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[Kampfsport] Kampfsport für Erblindete

Begonnen von Wolkentänzerin, 22. Oktober 2016, 18:33:56

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Ahneun

Zitat von: Wolkentänzerin am 22. Oktober 2016, 18:33:56
Hallo ihr Lieben :)
Der Kampfsport sollte nicht nur zu Verteidigung, sondern auch zum Angriff geeignet sein. Die Schüler lernen es, um in Konflikten neben Waffen noch eine weitere Kampfmethode zu haben.
LG Wolkentänzerin

Hi Simara, *verbeug mich*
Kannst Du Dir vorstellen, mit verbundenen Augen (blind) einen Angriff zu führen? Hast Du mit verbundenen Augen Jemanden angegriffen, ohne Dich zu verteidigen? (im Training natürlich) Ich kann mir vorstellen, dass bei einem Angriff mehr Koordination erforderlich ist, als bei einer Verteidigung. Ich weiß nicht, wie man blind, Angriffszenen üben und letztendlich durchführen kann.
LG

PS: Nin-Jutsu kannte ich bis jetzt auch noch nicht.
Hab´s gegooglt, nun weiß ich Bescheid.  ;D
- Ein Diamant
ist

Simara

Zitat von: A9 am 04. Februar 2017, 23:06:19
Kannst Du Dir vorstellen, mit verbundenen Augen (blind) einen Angriff zu führen? Hast Du mit verbundenen Augen Jemanden angegriffen, ohne Dich zu verteidigen? (im Training natürlich) Ich kann mir vorstellen, dass bei einem Angriff mehr Koordination erforderlich ist, als bei einer Verteidigung. Ich weiß nicht, wie man blind, Angriffszenen üben und letztendlich durchführen kann.

Ich würde sagen, angreifen ist blind deutlich einfacher als verteidigen. Das schöne an Angriffen ist, dass sie, egal wie man sie für die gegebene Situation umwandeln, immer auf bestimmte Grundbewegungen/ Techniken zurück gehen, die man in und auswendig kennen sollte. Wenn man also erstmal (dank Gehör und ein wenig Gefühl) korrekt einschätzen kann, wo der Gegner ist, kann man deshalb auch überraschend präzise treffen. Verteidigen finde ich deshalb schwerer: Man weiß zwar, wo der Gegner ist, muss aber vorhersagen können, wohin er zielt und wie er sich weiter bewegt. Und wenn man sich verschätzt, kann man auch schon einmal direkt in die ausgestreckte Faust hinein "ausweichen".  ::) Das Wichtigste am Training ohne Augen, würde ich mit meiner Halbbildung mal vermuten, ist wahrscheinlich das Gehör und die Reflexe "ausgleichend" zu schulen. Und man muss einen klaren Kopf behalten können, Panik ist bekanntlich schlecht für die Konzentration. Gemeinhin gilt zudem, dass Training ob mit oder ohne Augen sich im Kern recht ähnlich ist: Machen, bis es klappt.  ;)

cryphos

#17
Ich bin nicht blind, habe aber Zivildienst an einer Blindenschule/Internat für Blinde und Mehrfachbehinderte geleistet.
Blind kämpfen ist möglich aber schwer. Gut machbar ist der Kampf mit Körperkontakt bzw. im Gerangel/Grabbling/Infight. Da fühlt man einfach, wo der Gegner ist. Ringen, Aikido, Judo eignen sich gut dafür sehr gut, (bzw. diese drei wurden an der Blindenschule unterrichtet).
Alles mit kurzen schnellen Schlägen und Tritten, Hebeln, Griffen, Würfen ist prinzipiell gut geeignet.

Schwerer ist der Angriff ohne Kontakt. Die Entfernungen Richtung einzuschätzen (ist der Gegner schon in Reichweite, oder brauche ich eine Ausfallschritt) ist schwer. Dazu braucht es mehr als etwas Übung (ich habe 10 Monate immer mal wieder mittrainiert und mir viel es nach 10 Monaten noch sehr schwer, bzw. ich hab es nicht geschafft).

Karate ist möglich aber extrem schwer. Ich muss nicht nur wissen wo der Gegner ist sondern auch abschätzen wie er sich positioniert, damit ich einen Schlag zielgerichtet ausführen kann. Ist mit sehr viel Erfahrung möglich. Ehemals Sehende haben hier deutliche Vorteile, weil ihr räumliches Denken wesentlich besser ausgeprägt ist. Oft nutzt man ungeziehlte Schlagtechniken um den Gegner zu finden. Also man schlägt/tritt in Richtung des Gegners und sobald man Widerstand spürt greift man zu und geht in den Infight. Hier sind Blinde extrem gut.

Fazit: Sobald der/die Blinde am GegnerIn ist, kann gut gekämpft werden. Alles ohne Kontakt zum Gegner gestaltet sich schwer.
Kampf mit Waffen wie dem Bo, Schwert oder ähnlichem ist theoretisch möglich, wurde an der Blindenschule aber nicht praktiziert.
Ich habe Blinde geärgert, indem ich mich hinhockte und den Schlag über meinen Kopf hinweg abwartete bevor ich angriff. Netter Vorteil, denkt man. Das machte ich aber nur ein paar mal, dann bekam ich die Tritte ab.

Sanjani

Hallo Wolkentänzerin,

nachdem du mich ja nicht angefragt hast, das Thema aber noch aktuell zu sein scheint, erzähle ich dir mal ein bisschen was aus meiner Erfahrung, wobei ich versuche, mich kurz zu halten und nichts unnötig zu wiederholen.

Ich habe Erfahrungen mit Judo, Wing Chun und Brasilianisch Ju-Jitsu.
Alle drei Kampfkünste sind für blinde Menschen sehr gut geeignet und nebenbei auch gut kombinierbar. V. a. das BJJ und das Wing Chun machen mehr im Bereich Selbstverteidigung. Letzteres ist nur hierfür konzipiert worden und eignet sich dafür sehr gut.

Daneben habe ich letztes Jahr an einem Sommercamp meiner Kampfsportschule teil genommen, wodurch ich die Gelegenheit hatte, auch ins Kickboxen und Muay Thai hineinzuschnuppern. Alle Sportarten, die auf Distanz arbeiten und ohne Kontakt sind aus meiner Sicht wenig geeignet für eine auch späterblindete Person. Natürlich gibt es einzelne Leute, die so etwas können, aber man muss sich als Autor auch immer die Frage stellen, welches Bild man von der behinderten Person zeichnen möchte. 90% der Informationen über Menschen mit Behinderung erhalten wir aus den Medien, und wir betroffenen sind dann immer diejenigen, die es ausbaden müssen, wenn andere eine völlig falsche Vorstellung von dem bekommen, was man können sollte und was nicht. Kampfsportüberflieger also bitte eher nicht.

Einen Angriff würde ich nur dann wagen, wenn ich wüsste, dass ich die Situation bis zum Schluss im Griff habe. Für eine blinde Person ist es wichtig, in Kontakt zu kommen und dann auch zu bleiben. Es nützt mir nichts, wenn ich z. B. dem anderen einen saftigen Tritt verpasse, aber danach nicht mehr weiß, wo er sich befindet. Bitte denkt auch daran, dass das Gehör ausfällt, sobald man z. B. in lauter Umgebung ist, wo viele Leute sind - Stichwort Publikum, vorbeifahrender Zug etc. Hier kann man sich nur aufs Gefühl verlassen und das ist in der Tat sehr gut, wenn man sehr viel trainiert. Unser Wing Chun Grüngurt war z. B. obwohl sehend mit verbundenen Augen sehr sehr gut, weil er einfach anhand der Körperspannung bzw. anhand der Armstellung oder was auch immer er gerade unter den Fingern hatte, spürte, wie der andere steht und daraus ableiten konnte, was der wann höchstwahrscheinlich tun würde. Das war sehr beeindruckend.

BJJ in Kombination mit Judo finde ich für mich im Moment total gut, Ich kann meine alten Sachen aus dem Judo noch anwenden und lerne gleichzeitig, wie ich mich verteidigen kann, z. B. wenn ein Kerl mich am Boden hat um mich zu vergewaltigen. Ich lerne auch, wie ich z. B. jemanden erwürgen kann. Im Wing Chun lerne ich, wie ich jemandem das Genick brechen kann usw. Also man kann sich mit so was schon gut schützen. Und v. a. das Wing Chun sagt ja im Endeffekt, wenn mich einer angreift, muss ich in der Lage sein, den unschädlich zu machen. Ich würde als blinde auch z. B. nie das Risiko eingehen, jemanden zu Boden zu ringen und dann wegzugehen, weil ich ja nie im Leben so schnell weglaufen könnte und auch nicht sehen würde, ob der andere wieder aufsteht. Ich würde ihn also zu Boden bringen, mich so auf ihn draufsetzen, dass ich die maximale Kontrolle habe, und dann Hilfe holen. Wing Chun ist gut geeignet, wenn man sich gegen mehrere Gegner behaupten muss. Das dürfte für eine blinde Person aber schon extrem schwer sein, glaube ich.

Ich bin natürlich nicht das Maß aller Dinge und beende damit meinen Senf an dieser Stelle, aber wie gesagt sollte man immer im Hinterkopf behalten, welches Bild man von dem Protagonisten zeichnen möchte.

VG Sanjani

Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Imperius

Zufällig läuft mir Sanjanis Erfahrungsbericht über den Weg. Jede Erblindete, die Kampfsport betreibt, hat meinen größten Respekt. Ich bin kampfsporterfahren und kann insofern gut beurteilen, wie schwer es bereits mit Sehkraft ist, Angriffe ( durch Fäuste , Tritte ... ) auszuweichen oder diese zu blocken und dann auch noch zielgenau zu kontern ( wobei auch der Gegner Angriffe abwehrt, ausweicht ...).
Ich hätte spontan gesagt, Kampfsport für einen Erblindeten passt zwar in einen Fantasy - Roman, hat aber mit der Realität nichts zu tun. Aber man lernt ja immer dazu.
Verteidigung mit Körperkontakt gegen Festhalten usw , also Nahkampf, habe ich aber auch vorher schon  für realistisch gehalten.

Sanjani

Hallo Imperius,

nun, man liest ja auch immer mal wieder was von blinden Menschen, die Opfer eines Taschendiebs werden sollten und den aber dann am Ende am Boden hatten, weil sie eben Judo oder ähnliches trainiert hatten. Es ist also durchaus denkbar, dass man sich auch in der Realität verteidigen kann.

Ich wollte aber noch was zum Thema Training sagen: Mein Kampfsportlehrer sagt immer, man muss die Technik im Training zu 100% drauf bekommen, weil man in der Realität nie das Maximum an Leistung abrufen kann. Das heißt, wenn man 100% im Training schafft, schafft man in Echt vielleicht maximal 80%, und das muss dann eben reichen, um sich gegen einen Angreifer zur Wehr zu setzen. Wir machen es in der Kampfsportschule so, dass immer die älteren Schüler mit eingespannt werden, um den neueren z. B. Techniken noch mal zu erklären, die die noch nicht so gut können. Anfangs dachte ich, ohje, das kann ich ja nie. Mit der Zeit lernt man aber die Bewegungsabläufe so kennen, dass man schon spüren kann, wenn der andere was falsch macht. Aber ich denke, es ist sehr schwer, als Blinder andere zu trainieren. Erstens, weil du ja mit jedem Schüler mindestens einmal trainieren musst, damit du spürst, ob er es richtig macht. Und zweitens, weil du die feinen und wichtigen Details aus meiner Sicht nicht unbedingt sehen kannst, also du kannst nicht spüren, ob der andere es wirklich bis ins Detail richtig macht. Das glaube ich jedenfalls. Es dürfte also schwierig sein, anderen etwas beizubringen. Wobei ich es mir in Einzelstunden schon eher vorstellen könnte, also wenn man nur einen trainiert. Da hat man dann ja auch die Zeit, sich alles genau zeigen zu lassen, wie der andere es macht, und nachzufragen, ob er ein bestimmtes Detail richtig macht. Man weiß ja mit der Erfahrung, was Schüler oft bei bestimmten Techniken falsch machen, und kann dann präventiv sozusagen immer wieder checken, ob der Schüler daran denkt.

So viel noch mal von meiner Seite.

VG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Ahneun

Danke Sanjani! Es macht Lust sich bei der nächsten Gelegenheit mal wieder auf die Matte zu stellen - mit verbundenen Augen.
:knuddel:
- Ein Diamant
ist