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Wie überwindet man eine Panikattacke?

Begonnen von Azora, 20. November 2020, 08:45:28

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Klecks

Ich kann da nur von einer einzigen Erfahrung berichten, der ersten und einzigen "echten" Panikattacke meines Lebens vor ein paar Wochen. Es war viel schlimmer, als ich mir Panikattacken immer vorgestellt hatte, und auch viel schwerer, da wieder rauszukommen, und unerwarteterweise habe ich manchmal immer noch diesbezüglich Angstzustände, wenn auch keine "Folge"-Panikattacken.

Die Situation: Mein Mann, meine Tochter und ich waren auf einer Fähre auf hoher See, unterwegs von Norddänemark über den rauen Nordatlantik bis nach Ostisland.

Abends wurde per Durchsage für den Morgen etwas raueres Wetter angekündigt. Bis dahin war die See sehr ruhig und es gab kaum Geschaukel. Mitten in der Nacht, so gegen 4 Uhr, wache ich dann urlötzlich auf, aus dem tiefsten Tiefschlaf gerissen, und das Schiff wird von den 4 Meter hohen Wellen hin und her geworfen, die Motoren dröhnen bei voller Leistungsstärke, der Wind heult wie ein Monster, Regen und Gischt knallen ohrenbetäubend laut gegen das Fenster, und ich bin sofort in einen Schockzustand gerutscht. Ich war mir zu einhundert Prozent sicher, dass mein Mann, mein Baby und ich diese Nacht nicht überleben werden, und nicht auf eine irrationale "Oh Gott wie furchtbar ich schaff das nicht ich werde sterben!"-Weise, sondern bis in mein tiefstes Inneres hinein war ich mir sicher, dass das nicht überlebbar ist.

Nach diesem Gedanken kamen die Symptome. Mir wurde sehr kalt, ich wurde kaltschweißig und mein Gesicht hat sich zunehmend taub angefühlt, bis ich es irgendwann gar nicht mehr gespürt habe. Ich habe so schnell und flach geatmet, dass mir schwindelig wurde und es am Rand meines Blickfelds schwarz wurde. Der untere Teil meines Körpers hat unkontrolliert gezittert, aber nicht so ein bisschen, sondern fast wie bei einem Krampfanfall, mit richtigen kleinen Ausschlägen. Der obere Teil war verkrampft erstarrt und hat sich gar nicht bewegt. Vor meinem inneren Auge habe ich uns alle ins eiskalte Wasser stürzen und titanic-like erfrieren sehen.

Meine Tochter liebte das Schaukeln, die hat zum Glück tief und fest weitergeschlafen und die Schifffahrt sowieso total genossen. Es hat dann eine Weile gedauert, bis ich wahrgenommen habe, wie mein Mann mich zu beruhigen versucht. Geholfen hat nur, mich mit seiner Hilfe dazu zu zwingen, ruhig und tief zu atmen, so lange, bis das Atmen wieder normal ging, und dann wurden auch die übrigen Symptome wieder besser. Geschlafen habe ich in dieser Nacht nicht mehr. Ab dem nächsten Morgen war ich spannenderweise dauerhaft/durchgehend schlimm seekrank.

Nachwirkungen hat die Episode für mich bis heute. Wenn es stürmt oder auch nur sehr kräftig regnet, und vor allem Ersteres kommt hier auf Island häufiger mal vor, stehe ich innerlich extrem unter Stress und weiß zuerst gar nicht, wieso, bis mir auffällt, dass es den Klängen auf dem Schiff ähnelt und ich mich schlicht und ergreifend in die Paniksituation zurückversetzt fühle. Früher habe ich es geliebt, mir das Meer und auch Schiffe anzuschauen, aber das ist Geschichte. Ich wohne jetzt den dritten Monat in einer Wohnung mit fantastischem Meerblick, und erst in letzter Zeit habe ich geschafft, es ohne Angstgefühle anzuschauen, während mir beim Anblick von Schiffen im hübschen Reykjavíker Hafen immer noch mulmig wird.

Kurz gesagt: Es ist schlimmer, als man denkt.  ;D

Sanjani

Ohje @Klecks, du arme. Das klingt echt schlimm und nach einer richtig traumatischen Situation, zumal du ja in diesem Moment davon ausgegangen bist, dass dein Leben zu Ende geht.

Ich findÄs eigentlich ganz gut, dass du das jetzt so erzählt hast, weil ich mich gefragt habe, ob bei @Azora Trauma auch eine Rolle spielt. Sie schreibt ja, der Bruder ist ertrunken. Wenn das etwas Traumatisches ist, was eine posttraumatische Störung ausgelöst hat, können die Symptome ähnlich sein wie bei einer "einfachen" Panikattacke. Um so etwas zu entwickeln, kann es auch ausreichend sein, Zeuge davon gewesen zu sein oder von einer nahestehenden Person, der es passiert ist, erfahren zu haben.

Die Lösungsansätze wären aber trotzdem dieselben: Vermeidung aufgeben, sich konfrontieren, sich in der Gegenwart verankern, bei Trauma ggf. noch diskriminieren - ich bin in einer anderen Situation als mein Bruder, ich bin erwachsen und kann das Wasseratmen, ich bin in einem Gewässer, das nicht perse gefährlich ist oder oder oder...

Was ein Unterschied sein kann, sind die Bewertungen der Situation. Jemand mit einer Panikstörung sagt vielleicht: Ich habe Angst, an einem Herzinfarkt zu sterben, weil das Herzrasen als ein gefährliches Symptom fehlinterpretiert wird, und er weiß vielleicht auch irgendwann, dass das irrational ist. Beim Trauma taucht die Überzeugung "Ich werde jetzt sterben" in einer dem Trauma ähnlichen Situation auf, weil die Erinnerung von damals so aufgerufen wird, als ob es gerade jetzt wieder passieren würde.

Für deine Figur könnte es einfacher sein, wenn sie "nur" Panikattacken hat, von denen sie vielleicht sogar schon weiß, dass die Angst eigentlich unbegründet ist. Aber tatsächlich habe ich schon mit Patienten erlebt, dass der Unterschied unglaublich subtil sein kann. Da erlebt dann jemand eine Panikattacke, und erst wenn man sehr genau nachfragt, findet man raus, dass der Auslöser doch ein Reiz war, der irgendwas mit dem erlebten Trauma zu tun hatte. Also vielleicht machst du es ihr nicht ganz so schwer, wenn du nicht musst ;)

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Mera

Well, bei mir ist es Agoraphobie. Ich kann nicht allein das Haus verlassen.
Meine letzte Panikattacke ist glücklicherweise schon eine Weile her, aber ich weiß noch genau, wie es sich anfühlt ... weswegen ich halt nicht rausgehe.

Bei fortgeschrittenen Formen der Angststörung ist alleine der Gedanke an die Situation unerträglich.
Wie andere es schon beschrieben haben, geht der Atem flacher, man bekommt weniger Luft; Schwindel setzt ein. Die Brust ist wie zugeschnürt, alles dreht sich. Die Haut kribbelt entweder eigenartig, oder es ist ein Gefühl von absoluter Leere vorhanden. Es kann auch ein Realtiätsverlust stattfinden. Intrusionen, also Flashbacks des voran gegangen Traumas.
Das einzige was (bei mir) in dem Moment hilft, ist Atmen. Und zwar richtiges Atmen. In einer Therapie lernt man diesen Skill und muss den früher oder später auch in der Situation anwenden. Allerdings braucht das sehr viel Übung und so verdammt viel Kraft ...

Wenn deine Prota  Angst davor hat, weil ihr Bruder ertrunken ist gibt es für mich zwei Möglichkeiten:
1. sie schafft es nicht. Ihre Panikattacke übermannt sie. Die Flashbacks, Gerüche etc. wird alles zu viel.
2. der Gedanke an den Bruder kehrt zurück und sie will diesem Leben das gleiche Schicksal ersparen. Sie springt rein und versetzt sich in einen Tunnelblick. Im nachhinein, wenn sie wieder auf dem Trockenen sind, würde sie zsm brechen.

Wobei ich einmal kurz noch was einwerfen möchte. Leute die dabei sind, zu ertrinken, denken nicht. Sie strampeln und versuchen alles mögliche, wieder Luft zu bekommen. Dabei können sie auch ihren Helfer mit unter Wasser ziehen und diesen als Stütze benutzen wollen, um wieder hoch zu kommen.
... das war zumindest bei mir damals der Fall. Mein Retter hat mich danach ziemlich angeschnauzt, ich konnte mich allerdings nicht daran erinnern.

Der Geist ist etwas sehr Mächtiges. Er gibt uns Kraft oder sperrt uns ein. Mit genug Willensstärke und Übung, kann man auch eine Panikattacke gänzlich verhindern.

Und über PtBS kann ich auch erzählen. Nicht jeder bekommt sowas. Häufig hört man es in Zusammenhang mit Soldaten, aber sie haben diese nette kleine Störung nicht gepachtet. Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist, wie der Name aussagt, eine nach einer Verletzung (Trauma) auftretende Reaktionsstörung. Iwo letztens in einem Flyer hab ich gelesen, dass in Fachkreisen auch nicht mehr Störung gesagt wird sondern iwas anderes, aber ich erinnere mich gerade nicht.
Die PtBS kann auftreten, nachdem man das Gefühl hatte, dass eigene Leben wäre in Gefahr. Dabei geht es nicht darum, ob es real in Gefahr war, sondern um das eigene Empfinden.
Deswegen ist eine PtBS meist auch nicht objektiv zu bewerten.

Diese Themen sind allerdings enorm schwerer Tobak und wenn du darüber schreibst, würde ich (ganz persönlich) eine Triggerwarnung anbringen.
Was in vorbelasteten Köpfen vor sich geht, kann niemand wissen.
Wenn ich eine Geschichte lese, die ganz explizit einen Ertrinkungsvrogang beschreibt, würde ich nicht weiter lesen können und der Tag wäre gelaufen. Wahrscheinlich auch die Nacht.
Mit einer Warnung, dass soetwas vorkommt, kann ich mich entscheiden die Geschichte zu lesen und danach Ausschau zu halten, um die Szene zu überspringen, oder sie ganz weglassen.
Wobei die Diskussion wo und wie Warnungen anzubringen sind und für welche Gebiete, deine Frage enorm vom Kurs ablenken würde.  :rofl:

EDIT: Es heißt Psychoreaktive Störung. Hab eben im Befund nachgesehen  :P
Wenn alles einfach wäre ...

Felix Fabulus

Vielen Dank an alle für diese persönlichen Schilderungen. Als einer, der auch mehrere Jahre mit Panik zu kämpfen hatte, ist es für mich erhellend, wie unterschiedlich sich solche Attacken manifestieren können und dass es auch unterschiedliche Rezepte zu ihrer Bekämpfung gibt. Es hat für mich vor allem meine eigenen Erfahrungen relativiert. Nachdem was ihr hier schreibt, käme es mir falsch vor, hier mit meiner eigenen Geschichte zu kommen. Deshalb nur ein Wort dazu, was mir geholfen hat, meine Panik zu kurieren: das Wissen, dass die Attacke (bei mir) nach spätestens 20 Minuten vorüber sein würde.
Wortwebereien aus der Geschichtenmühle, gespeist vom Ideensee, der Fantasie und dem Bächlein Irrsinn.

Anj

Noch ein Einwurf zum Thema überwinden von Ängsten und Panik. Meine Erfahrung (und die von einigen weiteren Betroffenen) mit Ängsten und Angstattacken ist, dass ich sie durch stetige Konfrontation und Desensibilisierung durchaus kontrollierbar machen kann und es sogar so scheint, als sei sie überwunden (hier meist mit einem sehr positiven Reiz wie einem Hobby, (z.B. regelmäßiges Klettern bei Höhenangst und ähnliches). Wenn ich dann aber damit aufhöre, mich wiederholt in die entsprechenden Situationen zu begeben, kommt sie sehr oft wieder. Und zwar beim ersten Mal für die meisten völlig überraschend, weil sie sie für überwunden gehalten haben.
Vielleicht erklärt das, warum es diese Geschichten über überwundene Ängste gibt. (Wobei es in der Traumaforschung auch Hinweise darauf gibt, dass zumindest Traumatisierungen durch bestimmte Techniken und Therapieformen tatsächlich aufgelöst werden können und dann scheinbar auch nicht wieder kommen. Wobei es hier noch die Ergebnisse der Langzeitstudien abzuwarten gilt.)
Und die Frage ist vielleicht auch, wie stark die Reaktionsmuster und Trigger durch relativierende Erfahrungen "überschrieben" werden. Und woher dieses Angstmuster resultiert, bzw. was alles noch mit angetriggert wird, wenn es sich eher um Angst, als um echte Panik handelt. Ich habe ein Angstmuster tatsächlich nur für eine begrenzte Zeit gehabt, heute taucht es nicht mehr auf. Wann es endgültig verschwunden ist, kann ich gar nicht sagen. Und vielleicht bin ich bloß gerade frei davon, weil ich mich mindestens wöchentlich in die entsprechende Situation begebe. (Wobei ich das aber nicht wirklich glaube, weil ich inzwischen seit über 10 Jahren frei davon bin und es auch nach langen Pausen in dieser Zeit nicht wieder auftrat.)

Was mir in Angstzuständen auch hilft, ist eine krasse Umfokussierung auf das was ich sehe oder höre gepaart mit dem Wissen, dass die Symptome nicht bedrohlich sind und ich sie "vergesse", wenn ich die Umfokussierung hinkriege.
Atemtechniken helfen bei mir nur in bestimmten Fällen, die Umfokussierung kann die Schleife aber sehr früh und effektiv brechen, wenn ich Symptome merke. Bei echter Panik kann das ein weiteres Element neben dem Atem sein. Beim Atem an sich darf man aber eben auch nicht vergessen, dass es einen direkten Einfluss auf den Herschlag hat und damit in zweifacher Weise einwirkt. Durch den Fokus der Aufmerksamkeit und den Einfluss auf den Herzschlag.

Bei mir scheint es im Übrigen so zu sein, dass in wirklich ernsten Situationen meine Ängste eher nicht aktiv werden, sondern immer nur dann, wenn die Situation eigentlich (noch) gar nicht gefährlich ist. Das scheint aber schon immer ein Muster von mir gewesen zu sein: Hysterie und Dramatik wenn es ungefährlich war, absolute Ruhe, wenn es ernst war.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.