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Chance auf Veröffentlichung? Fantasy, aber mit Homosexualität

Begonnen von Shin, 24. November 2011, 17:29:11

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Shin

Hallo liebe Tintenzirkler.

*räusper*
Ich würde euch heute gerne um Rat bei einer meiner größten Sorgen auf dem Weg zu einer Veröffentlichung eines Romans bitten.
"Shinyas Charaktere und die Homosexualität."

So sehr ich sie auch ermahne und pfanne und es bei der guten Freundschaft belassen will, irgendwann kommt der Punkt, an dem ein Trinkspiel einlädt, eine Freundin für Eifersucht sorgt, einer der Beiden vor einem pöhsen Fremden beschützt werden muss oder es einfach gerade so gut passt. Und dann folgt ein Kuss. Oder mehr.

Ist ja noch schön "awwwwr" und "Nur Mut, ihr schaffst das!", so lange das Ding nur auf meinem Rechner liegt. Aber wie würde eine Agentur oder ein Verlag auf solch eine... Eigenschaft meiner Charaktere reagieren?

Ich schreibe Fantasy und meine Kerle haben sich nun mal lieb.
Aber ich will als Autor doch nicht darauf beschränkt werden, was für eine Neigung meine Protagonisten haben.
"Guter Einfall, der Schreibstil ist ganz passabel, hin und wieder zu großer Spannungsabfall, aber könnte man dran arbeiten. Oh? Schwul? Vergessen sie's."
So oder so ähnlich lauten Absagen in meinem Kopf.

Es geht darum ja auch gar nicht, ob es die Agentur stört, was meine Charaktere miteinander haben, es geht ja darum, ob eine Agentur meine Idee für vermarktungsfähig hält. Die wollen schließlich etwas damit verdienen.
Und ich wäre erbost, wenn mein ausgeklügeltes Fantasy-Projekt irgendwo in der Spalte 'Liebe' -> 'Homosexualtität' landet.

Was meint ihr?
Hat man unter diesen Bedingungen die Chance auf eine 'normale' Fantasy-Veröffentlichung?

lg Shinya
"Sometimes all I'm ever doing is trying to convince myself I'm alive."
- Daisy The Great
"It's OK, I wouldn't remember me either."         
- Crywank           

Franziska

Das Thema hatten wir schon mehrfach, u.a. hier:http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,7420.msg224281.html#msg224281
über Bisexualität, aber die Fragen dürften die gleichen sein. Ich kann nur immer wieder auf das Nautilusheft verweisen, wo  Darkstar diese Fragen an Verlage und Agenturen gestellt hat, und an sein Blog fantasynews.com, wo er letztens noch mal was dazu schrieb und auch eine Liste mit  Fantasy-Büchern, die Homosexualität beinhalten schreiben wollte.
Ich muss sagen, auch nach dem, was da in den USA passiert ist, wo Autoren homosexuelle Charas aus ihren Texten streichen sollten, werde ich immer skeptischer. Einerseits gibt es Ausnahmen, es gibt Torchwood, es gibt zahlreiche Beispiele solcher Bücher. Aber die Frage ist: ist das jetzt im Moment erwünscht? Auch, wenn es nicht schon woanders ein Bestseller war? Wer wäre die Zielgruppe der Texte? Wie wichtig ist es im Buch? Hauptpersonen, Nebenpersonen? Bestimmt es ihre H andlungen, ihren Charakter? Ich glaube, es ist schwer damit ein Mainstream-Publikum zu erreichen, und das suchen Agenturen. Es gibt Leserinnen dafür, aber will man in einem semiprofessionellen Winzverlag veröffentlichen? Letztlich wird dir niemand vorher sagen können, ob es mit deinem Text klappt oder nicht, versuchen kann man es immer, aber ich denke nicht, dass es allzu vielversprechend ist, vor allem nicht, wenn das Thema viel Raum einnimmt. Es scheint etliche vor allem junge Autrorinnen zu geben (wie ich hier schon mal zu lesen gehabt meine), die anscheinend Lektoren damit überschwemmen, und wenn die meisten Texte davon Fanfition-Qualität haben, werden sie wahrscheinlich immer skeptischer.

Runaway

Trudi Canavan hat in ihrer Sonea-Trilogie auch einen Schwulen drin. Muß also gehen ;)

Ary

Anderes Beispiel: Lynn Flewellings Nightrunner-Serie. Da haben die beiden männlichen Hauptfiguren was miteinander. Es geht also. Es kommt immer drauf an, wie Du die Homosexualität einflechtest, wie explizit Du wirst und wie Du mit dem Thema arbeitest. :) Ich denke, wenn man wirklich Homoerotik-Fantasy schreibt, hat man nur bei entsprechenden Nischenverlagen eine Chance, und das sind nun mal alles kleine Verlage. Für einen großen Publikumsverlag würde ich die Homosexualität nicht in den Vordergrund stellen. (und das von mir...)
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Rigalad

Ein derzeit sehr angesagtes Beispiel: Alec Lightwood und Magnus Bane aus Cassandra Clares "Chroniken der Unterwelt". Ich glaube also, dass man so eine Paarung sehr gut einbauen kann, vor allem als Nebenhandlung.

Koriko

Eure Beispiele in allen Ehren, aber das sind ja nun bereits bekannte und etablierte Autoren. Eine Lynn Flewelling oder Alec ightwood kann sich sowas unterdessen auch leisten... aber um ehrlich zu sein, würde ich als No-Name Autor wirklich darauf verzichten. Es ist leider wirklich so, dass das ein Absagegrund sein kann (ich spreche aus Erfahrung). Von daher würde ich wirklich anraten, auf solche Szenen zu verzichten, denn leider ist Deutschland längst nicht so offen und frei, wie immer gesagt wird.
"Das schönste aller Geheimnisse: ein Genie zu sein und es als einziger zu wissen." - Mark Twain

www.assjah.de
www.juliane-seidel.de
www.like-a-dream.de

Redwood

Hm Also ich würde auch sagen, dass es ganz darauf ankommt, wie ausgeprägt das ganze geschildert wird und wie... intensiv die Liebe der beiden im Endeffekt wirklich ausgelebt wird. Wie gesagt, wenn das ganze wirklich in heftige Erotik übergeht, wird man sicherlich niemanden vom Mainstreampublikum erreichen (ich denke, das wird jeder Verlag realisiert haben). Wenn man die Romanze allerdings eher so darstellt, dass die Menschen auch das Gefühl bekommen, dass es ja in gewisser Hinsicht niedlich ist und unterstützt werden sollte, dann kann es auch sehr großen Erfolg haben, denke ich. Das hängt halt absolut davon ab, inwiefern das Geschehen in gesellschaftlich noch akzeptierten Bereichen bleibt. Also mit der Obergrenze eines heimlichen Kusses... ich denke das setzt die Intoleranz der breiten Masse heutzutage voraus.  Es geht ja die ständige Angst um, des Schwulseins angeklagt zu werden.  ::) 
Hmm man muss es  halt nur sehr gut verkaufen und auch ja immer den Ton beibehalten, dass das Ganze auch ja nur eine Ausnahme ist,  die man auch großzügig tolerieren kann (jaja da fühlen sich gewisse Leute besser mit. Dann kriegt man Kommentare à la "Ich bin so furchtbar großzügig, denn ich toleriere diese vollkommen unnormale und eigentlich widerliche Neigung schließlich!") Das scheint sehr groß in Mode gekommen zu sein. Also hängt es davon ab, ob du diesem platten Trend folgen willst und dann bei einem Großverlag landen möchtest oder einen krassen Aussteiger schreiben möchtest, der im Endeffekt von vielen Leuten verteufelt wird...  :seufz: 

Ich entschuldige mich jetzt schon für meinen depressiv-agressiven Beitrag, aber ich hab mich gerade erst zu dem Thema gründlich aufgeregt... Ich hoffe ich konnte trotzdem etwas nützliches beitragen...
euer aufgebrachter Redwood  :d'oh:

Dealein

Ich persönlich glaube auch, dass es eher schwierig wird, wenn heftige Liebesszenen vorkommen. In House of Night z.B. gibt es ein Pärchen. Die beiden halten aber nur Händchen und geben sich ab und an mal ein Küsschen. Mehr aber auch nicht. Ich glaube dafür sind wir leider noch nicht offen genug. Ich stelle öfter mit Schrecken fest wie angewidert Menschen sein können, wenn jemand homosexuel ist. Vorallem wenn es sich um Männer handelt. Erstaunlicherweise nicht so oft mit Frauen. Seltsamerweise ist solch eine Meinung nicht selten in meinem Alterskreis vertreten. Es heißt oft "Solange es mich nicht betrifft und ich das nicht sehen muss, ist es mir egal". Ich habe leider schon die schlimmsten Dinge gehört wie z.B., dass es gegen die Natur sei und falsch und gegen hier und gegen das. Ist doch alles Schwachsinn. Aber wenn man in einem Publikumsverlag veröffentlicht werden möchte, wird es leider sehr schwer.

Ich habe auch das Gefühl, dass wir Frauen da viel offener sind .

Alaun

Hach ja, das gute alte Thema... Ich fürchte mich ja diesbezüglich auch schon vor Bewerbungen bei den Agenturen. Bei mir sind es ja immer die lesbischen bzw. bisexuellen Frauenfiguren, an denen alles scheitern könnte. Und ich will aber auch keine faulen Kompromisse eingehen, nur damit ich eventuell besser in den Mainstream passe. Meine Figuren sind eben so. Und wenn ich das Buch dann deswegen nicht verkaufen kann, dann ist das eben auch so. Sollte das passieren, wird es mich wahrscheinlich furchtbar treffen und wütend machen und alles- aber ich werde mich nicht verbiegen und meinen Figuren diese zentrale Eigenschaft nehmen. Vor allem, da dann das ganze Buch nicht mehr funktioniert...

Generell hat die breite Masse der Menschen noch eine Menge an Toleranz aufzuholen, was Homosexualität angeht. Und ich betrachte Literatur immer auch als Sprachrohr, als Anschubser. Wo könnte man besser Normalität jenseits der Normen zeigen, als  ganz selbstverständlich in der Literatur?

Ary

Zitat von: Aquamarin am 25. November 2011, 09:09:46
Generell hat die breite Masse der Menschen noch eine Menge an Toleranz aufzuholen, was Homosexualität angeht. Und ich betrachte Literatur immer auch als Sprachrohr, als Anschubser. Wo könnte man besser Normalität jenseits der Normen zeigen, als  ganz selbstverständlich in der Literatur?

Danke. Ich finde gerade diesen Punkt sehr wichtig.

Un,d Koriko - auch die genannten jetzt Großen haben mal klein angefangen. Soweit ich weiß war Luck in the Shadows Lynns erster Roman, und da klingt schon Segerils Schwulsein an. Also muss auch sie irgendwann mal diese Hürde genommen haben udn hat es geschafft - nicht mit Explizit-Erotik, sondern mit den feinen, leisen Tönen, mit denen wir es auch schaffen werden.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Antigone

#10
Zitat von: Aquamarin am 25. November 2011, 09:09:46
Hach ja, das gute alte Thema... Ich fürchte mich ja diesbezüglich auch schon vor Bewerbungen bei den Agenturen.

Fürchten brauchst du dich nicht. Mehr als absagen können auch die nicht tun. Und dann kannst du dir immer noch überlegen, ob die deine Figuren umbauen möchtest oder nicht.

Ich hab mit meiner Agentur mal über ein Jugendbuchprojekt gesprochen, da waren zwar ein Mädchen und ein Junge die Hauptpersonen, aber er war schwul, und natürlich sind sie zum Schluss NICHT zusammengekommen. Die Betreuerin war zwar anfangs auch skeptisch ob der Homosexualität, aber meinte dann durchaus, es wäre einen Versuch wert.

Geworden ist dann zwar trotzdem nichts daraus, aber das hatte andere Gründe (ich sollte es von Fantasy in Realwelt verlegen, und irgendwie klappte das nie...) Was ich damit sagen möchte: vlt. unterschätzen wir die Agenten? Vlt. sollte man es einfach ausprobieren?

lg, A.


Arcor

Ich denke nicht, dass Homosexualität eine zusätzliche Hürde bei der Veröffentlichung bedeutet. Ich les gerade noch "The Stone Dance of the Chameleon" von Ricardo Pinto, das war auch sein Debütwerk (Trilogie, alle 3 Teile wurden veröffentlicht) und da sind gleich mehrere Figuren schwul, inklusive die zwei wichtigsten der ganzen Geschichte.

Vermutlich hängt das ganze - wie sowieso alles - vom Lektor und dessen Einstellung ab. Aber im Großen und Ganzen glaube ich nicht, dass das ein Problem gibt.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Tanrien

Ich unterschreibe mal Aquamarins Beitrag voll und ganz bis zum letzten Wort. :)

Bei den hier genannten Titeln muss ja aber vor allen bedacht werden, dass es auf dem englischen Markt schon aufgrund der Größe einfacher ist, Nischentitel zu veröffentlichen bzw. Experimente einzugehen. Ist dann die Frage, inwieweit Romane mit queeren (Haupt-)Charakteren noch als Experiment gesehen werden.

Zitat von: Franziska am 24. November 2011, 18:28:19
Ich kann nur immer wieder auf das Nautilusheft verweisen, wo  Darkstar diese Fragen an Verlage und Agenturen gestellt hat,
Ja, das ist wirklich interessant, hab es gerade nochmal rausgekramt. Es ist das Heft 01/2011, falls sich jemand dafür interessiert.

Steffi

Ich denke, das Problem ist nicht was die Agenturen oder auch die Verlage mögen, sondern was sich schlicht und einfach verkaufen lässt. Der Großteil der lesenden Masse möchte nun mal über klassische Hetero-Pärchen lesen. Das Interesse an homosexuellen Figuren ist etwas, das vornehmlich aus Fankreisen stammt und "in der Szene" bei Lesern beliebter ist als sonstwo, und folglich nicht den tatsächlichen Geschmack der breiten Masse widerspiegelt.

Ich würde auch behaupten, dass sich die meisten Menschen an ihrer eigenen sexuellen Neigung orientieren, wenn es ums Lesen geht, und alleine deswegen schon Bücher mit heterosexuellen Pärchen bevorzugen. Da kann man Homosexualität noch so offen gegenüber stehen, wenn man selber hetero ist und gerne über klassische Pärchen liest, verkauft sich der andere Kram eben nicht.

In diesem Zuge möchte ich aber auch noch mal auf den Lektor von PAN verweisen, der in einem Interview mal sagte, mit homosexuellen Figuren hätte er an sich nicht das Problem sondern eher damit, dass so viele schwule Figuren einfach nur um des Schwulseins in Romanen schwul sind (oder halt um des Lesbischseins lesbisch etc. ;-) ). Ich denke, Homosexualität ist weniger ein Problem wenn es sich um eine starke Figur handelt, die in erster Linie Krieger/Fee/klug/auserwählt/verdammt oder anderweitig plottragend und eben erst in zweiter Instanz, sozusagen "auch" homosexuell ist.
Sic parvis magna

HauntingWitch

Zitat von: Steffi am 25. November 2011, 11:46:32
Ich würde auch behaupten, dass sich die meisten Menschen an ihrer eigenen sexuellen Neigung orientieren, wenn es ums Lesen geht, und alleine deswegen schon Bücher mit heterosexuellen Pärchen bevorzugen. Da kann man Homosexualität noch so offen gegenüber stehen, wenn man selber hetero ist und gerne über klassische Pärchen liest, verkauft sich der andere Kram eben nicht.

Das muss aber nicht zwangsläufig sein. Ich kenne jetzt zum Beispiel noch zwei andere Frauen, die total hetero sind und sich trotzdem gerne mal das eine oder andere Buch mit Homo-Pärchen zu Gemüte führen.

Man sehe sich zum Beispiel auch Anne Rice an, sie hat jede Menge Homo-Erotik in ihren Büchern und ist trotzdem weithin bekannt und beliebt. Ich denke, es kommt auch darauf an, wie man so etwas anbringt. Geht ein bisschen in das hinein, was Redwood schon gesagt hat, ob es sehr - ich sag jetzt mal ganz plakativ - penetrant rüberkommt oder ob es mehr so ein Nebeneffekt der Geschichte ist. Denn letztlich ist es die Gewichtung der Geschichte, die den Käufer anzieht. Ich glaube auch nicht, dass das von der Zeitstimmung abhängt, denn ein grosses Thema ist das ja schon lange.

Abgesehen davon würde ich, auch allgemein, grundsätzlich das schreiben, was ich gerne schreiben will. Wenn ich damit Erfolg habe, bin ich glücklich, wenn nicht... naja, dann ist Pech. Ich würde aber auf keinen Fall eine Geschichte komplett umkrempeln oder gewisse Thematiken gleich ganz weglassen, weil ich befürchte, dass das niemand will. Vielleicht will jemand das Nächste. Wenn man (noch) keinen Lieferungsdruck auf einen bestimmten Termin hat, kann man das ja auch. ;) Ist aber nur (m)eine Meinung.  ;)