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[Sozialwissenschaften] Erziehungsberechtigung und Jugendamt

Begonnen von Vic, 10. November 2014, 17:42:10

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Vic

Da ich mich damit sehr wenig auskenne und Google mir in meinem (doch sehr speziellen) Fall leider auch nicht weiterhilft, dachte ich, hier weiß vielleicht jemand mehr.  :)
Meine Geschichte spielt heutzutage in Deutschland, also aktuelle gesetzliche Regelungen und Gegebenheiten sollten gelten.

Ich habe nun folgende Situation: Zwei Brüder, die gemeinsam von zu Hause ausgezogen sind, als der Ältere schon volljährig und der Jüngere noch minderjährig war. Der Vater hatte immer das Sorgerecht auf dem Papier (die Mutter fällt weg - lange Geschichte) - aber de facto hat der ältere Bruder alles für sich und den Jüngeren gemanagt. Jetzt ist der Vater aber verschwunden und natürlich gibt es auch eine polizeiliche Ermittlung, d.h. offizielle Stellen sind involviert.
Folgendes Problem: Wie geht es weiter? Könnte der Ältere das Sorgerecht für den Jüngeren bekommen? (Er ist 23 und hat einen festen Job, falls das eine Rolle spielt.) Könnte der Jüngere sich idk "emanzipieren" lassen oder wie auch immer das heißt (er ist schon 17)? Oder könnte das Jugendamt in dem Fall Stress machen? Bzw würde das Sorgerecht in so einem Fall automatisch an das Jugendamt fallen?

Ich frage weil der jüngere Bruder plotbedingt zwischendurch verhört (und sogar verhaftet) werden soll und meines Wissens nach dürfen Minderjährigen nur in Anwesenheit eines Erziehungsberechtigter polizeilich verhört werden. Deswegen bin ich etwas unsicher, wie das in diesem speziellen Fall laufen würde... 

Fragen über Fragen. ;)
Wenn sich jemand auskennt, bitte melden.




Tigermöhre

Hallo Vic,

wenn du in der Wikipedia unter Vormundschaft nachkuckst, findest du da die Vorraussetzungen, die ein Vormund haben muss, wenn die Eltern verstorben sind.
Dort steht nur, dass der Vormund nicht Minderjährig oder über 60 Jahre sein darf.

Ansonsten ginge es wohl auch über eine Adotion. Laut Wikipedia dürfen Verwandte auch adoptieren, wenn sie das Mindestalter von 25 noch nicht erreicht haben. Wobei das wahrscheinlich bei einem fast volljährigem etwas übertrieben wäre.

yvilis

Hallo Vic,

nur von deinen Fakten ausgehend, liegt das Sorgerecht zuerst beim Jugendamt, sollte der Vater gar nicht mehr auffindbar sein.
Der ältere der beiden Brüder kann selbstverständlich die Vormundschaft/Sorgerecht beantragen. Das Jugendamt prüft dann, ob der ältere der beiden Brüder für den Jüngeren sorgen kann. Wie lange dieser "Bearbeitungsprozess" des Jugendamtes dauert, kann ich dir leider nicht sagen.
In manchen Fällen (glaube ich mal gelesen zu haben) kann das jüngere Geschwisterkind während dieses Prozesses auch bei dem älteren Bruder bleiben und muss nicht in ein Heim o. ä. ... Entscheidung liegt auch hier beim Jugendamt.

Wenn der "Kleine" verhört wird und der ältere Bruder noch nicht das Sorgerecht hat, wird hier das Jugendamt/ ein Betreuer mit zum Verhör bestellt.

Phea

Hallo Vic,

ich bin selber schon sehr früh von Zuhause ausgezogen, da war ich auch noch minderjährig (16 1/2). Was die Sache mit dem Sorgerecht betrifft kann ich dir sehr gut weiterhelfen, zumindest kann ich dir aufzeigen, wie das bei mir war:

Mit 16 wurde ich als Zeugin wegen einem Diebstahl verhört, meine Mutter war anwesend (sie hat das Sorgerecht für mich gehabt). Als ich ausgezogen war und einen kleinen Schwächeanfall hatte, kurz vor meinem 18. Geburtstag, musste meine Mutter ins Krankenhaus kommen und die Unterlagen entgegennehmen. Es geschieht also nichts ohne denjenigen, der das Sorgerecht hat. Ist aber der Vater verschwunden, so kann ein anderes Familienmitglied, welches ebenfalls das Sorgerecht (Oder einen Teil des Sorgerechtes) hat, das Elternteil "ersetzen". Bei mir hat das nie eine wirklich große Rolle gespielt, weil meine Mutter immer da war, aber bei meiner Operation mussten ja auch sowohl Vater als auch Mutter unterschreiben. Es war aber eine Not-OP, weswegen die Unterschrift von meinem Vater erst nachträglich eingeholt wurde.

Bei einer Polizeilichen Vernehmung sollte der Bruder also kein Problem sein, vorausgesetzt er hat entweder die Vormundschaft oder das Recht, für seinen Vater einzutreten. Da der Vater verschollen ist und die Mutter kein Sorgerecht hat, ist er das nächste Familienmitglied, was volljährig ist und daher sollte es keine Hindernisse geben.

Anj

#4
Hallo Vic,

ausgehend von meiner Erfahrung in der ambulanten Erziehungshilfe würde ich sagen, es wäre kein Poblem, dass die beiden zusammen wohnen.
Mit 17 können Jugendliche, die sozial-emotional stabil genug sind, relativ unproblematisch eine eigene Wohnung bekommen. Vorraussetzung ist dabei ein Schreiben vom Jugendamt, das erklärt, dass weiteres Wohnen bei den Eltern nicht mehr zumutbar ist. Dabei geht es aber um finanzielle HIlfen wie den Wohnberechtigungsschein, weniger um die rechtliche Seite der Sorgerechtsfrage.
Eine vorzeite Volljährigkeit gibt es inzwischen nicht mehr.
Sehr häufig gibt es bei Jugendlichen, die Unterstützung brauchen auch eine Hilfe "Betreutes Wohnen", bei der Sozialarbeiter regelmäßig vorbei kommen.
Dass die beiden zusammenwohnen wäre also gut denkbar, allerdings vermute ich, dass zumindest in der Anfangszeit eine Hilfe installiert wird. Entweder über das Jugendamt selbst, wenn es keinerlei Probleme in der Familie gibt, was in dem Setting aber eher unwahrscheinlich ist, sondern in Form eines extern beauftragten Dienstes. Bei uns sind das die evangelische Jugendhilfe, die Caritas oder die Diakonie, die das machen.
Bei einer Verhaftung wird in jedem Fall das Jugendamt informiert und auch die installierte Hilfe (die von Jugendlichen in der Regel (zumindest nach einiger Zeit) positiv erlebt wird. Ob der Junge verhört werden darf, ohne dass ein Erziehungsberechtigter dabei ist, weiß ich nicht, denn ab 14 gilt man ja hier als Strafmündig. Aber es ist möglich, dass es Unterschiede je nach Verdachtsmoment gibt.

Ansonsten würde ich mich auch über Vormundschaften informieren. wie genau es mit dem Sorgerecht geregelt würde, kann ich nicht sagen, da das nie Thema war, wenn Jugendliche ausgezogen sind. Zumal das Sorgerecht ja auch noch mal aufgeteilt ist in Dinge wie das Aufenthaltbestimmungsrecht und das die Gesundheitsfürsorge. Die können auch einzeln übertragen werden.

Hilft dir das erstmal weiter?

lg
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Tigermöhre

Mir fällt dazu noch was ein.
Meine Schwester ist mit 16 zu unserem Bruder und ein paar anderen Leuten in eine WG gezogen. Sie war dort gemeldet und hat sich um alles alleine gekümmert. Außerdem habe ich eine Freundin, die mit 17 in eine eigene Wohnung gezogen ist.
In beiden Fällen, wurde das Jugendamt nicht hinzugezogen. Solange die Eltern damit einverstanden sind, (Und soweit ich das verstehe, war der Vater ja noch da, als sie auszogen) bekommt man keine Hilfe vom Jungendamt. Erst, wenn man sich selber beim Jugendamt meldet, oder auffällig wird, gibt es die Hilfe.

Angela

Darf ein Jugendlicher tatsächlich nur in Anwesenheit eines Erziehungsberechtigten verhört werden?
Meine Söhne waren mehrfach als Zeugen und Täter allein bei der Polizei und sind dort zu Straftaten vernommen worden.
Tigermöhre, das klappt in der Praxis sehr gut, sofern niemand das Jugendamt darauf aufmerksam macht und dringender Handlungsbedarf besteht. Das Jugendamt ist froh, wenn sie nichts unternehmen müssen.

Vic

#7
Huhu,

danke für die vielen Antworten! :-)
Ja, ich hatte das auch so verstanden wie Tigermöhre berichtet, dass es gar kein Problem ist, so lange der Vater auf dem Papier alles absegnet und die beiden Jungs mit seinem Einverständnis zusammen woanders wohnen.
Jetzt ist er halt nur weg und da es eben eine polizeiliche Ermittlung gibt, sind natürlich auch Behörden involviert....
Aber wenn ich alles richtig verstanden habe, lautet der Konsens wohl, dass der ältere Bruder als nächster (volljähriger) Verwandter sich um eine Vormundschaft bemühen könnte und die vermutlich auch kriegen würde?

@Angela: Also 100% sicher bin ich nicht (bin kein Anwalt oder so), aber ich bilde mir ein, dass man Minderjährige nicht ohne die Erziehungsberechtigten verhören darf. Das soll nicht heißen, dass es nicht vorkommt, auch unsere Polizei verhält sich ja nicht immer korrekt...
Als Zeuge - okay. Aber als Verdächtiger fände ich es doch sehr obskur und auch nicht richtig, wenn man Minderjährige ohne Erziehunhsberechtigten verhören dürfte... Die könnten sich ja um Kopf und Kragen reden? Und gerade sehr junge Leute kann man doch auch leicht in die Ecke treiben oder ihnen irgendwas erzählen weswegeb sie sich zu nem Geständnis getrieben fühlen. oo
Ich denke, die Polizei muss die Erziehungsberechtigten wenigstens darüber informieren - und die können dann vllt darauf pochen dabei zu sein oder auf das Recht verzichten.
Aber das man das so ganz umgehen kann, denke ich nicht.

Wie weiter oben schon geschrieben wurde, müssen Erziehungsberechtigte ja sogar noch bei medizinischen Eingriffen etc unterzeichnen, auch wenn Leute schon 16/17 sind.

yvilis

Zitat von: Angela am 10. November 2014, 18:34:35
Darf ein Jugendlicher tatsächlich nur in Anwesenheit eines Erziehungsberechtigten verhört werden?
Meine Söhne waren mehrfach als Zeugen und Täter allein bei der Polizei und sind dort zu Straftaten vernommen worden.

Als Zeugen dürfen sie allein vernommen werden, wenn sie allerdings als Täter verdächtigt werden, muss ein Erziehungsberechtigter anwesend sein, im günstigsten Fall ist gleich noch ein Anwalt mit dabei...