Aus aktuellem Anlaß ein Thread zum Thema Zielgruppen und Mainstream.
Folgendes ist passiert: Gestern beschließe ich, ein neues Buch zu plotten, "Ganz klassische Fantasy, sowas wollte ich schon ewig mal schreiben". Keine Stunde Plotten später ist mein sanftmütiger Prinz ein eiskalter Psychopath, der steinharte Kämpfer ist schwul, und die restlichen Helden werden auch noch ihr Fett wegbekommen... Ich stelle mehr und mehr fest, daß ich nicht "normal" kann. Durchschnittliche, nette Leute interessieren mich nicht nur nicht so sehr, ich kann mich auch nicht in sie hineinversetzen. Wer keinen seelischen Abgrund hat, braucht mir gar nicht erst ankommen. Für meine Chancen auf dem Buchmarkt habe ich das immer als größten Hemmschuh gesehen, wie selbstverständlich gehe ich davon aus, daß die Leser lieber normalere Figuren haben wollen, zumindest in der Heldengruppe. Die Bücher, die ich über die Jahre aus unserem Genre gelesehen haben, scheinen mir mit dieser Theorie Recht zu geben.
Was ich mich jetzt frage, ist: Wollen die Leser das überhaupt? Wenn ihr die Zielgruppe seid, wollt ihr pflegeleichte Sympathieträger, mit denen sich jeder (außer mir) identifizieren kann, oder ist es für euch okay, auch mal von einem Helden abgestoßen zu werden, wenn er dafür interessanter erscheint? Oder bilde ich mir nur ein, daß das zwei verschiedene Dinge sind, die einander ausschließen, und liege falsch, normal und langweilig gleichzusetzen?
Mich würden eure Ansichten und Erfahrungen sehr interessieren, auch wenn sich bei mir nichts mehr ändern wird, egal was hier rauskommt - ich habe es ja versucht, aber es gelingt mir nicht, meinen Helden ein Profil zu verpassen, ohne ihnen gleich den dicken Hau wech zu geben. Aber vielleicht lieben die Leser ja gerade das an mir?
Nun denn, werfe ich doch mal einen Blick auf meinen Bücherschrank und meine Festplatte.
Die Geschichten, die ich am liebsten gelesen habe, sind die mit den nicht-Mainstream-Charakteren. Die mit den etwas anderen Typen, die mit den Abgründigen und Verzweifelten. Als ich Lynn Flewellings Tamir-Trilogie in die Finger bekam, bin ich auf die Knie gefallen und habe sämtlichen Musen dafür gedankt, dass es sie noch gibt - Fantasy, die fast ohne Magie auskommt, dafür aber tief-udn zuweilen auch abgründige Charaktere hervorbringt. Ich habe diese Reihe verschlungen und konnte danach lange keine Fantasy mehr lesen, weil irgendwie nichts diesen Charakteren das Wasser reichen konnte.
Ja, ich mag sie, die Psychopathen und Verdrehten, die Verschwurbelten und manchmal nicht Nachvollziehbaren.
Wenn ich selbst schreibe, ist mindestens eine Hauptfigur traumatisiert und eine schwul oder lesbisch, hat ein tiefgehendes Problem mit der Familie und/oder mit sich selbst und neigt dazu, überall anzuecken. "Nette leute von Nebenan" habe ich im Realleben genug, über die muss ich nicht auch noch schreiben.
Schwierig - oder auch nicht!
Einen Helden im schimmernder Wehr, mit astreiner Abstammung, makellosem Charakter und einer überquellenden Güte finde ich strunzlangweilig.
So einen hatte ich in meinem ersten Fantasyroman erschaffen (okay, er war der Gefährte des Weltdrachen blablablubb). Im Rewrite wurde er plötzlich von boshaftem Humor beseelt, der ihn um Welten echter und sympathischer machte. Wow, ich war begeistert.
Helden müssen Laster haben, Charakterschwächen, vielleicht etwas Traumatisches in ihrer Kindheit, das ihnen im unpassendsten Augenblick in die Quere kommt.
Denke ich an Pratchett, denke ich an Sam Vimes (Sam Mumm), der ein Säufer (derzeit abstinent, was er mit teuren Zigarren und viel Bosheit kompensiert) und gerechter Rassist ist (er haßt Menschen, Zwerge, Trolle und Untote - er ist selber ein Mensch).
Ein schwuler, steinharter Kämpfer? GÖTTLICH! Warum bin ich nicht auf so etwas gekommen! Du hast meine Idee geklaut, sei ehrlich! Ich will auch einen!
Helden, denen alles auf Anhieb gelingt, denen alle zu Füßen liegen, die dauernd Jungfrauen retten, immer lächeln, immer weiterwissen, nie verzagen, nie müde sind und niemals einen wundgerittenen (ähm, unglückliche Wortwahl, wenn ich an Deinen schwulen Krieger denke!) Hintern VOM AUF DEM PFERDE REITEN haben - nä, schmeiß sie in den Müll.
Die Kane-Romane (in meinen Augen verschenkte, gnadenlos wundervolle Idee) werden von Kain (der von Abel und Kain) beherrscht, der zur Unsterblichkeit verdammt wurde vom liebenden Gott, weil er ja Abel umbrachte. Der Typ ist vollkommen irrsinnig, aber es macht Spaß, sich Seite an Seite mit ihm durch Monsterabschaum zu metzeln.
Du kannst Gedanken lesen, oder?
Ich habe gerade neulich über so etwas nachgedacht. (Im Zusammenhang mit der Überlegung, ob ich einen Serienmörder ernsthaft zu einem "Love Interest" des Buches machen kann). Dabei bin ich mehr oder weniger zu dem Schluss gekommen, dass ich
a) Gerne über sanftmütige, nette Charaktere lese (auch schreibe), wenn sie denn auch ein bisschen Charakter mehr haben. Sanftmütig mit Macken. Nett mit Wutausbrüchen oder Paranoia. Jemanden, in den ich mich gerne hereinversetze, und den ich verstehe, der mir aber auch etwas neues bietet. Scherenschnitt muss nicht sein.
b) Über abstoßende Charaktere gerne lese, wenn die Geschichte interessant ist, oder ihre Charaktereigenschaften sehr fesselnd. Als Beispiel habe ich da "König Ratte" von China Miéville. In dem Buch gibt es keinen einzigen sympathischen Charakter, aber ich habe es dennoch gerne gelesen. Das hat dann ein bisschen was von "mal sehen, wie er sich demnächst in die Sch... reitet", oder auch die Handlung reißt mich einfach mit.
Das muss aber ziemlich gut gemacht sein, damit ich es durchhalte - wenn mich ein Charakter nur noch abstößt, aus objektiven oder auch subjektiven Gründen - dann fällt es mir schwer, ihn ... hm ... in meinem Leben einen Platz einzuräumen. Und das tue ich ja, wenn ich mich auf ihn einlasse.
c) Über Charaktere lese, die ich im realen Leben als ziemliche Idioten wahrnehmen würde, deren Beweggründe in der Innensicht aber so einleuchtend und klar dargestellt sind, dass ich mich dennoch in sie hinein versetzen kann. Solche Protagonisten liebe ich sogar ziemlich. Ein gutes Beispiel ist Sangamon Taylor aus Neal Stephensons "Zodiac". Mann, hat der keine Ahnung von Zwischenmenschlichem!
Im Grunde denke ich, kann man alles verkaufen. Ich kann mir vorstellen, dass die Leserschaft für einfach zu handelnde Charaktere größer ist, vielleicht wollen sich nicht alle mit einen kleinen Psychopathen als Prota auseinandersetzen, aber der Buchmarkt beweist auch, dass es auch anders geht. Zu den interessantesten Charakteren gehören letztlich sowieso die im Wandel befindlichen. Von "gut" zu "böse" oder umgekehrt, aber auch nur, wenn es begründet ist. Der letztendliche Abschluss dieser "Reise" ist dann eher nicht so relevant für mich.
Deine Idee gefällt mir schon jetzt zehnmal besser als viele Geschichten mit "normalen" Protagonisten. Ich habe nichts dagegen etwas über "normale" Leute zu lesen, aber Protagonisten mit einer Vergangenheit und mit eindeutigen Macken sind mir um einiges lieber. Das macht die Geschichte interessanter.
Ich bin auch so, Maja. Ich schreibe ja eigentlich nur Urban Fantasy für Jugendliche und meine Ich-Erzähler sind eigentlich auch nie "normale Mädchen von nebenan". (Oder eben Jungs... ;)) Die Prota meines letzten NaNos hat zum Beispiel alles, was ihr nicht gefiel, einfach wieder verdrängt, sich eingeredet alles wäre okay und Probleme oftmals durch Gewalt gelöst, die Fehler nie bei sich selbst gesucht und arrogant war sie auch noch. Eigentlich niemand mit dem man sich gern identifizieren möchte.
Mir ist allerdings aufgefallen, dass besonders in der Urban Fantasy, die ich auch viel lese, viele "Heldinnen" nach demselben Schema funktionieren: Durchschnittlich, etwas schüchtern und sie haben nur wenige Freunde. Damit können sich besonders viele Mädchen bestimmt gut identifizieren, aber mich langweilt das. Aber da es das so oft gibt, wird es anscheinend auch gern genommen. Also kann ich mir schon vorstellen, dass die meisten Leser so etwas mögen. Meine Beta, eine Vielleserin, mag meine Protas zum Beispiel nie und bevorzugt die "normalen".
Oh, das sind ja jetzt schon krasse Abweichungen ...
Ich bin dafür einen halbwegs normalen Prota zu haben, das heißt, dass er nicht nur stärken und eine glänzende Rüstung hat, sondern auch irgendwo seine Probleme, seine schwächen - ohne das kann man keine ordentliche Geschichte erzählen. Es geht einfach nicht. Man muss Probleme haben, die es zu bewältigen gibt - am besten persönliche. Sonst hat man keine glaubwürdige Motivation.
Dazu kannst du auch gerne stets irgendwelche Psychopaten oder schwule Kämpfer mixen - warum nicht? Je nach Prota dürfte gerade das sehr interessante Augenblicke geben - gerade, wenn die beiden zusammenarbeiten müssen. Dürfte interessant werden, wenn der schwule den Psychopaten stets anbaggert, der dauernd mit Morddrohungen zurückschlägt und das vielleicht auch fürs Ende der "Mission" im Hinterkopf behält ... und je nachdem könnte er sich vielleicht auch soweit ändern, dass er den anderen nicht mehr umbringen kann ...
Hab noch was vergessen - Majas Elomaran sind auch so eine Offenbarung, was schräge/schwierige/traumatisierte/schwule/bösartige/hinterhältige Charaktere angeht. :)
Mal ehrlich, jeder Schreibratgeber kommt daher mit dem Tip, dass Protagonisten gefälligst interessant zu sein haben, schillernde Persönlichkeiten, gern ein wenig übertrieben in ihren Schrulligkeiten. ich habe das eigentlich schon immer so gemacht. Alles andere war mir schlichtweg zu öde.
Zitat von: Maja am 30. März 2010, 17:17:25Wenn ihr die Zielgruppe seid, wollt ihr pflegeleichte Sympathieträger, mit denen sich jeder (außer mir) identifizieren kann, oder ist es für euch okay, auch mal von einem Helden abgestoßen zu werden, wenn er dafür interessanter erscheint?
Das Problem bei der Frage ist nur, die Leute, die hier mitlesen, sind leider nicht "die" Leser der Bücher. Überhaupt ist die Einschätzung von Büchern durch engagierte und langjährige Genreleser nicht repräsentativ für den Markt - das merkt man am deutlichsten daran, dass eigentlich in allen Foren und Gruppen, die ein wenig tiefer in die Szene gehen, genau die Bücher regelmäßig mit Fassungslosigkeit betrachtet werden, die sich in den Läden verkaufen wie warme Semmeln.
Das Problem ist, der "Leser" in seiner Masse liest halt nur, er redet eher selten darüber und schreibt noch seltener. Ist also verdammt schwer, da eine klare "Ansage" zu bekommen. Man kann eigentlich nur schauen, was am Markt besser oder schlechter läuft. Oder die nicht repräsentative Auswahl der aktiven Leser befragen, was die sich vorstellen, und darauf hoffen, dass es für das, was da ankommt, wenn es auch nicht repräsentativ sein mag, doch zumindest eine hinreichende kleinere Zielgruppe gibt.
Aber am Ende muss man wohl so oder so selbst "erfühlen", wo die Grenzen liegen und wo der Kompromiss zwischen dem, was man selbst schreiben will, und dem, was man verkaufen zu können glaubt. Ganz gegen den eigenen Strich schreiben geht meistens ja auch nicht gut ... und wenn doch, ist es zumindest nicht befriedigend ;)
Und wenn man sich den Markt anschaut, findet man zumindest, dass eine ganze Menge theoretisch geht, dass es neben den glatten Figuren auch viele "kantige" gibt, die durchaus auch von genug Lesern goutiert werden ... wenn auch vielleicht nicht in den Auflagenzahlen von "Biss". ;) Aber entscheidender als die Frage, was "man" machen kann, scheint doch zu sein, wie es umgesetzt wird, ob die Mischung stimmt, ob man genau den richtigen Punkt trifft. Ich denke mir, wichtiger für den Publikumserfolg als die Grundsatzentscheidung, ob man einen glatten Helden oder einen miesen Unsympathling als Hauptfigur nimmt, ist am Ende vermutlich, ob man es schafft, genau den miesen Unsympathling zu charakterisieren, der den Lesern gefällt, die miese Unsympathlinge mögen - denn da kann man durchaus immer noch falsch liegen, selbst wenn man prinzipiell ein Publikum hätte.
Das ist ein wenig so wie beim Kochen: Es hilft nicht viel, die Gäste vorher zu fragen, ob sie es gerne scharf mögen. Wenn alle "Ja" rufen, und man kocht sein Essen scharf, mag es vielleicht hinterher trotzdem keiner, wenn man nicht genau das richtige Maß an Schärfe gefunden hat.
Hm, was DIE Leser wollen, ist immer so ne Sache ...
Ich als Leser möchte gerne was Authentisches lesen. Was Eigenwilliges. Wo die Verrücktheit des Autors durchschimmert.
Aber es gibt sicherlich viele Leser, die das lesen wollen, was sie immer lesen.
Ich bin immer noch der völlig blauäugigen Ansicht, dass Literatur nicht für den Massen-Markt geschrieben werden sollte. Sondern dass man die Geschichten schreiben muss, die in einem drin sind.
Ob man es damit der breiten Masse recht machen kann - wer weiß das schon. Aber muss es eigentlich immer die ganze breite Masse, müssen es immer DIE Leser sein?
Ich sah letztens zum ersten Mal "Pans Labyrinth". Dieser Film beschäftigt mich immer noch. Die Figur, der mein größtes Interesse gilt, ist der Hauptmann - obwohl ich diesen Charakter wirklich hasse. Na, hassen ist zuviel gesagt, aber er ist mir mehr als unsympathisch.
Ich brauche beim Lesen oder Sehen von Filmen Charaktere, mit denen ich mich auseinandersetzen kann, Charaktere mit Ecken und Kanten und Abgründen. Ein "absolut guter" Charakter dürfte genauso Ecken, Kanten und Abgründe besitzen, nur werden die so selten thematisiert, wodurch der Charakter eine gewisse Oberflächlichkeit nach außen trägt. So ein Kuschel-Wuschel-Friede-Freude-Eierkuchen-Typ turnt mich irgendwie ab.
Allerdings, und auch das ist mir wichtig, sollte innerhalb einer Geschichte ein gewisser Ausgleich geschaffen werden, was die Charaktere anbelangt. Ein noch so kleiner Sympathieträger ist mir wichtig.
Zitat von: Thaliope am 30. März 2010, 18:06:53
Ob man es damit der breiten Masse recht machen kann - wer weiß das schon. Aber muss es eigentlich immer die ganze breite Masse, müssen es immer DIE Leser sein?
Ich sehe das ähnlich. Man weiß nie, was die Leser eigentlich wollen und wenn es um Veröffentlichung und Marketing geht, hängt so vieles sowohl von Glück oder den Vermarktungsfähigkeiten des Verlags/Agenten oder wen auch immer ab. Meine Charaktere, zumindest die, aus deren Sicht ich schreibe, sind allesamt Exzentriker. Jeder auf seine sehr eigene Art, aber oft besitzen sie Eigenarten, mit denen sich "normale" Menschen wohl nur schwierig identifizieren könnten.
Mir ist das schnuppe. Gut, ich bin auch noch Lichtjahre von einer Veröffentlichung entfernt, aber wenn ich nicht von Charakteren schreibe, die mir Spaß machen, dann hätte ich gar keine Motivation, meine Geschichten auch zu Ende zu bringen. Das Bedürfnis der Leser ist für mich da erst mal weniger interessant. Darum kümmere ich mich, wenn ich mich der verzweifelten Aufgabe widme, meine Geschichte an den Mann zu bringen. ;D
Ich denke, das ist auch eine Frage der Authentizität. Beispiel aus dem musikalischen Bereich: Unser Star für Oslo, Lena Meyer-Landrut. Kein wiechgespülter Mainstream, sondern eine Sängerin, an der sich die Geister scheiden - komische Art zu singen, komische Art zu Tanzen, man kann sich nicht vorstellen, daß so jemand Erfolg hat - und was passiert? Sie geht weg wie die warmen Semmeln, weil sie das Gefühl vermittelt, authentisch zu sein, unverfälscht und unverstellt. Trotzdem will man nicht, daß nur noch solche Sänger am Markt sind - was einmal klappt, muß nicht immer klappen.
Ich möchte keine Bücher lesen, wo der Autor sagt "So, jetzt machen wir mal einen Helden mit Problemen" und sich dann was aus den Fingern saugt, wie sich Klein Fritzchen den Geisteskranken vorstellt. Das heißt jetzt nicht, daß nur psychisch Kranke Bücher über psychisch Kranke schreiben dürfen, sondern, daß man es manchedn Autoren einfach nicht abkauft, und wenn die Ergebnisse bemüht wirken, hätte der Autor besser etwas normales geschrieben. Ist mir mal mit einem Buch von Anne Fine so gegangen - klang super interessant und ging dann so weit an Lebensnähe vorbei...
Ich schreibe meine Figuren so, wie sie mir einfallen, auch wenn es immer wieder solche Momente gibt wie Anfang 1995, als ich Cip für die "Öbba" ausarbeitete und dann merkte, "Meine Güte, der Kerl ist ein Junkie". Es gibt bestimmte Motive, die mich faszinieren und darum überproportional vertreten sind, dazu gehören Wahnsinn, Suchtverhalten, sexuelle Abweichungen, vielleicht, weil ich von allem betroffen bin. Aber es ist auch eine Trotzreaktion: Mein ganzes Leben habe ich gesagt bekommen, daß ich anders bin, abartig, verrückt, etc - da will ich nicht ausgerechnet im Schreiben, bei dem, was ich mehr liebe als alles andere, mich verbiegen müssen und normal werden. Und ich glaube auch nicht, daß ich sowas glaubhaft rüberbringen würde. Genau wie Lena nicht bei DSDS antritt.
Ich sehe Figuren, ob nun echte oder erfundene, immer pathologisch. So etwas wie einen inneren Ekel kenne ich da nicht. Mag aber auch eine Berufskrankheit sein. Im Strafrecht hat man viel mit bösen Buben zu tun, die schlimme Dinge tun. Das ist manchmal ganz großes Kino.
Aber ich will die Frage mal etwas anders aufziehen: Man sollte nicht allein auf die Figurenzeichnungen schauen, sondern auch ihr Umfeld, sprich den Plot. Da gibt es m.E. 4 Optionen:
a) Normale Leute in abnormalen Situationen.
b) Abnormale Leute in normalen Situationen.
c) Normale Leute in normalen Siutaionen.
d) Abnormale Leute in abnormalen Situationen.
Variante c) halte ich für literarisch wertvoll (= öde), Variante d) könnte ein Problem mit der Marktanzeptanz haben.
Und abgesehen davon habe ich mit dem "Tag der Messer" inzwischen ein Buch am Markt, mit dem ich das ganze Durchexerziert habe. Den Roman habe ich ja immer charakterisiert als "die Bösen gegen die ganz Bösen". Ich habe also durchaus ein persönliches Interesse an der Beantwortung deiner Frage. Und ich weiß immer noch keine Antwort darauf, ob "die Leser so was wollen".
Der eine Protagonist dort ist ein Psychopath, nicht nur im landläufigen Sinne, sondern durchaus pathologisch und klinisch korrekt, mit allen Höhen und Tiefen. Und ganz nebenbei taugt er von dem, was er drauf hat, durchaus als Held, was manchmal auch durchschimmert in Szenen, wo angedeutet wird, dass es auch anders sein könnte, wenn er auf einem anderen Platz stünde, in einer anderen Konstellation. Es gab Leser, die hatten stellenweise Mitleid mit ihm; und solche, die haben ihn gehasst. Manchmal beides.
Die andere Protagonistin ist ein zickiger, verwöhnter Teenager und wird im Jahr der Revolution mal eben "erwachsen geklopft". An der Figur wollte ich durchspielen, ob Nachtalben nun von Natur aus böse sind oder zu dem gemacht werden, was sie sind - eine Frage, auf die der Roman insgesamt durchaus verschiedene Antworten gibt, aber die Hauptfigur selbst war stellenweise schon nervig und unsympathisch angelegt. Da paart sich kindliche Unschuld und Naivität mit einem hohen Schadenspotenzial ...
Und selbst der "Gutalb" des Buches zeichnet sich dadurch aus, dass er von Anfang an mit den besten Absichten die ekligsten Dinge macht und auch später aus politischen Erwägungen genau da landet, wo es wirklich unmenschlich wird. Und davon wohl auch innerlich zerrissen wird, selbst wenn er kein Mensch ist.
Und so geht es in dem Buch eigentlich weiter, Intriganten, Barbaren, Rassisten geben sich die Klinke in die Hand, vernünftige Militärs taugen auch nur bedingt als Lichtgestalten, und die wenigen aufrechten Gestalten müssen schon ordentlich kämpfen, um nicht unterzugehen - aber ganz verzichten wollte ich auf ein paar Sympathieträger dann doch nicht, auch wenn sie eher in Nebenrollen landen.
Insgesamt war die Reaktion auf den Roman besser als auf den "harmloseren" Vorgänger ... ob sich das auf die Verkäufe auswirkt, wer weiß? Es gibt ja nicht nur im Fußball den Ausdruck von "in Schönheit sterben", und Lob nutzt ja nichts, wenn es sich nicht in Verkäufe umwandeln lässt. Die letztendliche Antwort auf diese Frage steht noch aus.
Von den öffentlichen Leserkommentaren habe ich bisher eigentlich nur Lob zu dem Buch gehört. Im privaten Umfeld habe ich allerdings durchaus Leser und Testleser erlebt, denen der erste Teil besser gefiel, weil er humorvoller war und auch "netter"; und die die "Messer" durchaus als (zu) harten Tobak empfanden. Welche Seite der Reaktionen nun repräsentativer für "die" Leser ist, darüber grübele ich seither auch noch nach.
Interessant mag die Feststellung sein, dass gerade von den wenigen Nicht-Fantasylesern, die ich bisher kennen gelernt habe und die das Buch in die Hand bekamen, durchweg positive Reaktionen gehört habe. So viele Bekannte und Verwandte habe ich leider nicht, die das Buch gelesen haben und die ansonsten mit Fantasy nichts anfangen können und die "Messer" trotzdem gelesen haben, oder entsprechende andere Leser mit ähnlicher Ausrichtung; aber ein paar gibt es doch, und die habe ich mit dem Titel (endlich) erwischt - die Leute also, die Fantasy insgesamt und auch meine anderen Bücher ansonsten scheiße oder "belanglos" finden, mochten die "Messer". Aus diesem halben Dutzend Beispielen kann man natürlich schwerlich eine allgemeine Aussage ableiten, aber zumindest habe ich mich deswegen schon gefragt, ob das nicht doch ein Beleg für die Annahme ist, dass in der Fantasy mehr Leser "Harmonie" wollen, während außerhalb der Fantasy Authentizität durchaus eher als Qualität angesehen wird.
Aber, wie gesagt, nach diesem "Versuchsballon" bleiben auch für mich erst mal mehr Fragen als klare Eindrücke zurück. Wenn die Auflagenzahlen mal über 50,000 steigen sollten, dann werde ich das wohl als eindeutig positive Antwort auf deine Frage zur Publikumsakzeptanz solcher Figurenkonstallationen werten. Bis dahin würde ich erst mal nicht ausschließlich auf so kantige Stoffe und Figuren setzen wollen. Meine eigenen Bedenken in diese Richtung bin ich durch den Versuch nicht gleich losgeworden, auch wenn ich es einfach mal getan habe.
Die schwierige Frage der Verkaufbarkeit habe ich darum für den nächsten Roman erst noch mal an die Leute delegiert, die am Ende auch die Bücher ans Publikum bringen werden: Ich habe jetzt zwei Expos an den Verlag geschickt, einmal klassische Fantasy mit etwas kantigen Figuren, aber durchaus versöhnlichem Potenzial; und einmal düstere Fantasy mit tief gestörten Figuren, kranken Beziehungen und einer harten Ecke in Horror und "grim & dark". Wenn ich die Antwort auf diese Angebote habe, dann weiß ich zumindest, wie die Verkaufbarkeit der unterschiedlichen Stoffe von Verlagsseite her beurteilt wird ;)
Sollte das dann auch eine Erfahrung sein, die dich interessiert, kann ich dich von dem Ergebnis gerne in Kenntnis setzen ...
Ich denke persönlich, ein Held darf gern anders sein als gängige Klischees, solange er - als Hauptfigur - eine Figur ist, mit der ich sympathisiere. Den ich verstehe.
Z. B. Dan Wells Hauptfigur in "Ich bin kein Serienmörder": Das ist ein Teenager, der das Bedürfnis hat, Leute umzubringen. Definitiv kein netter Charakter, den man auf den ersten Blick mag. Warum aber lieben ihn die Leser: Weil er darum kämpft, diesem Drang nicht nachzugeben. Weil er versucht, das Richtige zu tun.
So wird aus dem eigentlichen Antihelden ein Typ, den man gern hat. Ein Held.
Was schwule Krieger angeht, nur so zur Info:
Richard Morgans "The Steel Remains" hat einen schwulen Krieger zur Hauptfigur. Das Buch ist frisch unter dem Titel "Glühender Stahl" bei Heyne herausgekommen und fällt in die Sparte "gritty fantasy" - also ein Subgenre, in dem man nicht mit einem schwulen Helden rechnet.
Trotzdem: da die Welt mehr von schwulen, maskulinen Helden braucht: ich bin auf dein Projekt gespannt! ;-)
mit Richard Morgan wollte ich auch gerade kommen. Habe ich noch nicht gelesen, bin ich aber sehr gespannt drauf. Und ich kann da Lomax ersten Post nur zustimmen. Ich lese kaum Sachen, die Bestseller sind. Ich lese mir nur die Beschreibungen durch und meistens klingt es langweilig. Klar müssen Charaktere auch Schwächen haben, um interessant zu sein. Aber wenn der Charakter nur unsympathisch ist, weiß ich nicht, warum ich über ihn lesen sollte, es sei denn die Geschichte ist wirklich interssant. Beispiel wäre da ja auch "Das Prafum". Wenn die Charaktere allerdings zu abgedreht sind, finde ich es auch schwer, mich in sie hineinzuversetzen, besonders, wenn es nicht nachvollziehbar ist, warum sie so sind. Ich denke, darauf kommt es an. Wenn man über solche Charaktere schreibt, wird man vielleicht nie einen Megabestseller haben, aber ich glaube schon, dass es dafür Leser gibt.
Ich habe das Gefühl, bei SF gibt es da noch mehr Beispiele. Besonders bei Serien. Mein Lieblingsbeispiel ist immer noch Battlestar Galactica. Die Charaktere da sind einerseits Helden, aber sie haben wirklich jeder Schwächen, so dass ich mich immer mehr fragte, ob ich sie noch sympathisch finden kann. Andererseits weiß man, warum sie so handeln. Ich hoffe ja immer noch, dass das auch in der Literatur ankommt. Aber was ich mir auch vorstellen kann, dass bis auf Ausnahmen, Verlage eher vorsichtiger bei sowas sind und lieber was nehmen, was im Ausland schon erfolgreich war, genau wie bei den Fernsehserien. Der englischsprachige Markt ist viel größer, so dass man da eher die Lesergruppen findet, würde ich mal so behaupten.
Zitat von: Lomax am 30. März 2010, 18:04:49
Aber entscheidender als die Frage, was "man" machen kann, scheint doch zu sein, wie es umgesetzt wird, ob die Mischung stimmt, ob man genau den richtigen Punkt trifft. Ich denke mir, wichtiger für den Publikumserfolg als die Grundsatzentscheidung, ob man einen glatten Helden oder einen miesen Unsympathling als Hauptfigur nimmt, ist am Ende vermutlich, ob man es schafft, genau den miesen Unsympathling zu charakterisieren, der den Lesern gefällt, die miese Unsympathlinge mögen - denn da kann man durchaus immer noch falsch liegen, selbst wenn man prinzipiell ein Publikum hätte.
Das ist ein wenig so wie beim Kochen: Es hilft nicht viel, die Gäste vorher zu fragen, ob sie es gerne scharf mögen. Wenn alle "Ja" rufen, und man kocht sein Essen scharf, mag es vielleicht hinterher trotzdem keiner, wenn man nicht genau das richtige Maß an Schärfe gefunden hat.
Das denke ich auch. Am Beispiel Fernsehen sehen wir doch, dass ein Unsympathieträger in der Hauptrolle durchaus funktioniert, wenn er als Figur dabei so menschlich geschrieben ist, dass er das Publikum trotzdem anspricht. Serien wie "Dexter", "House" und "The Tudors" laufen durchweg alle sehr erfolgreich und sind trotz oder gerade auch wegen des "Arschlochs" in der Hauptrolle massentauglich. "Criminal Minds" schafft es immer wieder, dass der Zuschauer in manchen Fällen tatsächlich halb dem Serienkiller wünscht, er möge nicht geschnappt werden.
"Der Name des Windes" (Patrick Rothfuss) und die Deepgate Chronicles (Alan Campbell) haben übrigens beide Figuren mit seelischen Knacksen--bei Deepgate finde ich es schon ziemlich extrem--und laufen trotzdem gut. Es ist also nicht so, dass so etwas nicht gelesen wird. Aber zwischen "völlig trostlos mit Figuren, die depressiv und kaputt durch die Welt schlufen" und "großer starker Held mit ganz ohne Profil" gibt es noch eine ganze Menge Zwischentöne, die man ausloten kann.
Mir sagte mal eine Lektorin, dass ich meine Figur einzigartig machen sollte. Der Leser muss sich in ihr verfangen. Am besten eine skurile Eigenschaft, ein merkwürdiges Hobby oder einfach ein Wesenszug, der sie ständig in Schwierigkeiten bringt.
Ich denke, dass die meisten Fantasy-Leser aktuell stark von dem Überhelden Edward geblendet sind. Daher gibt es auch so viele von den One-Hit-Helden. Kein Tiefgang, keine Ecken oder wenn, dann so, dass man sich nicht daran schneidet. Kaum ein Hauptcharakter aus den heutigen Bestsellerlisten hat wirklich viel Tiefgang. Diejenigen, die aber schon lange vorher Fans des Genres waren, die sympathisieren mit Charakteren, die Tiefgang haben. Protas, die den Leser schmunzeln lassen und in der nächsten Sekunde von seinem Verhalten überrascht werden. Und ich denke, dass ist es, was sich langfristig durchsetzen wird. Die Leser wollen schließlich berührt werden. Mit dem Helden lachen und weinen. Das klappt nicht, wenn der Typ/die Typine absolut blass gezeichnet ist.
Hm, schwierig zu beantworten.
Ich mag interessante Charaktere, ich mag es auch, wenn sie seelische Abgründe haben und sie dürfen auch ungewöhnlich sein. Aber ich muss mich schon in sie reinversetzen können. Wenn sie zu "extrem" sind, dann tu ich mir schwer mit ihnen. Das heißt nicht, dass ich weichgespülte Sonnenscheinchen möchte. ;)
Aber ich nehm als Beispiel mal Gormenghast: Die Charaktere sind herrlich schräg, der Stil ist klasse, aber teilweise hat mir darin einfach eine Identifikationsfigur gefehlt.
Allerdings wurden hier auch viele Charaktere als Beispiele genannt, die ich alle überhaupt nicht als "extrem" empfinde. Battlestar Galactica etwa - da kann ich mich in alle gut reinversetzen und das sind für mich alle "normale" Menschen wie du und ich - mit Stärken, Schwächen und Fehlern. Dann "Der Name des Windes" - Kvothe ist für mich ein klassischer (tragischer) Held, manchmal fast ein Alleskönner, aber dennoch nicht ohne Schwächen.
Als ich Gormenghast zum ersten Mal gelesen habe, mit siebzehn, habe ich eine Identifikationsfigur darin gesucht und war ziemlich verloren. Meine Figuren, und ich selbst, haben sich erst mit der Zeit gewandelt. Heute ist Gormenghast für mich die Gallionsfigur, das Aushängeschild für den Wald aus menschlichen Abgründen, in dem ich mich heute als Mensch, Autor und Leser bewege. Wovor mir graust, ist, wo ich in zehn Jahren stehen werde...
Hallo Maja,
Identifikationsfiguren? - Schwierig. Ich denke das Problem ist, der Otto-normal-Leser ist kein Autor, sondern einE gestressteR ArbeiterIn oder einE gestressteR Hausfrau/mann (oder beides ;D), der/die nach einem anstrengenden Tag abends auspannen will. Was liest man dann am liebsten? - Nicht unbedingt eine Geschichte, in der die Identifikationspersonen psychisch am Abgrund stehen.
Das heißt aber imho nicht, dass es für solche Protagonisten nicht auch Lesergruppen gibt. Nur ist das nicht der Mainstream, sondern die Randgruppen. Ich persönlich muss sagen: zu extrem kann ich es meist auch nicht brauchen. Zumal ich kein Vielleser bin. Zu flach gefällt mir allerdings ebenfalls nicht. (Bestes Beispiel: Groschenromane, bah!) Protagonisten müssen Schwächen haben und nicht nur Schwächen um der Schwäche willen, sondern Schwächen, die sie "menschlich" machen.
Meine bescheidene Meinung. Manche Leser brauchen nicht einmal das. Im Gegenteil, oft sehnen sie sich nach einer Figur, in die man sich flüchten kann und die gerade die eigenen Schwächen nicht hat: stark, schön, bewundernswert ist. Nicht viele Menschen flüchten sich gerne in gestörte Persönlichkeiten. Ich fürchte, das wird dein Problem sein ...
Bye
caity
Ich würde die Frage gar nicht so sehr pauschalisieren. Mir als Leser ist es ersteinmal egal, was für eine Art Charakter mir der Autor präsentiert, solange er es nur schafft, ihn glaubwürdig und nachvollziehbar darzustellen. Und vor allem, muss der Charakter sich entwickeln - ich will wissen, wie es mit ihm weitergeht, egal, wie sympathisch oder unsympathisch er mir auch ist (entweder wünsche ich ihm dann ein happy End oder will aus vollkommen egoistischen Gründen sehen, wie der Charakter so richtig schön auf die Nase fällt...)
Zitat von: Kuddel am 30. März 2010, 22:53:10Mir sagte mal eine Lektorin, dass ich meine Figur einzigartig machen sollte. Der Leser muss sich in ihr verfangen. Am besten eine skurile Eigenschaft, ein merkwürdiges Hobby oder einfach ein Wesenszug, der sie ständig in Schwierigkeiten bringt.
Ein Freibrief für schwierige Figuren ist diese Vorgabe allerdings nicht. Eine auffällige Eigenart, die den Charakter nicht beschädigt, eine kleine Schwäche, die aber nicht wirklich behindert, bei einem ansonsten makellosen Helden - das ist die typische Blaupause für die üblichen glatten Figuren. Damit sind nicht zwangsläufig dreidimensionale Figuren gemeint, sondern eher ein paar zackige Kanten für den Scherenschnitt, nicht damit er Tiefe gewinnt, sondern damit er mehr auffällt.
Ein wenig so wie Bella in "Biss" mit ihrer "Ungeschicklichkeit". Schon die Formulierung "merkwürdiges
Hobby" deutet ja darauf hin, dass damit eher Kosmetik gemeint war als eine tiefer gehende Charaktereigenschaft.
Ich würde diese Lektorenaussage also nicht zu weit interpretieren, weil ich nichts darin sehe, was nicht auch bei "simpel gestrickten" Romanfiguren Standard wäre.
Kerimaya hat einen guten Punkt genannt mit dem Weiterentwickeln. Kurz gesagt: Wenn die Hauptfigur über den Verlauf einer Geschichte / eines Romans im übertragenen Sinn nichts "dazu lernt", dann fesselt mich dessen Story auch nicht (meist).
Ich lese sowohl Romane, die Bestseller sind (und oft gefallen sie mir sehr gut, manchmal auch gar nicht: Kvothe aus "Der Name des Windes" hat mir zum Beispiel gar nicht gefallen, den - und das Buch - fand ich sehr enttäuschend. Und Kvothe ist aus meiner Sicht auch überhaupt keine schwierige Figur, wie sie Maja meinte. Er ist eher das Abziehbild des typischen Helden) als auch Nischen-Romane. Beides ist legitim, und ich muss mal in aller Deutlichkeit sagen, dass ein Buch nicht schlecht sein muss, nur weil es den Massengeschmack bedient. Da spielen schon andere Kriterien auch eine Rolle, denke ich ,-)
Außerdem fällt mir auf, um den Bogen zu bekommen, dass es oft nicht unbedingt die Figuren sind, die einen Nischen-Roman von einem Bestseller-Roman unterscheiden. Will heißen: Ein Charakter kann auch in Mainstream-Romanen sehr schräg sein, wenn die Story stimmt und diese die Masse anspricht.
Wo ich vorsichtig wäre ist zu behaupten, dass sich die Regeln, die für einen Serien-Charakter gelten, 1:1 auf Romane übertragen lassen. Die haben einfach eine andere Erzählweise. Das muss nicht zwangsläufig in einem Buch funktionieren, eher im Gegenteil. (Außer natürlich, man schreibt einen Roman mit eben so vielen Point of View-Charakteren wie in einer Serie, so wie das George R. R. Martin macht ...)
Was mir immer gut gefallen hat, ist auch bekannte Stoffe aus der Sicht des eigentlichen Bösewichts zu erzählen und diesen in der eigenen Story zum Helden zu machen (z. B. Morgan le Fay als Morgaine in "Die Nebel von Avalon" oder Elphaba in Gregory Maguires "Wicked"). Ist das nicht auch ein Weg, einen Helden mit mehr Ecken und Kanten zu entwickeln?
Um aber zu Majas Eingangspost zurückzukommen: Ich glaube, durchschnittliche, normale Helden interessieren niemanden.
(Bella funktioniert nur, weil sie praktisch eine weiße Leinwand für den Leser / die Leserin ist, und die Figuren, die um sie herum sind, alles andere als durchschnittlich sind - jedenfalls für den 0815-Leser, der noch nicht zig phantastische Romane gelesen hat). Das ist ein Trugschluß. Wenn man selbst den Helden langweilig findet, finden den mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Leser zum Gähnen langweilig.
Ich habe aber auch das Gefühl, wir reden leicht an Majas originärer Frage vorbei. Wobei ich nicht ganz sicher bin, ob ich Maja ganz richtig verstanden habe: Welche Fantasy-Helden, von denen du in den letzten Jahren gelesen hast, fandest du denn langweilig??
Und vielleicht sollten wir auch ein paar Helden posten, die wir als gar nicht langweilig, weil anders hier nennen?
Mir persönlich gut gefallen haben z. B.
- Tamír / Tobin aus Lynn Flewellings Trilogie, die mit "Der verwunschene Zwilling" beginnt
- bei George R. R. Martin gefallen mir vor allem (mittlerweile) Sansa, weil die sich so toll weiterentwickelt und Cersei (weil die so richtig schön am Rad dreht).
- Mercy Thompson von Patricia Briggs
- Buffy Summers und Willow Rosenberg von Joss Whedon (zugegeben, eine Serie, aber phantastische Charakterentwicklungen!)
Was Buffy anbelangt, wäre noch Spike zu nennen. Der Charakter und seine Entwicklung haben mir sehr gefallen.
Gut wie böse- interessant sind immer die, die kein Durchschnitt sind, deren Verhalten uns überrascht. Ein geradlienig guter Held ohne Ecken und Kanten ist meist so stereotyp, daß sein Verhalten vorhersehbar ist und das Buch damit langweilig wird. Und ich hasse langweilige Bücher. Also: her mit den Helden mit Macken!
Charaktere, die mich in der letzten Zeit durch ihre Eindimensionalität gelangweilt haben, waren, neben einem sehr kurzem Versuch, "Twilight" zu lesen, zum Beispiel in Trudy Canavans "Black Magicians Guild", aber auch viele von den Figuren bei Harry Potter - gut geschrieben, aber in meinen Augen flach, stereotyp und allzu schwarz-weiß. Mit dem "Herrn der Ringe" geht es mir ähnlich, auch wenn das jetzt keine aktuelle Literatur ist. Bei vielem komme ich schon über den Klappentext nicht hinaus, das zählt also nicht. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, immer wenn was erfolgreich ist, liegt das an der Eindimensionalität der Figuren und ihrer allzu großen Beliebigkeit - die erwähnte weiße Leinwand, auf die der Leser sich selbst projizieren kann. Ich will nicht mit jedem Buch ein neues Gormenghast entdecken, aber irgendwie fühle ich mich mit dem, was ich mache, auf verlorenem Posten...
Hm...
Ich mag schwierige Charaktere.
Liegt vermutlich daran, dass ich selbst einer bin und beim Lesen dann das Gefühl habe - "Hm, da bin ich ja nicht alleine".
Ich mag innere Konflikte. Ja, und Drama. Ich mag Charaktere, die in gewissen Dingen unfähig oder tollpatschig sind. Ich hasse allwissende, alleskönnende Leute. Und auch solche, die vorgeben, alles zu wissen und alles zu können. Die hasse ich auch iRL. Ich mag Charaktere, über die man nicht alles weiß. Die einen sogar am Ende der Geschichte so richtig überraschen können.
Und ich mag Schwule. Lesben eher weniger, irgendwie sind sie bei mir so abgedroschen, vor allem durch meine Rollenspieleskapaden. Wie viele Kerle hab ich da kennengelernt die schlecht gespielte Lesben als Chars haben... aber ich schweife ab.
Kurz, ich mag dein Konzept, Maja.
Was ich hier aber jetzt mal einwerfen möchte: Maja, du hast im ersten Post von Charakteren geschrieben, die auf irgendeine Weise "extrem" sind und die Leser vielleicht auch abstoßen. Bei der Diskussion geht es aber (teilweise) allmählich in die Richtung, dass alle Charaktere, die keine Psychopathen mit seelischen Abgründen (entschuldigung, ich drücke es mal überspitzt aus) gleich eindimensionale, flache Alleskönner sind.
Aber ich würde hier schon gern differenzieren: Auf der einen Seite gibt es stereotype, eindimensionale Charaktere und auf der anderen Seite vielschichtige, interessante. Das hat aber erst einmal nichts damit zu tun, ob jemand nett oder unfreundlich ist. Man kann auch "normale" Charaktere interessant und vielschichtig gestalten. Eine Figur kann ein Sympathieträger sein, ohne deshalb gleich ein fades Klischee zu sein.
Wenn es nun um die Diskussion geht, ob ein Charakter interessant und ungewöhnlich oder eindimensional und perfekt sein soll - okay, ich glaube, da sind wir uns alle einig.
Aber ich denke, dass Maja hier einen Schritt weiter gehen wollte und es nicht einfach nur darum geht, ob man Lesern auch vielschichtige Charaktere zumuten kann. Oder habe ich dich falsch verstanden?
Zitat von: Maja am 31. März 2010, 19:39:10Aber irgendwie habe ich das Gefühl, immer wenn was erfolgreich ist, liegt das an der Eindimensionalität der Figuren und ihrer allzu großen Beliebigkeit
Ich greife mal Judiths Gedanken auf und denke, man muss abkommen von dem Versuch, eine künstliche Polarität zwischen "eindimensional, beliebig, platt" auf der einen und "abgründig, vielschichtig, differenziert" auf der anderen aufzubauen. Denn das Feld der Figurenentwicklung ist weiter als das.
Zum einen gehen "eindimensional" und "beliebig" nicht automatisch in dieselbe Schublade. Viele Figuren haben sehr ausgeprägte Kanten, sind alles andere als beliebig und taugen wenig als Projektionsfläche - sind dabei aber zugleich ganz besonders eindimensional, auf eine einzige oder wenige Auffälligkeiten reduziert, keine vielschichtigen Persönlichkeiten, sondern vielmehr die Verkörperung ihrer Besonderheit oder ihre Macke.
Umgekehrt wirken gerade viele vielschichtige Figuren auf den ersten Blick flach, weil sie eben keine aufdringliche Besonderheit haben, nicht durch einen einzigen, alles beherrschenden und oft künstlich wirkenden Charakterzug bestimmt werden. Sie sind dann halt eher so wie Menschen im wirklichen Leben: Um sie wirklich kennen zu lernen, braucht man eine Weile. Dann mögen sie auch ihre typischen Besonderheiten zeigen, oder sogar abgründige "Kanten", die nicht so an der Oberfläche liegen. Aber viele Leser verlieren schon vorher die Geduld, oder schauen gar nicht auf subtile und komplexe Charakterzüge, so dass auf manche Leser manche Figur "beliebig" wirkt, die bei näherer Betrachtung einfach nur so komplex ist, dass dem Leser die Besonderheiten nicht gleich mit dem Knüppel ins Gesicht gehauen werden.
Insofern wird es auch problematisch, diese Punkte als Qualitätskriterium zu entwickeln - gerade weil es keine klaren Pole zwischen gut und schlecht gibt, sondern man auffällige, subtile und gesichtslose, platte wie differenzierte, Figuren mit Abgründen und auch positive Gestalten jeweils gleichermaßen gut oder schlecht ausführen kann. Da mag es die unauffällige Figur mit fein gezeichnetem Charakter neben dem platten kantigen Prota geben, dessen "Tiefe" nur in einem Küchenpsychologischem Knacks besteht; umgekehrt kann der unauffällige Charakter tatsächlich ein weißes Laken sein, während ein Kantiger Prota mit alles beherrschendem Trauma eben auch sorgfältig gezeichnet und folgerichtig auftreten kann.
Bei der Figurenzeichnung gibt es ein so breites Kontinuum an Möglichkeiten, dass die Reduktion auf zwei scheinbar auffällige Gegensätze selbst schon wieder zu "platt" ist ;) Und ich will jetzt nicht entscheiden, welche Variante besser ist. Ich mag menschliche Figuren, gerne auch mit Abgründen - aber auch dramaturgisch reduzierte Gestalten haben ihre Vorteile, und oft ist es sinnvoll, in ein und derselben Geschichte an unterschiedlichen Positionen seine Figuren nach ganz unterschiedlichen Paradigmen zu zeichnen.
In der Tat würde ich zustimmen, dass gerade die erfolgreichsten Romanen oft eher einfache und vor allem eingängige Figuren aufweisen - das müssen allerdings nicht immer austauschbare Gestalten sein, sondern sind oft sehr markante, wenn auch reduzierte Gestalten. Neben den Projektionsflächen, oder den strahlenden Helden, die ebenfalls vorkommen. Da gibt es also schon ein breites Repertoire an möglichen Protagonisten - aber es sind eben selten "schwierige" oder "abgründige" oder allzu "vielschichtige" Figuren. Selten, aber doch dann und wann irgendwie ...
Wenn ich dich richtig verstehe, Maja, würde ich in der Diskussion nicht alles in einen Topf werfen wollen und Eigenschaften wie "Markant/Vielschichtig/Psychologisch gestört" nicht als Bündel betrachten, sondern jeweils getrennt. Und ich habe das Gefühl, die Eigenschaft aus dem Bündel, um die es dir eigentlich geht, ist "beschädigt": Gibt es einen Markt für Geschichten mit "beschädigten" Figuren?
Und, wohlgemerkt, man kann komplexe, vielschichte Figuren durchaus auch unbeschädigt anlegen, genau wie letztlich die Ausgestaltung darüber entscheidet, ob die beschädigten Figuren tatsächlich Tiefe haben, und das eine kommt nicht automatisch mit dem anderen. Wenn ich deine Beispiele allerdings anschaue, habe ich den Eindruck, dass gerade die "Beschädigung" das verbindende Element in deiner Anfrage ist und der Rest hier in der Diskussion erst mal nur Störfaktoren.
Und da wird die Frage auch wirklich schwierig, denn die meisten erfolgreichen Romane haben eben das nicht, oder nicht als Protagonist: beschädigte Helden. Aber, wie gesagt, manche eben doch. Und dann kommt es auf die Ausgestaltung an.
Ich denke, als anschaulichstes Beispiel für das Gesamtproblem taugt zunächst mal dein schwuler Krieger. Eine solche Figur würde gewiss von vielen potentiellen Lesern als beschädigte Figur angesehen - von manchen allerdings wiederum nicht. Darkstar hat das in seinem Kommentar ja treffend illustriert ;) Du würdest damit also möglicherweise Leser abschrecken, während andere nicht mal ein Problem dabei bemerken oder die potentielle Beschädigung eines Charakters vielleicht gerade als Vorzug wahrnehmen. Die "Beschädigung" einer Figur ist also nicht absolut, sondern liegt vor allem im Auge des Betrachters - und manche "Beschädigungen", die du einer Figur verleihen kannst, sind exkludierender als andere und beeinflussen damit den potenziellen Markterfolg stärker. Wenn du Figuren also mit problematischen Eigenschaften anlegst, ist die Wahrnehmung dieser "Beschädigung" ein Faktor.
Ein anderer ist die Ausgestaltung. Was beispielsweise machst du mit einem schwulen Krieger? Du kannst ihn ganz klischeehaft anlegen, als "typischen" maskulinen Schwulen, der mit ölglänzenden Muskeln dem Körperkult frönt. Was schon zeigt, dass die "besondere" Eigenschaft an sich noch lange nicht vor platten Figuren schützt. Oder du kannst den schwulen Krieger bewusst so anlegen, dass du den Kontrast zwischen dem im Krieger verkörperten Männlichkeitsideal und dem Schwulsein ausspielst. Auch das Letztere kann platt sein, aber sind schon mal zwei völlig unterschiedliche Wirkungen, die sich aus der Eigenschaft "schwul" ergeben. Oder du fängst an zu problematisieren und stellst den schwulen Krieger in einen Kontext, der die Figur dazu zwingt, sich mit ihrer Eigenschaft auseinanderzusetzen; du kannst gesellschaftliche Reaktionen in der Geschichte zeigen, oder Fragen der Identität deiner Figur behandeln. Aus der Grundkonstellation "schwuler Krieger" ergeben sich also unzählige Möglichkeiten, wie die Figur in der Geschichte wirkt - und für jede dieser Möglichkeiten gibt es potenzielle Leser, die genau an so was Spaß hätten, nur dürften es jeweils sehr unterschiedliche Leser sein.
Gerade darum macht es wenig Sinn, sich vorher zu fragen: "Wollen die Leser einen schwulen Krieger"? Entscheidend dafür ist, wie dieser Krieger in deiner Geschichte auftritt, und dann kannst du versuchen zu eruieren, ob es genau für diese Art von schwulem Krieger eine hinreichende Zielgruppe gibt. Und mit jedem (problematischen) Element, das hinzukommt, verschiebt sich das Problem, denn für jedes dieser Elemente musst du dir dieselbe Frage stellen und dann die Schnittmenge der Leser überlegen, die an der gesamten Mischung noch Gefallen finden. Womit die Probleme dann erst anfangen.
Nehmen wir an, du gestaltest deinen schwulen Krieger so, dass du die maximale Lesergruppe für diese Art Charakter ansprichst. Und dann deinen psychopathischen Prinzen so, dass du die maximale Leserzahl ansprichst, die prinzipiell psychopathische Figuren spannend finden können. Man sollte meinen, diese Maximierung potenzieller Zielgruppen bringt den optimalen Gesamterfolg - muss aber nicht sein, wenn du mit deinem Krieger genau die Leser ansprichst, die dein Psychopath abstößt, und umgekehrt. Unter Umständen hättest du dann also womöglich mehr Leser, wenn du du beide Figuren so anlegst, dass sie jeweils weniger Leser ansprechen, aber beide in derselben Zielgruppe wirken.
Es ist also vor allem die gesamte Geschichte, die für möglichst viele Leser stimmig wirken muss, in der Gesamtkomposition, damit sie es lesen wollen. Und das wird natürlich umso schwerer, je mehr du dich von gesicherten Mustern entferntst und je mehr "Special Interest"-Themen und -Figuren du in dein Buch packst. Die erfolgreichen Romane mit ihren eher einfachen Figuren profitieren halt vor allem auch von dem Vorteil, dass sie wenige "starke" Elemente darin haben, die große Lesergruppen abschrecken können, so dass sie sich darauf konzentrieren können, einzelne Lesergruppen zu akkumulieren, indem sie "auch für diese Zielgruppe" etwas hinzunehmen - ohne befürchten zu müssen, mit diesen eher schwach wirksamen Standardelementen irgendwelche Leser wieder zu vergraulen, die sie mit anderen Ingredienzien mühsam gewonnen haben.
Darum würde ich sagen, es ist einfacher, mit einfachen, "glatten" Figuren und nur maßvollen Beschädigungen einen großen Leserkreis zu gewinnen. Je weiter man sich davon entfernt, umso mehr wird es eine Frage der sorgfältigsten Komposition. Ich denke daher, die Frage, die sich dir stellen sollte, ist nicht die einer "Einsamkeit" oder des "Stehens auf verlorenem Posten", sondern letztendlich eine nüchtern "Handwerkliche": wie intuitiv kann man mit so einer problematischen und komplexen Komposition noch den Nerv einer hinreichend großen Lesergruppe treffen?
Ob du bei dieser "intrikaten" Aufgabe auf "verlorenem Posten" stehst und besser daran tätest, dich zurückzunehmen, wenn du deine Leser nicht verschrecken willst, das kannst du selten daran ablesen, was für fremde Bücher gut ankommen. Denn kein anderer Autor komponiert genau dasselbe Werk wie du. Den Referenzwerken kannst du nur gewisse Tendenzen entnehmen (und, klar, dass du dich eher vom Massenmarkt entfernst, wenn du da zu weit gehst). Aber wie viel Gesellschaft du mit deinen persönlichen Vorlieben unter den anderen Lesern hast, siehst du halt erst, wenn dein persönliches Buch am Markt ist.
Ich würde also empfehlen, schau dir Referenzwerke an, verorte dich dazwischen, schau vor allem auf die Autoren, die deinem Ideal zumindest nahe kommen, und orientiere dich daran, wie viele Leser die an sich binden konnten, und wie sie das (womöglich) geschafft haben. Aber betrachte das nur als empirisches Lehrmaterial und nimm es nicht persönlich und lass dich vor allem nicht entmutigen, wenn du jede Menge Leser siehst oder zu sehen glaubst, die was anderes wollen.
Denk immer dran: Es gibt Millionen Leser allein in Deutschland, und selbst der erfolgreichste Bestsellerautor hat eine Majorität von Lesern gegen sich, die nichts mit seinen Werken anfangen können. Es lohnt sich also nicht, auf die Masse derer zu schauen, für die man eh nicht schreibt - konzentrier dich auf die Leser, die du erreichen kannst, und versuche, davon genug zusammenzukriegen. Und den Rest nimmt man dann einfach hin 8) (<-Ersatz für den fehlenden Scheuklappensmiley)
Hallo,
die Beschädigungen und Charakterzüge einer (haupt-)Figur müssen für mich mit dem Plot zusammenhängen, damit sie am besten dafür ausgeschlachtet eingespannt werden können und nicht bloß für sich genommen schräg sind.
Da sich die Hauptfigur idealerweise ja im Buch und durch die Geschehnisse ändern sollte, lässt das einen gewissen Spielraum.
Extrem schräge Vögel aus Prinzip (Humorvolles mal ausgenommen) sind mir als Autorin fremd und ich finde sie persönlich häufig aufgesetzt. Das ist vielleicht reine Geschmackssache...
Gruß,
Linda
In meinem neuen Projekt sind zwei meiner Helden gleichzeitig die Antagonisten. Deswegen habe ich mich in den letzten Tagen auch ein wenig eingehender mit dieser Frage beschäftig und bin zu folgendem Schluss gekommen: Ich denke, die Grenze liegt da, wo die "verdrehten" Charaktere nicht mehr fähig sind, mit den normaleren Figuren sinnvoll zu interagieren, zumindest dann, wenn sie wirklich aktive Helden sein sollen. Etwas "Menschlichkeit" braucht ein Held, finde ich. Nebenfiguren stehen sicher noch einmal auf einem anderen Blatt. Beliar und Keren sind definitiv psychisch und emotional schwer gestört. Trotzdem sind sie in der Lage, sozial kompatibles Verhalten zu mimen, und deswegen werde ich sie genau so lassen, wie ich sie geplant habe.
Ansonsten stimme ich Linda definitiv zu: Solche Störungen sollten bestenfalls plotrelevant sein - sonst ist das vermutlich wirklich verschenktes Potential.
Hallo,
jetzt muss ich aber doch noch einmal nachhaken, da Lomax' Kommentar mich stutzig gemacht hat:
Was für Charaktere meinst du, Maja?
Meinst du vielschichte Protagonisten, mit Stärken und Schwächen oder Protagonisten, die an psychischen Krankheiten leiden, also wirklich daran leiden, nicht nur eine Schwäche haben? Und ich würde Schwul-Sein nicht als eine Krankheit ansehen. Charaktere, die von der Norm abweichen, sind nicht zwangsläufig ein Zeichen von abnormalen Geschichten. Für mich muss die Mischung stimmen. Und vermutlich bin ich dann sogar eher ein Leser, der gerne auf die "platten" Figuren ausweicht. Zu platt dürfen sie nicht sein, doch zu ausgefallen ... ich mag Geschichten von psychisch-Kranken nicht sooo sehr, aber es ist wirklich Geschmackssache XD
Bye
caity
Zitat von: caity am 04. April 2010, 10:28:32Meinst du vielschichte Protagonisten, mit Stärken und Schwächen oder Protagonisten, die an psychischen Krankheiten leiden, also wirklich daran leiden, nicht nur eine Schwäche haben?
Ich glaube nicht, dass es wirklich um "psychische Krankheiten" geht. Darum hatte ich ja bewusst von "beschädigten Figuren" gesprochen, was eher ein dramaturgischer Fachbegriff ist - es geht um Eigenschaften von Figuren, die ihre Akzeptanz beim Publikum gefährden können.
Psychische Krankheiten können solche Eigenschaften sein, sind aber nur ein Teil des Ganzen. Eine Figur beispielsweise, die notorisch fremdgeht, könnte in dramaturgischer Hinsicht beispielsweise "beschädigt" wirken, auch wenn das wohl noch nicht als psychische Krankheit zählt. Umgekehrt muss eine bloße "Schwäche" eine Figur noch lange nicht beschädigen; das kann auch einfach nur wie ein "Schönheitsfleck" aufgetragen sein, wenn diese "Schwäche" beispielsweise nur etwas belangloses wie "Höhenangst" ist, oder eine "sympathische Ungeschicklichkeit". ;)
Charakter ohne Schwächen will doch keiner sehen!
Sowas lesen vielleicht Teenager deren Lieblingsbuch Bis(s) zum Morgengrauen ist gerne, aber kein anspruchsvoller Leser. Ein bisschen Macken gehören doch dazu, dass man sich überhaupt mit dem Protagonisten identifizieren kann! Denn keiner wird wohl behaupten er sei makellos, oder?
Ich bin ja ein total er Fan von Snape aus den Harry Potter Büchern. Kein guter Vergleich, aber trotzdem.. der Mann ist von oben bis unten unsympathisch aber wie man am Schluss erfährt (Achtung, Spoiler!) doch ein Mensch der liebt & ein Herz hat!
Und jeder Mensch hat irgendwo ein Herz.. Also, blos keine langweiligen flachen Charaktere erfinden! Vielschichtigkeit ist wichtig.
Ich liebe Bücher mit kranken, verrückten, psychopatischen Charakteren, solche Details haben mich z.B. an Kai Meyers Alchimistin fasziniert. Ein Buch mit normalen Charakteren stößt mich eher ab, ich freue mich über jedes kranke Detail. Manchmal suche ich dieses sogar und wenn ich es dann gefunden habe kann ich sagen "So, jetzt finde ich den klasse." Mach ruhig das Buch wie du es vor hattest, mit den normalen Büchern kann man sich doch mittlerweile totschemißen, solche wie du es machen wollstest gibt es viel zu wenig.
Was ist schon normal?
Selbst, wenn es den edelmütigen, ehrlichen, hilfsbereiten ... Recken beschreibt, kann der Autor ihn im Buch durch seine Naivität z. B. sehr tief fallen lassen. Ich schätze "echte" Helden. Personen, welche zwar viel leisten können, aber dadurch auch in der Lage sind, mehr zu ertragen, als der Durchschnitt!
Außerdem braucht ein Buch eine Person, Mann oder Frau, welche die Seiten lebendig werden lässt und das ist sicher nicht das nette Nachbarskind, ... obwohl man doch sagt, daß Serienmörder oft unauffällig ... ( und so weiter :bittebittebitte:)
Was habe ich mich über Jon-Tom, Bannsänger und Geralt von Riva, Hexerzyklus, gefreut. Männer und mit ihnen Frauen welche ich fast fühlen konnte und das nicht durch ihren Glanz und ihre Perfektion. Nein, durch ihre tiefen, leidenden, freudigen Gefühle und Persönlichkeiten.
Und ja, ich bin auch eine Zielgruppe :vibes:
Lg Merrit
Manchmal denke ich, die "Helden" suchen uns, ihnen eine Stimme zu verleihen, ihre Geschichte zu erzählen, sie zum Leben zu erwecken. Wenn es über den Umweg einer "Ich schreibe jetzt mal eine klassische Fantasy-Geschichte" läuft, dann läuft es eben so. Jede Geschichte braucht irgendeinen Türöffner. Und Musen gehen manchmal wirklich seltsame Wege.
Zitat von: Maja am 30. März 2010, 17:17:25
Was ich mich jetzt frage, ist: Wollen die Leser das überhaupt? Wenn ihr die Zielgruppe seid, wollt ihr pflegeleichte Sympathieträger, mit denen sich jeder (außer mir) identifizieren kann, oder ist es für euch okay, auch mal von einem Helden abgestoßen zu werden, wenn er dafür interessanter erscheint? Oder bilde ich mir nur ein, daß das zwei verschiedene Dinge sind, die einander ausschließen, und liege falsch, normal und langweilig gleichzusetzen?
Möchte mich einem früheren Posting anschließen, ich glaube Churke sagte das schon: Normale Leute in einem normalen Setting wecken auch bei mir nichts als gähnende Langeweile.
Als Leser faszinieren mich die "beschädigten" Typen am meisten. Da möchte ich dann wissen, was zu dieser Beschädigung führte, wie leben, kämpfen und vor allem überleben sie damit? Macht diese Beschädigung sie zu eiskalten Monstern? Oder entwickeln sie gerade durch diese Beschädigung ein gewisses Maß an Menschlichkeit?
So hat beispielsweise Joe Abercrombie für seine "Klingen-Triologie" den - meiner Meinung nach - genialen Charakter mit dem Namen "Glokta" entwickelt. Als Inquisitor ist der ein ausgesprochen übler Typ, gnadenlos foltert er Menschen, um ihnen Geständnisse abzuringen. Er räumt bedenkenlos Leute aus dem Weg, die den Zielen der Inquisition im Wege stehen.
Dabei ist Glokta selbst ein versehrter "Kriegsheld", wurde gefoltert und dabei zum Krüppel gemacht. Ist körperlich so am Ende, dass sein größter Feind im Leben Treppen sind. Und er zweifelt. Einerseits gnaden- und skrupellos stellt er sich auf der anderen Seite immer wieder die Frage, warum er das eigentlich alles macht. Warum tötet und verstümmelt er Gefangene und vernichtet er die Existenz von Menschen?
Ich denke, dass Abercrombie es geschafft hat, diesen Charakter gerade durch das Zweifeln an sich selbst sympathisch zu machen - zumindest bei mir hat er das geschafft. Denn ich will Figuren mit Ecken und Kanten, sonst wird mir ganz schnell langweilig.
Und im Laufe der Triologie zeigt der gute Glokta ja auch noch ein wenig Herz. Nicht viel, aber immerhin.
Aber zurück zu deiner ursprünglichen Frage, was die Leser wollen. Ich persönlich denke, dass (kommerziell) erfolgreiche Bücher immer eine Mischung aus faszinierender Figur, spannendem Konflikt und interessantem Setting sind. Und authentischen Figuren, da stimme ich dir absolut zu.
Was ich nicht glaube ist, dass der Leser "normale" Figuren den etwas "ramponierten" oder "beschädigten" Charakteren vorzieht. Eine Figur kann meiner Meinung nach ziemlich beschädigt oder sonstwas sein, solange sie nur irgendwas hat, mit dem sich der Leser identifizieren kann.
In "Die Legenden der Albae" zeigt Markus Heitz beispielsweise, wie bösartig und grausam die Albae sind. Aber er stattet sie mit einem ausgeprägten Sinn für Kunst und Schönheit aus - natürlich in "menschlichen Augen" abartige Kunst und Schönheit, aber authentisch im Kontext der Geschichte - und nutzt diesen, um die Albae dem Leser nahezubringen, ihn für seine Figuren einzunehmen. Was ihm auch gelingt, finde ich.
Wenn deine Figuren also einen gewaltigen Hau wech haben, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie dem Gros der Leserschaft gleich unsympathisch sein müssen. Ich denke, es kommt einfach drauf an, was der Leser sonst noch an deinen Figuren entdecken kann. Und da ist ja bestimmt jede Menge oder? ;D
Das mit der Leseridentifikation ist ein schwieriges Thema. Sieht man sich einige kommerziell sehr erfolgreiche Bücher an (z.B. Twilight), sucht man originelle Charaktere vergeblich. Stephenie Meyer (in diesem Fall nicht zu verwechseln mit Kai Meyer, der kann das nämlich) versucht ihrem Edward noch ein wenig Tief zu geben, indem sie ihm eine dunkle, dunkle Vergangenheit andichtet, die aber nur lächerlich wirkt. Er ist perfekt, gibt es gerade hier vielleicht einen Zusammenhang zu der Tatsache, dass hauptsächlich Mädchen Twilight lesen?
Ein anderes Beispiel: Jodi Piccoult. Eigentlich ganz passable Werke, aber jeder und wirklich jeder ihrer Charaktere ist so durch und durch absolut herzensgut, dass es schon wehtut. Er ist Alkoholsüchtig - aber nur weil er sie so sehr liebt. Jede kleine Macke wird sofort hieb und stichfest begründet, sodass man sich im Grunde mit niemandem identifizieren kann. Ich will kein Buch über absolut perfekte Menschen lesen. Muss ich mir denn dann nicht jedes mal vor Augen führen, wie ich selbst einmal der dicken Frau die letzte Packung Schokolade vor der Nase weggeschnappt habe? Nein, das ist wirklich nicht schön.
Wenn ich mich mit einem schrulligen Charakter nicht ganz identifizieren kann, ist das dann schlimm? Also, für mich persönlich nicht, ich finde aber oft etwas, wenn auch nur eine Kleinigkeit. Das ist aber auf jeden Fall besser möglich, als bei Büchern mit normalen Charakteren. Wie kann ich die denn sonst alle unterscheiden? Ansonsten kann man die ja nur noch durchnummerieren, die Namen merkt man sich dann bestimmt nicht. Vielleicht ganz praktisch, wenn man über Bücher reden will, aber wenn ich an meine Lieblingsbücher zurückdenke, dann hat jeder Charakter immer etwas besonderes, meistens ist das skurril und das liebe ich dann an ihnen.