Beim Lesen im Montsegur-Forum bin ich in einer Diskussion auf eine Frage gestoßen, die ich hier mal stellen will: Es ging um stilistische Formen der Beschreibung und eine ganze Reihe Mitglieder dort bemängelte es, wenn ein Autor seinen Charakter dadurch einführt, dass dieser in den Spiegel schaut und dabei beschreibt, wie der Charakter aussieht.
Ich selber habe diese Art Szene auch einmal benutzt, einfach aus dem Grund, weil ich die Hauptfigur am Anfang der Story ja kurz beschreiben wollte und in dieser Zeit einfach kein anderer als sie selber anwesend war.
Was ist so schlimm an einer solchen "Spiegelszene", dass sie anscheinend von den Profis als gravierendes Beschreibungmängel angesehen wird?
Wird sie zu oft benutzt?
Oder zu übertrieben benutzt?
Wie könnte man es denn besser machen?
Ich hätte kein Problem mit solch einer Schilderung, wenn sie gut geschrieben ist. Wenn die Erzählung in der ich-Form geschrieben wird, gibt es ohnhin nicht allzuviele andere Möglichkeiten.
Eine Alternative wäre es die Figur in einem Dialog beschreiben zu lassen, was aber auch eher gekünstelt wirkt.
Ich kann mir nur vorstellen, daß vielleicht zu häufig davon Gebrauch gemacht wird. Doch kann ich mich nicht daran erinnern, solch eine Szene gelesen zu haben. (Vielleicht habe ich auch nicht darauf geachtet.)
Vielleicht haben die in jenem Forum auch zu hohe Ansprüche. Das ganze macht auf mich einen ziemlich snobistisch-elitären Eindruck. (Gleichwohl die Beiträge dort auch nicht besser sind als hier, oder in anderen offenen Autorenforen.)
Naja, ich empfinde es als eine Art faulen Trick, den Charakter in den Spiegel sehen und sich beschreiben zu lassen. Wer stellt sich schon vor den Spiegel und denkt darüber nach, welche Farbe seine Augen haben? Man weiß doch, wie man aussieht. Veränderungen oder einen ungewöhnlichen Zustand deutlich machen, das geht in Ordnung, aber es wirkt einfach nicht wie eine natürliche Handlung, wenn sich eine Figur hinstellt und erzählt, sie habe blonde Locken und eine etwas große Nase.
Aber ich bin sicher, man kann den Spiegeltrick auch so geschickt anwenden, dass er nicht aufgesetzt und abgegriffen wirkt. Und dann habe ich sicherlich nichts dagegen einzuwenden.
Ich hab die Diskussion auch mitgelesen, und war ganz entsetzt, denn ich habe in meinem Roman sogar DREI (!) Spiegelszenen. (OK, einmal ist es ne Fensterscheibe, aber trotzdem....). Keine Ahnung, ob ich die irgendwie streichen oder umwandeln kann.
Aber ich hätte nie gedacht, dass das soooo verpönt ist. Meine Güte, jeder schaut sich doch jeden Tag mehrmals in den Spiegel und begutachtet sein Aussehen. Warum soll man das in einem Buch plötzlcih nicht mehr tun dürfen?
Mich hat es jedenfalls noch nie in einem Buch gestört. Und ich weiß gerne, wie die Protas aussehen.
lg, A.
Vielleicht stößt denen ja die Innovationslosigkeit auf. Wenn man sich mal vorstellt, jeder Roman begänne mit dem Satz: "A betrachtete sich im Spiegel", dann nervt das realtiv schnell.
Mich stört daran auch, dass man normalerweise nicht nur kein objektives, sondern ein sehr verzerrtes Bild von sich selbst hat. "Er sah gut aus" oder "sie war hässlich" verrät beim Spiegelblick mehr über das Innere als das Äußere der Figur.
Ehrlich gesagt, wäre ich nicht einmal darauf gekommen, so etwas zu machen. Ich habe mal eine Szene geschrieben, in der sich eine Figur im Spiegel betrachtet. Allerdings weiß der Leser da schon lange, wie sie aussieht, es geht nur noch um ihre Meinung über sich selbst.
Mir sind diese "Spiegelszenen" selbst erst aufgefallen, als ich angefangen hatte, mich ernsthaft mit dem Schreiben auseinanderzusetzen.
Stören tun sie mich, so sie ordentlich gemacht sind, dabei eigentlich nicht (schmunzeln muss ich inzwischen aber trotzdem drüber, wenn sie mir ins Auge fallen). Es gibt aber auch genug andere Methoden, um seine Hauptdarsteller vorzustellen; beispielsweise, indem andere Personen sich über den Prota äußern läßt ("Ich weiß gar nicht, was Du hast, ich wäre stolz, eine so tolle blonde Mähne zu haben wie du. Schau dir meine Fusseln an: die sind einfach nur nichtssagend braun.") Okay, es sollte nicht ganz so platt sein ;D, aber dieser Dialog läßt sich in alle Richtungen variieren.
Ansonsten finde ich es übrigens als Leser gar nicht so wichtig zu wissen, ob der Prota jetzt eine Himmelfahrtsnase hat, oder nicht. Mich interessiert der Mensch hinter der Optik viel mehr. Grüne Haare, lila Augen, okay - aber wenn die Hauptfigur eine Dumpfbacke ist, kann sie aussehen, wie sie will, sie wird mir deshalb trotzdem nicht mehr sympathischer. Ob nun mit oder ohne Spiegelszene ...
Allgemein kann man sich natürlich die Frage stellen, wozu man das Äußere eines ich-Erzählers überhaupt beschreiben muß. Sollte für die Handlung aus irgend einem Grunde ein bestimmtes körperliches Merkmal erwähnenswert sein, kann man es auch dort im Zusammenhang anführen.
Ich habe nichts gegen solche Szenen, dennoch wirken sie auf mich wie eine Notlösung, die der Autor anwendet, weil ihm nichts Gescheiteres einfällt und er unbedingt das Aussehen beschrieben haben will... Wobei ich zugeben muss, dass es nicht viel Gescheiteres für einen Ich-Erzähler gibt :hmmm: Also finde ich solche Szenen in Ordnung, wenn sie nicht zu ausführlich werden- es ist unrealistisch, wenn ein Chara sich minutenlang selbst beäugt. Es sei denn, der Prota ist eine Tussi, die viel auf ihr Aussehen hält und sich alle paar Stunden ausführlich bewundern muss ;D.
Ich habe jedoch mal ein Buch gelesen- ein recht unbekanntes, doch der Name will mir gerade nicht einfallen-, in dem der Autor alle Hauptprotagonistin (drei oder vier, wenn ich mich recht entsinne) in einen See, den Rückspiegel eines Autos oder in eine Fensterscheibe hat blicken lassen, um das Aussehen zu beschreiben, da ist es mir unangenehm aufgefallen.
Es gibt eine ganze Menge "Mängel", über die sich "Profis" sehr gerne ereifern können - die also als beliebter Diskussionsstoff zwischen Autoren und Lektoren taugen, und auf die mancher erfahrener Leser mit schreibtheoretischem Hintergrund achtet. Die allerdings, rein nüchtern oder wirtschaftlich betrachtet, kein Schwein interessieren, und die man daher recht präzise von "echten" Mängeln, die die Verkaufbarkeit eines Werkes beeinträchtigen, unterscheiden muss.
Zu diesen "Luxusproblemen" gehören beispielsweise interpretierende Adjektive und Perspektivenfehler - und ich würde auch mal die "Spiegelszenen" dazu rechnen. Negativ auffallen tun die manchen Leuten ja wohl in erster Linie deshalb, weil sie abgegriffen wirken und zu oft vorkommen; aber ein so häufiges Vorkommen spricht selten dafür, dass eine gewisse Ausdrucksform prinzipiell ungeeignet ist ;)
Ich würde solche "Spiegelszenen" also so betrachten, wie viele anderen Mängel nachgeordneter Bedeutung auch: Sie sind nicht unbedingt der Gipfel schriftstellerischer Kunst; wenn einem was Besseres einfällt, sollte man die Alternativen nutzen; sie können oft zu den Merkmalen der "Trivialität" zählen, und man sollte sie daher mit Bedacht und Gespür für die Zielgruppe einsetzen. Ansonsten wird nur dann ein relevanter Anteil an Lesern darüber stolpern, wenn man sie ungeschickt einsetzt.
Ich persönlich bin kein Freund von "Spiegelszenen", weil ich sie auch weitgehend überflüssig finde. Aber wenn sie in einem Buch nicht so oft vorkommen, dass sie wie ein Manierismus des Autors wirken, würde ich sie als Lektor nicht anstreichen.
In einem Schreibratgeber, den ich vor Jahren gelesen habe (ich glaube, es war "Kreativ Schreiben" von Fritz Gesing) wurde mir der Spiegeltrick als fauler Schwindel aufgezeigt, und ich mußte dem Autor schon damals voll Recht geben. Seitdem müssen meine Leser damit leben, daß man nur relativ wenig über das Aussehen der Hauptfigur erfährt, zumindest wenn niemand sonst die Perspektive hat. Auch Leute, welche die Hauptfigur schon gut kennt, werden nicht mehr extra beschrieben - es sei denn, sie sehen verändert oder komisch oder sonstwie anders als sonst aus.
Dennoch gibt es bei mir eine Spiegelszene, relativ am Anfang der "Spinnwebstadt" (das bedeutet, sie ist noch 1997 entstanden; den Schreibratgeber habe ich aber frühestens 1998 gelesen) - aber dabei hat der Held Grund, in den Spiegel zu starren, denn er hat sich gerade die Haare gefärbt und das Ergebnis ist anders geworden als erwartet. Viel mehr als die Haare (Grün! nicht goldblond, sondern grün!) werden dabei aber nicht beschrieben. Im Kapitel Vier gibt es einen zweiten Spiegelmoment, Wand, und auch dieser wird hauptsächlich deshalb thematisiert, weil Mowsal (er mit den grünlichen Haaren) entsetzt feststellt, wie verquollen er am Morgen nach einem Saufgelage aussieht. Im fünften Kapitel schließlich spiegelt er sich in einer gläsernen Wand und findet Erwähnung, weil sein Spiegelbild andere Augen hat als die, an die Mowsal von sich gewöhnt ist. Als er dann im dritten Buch, Kapitel vier oder fünf, wiederum vor einem Spiegel landet, schmiert er mit Zahnpasta ein Gesicht drauf und geht wieder. Und hat damit alle Spiegelbegegnungen aller meiner Figuren aufgebraucht.
Wenn ich beim Lesen auf so ein "Der Charakter wird beschrieben, indem er vor einem Spiegel steht und sich betrachtet"-Moment kommt (und er nicht Fragen thematisiert wie "Sind das schon Falten?" oder "Ob dieser Pickel *sehr* auffällt?", sondern nur der Beschreibung dient) ist das für mich Grund, das Buch beiseitezulegen und davon auszugehen, daß der Autor es einfach nicht besser kann. Da verzichte ich sonst lieber auf eine Beschreibung, und fülle die Lücken im Kopf aus.
ich habe auch schon überlegt, diese Frage zu stellen. Da ich gerne in der Ich-Perspektive schreibe , hatte ich das Problem auch. Aber mir fällt einfach nichts besseres ein. Es würde keinen Sinn machen, wenn eine andere Person in einem Dialog ausführlich den Ich-Erzähler beschreibt. Das würde noch künstlicher wirken.
Einmal habe ich es so gelöst, dass der Ich-Erzähler in den Spiegel schaut, weil er sich seine Wunde anschauen will und nebenbei bemerkt er, dass seine blonden Haare durcheinander sind und eine andere Person bemerkt, dass er sich rasieren sollte.
Mich nervt es, wenn ich überhaupt nicht weiß, wie eine FIgur aussieht. Ich finde das schon wichtig. Klar kann man sich denken, dass eine Figur gut aussehen muss, wenn ihm die Frauen reienweise zu Füßen liegen, aber wenn man gar nichts efährt, und der Stil dazu auch noch distanziert ist, bleibt der Ich-Erzähler für mich abstrakt.
Eigentlich sollte der ich-Erzähler aber über seine Denk- und Sprechweise charakterisiert werden.
Vielleich kennt ihr einen der berühmtesten Detektive: Phil. Marlowe. Ich denke, wer mal eines der Bücher gelesen hat, wird sich bestimmt an diesen originellen Charakter erinnern. Aber weiß auch noch einer, wie er aussah?
Eine Möglichkeit, derer ich mich auch gerne bediene, ist, die Figuren nicht gleich zu Beginn ausführlich zu beschreiben, sondern erst nach und nach gewisse Merkmale beiläufig zu erwähnen.
Marlowe halte ich nicht für das allerbeste Beispiel, weil er natürlich schnell automatisch mit Humphrey Bogart assoziiert wird (der nur einer von einem Dutzend Marlowe-Darstellern war, aber sicher der prägendste). Ansonsten muß ich Tenryu zustimmen, was die Bedeutung von Figurenbeschreibungen hat - sie tritt hinter Verhaltensmustern und Selbstcharakterisierung zurück.
Es gibt auch genug andere Möglichkeiten, das Aussehen von Figuren anzudeuten: Wenn sich die Icherzählerin beim Spöbern in der Wäscheabteilung beschwert, daß ausgerechnet die hübschen Schlüpfer wieder nicht in XL erhältlich sind, sie sich aber in britischen Museen darüber amüsiert, daß das Schild "Mind Your Head" gut dreißig Zentimeter *über* ihrem Kopf hängt, dann haben wir schon eine gewisse Vorstellung von ihrer Statur. Nur als Beispiel. Der Möglichkeiten gibt es viele. Wenn das Aussehen denn von Bedeutung sein soll.
Um auf Bogart zurückzukommen - es gibt einen Film mit ihm (Name fällt mir nicht ein) über einen Mann, der nach einem Unfall (?) ein neues Gesicht bekommt. Der Film ist mit subjektiver Kamara gedreht. Sein altes Gesicht bekommt der Zuschauer nie zu Gesicht, nur das neue - weil es eben falsch und fremd ist.
Man kann auch eine Person mit einer anderen Person vergleichen. Also "größer als", "kleiner als" etc.. Wenn sich der Protagonist vor einem Türsteher ebenbürtig fühlt ("Der Honk ging mir auf den Sack und seine Oberarme waren nicht halb so dick wie er sich einbildete."), dann verrät uns das schon einiges.
Zitat von: Maja am 13. September 2008, 00:22:32Um auf Bogart zurückzukommen - es gibt einen Film mit ihm (Name fällt mir nicht ein) über einen Mann, der nach einem Unfall (?) ein neues Gesicht bekommt. Der Film ist mit subjektiver Kamara gedreht. Sein altes Gesicht bekommt der Zuschauer nie zu Gesicht, nur das neue - weil es eben falsch und fremd ist.
Du meinst wahrscheinlich "Das unbekannte Gesicht"
(Dark Passage) 1947. Mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall. (Die Frau ist 84 und dreht immer noch Filme!) Ein spannender Film noir, den ich in meiner Sammlung besitze.
Zitat von: Maja am 12. September 2008, 23:54:31... wurde mir der Spiegeltrick als fauler Schwindel aufgezeigt, ... Wenn ich beim Lesen auf so ein "Der Charakter wird beschrieben, indem er vor einem Spiegel steht und sich betrachtet"-Moment kommt (und er nicht Fragen thematisiert wie "Sind das schon Falten?" oder "Ob dieser Pickel *sehr* auffällt?", sondern nur der Beschreibung dient)
Ja, es gibt viele solcher Momente. Infodumping in Dialogen ist noch weiter verbreitet, meinem Empfinden nach ein ebenso fauler Trick ... blödsinnig lange Exkurse, an einen nichtigen Anlass im Roman aufgehängt ... Und de facto ist die Spiegelbeschreibung ja auch nicht weniger getrickst, wenn man sie durch einen "guten Grund" kaschiert. Man trickst halt nur ein wenig geschickter, indem man den Trick dann wiederum mit einem Trick an den Leser weiterreicht ;)
Ich finde solche Sachen eigentlich alle ziemlich nervig. Aber ob sie wirklich stören oder nicht, hängt oft davon ab, ob sie symptomatisch fürs Buch sind oder eher Einzelfälle bleiben. Und wenn man viele solcher Bücher bearbeitet und sich ein paarmal darüber aufregt - und dann irgendwann feststellt, dass sich nie ein normaler Leser daran stört und die Titel zum Teil zu den erfolgreichsten überhaupt werden und andere mit solchen Mängeln gar Literaturpreise gewinnen ... Dann kommt auch irgendwann der Punkt, wo man nur noch gelangweilt seufzen kann, wenn solche Mängel irgendwo diskutiert werden, als wären sie ein Weltuntergang.
Bei dem "Spiegelproblem" kommt ja noch die gewisse Ironie hinzu, dass diese Marotte überhaupt nur in Reaktion darauf entsteht, dass man nach einem Kunstgriff sucht, um seiner Zielgruppe das zu geben, was sie unbedingt haben will, ohne eine formale Regel zu brechen, die einem den einfachen Weg zur Zielgruppenbefriedigung verbietet. Und dass dann eine weitere formale Regel aufgestellt wird, die diese Umgehung wiederum für schlecht befindet, was dann wieder zu neuen Umgehungsstrategien führt. Das hat dann schon etwas von einer Beschäftigungstherapie für Leute an sich, die gerne alles kompliziert machen
wollen. ;D
Oder einfach ausgedrückt: Wer unterhält, hat recht. ;)
Guten Morgen,
Zitat von: Maja am 12. September 2008, 23:54:31
In einem Schreibratgeber, den ich vor Jahren gelesen habe (ich glaube, es war "Kreativ Schreiben" von Fritz Gesing) wurde mir der Spiegeltrick als fauler Schwindel aufgezeigt, und ich mußte dem Autor schon damals voll Recht geben. Seitdem müssen meine Leser damit leben, daß man nur relativ wenig über das Aussehen der Hauptfigur erfährt, zumindest wenn niemand sonst die Perspektive hat. Auch Leute, welche die Hauptfigur schon gut kennt, werden nicht mehr extra beschrieben - es sei denn, sie sehen verändert oder komisch oder sonstwie anders als sonst aus.
Es gibt viele Möglichkeiten beim Leser eine Vorstellung davon zu erzeugen, wie der Charakter über den man schreibt (in etwa) aussieht. Einige davon sind hier bereits genannt worden.
Personenbeschreibungen der detaillierteren Art (unter Zuhilfenahme von Spiegeln etc.) sind m.E. eher unnötig. Die Schriftstellerei ist das Reich der Fantasy und ich (als Leser) möchte die in einer Geschichte auftauchenden Personen mitgestalten können.
Im Übrigen: "Schreibratgeber" haben für den Schriftsteller in etwa die gleiche Bedeutung wie "Malen nach Zahlen" für den Pinselschwinger.
Viele Grüße
Taske
Ich sehe den Thread, denke kurz "Ach nöööö, der Spiegeltrick, der hat solch einen Bart!" und will mich abwenden ... als mir auffällt, dass ich ihn aktuell selber verwende! :wums:
Aber aus gutem Grund!
Ein Mann erwacht ohne Gedächtnis aber mit einer getöteten Frau neben sich im Bett. Er weiß nicht, wer er ist, fühlt sich fremd im eigenen Körper (NEIN, er ist nicht transsexuell!) und untersucht das Zimmer akribisch nach Hinweisen auf seine Identität, der der Frau und seiner Mitschuld an der Tat. Dabei sieht er auch in den Spiegel und betrachtet sich genau.
Nun dient die Szene nicht in erster Linie dazu, dem Leser ein Bild von der Figur zu vermitteln, die Figur macht sich ein Bild von sich, sie selbst ist sich unbekannt.
Ich denke, in diesem Fall ist es legitim, den Spiegel zu benutzen. Wenn die Figur aber unbewusst in den Spiegel schaut und dabei für den Leser detailliert vorgestellt wird, dann finde ich es besser, lieber nach und nach Infos einzustreuen, die sich aus dem Kontext der Handlung ergeben und nicht bloßes Infodumping sein.
*schaut schnell noch mal in den Spiegel ob die Augen nach wie vor graublau sind*
Also irgendwie erscheint mir dieses Thema lächerlich.
Spiegeltrick ... wenn man das schon hört. Physikalisch ist es möglich, realistisch auch. Ich selber schaue so oft in den Spiegel und betrachte dabei einzelne Merkmale, die ich dann innerlich auch kommentiere ... Aber unabhängig von mir, gibt es keinen Grund, warum dies nicht mal so gemacht werden sollte. Stil, billiger Trick - who cares? Wenn es nicht gerade bei jeder Person in jedem Buch vorkommt, dann sehe ich da keine Probleme. Und wenn jemand bei einem 250 Seiten Buch aufgrund einer halbseitigen Spiegelbeschreibung das Buch weglegt, dann ist das eine Form einer extremen Verbissenheit - allerdings natürlich auch legitim.
Und wenn wir schon beim Wort "Trick" sind: Es gibt gute und schlechte Zauber, das sagt aber noch lange nichts über ihre Daseinsberechtigung aus. Es wäre ja, als würde man einen Kartenzauber von Copperfield als Trick betiteln, gleichzeitig aber das Durchschneiden eines Menschen nicht, weil es eventuell origineller erscheint.
Oder nehmen wir einen Gilderoy Lockhart, den ich mir in der Ich-Perspektive durchaus in so einer Spiegelbeschreibung vorstellen könnte. Es muss doch einfach nur passend für Szene und Buch sein, alles andere ist egal. Man würde sich ja auch nicht darüber ärgern, wenn ein Charakter ne schlechte Grammatik spricht, weil es theoretisch eine bessere gibt.
Zitat von: Lomax am 13. September 2008, 02:28:29
Ja, es gibt viele solcher Momente. Infodumping in Dialogen ist noch weiter verbreitet, meinem Empfinden nach ein ebenso fauler Trick ... blödsinnig lange Exkurse, an einen nichtigen Anlass im Roman aufgehängt ...
Infodumping ist sehe ich sogar als größeres Problem, als eine (kurze) Spiegelszene. Wobei hier die ganze Sache auch noch komplizierter wird: manche (seitenlangen) Informationen sind schlicht und einfach nur todlangweilig, weil der Autor damit zeigen möchte, dass er seine Hausaufgaben bei den Recherchen gemacht hat. Besonders bei historischen Romanen fällt mir das immer wieder auf - da wird dann die Beziehung von xy zu yz in allen Einzelheiten auseinanderklamüsert, unter besonderer Berücksichtigung der verwandtschaftlichen Verhältnisse des Hauses trallala und unter Anbetracht der politischen Spannungen zwischen Hinz und Kunz, usw ...
Besonders ärgerlich sind solche "Belehrungen", wenn sie für den weiteren Verlauf der Geschichte eigentlich keine Bedeutung mehr haben (oder sie in die Geschichte eingebracht werden, weil sie damit den Anschein von Komplexität erwecken sollen, ohne die Handlung wirklich voranzubringen).
Andererseits gibt es aber auch Hintergrundwissen, dass ich als Leser für die Geschichte haben
muss. Bei dem Buch, dass ich gerade lese, wird beispielsweise sehr viel über archäologisches Arbeiten erzählt. Infodumping, klar -aber eben so spannend gemacht, dass man es gerne mitnimmt.
Auch bei wissenschaftlichen Romanen muss irgendwo erst mal eine Basis geschaffen werden, oder eben bei Werken, die auf einem bestimmten Gedankenmodell fußen.
Als Paradebeispiel fällt mir in diesem Zusammenhang "Sofies Welt" ein - dass Buch besteht zu zwei Dritteln nur aus Infodumpig über Philosophie. Trotzdem ist es ein viel- und hochgelobtes Werk.
Problematisch bleibt das Thema aber trotzdem - letztendlich muss jeder selbst entscheiden, ob und wieweit er Informationen als Infodumping betrachtet (schließlich gibt es auch genug Leser, die durch das Lesen von historischen Romanen ihre Allgemeinbildung weiterbringen wollen - hübsch verpackt mit einer kleinen Liebesgeschichte drumherum ...). Mein Ding ist es aber ehrlich gesagt nicht (obwohl ich sehr gern historische Romane lese). Dafür fesseln mich wiederum die "wissenschaftlichen" Geschichten, bei den ich mitgrübeln oder mein Weltbild infrage stellen kann. Und wenn sich dann noch irgendetwas aus der Geschichte "mitnehmen" läßt, war es für mich ein richtig gutes Buch. Was andere Leser natürlich wieder ganz anders sehen ...
@Tenryu
Ja, genau den Film meinte ich!
@Stefan
Du solltest dir "Dark City" ansehen, wenn du es noch nicht getan hast. Gleiche Ausgangssituation (inkl. des verwirrten Helden vor dem Spiegel)
OT Ende
Zitat von: Tenryu am 13. September 2008, 03:13:49Oder einfach ausgedrückt: Wer unterhält, hat recht. ;)
Das ist für Unterhaltungsliteratur am Ende ohnehin der entscheidende Faktor. Trotzdem lohnt es sich durchaus, mitunter im Detail zu diskutieren, was bei welchen Lesern die Unterhaltung stört ;)
Zitat von: Stefan am 13. September 2008, 07:58:11Ich denke, in diesem Fall ist es legitim, den Spiegel zu benutzen.
Das ist sicher der entscheidende Faktor - wie gut es in den Text eingebunden ist, wie natürlich die Handlung in der Szene wirkt. Bei vielen Büchern kann man sich kaum vorstellen, dass der Autor eine solche "legitime Herleitung" im Kopf hatte ... Andererseits: Wissen kann man es auch nicht. Denn diese "gute Begründung" ist ja letztlich auch nur ein Trick, der den Spiegel kaschiert. Der Autor kann sich vieles ausdenken, es im Text verankern und davon überzeugt sein, dass ein Leser das dann auch als natürlich empfindet. Aber wirklich sicher gehen kann er nicht. Denn die Übergänge zwischen motivationslosem Spiegelblick und gut verankertem Handlungselement sind fließend, und wenn man an einen wirklich schreibwerkstättengestählten Hardcore-Spiegelfeind gerät, wird er auch bei deiner Szene aufstöhnen, die Scheuklappen runterziehen und eine schlechte Rezi schreiben ;D Genau wie auch bei Majas Beispielen.
Genau wie man möglicherweise davon ausgehen muss, dass die ein oder andere "Spiegelszene", an der man selbst sich stört, für den Autor ebenso wohlbegründet wirkte.
Zitat von: Chuck am 13. September 2008, 08:25:16Und wenn jemand bei einem 250 Seiten Buch aufgrund einer halbseitigen Spiegelbeschreibung das Buch weglegt,
*Gulp* Ich muss sagen, dass ich bei halbseitigen Beschreibungen per se schon den Drang verspüre, ein Buch wegzulegen. Ob mit Spiegel oder ohne ;D Aber, nein: Ich bin ja lesesüchtig und kann Bücher nicht weglegen. Aber stören tun mich lange Beschreibungen schon. Da ist zumindest querlesen angesagt.
Zitat von: Julia am 13. September 2008, 10:05:41Problematisch bleibt das Thema aber trotzdem - letztendlich muss jeder selbst entscheiden, ob und wieweit er Informationen als Infodumping betrachtet
Ja, Infodumping ist die eine Sache. Ich meinte aber ganz speziell das Infodumping durch Dialoge. Wenn also eine Hauptfigur ihrem langjährigen Freund mal eben noch mal seine ganze Lebensgeschichte erzählt, damit der Leser sie auch erfährt :wums: Daran stört mich dann nicht mal das Infodumping, sondern der Missbrauch des Dialogs - ähnlich wie die Spiegelszene ist ja auch das ein Missstand, der überhaupt nur auf eine Schreibregel hin entstanden ist, weil irgendwer dem Autor mal gesagt hat, langes, erzählerisches Infodumping wäre schlecht.
Manchmal ist die Kur schlimmer als die Krankheit ;)
@ Lomax: Meinst du sowas:
"Weißt du noch, wie meine Mutter vor einiger Zeit zu mir sagte:'Wie kannst du nur diesen schrecklich bärtigen Mann, der im übrigen mit seinen 1,95 m auch gar richtig nicht zu deiner kleinen, zierliche Figur passt, tatsächlich heiraten?'"
Antwort Freundin: "Und recht hat sie. Kannst du dich noch daran erinnern, wie er damals von dir verlangt hatte, deine schönen, rotbraunen Haare abzuschneiden und sie statt dessen schwarz zu färben? Man gut, dass diese furchtbare Farbe inzwischen schon wieder herausgewachsen ist - dein jetziges Blond paßt auch viel besser zu deinen blauen Augen und der niedlichen Himmelfahrtsnase. Ach, und übrigens: Dein neuer burgunderroter Nagellack harmoniert ganz wunderbar zu deinen tollen Pumps, die du dir ja letztens mit mir zusammen in dieser neuen In-Boutique gekauft hast ... du weißt doch, die mit den hellblauen Markisen im Bergweg, nur drei Straßen von deiner Wohnung entfernt ..."
;D ;D ;D
... ach Mist, jetzt habe ich doch vergessen zu erwähnen, dass der Typ natürlich dunkelbraunhaarig und bärtig war ...
Zitat von: Julia am 13. September 2008, 12:40:19Meinst du sowas: ...
Oh mein Gott, das wäre ja der Dialogersatz für die Spiegelszene. :o Ja, aber so was in der Art meinte ich, wenn auch nicht speziell auf das Aussehen bezogen. So was kann man ja für vielerlei Informationen machen.
"Oh, da ist ja ein Brief von meinem Vater angekommen. Du weißt ja noch das ich von diesem Landgut komme, und meine Eltern Schafe züchten. Und als Kind schickten sie mich dann zur Ausbildung ... blablabla ..., und meine drei Schwestern ... blablbabla ..."
Wenn ich mich selbst im Spiegel betrachte, dann erzählt mir meine innere Stimme nicht, wie ich aussehe, sondern was sich an mir verändert. Bspw. wirken die Haare an den Schläfen in der Morgensonne noch grauer als sonst, oder ich entdecke eine neue Falte. Oder ich ärgere mich, dass der Coiffeur (ja, bei uns heisst der so) die Haare mal wieder zu kurz geschnitten hat. Sowas in der Art würde ich auch in einer "Ich"-Erzählung verwenden, um dem Leser eine leise Ahnung über den Protagonisten zu geben.
Ich schreibe sowieso nicht gerne aus der ICH-Perspektive, mangels Erfahrung. Vielleicht kommt das ja noch.
... während ich wiederum die ICH-Perspektive bevorzugt nutze, irgendwie kann ich dann "authentischer" schreiben.
Sicher ist die Notwendigkeit einer solchen Spiegelszene ziemlich relativ und stellt sich bei vielen Texten nicht, da die Infos über eine Person auch anders eingewoben werden können.
Aber was soll man machen, wenn man aus der ICH-Perspektive schreibt, die einzige Person im Raum tot ist und man keine Vorstellung davon hat, wer man ist?
Bei mir liest sich das dann folgendermaßen:
Noch bevor ich ihre Sachen untersuche, blicke ich in den Spiegel. Seine Oberfläche ist nicht sehr groß, aber von guter Qualität und verzerrt mein Gesicht kaum.
Müsste ich mich beschreiben, würde ich sagen, ich wäre dunkel. Ich kann meine Feststellung nicht an einem Merkmal festmachen; weder an den grauen Augen unter den schweren Lidern, nicht an der Hakennase, die einmal zu oft gebrochen wurde um noch eindrucksvoll zu sein. Auch die struppig schwarzen Haaren, die mir ins Gesicht fallen, sind es nicht. Auf jeden Fall bin ich älter als die Unbekannte. Während sie schätzungsweise den halben Weg zwischen zwanzig und dreißig Jahren zurückgelegt hatte als sie starb, bin ich mindestens zehn Jahre älter.
Sieht so ein Mörder aus?
Ja, muss ich zugeben, aber hab ich es wirklich getan?
Mehr würde ich nicht schreiben wollen, eine ungefähre Ahnung sollte für den Leser ausreichen. Der Typus ist klar, aber jetzt noch zahlreiche Details einfließen lassen? Nein, dass überlasse ich der Vorstellung des Lesers ...
Hallo,
Zitat von: Stefan am 13. September 2008, 18:07:59
... während ich wiederum die ICH-Perspektive bevorzugt nutze, irgendwie kann ich dann "authentischer" schreiben.
Sehe ich auch so. Leider wird diese unsere Sicht der Dinge nicht von der Mehrheit der Agenturen und Verlage geteilt ...
Zitat von: Stefan am 13. September 2008, 18:07:59Müsste ich mich beschreiben, würde ich sagen, ich wäre dunkel ...
Hu! Ganz schön mutig! :) Hier Texte von sich zu posten könnte Kommentare, ggfs. sogar mehr oder minder kreative "Verbesserungsvorschläge" wie:
Zwischen "müsste ich mich" und "beschreiben" würde "mit einem Wort" nicht schlecht aussehen.provozieren. Also ich würde mich das nicht trauen ;)
Viele Grüße
Taske
Zitat von: Taske am 13. September 2008, 19:33:50
Also ich würde mich das nicht trauen ;)
Na dann ist ja gut! ;D
Alternativ könnte die Figur ja auch ein Foto (Ausweis/Führerschein) von sich selbst betrachten - und darüber sinnieren, wie alt sie inzwischen geworden ist, usw.
Zitat von: Tenryu am 13. September 2008, 19:50:58
Alternativ könnte die Figur ja auch ein Foto (Ausweis/Führerschein) von sich selbst betrachten - und darüber sinnieren, wie alt sie inzwischen geworden ist, usw.
nun ja. Könnte man, würde man nicht Fantasy schreiben :rofl:
Und im übrigen finde ich, sollen sich die Leute nicht so anstellen. Spiegel haben nämlich auch eine metaphorische Bedeutung und in historischem oder Fantasy-Umfeld sind spiegelnde Flächen (oder Abbilder) nun mal eingeschränkt.
Wobei ich in Literatur "Steckbriefe" von Figuren grundsätzlich überspringe. Haare, Augen, Statur, Alter, menno, das reicht doch wohl! Wer macht sich denn bei ersten Begegnungen weiterreichende Gedanken über sein Gegenüber? Da sind Klang der Stimme und sympathisches Auftreten doch vieel wichtiger ;)
Gruß,
Linda
@ Stefan: Ich finde die Spiegelszene an dieser Stelle legitim - wenn man nicht mehr weiß, wer man ist, würde vermutlich fast jeder erst einmal in ein(e(n)) Spiegel /Waschbecken mit Wasser / Teich /Pfütze sehen. Von daher finde ich es als Leser nachvollziehbar.
Was mich allerdings mehr irritiert, ist die Verwendung des Präsens. Irgendwie bin ich da altmodisch, Geschichten müssen für mich im Präteritum stehen ...
Zitat von: Taske am 13. September 2008, 19:33:50
Zwischen "müsste ich mich" und "beschreiben" würde "mit einem Wort" nicht schlecht aussehen.
*Klugscheißermodus an*
"ich wäre dunkel" sind aber drei Worte ;D *Modus wieder aus und flücht" ;D ;)
Ich kann mir nicht helfen, aber sich selbst beschreibende Figuren empfinde ich als eitel ;) Da muss sich jemand sehr lange im Spiegel anstarren, um sich derart blumig zu umschreiben, wie man es manchmal liest. Dass nicht jede einzelne Wimper beschrieben wird, ist aber auch grade alles ... ::)
Nein, ich bleib dabei - Beschreibungen gibts nur von außenstehenden Figuren, fertig. Wenn ich durch die Augen des Protas einen anderen Charakter anschaue, kann ich durchaus länger verweilen und beschreiben - und auch ins Blumige abrutschen, wenn der Prota die andere Person besonders hübsch oder hässlich findet. Und da kann man auch auf die "Vorlieben" der einzelnen Figuren eingehen. Die eine achtet auf die Hände, die andere auf die Augen, die nächste auf die Stimme ...
Allzu detaillierte Beschreibungen kann ich genauso wenig haben. Beim Lesen habe ich dann immer das Gefühl, der Autor wäre komplett in die Figur vernarrt, was besonders dann unangenehm wird, wenn die Person als extrem gutaussehend beschreiben wird. Ich mag keine perfekten Menschen :gähn:
Manchmal frage ich mich sowieso, ob sich meine Charaktere überhaupt so viele Gedanken um ihr eigenes Aussehen und das der anderen machen :hmmm: Wen kratzt die zerzauste Matte auf dem Kopf, während man sich durch eine Wüste kämpft? Und wie soll man wie aus dem Ei gepellt aussehen, wenn man sich gerade mit dem Erzfeind die Glocke einhaut?
Schönheit und Attraktivität ist eigentlich erst in den letzten Generationen auf das jetzige Maß aufgebläht worden. Ich bezweifle, dass man früher so viel getan hätte, um als schön durchzugehen. Früher trug man Falten, Körperfett und graue Haare mit Würde (oder Ignoranz), während sie heute mit allem, was Chemie und Chirurgie hergeben, bekämpft werden. Hatte man früher überhaupt die Muße und den kritischen Blick, sich und andere nach dem Aussehen zu werten?
Zitat von: Tenryu am 13. September 2008, 19:50:58
Alternativ könnte die Figur ja auch ein Foto (Ausweis/Führerschein) von sich selbst betrachten - und darüber sinnieren, wie alt sie inzwischen geworden ist, usw.
Du nimmst mir die Worte quasi aus dem Mund. Ich hab vor kurzem einen marinehistorischen Roman gelesen, in der der Held ein Portrait von sich betrachtet, das knapp 10 Jahre alt ist. Er vergleicht sich da recht ausführlich: was ist gleich, was hat sich geändert, warum hat es sich geändert... Zwar erfährt man da auch einiges über das Aussehen der Figur, vor allem aber geht es darum, daß er für seinen Geschmack viel zu lange außer Dienst war und daß das Familienleben ja seine netten Seiten hat, er aber so langsam den Budenkoller kriegt.
Das fand ich eine sehr geschickte Szene, weil sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Ich liebe ja sowieso die Szenen, wo man als Leser zuerst denkt, daß da die eine Sache im Vordergrund stand, nur um am Schluß zu merken, daß einem ganz geschickt eine völlig andere Info untergemogelt wurde.
Ansonsten gilt für mich immer, wenn eine Szene den Leser aus der Geschichte reißt und er das Gefühl hat, dem Autor in die Karten gucken zu können, dann ist sie schlecht. Wenn nicht, ist sie gut, egal ob in dem Raum ein Spiegel ist oder nicht. ;)
Zitat von: Julia am 13. September 2008, 21:41:07
@ Stefan:
Was mich allerdings mehr irritiert, ist die Verwendung des Präsens. Irgendwie bin ich da altmodisch, Geschichten müssen für mich im Präteritum stehen ...
*Klugscheißermodus an* "ich wäre dunkel" sind aber drei Worte ;D *Modus wieder aus und flücht" ;D ;)
Ich finde Präsenz hier viel passender, der Kerl hat keine ihm bewusste Vergangenheit, also schreibe ich ihn aus dem Moment heraus. Im Präteritum wäre er schon wieder ein anderer Mensch, denn natürlich erfährt er Dinge, die alles wieder in einem anderen Licht zeigen ...
Und wegen dem
mit einem Wort ... ich hab es schon bewusst so geschrieben, denn er ist recht sprachlos und kann einfach nicht mehr sagen.
Zurück zum Thema:
Man kann seine Figuren ja auch mit anderen vergleichen, je nach Charakter. Hat jemand Komplexe, kann der immer Attribute an einer anderen Figur erwähnen, die er selbst gern hätte und mit seinen eigenen vergleicht. Das nützt dann auch der Charakterisierung der Figur.
Also wie gesagt, eine solche Szene sollte immer aus der Notwendigkeit der Handlung heraus entstehen, ich denke nicht, dass sie pauschal den Leser nerven. Nur wenn dafür der Text "unterbrochen" wird, erstmal die ganze Figur heruntergebetet wird und dann die Handlung weiter läuft, finde ich es ungeschickt.
Das funktioniert im Film, eine neue Figur taucht auf, will gerade den Mund aufmachen und etwas sagen, aber das Bild friert eine, eine Off-Stimme fängt an: "Jimmy Calzone, der Sohn des Paten, tat stets als wäre er der härteste Mann der Stadt. Dabei half er am Sonntag vor der Kirche seiner Oma, die Lockenwickler aus den Haaren zu drehen."
Wobei es hier natürlich nicht um Äußerlichkeiten geht, sondern um die Charakterisierung, das Bild hat man ja beim Film vor Augen.
Komisch, vielleicht sind mir Beschreibungen als Filmjunkie deswegen relativ egal? Mich interessiert mehr der Charakter, ob die psychotische Heldin nun lange blonde Haare hat und grüne Augen oder kurze schwarze Haare mit braunen Augen, wird deswegen die Geschichte eine andere?
In Japan sind solche Dinge ja immens wichtig, Haarfarben und solche Dinge bestimmen da ja schon den Grundtypus einer Figur, genau wie die Art der Blumen neben einem Char, wenn dieser in einem Shojo-manga auftaucht und vergöttert werden will ... ::)
Zitat von: Stefan am 14. September 2008, 10:53:38
Ich finde Präsenz hier viel passender, der Kerl hat keine ihm bewusste Vergangenheit, also schreibe ich ihn aus dem Moment heraus. Im Präteritum wäre er schon wieder ein anderer Mensch, denn natürlich erfährt er Dinge, die alles wieder in einem anderen Licht zeigen ...
So betrachtet hast Du natürlich Recht (klingt auch logisch).
:psssst: Aber ich bin doch trotzdem so eine elendig altmodische Leserin ... :innocent:
Zitat von: Stefan am 14. September 2008, 10:53:38
Und wegen dem mit einem Wort ... ich hab es schon bewusst so geschrieben, denn er ist recht sprachlos und kann einfach nicht mehr sagen.
*räusper* Das war eigentlich auf Taskes Kommentar gemünzt ... (und auch nicht böse, sondern mit einem Augenzwinkern gemeint ;) )
Zitat von: Julia am 14. September 2008, 11:25:38
*räusper* Das war eigentlich auf Taskes Kommentar gemünzt ... (und auch nicht böse, sondern mit einem Augenzwinkern gemeint ;) )
Hab ich auch so verstanden! ;)
:D
... und ich bin jetzt auch wieder ganz friedlich, bevor die Mods zu mir mit der :pfanne: kommen
Wow, 3 Seiten ;D Das Ding mit dem Spiegel hat anscheinend wirklich Diskussiosbedarf. Also für mich kristallisiert sich langsam heraus: Spiegel oder Selbstbetrachtung ist ok, wenn dadurch gezeigt wird, dass sich etwas an oder in der Figur verändert hat bzw. ein neuer unbekannter Aspekt in der Beschreibung verdeutlicht wird. Ansonsten sollte man es wohl eher in den Text einfließen lassen, ob der Chara jetzt blaue oder grüne Augen oder goldene Löckchen hat.
Wie gut, dass ich den alten Text mit meiner Spiegelszene sowieso überarbeiten wollte. Da kann ich mir die auch gleich mit vornehmen.