Hallo ihr Lieben,
mir fällt in letzter Zeit immer mal wieder etwas auf, was mir interessant genug erscheint, um dazu einen Thread zu eröffnen.
Es geht dabei - wie der Titel schon sagt - darum, wie viel Plot eine gute Geschichte eigentlich braucht. Klar, das hängt auch von der Geschichte ab, aber ich habe da ein paar Beobachtungen gemacht, letztlich auch an meinen eigenen Manuskripten (und vielleicht bin ich damit einem meiner Grundprobleme auf die Spur gekommen):
Mein absolut liebstes Negativbeispiel ist und bleibt ja Stefón Rudel - wer ihn nicht kennt, mache sich den Spaß und suche nach Amazon danach. Aber setzt euch hin und nehmt euch einen Beruhigungstee, wenn ihr anfangt, die Leseprobe zu konsumieren! ;D
Bei Stefón Rudel bestehen diverse Probleme, die das Manuskript so unsagbar schlecht werden lassen, und die quasi nicht existente Rechtschreibung ist wirklich nur die Kirsche auf der Sahne.
Eines der Probleme - und damit das für diesen Thread relevante - ist die totale Überfrachtung des Textes. Stefón Rudel ist anfangs ein Sechsjähriger Junge, der auf den ersten drei Seiten (weiter habe ich es einfach nie geschafft!) bereits diverse tolle Jobs macht, Sternenkommandant wird, seine große Liebe kennenlernt und die Welt rettet (so ungefähr).
Hier haben wir also ein Beispiel für "sehr viel Handlung auf sehr wenig Raum", so dass die einzelnen Bestandteile überhaupt nicht ausgearbeitet sind. Es liest sich wie die atemlose Nacherzählung eines Kindes, das uns unbedingt in fünf Minuten sein Lieblingsbuch erzählen will. Komplett. Und es ist ein Mehrteiler. ;)
Dann wiederum gibt es Bücher, bei denen man sich nach 500 Seiten fragt: "Handlung? Ja, war da, aber eigentlich war sie gar nicht entscheidend für den Lesegenuss. Seltsam". Ich habe gerade kein wirklich extremes Beispiel, aber eines meiner Lieblingsbücher könnte man folgendermaßen zusammenfassen: "Familiendrama in mehreren Akten" (Die Korrekturen, Jonathan Franzen). Es gibt Handlung und Entwicklung, aber die wirklich wichtigen Dinge passieren dazwischen.
Und dann gibt es noch reichlich tolle Bücher, die sich auf wenige Tage Erzählzeit beschränken und hier wiederum nur auf das Wichtigste, und trotzdem sind sie wirklich spannend - zuletzt so erlebt in "Amaias Lied" von Ana Jeromin (Grey). Die gesamte Handlung dauert nur wenige Tage, in denen wir Marja durch Barcelona begleiten, auf der Suche nach ihren Eltern und im Kampf gegen die Hexe Amaia. Alles Drumherum, was ihre Eltern machen, um sie zu finden etc., wird nicht erwähnt, und trotzdem ist das Buch in sich rund und stimmig.
Wenn ich mir meine Manuskripte so anschaue, dann tendiere ich eher zu Stefón Rudel (ich schreibe besser, wirklich!): Ich habe einen Hauptplot mit vielen Ideen und dazu noch diverse Subplots. Und das führt oft dazu, dass die einzelnen Szenen zu wenig Raum bekommen und mein Text (zumindest auf mich, teilweise aber auch auf meine Betaleser) sehr gehetzt wirkt.
Eine der wenigen Ausnahmen, bei denen unglaublich viel auf unglaublich wenig Seiten passiert und der Roman mich trotzdem sehr gefesselt hat, ist "Stein und Flöte" von Hans Bemmann. Noch immer mein absoluter Lieblings-Fantasy-Roman und wirklich empfehlenswert. 800 eng beschriebene Seiten, eine komplette Lebensgeschichte - und nie hatte ich das Gefühl, dass der Autor Seiten füllen wollte. Den Protagonisten wollte ich hingegen häufiger mal schütteln, aber das liegt an seiner Natur, nicht am Roman an sich. ;)
Generell fällt mir auf, dass gute Romane oft fokussiert minimalistisch sind. Es gibt natürlich auch andere, gerade in der Unterhaltungsbranche gibt es Romane, bei denen man dem Protagonisten vom Bett zum Frühstück in die Dusche folgt, ohne dass es handlungsrelevant wäre. Das fällt mir vor allem bei ChickLit (nicht mein Genre), Romance/Romantasy oder humoristischen Romanen auf.
Wie empfindet ihr das - und vor allem, wie haltet ihr die Waage? Ich fürchte, ich bin oft der Über-Erklärbär, der dem Leser jeden Schritt des Protagonisten erläutern will, damit er ja nicht fragt, wie dieser denn nun von A nach B gekommen ist. Dabei nervt mich das in Büchern kolossal und ich denke dann immer, dass mich der Autor für dumm hält (daraus könnte man jetzt den Schluss ziehen, dass ich meine Leser für dumm halte ... hm).
Bei meinem aktuellen Projekt habe ich sechs Handlungsstränge, die alle ihren eigenen Erzähler haben. Das alleine sorgt schon für sehr viel Plot, obwohl es letztlich nur darum geht, die Interaktion der Figuren vor allem in Hinblick auf eine aufzuzeigen, die Entwicklung und den letztendlichen Untergang dieser Person. Reicht es da theoretisch, nur die Szenen zu zeigen, in denen die einzelnen mit dieser Figur interagieren bzw. sich ihr Handeln unmittelbar auf diese bezieht? Oder muss ich auch ihr sonstiges Leben zeichnen, in allen Facetten? Ja, ich weiß, die Wahrheit liegt in der Mitte, es ist auch mehr ein Beispiel, das zum Nachdenken anregen soll.
Feuer frei - wie sieht es bei euch aus? Wie schreibt ihr? Wie viel Plot und Subplot habt ihr, wie viel wollt ihr lesen, ab wann habt ihr das Gefühl, der Text sei überfrachtet und hetzte durch die Handlung, und wann langweilt ihr euch zu Tode, weil zum dritten Mal seitenlang beschrieben wird, wie die Blümchen auf der Wiese aussehen? Gerne auch mit Beispielen aus der Literatur, damit es nachvollziehbarer wird. :)
Sonnige Grüße,
chaosqueen
Das ist eine sehr interessante Fragestellung, chaos! :D Ich frage mich, da ich ausführlich plotte, auch bei jedem Projekt von Neuem, wie viel Handlung der Roman braucht, und erwische mich dann immer bei der Frage: Was genau ist die Handlung? Gehört es zur Handlung, wenn die Figur in einen mehrere Absätze langen Monolog versunken ist oder sich am frühen Morgen gähnend ein Brötchen in ihrer Küche schmiert? Für mich sind das inzwischen Übergänge, die mich von einem Plotpunkt zum anderen führen, also von einer Stelle in der Handlung zur nächsten Stelle in der Handlung.
Wenn ich plotte, achte ich darauf, dass ein bis fünf dieser wichtigen Handlungspunkte im Kapitel vorhanden sind, je nach erwünschtem Tempo und erwünschter Dynamik, und bei einer ungefähren Kapitellänge von 15 bis 25 Seiten. An einem extrem simplen Beispiel ausgedrückt: In Kapitel 1 sei es jetzt mal extrem wichtig für die Handlung, dass die Prota a) eine Nebenfigur anruft, b) sich beim Kaffeetrinken die Hand verbrüht und c) deshalb zum Arzt geht. Das ist für mich die Handlung, die den Roman voran treibt, weil sie Dynamik erzeugt, weil sie die Figur in gedankliche/emotionale oder tatsächliche/körperliche Bewegung bringt. Mit diesen drei Punkten kann ich drei Seiten füllen, ich kann aber auch dreißig daraus machen - das ist abhängig von den Übergängen zwischen den Punkten der Handlung. Übergänge sind Möglichkeiten für mich als Autorin, Figuren zu charakterisieren, etwas von ihrem Alltag zu zeigen und im Fantasy-Bereich beispielsweise eine Welt zu erklären - mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass es nicht zu Infodump wird. Letzendlich finde ich die Übergänge viel wichtiger, denn sie geben Substanz und bereiten auf die Handlungspunkte vor. Äh ... ich hoffe, das war jetzt irgendwie verständlich. ;D
Ich bin gerade ein wenig übernächtigt, und deine Frage ist sehr komplex, aber ein paar Gedankenanregungen will ich hierlassen:
Natürlich hängt das alles von dem Stil ab, den man gewählt hat. (Mr. Norrell und Jonathan Strange ging mir zum Beispiel unglaublich schnell unglaublich auf die Nerven, obwohl ich die Idee eigentlich ganz wunderbar finde.)
In jedem Stil können wunderbare Geschichten erzählt werden, aber nicht jeder Stil liegt jedem gleich gut, sowohl als Leser, als auch als Schreiber.
In deiner Situation, wenn du als Schreiber das Bedürfnis hast, mehr zu schreiben, als du als Leser vermutlich mögen würdest, wäre mein Rat vermutlich:
Schreib soviel, wie es braucht, damit die Leser die restlichen Lücken selbst füllen können.
Es ist wie bei der Beschreibung eines Raumes: Du musst einen Raum nicht in jeder Einzelheit vom Tapetenmuster bis zur Maserung der Stühle beschreiben, um zu beschreiben, was für ein Raum das ist. Was an diesem Raum ist für die Geschichte und die Atmosphäre wichtig?
Also, gestern hat mir eine Freundin von einem Wohnzimmer erzählt: Sie erwähnte den Kupferstich der Heimatstadt und den handgemalten Kalender der Enkel an der Wand, die große zu große Schrankwand aus dunklem Holz in dem kleinen Raum und die abgewetzten Stellen im Teppichboden.
Mehr brauchte sie nicht und ich hatte den Raum vor Augen.
(Ich könnte jetzt zum Beispiel korrekt die Netzgardinen ergänzen und die Römer-Gläser hinter den Vitrinentüren der Schrankwand.)
Mit diesen paar Details ist der Raum also charakterisiert.
Wenn du dich jetzt fragst, welche Szenen brauchst du alle, ist es das gleiche: Welche Informationen braucht der Leser über deine Figur, um zu verstehen, warum sie in den 'must have' Szenen handelt, wie sie handelt? Warum ist sie gerade an diesem Morgen so gereizt, dass sie austickt, obwohl sie ähnliche Sprüche schon dreißig Jahre ertragen hat? Das muss erklärt werden.
Der Leser muss ein Gefühl dafür entwickeln, wie die Figur tickt.
Natürlich gibt es Leser, die länger brauchen, mehr Beispiele, mehr Beschreibungen, um das zu begreifen, und welche die viel weniger brauchen.
Also wird es immer Leute geben, denen zu viel beschrieben wird und solche, denen zu wenig beschrieben wird.
Die Lösung?
Für sich selbst schreiben.
Wobei das natürlich das schwerste überhaupt ist. *seufz* Ich bin selbst völlig betriebsblind und weiß beim Schreiben häufig nicht, wann ich gerade mit dem Holzhammer auf den Leser einprügele, und wann ich mit einer stumpfen Stecknadel durch einen Wollpulli drücke.
Dafür helfen Betas. Und dann kann man mit der Zeit ein ungefähres Gefühl entwickeln. Glaube ich. Oder so.
Aber welchen anderen Ansatz will man denn sonst fahren? Für potentielle Idioten schreiben, denen man alles fünfunddreißigmal auf dem Silberteller servieren muss?
Das kann doch keinen Spaß machen. Und da die meisten von uns wohl auch ungefähr durchschnittlich intelligent sind, würden wir damit für eine Minderheit schreiben. Also kein Spaß und kleines Publikum. Och, nöö. Lass mal.
Und für einen Leser zu schreiben, der cleverer ist als man selbst - das kann doch nur schiefgehen. Meine Erfahrung zumindest.
Zusammengefasst: Das sinnvollste ist, so zu schreiben, dass man selbst in der Lage ist, aus den gegebenen Informationen ein vollständiges Bild im eigenen Kopf zu bauen, das so zutreffend ist, dass es das Verständnis der Geschichte verbessert und die Welt lebendiger macht.
Na, ob das jetzt hilfreich war ...
Liebe Grüße,
KaPunkt
Wie du es schon selbst gesagt hast - ein allgemeingültiges Patentrezept gibt es auch meiner Meinung nach hier nicht. Zwar kann man es ungefähr am Genre festmachen, da ein Thriller grundsätzlich mit wengier Subplot auskommt als eine Familiensaga oder ein Fantasyepos (bei letzterem schon allein aufgrund der Länge des Buchs) - aber eben nur grundsätzlich. Ausnahmen dazu gibt es natürlich ohne Ende.
Als Negativbeispiel für zu viel Drumherum fallen mir spontan zwei Bücher ein: "Die Therapie" von Sebastian Fitzek und "Die Lüge" von Petra Hammesfar. Beides Krimis/Thriller, und bei beiden tauchen Handlungen und Beschreibungen auf, die mich sehr genervt haben. Fitzek (da hatte ich das Hörbuch, keine Ahnung ob das die Originallänge oder eine gekürzte Fassung war) ergeht sich teilweise in Beschreibunge/Erklärungen eines Windows-Bildschirms oder einer Zigarettenschachtel, bei denen ich mich fragte, warum er mir das erklärt. Glaubt er, seine Leser hätten so etwas noch nie gesehen?
Bei Petra Hammesfar ist mir vom ganzen Buch nur eine Stelle in Erinnerung geblieben, und zwar die Beschreibung, was die Protagonistin in sage und schreibe 30 Minuten alles schafft: sie geht ins Bad, sieht ihrem Mann beim Duschen zu (ich glaube, sie unterhält sich auch noch mit ihm), übergibt sich, duscht selbst, macht sich zurecht, trinkt Kaffee, holt die Post aus dem Briefkasten, sieht die Post durch und wenn ich mich nicht täusche, bringt sie auch noch den Müll raus. Äh ja. Abgesehen davon, dass ich dreißig Minuten für diese ganzen Aktivitäten leicht unterdimensioniert halte, hatten diese Handlungen für den Verlauf der Geschichte keinen Nährwert, waren also in meinen Augen reiner Füllstoff.
Und da bin ich bei einem Punkt, der mich selbst betrifft.
Zitat von: chaosqueen am 03. Mai 2015, 11:07:36
Ich fürchte, ich bin oft der Über-Erklärbär, der dem Leser jeden Schritt des Protagonisten erläutern will, damit er ja nicht fragt, wie dieser denn nun von A nach B gekommen ist.
Jepp. Ich auch. Und genau wie dich, chaos, nervt mich das - wie oben beschrieben - bei anderen Autoren manchmal fürchterlich. Andererseits lasse in an anderen Stellen eine Figur etwas zusammenfassen, was ich vielleicht besser anhand einer Szene erzählt hätte. Das wiederum mache ich, weil ich meine Leser nicht langweilen will.
Beim Überarbeiten streiche ich sehr viele dieser Schritt-für-Schritt-Erzählungen wieder heraus, weil ich merke, dass sie für die Handlung irrelevant sind und auch über die Figur nichts Neues aussagen. Meistens sind das Szenen, die ich geschrieben habe, weil ich sie toll/lustig/was auch immer fand, und oft fällt es mir auch entsprechend schwer, sie zu streichen, so dass sie erst bei der dritten, vierten oder fünften Überarbeitungsrunde fliegen.
Ich persönlich finde es sehr schwer, bei meinen eigenen Texten die richtige Balance zu finden. Zum einen, weil ich meine Texte nie in einem Rutsch durchlesen kann wie ein fremdes Buch, sondern immer korrigieren muss und mir so das Gefühl für Längen oder gehetzte Stellen fehlt; zum anderen bin ich sehr unsicher, ob ich meinen Lesern an manchen Stellen notwendige Informationen vorenthalte und der Text unverständlich ist oder Rätsel aufgibt und ich mehr erklären sollte oder ob weniger besser wäre.
Hui, das ist eine ziemlich komplizierte, umfangreiche Frage, finde ich. Vor allem, weil - wie du sagst - es für jeden Roman eine andere Antwort gibt, genauso für jeden Autor, für jede Szene. Und für jeden Aspekt. Das eine wäre für mich die Frage im Hinblick auf den Roman als Ganzes. Eine andere Seite die von dir zum Ende hin angesprochenen Figuren und die Detailgenauigkeit, mit der du ihr Leben darstellst.
Zum zweiten Punkt: Ich dachte immer, ich würde es nicht sonderlich mögen, wenn Charaktere in einer bestimmten Situation nur dargestellt werden, damit der Autor an ihnen eine bestimmte Eigenart zeigen kann. Wenn Peter auf der Straße einer alten Dame aufhilft und ihr danach noch die Einkäufe nach Hause trägt, nur um zu zeigen, was für ein gutmütiger Mensch er ist, ist das zwar Handlung - aber natürlich eine nicht gerade elegant verpackte Aussage und zudem irrelevant. Selbiges gilt für Alltägliches wie das Frühstück oder das Telefonat mit der Mutter. Aber mittlerweile habe ich festgestellt, dass sogar solche Szenen nicht nur nicht unbedingt negativ auffallen, sondern einen Roman sogar mit Leben füllen können, wenn sie nicht konstruiert wirken und interessant geschrieben sind. (Da du um Beispiele gebeten hast: "Der Einzelgänger" von Christopher Isherwood ist voll solcher Alltagsszenen). Allerdings verbuche ich das unter "Charakteraufbau", "Stimmung", etc.
Wenn es dir wirklich um Handlung geht, dann ist für mich nur Eines wichtig: Alles führt zu einem runden Abschluss des Buches. Egal, ob man einen Erzählstrang hat, drei oder zehn, egal wie viele Perspektiven es sind oder welche Schlüsselereignisse es gibt: Am Ende sollten sie sich zu einem Gesamtbild verflechten. Die kleinen Eriegnisse und die ganz großen Szenen. Hier möchte ich - weil es gerade aktuell ist - nur eine Verfilmung nenne, das Buch habe ich nicht gelesen: "Kein Ort Ohne Dich". Auch wenn Schnulzen nicht meins sind und der Geschichte ein paar Klischees weniger gutgetan hätten, muss ich Sparks (wenn das Buch denn genauso ablief) eines lassen: Er versteht es, Handlungsfäden zu verflechten. Die Geschichte ist dreigeteilt: Liebesgeschichte zwischen A und B im Jetzt, Liebesgeschichte zwischen C und D vor siebzig Jahren, Freundschaft zwischen A und D im Jetzt. Und jeder dieser Stränge hat volle Darseinsberechtigung, weil am Ende all das nötig ist, damit die Geschichte einen runden Schluss findet.
Ich glaube, es geht vor allem darum, wie du die Geschichte angehst: Wenn dir deine Handlung überladen und gehetzt vorkommt, braucht sie offenbar ein paar Details mehr. Ein bisschen mehr Zeit für die einzelnen Ereignisse. (Denn diese sind ja, wenn ich dich richtig verstehe, alle relevant für den Plot).
Eine andere, schwierigere Möglichkeit (für mich eine Königsdisziplin) ist, die Ereignisse weniger ... vorschlaghammerartig darzustellen. In vielen Romanen gibt es die eindeutigen Schlüsselereignisse, in denen das Tempo und die Spannung deutlich anziehen, und die ruhigeren Übergänge dazwischen. Wenn man zu viele dieser Schlüsselereignisse hat, wirkt die Erzählung sprunghaft, und der Leser kann sich nicht auf Eines einstellen, ehe schon das Nächste passiert. Manche Autoren schaffen es, um diese Schlüsselereignisse einfach kein großes Aufheben zu machen. (Jojo Moyes mit "Ein ganzes halbes Jahr" zum Beispiel). Sie behalten sich ein oder zwei Szenen vor, die wirklich als Handlunsgmittelpunkt dargestellt werden. Während wird die restliche, im Grunde recht schnellebige Handlung von Handlungsbrocken zu einem durchgehenden Fluss verwischt. So kann man auch viel Handlung gekonnt unterbringen.
Kurz: Ein "zu viel" und "zu wenig" gibt es meines Erachtens nach nicht. Manche Autoren könnte vermutlich sogar aus der vollgestopften Geschichte von Rudel ein gutes Buch machen, genau wie Rudel einen meisterlich aufgebauten Plot in einen Haufen Papiermüll verwandelt hätte. Wie es funktioniert, muss man vielleicht während des Schreibens für jedes Projekt neu herausfinden. Im Voraus planen halte ich da für schwierig. Aber nackorriergen kann man immer noch, und wenn du schon beim Schreiben merkst, dass es dir zu hetzig ist, kannst du ja auch schon jetzt darauf reagieren.
Edit vor dem Absenden: KaPunkt, damit hast du gerade gesagt, was ich nicht ausdrücken konnte und es deshalb gleich weggelassen habe. :jau:
ZitatGenerell fällt mir auf, dass gute Romane oft fokussiert minimalistisch sind.
Ich widerspreche. Das sind die Romane, die dir gefallen, nicht "gute Romane" per se.
ZitatEine der wenigen Ausnahmen, bei denen unglaublich viel auf unglaublich wenig Seiten passiert und der Roman mich trotzdem sehr gefesselt hat, ist "Stein und Flöte" von Hans Bemmann.
Den hier habe ich zum Beispiel nach ein paar Seiten beiseite gelegt, weil er mich gelangweilt hat.
Ich behaupte, das ist schlicht und einfach Geschmack. Nicht umsonst gibt es Millionen von (guten und gut bewerteten) Romanen, die total unterschiedlich sind und jeder seinen Leserkreis hat. Und je nach Stimmung liest auch Person A mal lieber den und mal lieber den Roman, während Person B nur bei einer Autorin bleibt und Person C alles liest, was ihr unter die Finger kommt.
Ich liebe die Ayla-Romane von Jean M. Auel, bei denen sich anderen die Zehennägel aufrollen. In denen wird sehr ausführlich alles beschrieben - von Handlungen über Landschaften über Kräuterbeschreibungen über die Herstellung von Feuersteinwerkzeugen bis hin zu detailliertem Sex. Ich lese aber auch gern Clive Cussler, der so eine Art Old Shatterhand der Jetztzeit ist. Seine Romanhelden (er schreibt nicht in Ich-Perspektive ;) ) können alles, finden jede Spur, sind fit bis zum Geht-nicht-mehr (mein Lieblingsbeispiel: langer Höhlentauchgang in einer Cenote mit anschließender Rettung von Verunglückten, während oben die Expeditionsteilnehmer entführt werden, danach händisches Klettern aus der Zenote, stundenlanges Joggen durch den Dschungel auf der Spur der Verfolger mit anschließender Befreiung der Entführten in einem wilden Kampf und Flucht mit dem Hubschrauber, ... und der Held ist nicht wirklich erschöpft *g*). Da geht es Schlag auf Schlag.
Ist deswegen Auel oder Cussler schlecht? Nein, sie bedienen lediglich entweder ein anderes Publikum oder andere Stimmungen. Deswegen finde ich den Ansatz ganz wunderbar, dass man so schreiben sollte, dass einem selbst die Geschichte gefällt. Wenn ich finde, sie ist zu gehetzt, füge ich etwas ein. Wenn ich finde, sie zieht sich, streiche ich etwas. Punktum. Es wird immer Leser geben, so oder so, die sie langweilig und langsam finden und andere, die sie zu kurz finden.
Ich tue mich unglaublich schwer mit verschiedenen Handlungssträngen. Am liebsten habe ich nur einen und mag es auch nicht, zu oft die Perspektive zu wechseln. Andererseits habe ich genau deshalb auch immer Angst, ob es nicht zu wenig ist. Denn als Leser mag ich es, verschiedenen Figuren zu folgen, die alle scheinbar ihre eigene Geschichte haben, nur damit am Ende alle Stränge zum Finale zusammenlaufen. Aber momentan könnte ich mir nicht vorstellen, so zu schreiben.
Kurzum, ich bin da wohl so ein bisschen das Gegenteil von dir, Chaos – die Zweifel sind aber die gleichen ;)
Leider kann ich meinen Protagonisten in Gedanken sehr gut durch den Tag mit all ihren Kleinigkeiten folgen. Allerdings versuche ich mich da beim Schreiben zurückzuhalten und bin bei Zeitsprüngen auch schon mutiger geworden. Trotzdem bleibt manchmal das schale Gefühl, den Leser dann doch wieder zu viel Infos vorenthalten zu haben. Das Extrem des zu ausführlichen Schreibens kenne ich vor allem von FanFiktions, wo auch gern mal ein Einkaufsbummel samt dem Zwischenstopp in der Eisdiele beschrieben wird, ohne das wirklich etwas passiert. In Büchern habe ich das zum Glück noch nicht gelesen, allerdings lese ich die Genres auch nicht, die dabei als "gefährdet" gelten.
Also ich bin da, glaube ich, recht nahe bei
@Klecks .
Meine Plots neigen dazu, recht verworren zu sein, so dass relativ viele Informationen von Nebenfiguren relevant sind. Um die in einer einzigen Perspektive unterzubringen brauche ich öfter mal Gespräche, die ich dann bei Alltagshandlungen stattfinden lasse.
Gleichzeitig sind das auch Ruhepausen zwischen den aktiven Szenen, es ist also auch relevant, wie das Textumfeld aussieht.
Als Leserin brauche ich ein gewisses Maß an Bezug zur Realität und das bedeutet, dass auch mal ganz normale/langweilige Handlungen vorkommen. Dienen sie aber nur als Schauplatz für Erklärungen/innere Monologe, dann wird nur kurz erwähnt, wo derjenige sich befindet. Oder in zwei bis drei Sätzen abgehandelt, wie er vom Bett an den Frühstückstisch kommt.
Grundsätzlich dienen diese Absätze entweder dem Plot oder runden die Szene narrativ ab. Vollkommen unwichtige Wartezeiten kann man ebenfalls narrativ zusammenfassen, aber dann sollte das ganze sich auf Absätze beziehen und keine Plotrelevanten Einzelheiten verheimlichen. Sie können aber dazu dienen, die Figur und ihren Alltag näher vorzustellen und sind damit zwar nicht unbedingt plotrelevant, aber charakterisierend.
Ansonsten habe ich durchaus auch viele Sprünge drin. Das sind Fahrtwege, Abendsituationen, die nur kurz skizziert werden oder einfach andere "Auszeiten" aus dem Plot.
Pauschalisieren kann ich das aber kaum, denn ich schreibe ja nun mal sehr intuitiv und bekomme dazu inwzischen selten Anmerkungen.
Wenn du aber selbst einen Eindruck von gehetzt hast, wenn du deine Texte liest, dann nutz das doch einfach als Arbeitsweise. Schreib erstmal etwas gehetzt, um die Geschichte zu Papier zu bringen und nimm dir danach Zeit, um die gehetzten Stellen noch etwas auszuschmücken/zu cholerieren. Oder du überlegst, ob deine Geschichten als Einzelbände überhaupt taugen. Ich beispielsweise kann mich da einfach nicht beschränken. Oder du drehst in der Plotschmiede am Plot und speckst ihn probehalber ab.
Letztlich ist es halt immer so, wie
@KaPunkt es beschrieben hat: Vorlieben sind unterschiedlich.
Relevant ist nur, was der Leser braucht, um den Plot und die Handlung zu verstehen. Er muss nicht erfahren, dass die Protas einen langweiligen, ereignislosen, aber anstrengenden Ritt über 500 km und mehrere Tage hinter sich haben. Er muss nur wissen, dass sie endlich total ausgelaugt und verdreckt an einem Wirtshaus anhalten, um sich und den Pferden vor der nächsten Etappe dringend eine Pause zu gönnen. Der Leser ist interlligent genug (normalerweise), um sich dann den vorherigen anstrengenden Ritt selbst zusammenzureimen, ohne dass man ihn damit langweilen muss.
Ist natürlich etwas anderes, wenn sich genau auf diesem Ritt zwei Protas näherkommen und verlieben.
Da ist eine heikle Sache. Neutral betrachtet kann man das einfach formulieren: Wichtig ist, was zum Fortschreiten der Handlung beiträgt. Sprich, was, der Leser braucht, um zu verstehen, was die Geschichte antreibt, was dazu beiträgt, dass sie weitergeht. Wie bei Dominosteinen: Szene oder Moment X führt zum nächsten Stein, dadurch, dass Moment Z passiert, kommt es zu Moment ... usw. Einige Schreibratgeber sagen: Im Prinzip ist alles unwichtig, was nicht unmittelbar zu Handlung beiträgt.
Leicht formuliert, aber in der Praxis natürlich nicht immer so einfach, hängt vielleicht zum Teil auch daran, dass wir selbst weniger Abstand haben und in die Story ganz anders involviert sind. Fee hat da schon ein schönes Beispiel genannt. Je mehr Spuren/Handlungsstränge du natürlich hast, umso schwieriger wird es nochmal, das ganze aufzuknoten und herauszufinden, was es wirklich braucht. Einen Geheimtipp hab ich nicht, ich tue mir selbst manchmal schwer damit. Alana hat mir da mal schön mit geholfen, in dem sie mir eine Aufzeichnung gemacht hatte, die ich ein bisschen mit dem Prinzip der Dominosteine vergleichen kann. Das, was passiert, sollte immer irgendwie auch eine Auswirkung haben bzw. etwas Neues anstoßen. Zumindest geht es mir damit leichter von der Hand, zu bestimmen, was ich tatsächlich brauche und was nicht. Generell mag ich Mittelwege, ein gesundes Maß dazwischen. Weder zu ausufernd (langweilig), noch zu überladen. Dazu trägt für mich aber auch teilweise ein gesunder Wechsel von Dialogen/gesprochener Handlung - Action - Menschliches bei, wie man es nennen will. Ich strukturiere Kapitel durch, Mache eine Liste mit kurzem (Was geschieht?/Was st die Funktion des Kapitels?) und markiere dahinter mit Marker Gelb/rot/Blau, ob gerade Action angesagt ist oder das Gegenteil.
Die Angst" Ist eine Handlung/ein Handlungsstrang zu wenig?" habe ich auch. Für die neue Story denke ich daher einen zweiten Perspektivträger an, aber dann muss natürlich da dasselbe Prinzip gelten: Jede Szene hat eine Funktion, stößt etwas anderes an. Ich neige da zu "Füllszenen" bei weiteren Perspektivträgern, wenn der Strang von Person A schon so umfassend ausgearbeitet ist.
Ich habe das Gefühl, dass die Überfrachtung mit Handlung, die man in vielen Romanen findet, auch mit dem Postulat "Show, don't tell" zu tun hat. Wenn alles immer gezeigt wird, ist jede Szene voll mit Handlung, und das kann auf die Dauer ermüdend wirken. Denn die ruhigen Zwischenszenen fehlen, in denen Handlung zusammengefasst wird. Nagelt mich nicht darauf fest, aber ich vermute stark, dass bei Büchern bei denen Handlung in einem sinnvoll erlebten Maß auftaucht ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen show und tell besteht.
Zitat von: chaosqueen am 03. Mai 2015, 11:07:36
Wenn ich mir meine Manuskripte so anschaue, dann tendiere ich eher zu Stefón Rudel (ich schreibe besser, wirklich!): Ich habe einen Hauptplot mit vielen Ideen und dazu noch diverse Subplots. Und das führt oft dazu, dass die einzelnen Szenen zu wenig Raum bekommen und mein Text (zumindest auf mich, teilweise aber auch auf meine Betaleser) sehr gehetzt wirkt.
Wenn der Text gehetzt wirkt, dann heißt das nur, dass du deine Ideen/Plots nicht richtig ausgearbeitet hast. Das Problem lässt sich mit Nachsitzen lösen. ;)
Ansonsten finde ich die Frage zu abstrakt gestellt und deshalb erlaub ich mir, eine abstrakte Antwort zu geben:
Ein "Überfrachten" mit Handlung gibt es in meinen Augen nicht. Die Qualität einer Geschichte hat per se nichts mit der Komplexität der Handlung zu tun. Ja, man kann sich als Autor verzetteln und sich ganz böse ins Plothole schreiben. Man kann aber
auch grandiose Panoramen schaffen.
Ich widerspreche insoweit, als ich eine Überfrachtung mit Handlung durchaus für möglich halte. Nämlich dann, wenn eine atemlose Handlungszene nach der nächsten abläuft, ohne dem Leser eine Möglichkeit zu geben, sich irgendwie hineinzufühlen. Dann hat man am Ende den Nachrichten-Effekt:
Ja, schön, alles eine Katastrophe nach der nächsten, aber was geht mich das an?
Zitat von: FeeamPC am 03. Mai 2015, 14:36:51
Ich widerspreche insoweit, als ich eine Überfrachtung mit Handlung durchaus für möglich halte. Nämlich dann, wenn eine atemlose Handlungszene nach der nächsten abläuft, ohne dem Leser eine Möglichkeit zu geben, sich irgendwie hineinzufühlen. Dann hat man am Ende den Nachrichten-Effekt:
Ja, schön, alles eine Katastrophe nach der nächsten, aber was geht mich das an?
Sehe ich auch so. ;)
Zitat von: traumfängerin am 03. Mai 2015, 12:24:50
Ich habe das Gefühl, dass die Überfrachtung mit Handlung, die man in vielen Romanen findet, auch mit dem Postulat "Show, don't tell" zu tun hat. Wenn alles immer gezeigt wird, ist jede Szene voll mit Handlung, und das kann auf die Dauer ermüdend wirken. Denn die ruhigen Zwischenszenen fehlen, in denen Handlung zusammengefasst wird. Nagelt mich nicht darauf fest, aber ich vermute stark, dass bei Büchern bei denen Handlung in einem sinnvoll erlebten Maß auftaucht ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen show und tell besteht.
Das ist, wie ich finde, ein sehr guter Punkt! Wobei "show, don't tell" in meinen Augen auch gerne mal zum Gegenteil verkommt: Da wird dann bis ins kleinste Detail geatmet, gelacht und gerunzelt (und was man eben noch so alles zeigt, anstatt eine Emotion etc. zu benennen), was dann auch zu Lasten der Handlung gehen kann.
Hm, ich glaube, so ganz habe ich meinen Ansatz noch nicht auf den Punkt gebracht, obwohl ich vieles von dem, was ihr hier schreibt, total hilfreich finde!
Wenn ich - und es ist für mich ein Beispiel, ich hadere mit dem Text nicht! - mein aktuelles Projekt nehme, dann habe ich sechs Menschen, sechs Perspektiven, mehr oder weniger sechs miteinander verwobene Handlungsstränge.
Nun kann ich jedem einzelnen sehr viel Raum geben, die Figuren in allen erdenklichen Situationen zeigen, Hinweise darauf geben, warum zwei gerade hier sind, der dritte aber nicht etc. pp. Das ergäbe sechs ausgefeilte Geschichten, die sich zu einem Ganzen zusammenfügen, es kann aber auch dazu führen, dass ich meine Leser langweile oder sechs Einzelbände verfassen müsste, um alles abzudecken.
Umgekehrt kann die Reduktion auf das Wesentliche auch dazu führen, dass der Leser keine Verbindung zu den Figuren herstellen kann und ihm alles egal ist, was da passiert.
Zitat von: Pandorah am 03. Mai 2015, 11:54:58
Ich widerspreche. Das sind die Romane, die dir gefallen, nicht "gute Romane" per se.
Ich will das gerne präzisieren: Es gibt Kriterien, nach denen Manuskripte angenommen oder abgelehnt werden. Ich wollte mit meiner Einschätzung nicht meine persönlichen Vorlieben, sondern eher diese Kriterien beleuchten - und ja, ich weiß, dass es auch da Ausnahmen gibt, aber die meine ich nicht.
Um bei meinem Lieblingsbeispiel zu bleiben: Stefón Rudel ist völlig überfrachtet, aber kein Fitzelchen ausgearbeitet. In jedem Satz passiert etwas Neues, Grandioses. Die Entwicklung der Figur bleibt dabei völlig auf der Strecke.
Das Gegenstück wäre ein Roman, in dem nichts passiert, aber das halt sehr ausführlich. ;D Ich habe dazu kein passendes Beispiel. Beides sind aber Erzählweisen, die maximal im Nischenbereich einen Verleger finden - Stefón Rudel ist entweder DKZV oder Selbstverlag, ich hab es gerade nicht auf dem Schirm.
Mir geht es halt darum, wie ich die Balance finde. Ich habe einen Plot - so weit, so schön. In meinem NaNo-Roman von 2011 (glaube ich, könnte auch 2010 gewesen sein) habe ich eine Parallelwelt, ein Mädchen, das in diese hineingerät und eine Gruppe von Kindern / Jugendlichen, die gegen das hier herrschende Regime rebellieren. Aber anstatt das vernünftig auszuarbeiten und mir Gedanken zu machen, warum konkret in dieser Welt die Kunst verbannt wurde (ich habe Ansätze, aber die sind für mich selber noch nicht wirklich ausreichend plausibel), lasse ich die Jugendlichen durch ihre Welt stolpern, setze sie Gefahren aus, aus denen sie sich befreien müssen, lasse sie weitere unterirdische Zufluchtsstätten und einen weisen alten Mann finden und einen Haufen Gefangene befreien. Das ist alles ganz hübsch, aber am ende hab ich mich selber gefragt, was ich dem Leser eigentlich erzählen will - außer, dass ich ein dystopisches Kiel ohne Kunst und Spaß entworfen habe. :rofl:
Ich renne noch immer um den heißen Brei, glaube ich. *seufz*
Also, ganz konkret (ich versuche es, ehrlich): Ist weniger nicht eigentlich mehr? Reicht es nicht, wenn ich einen Hauptplot habe und den Figuren die Möglichkeit gebe, sich innerhalb dessen Grenzen zu bewegen, sich zu entwickeln und zu interagieren?
Um noch mal auf Greys Buch zurückzukommen: Hätte ich es geschrieben, dann hätte ich unbedingt mit eingebracht, wie Marjas Eltern sie suchen - aber dass Grey es nicht getan hat, stört nicht nur nicht, es fokussiert die Geschichte aufs Wesentliche und macht sie in meinen Augen besser, als wenn man noch erzählt bekommt, wie die Eltern die Polizei einschalten, überall nach dem Mädchen gesucht wird und am Ende noch Oma Lieschen in Deutschland übers Internet einen Aufruf startet, ihre Enkelin zurückzubringen.
Ich mache also eigentlich zwei Dinge "falsch" beim Schreiben: Ich will zu viel, und weil ich zu viel will, gebe ich den einzelnen Szenen nicht genug Raum. Ich überfrachte also einerseits, und auf der anderen Seite renne ich durch meine Geschichten, anstatt sie sich etwickeln zu lassen. Ich glaube, das hat durchaus damit zu tun, dass ich komplexe Welten entwickeln will und dreidimensionale Figuren, aber vielleicht habe ich mir diese Prämissen vieler Schreibratgeber auch zu sehr auf die Fahnen geschrieben, so wie inzwischen "show, don't tell" ja auch viel zu viel Raum bekommt?
Was die Beschreibung von Zigarettenschachteln und Bildschirmen angeht: So schlimm ist es bei mir noch nicht. ;D Das stört mich übrigens oft in Büchern (und ist meiner Meinung nach auch eine Folde des SdT): Dass Figuren Dinge beschreiben, die für sie selbstverständlich sind. Ich stehe ja auch nicht morgens auf und denke "meine Bettwäsche ist weiß mit Blümchen. Mein Wecker ist ein Lichtwecker, dessen Funktion ich kaum noch nutze, seit ich selbständig bin. Meine Vorhänge sind aus einem luftigen, blauen Stoff. Und Alice, meine schwarz-weiße Katze liegt mal wieder schnurrend auf meinem Bauch, weil sie da einfach am besten schläft." Ich hab eher folgendes im Kopf "Katze. Schwer. Zeit? Ah, okay. Acht Stunden geschlafen. Wetter? Sieht gut aus. Kaffee."
Ich glaube allerdings nicht, dass es ausreicht, sich immer total konsequent in die gerade erzählende Figur hineinzuversetzen, zumal es hervorragende Romane gibt, die auktorial erzählt sind. Hm.
Ich glaube, ich habe ein Schwester-Problem zu "wie geht eigentlich schreiben?" gefunden. ;)
Okay, das ist zwar immer noch alles komplex, aber ich versuche jetzt noch mal auf andere Art darauf einzugehen. ;D
Für eine tiefgründige Geschichte kann ich mir vorstellen, dass es hilfreich ist, mehr zu wissen, als im Roman steht. Als Beispiel die Eltern, die ihre Tochter suchen: Als Autor halte ich es für wichtig, sich im Klaren darüber zu sein, welche Schritte die Eltern unternehmen, wann sie sich wo aufhalten, und so weiter. Und dann hast du deinen Hauptplot, die Geschichte, die du erzählen willst. Wichtig werden die Handlungen der Eltern für mich da, wo es Überschneidungen gibt. Dort haben Szenen mit ihnen Daseinsberechtigung. Und weil man als Autor weiß, was in der Zwischenzeit passiert ist, wirken diese Szenen (so mein persönliches Ziel) wie die Spitze eines Eisberges. Der Leser muss nicht genau wissen, wann sie welche Schritte zur Rettung ihres Kindes unternommen haben. Aber er kann erahnen, dass da etwas (im Einzelnen nicht Interessantes) vor sich gegangen ist und alles Nötige in seinem Kopf ergänzen.
Manchmal passiert in der "Abwesenheit" der Leser zu viel. Wenn die suchenden Eltern (entschuldige, Grey, ich habe das Buch noch nicht gelesen, missbrauch diesen Teil davon aber mal als ein Beispiel :versteck:) ihr Kind dann an einem vollkommen abgelegenen Ort finden, obwohl die Chancen dafür gleich Null standen, ist wirkt es auf mich als Leser zu weit hergeholt. Wie ist ihnen das gelungen? Da hätte ich doch ganz gern selbst miterlebt, wie sie ihrem Kind auf die Spur gekommen sind. In dem Fall sind weitere Szenen nötig, um das Bild zu vervollständigen. Wie oft das vorkommt und wie genau die Szenen aussehen, liegt im Ermessen des Autors und muss sicher auch mal ausprobiert werden.
Eine Verbindung zu schaffen zwischen Leser und Figuren und einzelne Szenen tiefgründig wirken zu lassen, halte ich übrigens wirklich für eine Sache des Weglassens. Ebenso aber auch einen Blick für das Wesentliche. Man könnte versuchen, das Charakteristische an einem Ort, einem Charakter, einer Szene zu fassen zu bekommen und darzustellen. (Den Vergleich habe ich an anderer Stelle schon einmal angebracht: Ein wenig wie ein Karikaturist, der das Unverwechselbare hervorhebt). Der Rest passiert im Kopf des Lesers. Chaos, in Leipzig hat Patrick Rothfuss dazu etwas gesagt, das ich sehr gut fand. Für alle, die nicht da waren (oder das nicht mehr so im Kopf haben): In diesem Video (https://www.youtube.com/watch?v=KYE9b4oNGjc) ab etwa 20:33.
Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen, dass sich diese Frage - auch mit Beispielen eigentlich nicht klären lässt. Da müsste man meines Erachtens ein Wochenende zusammensitzen und an konkreten Textpassagen drüber sprechen: Was genau funktioniert da für Leser A und Leser B und was funktioniert nicht und was willst du als Autor mit bestimmten Textstellen aussagen?
Du machst dir in letzter Zeit ja öfter einen Kopf über das Schreiben und mir kommt es vor, als wärst du noch auf der Suche nach dem, was du erzählen möchtest, was du transportieren und in den Lesern bewegen willst - und natürlich nach dem Wie.
Deshalb erlaube ich mir, dich einmal ganz frech zu fragen: Wie viele Romane hast du bislang beendet und wie oft hast du sie überarbeitet?
Ich gehöre nämlich auch zu denen, die nicht als naturgegebene Genies und Bauchschreiber ins Textleben geboren wurden (Ich kenne mittlerweile ein paar, die zügig sehr gute Texte verfassen können - in diese Sphären werde ich niemals vorstoßen) und tue mir noch immer damit schwer, Romane zu beenden. Ich muss noch während ich schreibe ganz viel überarbeiten und wenn sie fertig sind, erst recht. Es gibt sicherlich kein Werk von mir, das ich nicht viermal oder fünfmal sehr gründlich überarbeitet habe oder bei dem ich nicht 60-100 Seiten komplett rausgeworfen und neu geschrieben bzw. umgeschrieben habe - und trotzdem knackt es noch an allen Ecken und Enden. Ich brauche einfach viel länger als andere für einen gescheiten Roman und das muss ich noch immer akzeptieren lernen.
Aber eigentlich will ich dir damit Mut machen. Denn bei mir ist es auch oft so, dass Teile des Romans sehr kompakt und ohne Übergänge oder viel zu ausführlich sind. Das eine bezeichne ich als "Notizen mitnotieren, während man die Rohform schreibt und später konkretisieren" und das andere als "Aus dem Selbstmitleidsgesülze eine selbstbewusste Person mit einem kleinen Hänger machen". ;D
Mit jeder Überarbeitung stellt man fest, was einem gefällt und was nicht, formt seinen Stil, modelliert den Roman - und ab dem dritten oder vierten Roman fällt einem das dann leichter.
Zitat von: FeeamPC am 03. Mai 2015, 14:36:51
Ich widerspreche insoweit, als ich eine Überfrachtung mit Handlung durchaus für möglich halte. Nämlich dann, wenn eine atemlose Handlungszene nach der nächsten abläuft, ohne dem Leser eine Möglichkeit zu geben, sich irgendwie hineinzufühlen.
Liegt es dann an der Handlung an sich - oder eher daran, dass die Handlung keine Struktur hat und kein rundes Bild abgibt?
Ja, ich habe mich auch schon durch "Bücher" gequält, in denen X Perspektivträger in Y Erzählebenen auf Z Zeitebenen vor sich hin handelten. Sorry, aber das funktionierte halt einfach nicht. Wobei ich in allen diesen Fällen nicht den geringsten Grund fand, weshalb der Autor sich für diese szenische Auflösung entschieden hatte. Das war völlig überflüssig, ich weiß also nicht, was das sollte. :wart:
Zitat von: chaosqueen am 03. Mai 2015, 15:06:16
Um bei meinem Lieblingsbeispiel zu bleiben: Stefón Rudel ist völlig überfrachtet, aber kein Fitzelchen ausgearbeitet. In jedem Satz passiert etwas Neues, Grandioses. Die Entwicklung der Figur bleibt dabei völlig auf der Strecke.
Das Gegenstück wäre ein Roman, in dem nichts passiert, aber das halt sehr ausführlich. ;D Ich habe dazu kein passendes Beispiel. Beides sind aber Erzählweisen, die maximal im Nischenbereich einen Verleger finden - Stefón Rudel ist entweder DKZV oder Selbstverlag, ich hab es gerade nicht auf dem Schirm.
Okay, aber ich denke, wir sind uns einig, dass beides Mist ist... ::)
Zitat von: chaosqueen am 03. Mai 2015, 15:06:16
Das ist alles ganz hübsch, aber am ende hab ich mich selber gefragt, was ich dem Leser eigentlich erzählen will - außer, dass ich ein dystopisches Kiel ohne Kunst und Spaß entworfen habe. :rofl:
Das würde ich für dein Problem halten: Du weißt nicht, welche Geschichte du erzählen willst. So lange du dir darüber nicht im Klaren bist, wirst du keinen stringenten Plot und keine in sich stimmige Handlung zusammenbekommen. Behaupte ich jetzt einfach mal so. :engel:
Zitat
Also, ganz konkret (ich versuche es, ehrlich): Ist weniger nicht eigentlich mehr? Reicht es nicht, wenn ich einen Hauptplot habe und den Figuren die Möglichkeit gebe, sich innerhalb dessen Grenzen zu bewegen, sich zu entwickeln und zu interagieren?
Siehe oben. Es ist meinen Augen völlig egal, wie viele Plots du in ein Projekt rein steckst, so lange du dich dabei auf die Geschichte konzentrierst, die du erzählen willst. Natürlich kan man auch sagen: Ein Hauptplot genügt, der Rest ist Zuckerguss. Aber wir alle wissen, dass manches Tortenwerk mit Zuckerguss besser wird. Nur muss man wissen, welche Torte man backen will. Dann weiß man auch, ob Zuckerguss und wenn ja wie viel.
Dann schreibt George R.R. Martin eine dreistöckige Hochzeitstorte mit einem Zuckergusswasserfall...
Churke, für diesen Roman hast Du absolut Recht: Da wusste ich nicht, was ich wirklich erzählen will - und weiß es noch nicht. Bei meinen "Sechs Seiten der Medaille" weiß ich es durchaus, da hakt es an anderen Stellen.
Zitat von: Churke am 03. Mai 2015, 15:38:18
Okay, aber ich denke, wir sind uns einig, dass beides Mist ist... ::)
Natürlich sind wir uns da einig! ;D Mir ging es ja nur darum, die beiden Extreme der Spannweite festzulegen und dann zu überlegen, wie man ein gesundes Mittelmaß erreicht. ;)
Zitat von: Nadine am 03. Mai 2015, 15:33:51
Deshalb erlaube ich mir, dich einmal ganz frech zu fragen: Wie viele Romane hast du bislang beendet und wie oft hast du sie überarbeitet?
Beendet einen, überarbeitet - mehr. Klingt paradox, aber ich neige dazu, vor Beendigung schon mal zu überarbeiten, wenn ich in eine Sackgasse gerate.
Und ja, ich denke, dass ich da auch eher so funktioniere wie Du. Mir ging es mit diesem thread aber gar nicht so sehr darum, meine Probleme in den Vordergrund zu stellen (ich hab meine Texte als Beispiel genommen, um zu verdeutlichen, worum es mir geht), sondern allgemein darüber zu reden, wie man diese Balance hinbekommt. Wie machen andere das, in welchen Büchern ist es eurer Meinung nach gut gelungen, in welche romane passt es, die Toilettengänge des Protagonisten zu dokumentieren, bei welcher Art von Roman reicht ein "nach dreiwöchigem hartem Ritt erreichten sie völlig erschöpft das kleine Dorf Gurkensalat" - ohne dass der Leser sich fragt, ob sie wirklich drei Wochen durchgeritten sind oder doch vielleicht auch mal Rast gemacht haben. ;)
Ich weiß meistens mehr über meine Charaktere als ich im Buch verarbeite, ich glaube, das ist auch eher normal, dass man nicht alles unterbringt. Eben gerade die Dinge, die für den Charakter selbstverständlich sind, aber möglicherweise seine Persönlichkeit geformt haben, sollte man besser nicht plakativ einbringen, sondern höchstens versteckt. Also kein "ich wusch mir dreimal die Hände, da ich einen Waschzwang habe" sondern eben eher "immer noch hatte ich das Gefühl, Dreck an meinen Händen kleben zu haben, der auch nach mehrfacher Reinigung mit Wasser und Seife nicht verschwand." Aber wenn der Waschzwang überhaupt keinen einfluss auf den Charakter, sein Handeln und den Roman hat, dann sollte ich ihn auch nicht erwähnen.
Hm, ich bin noch immer nicht dort, wo ich sein will. Ich glaube, ich mache mal eine Computerpause. ;)
Zitat von: FeeamPC am 03. Mai 2015, 16:03:24
Dann schreibt George R.R. Martin eine dreistöckige Hochzeitstorte mit einem Zuckergusswasserfall...
:rofl: :rofl: :rofl:
Nein, ich glaube, die ist mindestens fünfstöckig. Und hat auch noch einen eingebauten Schokobrunnen! ;D
Zitat von: Churke am 03. Mai 2015, 15:38:18
Du weißt nicht, welche Geschichte du erzählen willst. So lange du dir darüber nicht im Klaren bist, wirst du keinen stringenten Plot und keine in sich stimmige Handlung zusammenbekommen.
Ich glaube, das ist der Dreh- und Angelpunkt, sowohl individuell,
@chaosqueen , als auch ganz generell gesprochen. Welche Elemente ein Plot benötigt, ergibt sich ja eigentlich zwangsläufig aus dem Thema, das man erzählt. Sobald ich mir darüber klar bin, welche Geschichte ich erzählen möchte, also nicht im Sinne von Plot, sondern im Sinne von "Botschaft", dann ergeben sich die Elemente, die es braucht.
Schreibe ich über die individuelle Lebensleistung einer bestimmten Figur, interessieren mich äußere Umstände eher weniger. Schreibe ich einen historischen Roman, mit dem ich vor allem historische Fakten erzählen will, kann man durchaus ein größeres Panorama aufspannen und auch mal ein paar Stimmungsszenen bringen, die wenig bis gar nichts zum Plot beizutragen haben. Geht es um die Geschichte einer Kaufmannsfamilie durch drei Generationen, mit dem Fokus auf dem Aufstieg und Niedergang durch individuelle Nichtleistung oder Leistung, dann wird das Panorama wieder ein anderes. So oder so, das ist für mich der Ausgangspunkt jeder Geschichte: Was ist meine Botschaft? Und worauf läuft die Geschichte hinuas?
Mir hilft dabei oft der Pitch. Sobald ich meine Geschichte in drei Sätzen zusammenfassen kann, weiß ich, was die Essenz ist. Danach klopfe ich gerne alle Szenen danach ab, ob sie etwas zu dieser Geschichte beitragen und in irgeneinder Form meine Charaktere weiterbringen - ich persönlich mag einfach Geschichten, in denen sich Figuren individuell entwickeln und ihre Stärke finden. Hat eine Szene in dieser Hinsicht keine Funktion, muss sie raus. Fehlt mir ein logischer Schritt in der Entwicklung, muss noch eine Szene her. Wirklich abstrakt kann ich das nicht machen, ich bin ja absoluter Bauchschreiber und habe außer Pitch und der Grobstruktur (Szene 1: Sie lernen sich kennen. Kapitel 27: Happy End) vor Beginn keinerlei Aufzeichnungen oder Planungen. Aber während ich schreibe, achte ich darauf, ob diese Szene nun wirklich sinnvoll und weiterführend ist. Beim Überarbeiten flechte ich dann Szenen dort ein, wo sich im Eifer des Gefechts Logiklöcher ergeben haben.
Was die Dichte der Handlung angeht, finde ich es immer wichtig, dass eines zum anderen führt - jede Aktion erfordert eine Reaktion, die wiederum als neuer Ausgangspunkt für eine weitere Aktion und Reaktion dient. Stillstand in dem Sinne, dass seitenweise nichts vorwärts geht, mag ich weder lesen noch schreiben - was natürlich nicht bedeutet, dass Aktion und Reaktion immer mit Explosion und Action gleichzusetzen sind. Das kann durchaus auch einmal eine ruhige Szene sein, in der wichtige Grundsteine gelegt werden, aber die Szene muss in irgendeiner Form zum nächsten Schritt auf dem Weg hin zum großen Finale denknotwendig erforderlich sein und irgendwie weiterführen.
Oder, um Grey weiter als Beispiel zu benutzen: Spielt es irgendeine Rolle für das Buch, dass die Eltern das Mädchen suchen? Im Grunde genommen: Nein. Die Geschichte ist die Geschichte des Mädchens in Barcelona. Die Geschichte der Eltern, die das Kind suchen, ist eine ganz andere Geschichte. Eine Erzählenswerte, vielleicht, aber eine gänzlich andere Geschichte. Dass die Eltern das Mädchen suchen, hat in diesem Moment weder Bedeutung für den Fortschritt der Handlung (das hätte es zum Beispiel, wenn die Polizei zu einem weiteren Antagonisten werden würde, bspw. indem die Heldin sich vor der Polizei verbergen müsste, um weiter ihre eigentliche Aufgabe erfüllen zu können) noch für die persönliche Entwicklung des Mädchens. Es spielt schlichtweg keinerlei Rolle für diese Geschichte - und das ist klar in dem Moment, in dem Grey sich dafür entschieden hatte, die Geschichte dieses Mädchens in Barcelona zu erzählen. ;)
Zitat von: FeeamPC am 03. Mai 2015, 16:03:24
Dann schreibt George R.R. Martin eine dreistöckige Hochzeitstorte mit einem Zuckergusswasserfall...
:jau:
Wobei Martin überhaupt nicht vorhat, eine fertige Torte abzuliefern. GoT ist als ewiger (?) Fortsetzungroman konzipiert. Ständig neue Baustellen aufzumachen, gehört da zum Handwerkszeug. Für Serienautoren bestes Anschauungsmaterial, aber andere sollten sich das nicht unbedingt als Vorbild nehmen.
Grundsätzlich sehe ich ein Buch niemals als überladen an, sofern jede Szene ihren Mehrwert hat. Beispiel: Der Name des Windes. Jede Menge Szenen, gar ganze Kapitel, die Kvothe kein Stück näher an sein Ziel bringen. Aber für sich genommen sind sie interessant, ich habe sie gerne gelesen. Dass er dabei nicht so wirklich mit der richtigen Geschichte vorankommt, finde ich nicht schlimm.
Was ich hingegen schlimm finde, sind diese "gehetzten" Bücher, bei denen die Handlung knallhart vorangetrieben wird ohne eine Pause.
Ich versuche mal einen Vergleich zu ziehen: Serien. Also die Sorte, die einen Plot hat und wo nicht jede Folge für sich steht. Da gibt es sogenannte "filler"-Folgen, über die sich gerne aufgeregt wird. Manchmal zu Recht. Oft aber auch nicht. Diese "filler" geben dem Zuschauer die Chance, die Figuren auch mal in Lagen zu sehen, die unabhängig von der großen Rahmenhandlung sind. Die auch ihren Reiz haben und interessant sein können.
Das Maß, in dem sich solche filler/Nebenhandlungen und der Hauptplot zueinander verhalten sollten, hängt denke ich von der Qualität der jeweiligen ab (die Nebenplots können durchaus interessanter sein als das eigentliche), sowie vom Lesergeschmack ;)
Was allerdings kein Mensch braucht, sind seitenlange Beschreibungen von Zigarettenschachteln. Außer er zieht da eine philosophische Metapher oder so draus :wart:
@Churke Das mit ewigem Fortsetzungsroman würde ich so nicht unterschreiben. Da gibt es ganz klare Punkte, auf die er zustrebt. Siehe auch sein (zwar überholtes, aber immerhin) teilweise veröffentlichtes Exposé.
Ich sehe es auch so, dass die Frage, ob eine Handlung "überladen" ist oder nicht, vom jeweiligen Roman abhängt. Und auch dann ist es immer noch eine Frage des Lesergeschmacks.
Ich für meinen Teil fand z.B. "Dark Desires" von Lara Möller gnadenlos unterversorgt, was den Handlungsstrang des ersten Protagonisten angeht. Dafür werden Details beschrieben, die rein gar nichts mit dem Fortgang der Geschichte zu tun haben und noch nicht einmal der Charakterentwicklung dienen. Der Handlungsstrang des anderen Protagonisten dagegen fast schon wieder zu gehetzt. Es geht also auch beides gleichzeitig. ;D
Zitat von: Anjana am 03. Mai 2015, 12:00:13
Meine Plots neigen dazu, recht verworren zu sein, so dass relativ viele Informationen von Nebenfiguren relevant sind. Um die in einer einzigen Perspektive unterzubringen brauche ich öfter mal Gespräche, die ich dann bei Alltagshandlungen stattfinden lasse.
Aus diesem Grund liebe ich es, mit mehreren Handlungssträngen zu jonglieren, wenn ich eine komplexe Geschichte schreibe, in der sehr viele Informationen aus unterschiedlichen Quellen erst zusammengetragen werden müssen.
Hätte ich nun nur eine Perspektive, müsste ich unglaublich viele Situationen künstlich herbeiführen, in denen der Prota aus irgendwelchen Gründen ausgerechnet mit den richtigen Personen zusammen kommt, um die nötigen Informationen zu erhalten, obwohl es für den Prota eigentlich keine Notwendigkeit dazu gibt, die Reise zu unternehmen und das würde die Geschichte furchtbar in die Länge ziehen. Ich hätte dann m.E. jede Menge an "überflüssiger" Handlung.
Mit mehreren Perspektiven kann ich den Leser immer dorthin führen, wo gerade für die Geschichte wichtige Ereignisse stattfinden, während der Prota gerade anderweitig beschäftigt ist, und dadurch Zeit sparen, etc. Für mich sind mehrere Perspektiven meistens für die Handlung optimal, ob ich nun selbst schreibe oder ein anderes Buch lese.
Von meiner Mutter weiß ich allerdings, dass es sie meistens überfordert, wenn es mehrere Perspektiven gibt. Für sie ist es dann schlicht und ergreifend zu viel Handlung auf einmal.
Ich persönlich finde, dass "zu viel" Handlung immer dann vorhanden ist, wenn ich das Gefühl habe, dass eine Geschichte an einem bestimmten Punkt bequem zu Ende sein könnte, aber immer noch künstlich weitergeführt wird. Speziell im TV bei Serien habe ich das oft, dass ich denke: "Da kommt doch eh nichts Neues/Überraschendes/Spannendes ... mehr."
So, das ist jetzt etwas wirr, glaube ich, aber ich hoffe, ihr versteht mich trotzdem. ;D
ZitatEine der wenigen Ausnahmen, bei denen unglaublich viel auf unglaublich wenig Seiten passiert und der Roman mich trotzdem sehr gefesselt hat, ist "Stein und Flöte" von Hans Bemmann. Noch immer mein absoluter Lieblings-Fantasy-Roman und wirklich empfehlenswert. 800 eng beschriebene Seiten, eine komplette Lebensgeschichte - und nie hatte ich das Gefühl, dass der Autor Seiten füllen wollte. Den Protagonisten wollte ich hingegen häufiger mal schütteln, aber das liegt an seiner Natur, nicht am Roman an sich. ;)
Chaosqueen, es freut mich, dass noch jemand Fan von Stein und Flöte ist. Das war auch schon immer eines meiner Lieblingsbücher.
Vermutlich ist es auch ein bisschen Geschmackssache, aber ich gebe zu, ich mag es wenn viel Handlung passiert, aber dazwischen immer noch Raum ist für Chara-Entwicklung und Chara-Interaktion.
Also mir sind die Charaktere immer mit das Wichtigste und ich möchte gerne ganz viel über sie erfahren. Andererseits mag ich es nicht wenn ewig lange nichts passiert sondern wenn ich eben DURCH die Handlung viel über sie erfahre. Wie verhalten sie sich in Krisensituationen, wie verhalten sie sich bei moralischen Konflikten, etc.
Ich gestehe Bücher ohne Spannung finde ich meistens langweilig. Ich mag es wenn es handlungsbedingt ist, dass meine Charas generell in einer Art konstanten Gefahr schweben. Deswegen mag ich eben auch Sci-Fi/Fantasy/Thriller/Crime so viel lieber als Drama/Liebesgeschichte.
Aber das ist bestimmt Geschmackssache.
Dinge, bei denen ich mich tierisch gelangweilt habe und mich gefragt habe wieso nicht endlich mal was schlimmes passiert, fand meine beste Freundin toll und umgekehrt.
ZitatWelche Elemente ein Plot benötigt, ergibt sich ja eigentlich zwangsläufig aus dem Thema, das man erzählt. Sobald ich mir darüber klar bin, welche Geschichte ich erzählen möchte, also nicht im Sinne von Plot, sondern im Sinne von "Botschaft", dann ergeben sich die Elemente, die es braucht.
Damit, und mit dem kompletten folgenden Kommentar hat Snö eigentlich ausgedrückt, wie ich die Sache auch sehe.
Jede Geschichte fordert ihre eigenen Elemente. Die Balance kann man deshalb meiner Meinung nach auf einer abstrakten Ebene gar nicht finden, weil es sie nur individuell gibt. Ein historischer Roman braucht natürlich viel mehr "drumherum" als, sagen wir mal, ein zeitgenössischer Roman von Ian McEwan. In einem werden 30-50 Jahre Geschichte abgedeckt, im anderen vielleicht eine Woche. Die Balance kann nicht die selbe sein. Andererseits kannst du in beiden zuviel und zu wenig erzählen.
Ich glaube wirklich auch dass der einzige Leitfaden, mit dem man zum Ziel kommt die Frage ist: Was will ich erzählen? Am Ende muss man das Geschriebene darauf abklopfen, ob einem das gelungen ist.
Für mich ist dabei noch der Fokus zu betrachten. Wenn jemand also eine Story mit sechs Handlungssträngen schreibt, um bei deinem Beispiel zu bleiben, und alle Geschichten gleichwertig erzählen könnte, muss er oder sie sich eben die Frage stellen, ob das das Ziel ist. Ob die Geschichte aus allen sechs Perspektiven gleichgewichtig dazu beiträgt, den Inhalt zu transportieren, der (bestimmt durch die schon gestellte Frage "Was will ich erzählen?") vermitteln werden soll.
Wenn ja, muss man von dort aus entscheiden, ob sich dann nicht eine Reihe mit sechs Bänden besser eignet, oder ob man den Umfang eines einzigen Buches ungefähr gleich gewichtet auf alle sechs Handlungsstränge aufteilt, oder oder oder. Wenn der Fokus jedoch bei einer (zwei, drei...) der Figuren liegt, und die fünf (vier, drei, ...) anderen Handlungsstränge mehr oder minder stark mit dieser Figur verbunden sind, Dinge beeinflussen, verständlicher machen oder was auch immer, dann muss ich als Leser nicht die ganze Geschichte dieser anderen Figuren kennen sondern vor allem den Bereich, indem sie maßgeblich für meine Hauptfigur sind.
Lange Rede kurzer Sinn, für mich stellen sich bei jedem Projekt drei Fragen:
Textübergreifend die Frage: Was will ich erzählen?
Einzelne Szenen betreffend die Frage: Brauche es das? / Fehlt hier was?
Ich finde Churkes Beispiel mit dem Kuchen super. Das sehe ich genauso. Ich habe immer gedacht, ich brauche viel Action, wenige Seiten und einen möglichst geradlinigen Plot. Dann dürfte ich aber gerade bei "Game Of Thrones" nicht einmal die Serie mögen, "Once Upon A Time" auch nicht und diverse Bücher von Autoren, die ich sehr schätze, müsste ich dann auch schlecht finden und dürfte nicht weiter in "Der dunkle Turm" von King lesen. Finde ich aber alles klasse, daran kann es also nicht liegen. Ich stimme deshalb den anderen zu. Es kommt darauf an, wie es gemacht ist.
Was ist nun also gut? Das ist Geschmackssache. Für jeden ist etwas anderes gut und jeder macht es an anderen Kriterien fest. Mein Rat an alle Unschlüssigen ist deshalb, schreibt, was ihr selber mögt (das hat, glaube ich, auch schon weiter oben jemand gesagt). Verwendet Elemente, die ihr toll findet. Du magst ausschweifende Landschaftsbeschreibungen, dann beschreibe deine Landschaften zehn Seiten lang. Du magst pausenlose Action, dann hetze deine Protas durch die 300 Seiten. Es gibt kein Patentrezept. Die einzigen Regeln, die ein Autor meiner Meinung nach beachten muss, sind die unserer Grammatik. Alles andere ist sehr individuell. Was also überfrachtet ist und was langweilig, bestimmt jeder selbst.
Natürlich gibt es gewisse Tricks, eine Geschichte spannend zu machen. Z.B. mehr Fragen zu stellen, als man beantwortet (am Schluss muss allerdings alles klar sein, ausser bei einer Fortsetzungsreihe). Aber andererseits gibt es auch Leute, die gerne Bücher lesen, die für mein Empfinden einfach vor sich hinplätschern. Da landen wir wieder weiter oben. Wichtig finde ich als Autor vor allem, dass man nur einen Kuchen backt, den man selbst auch essen würde.