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Handwerkliches => Auskunft und Recherchen => Autoren helfen Autoren => Archiv: Auskunft und Recherchen => Thema gestartet von: Alaun am 19. April 2012, 17:19:44

Titel: [Medizin] Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Alaun am 19. April 2012, 17:19:44
Liebe Mediziner und Medizinhistoriker,
ich komme bei einer ganz zentralen Frage gerade nicht weiter. Gab es zwischen 1890 und 1916 eigentlich überhaupt medikamentöse Behandlungen der TBC? Alles, was ich finde, sind die Sanatorien mit Frischluft-Liegekuren, Bädern, gesunder Ernährung, ... Konkrete Angaben zu Medikamenten finde ich nicht (also so etwas wie Quecksilber gegen Syphilis, oder vergleichbar schaudrige Anwendungen). Kann mir jemand diesbezüglich weiterhelfen?

Ansonsten werde ich mal die medizinhistorische Bibliothek bemühen, sobald ich Zeit dafür finde.
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Grummel am 19. April 2012, 17:41:45
Es gab auf jeden Fall einen Impfstoff um 1900 rum. Müßte mich schwer täuschen, wenn nicht.
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Alaun am 19. April 2012, 17:47:52
Ja, das müsste die BCG Impfung sein,  die wurde aber erst in den 20er Jahren interessant. Das vorher durch Robert Koch entwickelte Tuberkulin war nicht wirksam (bzw. wurde später für Testverfahren wichtig).
Mir gehts aber eher um die Behandlung von bereits Erkrankten. Dazu finde ich nichts, was Medikamente angeht. Ist natürlich auch schwierig, Penicillin war ja noch lange nicht entdeckt.  :-\
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Maran am 19. April 2012, 17:56:27
Also, ich könnte höchstens in den familiären Erinnerungen kramen, und die erstrecken sich auf den WKII, bzw. auf die Nachkriegszeit. Tuberkulose war damals weit verbreitet (übrigens auch noch in den 80er Jahren, bei russischen Auswanderern).

Zurück zu der Familiengeschichte ... Mein Onkel war als Kind lange Zeit zur Kur. Wie genau die Behandlung vonstatten lief, kann ich nicht sagen - und leider auch niemanden mehr fragen, der es wissen könnte. Meine Mutter hat mir noch erzählt, daß keine Kuhmilch getrunken wurde, weil durch diese die Krankheit übertragen wird. (Rinder bekommen auch Tbc.) Stattdessen haben die Kinder Schafs- oder Ziegenmilch bekommen (weiß nicht mehr genau, welche).
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Kati am 19. April 2012, 17:59:04
Es gab tatsächlich "Hilfsmittel" gegen die Krankheit, von denen man annahm, dass sie Linderung schafften. Ich weiß, dass man mit Absicht dafür gesorgt hat, dass der betroffene Lungenflügel kollabiert, damit die Lunge sich ausruhen und die Wunden heilen konnten. Ob man das oft gemacht hat, weiß ich aber nicht. Ansonsten sind die Sanatorien ja natürlich immer beliebt gewesen. Und, ich weiß ja nicht, wann genau deine Geschichte spielt, aber Schmerzmittel wie Laudanum kamen gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts richtig in Mode und wurden gern mal bei jeglichen Krankheiten verschrieben, auch bei der Schwindsucht.

Die beliebteste Methode war aber wie gesagt frische Luft und Ruhe. Ich glaube nicht, dass es neben den Schmerzmitteln irgendetwas gab, das man damals geschluckt hat. Habe da beim Recherchieren selbst nichts gefunden und auch noch keinen Roman gelesen, in dem ein Erkrankter so etwas hatte. Richtige Medikamente gab es nicht. Die Schwindsucht galt nicht umsonst als romantische Krankheit und Krankheit der Künstler, weil man genau wusste, das man langsam starb und so nun seinen eigenen Tod in Ruhe vorbereiten und reinen Tisch machen konnte. Das Dahinsiechen soll die Kranken angeblich auch sensibler gemacht haben und es kam richtig in Mode bei den Frauen, dieses kränkliche Aussehen anzunehmen. Dafür wurde gern auch mal Arsen geschluckt.

Ich bin jetzt aber leider kein Experte auf dem Thema und kann nur das wiedergeben, was ich selbst mal irgendwo zusammengelesen habe, als ich das Thema recherchiert habe. Ist noch nicht so lange her, aber ich merke mir immer nicht, wo was steht.  :(

EDIT: Die Impfung kam erst richtig in den 40er Jahren auf. Davor gab es sie schon, ihr wurde aber kaum Respekt gezollt.
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Alaun am 19. April 2012, 18:05:16
ZitatIch weiß, dass man mit Absicht dafür gesorgt hat, dass der betroffene Lungenflügel kollabiert, damit die Lunge sich ausruhen und die Wunden heilen konnten.
:o Echt?  :gähn:

Das war mir neu. Aber heftig, meine Güte ... Mit kollabiertem Lungenflügel lebt es sich ja auch nicht gerade angenehm.
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Lavendel am 19. April 2012, 18:10:48
EDIT: Hat sich mit Kati überschnitten. Also, ja das mit dem Lungenflügel stimmt.

Also, du findest wahrscheinlich wenig, weil es einfach wenig Behandlungsmöglichkeiten gab. Soweit ich das jetzt aus dem Stehgreif weiß, existierte einfach keine medikamentöse Behandlung und auch keine Prävention außer verstärkter Hygiene, wie den Versuchen, das Ausspucken in der Öffentlichkeit zu verbieten usw. Die Leute wurden halt in Heilanstalten geschickt, wo sie dann Frischluftliegen durften und eine bestimmte Ernährung verschrieben bekamen (frag mich nicht was für eine genau, war aber vermutlich recht proteinreich, wie eigentlich bei fast allen Krankheiten ...). Außerdem hat man auch lange Zeit einen Lungenflügel zum kollabieren gebracht, damit er nicht mehr belastet wurde und ausheilen konnte (was aber auch nicht so viel gebracht hat) oder man hat betroffene Lungenabschnitte wegoperiert. Die Sterblichkeit war aber einfach ziemlich hoch. Und Operationen ... naja, ich würde mich auf keinen OP-Tisch vor 1950 legen - und auch das eher mit Bedenken - und schon auf gar keinen vor 1920. ::)

Ich bin ja jetzt nicht so ein Thomas Mann Fan, aber wenn du was über Tuberkuloseheilanstalten und allgemein die Auswirkungen von Tuberkulose auf die Gesellschaft wissen willst, dann wäre es vielleicht nicht dumm, mal den Zauberberg zu versuchen. ;)
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Alaun am 19. April 2012, 18:13:40
Ok, ich bin gerade über die sogenannte "Fowlersche Lösung" gestolpert, die Arsenverbindungen enthielt, und anscheinend als Kräftigungsmittel für und gegen alles eingesetzt wurde ... Ich nehme an, die TBC-Kranken waren da nicht ausgenommen, sofern sie nicht schleunigst auf dem Baum waren.  :hmmm: Das kann ich auf jeden Fall einbauen. Ich schreibe ja kein Sachbuch  ;)

@Lavendel: Thomas Mann und ich sind auch nicht gerade die besten Freunde, aber ich werde den Zauberberg mal "querlesen"... Und sehen, worüber ich stolpere.

Danke euch!!!
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Kati am 19. April 2012, 18:15:25
Beispiele dafür habe ich bloß aus der Stuart-Ära gefunden, wo man das einfach über ein paar Schwertstiche gemacht hat.  :hmhm?: Soll geholfen haben. Allerdings erinnere ich mich, dass ich es auch im Bezug zum frühen 20. Jahrhundert irgendwo gelesen habe. Ich suche nochmal schnell danach. Gefunden. Es war sogar ein Wikipedia-Artikel, allerdings steht da, dass man das wohl erst in den 30ern medizinisch betrieben hat. Klingt irgendwie fies. Hier (http://en.wikipedia.org/wiki/Plombage). Das ist zu spät für deine Zwecke, oder?
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Alaun am 19. April 2012, 18:17:19
Huargh!  :versteck: Ja, ist zu spät für meine Geschichte. Aber eigentlich freut mich das gerade für meine Protagonistin...
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Churke am 19. April 2012, 20:39:06
Zitat von: Aquamarin am 19. April 2012, 17:19:44
Liebe Mediziner und Medizinhistoriker,
ich komme bei einer ganz zentralen Frage gerade nicht weiter. Gab es zwischen 1890 und 1916 eigentlich überhaupt medikamentöse Behandlungen der TBC?

Ich zitiere Brockhaus, 5. Auflage (1910):
"Tuberkulin (s. dort) zur Heilung der Tuberkulose hat sich nicht bewährt, doch werden die Versuche, ein ähnliches brauchbares Präparat zu finden, namentlich von Behring fortgesetzt."

und Tuberklulin:
"Ein Stoffwechselprodukt der Tuberkelbazillen, klare, braune, eigentümlich aromatisch riechende Flüssigkeit, nach Koch aus glyzerinhaltigen Fleischbrühekulturen der Tubekerlbazillen gewonnen. Tuberkulin hat namentlich als diagnostisches Mittel Bedeutung. Nur bei Tuberkulösen bewirkt subkutane Injektion von T. längeres Fieber; bei Tuberkulösen, die mit T. geimpft werden, entzündet sich Haut an den Impfstellen. (...) Als Heilmittel hat sich T. nicvht bewährt. Ähnliche Präparate: Tuberkuloplasmin, der Preßsaft der lebenden, von der Nährlösung abfiltrierten und mit Infusorienerde [hä?] gemischten Bakterien, in hydraulischen Pressen mit 4 - 500 Atmosphähren Druck ausgepreßt..."

Wahrscheinlich sind Naturheilverfahren aber effizenter. Mein Oma erzählte mir von recht guten Erfahren, nachdem die Ärzte gesagt hatten: "Hier ist unsere Kunst vergebens."
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Alaun am 20. April 2012, 08:21:17
Danke Churke!

Ja, das muss eine Riesenenttäuschung für Robert Koch gewesen sein, dass sein gefeiertes Tuberkulin die hohen Erwartungen dann doch nicht erfüllen konnte  :-\ Aber immerhin hat es dann später noch Verwendung in ähnlicher Form in der Diagnostik gefunden.

Gut, mit Naturheilverfahren kenne ich mich aus. Da werde ich also ein hübsches Sanatorium zusammenschreiben mit Licht, Luft, Bädern und allem, was der tuberkulitische Halbtote begehrt. Und ein paar unangenehmen - wie soll ich sagen - Facetten im Idyll. ;)
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Faol am 20. April 2012, 11:11:26
Meine Oma hatte zu Begin des zweiten Weltkrieg Tuberulose und hat es überlebt. Sie war da noch ein junges Mädchen. Aber alles was ich gehört habe  war, dass da die hauptsächliche Behandlung auch aus frischer Luft bestand. Aber ich kann noch mal meine Mutter fragen, wenn die heute von der Arbeit kommt. Meine Oma hat während ihrer Zeit in diesen Sanatorien intensiv Tagebuch geführt und meine Mutter hat diese Tagebücher nach dem Tod meiner Oma gelesen.
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Alaun am 20. April 2012, 11:18:01
Faol, das wäre toll! Ehrlich! Danke Dir.
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Sprotte am 20. April 2012, 11:19:44
Mama hatte als zweijährige Tuberkulose, 1950. Ich weiß, daß sie zur Verschickung war, aber die "Behandlung" bestand wohl eher aus hoffen. Ich frage sie mal, an was sie sich noch erinnert.
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Churke am 20. April 2012, 11:22:35
Ich habe auch eine naturheilkundliche Therapieanleitung im Bilz-Buch
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Eduard_Bilz
(94. Auflage, kurz vor 1900)

Aber Aquamarin sagte ja, dass sie sich mit so etwas auskenne.
Titel: Re: Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Alaun am 20. April 2012, 11:49:49
@Churke: Ich bin Heilpraktikerin  ;) Allerdings ist uns HPs die Behandlung der Tuberkulose selbstverständlich verboten. Und das ist auch gut so. Noch viel besser ist allerdings, dass dieses Problem sich aktuell auch nicht allzu häufig stellt. Sofern die multiresistenten Keime in Schach gehalten werden können ... aber das ist wieder ein anderes gruseliges Thema ...

@sprotte: Super, danke auch an dich!
Titel: Re: [Medizin] Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Lavendel am 20. April 2012, 17:19:59
Da das Thema ja für alle Mal interessant sein könnte, habe ich es mal verschoben!
Titel: Re: [Medizin] Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Angela am 22. April 2012, 15:15:36
Ich habe vor Urzeiten ein Buch gelesen, ein Bericht von einer Erkrankten, muss vor der medikamentösen Behandlung gewesen sein. Sie war nicht wohlhabend, musste in ein ganz einfaches Sanatorium, eher so ein Kinderheim für Erwachsene mit entsprechendem Personal. Die ganze Therapie bestand aus im Bett liegen, essen und frieren.  Das Letztere hat mich gewundert. Sie bekamen keine warmen Decken und mussten in kalten Räumen ausharren. Überlebt hat sie dennoch.
Titel: Re: [Medizin] Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: der Rabe am 22. April 2012, 15:51:44
Hey Aqua,

kennst du die Beelitzer Heilstätten (http://heilstaetten.beelitz-online.de/)?
Die sind Anfang des 20. Jh. als Lungenheilstätten erbaut worden. Auf der Internet-Seite steht zwar auch nicht viel über die Behandlung (außer Luft und Liebe) aber vielleicht gibt es da jemanden, der das genauer weiß.

Titel: Re: [Medizin] Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: KaPunkt am 22. April 2012, 16:04:56
Kleines Detail:
Eine Cousine meiner Großmutter hatte Tuberkulose (muss so WKII oder kurz danach gewesen sein)
Sie war auch im Sanatorium, und musste dort viel Hundefleisch essen.
Oma hat immer gesagt, dass das gesund bei Lungenkrankheiten sein soll. Ob das stimmt oder einfach nur daran, dass es kein anderes Fleisch gab, weiß ich aber nicht.

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: [Medizin] Tuberkulosebehandlung Anfang des 20ten Jahrhunderts
Beitrag von: Alaun am 23. April 2012, 20:31:16
@Rabe: genau da spielt das Buch  ;D

@KPunkt: Echt? Hunde? Uff.