Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Melenis am 10. Juli 2013, 12:33:31

Titel: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Melenis am 10. Juli 2013, 12:33:31
Hallöchen liebe Tintenzirkler,

ich stehe mal wieder vor einem Problem.
Ich entwerfe gerade einen Plot, und eine starke Frau soll die Hauptrolle spielen. Soweit, so gut. Jetzt stellt sich natürlich die Frage: was ist stark? Wie würdet ihr eine starke Figur entwerfen? Welche Charaktereigenschaften würdet ihr der Figur geben?

Ich persönlich wollte keine Soldatin, die jeden Mann in ihrer näheren Umkreis verschreckt; Alischa ist eine Hexe, und sie weiß, dass sie gut aussieht und sie weiß ebenfalls, was sie will. In meinen Augen macht es sie nicht schwächer, wenn sie häufig mit Männern das Bett teilt und sich auch mal feminin kleidet. Was mir aber wichtig ist: sie ist nicht abhängig von Männern. Ihr Leben macht auch ohne einen festen Partner einen Sinn (ganz im Gegenteil dazu, was uns viele Filmmacher/Autoren weismachen wollen) und deshalb bin ich mir auch noch nicht ganz sicher, ob sie in der Geschichte eine Love Story bekommen soll oder nicht.
Sie wurde nicht als Kind missbraucht oder anders misshandelt, ganz im Gegenteil, sie ist aufgewachsen in dem Glauben, dass Frauen das mächtige Geschlecht sind (da es in ihrem Dorf keine Männer gab und sie von Männern bis zu Beginn der Geschichte auch nichts wusste  :prost:)
Natürlich fehlen ihr noch Eigenschaften, und ich möchte sie ungern als die unbeliebte Zicke darstellen, oder als das sogenannte Mannsweib. Ich möchte Klischees so gut es geht vermeiden, und eine Mary Sue sowieso.
Mein größtes Problem ist natürlich ihr "Identifizierungswert". Mädels wollen keine Hauptprotagonistin mit weiblicher Figur, Selbstbewusstsein und mehreren Liebhabern sehen, das ist mir klar. Aber da frage ich mich natürlich auch, inwieweit ich mich da 'beschneiden' lasse und ob mir die Erwartungen der Leser nicht egal sind.

Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr starke Figuren? Was für Eigenschaften besitzen sie? Was macht sie stark? Ich brauche Tipps und Inspiration, es müssen auch nicht nur Frauen sein, in der selben Geschichte steht der Powerfrau ein Superman gegenüber, der auch noch einen Feinschliff gebrauchen könnte  ;D

Dann natürlich zum nächsten Problem - wie schreibt man schwache Figuren ohne dass sie nerven? Sind schwache Figuren überhaupt erlaubt? Wie schwach können sie sein, wie stark sollten sie sein? Was zeichnet schwache/starke Figuren aus?

So, das dürfte für den Anfang mal genügen  8) Tobt euch aus! Schreibt, was euch zum Thema einfällt, auch wenn ich nicht explizit danach gefragt habe. Und danke an Maja für den tollen Männlein/Weiblein Thread im Tintenzirkel Board, der mich erst zu Alischa inspiriert hat :)

Liebe Grüße  :winke:
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Runaway am 10. Juli 2013, 13:07:11
Ui, das ist gar keine leichte Frage. Ich habe es mir beim Fantasyschreiben meistens leicht gemacht und meinen Mädels ein Schwert in die Hand gedrückt, eine sogar als Angehörige eines "Kriegerinnenordens" als Powerfrau legitimiert.
Zwischendrin gab's aber auch eine, die als Heilerin Power hatte. Die ist von einer alleinstehenden Frau ausgebildet worden, die ihr immer gesagt hat: Mädel, laß dich nicht unterkriegen. Hat sie auch nie. Sie hat aber, um jetzt auch deine Frage mit der Lovestory aufzugreifen, für sich beschlossen, nicht von einem Mann abhängig sein zu wollen. Sie hat sich da sehr frei gemacht und ist erst eine Beziehung eingegangen, als sie sicher sein konnte, daß der Gute sie auch unterstützt.

ZitatMädels wollen keine Hauptprotagonistin mit weiblicher Figur, Selbstbewusstsein und mehreren Liebhabern sehen, das ist mir klar.
Wieso denn das? Also ich wär ein Mädel, das so eine Prota toll fände! Also jetzt nicht die mehreren Liebhaber, aber selbstbewußt dürfen Heldinnen gern sein! Für mich darf ein Protagonist auch gern eine Art Vorbild sein, dem man nacheifert. Der muß nicht den Ist-Zustand des Lesers abbilden, sondern einen realistischen "wird vielleicht mal so"-Zustand.

Schwieriger fand ich es, für meine Thriller eine etwas andere, realistischere Heldin zu konzipieren. Ich wollte, daß sie einerseits eine ganz Liebe, Schüchterne ist, die aber andererseits Haare auf den Zähnen hat und auch gerne mal Verbrecher in flagranti angreift. Ich hab das gelöst, indem ich das einerseits geteilt habe - sie ist zwar eigentlich ein ruhiger, schüchterner Typ, aber sie ist auch gerechtigkeitsliebend. Vor allem aber dreht sie auf, wenn es um Expertise geht. Sie ist Profilerin und doziert, ohne mit der Wimper zu zucken, über Serienmörder.
Andererseits entwickelt sie sich auch. Sie beginnt schüchtern, wird aber zusehends selbstbewußter, weil sie an den Ereignissen wächst.
Vielleicht ist das eine Option für dich?

Der ihr gegenüberstehende Superman ist, von seiner Sturheit abgesehen, vielleicht manchmal zu glatt geraten. Allerdings kann sie sich gut entwickeln, als sie unter seinen Fittichen steht, weil er auf sie aufpaßt und ihr den Rücken stärkt. Übrigens geht das nicht immer glatt ab, die beiden reiben sich schon manchmal aneinander auf.

Und schwache Figuren ... na ja, kann man pauschal sagen, daß eine Figur schwach ist? Wann ist sie schwach?
Nebenfiguren sind bei mir welche, die die Protas unterstützen, mit ihnen reflektieren, ihnen Impulse geben. Oder Sidekicks. Ich komme ja nicht ohne den Pausenclown aus und laut meinen Lesern sind die auch die heimlichen Lieblinge.

Hilft das schon?
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: HauntingWitch am 10. Juli 2013, 16:42:34
Zitat von: melenisAlischa ist eine Hexe, und sie weiß, dass sie gut aussieht und sie weiß ebenfalls, was sie will. In meinen Augen macht es sie nicht schwächer, wenn sie häufig mit Männern das Bett teilt und sich auch mal feminin kleidet. Was mir aber wichtig ist: sie ist nicht abhängig von Männern. Ihr Leben macht auch ohne einen festen Partner einen Sinn 

Aus meiner Sicht hast du hier schon sehr viele Aspekte genannt, die sie per se stark machen. Das sind aber Dinge, die man nicht festnageln kann, sondern die man als Gegenüber sozusagen spürt. Es zeigt sich teilweise in Verhaltensweisen, teilweise in Aussagen, teilweise im Auftreten (auch der Körpersprache). Ich denke, da gilt es, das bei der Umsetzung geschickt einzuweben. Kennst du denn Frauen, die ähnlich ticken? Rede mit ihnen, beobachte sie. Dann kannst du das auch im Text rüberbringen. ;)

Zitat von: melenisMädels wollen keine Hauptprotagonistin mit weiblicher Figur, Selbstbewusstsein und mehreren Liebhabern sehen, das ist mir klar.

Warum nicht? Wäre doch mal eine nette Abwechslung. Wer sagt denn, dass Frauen in Romanen nett und niedlich und ewig ihrem Obermacker treu sein müssen? Wen möchtest du denn damit ansprechen? Naive Mädchen etwa, deren ganzes Leben sich nur darum dreht, einen Mann zu beglücken und dafür beschützt zu werden? Oder doch eher starke Frauen die ihr Leben auch so im Griff haben und ganz gut auch alleine können? Erstere werden mit einer solchen Protagonistin wohl tatsächlich wenig anfangen können, letztere hingegen sich darüber freuen.

Zitat von: melenisWie sieht es bei euch aus? Habt ihr starke Figuren? Was für Eigenschaften besitzen sie? Was macht sie stark? Ich brauche Tipps und Inspiration,

Habe ich starke Figuren? Ja, mehrere, hoffentlich die meisten von ihnen. ;) Aber das ist natürlich nur meine subjektive Ansicht. Eine davon ist eine weisse Hexe, die teilweise in unserer und teilweise in einer fiktiven Welt lebt. Ihre Eigenschaften: Sie ist gutherzig, loyal, mutig, kann sich wehren, aber auch Schwäche zeigen. Sie kann aber auch sehr stur, teilweise rücksichtslos und manchmal sogar furchterregend sein. Ausserdem kämpft sie für eine bestimmte Sache, an die sie glaubt. Was ihre Seele stärkt, ist ihr Glaube und ihre Überzeugung.

Ich denke, es sind zwei wesentliche Punkte: Zum einen zu wissen, warum der Charakter sich selbst stark fühlt bzw. wodurch er stark wird. Das können ja auch andere Dinge sein, bei einem meiner männlichen Protagonisten sind es z.B. seine Freunde, die ihm Kraft geben. Einer der Nebenfiguren, sucht und braucht einfach den Kick der Herausforderung. Das treibt ihn an. Weiss man diese Dinge einmal, kann man als Autor ebendiese Stärken auch herauskitzeln und damit experimentieren.

(Frage mich gerade, was passiert, wenn man ihnen das nimmt, wie sie reagieren würden...)

Ausserdem kommt es auf die Art und Weise an, wie es dargestellt wird. Nehmen wir z.B. eine Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird und sich wehrt. Sagt sie ihm fast flüsternd die Meinung, dass ihm alleine von ihrem Tonfall Angst und Bange wird? Oder schreit sie ihn heulend an, er solle doch bitte aufhören? Je nachdem wirkt sie eher stark oder eher schwach.

Zitat von: melenisDann natürlich zum nächsten Problem - wie schreibt man schwache Figuren ohne dass sie nerven? Sind schwache Figuren überhaupt erlaubt? Wie schwach können sie sein, wie stark sollten sie sein? Was zeichnet schwache/starke Figuren aus?

Gute Frage. Erlaubt sind sie auf jeden Fall, fast alles ist erlaubt. Warum sollte man sich auch etwas verbieten lassen? Wie man sie ,,richtig" schreibt, ganz ehrlich, keine Ahnung. Aber ich habe einige Gedanken zu ihrem Wesen.

Erstens ist sicher ein wichtiger Punkt, worin die Schwäche besteht. Ist die Figur körperlich schwach oder seelisch schwach? Warum ist das so und wie geht sie damit um? Meine letzte NaNo-Protagonistin z.B. ist eine ,,schwache Frau" in dem Sinn. Aber das liegt einfach an ihrer Erziehung und der Zeit, in der sie lebt. Stärke ist ihr gar nicht erlaubt, das kennt sie gar nicht, also macht sie sich nie Gedanken darüber. Deshalb ist sie natürlich sehr von den Leuten in ihrer Umgebung abhängig und vermag sich nicht richtig zu wehren. Interessant finde ich sie trotzdem, also schreibe ich sie.

Zweitens ist das meiner Meinung nach die zentrale Frage bei jeder Figur, egal wie stark oder schwach: Ist diese Figur überhaupt interessant? Will man mehr über sie erfahren, will man ihre Geschichte überhaupt lesen? Will/kann man sich in sie hineinversetzen und mit ihr fühlen? Denn das ist auf jeden Fall eine Grundvoraussetzung.

ZitatDer muß nicht den Ist-Zustand des Lesers abbilden, sondern einen realistischen "wird vielleicht mal so"-Zustand.

Selbst das nicht unbedingt. Ich denke gerade an Lestat de Lioncourt aus Anne Rice' Vampirchroniken. Im Grunde ist er ja ein ganz schrecklicher Flegel, jemand mit dem man weder zu tun haben möchte noch so sein möchte wie er. Trotzdem lieben ihn die Fans wie keinen anderen Protagonisten. Warum? Da gibt es bestimmt verschiedene Gründe, aber die jetzt auszubreiten, würde den Rahmen vermutlich sprengen. ;)

Das ist jetzt ein langer Text, ich hoffe, er war wenigstens etwas aufschlussreich.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Sanjani am 10. Juli 2013, 21:16:42
Hallo,

das ist eine sehr schwierige Frage, stelle ich gerade fest, und ich müsste länger darüber nachdenken, was für mich einen starken Charakter ausmacht. Zwei Dinge sind für mich wichtig:

1. Die Person hat Entwicklungspotential, d. h. auch wenn sie vllt anfangs schwach ist, erkennt sie im Lauf der Geschichte, welche Änderung ihr gut tun würde und wächst an ihren Aufgaben.

2. Die Figur ist kein Extrem und sollte möglichst eine Person mit Stärken und Schwächen sein. Gerade wenn man Frauen hat, die von Männern unabhängig sein wollen, finde ich, besteht die Gefahr, dass sie in das andere Extremr rutschen: Ich brauche keinen Mann, weil ich auch ohne Männer stark bin. Und so etwas finde ich dann wieder irgendwie gestört und das zeugt für mich nicht von Stärke. Ich finde eine Figur auch ohne Mann dann stark, wenn sie, sofern nötig oder gewünscht, Nähe und Abhängigkeit zulassen kann, weil sie weiß, dass sie ansonsten in der Regel auf sich selbst aufpassen und unabhängig sein kann.

Ansonsten wären mir dann noch Eigenschaften wichtig wie gesunde Moral, Ehrlichkeit, nicht bestechlich sein, Sinn für Gerechtigkeit, aber das ist variabel und kommt auf die Figur drauf an.

LG Sanjani
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Dämmerungshexe am 11. Juli 2013, 13:15:55
hrm ... bei dem Thema "Ich bin eine starke Frau - ich brauche keinen Mann" fällt mir ein Reihe von youtube-Videos ein, in denen eine Studentin sexistische Muster in Mainstream-Medien untersucht. Dabei meint sie auch einmal zu dem Lied "all I want for christmas is you" dass das ja unheimlich sexistisch sei, weil es aussagt, dass eine Frau unbedingt einen Mann braucht um vollständig zu sein. Ich persönlich würde es eher so interpretieren: "Ich brauche die große Liebe um vollständig zu sein". (Hätte mich ja interessiert wie die Kritik ausgefallen wäre, wenn die Sängerin tatsächlich lesbisch gewesen wäre und den Song für ihre Geliebte geschrieben hätte ...)

Ich glaube das ist auch das, was mich an den meisten "starken" Frauen in Geschichten stört oder zumindest irritiert: ihr Stärke wird immer irgendwie über ihre Unabhängigkeit von Männern ausgedrückt, anstatt aus ihnen und ihren Fähigkeiten heraus definiert zu werden. DAS ist für mich sexistisch.

Wenn ich also eine "starke" Frau beschreiben möchte, versuche ich immer mich gar nicht drum zu kümmern was sie jetzt von Männern an sich hält oder wie sie im Vergleich zu Männern abschneidet (Kampf, Stärke, Intelligenz, ...). Für mich ist eine Figur dann stark wenn sie ihre Ziele kennt und diese unbeirrt verfolgt, aber auch bereit ist die eigenen Handlungsweisen zu reflektieren und zu ändern wenn nötig. Und diese Kriterien gelten sowohl für Frauen, als auch für Männer. Durchsetzungsvermögen wäre ebenfalls eine Form von Stärke. Aber gerade in dem Zusammenhang wird ein weiblicher Protagonist gerade dann als besonders "stark" angesehen wenn sie sich eben gegen Männer durchsetzen kann.

Ein Beispiel für eine "starke Frau" bei mir wäre meine Halbelfen-Kopfgeldjägerin:
Sie ist eine Führungsperson, kann aber auch zurückstecken wenn es sinnvoll ist (fällt ihr aber nicht leicht).
Sie weiß wo ihre Stärken (Intelligenz und Geschicklichkeit) und ihre Schwächen (körperliche Kraft und Ungeduld) liegen.
Sie lässt sich gerne mal mit Männern ein wenn sie ihr gefallen, hat aber bisher keinen "Partner" in dem Sinne. (Im Laufe der Geschichte findet sie einen, wobei die Beziehung von großen Spannungen geprägt ist und nie ganz klar wird ob es eher eine Zweckgemeinschaft ist.)
Viele ihrer Eigenschaften und Charakterzüge sind auf ihre Kindheit und Jugend zurückzuführen, die alles andere als leicht war, was auch mit ihrer "Halbblut"-Abstammung zusammenhängt.

Ich mag diesen Charakter weil es auf den ersten Blick eine "Powerfrau" ist die ordentlich zulangen, verschlagen und teilweise auch grausam sein kann. Aber hinter all dem ist sei auch sehr verletzlich und lernt auch diese Seite zu zeigen und ihre Probleme zu überwinden oder sogar zu ihrem Vorteil einzusetzen.


PS: dass Mädels keine "Powerfrauen mit Selbstbewusstsein und mehreren Liebhabern sehen wollen" würde ich gerne als Gerücht abtun - ich weiß aber, dass Frauen weiblichen Figuren die auch schonmal mit verschiedenen Männern ins Bett gehen immer skeptisch gegenüber stehen - ist für mich eine Moralvorstellung einer Männer-zentrierten Gesellschaft (wie wir sie ja über Jahrhunderte hinweg hatten) - Frauen haben bei "ihrem" Mann zu bleiben, während Männer sich gerne mal umschauen dürfen was sonst noch so am Markt ist (hat natürlich auch biologisch-instinktive Gründe ...).
Mich stört es inzwischen nicht mehr wirklich, solange ich sehe, dass die Frauen das wirklich selbst wollen und Spaß dran haben. Wie sonst soll man die große Liebe finden? (Wenn nicht gerade Mister-Super-Vampir-Lover-"ich respektiere dich und kann deswegen nicht mit dir schlafen oder dich irgendetwas selbstständig entscheiden lassen"-Boy vorbeikommt :P )
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Grey am 11. Juli 2013, 14:13:12
Ich denke, es ist die falsche Herangehensweise, eine Figur, ob männlich oder weiblich, auf Teufel komm raus als "stark" darstellen zu wollen. Die Klischeefalle ist mir da viel zu groß, und meist kommen doch nur die gleichen Stereotypen dabei heraus, die ich sowohl bei Heldinnen als auch bei Helden oft als furchtbar konstruiert empfinde. Meines Erachtens ist es vor allem wichtig, dass die Figur einen individuellen Charakter hat, und dass sie nicht passiv ist. Sie nehmen das Geschehen selbst in die Hand und bringen so die Geschichte voran, auch wenn sie in schwierigen Situationen stecken, und brauchen keinen Gegenpart, der alles für sie erledigt. Wie sich das im Detail aussieht, liegt ganz an der jeweiligen Geschichte, und ich will damit auch nicht sagen, dass eine starke Figur nicht auch mal Hilfe brauchen und annehmen darf. Aber nach meiner Erfahrung ist ein starker Charakter immer einer, der die Initiative ergreift, wohingegen die schwachen eben eher passiv sind. Zwischenformen gibt es da natürlich unendlich viele, und eine Entwicklung vom einen zum anderen Typ ist auch immer spannend. Aber wenn eine Figur schon stark beginnen soll, dann darf sie alles sein - nur nicht passiv. So sehe ich das zumindest.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: HauntingWitch am 11. Juli 2013, 15:45:13
Zitat von: Sanjani am 10. Juli 2013, 21:16:42
Ich brauche keinen Mann, weil ich auch ohne Männer stark bin. Und so etwas finde ich dann wieder irgendwie gestört und das zeugt für mich nicht von Stärke. Ich finde eine Figur auch ohne Mann dann stark, wenn sie, sofern nötig oder gewünscht, Nähe und Abhängigkeit zulassen kann, weil sie weiß, dass sie ansonsten in der Regel auf sich selbst aufpassen und unabhängig sein kann.

Da widersprichst du dir nun aber. Denn, wenn es nicht nötig oder gewünscht ist (was durchaus vorkommt), hast du genau diese Frau, die sagt: Ich brauche keinen Mann, ich bin auch ohne glücklich. Und warum sollte sie das auch nicht sein? Es gibt ja auch Frauen, die aufgrund von schlechten Erfahrungen irgendwann zu machen und beschliessen, alleine zu leben. Oder solche, die ganz gut mit einem Akkuschrauber umgehen können und schon mal eine gute Freundin beim Umzug um Hilfe bitten, statt einen Mann. Ich finde nicht, dass das krank ist oder so, es ist einfach eine Art zu leben. Wie es auch eine Art zu leben ist, sich ganz der Familie und der Hingabe für einen Mann zu widmen. (Ich hoffe, das ist jetzt nicht zu sehr OT.)

ZitatIch glaube das ist auch das, was mich an den meisten "starken" Frauen in Geschichten stört oder zumindest irritiert: ihr Stärke wird immer irgendwie über ihre Unabhängigkeit von Männern ausgedrückt, anstatt aus ihnen und ihren Fähigkeiten heraus definiert zu werden. DAS ist für mich sexistisch.

Vorweg: Dem stimme ich zu. Aber viele Autoren scheinen das für die entweder einfachste oder richtigste Lösung zu halten. Und der direkte Vergleich bzw. Situationen mit Männern machen es natürlich auch sehr, sehr deutlich. Ich glaube, so etwas in die eine oder andere Szene einzubringen, einfach um die Stärke noch mehr zu betonen, ist auch durchaus in Ordnung, wenn man es ansonsten hauptsächlich anders rüberbringt.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Sanjani am 11. Juli 2013, 16:26:40
Hallo Witch,

Zitat von: HauntingWitch am 11. Juli 2013, 15:45:13
Da widersprichst du dir nun aber. Denn, wenn es nicht nötig oder gewünscht ist (was durchaus vorkommt), hast du genau diese Frau, die sagt: Ich brauche keinen Mann, ich bin auch ohne glücklich. Und warum sollte sie das auch nicht sein? Es gibt ja auch Frauen, die aufgrund von schlechten Erfahrungen irgendwann zu machen und beschliessen, alleine zu leben.

Genau das ist für mich aber gerade nicht stark bzw. kein Zeichen für einen starken Protagonisten (was nicht heißt, dass ich es automatisch schwach fände) und es ist auch kein Widerspruch. Es ist das Mittelmaß, nach dem ich suche. Ich bin eine Frau, die alleine gut zurecht kommt, aber wenn sie die große Liebe findet, bei der sie sich auch mal schwach und abhängig zeigen darf (oder vllt auch mal muss, wenn die Situation es verlangt), dann tut sie das gerne und sagt nicht: Nö, ich nehm dich nur, solange ich meinen absoluten Freiraum habe und eigentlich brauche ich dich auch nicht. Eine starke Protagonistin wäre für mich so eine, die anfangs vllt wegen schlechter Erfahrungen zumacht, die aber im Laufe der Zeit wieder Nähe zulassen kann, was dann aber eher in die Richtung geht, dass sie etwas wagt, weil ihr die Sache wichtig genug ist.

Das ist ein bisschen schwer zu beschreiben, stelle ich gerade fest :)

LG Sanjani
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: HauntingWitch am 11. Juli 2013, 16:55:00
Ach so, jetzt verstehe ich es besser. Ja, es kam auch etwas forsch rüber, wenn ich das mal so ganz offen sagen darf. ;) Ich kenne einfach viele Frauen, die ganz gut ohne Mann leben - was natürlich aber nicht heisst, dass sie keinen wollen.

Was ich dann aber wiederum auch ein Zeichen von Schwäche fände, wäre die extreme Form von "sich abhängig zeigen" und tatsächlich abhängig sein. Wenn die Protagonistin nun ihrem Mann völlig unterwürfig ist und völlig die Orientierung verliert, wenn er sie verlässt. Das wiederum hängt allerdings auch mit der Zeit zusammen, in der die Geschichte spielt, früher war das ja sogar oft der Normalfall. Ich frage mich gerade, wie man wohl eine starke Frau in einer solchen Zeit darstellen könnte...  :hmmm:
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Sanjani am 11. Juli 2013, 18:45:56
Hallo,

Zitat von: HauntingWitch am 11. Juli 2013, 16:55:00
Ja, es kam auch etwas forsch rüber, wenn ich das mal so ganz offen sagen darf. ;)

Hehe, war aber gar nicht so gemeint, nur offenbar ein etwas missglückter Versuch mich verständlich zu machen :)

Zitat
Was ich dann aber wiederum auch ein Zeichen von Schwäche fände, wäre die extreme Form von "sich abhängig zeigen" und tatsächlich abhängig sein. Wenn die Protagonistin nun ihrem Mann völlig unterwürfig ist und völlig die Orientierung verliert, wenn er sie verlässt. Das wiederum hängt allerdings auch mit der Zeit zusammen, in der die Geschichte spielt, früher war das ja sogar oft der Normalfall. Ich frage mich gerade, wie man wohl eine starke Frau in einer solchen Zeit darstellen könnte...  :hmmm:

Ich stimme dir da voll zu bzgl. Extremform von Abhängigkeit. Gestern Abend habe ich auch mal kurz über Stärke in unterschiedlichen Jahrhunderten nachgedacht. Ich finde, es gibt oft Bücher über Frauen aus dem Mittelalter oder der Rennaissance oder der Neuzeit und die werden oft so dargestellt, wie man sie vielleicht heute als stark bezeichnen würde. Frauen, die für ihre Freiheit kämpfen, für ein Studium an der Uni o. ä. und manchmal frage ich mich, ob die Frauen damals das auch als stark angesehen hätten. Ich fürchte fast, wir können gar nicht anders als das, was wir heute für stark halten, auch auf andere Zeitalter zu übertragen. Aber das ist nur so eine Vermutung von mir, mit der ich auch völlig falsch liegen könnte.

LG Sanjani
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Churke am 11. Juli 2013, 20:14:59
Zitat von: Dämmerungshexe am 11. Juli 2013, 13:15:55
Ich glaube das ist auch das, was mich an den meisten "starken" Frauen in Geschichten stört oder zumindest irritiert: ihr Stärke wird immer irgendwie über ihre Unabhängigkeit von Männern ausgedrückt, anstatt aus ihnen und ihren Fähigkeiten heraus definiert zu werden. DAS ist für mich sexistisch.

In einer patriarchalischen Gesellschaft definiert sich eine starke Frau nun mal über die Unabhängigkeit von Männern.


Überhaupt unterscheidet sich eine starke von einer schwachen Figur dadurch, dass sie sich aufgrund innerer Überzeugungen gegen ihr Umfeld auflehnt. Der Schwache ist ein Mitläufer, der Starke ein Rebell. Dabei kann es durchaus sein, dass zum Davonlaufen mehr Mut und Stärke gehören als zum "Heldentum".
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: zDatze am 12. Juli 2013, 00:18:48
Zitat von: Melenis am 10. Juli 2013, 12:33:31
Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr starke Figuren? Was für Eigenschaften besitzen sie? Was macht sie stark? Ich brauche Tipps und Inspiration, es müssen auch nicht nur Frauen sein, in der selben Geschichte steht der Powerfrau ein Superman gegenüber, der auch noch einen Feinschliff gebrauchen könnte  ;D
Was meine Figuren stark oder schwach macht, würde ich nicht einfach auf Eigenschaften hinunterbrechen, denn jede Eigenschaft kann abhängig von der Situation als Stärke oder als Schwäche ausgelegt werden. Ob die Figur einen starken oder schwachen Eindruck hinterlässt, kommt wohl eher darauf an, welche Entscheidungsie für sich (und auch andere) fällt und welche Handlungen daraus resultieren.
Eine Figur, die sich trotz offensichtlicher Konsequenzen dafür entscheidet an der Seite eines Freundes zu stehen, wird (nehme ich mal an) als tapfer und stark wahrgenommen, obwohl sie vielleicht eine dumme Entscheidung fällt. Vielleicht kommt es aber auch darauf an solche Zwickmühlen für seine Figuren zu schaffen. Es wird ja erst wirklich interessant, wenn man seine Figuren vor Entscheidungen stellt, die sie innerlich zerreißt, egal, wie sie sich entscheidet.

Zitat von: Melenis am 10. Juli 2013, 12:33:31
Dann natürlich zum nächsten Problem - wie schreibt man schwache Figuren ohne dass sie nerven? Sind schwache Figuren überhaupt erlaubt? Wie schwach können sie sein, wie stark sollten sie sein? Was zeichnet schwache/starke Figuren aus?
Es spricht an sich nichts gegen schwache Figuren, nur bitte keine klischeehaften Langweiler. ;)
Ich finde, schwache Figuren sollten in einer Geschichte nicht fehlen. Sie haben ein enormes Entwicklungspotential, warum sollte man das nicht nutzen? Wenn jemand jahrelang nur im Schatten einer starken Figur stand, wirkt es doch gleich viel imposanter, wenn sie sich aus dieser niederen Situation hinaushievt und auch mal etwas vom Ruhm abbekommt.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Churke am 12. Juli 2013, 12:16:07
Zitat von: zDatze am 12. Juli 2013, 00:18:48
Ich finde, schwache Figuren sollten in einer Geschichte nicht fehlen. Sie haben ein enormes Entwicklungspotential, warum sollte man das nicht nutzen? Wenn jemand jahrelang nur im Schatten einer starken Figur stand, wirkt es doch gleich viel imposanter, wenn sie sich aus dieser niederen Situation hinaushievt und auch mal etwas vom Ruhm abbekommt.

Aber ist sie dann noch schwach? Eine Figur mag im Schatten stehen, sie mag auch gerne anderen das Handeln überlassen. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem die Scheinwerfer auf sie gerichtet sind und es zum Schwur kommt.

Ich möchte Schwächlinge nicht als Hauptpersonen sehen. Aber sie sind hochgradig menschlich, weil sie immer den einfachen Weg gehen, den des geringsten Widerstandes. Geschichten gewinnen dadurch an Realismus.


Zitat von: Melenis am 10. Juli 2013, 12:33:31
Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr starke Figuren? Was für Eigenschaften besitzen sie? Was macht sie stark? Ich brauche Tipps und Inspiration, es müssen auch nicht nur Frauen sein, in der selben Geschichte steht der Powerfrau ein Superman gegenüber, der auch noch einen Feinschliff gebrauchen könnte  ;D

Teodenantha die Schändliche ist die blonde Drachenmeisterin. Sie fliegt auf einem Drachen, ihren Bogen kann kein Mann ausziehen und sie hat geschworen, jeden (Kreuz-)Ritter zu töten. Sie plündert nie, sondern zieht jedem erschlagenen Ritter nur den Ring vom Finger. Die Ringe sammelt sie als Trophäen in einem Säckchen. Teodenantha dient der tausend Jahre alten Hexenkönigin und will deren Heermeisterin werdein. Man hat ihr erzählt, dass ihre Eltern von Kreuzrittern getötet wurden. Ihre blonden Haare geben Anlass zu Gerüchten, schließlich haben blonde Haare nur Kreuzritter. Wer Behauptungen verbreitet, dass ihre Mutter eine Hure gewesen sei, den/die fordert sie zum Duell. Besonders, wenn es sich bei der Verleumderin um eine lästige Rivalin handelt und Alkohol im Spiel ist.

Als Lohn für ihre Dienste bekommt sie einen neuen Sklaven: Baldered. Baldered ist ein Ordensritter (sie hat ihn selbst gefangen) und phänomenaler Schwertkämpfer. Baldered ist der Perspektivträger und HASST seine Herrin, obwohl ihm seine Mitsklaven tagein, tagaus vorflöten, welches Glück er habe, der edlen Teodenantha dienen zu dürfen. Dafür macht er ihr alles kaputt. Teodenantha sehnt sich nach der ganz großen Liebe (TM) - Pech, das Baldered ihren Traummann, einen unermesslich reichen Adligen, verprügelt, weil er ihn für einen Attentäter hält.   

Sexuell läuft natürlich nichts...
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: zDatze am 12. Juli 2013, 12:51:02
Zitat von: Churke am 12. Juli 2013, 12:16:07
Aber ist sie dann noch schwach? Eine Figur mag im Schatten stehen, sie mag auch gerne anderen das Handeln überlassen. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem die Scheinwerfer auf sie gerichtet sind und es zum Schwur kommt.
Gegenfrage: Muss eine Figur schwach bleiben, nur weil sie anfangs schwach dargestellt wurde?
Es muss ja nicht gleich die Rettung der Welt sein oder eine ähnlich hochtrabende Heldentat. Im (fiktionalen) Alltag ergeben sich doch auch Gelegenheiten mutig zu handeln und da kann  eine Kleinigkeit durchaus den Verlauf der Geschichte maßgebend beeinflussen.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Leann am 12. Juli 2013, 13:22:57
Stärke und Schwäche liegt auch immer im Auge des Betrachters und kann von Kultur zu Kultur oder auch je nach Zeitalter völlig unterschiedlich sein, da stimme ich Sanjani zu. Wenn eine Figur im Kontext ihrer Kultur und Zeit das tut, was als erstrebenswert und mutig angesehen wird, dann wird sie gemeinhin als stark gelten.
Lebendige und vielschichtige Figuren sollten meiner Meinung nach sowohl starke als auch schwache Seiten haben, wie im echten Leben. Niemand ist immer und in jeder Situation stark.
Interessant finde ich auch, dass sogar das, was von den anderen als Schwäche angesehen wird, sich später als Stärke herausstellen kann. So kann z.B. eine Figur empathisch begabt sein und dadurch übersensibel, was dieser Figur zunächst als "schwach" ausgelegt wird. Später kann sich jedoch gerade diese Sensibilität als starker Trumpf erweisen und den allgemein von anderen Figuren als stark angesehen Eigenschaften (Körperkraft, Aggressivität, Dominanz etc.) überlegen sein.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Churke am 12. Juli 2013, 17:54:11
Zitat von: zDatze am 12. Juli 2013, 12:51:02
Gegenfrage: Muss eine Figur schwach bleiben, nur weil sie anfangs schwach dargestellt wurde?
Es muss ja nicht gleich die Rettung der Welt sein oder eine ähnlich hochtrabende Heldentat. Im (fiktionalen) Alltag ergeben sich doch auch Gelegenheiten mutig zu handeln und da kann  eine Kleinigkeit durchaus den Verlauf der Geschichte maßgebend beeinflussen.
Wird ein Feigling zum Draufgänger?
Wird ein Pantoffelheld zum Haustyrann?
Wird ein Mitläufer zum Anführer?
Wird ein Korrupter ein Unbestechlicher?
Wird ein Pastetenbäcker zum Spartakus?

Es ist ein Unterschied, ob eine Figur nur keine Gelegenheit hatte, mutig bzw. stark zu handeln, oder ob sie einfach nicht zum Helden geboren ist. Wobei ich diese Selbsterkenntnis als Eingeständnis der eigenen Schwäche auch bereits als einen starken Charakterzug werte.

Zitat von: Leann am 12. Juli 2013, 13:22:57
Stärke und Schwäche liegt auch immer im Auge des Betrachters und kann von Kultur zu Kultur oder auch je nach Zeitalter völlig unterschiedlich sein, da stimme ich Sanjani zu. Wenn eine Figur im Kontext ihrer Kultur und Zeit das tut, was als erstrebenswert und mutig angesehen wird, dann wird sie gemeinhin als stark gelten.

Aber ist sie deshalb auch stark? Wilhelm II. führte Deutschland in den 1. Weltkrieg, weil er stark sein und seinen Ruf als Umfaller loswerden wollte. Literarisch höchst lehrreich ist weiterhin, wie der kaiserliche Obermitläüfer hinterher zum Oberschurken gemacht wurde. Gelernt hat er übrigens nichts daraus; auch im holländischen Exil waren für ihn immer die anderen schuld, die ihm rein geredet hätten. "Majestät", möchte man da sagen, "der Kaiser waren Sie!"
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Rhiannon am 12. Juli 2013, 23:36:29
Hmm, meine Perspektivträgerinnen würde ich allesamt als starke Frauen bezeichnen, auch wenn sie unterschiedlich sind und beileibe nicht alle mit einer Waffe umgehen können, oder gar Kriegerinnen sind.
Stärken und Schwächen haben sie alle. Mary-Sues habe ich, hoffe ich, keine und ehrlicherweise finde ich Figuren ohne Kanten langweilig.
Aber Stärke muss auch nicht nur positiv sein. In meinem aktuellen Projekt habe ich in der Mutter der Anta eine durchaus starke Frauenfigur. Sie ist eine Führungspersönlichkeit, weiß sehr genau, wie sie ihren Willen bekommen kann und schreckt nicht davor zurück, für ihre Ziele über Leichen zu gehen. Auf der anderen SEite ist sie aber auch rücksichtslos, grausam und misshandelt ihre Tochter. Schwach ist sie also nicht, aber definitiv keine Figur, die ich als nachahmenswert betrachte.

Aber den Figuren sollte nicht nur ihre Stärke zur Schwäche werden, wie im Falle dieser Frau, sondern es muss auch Figuren geben, die trotz Stärke auch Schwächen haben, die sie menschlich machen und die es dem Leser möglich machen, sich mit dieser Figur zu identifizieren und sie nicht nur aus der Ferne zu bewundern. Als Beispiel könnte ich hier von meinen Figuren Hedda anbieten. Hedda ist Kriegerin, stark, ehrlich, loyal und bereit, für die zu kämpfen, die ihr am Herzen liegen. Auf der anderen Seite knabbert sie immer noch an ihrer lieblosen Kindheit und ist dadurch im Umgang mit ihrer Ziehtochter manchmal unsicherer, als man es von ihr erwarten könnte.
Welten retten diese Figuren im Regelfall nicht, aber sie wachsen über sich selbst hinaus und besiegen sich auch manchmal selbst. Und ich glaube, da liegt auch die Definition zwischen Stärke und Schwäche. Wer bringt es fertig, sich selbst zu besiegen, wenn er selbst der schlimmste Gegner ist?

Und Melenis, was ich von deiner Figur gehört habe, das klingt gut. Wenn du sie glaubwürdig rüberbringst, muss sie nicht unbedingt einem Mann treu sein, um als Figur gemocht zu werden.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Szazira am 14. Juli 2013, 18:11:08
Mir fiel bei deinem Eingangspost das Mädel in "Fith Element" ein. Sie wirkt zart und zerbrechlich, läßt sich aber nicht unterkriegen und verfolgt ihr Ziel, auch wenn sie dabei Hilfe benötigt.
Es ist auch eine Form von Stärke zu Wissen, wann sie sich auf andere verlassen muß und in der Lage ist genug vertrauen in die Anderen zu setzen um dies zu tun.

Ein anderere Figur von mir ist eine rothaarige Hexe namens Zora. Sehr weibliche Figur, sehr weibliche Kleidung, gutaussehend, selbstbewußt bis zum Anschlag (andere sagen arrogant dazu), wenn sie in Begleitung unterwegs ist, kocht niemand außer ihr. Männer sind gemeinhin zu ihrem Vergnügen da und diese haben es schwer sich ihren Respekt zu erarbeiten.  Warum sollte sie keinen starken Charakter haben?

Stark ist jemand, der zu seinen Prinzipien steht und nicht sein Fähnchen nach dem Wind hängt. Meines Erachtens ist das Geschlechterunabhängig, sondern von der Person. Eine Frau wird ihre (innere) Stärke vielleicht anders nutzen als ein Mann, aber selbst dass würde ich nicht zwangsweise unterschreiben.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Tanja am 14. Juli 2013, 19:30:13
Das erste, was mir zu deiner Frage eingefallen ist, ist dass ich Romane ohne Love-Story als sehr erholsam empfinde - gerade, weil keine Klischees bedient werden.
Ich finde Idee einer Hauptfigur mit Liebhabern nach Bedarf sehr interessant und reizvoll.
Bei einer starken weiblichen Figur fällt mir spontan Ellen Riley aus Alien ein  8)

Wichtig ist es glaube ich, dass auch take Figuren eine menschliche Schwäche haben, die es dem Leser erleichtert, sich mit ihr zu idetifizieren, z.B. eine Vorliebe, sich "unerreichbare" Liebhaber auszusuchen und sich so in Schwierigkeiten zu bringen, z.B. speziell höhegestellte oder verheiratete Männer.
Oder sie hat eine andere "große Liebe", z.B. eine vermisste Schwester oder einen wegen eines Verbrechens verurteilten Bruder.
Ich finde deine Alischa wirklich interessant!

Schwache Charaktere finde ich dann spannend, wenn sie es im Laufe des Romans schaffen, ihre Schwäche ein Stück weit zu überwinden. Ansonsten, bin ich ehrlich, nerven sie mich eher.
Ich bin da eher so der "Jammer nicht - ändere was!" Typ  8)

Ich wünsche dir viel Erfolg!
Tanja
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Lavendel am 15. Juli 2013, 08:59:44
Eine starke Figur ist weder wegen der Charaktereigenschaften, die man ihr einschreibt, noch aufgrund der damit verbundenen Werturteile über die Figur stark - jedenfalls nicht, wenn man über starke Figuren in der Literatur spricht.
Eine starke Figur ist ganz einfach eine, die eben keine Abziehfolie ist, sondern ein komplexer Charakter, mit Stärken, Schwächen und inneren Konflikten. Dabei spielt es keine Rolle, ob mehrere Liebhaber, ein Kochlöffel oder die Liebe zum Banjospiel definierende Eigenschaften sind. Ein Sklave ohne jegliche Macht, feige, tuberkulös und völlig der Willkür seiner Herren ausgesetzt, kann eine starke Figur sein, und wenn ein Autor sein Handwerk versteht, lässt sich daraus eine mitreißende Geschichte machen. (Man sagt literaturtheoretisch auch 'runde Figur' im Gegensatz zur 'flachen').
Die zweite Eigenschaft einer starken Figur ist, dass sie sich entwickelt, dass sie also am Ende des Romans nicht mehr ganz die gleiche ist wie am Anfang. Das nennt man 'dynamisch', im Gegensatz zu 'statisch', also ohne Entwicklung.

Es ist daher wenig sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen, welche Charaktereigenschaft man einer Figur noch verpassen sollte, damit sie stärker wird, weil das mit den Charaktereigenschaften an sich rein gar nichts zu tun hat. Es hat auch nichts mit dem Genre zu tun oder damit, ob es eine Liebesgeschichte gibt. Es liegt allein an der eigenen Kreativität und der eigenen Empathie (und natürlich an den handwerklichen Fähigkeiten), ob man es schafft, eine starke Figur zu schreiben.

Manchmal werden Lektoren dann vielleicht sagen, nein, so und so eine Figur "käme bei den Lesern nicht an". Damit mögen sie dann vielleicht auch Recht haben, aber das ist wieder eine ganz andere Fragestellung, die sich nicht so einfach beantworten lässt.

Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Churke am 16. Juli 2013, 14:00:44
Zitat von: Lavendel am 15. Juli 2013, 08:59:44
Es ist daher wenig sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen, welche Charaktereigenschaft man einer Figur noch verpassen sollte, damit sie stärker wird, weil das mit den Charaktereigenschaften an sich rein gar nichts zu tun hat.

Willst du damit sagen, dass ein Autor aus jeder Figur eine starke machen kann? Ich glaube das nur in engen Grenzen. Menschen muss man nach ihrem Handeln beurteilen und WAS sie tun, das sollte bereits vorher feststehen. Es ist schlechterdings nicht möglich, aus einer historischen Person der Kragenweite "er tat, was er meiden und mied, was er tun sollte" eine starke Figur zu machen, weil einfach die Taten und Entscheidungen fehlen. Als Autor kann man relativieren und entschuldigen, doch irgendwann holt einen die Faktenlage ein.
Und warum sollte ich aus dem bösen Sauron auch einen schwächlichen Trottel machen wollen? Das sieht der Plot nicht vor. Sauron ist stark & finster, weil es der Plot erfordert.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Melenis am 16. Juli 2013, 14:41:02
Bei meiner Fragestellung hatte ich weniger an "literarische Stärke" gedacht, als an wirklich starke Persönlichkeiten. Mir geht es nicht darum, ob die Figur rund wirkt oder sich im Laufe der Geschichte entwickelt, das sollte ja jede Figur tun, die eine wichtige Rolle in der Geschichte einnimmt. Mir geht es wirklich um starke Figuren. Ich stelle mir meine Figuren als echte Menschen vor, die ich kennen lerne, und ich sollte dann sagen können: Ja, die Frau ist tough/der Kerl hat was drauf.

Und erstmal Danke für die vielen Antworten, beim Lesen ist mir aufgefallen, dass ich viele Dinge noch gar nicht durchdacht habe oder vielleicht, fälschlicherweise, als nicht wichtig erachtet hatte.

Ich denke es gibt Dinge, die sind vollkommen vom Geschlecht unabhängig, andere widerum nicht. Ich habe mit Absicht zwei sehr starke Figuren in meiner Geschichte, einmal eine Frau und dann einen Mann, um zu zeigen, dass es Unterschiede gibt. Frauen müssen gegen andere Vorurteile kämpfen als Männer, und mir geht nicht darum, Männer in einem schlechten Licht darzustellen oder mit männerfeindlichen Sprüchen um mich zu schmeißen.

Alischa ist vielleicht ein etwas schwerer Fall, weil sie keinen Grund hat, schwach zu sein/schüchtern zu sein. Sie wächst in dem Glauben auf, dass sie die Welt beherrschen könnte, sie hat Macht über Dämonen (wie jede Frau in ihrem Dorf), ist gutaussehend und intelligent. Ich denke, ihre einzige Schwäche werden Männer sein, und wenn ich es richtig hinbekomme könnte das ganz witzig werden.

Ich werde später noch mehr dazu schreiben und näher auf eure Antworten eingehen, aber meine Schwester hat Geburtstag und na ja - keine Zeit  ;D
Grüßle  :winke:
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Valaé am 16. Juli 2013, 14:42:37
Ich denke, was hier gerade aufeinander prallt sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge.
Lavendel spricht von der literaturtheoretischen Definition einer starken bzw. runden Figur im Gegensatz zu einer schwachen bzw. flachen. Ich denke, um das Problem zu vermeiden, sollte man hier wirklich auf rund und flach zurück kommen, da das auch für nicht in der Literaturtheorie bewanderte Autoren und Leser durchaus gängige Begriffe für das Problem sind: Eine starke bzw. runde Figur kann wirklich jede Figur sein, auch wenn sie in der Geschichte einen unterdrückten Part einnimmt und sogar, wenn sie aus dieser unterdrückten Rolle niemals heraus kommt. Da möchte ich einfach nochmal auf Lavendel verweisen, die das gut charakterisiert hat:
ZitatEine starke Figur ist ganz einfach eine, die eben keine Abziehfolie ist, sondern ein komplexer Charakter, mit Stärken, Schwächen und inneren Konflikten.
Genau das. Ich habe mehrere Dienercharaktere, die weitaus ausgefeiltere innere Konflikte haben als ihre Herren und dennoch die Unterdrückten sind. Manche kommen aus dem Dilemma heraus, andere nicht, manche scheitern tragisch (und werden dabei gebrochen! Ganz wichtig, sonst wären ihre Charaktere ja doch wieder stark) und waren dennoch die starken, runden Figuren.

Was hier gerade mit starker/runder Figur verwechselt wird ist ein starker Charakter, wie er auch ganz unabhängig von jeglichen literarischen Figuren auftreten kann. Jemanden mit einem starken Charakter zeichnen bestimmte Eigenschaften aus, er lässt sich oft nicht unterkriegen oder hält an Überzeugungen fest. So einen Charakter kann nicht jede Figur haben sonst hätten wir lauter Helden oder Schurken, denn ein starker Charakter kann ja auch ein negativ starker Charakter sein.
Das Lustige dabei: Eine starke/runde Figur kann einen schwachen Charakter haben. Eine schwache/flache Figur kann einen starken Charakter haben. Gar kein Problem. Aber hier sollte vielleicht wirklich akribisch unterschieden werden zwischen einer runden/flachen Figur, die jemand ist, oder einem starken/schwachen Charakter, den diese Figur hat.

Das wird nämlich hier gerade etwas durcheinander geworfen - ob eine literarische Figur stark oder schwach ist, ist nämlich tatsächlich weitestgehend unabhängig von ihrem Handeln, sondern weit abhängiger von den Beweggründen, Hintergründen etc. Ein starkes Handeln kann schwach motiviert sein. Ein schwaches Handeln stark. Und da sollte man eine Unterscheidung ziehen.

Vielleicht auch für jedes der beiden Phänomene einen eigenen Thread?


Edit: Ich war zu langsam, lasse es aber trotzdem nochmal stehen ...
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Smaragd am 16. Juli 2013, 15:01:27
Was ist Stärke? Gute Frage. Wie Dämmerungshexe würde ich die Frage auch nicht an dem Frau - Mann - Verhältnis aufziehen. Ich würde eigentlich erstmal zwischen äußerer und innerer Stärke unterscheiden. Äußere Stärke wäre damit Macht, Einfluss und die körperliche Verfassung. Innere Stärke ist für mich komplizierter; da geht es um Ziele, Gründe für das Handeln deiner Figur, Entschlossenheit und die Reflexion des eigenen Tuns. Und das alles kann man natürlich ganz gut daran zeigen, wie die Figur mit Schwierigkeiten, Gegnern und allgemein unterschiedlichen und unklaren Situationen umgeht.

Aber letztlich hat natürlich jede Figur Stärken und Schwächen, sonst wäre sie ja als Perspektivträger todlangweilig. Für mich kommt`s auf die Persönlichkeit an, ob ich einen Charakter als stark oder schwach einschätze (also die innere Stärke). Wie gut durchdenkt die Figur ihre Ziele? Welche Grundsätze hat sie? Was ist sie bereit, für ihre Ziele zu opfern? Stellt sie auch mal ihre eigenen Ziele und Prinzipien in Frage? Diskutiert sie über das, was sie für richtig und falsch hält? Und je nach dem Kontext oder Hintergrund der Figur kann sich ihre Stärke auch ganz unterschiedlich äußern.

Ich glaube, die größte Stärke der stärksten Frau, die ich je geschrieben habe, ist ihr Umgang mit anderen Menschen. Sie würde da protestieren, aber es stimmt. Sie hat es (unbeabsichtigt, weil sie sowas nicht wirklich wahrnimmt) geschafft, sich in eine Situation zu bringen, in der sie mächtigeren Magiern mehr oder weniger sagen kann, was sie tun sollen - und das ganz ohne Zwang, einfach durch Freundschaft, einen gemeinsamen Feind und die Tatsache, dass sie nicht so arrogant ist wie die anderen, auch mal nachgeben oder sich entschuldigen kann und deswegen mit jedem dieser mächtigeren Magier gut befreundet ist. Dadurch wird sie in einer Art Führungsrolle akzeptiert. Übrigens schafft sie es auch, sich selbst nicht besonders mächtig zu sehen, ohne dabei schwach oder schüchtern zu sein, einfach weil sie sich für stark genug hält, um etwas tun zu können, das ihr am Herzen liegt.
Hach ja, ich liebe und bewundere sie. Aber wenn ich dran denke, was ich ihr schon alles angetan habe, weiß ich nicht, ob ich ihr begegnen möchte :versteck:
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Churke am 20. Juli 2013, 21:18:55
Zitat von: Smaragd am 16. Juli 2013, 15:01:27
Ich würde eigentlich erstmal zwischen äußerer und innerer Stärke unterscheiden. Äußere Stärke wäre damit Macht, Einfluss und die körperliche Verfassung. Innere Stärke ist für mich komplizierter; da geht es um Ziele, Gründe für das Handeln deiner Figur, Entschlossenheit und die Reflexion des eigenen Tuns.

Kann man das denn trennen? Ist nicht die Position (und damit Macht) eines Menschen in einer Gesellschaft mehr oder weniger direkte Folge seiner Persönlichkeit?


Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Zit am 20. Juli 2013, 22:43:18
Es ließe sich vll. der Wille zur Macht ablesen und Durchsetzungsvermögen (oder Papas Brieftasche), aber nicht die komplette Persönlichkeit, denke ich. Wobei natürlich Machtpositionen Menschen bestimmter Coleur und Möglichkeiten anziehen. Aber davon gibt es ja viele.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Smaragd am 20. Juli 2013, 23:34:10
Zitat von: Churke am 20. Juli 2013, 21:18:55
Ist nicht die Position (und damit Macht) eines Menschen in einer Gesellschaft mehr oder weniger direkte Folge seiner Persönlichkeit?

Die Frage kann man auch umgedreht stellen - ist die Persönlichkeit nicht eine mehr oder weniger direkte Folge der Position (und damit Macht) eines Menschen in einer Gesellschaft? Es gibt sicherlich einen Zusammenhang, aber wie genau der aussieht, ist meines Wissens philosophisch umstritten. Wie Zit schon schrieb, kann man ja durchaus in eine sehr hohe Position hineingeboren werden (siehe das Baby, das Großbritannien so sehnlich erwartet...) und dabei trotzdem eine sehr schwache Persönlichkeit sein. Das haben genug Erbkönige und Erbkaiser bewiesen. Wenn man dagegen richtig Pech im Leben hat, hilft die Persönlichkeit auch nicht unbedingt weiter - vom Tellerwäscher zum Millionär funktioniert eben nur in den seltensten Fällen.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Guddy am 10. April 2014, 15:25:47
Ich weiß, das Thema ist alt und Tanja wahrscheinlich gar nicht mehr aktiv, aber ich kann es einfach nicht so stehen lassen ;)

Zitat von: Tanja am 14. Juli 2013, 19:30:13
Das erste, was mir zu deiner Frage eingefallen ist, ist dass ich Romane ohne Love-Story als sehr erholsam empfinde - gerade, weil keine Klischees bedient werden.

Das eine hat mit dem anderen doch grundsätzlich nichts zu tun. Dass es oft genau so gemacht wird, stimmt natürlich, aber das eine bedingt das andere nicht. Ganz davon ab, dass Klischees in jedem Genre auftreten können - auch in Bezug auf starke und schwache (Frauen)Figuren

OT: Ich finde es schade, dass "Stärke" meistens mit Männlichkeit nahezu gleichgestellt wird. Ganz nach dem Motto: Mach aus einer Frau eine Kämpferin und sie ist ein starker Charakter!
Ehm: nein.
Ein starker Charakter hat für mich nichts damit zu tun, ob er ein Schwert in der Hand halten kann oder nicht. Die typische "starke Frau", wie sie oft aus einer standartisierten Backform (erst liebes Mädchen, dann durch Schicksalsschlag gewonnenes Selbstbewusstsein, der Griff nach dem Schwert, der heroische Mord am Widersacher, Ende) gewonnen wird, finde ich zu flach und mittlerweile auch zu ausgelutscht. Ähnliches wurde ja auch bereits hier im Thread gesagt :)

Ich habe sowohl starke weibliche, als auch starke männliche Charaktere, wobei jeder von ihnen auch schwache Momente hat. Auf ein modernes Frauenbild bzw. Männer/Frauenverhältnis in Bezug auf starke Charaktere achte ich dabei jedoch nicht aktiv.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Zit am 10. April 2014, 15:33:59
Zuerst: Ich stimme dir zu, Guddy. :)

Allerdings geht aus deinem Beitrag leider nicht hervor, wie du deine Frauencharaktere anlegst damit sie stark sind bzw. was für dich stark ist, wenn es nicht männliche Gebaren sind. Du erwähnst auch "ein modernes Frauenbild" was heißt das für dich bzw. was meinst du damit im Zusammenhang auf den Austausch hier?
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Guddy am 10. April 2014, 16:04:57
Sorry, ich wollte einfach nicht alles wiederholen, was hier im Thread ohnehin schon gesagt worden ist :) Stärke kann bedeuten, dass die Person ein bestimmtes Ziel verfolgt und im Blick hat, es kann bedeuten, dass man trotz widriger Umstände, Schicksalsschläge etc sein positives Weltbild behält bzw. sich nicht unterkriegen lässt, es kann bedeuten, dass man weiß, wer man ist und sich weder verbiegen, noch vom Weg abbringen lässt oder natürlich auch, dass man sich gegenüber einer Übermacht durchzusetzen weiß (wie auch einst weibliche Wissenschaftler in einer Männerdomäne)... Stärke kann laut (Waffengewalt) oder leise (innere Stärke) sein, sie kann offensichtbar oder unsichtbar sein. Und klar. Kriegerinnen können auch stark sein ;)

@Modernes Frauenbild(oder auch: Emanzipiertes Frauenbild was das ist, dürfte ja klar sein): ich meinte schlichtweg, dass ich nicht darauf achte, dass ich diese oder jene Art an Charakteren im Buch drin habe und ob mein Buch Alice Schwarzer gefallen würde oder nicht ;) Dass ich trotzdem "starke Frauen" drin habe, ist ja fast logisch. Bin schließlich selber eine. *g*
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: canis lupus niger am 10. April 2014, 20:27:39
Eine der fanzinierendsten weiblichen Romanfiguren war für mich immer Modesty Blaise aus dieser 70er-Jahre Action-Reihe. Keine Ahnung, ob die außer mir noch jemand kennt. Sie war sehr schön, liebenswürdig und gebildet, schlief mit den Männern, die ihr gefielen, aber nicht mit ihrem besten Freund und Arbeitspartner, war eine sehr gute Spionin, Strategin und Nahkämpferin. Nach einer harten (Waisen-)Kindheit im Orient, vermutlich auch mit mehrfachen Vergewaltigungen, baute sie nach und nach ein eigenes kriminelles Netz auf. Später gab sie die Kriminalität aber auf und arbeitete eher als eine Art Privatagentin, z.T. auch für den britischen Geheimdienst. Als Teenager fand ich sie einfach klasse, und als ich neulich ein Buch von ihr auf dem Flohmarkt entdeckt hatte, musste ich direkt zuschlagen. Von dieser Gestalt können sich viele heutige Romanheldinnen, finde ich, eine Scheibe abschneiden.

Und auch ich bin der Meinung: Eine starke Figur muss nicht immer ein tougher Held sein. Der Zauberer Rincewind ist nach allgemeiner Meinung (seine eigene ist davon nicht ausgenommen!) ein Feigling und Versager. Und trotzdem spielt er in vielen Scheibenweltromanen die anderen Charaktere an die Wand. Natürlich ist er trotzdem der Hauptcharakter dieser Geschichten, aber eben kein Siegertyp. Er bekommt nie das, was er will, und er rechnet auch nicht damit.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: heroine am 10. April 2014, 21:54:40
Klar Modesty Blaise, wer kennt sie nicht. Ich hab die Bücher verschlungen.

Also zur eigentlichen Frage. Stärke ergibt sich für mich meistens aus Selbstbewusstsein und Selbstwert. Seinen Platz in der Welt gefunden haben und dazu stehen. Das kann genauso die Frau sein, die alle Klischees erfüllt (in ihrer Welt, sei es die Amazone, die ganz ihrer Kultur eben kämpft, sei es die Hausfrau und Mutter, die in einer patriarchalen Gesellschaft lebt) als auch die Frau, die sich bewusst einen Weg gegen ihre Kultur gesucht hat (die Atheistin in einer religiösen Welt oder die Femme Fatale in einer eher moralischen Welt). Wichtig ist ein in sich stimmiges Bild der Persönlichkeit. (Also es geht in die Richtung, die Dämmerungshexe auch schon angesprochen hat.)

Einer Frau eine Waffe in die Hand zu drücken, macht sie nicht automatisch zu einer starken Person, vor allem wenn sie damit nur bemüht ist den Erwartungen von Eltern, Freunden, Ausbildern oder Gesellschaft gerecht zu werden. Wobei hier auch immer eine Balance gefunden werden muss. Nur weil jemand weiß wer er ist und welchen "Platz" er in der Welt hat oder anstrebt, bedeutet das noch lange nicht, dass die Person nicht anderweitige Schwächen und Komplexe hat. Genauso wenig wie jemand der von außen getrieben wird, sich nicht auch über ein paar Eigenheiten sicher sein kann.

Moral, Güte, Mitgefühl und dergleichen machen für mich auch nicht die Stärke eines Charakters aus. Es gibt auch starke Charaktere, die frei davon sind. Die neigen dann natürlich zum Fanatismus und zur Ignoranz, aber das ist nicht weiter schlimm, es gehört zu ihrem Profil.

Anders als Grey kann ich mir aber auch Passivität mit Stärke in Einklang bringen, wenn ich mir z.B. einen buddhistischen Mönch / eine buddhistische Nonne anschaue. Genauso wenig glaube ich, dass starke Personen immer gegen den Strom gehen müssen und Rebellion ihr vorgefertigter Weg ist. Es hängt eben immer davon ab wie ein Charakter sich einfügt oder wie er rebelliert.

Schwäche ist demnach für mich getrieben, manipuliert und im Ungleichgewicht sein. Das getrieben mag sich jetzt möglicherweise mit dem Fanatismus überschneiden, aber genau das ist ja auch der Punkt, dass es keine rein Starke und keine reinen Schwächlinge gibt. Charaktere, die nicht selbst entscheiden, die nicht eigenständig denken oder immer nur protestieren und widersprechen wollen. Schwache Charaktere gehören dazu und ich finde es auch sehr wichtig, das menschliche an ihnen zu vermitteln. Es geht bei ihnen nicht darum einen Deppen zu haben, der immer alles falsch macht, jemanden den der Held beschützen soll und muss oder um irgendwelche Katastrophen von ihm auslösen zu lassen, damit der Plot voran kommt. Schwache Charaktere bringen tiefe in das Zusammenspiel der Persönlichkeiten. Wie reagiert der Starke auf ihn? Verursacht er etwas beim Schwächeren (vielleicht sogar nur zeitweilig)? Das sind beispielsweise sehr interessante Fragen für mich.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Issun am 14. April 2014, 17:13:24
Die Trennlinie zwischen "schwach" und "stark" ist für mich sehr unscharf. Eine Figur mit sehr starkem und selbstbewusstem Auftreten kann ja auch gravierende Schwächen haben, etwa Selbsthass, Ängste, Süchte und vieles mehr. Umgekehrt ruhen manche Figuren, die sehr zurückhaltend wirken, vielleicht mehr in sich selbst als man ihnen zutrauen würde.

Ich habe oft gelesen, und bis zu einem gewissen Grad entspricht es meiner eigenen Überzeugung, dass Protagonisten in den Belangen, die ihnen wichtig sind, selbst aktiv werden müssen, um sich als Protagonisten zu qualifizieren. Diese erhöhte Aktivität trägt für mich auch dazu bei, eine Figur stark wirken zu lassen, weil sie Dinge nicht einfach mit sich geschehen lässt, sondern sich wehrt oder Einfluss auf die Geschehnisse zu gewinnen versucht. Das hängt auch mit Selbstbestimmung zusammen, denn wenn der Protagonist alles vorgeschrieben bekommt, steht es wieder nicht besonders gut um seine Rolle als aktiv handelnder Protagonist.

Stärke liegt für mich auch darin, sich von Fehlern, Misserfolgen und Hindernissen nicht so sehr einschüchtern zu lassen, dass man lieber gar nicht mehr handelt. Auch eine starke Figur kann verzweifeln, während sie auf ein Ziel zuarbeitet, aber das Entscheidende ist, dass sie trotz allem darauf hinarbeitet.

Ich finde es leichter, bei Figuren Stärke zu entdecken als wirkliche Schwäche, weil ich mir gar nicht sicher bin, woran die sich festmachen lässt, und ob eine Figur, die oben genannte Merkmale nicht besitzt, automatisch eine schwache Figur ist. Ich kenne auch Protagonisten, die am Ende aufgeben - deswegen wirken diese Figuren auf mich während des Lesens noch lange nicht schwach. Und selbstbestimmt ist keiner zur Gänze, alle Figuren werden mal gezwungen sein, etwas zu tun, durch äußere Umstände oder andere Figuren. Ein Charakter, der von anderen herumkommandiert wird, kann auch interessant sein. Vielleicht tut er es aus Ehr- oder Pflichtgefühl? Vielleicht muss er sich selbst und andere schützen?

Außerdem sollte man nicht unterschätzen, wie einflussreich Figuren sein können, die auf den ersten Blick schwach wirken. Es wäre doch denkbar, dass eine Figur ihre Schwäche, welcher Art sie auch immer ist, betont, um andere an sich zu binden oder dem eigenen Willen zu unterwerfen? Die Figur besäße dann eine Stärke eigener Art und wäre außerdem in moralischer Hinsicht fragwürdig, was sie zu einem interessanten Element in der Geschichte machen könnte. Aber das ist wieder Geschmackssache.

Bei meinen eigenen Figuren fällt mir die Trennung nicht leicht. Ich habe einen Protagonisten, der stark wirken soll. Deshalb ist er es aber noch lange nicht, zumindest nicht vollkommen. Seine Abhängigkeiten und Ängste bestimmen die Geschichte genauso wie seine Fähigkeiten. Ich finde es ja ziemlich faszinierend, Figuren mit ihren Schwächen kämpfen zu lassen und zu sehen, ob sie am Ende gewinnen oder verlieren. Aber eine eindeutige Zuteilung, ob ein Charakter schwach oder stark ist, ist bei mir selten möglich.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Guddy am 14. April 2014, 20:09:08
Zitat von: Issun am 14. April 2014, 17:13:24


Ich habe oft gelesen, und bis zu einem gewissen Grad entspricht es meiner eigenen Überzeugung, dass Protagonisten in den Belangen, die ihnen wichtig sind, selbst aktiv werden müssen, um sich als Protagonisten zu qualifizieren. Diese erhöhte Aktivität trägt für mich auch dazu bei, eine Figur stark wirken zu lassen, weil sie Dinge nicht einfach mit sich geschehen lässt, sondern sich wehrt oder Einfluss auf die Geschehnisse zu gewinnen versucht. Das hängt auch mit Selbstbestimmung zusammen, denn wenn der Protagonist alles vorgeschrieben bekommt, steht es wieder nicht besonders gut um seine Rolle als aktiv handelnder Protagonist.

Ja, das ist etwas, das ich beim Plotten wirklich gemerkt haben. Mein Charakter war zu fremdbestimmt, was so nicht zu der Stärke, die er mEn besitzt und seinem "Status" als Protagonist passt. Es war mir wirklich ein massiver Dorn im Auge. Ich hoffe nur, dass das zur allseitigen Zufriedenheit wieder zurecht geplottet werden kann!

Prinzipiell finde ich schwache Figuren aber nicht schlecht und es gibt auch durchaus Figuren, die trotz starker Momente schwach bleiben. Einer meiner Lieblingsprotas ist ziemlich schwach, ich liebe sie ;D
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: AlpakaAlex am 30. August 2021, 18:04:01
Das ganze erinnert mich an einen Essay, den ich vor nun über zwei Jahren mal für meinen Weblog geschrieben habe: Starke Frauen bringen uns auch nicht weiter (http://alpakawolken.de/starke-frauen-bringen-uns-auch-nicht-weiter/). Der geht ein wenig auf die Problematik mit den starken Frauen ein, die halt immer wieder vorkommt. Es wird halt immer eine Art von weiblichen Charakter, die gerne als stark verkauft wird. Und das sind eben diese übermäßig selbstbewussten Frauen, die komplett unabhängig sind und natürlich ordentlich draufhauen können. Außerdem weibliche Charaktere, die halt sehr viele männliche Eigenschaften zeigen, was ein Problem ist.

Zugegebenermaßen: Ich mag weibliche Charaktere, die badass sind und ordentlich zuhauen können. Ich mag auch muskulöse und kurzhaarige Frauen. Das finde das einfach sehr ansprechend und würde gerne mehr Charaktere der Art sehen. Allerdings heißt das nicht, dass diese Figuren auch all das andere sein müssen.

Das größte Problem mit Starken Frauen™ ist ja auch, dass sie gerne Nicht wie die anderen Frauen sind. Das ist eben ein Problem, weil es zum einen diesen mystischen Monolith der "anderen Frauen" aufbaut, zum anderen, weil eben diese "anderen Frauen" abgewertet werden. Anders gesagt: Weiblichkeit wird damit abgewertet. Und das ist eben problematisch.

In meinen Augen sollten alle starken Charaktere sowohl Eigenschaften haben, die in unserer binären, cisnormativen Gesellschaft als "weiblich" gelesen werden, als auch eben Eigenschaften, die als "männlich" gelesen werden. Das sollte einfach bei Figuren dazu gehören und auch dazu gehören, eine abgerundete Figur zu schaffen.

Übrigens finde ich es auch sehr stark, Schwäche zu zeigen. In meiner Webserie Mosaik ist es letzten Endes die Hauptentwicklung der Protagonistin, dass sie lernt sich Schwäche einzugestehen und Hilfe von anderen anzunehmen. Das ist eben auch ein Aspekt, der zur Stärke gehört, finde ich.
Titel: Re: Starke/schwache Figuren
Beitrag von: Exlibris am 30. August 2021, 18:58:49
Ja! Ich liebe dieses Thema! ;D *räuspert sich*

Zitat von: AlpakaAlex am 30. August 2021, 18:04:01

Übrigens finde ich es auch sehr stark, Schwäche zu zeigen. In meiner Webserie Mosaik ist es letzten Endes die Hauptentwicklung der Protagonistin, dass sie lernt sich Schwäche einzugestehen und Hilfe von anderen anzunehmen. Das ist eben auch ein Aspekt, der zur Stärke gehört, finde ich.

"Stärke" bedingt Schwäche. Wenn eine Hauptfigur in der Exposition "schwach" ist, fühlt es sich für die Rezipienten umso zufriedenstellender an, wenn er/sie am Ende nach der Entwicklung zu wahrer "Stärke" gefunden hat. Ein Charakter muss aber IRGENDWANN in der Geschichte "schwach" sein und das ist am Anfang deutlich besser als am Ende (zumindest, wenn man den Charakter eigentlich als "stark" etabliert haben will).

Das erinnert mich an eine Passage aus den "Bekenntnissen" des Augustinus. Unser Lieblingskirchenvater beklagt darin, dass die Wandlung eines einst sündigen Menschen zu einem vorbildlichen Individuum im Betrachter mehr Zufriedenheit und Bewunderung hervorruft als wenn jemand immer schon vorbildlich war. Kennen wir das nicht auch aus Liebesromanen? Der nette Kindheitsfreund ist in der Regel nie der Interessante, es ist immer der Badboy, der sich im Verlauf der Handlung zu einem romantischen Geliebten entwickelt.

Unterm Strich heißt das: Will man einen Aspekt eines Charakters unterstreichen, muss man diesen Aspekt als etwas hart Erkämpftes darstellen, dass sich erst nach einer Heldenreise entwickelte. Dazu gehört auch "Stärke".

@AlpakaAlex Eine Webserie? Wie, wo, was? :o