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[Medizin] Offene Brüche

Begonnen von Leann, 10. September 2014, 08:37:37

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Leann

Da ich meinem Prota so richtig übel mitspiele, brauche ich ärztlichen Rat, oder zumindest ein paar Tipps von Leuten, die sich mit Brüchen auskennen.

- Was für eine Art Unfall kann offene Brüche am Knöchel und unteren Bein (Schienbein und Wadenbein) verursachen? Reicht es, auf dem Fußgängerweg angefahren zu werden und unglücklich zu stürzen, oder muss noch etwas dazu kommen? Z.B. muss man mitgeschleift werden, das Bein zwischen Fahrrad und Auto einklemmen o.ä.?

- Kann man sich auf diese Art sowohl den Knöchel als auch Schien- und Wadenbein sowie möglichst viele Knöchel im Fuß brechen sowie noch eine Menge Muskel- und Sehnenrisse zuziehen? Der Fuß sollte möglichst völlig zertrümmert sein und der Unfall zu einer lebenlangen Behinderung führen.

- Wie sieht das nach einem Jahr aus? Ich hätte gerne einen deformierten, unansehnlichen Fuß mit wulstigen Narben etc.



TheaEvanda

#1
Brüche des Schien- und Wadenbeins bei Gesunden gibt es meist bei:

* Unzureichend in Sicherheitskleidung eingepackte Motorradfahrer
* Schifahrer
* Nach Stürzen aus geringer Höhe (ab Steht-auf-Hocker-Höhe, wenn ich mich recht erinnere)
* Beim Fußball
* Wenn das betroffene Glied von den Speichen eines Zahnrads etc. erfasst und gegen einen festen Widerstand gedrückt wird etc. pp.

Zumindest bei unglücklichen Stürzen können auch Fußknochen bei draufgehen, oder das Fersenbein. Das Problem bei offenen Brüchen ist in Gesellschaften mit nicht ganz so hohen Hygienestandards, dass die Wunde sich durch die eingeschleppten Krankheitserreger fast zwangsläufig entzündet. Wundstarrkrampf ist auch eine nicht zu verachtende Gefahr - bei guter Pflege aber überlebbar.

Wir hatten schon einmal eine ähnliche Diskussion, als ich meiner Protagonistin beim unglücklichen Sturz in ein Lochgefängnis Schien- und Wadenbein gebrochen habe: http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,7660.msg231292.html#msg231292

Edit:
Churke hat im anderen Thread berichtet, dass 1945 bei seiner Großmutter, damals 4 Jahre, ein offener Bruch einfach gerichtet und geschient wurde, und alles wurde gut (trotz mangelnder Antibiotika).

Ich habe es ja bezweifelt, aber obwohl die Deutschen 1945 so gut wie keine der uns bekannten Antibiotika hatten, gab es eine andere antibiotische Therapie, die weitläufig eingesetzt wurde: Speziell gezüchtete Bakteriophagen (Organismen, die Bakterien fressen). Diese sind anscheinend mit dem richtigen Knoff-Hoff recht leicht (aus Abwässern und Jauchen) und ohne überkandidelte Labormedizin zu gewinnen. Die Wundauflagen werden mit den Bakteriophagen getränkt, das Ganze auf die Wunde gelegt und dann regulär verbunden. Die Bakteriophagen fressen die Krankheitserreger aus der Wunde heraus, und alles verheilt prächtig.
Dies ist leider nicht Medizin des Mittelalters oder der Renaissance, sondern der Neuzeit (etwas Forschung braucht es schon), aber dafür sehr effektiv. Diese Therapie wird heute wohl "nur" noch in Georgien gepflegt. --Thea

--Thea

Leann

Danke! Der Link ist schon mal hilfreich, denn der Fuß soll tatsächlich im rechten Winkel abgeknickt sein, wie es dort beschrieben wird.

Unfallhergang: Auto fährt Radfahrer auf Radweg an, der unglücklich stürzt und im Rad hängen bleibt. Auto setzt zurück und fährt über Rad und Radfahrer, dabei wird der Unterschenkel gebrochen (da unter Rad eingeklemmt) und es kommt zu Mehrfachbrüchen im Fußgelenk und Fuß.

Wäre das plausibel? Die Handlung spielt übrigens im Deutschland der Gegenwart und es gibt keine weiteren Komplikationen mit Wundstarrkrampf, resistenten Bakterien etc.. Es geht mir hauptsächlich um die Spätfolgen. 

yvilis

#3
Hallo Leann,

Meine Mutter hat sich vor ein paar Jahren das Wadenbein gebrochen. Es war allerdings kein Fahrradunfall, sondern sie ist bei Glätte gestürzt.
Davon mal abgesehen, dass sie bis heute Probleme beim Laufen hat und wetterbedingt Schmerzen an der operierten Stelle auftreten, sind immer noch dicke OP-Narben zu erkennen.

Ein halbes Jahr nach der OP hatte sie zunehmend Schmerzen. Die Ärzte vermuteten, dass dies an den Schrauben und der Schiene liegen könnte, die ihr beim ersten Mal eingesetzt wurden und daher durfte sie sich noch einmal unters Messer legen. Sämtliches Metall wurde entfernt und das, was die starken Schmerzen verursacht hat, war eine verbogene Schraube.

Vielleicht kannst du mit den Infos ja auch etwas anfangen  ;)

LG Yvilis


Churke

Zitat von: Leann am 10. September 2014, 08:55:45
Unfallhergang: Auto fährt Radfahrer auf Radweg an, der unglücklich stürzt und im Rad hängen bleibt. Auto setzt zurück und fährt über Rad und Radfahrer, dabei wird der Unterschenkel gebrochen (da unter Rad eingeklemmt) und es kommt zu Mehrfachbrüchen im Fußgelenk und Fuß.

Ein Kumpel von mir sagt immer "Kugeln machen Scheißdreck", sprich, ihre Verletzungen sind unvorhersehbar. Es scheint mir allerdings so, dass der beschriebene Unfall relativ langsam erfolgen und das Opfer nicht besonder gewandt müsste. Bei einem Anstoß von der Seite wird man normalerweise vom Rad geschleudert, wobei man natürlich immer irgendwie blöd hängen bleiben kann. Mich hat auf diese Weise schon mal jemand umgesenst, da stand ich auf, stellte mein Fahrrad wieder hin, erklärte der erschrockenen Fahrerin, dass nix passiert war, und fuhr weiter.

Kraehe

#5
Ich habe noch ein wenig Schwierigkeiten, mir den Unfall räumlich vorzustellen...
Einen offenen Bruch habe ich schon entstehen gesehen, weil ein frisch operierter Patient (auf Entzug) auf dem ungegipsten, verschraubten Fuß munter rumgelaufen ist. Er ist nach Entfernung des Fixateurs auf eigene Verantwortung entlassen worden und war drei Tage später mit offenem Bruch wieder da, wo vorher nur ein "normaler" Bruch an Schien- und Wadenbein war.
Seinen Bruch zugezogen hatte er sich ursprünglich wohl bei einem ziemlich dummen Sturz, womöglich unter ziemlich starkem Alkoholeinfluss.

Je nachdem, wie behandelt wird und wie viel Pech im Spiel ist kann ich dir noch folgende Komplikationen "empfehlen":

*Kompartmentsyndrom (Schwellung mit Abklemmung von Blutgefäßen/Nerven in den verschiedenen Muskellogen des Unterschenkels infolge von Gips oder auch einfach so, durch die Faszie mit zu viel Druck)
Gegipst wird ja nicht mehr zwangsläufig, oft zieht man den Leuten "Vacoped" Schuhe an, eben weil der Gips diverse Risiken birgt und dann Nerven/Gefäße abgedrückt werden können, v.a. wenn es zu Schwellungen kommt, denen der Gips ja noch weniger nachgeben kann als die sowieso vorhandenen Strukturen

*Natürlich können bei der folgenden Operation Nerven geschädigt werden. Je nachdem welche und wo kann das zu Sensibilitätsstörungen oder aber natürlich auch zu motorischen Schäden führen.

*Peroneusläsion (dafür musst du zwar etwas höher schädigen, aber wenn du den N. peroneus schädigst, sind FUßheber und -pronatoren geschädigt. Führt zu einem Gangbild, bei dem der Fuß geschleift wird, weil die Fußspitze nach seitlich-vorn runterhängt und quasi immer am Boden schleift)

*Arthrose (kann wohl v.a. bei Brüchen am Sprunggelenk als Folge entstehen)

*Abriss von diversen Bändern am Fußgelenk

*Bildung von Pseudoarthrosen an der Bruchstelle: z.B. an der Fibula, d.h. die Bruchstelle verheilt nicht wirklich, sondern es bildet sich ein Gelenk an einer Stelle, an der eigentlich keins sein sollte

Was die Narben und sichtbaren Zeichen angeht, die sind sicher drin. Wenn die Wunde bei offenem Bruch verschmutzt war (ist ja durchaus möglich in dem Szenario) heilt das alles schonmal schlechter, von der OP bleiben dann noch zusätzliche Narben zurück, zusätzlich die Narben für den womöglich genutzten Fixateur (mit so einem Fixateur kannst du auch nochmal was anstellen - Infektionen, die bis auf den Knochen herunter reichen, Verstellung der Schrauben/Stangen durch ungehorsamen Patienten (s.o., der Mann lief mit voller Belastung auf seinem Fixateur rum), Muskelschwund, Sehnenverkürzung, Schrumpfen von Gelenkkapseln...)

Leann

Danke für die Informationen! Beruhigend (für den Roman, nicht für das echte Leben), dass ein Bruch solch verheerende Folgen haben kann. Das passt.

Saphirenkind

Hallo Leann,

also ich für meinen Teil kann dir die Unterschenkelschaftfraktur empfehlen. Diese können durch direkte (z.B. einen Tritt) oder indirekte Gewalt (z.B: Skiunfälle ect.) entstehen und betreffen meist sowohl Schien- als auch Wadenbein. Wenn es unbedingt eine offene Fraktur sein soll ist zu beachten, dass diese niemals mit einem Gipsverband versorgt würde, sondern je nach Ausmaß der Weichteilschädigung (also alles außer den Knochen) mit einem sogenannten Fixateur externe. Das ist eine Stabilisierung des Knochens durch eine frakturfern angebrachte, die Haut überragende (Metall)Konstruktion. Du musst das mal bei Google eingeben, da gibts nen Haufen toller Bilder dazu, damit du dir ungefähr vorstellen kannst, wie ein Fixateuer aussieht ;)

Dann solltest du dir Gedanken darüber machen, welchen Frakturtyp du beschreiben möchtest. Je größer das Zerstörungsmaß, desto schwieriger werden natürlich die Reposition (Zurückführen der Fragmente an die anatomisch richtige Position) und Retention (Ruhigstellung der Fraktur bis zur Heilung). Bei offenen Frakturen ist immer eine operative Reposition erforderlich. Diese sollte möglichst sofort erfolgen, da sonst die Gefahr einer posttraumatischen Athrose besteht, wie Krähe bereits beschrieben hat. Da diese operative Reposition heutzutage in Deutschland unter sterilen Bedingungen durchgeführt wird, kommt es selten zu Komplikationen.

Was aber Komplikationen bereiten kann, ist das Ausmaß der Weichteilschädigung. Offene Frakturen werden in Grad I- IV eingeteilt. Grad IV entspricht dabei einer Beteiligung aller Strukturen, also einer Amputation. Bei einem Grad III kommt es zu einer ausgedehnten Eröffnung der Fraktur mit schweren Weichteilschädigungen, meist mit Gefäß- und Nervenschädigungen, sowie Knochenfragmentierungen. Das wäre wahrscheinlich etwas für dich. Dabei würde ich dir die Trümmer- oder Defektfraktur empfehlen, die mit mehr als 6 Knochenfragmenten die höchste Zerstörung darstellt. Diese ist dementsprechend auch schwer zu repositionieren.

In diesem Zuge auftretende Gefäßverletzungen können im weiteren Verlauf zu einer Minderdurchblutung und damit zu zahlreichen Wundheilungsstörungen wie Wundinfektionen (immer erst nach 48h; Wunde muss wieder eröffner, gereinigt und so lange offen weiterbehandelt werden, bis keine Entzündungszeichen mehr sichtbar sind; führt oft zu ausgedehnter Narbenbildung, da die Wunde von innen nach außen abheilt), Wundtaschen (dieselbe Behandlung wie Wundinfektionen), Hämatomen, Ödemen und im schlimmsten Fall zu Nekrosen führen. Mangelernährung, ein angeschlagenes Immunsystem und Rauchen, sowie Alkohol können Wundheilungsstörungen zusätzlich födern. Wundheilungsstörungen können aber auch durch mangelnde Hygiene am Fixtateur selbst auftreten.

Nervenschädigungen können natürlich immer zu Befindlichkeitsstörungen, also Taubheitsgefühlen bis hin zu Lähmungen führen.

Viel interessanter ist auch der nicht zu unterschätzende Blutverlust bei offenen Frakturen, der bei deiner beabsichtigten Verletzung bis zu 2l betragen kann und im schlimmsten Fall zum hypovolämischen Schock führen kann. Dahin gehend solltest du noch einmal googln, das würde hier den Rahmen sprengen.

Sonstige Komplikationen wie das Kompartmentsydrom oder die Pseudatrhose wurden von Krähe bereits genannt und erläutert, treten i.d.R. jedoch seltener auf.

So, ich hoffe, du fühlst dich jetzt nicht erschlagen, sondern hast zahlreiche Ideen erhalten, wie du deinen Char am besten quälen kannst :) Wenn du noch Fragen hast, meld dich einfach bei mir :)

Viele Grüße,
Saphirenkind