst später erfunden? Das sehe ich dann schon ein bisschen problematisch. Natürlich wissen viele Leser nicht, wann das Streichholz erfunden wurde, aber das lässt sich nachgucken. Aber ich denke immer noch, ein zu großes Problem sollte das nicht sein. Sie könnten aber zum Beispiel einfach behaupten Ihr Prota hätte sich etwas Streichholzähnliches ausgedacht und alle hätten die Idee blöd gefunden und später hatte dann eben der echte Erfinder dieselbe Idee. Irgendwo habe ich sowas auch schonmal gelesen. Ich habe auch schon einen Roman gelesen, in dem einer der Figuren die Schuld am Londoner Feuer von 1666 gegeben wurde, obwohl die Figur natürlich nicht existiert hat und somit auch kein Feuer gelegt haben kann. Das war aber sehr stimmig, auch, wenn man wusste, dass es in Wirklichkeit ganz anders war.

ZitatGehen wir jetzt mal davon aus, dass diese Aussagen, die ich in verschiedenen Quellen las, stimmen, so muss ich als Autor trotzdem das Falsche hochhalten, weil es jeder kennt? Darf ich also gar nicht schreiben, was "wirklich" geschah, nur um nicht als "Tatasachenverdreher" da zu stehen?

Auf keinen Fall! Ich würde das nicht machen. Ich meinte nur, dass es dann oft passiert, dass Leser einem das Ankreiden, weil sie es anders gelesen haben. Marie Antoinette und ihr "Let them eat cake" sind da das beste Beispiel. Man liest das überall und niemand zweifelt an, dass sie das gesagt hat. Die ganze Figur Marie Antoinette wird gern als hohlbirnige, naive Königin dargestellt, die sie nicht war. Aber das ist eins dieser Klischees, die sie umgeben und die jeder erwartet und, wenn man es nicht erfüllt, wird es immer Leser geben, die einem das ankreiden. Da muss man als Autor entweder bereit sein, das zähneknirschend hinzunehmen, oder sachlich darauf zu antworten. Ich könnte mir vorstellen zu einem Roman, in dem ich Marie Antoinette etwas näher an der Wirklichkeit liegend beschreibe, einen erklärenden Blogeintrag zu schreiben, in dem ich aufliste, was alles Gerücht ist und was wahrscheinlich wahr. Darauf könnte man dann verweisen, wenn der Vorwurf aufkommt.

Aber wie gesagt: Genau richtig machen können wir es nie, weil wir nicht dabei waren. Die Vergangenheit ist für uns heute ein bisschen ein aufregendes Mysterium und es fällt schwer über Personen zu schreiben, für die sie einfach nur Alltag war. Und, wenn ich über Marie Antoinette schreibe, werde ich sie nie so zeigen können, wie sie wirklich war, weil ich sie nicht kannte. Trotzdem kann man natürlich probieren, alles so authentisch zu machen, wie es einem eben möglich ist. 
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Liliane am 30. Oktober 2013, 15:53:26
Also ich denke auch, in dem Fall ist das in Ordnung. Es ist nicht in Ordnung, wenn es auffällt, das macht es irgendwie lächerlich, da wäre ich zimperlich. Aber es geht eben gerade nicht darum, dass jemand im 15. Jahrhundert die Französische Revolution erlebt. Es geht in dem Fall ja weder um so ein Ereignis, wo wirklich jeder sich etwas drunter vorstellen kann, noch geht es um eine so große Zeitspanne, die dann nicht stimmen würde. Kaum jemand weiß auswendig, ab wann es denn nun Streichhölzer gab und die wenigen, die es wissen oder nachschauen (wobei, warum sollten sie es tun?), auf die wenigen kann man keine Rücksicht nehmen.
Also so etwas fällt absolut nicht auf, wobei ich denke, es wird wohl auch kein Leser die genaue Zahl im Kopf haben, wann die Geschichte spielt, oder?
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Pygmalion am 30. Oktober 2013, 17:41:07
In diesem Fall wird es niemandem auffallen. Zumal, warum sollte es das nicht "neben" dem Streichholz gegeben haben? (unabhängig davon, dass ich so eine Erfindung für ziemlich seltsam halten würde :D )

Was den anderen Teil angeht mit dem bewussten Wiedergeben falscher, aber bekannter Fakten: Finde auch, sollte man nicht tun. Die Zeiten, in denen z.B. Piraten Degen schwingend über Schiffsdecks laufen und Jungfrauen retten, sind wohl vorbei :D
Was man aber auch beachten sollte: Gerade solche Zuweisungen von Aussprüchen/ Charakterisierungen von Personen haben immer irgendeine Intention und sind auch, je bekannter die Personen, einem ständigen Wandel unterworfen. Heutige Deutungen der Personen spiegeln nicht unbedingt das entsprechende Bild bei den Zeitgenossen wider und das muss man  beachten, nicht nachträgliche Rezeptionen. Hier kann man als Autor aber auch durchaus gewissen Freiraum nehmen, denn wenn selbst Historiker darüber uneins sind, ob diese oder jene Person den Satz jetzt gesagt hat, oder eben doch nicht, darf ich mir die für mich "Beste" Deutung heraussuchen. Vermutlich hat keine der Antiken Personen überhaupt jemals das gesagt, was ihr so wörtlich angedichtet wird. Homer gab (nach derzeitiger Forschungsdiskussion) vielleicht gar nicht und die Werke von vielleicht auch von mehreren Leuten geschrieben und nicht von dem uns bekannten Blinden Homer. Das sind so wissenschaftliche Feinheiten, die man meiner Meinung nach nicht unbedingt in einem Buch haben MUSS.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Churke am 30. Oktober 2013, 18:27:19
Zitat von: Feuertraum am 30. Oktober 2013, 13:50:06
Gehen wir jetzt mal davon aus, dass diese Aussagen, die ich in verschiedenen Quellen las, stimmen, so muss ich als Autor trotzdem das Falsche hochhalten, weil es jeder kennt? Darf ich also gar nicht schreiben, was "wirklich" geschah, nur um nicht als "Tatasachenverdreher" da zu stehen?
Historiker sind wie Journalisten: Was sie schreiben, lässt jeden Augenzeugen den Kopf schütteln. Die Geschichte ist keine exakte Wissenschaft, das wird heute allzu oft vergessen. Machen Sie doch aus der Not eine Tugend: Wenn die Faktenlage zweifelhaft ist, können Sie sich aussuchen, welche Variante Sie nehmen. Ich mache von diesem Freiraum jedenfalls gerne Gebrauch.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Feuertraum am 30. Oktober 2013, 20:58:36
Nabend!
Danke für die neuen Antworten

Zitat von: Kati am 30. Oktober 2013, 14:10:41
Ich glaube, ich verstehe jetzt erst, was Ihr Problem ist. Sie haben sich etwas ausgedacht, dass es nie gegeben hat, aber das Streichholz selbst wurde erst später erfunden?

Nein, genau andersherum.
Um 1836 wurde das Sicherheitsstreichholz erfunden, dass sich nicht mehr selbst entzündete. Mein Erfinder erfand diesen Schuh 50 Jahre später und hätte so das Wissen haben müssen, welche Mischung er nehmen muss.
Zitat
Die ganze Figur Marie Antoinette wird gern als hohlbirnige, naive Königin dargestellt, die sie nicht war.

Stimmt. Sie übertraf ihren Gatten an Intelligenz

ZitatAber wie gesagt: Genau richtig machen können wir es nie, weil wir nicht dabei waren. Die Vergangenheit ist für uns heute ein bisschen ein aufregendes Mysterium und es fällt schwer über Personen zu schreiben, für die sie einfach nur Alltag war. Und, wenn ich über Marie Antoinette schreibe, werde ich sie nie so zeigen können, wie sie wirklich war, weil ich sie nicht kannte. Trotzdem kann man natürlich probieren, alles so authentisch zu machen, wie es einem eben möglich ist.

Stimmt. Auch wenn man dann wieder das Problem hat, dass man eben keine historische Ungenauigkeit schreiben darf, wenn man relativ nahe an der Wahrheit bleiben will (wie sie die Wissenschaft zu dem Zeitpunkt erforscht hat)

Zitat=Liliane:

ZitatKaum jemand weiß auswendig, ab wann es denn nun Streichhölzer gab und die wenigen, die es wissen oder nachschauen (wobei, warum sollten sie es tun?), auf die wenigen kann man keine Rücksicht nehmen.

Naja, man kann auch auf die Wenigen hören. Und wenn die aufgrund dessen das Buch zerreissen...Nun, doch, weil die Protas Homes und Wazn (also Holmes und Watson) ihre Abenteuer von bis erlebten.


Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Franziska am 30. Oktober 2013, 23:16:44
Also bei dieser "kleinen" Ungenauigkeit würde ich das auch noch verzeihen. Ich habe gerade mal in die neue Serie "Reign" reingeschaut. Es geht um Mary Queen of Scots, spielt also im 16. Jahrhundert. Ja, die Namen sind eigentlich alles, was die Serie mit der wirklichen Historie gemein hat. Nicht nur, dass sich keine der Figuren verhält wie in der Zeit, nein, die Frauen in der Serie tragen auch noch alle "Prom-dresses", wie es mehrere Rezensenten ausdrückten. Ne klar, Korsetts wären ja auch zu unbequem gewesen für die Schauspieler. ::)
Ich finde, wenn man so sehr von der wahren Gegebenheit abweichst, sollte man es auch Fantasy nennen. Oder einfach sagen, es ist ein erfundenes Königreich.
Aber was ich interessant finde: die Mehrheit der zumeist jungen weiblichen Zuschauer scheint es nicht zu stören. Hauptsache, es gibt eine spannende Handlung. Während sich natürlich auch einige darüber aufregen. Ich glaube, es wird immer solche und solche Leser geben, daher stimme ich Kati zu, dass es darauf ankommt, welchen Anspruch man an sich selbst hat. Ich versuche gerade etwas über London um 1900 zu erfahren. Es gibt natürlich einige Quellen und einiges weiß ich auch schon. Aber ich nehme mir auch die Freiheit, mir ein paar Sachen auszudenken, weil alles kann man nie wissen.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Liliane am 30. Oktober 2013, 23:26:38
Mmh nun ja, ich würde trotzdem auch sagen, dass man bei so einer kleinen Ungenauigkeit nicht darauf achten muss.
Wegen so etwas wird ein Buch nicht zerissen. Oder würde irgendwer einen Kritiker ernst nehmen, der sagt "Ja, das Buch war ja an sich ganz gut, aber die Sache, dass die Streichölzer und so weiter... das geht ja gar nicht."
Nein, das ist ja total zimperlich, das macht keiner, denke ich.
Und Franziska hat auch recht, man kann manches auch erfinden und es kommt auf die Ansprüche an, die man an sich selbst hat.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Kati am 30. Oktober 2013, 23:35:14
Zitat von: Franziskadie Frauen in der Serie tragen auch noch alle "Prom-dresses", wie es mehrere Rezensenten ausdrückten. Ne klar, Korsetts wären ja auch zu unbequem gewesen für die Schauspieler. ::)

Ich habe gerade mal reingeguckt. Das sieht stark auf Hochglanz poliert aus. Also, Korsetts waren damals an sich noch nicht in Mode, aber die Kleider sind einfach völlig daneben, genau wie die Frisuren. (Was Modegeschichte angeht, liegt mir historische Genauigkeit sehr, sehr am Herzen, einfach, weil es so einfach ist, sie zu recherchieren. Es ist nicht schwer, die Kleidung der Figuren zumindest ansatzweise richtig hinzubekommen.) Aber auch die Schauspieler selbst... na ja, da ging wohl Schönheit vor Authentizität. Ein Kommentar unter dem Trailer zur Serie sagt alles. Sinngemäß steht da, die Serie wäre nicht spannend, wenn sie historisch genau wäre, weil dann ja das Love Interest Francis hässlich wäre. Das sagt alles, oder? Und als Autor muss man sich halt entscheiden, für welche Gruppe man schreiben möchte: Die, die einfach Unterhaltung mit historischem Hintergrund suchen oder die, die sich für das Thema wirklich interessieren und einen Roman lesen wollen, der möglichst nah an der Wahrheit bleibt. Beides ist nicht verkehrt, man muss nur schauen, dass man das macht, was man erreichen will.

Zitat von: LilianeKaum jemand weiß auswendig, ab wann es denn nun Streichhölzer gab und die wenigen, die es wissen oder nachschauen (wobei, warum sollten sie es tun?), auf die wenigen kann man keine Rücksicht nehmen.

Ich. Ich gucke sowas hin und wieder nach. Nicht jedes Mal, wenn etwas genannt wird, aber, wenn ich das Gefühl habe, etwas wirkt falsch in der Zeit. Ich hatte das zum Beispiel mit einem Roman, der 1820 spielt, in dem ein Rollstuhl vorkam. Ich konnte nicht genau sagen weshalb, aber dieses Bild hat mich gestört, also habe ich schnell gegooglet, wann der Rollstuhl überhaupt erfunden wurde. Ich denke mal, ich bin nicht die einzige, die das macht? Und ich für meinen Teil finde schon, dass man auch auf die Leser Rücksicht nehmen sollte, die sowas nachgucken. Schon allein, weil man seinen Roman meiner Meinung nach so gut machen sollte, wie möglich und dazu gehört sowas nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen und sich zu sagen, der dumme Leser merkt das eh nicht. Wenn es einen triftigen Grund gibt, wie in Feuertraums Fall, kann man das natürlich machen, aber einfach so, weil man keine Lust hat, nachzugucken oder sich eine Alternative auszudenken ist nicht so gut. Passiert aber leider oft genug. Und das merkt man und das ärgert mich dann, besonders, wenn es sich häuft (Wie in dem Buch mit dem Rollstuhl.)

Natürlich würde deshalb kein Kritiker ein Buch zerreißen (ich auch nicht, es sei denn, wie gesagt, es häuft sich immens), aber es fällt auf und meistens unangenehm. Wenn ich das als Autor verkraften kann, ist alles gut. Was Franziska sagte, dass man sich einiges ausdenken kann, sehe ich genauso. Einfach aus dem Grund, weil man nie alles recherchieren kann. Und, wenn man in der Zeit drin steckt, leitet man meist eh die für die Zeit wahrscheinlichste Lösung her, weil man es sich aus anderen Dingen, die man gelesen und recherchiert hat, ableiten kann. Das mache ich auch und ich denke, das ist wirklich kein Problem.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Franziska am 31. Oktober 2013, 00:15:45
ZitatAlso, Korsetts waren damals an sich noch nicht in Mode, aber die Kleider sind einfach völlig daneben, genau wie die Frisuren.
echt? Wie kriegt man ohne Korsetts solche Figur? Naja, was ich eigentlich meinte, sind die Kleider die damals in waren waren hochgeschlossen und nicht besonders sexy. Im Gegensatz zu den Kleidern in der Serie. Dabei ist das der Hauptgrund, warum ich mir Historienfilme angucke, die Kostüme. Bei den Tudors war das ja wenigstens noch ansatzweise richtig.
Wenn man sich wirklich viel Freheit nimmt und etwas macht, was historisch nicht korrekt ist, wie man lässt eine Person für etwas verantwortlich sein, obwohl jeder weiß, dass es so nicht war (wie Katis Beispiel) dann sollte man das mit einem Augenzwinkern tun. So dass jedem Leser klar  ist, dass man weiß, was man da tut. Ich habe das schon öfter in Filmen gesehen und da hat es mich im Gegensatz zu der Serie nicht gestört.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Kati am 31. Oktober 2013, 01:48:41
Die Figur zur Zeiten der Tudors bekam man durch das extrem eng geschnittene Oberteil dieser Kleider. Damals war nicht die Stundenglasfigur in, die man durch ein modernes Korsett bekommt, sondern eine Zylinderfigur: Also oben wie ein nach unten zulaufendes Dreieck und dann ganz weite Röcke als Kontrast. Und dieses richtig enge Oberteil, das auch schon mit Walknochen versteckt war, presste den Körper in genau diese Form. (Also, es war schon eine Art Korsett, hieß aber nicht so und sah völlig anders aus als moderne Korsetts.) Diese Oberteile kamen dann aus der Mode und dann erst wurde der Vorläufer des modernen Korsetts erfunden, der jedoch noch völlig anders aussah, als wir Korsetts heute kennen und auch noch die Zylinderform hervorrufen sollte. War bis zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts in Mode und in den 1830ern kam das Korsett, wie wir es kennen. Aber genug OT.  :psssst:

Ich gebe dir völlig Recht: Wenn ich weiß, dass ich etwas schreibe, dass nicht stimmt, dann muss dem Leser das klar werden. Man erkennt finde ich ziemlich gut den Unterschied zwischen Unvermögen und bewusstem Brechen mit der Wahrheit und während das eine zwar nicht allen gefällt, aber natürlich durchaus machbar ist, ist Unvermögen meistens nur traurig, weil es oft schade um eine gute Geschichte ist. Die Serie sieht mir sehr billig gemacht aus. Die Kleider haben schon irgendwo den Tudor-Schnitt, aber eben nur gerade so. Es sieht tatsächlich etwas aus wie moderne, an ein Tudorkleid angelehnte Mode. Ich meine, die Serie ist für Teenager und hat da bestimmt ihre Berechtigung, aber ich kann mir sowas nicht angucken. Wenn man eh die Hälfte verändert, aus Mary Stuart eine Schönheit mit Wallehaaren und aus Francois II von Frankreich, der im wahren Leben mit nur 16 Jahren verstorben ist, einen schmucken Midzwanziger mit blonder Föhnfrisur macht, dann kann man den geschichtlichen Bezug doch gleich rausnehmen und sich eine Low-Fantasy-Serie in einer eigenen Welt basteln, oder? Ich sage nicht, dass es sowas nicht geben darf, ich sehe nur den Sinn dahinter nicht, die Geschichte bis ins Unkenntliche zu verdrehen.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Feuertraum am 31. Oktober 2013, 09:46:41
Ich muss gestehen, dass ich bei einem Film oder einem Buch nicht wirklich darauf achte, ob die Kleidung tatsächlich jene war, die getragen wurde zu dieser Zeit. Klar, wenn es zu krass ist (Jeans im 18. Jahrhundert), das würde sogar mir auffallen, ansonsten aber "verlasse" ich mich darauf, was ich dadurch kenne, dass ich es schon woanders gesehen habe.

Auch in anderen Fällen bin ich nicht so kritisch. Wenn der von Kati erwähnte Rollstuhl in einer Geschichte von 1820 auftaucht, habe ich das Bild vor Augen, wie Klara aus der Zeichentrickserie "Heidi" in einem solchen sitzt bzw. meine ich, diesen auch mal in einem Western gesehen zu haben.
Mein Kopf denkt da: Gabs früher schon, wird also stimmen.

Auf der anderen Seite zeigt mir aber Ihr, Kati, Post mit dem Nachschauen, dass die Leser eben aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung eben ruckzuck und ohne großen Aufwand schnell herausfinden können, ob der Autor nun tatsächlich gründlich recherchiert hat oder einfach den Leser Dummheit unterstellt.
Im Grunde genommen muss man als Autor entweder darauf hoffen, dass er so wie ich denkt: Jau, gabs damals schon, braucht deswegen nicht überprüft werden. Oder darauf spekulieren, dass er über diesen "Kniff" hinwegsieht.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Churke am 31. Oktober 2013, 10:28:35
Zitat von: Kati am 30. Oktober 2013, 23:35:14
Ich. Ich gucke sowas hin und wieder nach. Nicht jedes Mal, wenn etwas genannt wird, aber, wenn ich das Gefühl habe, etwas wirkt falsch in der Zeit. Ich hatte das zum Beispiel mit einem Roman, der 1820 spielt, in dem ein Rollstuhl vorkam.

Obwohl sich der Autor hier wahrscheinlich keine Gedanken darüber gemacht hat, ist es aber gerade bei Erfindungen nicht selten so, dass der offizielle Erfinder keineswegs der erste war. Gerade bei naheliegenden Dingen ist das sehr zweifelhaft. Bis vor kurzem glaubte die Fachwelt, dass es im Mittelalter keine Unterwäsche gab, weil man bis dato "keine Belege" gefunden hatte.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Luna am 31. Oktober 2013, 10:42:46
Zitat von: Churke am 31. Oktober 2013, 10:28:35
Obwohl sich der Autor hier wahrscheinlich keine Gedanken darüber gemacht hat, ist es aber gerade bei Erfindungen nicht selten so, dass der offizielle Erfinder keineswegs der erste war. Gerade bei naheliegenden Dingen ist das sehr zweifelhaft. Bis vor kurzem glaubte die Fachwelt, dass es im Mittelalter keine Unterwäsche gab, weil man bis dato "keine Belege" gefunden hatte.

Ein beliebter Spruch bei uns Mittelalterleuten: Was nicht gefunden wurde, heißt nicht, dass es das nicht gegeben hat ;D.
So einen Denkansatz erlaubt jedenfalls einige Freiheiten. Bei dem Rollstuhl z. B. könnte ich mir schon vorstellen, dass es den um 1820 irgendwo schon gegegen haben könnte. Kann nicht laufen, hey, ein Stuhl mit Rädern wäre die Lösung. Darauf kann man leicht kommen. Das ist wirklich sehr naheliegend und wer weiß, vielleicht hat ein findiger Mensch sogar schon im Mittelalter seinem Oppa einen Lehnstuhl mit Kutschrädern gebastelt und ihn damit herumgeschoben.   
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Kati am 31. Oktober 2013, 14:47:41
ZitatObwohl sich der Autor hier wahrscheinlich keine Gedanken darüber gemacht hat, ist es aber gerade bei Erfindungen nicht selten so, dass der offizielle Erfinder keineswegs der erste war. Gerade bei naheliegenden Dingen ist das sehr zweifelhaft. Bis vor kurzem glaubte die Fachwelt, dass es im Mittelalter keine Unterwäsche gab, weil man bis dato "keine Belege" gefunden hatte.

Schon richtig, auch was Luna sagt, aber da kommt es auf die Umsetzung an. Wenn der Rollstuhl 1820 noch nicht "offiziell" erfunden war, erwarte ich im Buch einen kleinen Nebensatz, dass die Figur sich den Rollstuhl extra hat bauen lassen oder so. Der König von Spanien hatte schon um 1600 eine Spezialanfertigung, klar gab es das vorher schon, sah aber natürlich ganz anders aus. Die Autorin hat das Ding aber so beschrieben, wie die ersten Rollstühle von so 1870 eben aussahen und daher nehme ich an, es hat sie einfach nicht gekümmert. An sich war in dem Buch historisch alles falsch, was man falsch machen kann (Mode, Etikette etc.), von daher gehe ich einfach davon aus, dass die gute Frau nichts nachgeschaut hat. Wäre der ganze Rest richtig gewesen, hätte ich mir vielleicht von mir aus gedacht, die Figur hätte den Rollstuhl für sich bauen lassen, weil ich dann ja geglaubt hätte, die Autorin kennt sich aus. Das meinte ich weiter oben damit, dass es einem als Leser oft relativ leicht fällt, Unvermögen von einem bewussten Brechen der historischen "Regeln" zu unterscheiden.

Bevor das jetzt so rüberkommt: Ich gucke auch nicht alles akribisch nach, was ich irgendwo lese. Ich denke mir auch oft "wird schon passen". Historische Mode ist bloß mein Steckenpferd, deswegen achte ich darauf natürlich besonders und, wenn dann 1900 jemand Reifröcke von 1840 trägt, fällt mir das eben auf. Ich will aber gar nicht wissen, was ich schon alles überlesen habe, besonders an technischen Dingen, das falsch war und das ich trotzdem einfach hingenommen habe. Die meisten Leser machen das ja so. Wenn der Rest des Romans gut recherchiert wirkt, guckt das keiner nach, dann verlässt man sich halt darauf, dass der Autor weiß, was er macht. Ich fange immer an, nachzugucken, wenn mir vorher schon zig Fehler aufgefallen sind. Nicht, weil ich dem Autor das vorhalten will, sondern nur aus Interesse, weil ich gern wissen möchte, ob das jetzt so stimmt oder nicht. :)

Übrigens, nochmal zurück zur Mode: Besonders in Filmen ist das oft kein Desinteresse oder Unvermögen, wenn Figuren keine für die Zeit authentische Mode tragen, sondern volle Absicht. Besonders die Hauptfiguren werden in Kleidung gesteckt, die eher modernen Schönheitsidealen entspricht, damit der Zuschauer sie auch als schön empfindet. Die historisch authentischsten Kostüme tragen immer solche Figuren, die für den Zuschauer uninteressant sein sollen: Ältere Figuren, "hässliche" Figuren, Nebenfiguren. Helden und Heldinnen steckt man gern in aufwendige Kostüme, die der Zeit nur bedingt entsprechen, dafür unsere heutige Wahrnehmung von Schönheit unterstreichen. In Romanen habe ich das auch schon erlebt, wenn eine dünne Frau als schön beschrieben wird und eine mollige als hässlich, obwohl das viktorianische Schönheitsideal neben der natürlich geschnürten Taille breite Schultern und Hüften als ideal vorsah. Man gleicht das halt oft an Lesererwartungen an.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Luna am 31. Oktober 2013, 15:14:01
Zitat von: Kati am 31. Oktober 2013, 14:47:41
Übrigens, nochmal zurück zur Mode: Besonders in Filmen ist das oft kein Desinteresse oder Unvermögen, wenn Figuren keine für die Zeit authentische Mode tragen, sondern volle Absicht. Besonders die Hauptfiguren werden in Kleidung gesteckt, die eher modernen Schönheitsidealen entspricht, damit der Zuschauer sie auch als schön empfindet.
Bei manchen amerikanischen Historienfilmen wäre ich mir nicht so sicher, ob das nicht doch Desinteresse oder Unvermögen ist ;D, wenn schon, aktuelleres Beispiel, in dem A-Team Film der Kölner Dom in Frankfurt zu finden ist :rofl:.
Gerade bei Mittelalterfilmen fällt mir das aber auch auf, dass die Kostüme alles andere als mittelalterlich sind. Das sind meist wüste Mischungen von Klamotten aus fünf Jahrhunderten und/oder Phantasiekostüme. Noch dazu meist sehr sexy. Im (Hoch)mittelalter war die Gewandung aber alles andere als sexy, sondern sehr hochgeschlossen und hat so wenig Haut wie möglich gezeigt. Das Foto kommt da schon eher hin http://www.mittelalter.de/shop/media/images/produkte/pax_et_gaudium/paxcover14.jpg (http://www.mittelalter.de/shop/media/images/produkte/pax_et_gaudium/paxcover14.jpg).
Eine Bekannte hat Ägyptologie studiert. Die hat sich mit ihrer Freundin immer einen Spaß erlaubt und in den ganzen Hollywood-Ägyterschinken die Kostümfehler gesammelt und irgendwo ins Netz gestellt. 
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Judith am 31. Oktober 2013, 19:32:56
Ich gucke derzeit die "Borgias" und finde es super, dass die Damen dort in Renaissancemode rumlaufen, obwohl die nun wirklich alles andere als figurschmeichelnd ist (auch wenn die Serie ansonsten seeeehr großzügig mit den historischen Gegebenheiten umgeht).
Die Bilder, die ich dagegen von "Reign" gesehen habe, sind ja wirklich abschreckend. Aber auch bei Filmen, die in der Antike spielen, gilt ja meistens "sexy vor authentisch".  ::)
Ich achte auf so etwas schon, wenn ich einen Film oder eine Serie anschaue. Um beurteilen zu können, wie historisch die Kostüme tatsächlich sind, kenne ich mich nicht gut genug aus, aber bei solchen Kleidern wie in "Reign" muss man sich ja nicht mal auskennen, um das zu merken.  ::)

Was historische Ungenauigkeiten in Büchern betrifft, da sehe ich das auch weniger eng, wenn klar wird, dass bewusst damit gebrochen wurde. Manchmal wird auf so etwas ja auch in einem Nachwort hingewiesen, dann finde ich das in Ordnung. Aber über schlampige Recherche kann ich mich fürchterlich ärgern - vor allem, wenn man merkt, dass da einfach nur ein sehr schwammiges, allein auf gängigen Klischees fußendes Wissen dahintersteht.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Malachit am 31. Oktober 2013, 21:03:23
Ich glaube, bei den Lesern gibt es wie überall "sone und solche". Wer leicht korinthenkackerisch veranlagt ist, wird sich an jeder Unstimmigkeit stören. Andere wissen, dass das eine oder andere nicht stimmt, schauen aber darüber hinweg, wenn das Werk ansonsten überzeugt.
Fachleute oder Interessierte wissen einfach mehr und entdecken kleine Schnitzer eher als Laien. Mich stören z.B. oft naturwissenschaftliche Ungenauigkeiten, besonders dann, wenn ein Werk die Naturwissenschaft zum Hauptthema hat (Katastrophenfilme z.B.). Das ist manchmal so unmöglich recherchiert, dass ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr herauskomme. Historikern wird es so bei Werken gehen, die geschichtliche Ereignisse thematisieren.

Unverständnis würde ein Autor jedoch von mir ernten, wenn er Fakten, die zur Allgemeinbildung  gehören oder extrem leicht recherchierbar sind, falsch darstellt (durch Berlin fließt der Rhein, die Eifel liegt im Osten Deutschlands,  das Wahlrecht der Frauen ist 1950 eingeführt worden usw.).

Aber natürlich kann man in manchen Fällen als Autor auch mit dem Trick arbeiten, dem Prota Unwissenheit zu unterstellen und diese für den Leser logisch zu erklären.
Nur weil etwas schon 50 Jahre früher erfunden wurde, heißt das nicht, dass alle Welt davon wusste - anders als heute.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Steffi am 09. Januar 2014, 21:47:46
Courtney MIlan, die sehr erfolgreich historische (und wunderschöne  :wolke: ) Liebesromane schreibt, wurde von einem Leser gefragt, wie sie die ganzen Details in ihren Büchern so gut hinbekommt. Die Antwort fand ich so interessant zu lesen, dass ich dachte, ich lasse euch den Link da: http://courtneymilan.tumblr.com/post/71202268429/hi-courtney-my-question-is-how-do-you-get-your#notes

Auszüge:

ZitatI try to write books that I say are historically possible, but not historically average.

ZitatBuilding a world that feels historically accurate is as much about making consistent, deliberate, specific choices that convey reality as it is about doing research.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Sternenlicht am 10. Januar 2014, 01:16:49
Für mich lautet die erste Frage, um was für ein Buch handelt es sich. Soll der historische Hintergrund a) wirklich nur Hintergrund sein oder b) macht er einen signifikanten Teil der Geschichte aus? Bei a) verzeihe ich fast alles, bei b) sollte es schon möglichst genau sein (dabei spielt natürlich auch eine Rolle wie gesichert die historischen Kenntnisse sind).
Ein Fantasyroman fällt bei mir normalerweise unter a), insofern habe ich auch mit groben Verdrehungen kein Problem (es sei denn man gewinnt den Eindruck, der Autor schreibt einfach nur grob drauflos).
Bei einem "echten" Historienroman ist für mich entscheidend, was verfälscht wird. Je wichtiger und bekannter die verfälschte Tatsache ist, desto mehr leidet die Geschichte. Andererseits kann die Geschichte aber auch leiden, wenn der Autor sich sklavisch an die überlieferte Realität hält. Letztendlich geht es immer noch um eine Geschichte und nicht um eine hisorische Dokumentation.

Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: traumfängerin am 10. Januar 2014, 10:12:16
Rebecca Gablé hat für mich einen sehr guten Weg gefunden, mit dem Problem der historischen Ungenauigkeit umzugehen. Hinten in ihren Büchern findet sich immer eine Erklärung zu den historischen Fakten ihrer Romane. Und da erwähnt sie auch, wann sie etwas geändert hat, Ereignisse vorverlegt, Personen bei Ereignissen Zeuge sein hat lassen, die gar nicht anwesend waren, usw. Und sie deutet immer wieder darauf hin, dass in der Geschichtsschreibung (vor allem, je weiter man zurückgeht), es nur sehr wenig Objektivität gibt. Betrachtet man ein Ereignis in unterschiedlichen Quellen, gewinnt man in beiden oft ein vollkommen anderes Bild (z.B. je nachdem, ob es aus Sicht der Kirche oder des Staates geschrieben wurde). Manche Ereignisse wurden auch erst Jahrzehnte später aufgeschrieben. Inwieweit das noch korrekt sein kann, ist fraglich.

Solange man sich bei seinen Änderungen auf Kleinigkeiten beschränkt, und von diesem dann in einem Nachwort berichtet, würde ich das entspannt sehen.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Churke am 10. Januar 2014, 11:08:33
Zitat von: traumfängerin am 10. Januar 2014, 10:12:16
Hinten in ihren Büchern findet sich immer eine Erklärung zu den historischen Fakten ihrer Romane.
Das Richtigstellen im Nachwort ist im Trend, aber ich frage mich, ob das nicht eher Entschuldigung denn Erklärung ist. Ein gute Geschichte sollte nichts zu entschuldigen haben. Die Anwesenheit historisch nicht anwesender Personen z.B. ist regelmäßig dramaturgischen Notwendigkeiten geschuldet.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: caity am 10. Januar 2014, 12:40:37
ZitatDas Richtigstellen im Nachwort ist im Trend, aber ich frage mich, ob das nicht eher Entschuldigung denn Erklärung ist. Ein gute Geschichte sollte nichts zu entschuldigen haben.

Inwiefern ist das denn deiner Meinung nach eine "Entschuldigung"?
Ich empfinde das nicht so, im Gegenteil. Gewisse Freiheiten müssen gegeben sein und dass gerade "Hauptfiguren" eher erfunden als real sind, erklärt sich von selbst und sich dafür zu entschuldigen ist schlicht unnötig. Ich finde es aber aus Recherche-gründen oft spannend zu sehen, woher die Autoren ihre Hintergrundinformationen haben und was historisch korrekt, bzw. was inkorrekt ist. Meiner Meinung nach ist das keine Form, historische Ungenauigkeit zu entschuldigen, sondern ein zusätzliches Schmankerl für den Leser.

Historische Genauigkeit ist mir sehr wichtig, ich verzeihe aber auch sehr viel, wenn es zur Gesamtgeschichte gehört und dennoch im Rahmen des möglichen ist.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Drachenfeder am 10. Januar 2014, 12:49:07
Dazu fällt mir gerade etwas ein!
Durch mein neues Romanprojekt, befasse mich zur Zeit ja intensiv mit Recherche und allem worüber hier gerdet wird. Ich mache mir große Gedanken was darf, was darf nicht. Da hatte ich vor einer Weile auch mit Caity privat drüber gerdet, die mir sehr geholfen hat.
Nun habe ich ein Buch gelesen (keine Fantasy und keine Historik, aber es passt so gut), bei dem ich die ganze Zeit überlegt habe "Ist das echt so? Was ist wahr, was nicht? Was gibt es, was ist erfunden?" Ich wusste, dass der Autor ein langes Nachwort verfasst hat, habe mir es aber aufgehoben, bis ich mit dem Roman durch war. Und dann dieses Nachwort zu lesen war total spannend und ich war überrascht (und auch froh), dass doch mehr erfunden ist als real.
Wenn bei historischen Geschichten alles zu streng gehandhabt wird und haargenau auf die Genauigkeit geachtet wird, macht es dann noch Spaß zu lesen? Ist es nicht langweilig bzw. dann schon ein Sachbuch anstatt ein Roman?
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: cryphos am 10. Januar 2014, 12:54:53
Historische Ungenauigkeit verzeihe ich nicht, wenn sie in historischen Romanen, Dokumentationen oder in sonstigen Werken auftreten, die in irgendeiner Weise den Anspruch erheben historisch zu sein oder in der realen Welt zu spielen. Wenn ein Werk sich das Label historisch oder real anheftet, dann bitte richtig.
Besonders grausam finde ich falsche Technologien oder falsche Sprache/Ausdrucksweise.

Ich hasse dann auch die Erläuterungen hinten im Buch was warum wie abgeändert wurde.
Denn, wenn Fakten geändert wurden, dann ist das Werk weder real noch historisch. Dann ist es nur noch eine Fiktion, beruhend auf historischen Ereignissen.

Sobald sich ein Werk die kleinen Etiketten historisch/real weglässt ist es für mich fiktiv und in einer fiktiven Welt darf sich ein Autor austoben wie er lustig ist, denn es ist seine Welt. Da kann ich als Leser Dinge unlogisch finden aber nicht an mangelnder Authentizität rummäkeln, denn das Werk hat den Anspruch nie von sich erhoben.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Drachenfeder am 10. Januar 2014, 13:03:05
Zitat von: cryphos am 10. Januar 2014, 12:54:53
Ich hasse dann auch die Erläuterungen hinten im Buch was warum wie abgeändert wurde.
Denn, wenn Fakten geändert wurden, dann ist das Werk weder real noch historisch. Dann ist es nur noch eine Fiktion, beruhend auf historischen Ereignissen.

Ich denke, bevor man das allgemein verteufelt, sollte man abwegen, um was es genau geht bzw. was geändert wurde. Manche Dinge sind notwenig bzw. wie Caity  schon sagte ein Schmankerl.
Natürlich sollten, je nachdem worum es geht und wann es spielt, bestimmte Fakten beibehalten werden, sonst wird es ein Debakel und die Story völlig unglaubwürdig.
Fingerspitzengefühl sollte man haben.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: caity am 10. Januar 2014, 13:12:16
Einspruch, euer Ehren, jeder Roman ist (zu einem gewissen Prozentsatz) fiktiv, auch ein historischer.
Dennoch stimme ich dir zu, dass sich ein Autor nicht austoben sollte wie er will und in einem historischen Roman gewisse Fakten zu beachten hat. Deshalb einmal meine konkrete Nachfrage:

ZitatDenn, wenn Fakten geändert wurden, dann ist das Werk weder real noch historisch. Dann ist es nur noch eine Fiktion, beruhend auf historischen Ereignissen.

Auf was für Fakten beziehst du dich hier?
Ich finde es z.B. nicht schlimm, wenn eine Figur dazu erfunden wird, deren Existenz historisch nicht belegt, aber durchaus möglich ist. Ganz konkret habe ich das in meinem Historienthriller auch so gehandhabt, dass ich einen Untervogt für ein Kloster "erfunden" habe, denn die Wahrscheinlichkeit, dass es um die Zeit, in der ich schreibe, bereits einen Vogt gab, ist eher gering, der erste Vogt findet sich namentlich erst ca. 40 Jahre später. Dennoch gab es um den Zeitraum prinzipiell solche Untervögte bereits, nur ist es eben speziell bei diesem Ort historisch nicht gesichert (und aus gewissen Gründen wie gesagt eher unwahrscheinlich, das weiß man aber auch nur, wenn man sich wirklich ausführlich mit der Materie auseinandersetzt). Ist das jetzt für dich ein verdrehen von Fakten? Ich finde das in dem Rahmen durchaus legitim und würde mich auch als Leser nicht daran stören.
Was ich allerdings unmöglich fände, wäre, wenn es zu einer Sache konkrete Fakten gibt, die auch bekannt sind, und diese schlicht ignoriert werden. Ganz extrem wäre dabei: eine historische Persönlichkeit starb zu dem und dem Zeitpunkt, im Roman lebt sie aber plötzlich länger. So etwas fände ich unsinnig und auch nicht zu verzeihen, es sei denn, der Autor kann mir versichern, dass es dazu in der historischen Forschung unterschiedliche Richtungen gibt. Im Prinzip befindet sich das aber auf einer ganz anderen Ebene, als das Beispiel mit dem Untervogt.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Pygmalion am 10. Januar 2014, 13:13:15
Aber gerade bei Sprache/Ausdruchsweise stößt du schnell an die Grenzen des nachweisbaren. Wie hat denn ein Durchschnittsbürger in der Antike gesprochen? Oder ein Bauer im Frühmittelalter? Das kann man höchstens glaubhaft erschließen, auf Grundlage der Schriftquellen. Die auch, je weiter wir zurückgehen, immer lückenhafter werden.
Meistens steht in diesen Büchern hinten drin ja auch nicht, dass etwas wirklich abgeändert wurde, sondern dass es zwei unterschiedliche Überlieferungen oder Ungenauigkeiten/Unbekanntes gibt, das dann vom Autor nach freiem Gutdünken ausgeformt wurde. Kann man machen, finde ich. Das bedeutet jetzt nicht, dass ich im 13. Jahrhundert noch Wikinger mit Drachenschiffen akzeptieren würde, weil die gerade so gut zu einer plünderten Horde passten.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Kati am 10. Januar 2014, 13:38:03
ZitatEin Fantasyroman fällt bei mir normalerweise unter a), insofern habe ich auch mit groben Verdrehungen kein Problem (es sei denn man gewinnt den Eindruck, der Autor schreibt einfach nur grob drauflos).
Bei einem "echten" Historienroman ist für mich entscheidend, was verfälscht wird. Je wichtiger und bekannter die verfälschte Tatsache ist, desto mehr leidet die Geschichte. Andererseits kann die Geschichte aber auch leiden, wenn der Autor sich sklavisch an die überlieferte Realität hält. Letztendlich geht es immer noch um eine Geschichte und nicht um eine hisorische Dokumentation.

Da frage ich mich, wieso du eine Unterscheidung zwischen Fantasy und einem echten Historienroman machst. Wenn ich historische Fantasy schreibe, muss die Welt drumherum für mich genauso stimmen, wie bei jedem anderen historischen Roman, denn der Fantasyanteil beinhaltet ja bloß, dass etwas in der Geschichte vorkommt, das es in der echten Welt nicht gibt. Wenn jetzt jemand Vampire im Berlin der 1920er schreibt, ist das lange keine Entschuldigung für mich, mit den historischen Fakten zu schlampen bloß, weil es keine Vampire gibt. Das fußt auf demselben Prinzip wie der Irrglaube, Fantasy müsste nicht logisch sein. Es gibt aber einen Unterschied zwischen realistisch und logisch und genauso, wie jeder Roman für den Leser logisch sein muss, auch, wenn es die echte Welt nicht ist, muss jeder historische Roman für mich historisch authentisch wirken. Wenn man bewusst Fakten verdrehen will, kann man den Roman ja immer noch als alternative Geschichte betiteln, es gibt für alles ein Genre.

Die Vergleiche zwischen Roman und Sachbuch/Dokumentation finde ich auch nicht wirklich haltbar und, dass ein Roman eben nur Fiktion ist, ist für mich auch keine Entschuldigung historische Fakten zu verdrehen, wenn es nicht sein muss, oder schlecht zu recherchieren. Man kann historische Details in einen Roman einfließen lassen ohne, dass es sich liest, als hätte man aus einem Lexikon abgeschrieben. Man muss nur wissen, wie man Geschichte lebendig macht. Man muss sich halt beim Schreiben klar sein, dass ein historischer Roman ein ganz anderes Medium ist, als ein Sachbuch und es deshalb keine Infodump-Absätze über historische Etikette geben muss. Aber deutlich machen kann man genau dieselben Informationen trotzdem im Verhalten der Figuren etc. Wie hier schon mehrmals gesagt wurde: Am Ende ist ein historischer Roman auch immer fiktiv, aber ein Grund, sich deshalb alles so zurechtzulegen, wie man es gerade braucht, ist das für mich trotzdem nicht. Historische Fiktion schreibt man eigentlich genauso wie welche, die in unserer Zeit spielt: Man muss genug über die Zeit wissen, um sie glaubhaft schildern zu können, auch, wenn man nicht alles wissen muss. Nur die Gegenwart kennen wir halt alle und deshalb fällt es uns nicht schwer Figuren sich unserer heutigen Gesellschaft angemessen verhalten zu lassen.

Wichtig ist halt auch, dass man sich darüber bewusst sein muss, dass man alles nur zu einem bestimmten Grad richtig machen kann. Wir haben keine Chance in die Vergangenheit zu reisen und mal zu gucken, wie das wirklich war, also gibt es die absolute historische Authentizität schon mal gar nicht. Wichtig ist nur, dem Leser die historische Welt authentisch zu verkaufen. Also, die Epoche gut genug zu kennen, das man sich im Rahmen der Zeit etwas ausdenken kann, ohne, dass es jemandem auffällt. Das gilt auch im weitesten Sinne für die Sprache und Ausdrücke, die verwendet werden: Anachronistisch sollte es natürlich nicht sein, aber erstmal ist wichtig, dass es so hätte sein können, auch, wenn es nicht zwingend genau so war.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: cryphos am 10. Januar 2014, 13:48:49
Hallo caity, ich glaube wir sind gar nicht so weit auseinander.
In einem historischen Roman ist Fiktion als narratives Element so lange zulässig, solange Fakten nicht geändert werden. Wenn zwei historisch belegte Personen sich treffen und unterhalten, obwohl sie nachweislich einander nicht einmal kannten dann ist der Roman nicht mehr historisch. Auch wenn Erfindungen so verlegt werden, dass nichts mehr stimmt, nur weil es dem Autor einen neuen Spannungsbogen gibt, dann ist das kein historischer Roman.

Hallo Pygmalion,
richtig, Sprache/Ausdrucksweise sind sehr schwer korrekt wiederzugeben. Wenn ich in einem Mittelalterroman lesen, dass jemand Ok sagt, dann graut mir; oder wenn ein antiker Römer von der Türkei spricht oder wenn Sengoku-Zeit einen Europäer Weissbrot nennt, dann stimmt was nicht.

Klar gibt es Graubereiche und auch wenn man super recherchiert können Fehler passieren - da sage ich nichts. Aber bestehende Fakten ändern mag ich gar nicht. Und dann noch hinten rein schreiben, ich habe Erfindung A 10 Jahre nach vorne verlegt um diesen und jenen Effekt zu erzielen ist dann nicht wissenswert sondern einfach schlecht, wenn das Ding historisch sein soll.

Edit: Bitte nicht aggressiv streiten. Ich habe eine leicht kritischere Sicht, als ich bisher als Tenor raus lesen konnte und die wollte ich in die Diskussion einbringen. Mein Ziel ist es nicht zu provoziere, sondern thematisch zu bereichern. Und ich kann damit leben, wenn andere anders denken.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Fianna am 10. Januar 2014, 13:59:04
Ein historischer Roman wird dann durch seine Genauigkeit langweilig, wenn der Autor die Fakten durchgängig tellt statt showt. Wenn lauter nicht plotrelevante Dinge vorkommen, weil die historisch und so schön sind und mit dem Setting verknüpft sind (aber in Bezig auf die Story vollkommen uninteressant sind).

Das ist allerdings ein Problem des Autors und nicht der Genauigkeit; gleiches kann passieren, wenn ein Fantasyautor zu einer Welt mit viel vorher erfolgtem Worldbuilding etwas schreibt.


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Drachenfeder,
liest Du keine historischen Romane?
Du musst doch gemerkt haben, ob die genauen Werke auch langweilig sind ;)
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Drachenfeder am 10. Januar 2014, 14:04:53
Zitat von: Fianna am 10. Januar 2014, 13:59:04
Drachenfeder,
liest Du keine historischen Romane?
Du musst doch gemerkt haben, ob die genauen Werke auch langweilig sind ;)

Na klar lese ich historische Romane, jede Menge. Stehe ich gerade auf dem Schlauch?



Zitat von: Kati am 10. Januar 2014, 13:38:03
Wenn ich historische Fantasy schreibe, muss die Welt drumherum für mich genauso stimmen, wie bei jedem anderen historischen Roman, denn der Fantasyanteil beinhaltet ja bloß, dass etwas in der Geschichte vorkommt, das es in der echten Welt nicht gibt.

Mein aktuelles Projekt spielt in Rheinlandhessen (Mainz und rumherum). Dort habe ich ein fiktives Ort, ein fiktives Gebirge sowie eine Burg angesiedelt, die es damals nicht gab. Gerade die Mischung zwischen den realen und fiktiven Orten kann sehr spannend sein.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Churke am 10. Januar 2014, 14:37:10
Zitat von: caity am 10. Januar 2014, 12:40:37
Inwiefern ist das denn deiner Meinung nach eine "Entschuldigung"?
Beim Ändern oder Erfinden von Details sehe ich in langen Nachworten für den Leser keinerlei Mehrwert. Deine Ausführungen über den Vogt z.B. sind Gedanken, die man sich als Autor machen muss, aber für den Leser nur von untergeordnetem Interesse.

Zitat von: cryphos am 10. Januar 2014, 13:48:49
In einem historischen Roman ist Fiktion als narratives Element so lange zulässig, solange Fakten nicht geändert werden.

Also ich halte es da mit Schiller:
ZitatDa der tragische Dichter, wie überhaupt jeder Dichter, unter dem Gesetz der poetischen Wahrheit steht, so kann die gewissenhafteste Beobachtung der historischen ihn nie von seiner Dichterpflicht lossprechen, nie einer Übertretung der poetischen Wahrheit, nie einem Mangel an Interesse zur Entschuldigung gereichen.
(...)
Die poetische Wahrheit besteht aber nicht darin, dass etwas wirklich geschehen ist, sondern darin, dass es geschehen konnte, also in der inneren Möglichkeit der Sache.
Friedrich Schiller: Über die tragische Kunst

Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Kati am 10. Januar 2014, 15:46:23
ZitatMein aktuelles Projekt spielt in Rheinlandhessen (Mainz und rumherum). Dort habe ich ein fiktives Ort, ein fiktives Gebirge sowie eine Burg angesiedelt, die es damals nicht gab. Gerade die Mischung zwischen den realen und fiktiven Orten kann sehr spannend sein.

Etwas dazu zu erfinden, also fiktive Figuren, Orte und Gebirge reinzunehmen, betrachte ich aber auch lange nicht als historische Ungenauigkeit.  :) Ich meinte wirklich eher verdrehte Fakten. Wenn die Titanic im April 1912 untergegangen ist, kann ich nicht sagen, sie ist schon im März untergegangen, weil mir das besser passt. Wenn die Redewendung "Einen Zahn zulegen" aus den 1920ern stammt, sollte ich die nicht einer Figur in einem Barockroman in den Mund legen. Und wenn für eine Gesellschaft eine bestimmte Etikette gilt, kann ich keine Figur schreiben, die diese Etikette missachtet ohne, dass andere Figuren das bemerken und ansprechen. So etwas meine ich. Du nimmst ja nichts weg oder drehst etwas um, wenn du ein paar Orte hinzu erfindest. Du dichtest ja nur etwas dazu, was da eigentlich nicht ist, darin sehe ich kein Problem. Ich finde das sogar besser, als ein reales Gebirge zu nehmen und das dann historisch falsch zu beschreiben oder so. An sich sind ja auch meistens alle Figuren und Handlungen in einem historischen Roman fiktiv, das ist ja auch keine Tatsachenverdrehung, solang die Handlung einer fiktiven Person die Handlung einer realen Person nicht so beeinflusst, dass sich die belegte Handlung verändert.

Also, wenn jetzt ein fiktiver Berater, der vielleicht auch aus einer fiktiven Stadt stammt, in einem Roman während des Bürgerkriegs Abraham Lincoln falsch berät und deshalb der Krieg verloren wird. Das fände ich blöd. Wenn der fiktive Berater Lincoln aber so berät, dass alles seinen gewohnten Gang nimmt und es logisch erscheint, dass der Berater in keinem Geschichtsbuch auftaucht, finde ich das eher lustig, weil es ja so hätte sein können. Dann darf man aber natürlich auch nicht Lincolns echte Berater rausstreichen, aber das ist ja klar.  :)
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Pygmalion am 10. Januar 2014, 16:41:53
Und wieso braucht man dazu erfundene Städte, Burgen und gar Berge? Einen Berg zu erfinden, den es nie gegeben hat, ist nicht nur historisch, sondern auch geologisch falsch :D Es gibt soviele Städte, Dörfer, Berge und Burgen, wieso die Notwendigkeit, sie zu erfinden? Damit bürde ich dem Buch ja in jedem Fall auf, dass etwas passiert, was so nicht hätte passieren können, weil die eben beschriebene Burg auf entsprechendem Berg nie existierte.
Etwas anders verhält es sich da mit dem Untervogt, finde ich. Den könnte es gegeben haben, auch wenn er nicht schriftlich erwähnt wird. Wenn es auch keinen Beleg dafür gibt, dass es auf gar keinen Fall einen solchen Vogt gegeben hat, darf man ihn annehmen.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: caity am 10. Januar 2014, 17:51:55
ZitatBeim Ändern oder Erfinden von Details sehe ich in langen Nachworten für den Leser keinerlei Mehrwert. Deine Ausführungen über den Vogt z.B. sind Gedanken, die man sich als Autor machen muss, aber für den Leser nur von untergeordnetem Interesse.

Mit solchen Pauschalisierungen wäre ich vorsichtig. Ich z.B. finde das auch in Historienromanen sehr spannend und kenne durchaus auch einige andere Leser, die das interessiert. Mehrwert hat es für diejenigen, die einen Historienroman eben nicht nur aus Unterhaltungsgründen lesen, sondern gerne auch mehr über die Hintergründe erfahren möchten. Das sind sicherlich nicht alle Leser und gerade über solch kleine Details fände ich kilometerlange Kommentare auch eher unnötig, aber dass es keinerlei Mehrwert hat, da muss ich dir auf mein Gewissen hörend (um es mit Luther zu sagen ;)) widersprechen.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Rhiannon am 10. Januar 2014, 18:35:26
Ich verzeihe an sich relativ viel. Was z.B. die von Kati angesprochene viktorianische Mode angeht, würde ich Fehler gar nicht bemerken, weil ich davon keine Ahnung habe.
Wenn jetzt aber natürlich, Achtung, ich überspitze, Hunnen plündernd in Australien einfallen, dann frage ich mich, warum der Autor nicht gleich einen Fantasyroman in einer eigenen Welt angesiedelt hat. Übersetzt gesagt, ich ärgere mich, wenn Dinge missachtet werden, die mit ein bisschen Aufpassen in der Schule gelernt hat. Da fühle ich mich für doof verkauft. Einzige Ausnahme, die ich da dulde ist folgendes: Wenn ich in einem historischen Roman ein Ereignis drinhabe, das jeder kennt und von dem auch jeder das Jahr kennt, z.B. die "Entdeckung" Amerikas durch Christoph Columbus, wenn ich da nicht das Jahr 1492 nehme, haut mich jeder, wenn ich da aber z.B. eine historische Persönlichkeit, die 1490 gestorben ist (keine Ahnung, ob es genau da eine gibt) zwei Jahre später noch lebend auftauchen lasse und sie bringt wirklich die Handlung voran, kann ich das verzeihen, unter der Bedingung, dass das im Anhang oder so erwähnt wird, dass die Figur in Wirklichkeit 1490 gestorben ist. Die Amerikaentdeckung um zwei Jahre vorzuverlegen, weil dann die Figur noch lebt, geht aber gar nicht, da würde ich mir wieder für dumm verkauft vorkommen.
Was ich aber mehr hasse, als historische Ungenauigkeiten, die ich, je nach Zeit, wohl auch gar nicht bemerke, sind Dinge, die man durch einfaches Ausprobieren selbst als Quatsch erkannt hätte. Ich denke da z.B. bei Filmen an die schöne Poserstellung mit dem Schwert weit über dem Kopf erhoben...  ::)
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Sternenlicht am 10. Januar 2014, 19:57:45
Zitat von: Kati am 10. Januar 2014, 13:38:03
Da frage ich mich, wieso du eine Unterscheidung zwischen Fantasy und einem echten Historienroman machst. Wenn ich historische Fantasy schreibe, muss die Welt drumherum für mich genauso stimmen, wie bei jedem anderen historischen Roman, denn der Fantasyanteil beinhaltet ja bloß, dass etwas in der Geschichte vorkommt, das es in der echten Welt nicht gibt. Wenn jetzt jemand Vampire im Berlin der 1920er schreibt, ist das lange keine Entschuldigung für mich, mit den historischen Fakten zu schlampen bloß, weil es keine Vampire gibt.

Ich habe nicht über Genres geschrieben, sondern über den Inhalt und Schwerpunkt der Geschichte. Da liegt für mich der entscheidende Punkt.
Deine kategorische Abgrenzung von "Fantasyanteil" und "echter Welt" kann ich nicht nachvollziehen. Der Autor entscheidend, was er von der echten Welt übernimmt. Das kann sich nur auf die Vampire beziehen oder auch auf andere Teile der Geschichte. Ich könnte mich für einem Vampirroman auch begeistern, wenn der historische Hintergrund nicht historisch korrekt beschrieben wird. Das könnte sogar den Reiz ausmachen, mich überraschen und neugierig machen oder ein besonderes Stilmittel sein. In der Fantasy sind der Kreativität für mich keine Grenzen gesetzt, aber da sind wir wohl unterschiedlicher Meinung  :).
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Aphelion am 11. Januar 2014, 01:52:41
Zitat von: Pygmalion am 10. Januar 2014, 13:13:15
Aber gerade bei Sprache/Ausdruchsweise stößt du schnell an die Grenzen des nachweisbaren. Wie hat denn ein Durchschnittsbürger in der Antike gesprochen? Oder ein Bauer im Frühmittelalter? Das kann man höchstens glaubhaft erschließen, auf Grundlage der Schriftquellen. Die auch, je weiter wir zurückgehen, immer lückenhafter werden.
Das fällt für mich z.B. unter "Übersetzung". Sonst müssten die Figuren Latein und Mittelhochdeutsch sprechen - oder was eben sonst noch gesprochen wurde. Ein deutscher Roman, der in China spielt, ist ja auch in deutscher Sprache verfasst und die Redewendungen etc. werden nur sinngemäß übernommen oder übersetzt (wenn der Roman gut gemacht ist).

@ Personen in eine andere Zeit zu verpflanzen halte ich nicht für legitim bzw. es nervt mich. Entweder, der Autor findet diese Person so wichtig, dass die Geschichte zu seiner Zeit spielen muss, oder man kann auch eine vollständig fiktive Person wählen.

Das Problem ist nämlich auch, dass selbst bei RRichtigstellungen/Entschuldigungen am Ende des Buches viele Leser sich die falschen Informationen merken und diese für Tatsachen halten. Und hinterher nicht mehr wissen, dass die Infos aus einem Roman stammten ...

Man wird beim Schreiben von historischen Romanen immer Fehler machen, aber man muss nicht noch zusätzlich Fehler machen, die man als Autor selbst sehr deutlich als solche erkennt.

Dazu gehört v.a. die generelle Denkweise von Figuren ... Emanze im Mittellter kann ich nichtmal mehr ansehen.  :pfanne: Auch da: Die meisten Leser merken es nicht einmal und glauben, es sei realistisch und "mittelaltergetreu". (Das nur als Beispiel, das Prinzip findet man auch bei der Verwendung anderer Themen und Epochen.)
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Fianna am 11. Januar 2014, 02:01:26
Diese "generelle Denkweise", das ist das Schwierigste und die eigentliche Kunst an Historischen Romanen.

Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Maja am 11. Januar 2014, 02:03:01
Ich verzeihe gar nichts. Wenn ein Romanm zu einem eindeutig benannten oder identifizierbaren historischen Datum spielt, dann müssen auch die Umstände stimmen, und dann dürfen auch nur solche Dinge vorkommen, die es zum fraglichen Zeitpunkt schon gegeben hat. Ich schlage jede einzelne Erfindung nach, um sichergehen zu könne, ich verifiziere auch Adressen, zum einen um zu wissen, ob es die Straße zum fraglichen Zeitpunkt schon gegeben hat, und zum anderen um zu wissen, ob sie damals schon den gleichen Namen hatte oder einen anderen. Wenn wir Fantasy schreiben, gehören alle Fakten uns, aber sobald wir uns anmaßen, in einem historischen Setting zu schreiben, dann müssen alle nachprüfbaren Fakten auch stimmen.

Und wenn es nur um eine Kleinigkeit geht wie eine Schuhputzmaschine - dann bricht uns kein Zacken aus der Krone, sie nicht vorkommen zu lassen. Ist das anachronistische Objekt nicht wichtig, brauchen wir es nicht. Spielt es eine große Rolle, dann fliegt es auf, und die Leser zerreißen sich das Maul darüber - in so einem Fall, gerade wenn es um wenige Jahre geht, und das Ding ist wirklich wichtig für uns, müssen wir die Handlung nach hinten verlegen. Aber wenn eine Geschichte von mir 1908 spielt, oder 1921, dann bin ich an genau diese Zeit gebunden. Selbst wenn ich die Handlung vage in den 1890ern ansiedle und niemals das genau Datum nenne, sollte zumindest ich als Autor wissen, in welchem Jahr ich mich befinde, um darauf Rücksicht nehmen zu können.

Von mir aus müssen die historischen Fakten stimmen, oder der Autor soll etwas anderes schreiben.

Was das Mittelhochdeutsche angeht: Ich schreibe meine Romane auf Hochdeutsch, und darum sprechen meine Figuren Hochdeutsch. Auch, wenn der Roman in London spielt, schreibe ich die Dialoge auf Deutsch, und niemand würde jemals etwas anderes erwarten. Warum sollten Figuren in einer Zeit, in der schlichtweg eine andere Sprache gesprochen wurde, in einem deutschsprachigen Roman kein Deutsch sprechen? Anders verhält es sich mit Wortneuschöpfungen und Redewendungen innerhalb der Hochdeutschen Sprache - da nehme ich wieder Rücksicht darauf, wann sie entstanden sind und was für einen Hintergrund sie haben. Aber Hochdeutsch und Mittelhochdeutsch und Englisch und Französisch sind einfach verschiedene Sprachen.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Churke am 11. Januar 2014, 10:00:30
Mittelhochdeutsch... ist eine literarische Kunstsprache der Höfe. Der deutsche Michel hat so eher nicht geredet. Aber es hat sich, glaube ich, auch noch niemand beschwert, dass Jerry Cotton so gut deutsch spricht.  ;D
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Drachenfeder am 11. Januar 2014, 14:38:04
Zitat von: Pygmalion am 10. Januar 2014, 16:41:53
Und wieso braucht man dazu erfundene Städte, Burgen und gar Berge? Einen Berg zu erfinden, den es nie gegeben hat, ist nicht nur historisch, sondern auch geologisch falsch :D Es gibt soviele Städte, Dörfer, Berge und Burgen, wieso die Notwendigkeit, sie zu erfinden?

Warum nicht? Ich zum Beispiel benötige einige fiktive Dinge, da es keine geeigneten Dörfer, Burgen usw. gab, die ich für eine bestimmte Idee nutzen kann. Trotzdem bleiben Fakten (König, Bischof, das Umland, die Hauptstadt, Sterbedaten, Krönungsdaten, allg. das Leben im Mittelalter usw.) erhalten und korrekt umgesetzt. Ich bin auch dagegen historische Fakten zu missachtent. Dabei denke ich gerade an Majas Schuhputzmachine. Ich kann auch keine Droschke in eine Story aufnehmen, wenn es die damals noch nicht gegeben hat. So etwas muss recherchiert werden. Aber warum keine Kreativität mit hineinbringen die niemanden wehtut?  Dann dürfte es auch keinen Lincoln geben, der Vampire jagt, da das historisch ja schließlich nicht belegt ist.
Titel: Re: Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser
Beitrag von: Kati am 11. Januar 2014, 18:56:42
Zitat von: Sternlichtch habe nicht über Genres geschrieben, sondern über den Inhalt und Schwerpunkt der Geschichte. Da liegt für mich der entscheidende Punkt.
Deine kategorische Abgrenzung von "Fantasyanteil" und "echter Welt" kann ich nicht nachvollziehen. Der Autor entscheidend, was er von der echten Welt übernimmt. Das kann sich nur auf die Vampire beziehen oder auch auf andere Teile der Geschichte. Ich könnte mich für einem Vampirroman auch begeistern, wenn der historische Hintergrund nicht historisch korrekt beschrieben wird. Das könnte sogar den Reiz ausmachen, mich überraschen und neugierig machen oder ein besonderes Stilmittel sein. In der Fantasy sind der Kreativität für mich keine Grenzen gesetzt, aber da sind wir wohl unterschiedlicher Meinung  :).

Das denke ich auch.  :) Ich habe ja auch nicht gesagt, dass alle es so machen müssen, nur, dass ich das so mache. Ich könnte mich zum Beispiel für einen Vampirroman nicht begeistern, wenn große historische Fehler gemacht werden, die mit der Handlung überhaupt nichts zu tun haben. Da ist für mich einfach kein Unterschied zwischen Fantasy und nicht-Fantasy. Ich glaube, das was du meinst, ist aber auch viel eher alternative Geschichte. Das ist ein eigenes Genre, in dem man nach Belieben mit der Geschichte spielen, Fakten verdrehen und anders auslegen kann. Ich mag das Genre, weil ich es spannend finde zu sehen, wie etwas hätte laufen können, was anders verlaufen ist. Aber, wenn ein Roman nicht als alternative Geschichte gekennzeichnet ist oder halt vorgibt, ein historischer Roman zu sein, ist es mir egal, ob Krimi oder Fantasy. Wenn ein Autor da Fakten verdreht, also zum Beispiel den Beginn von Weltkrieg I auf 1910 vorzieht, weil es ihm gerade besser passt, ist das für mich ein Grund, den Roman wegzulegen. Und da ist es egal, ob der Roman ein Kriegsdrama ist, ein Krimi oder eben ein Fantasyroman, in dem Vampire vorkommen.

Ich hatte es ja schon gesagt. Für mich (!) ist auch in der Fantasy nicht alles erlaubt. Genauso wie ein Fantasyroman für mich logisch sein muss (wenn auch nicht realistisch, großer Unterschied), muss er auch historisch authentisch sein, wenn drauf steht, es ist ein historischer Phantastikroman. Das ist ganz einfach, denke ich. Andere sehen das ganz anders, aber für mich ist das eben so und ich schreibe auch so meine eigenen historischen Fantasyromane. Nur, weil mein Protagonist Geister sehen kann, ist das halt keine Entschuldigung, ein paar historische Ereignisse anders hinzulegen, weil ich das gerade so will. Ich wollte zum Beispiel eigentlich das Zugunglück von Montparnasse im Roman haben. Das war nur leider fünf Jahre vor meiner Handlung. Natürlich könnte ich das einfach nochmal passieren lassen. Aber nein, da muss ich mich entscheiden, ob mir mein Setting wichtiger ist, oder dieses Zugunglück. Ich kann entweder den Roman in dem früheren Jahr spielen lassen, oder ich muss das Zugunglück rauslassen und meine Jahreszahl behalten. Beides kann ich dann aber nicht haben.

Zitat von: AphelionDazu gehört v.a. die generelle Denkweise von Figuren ... Emanze im Mittellter kann ich nichtmal mehr ansehen. 

Dabei darf man aber auch nicht vergessen, dass nur, weil eine andere Gesellschaftsform herrschte, alle Figuren gleich denken und alles tun müssen, was die Gesellschaft ihnen vorgibt. Ist das heute so? Nein. Was wichtig ist, ist einfach deutlich zu machen, wie die Gesellschaft denkt. Das Individuum ist aber nicht die Gesellschaft. Wenn ich eine emanzipierte Frau im Mittelalter schreiben möchte, muss ich halt bedenken, was für Gedankengut die Frau von ihrer Gesellschaft gelernt hat, womit sie aufgewachsen ist und was man ihr immer und immer wieder gesagt hat. Danach wird sie sich richten. Wenn sie Gedanken hat, die gegen diese Norm gehen, dann finde ich es wichtig, auch genau zu zeigen, dass es eben keine Gedanken sind, die jeder hatte oder die in dieser Zeit willkommen waren. Da muss man dann den Konflikt in der Figur sehen zwischen dem, was sie immer gelernt hat und dem, was sie neuerdings für richtig hält. Auch in früheren Epochen waren nicht alle Menschen passiv und haben konform alle Gesellschaftsnormen toll gefunden. Auch, wenn es erst mit der Aufklärung akzeptierter wurde, selbst zu denken (überspitzt gesagt), heißt das nicht, dass es keiner vorher gemacht hat.

Das ist eh ein großes Problem im Genre. Manche Leute kratzen bloß an der Oberfläche und schauen nicht weiter. Wenn es irgendwo heißt Viktorianer waren prüde, dann übernehmen sie das so und schreiben bloß prüde Figuren, die rot werden, wenn sie einen Fußknöchel sehen und auf Fotos nie lächeln. Wenn man mal richtig weiter recherchiert, findet man aber einiges, dass dieses Klischee wiederlegt. Es gibt haufenweise heftige viktorianische Pornographie, es gibt Tagebücher, in denen viktorianische Mädchen schildern, wie makellos ihr Ruf ist und wie gut sie ihre Schandtaten geheim halten können, es gibt eine Unterwelt für allerlei Gauner und Gesindel. Wenn alle Viktorianer so prüde waren, wie wir glauben, wer hat dann die pornographischen Magazine und Bilder gekauft?  ;) Das gilt für alle Zeiten. Das gilt auch dafür, dass Marie Antoinette angeblich eine hohle Nuss war und dafür, dass es vor 1900 keine schwarzen Menschen in Europa gab und dafür, dass es im Mittelalter keine Frauen gegeben hat, die weiter gedacht haben, als es ihnen die Gesellschaft erlauben wollte.

Wichtig ist, dass man begreift, dass die gesellschaftlichen Ideale, die man in der Literatur oft als Fakten vermittelt bekommt, eben keine Fakten sind, sondern Ideale. Ein Ideal kann niemand erreichen und nicht jedes Ideal ist toll. Man muss in einem historischen Roman nur sich bewusst sein, dass man die Gesellschaft als Gruppe nach diesem Ideal streben lassen muss. Allerdings müssen einzelne Figuren deshalb nicht jede Etikette toll finden auch, wenn sie sich danach verhalten, weil es eben erwartet wird. Wir heute als Gesellschaft funktionieren doch immer noch genau so. Keiner erreicht wirklich das vorgegebene Schönheitsideal und keiner ist so sauber und perfekt, wie der ideale Mensch angeblich sein muss, oder? Das gilt für alle Zeiten. Das heißt jetzt nicht, dass ich eine Frau schreiben kann, die im Mittelalter feministisch denkt, ihr Ding durchzieht und alle gucken zu und klatschen. Aber ich kann eine Frau schreiben, die im Mittelalter feministisch denkt, sich mit dem auseinandersetzt, was ihre Gesellschaft ihr vorlebt, von anderen Leuten kritisiert und angefeindet wird und sich öffentlich so verhält, wie es erwartet wird, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.

Ansonsten möchte ich mal Majas und Drachenfeders Posts unterschreiben.  :jau: