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Männlein und Weiblein - die Perpektive

Begonnen von Moa-Bella, 23. Dezember 2010, 12:24:10

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Moa-Bella

Ich habe nichts ähnliches gefunden und poste das hier mal unter Workshop, weil es um ein allgemeines und kein spezifisches Problem geht.

Natürlich kann ich mich nicht nur auf weibliche Protagonisten beschränken und habe nun einen jugen Mann als Prota. Das Problem ist, dass Männer und Frauen, sage ich mal, anders denken, d.h. ich  kann nicht den selben Text für einen Mann und eine Frau verwenden, das klingt anders. Das Problem ist nur, wie kann ich diesen Unterschied deutlich machen? Meine Protagonisten klingen nämlich in dem meisten Fällen zu weiblich und ich weiß nicht, was ich beachten muss, um das zu ändern. Hat vielleicht jemand eine Ahnung, wie sich beide Perspektiven unterscheiden und worauf man achten kann?

Kati

Das hilft jetzt wahrscheinlich nicht groß weiter, aber bei mir kommt das immer einfach. Ich schreibe aus der Ich-Perspektive und jede Figur hat ihre eigene Stimme und ich möchte mal behaupten, dass meine männlichen Protas auch männlicher klingen als die weiblichen.
Es kommt aber ganz stark auf den Charakter an. Im Allgemeinen fällt mir beim Vergleichen auf, dass die Jungs weniger romantisch beschreiben, eher zum Fluchen bereit sind und weniger nachdenken, bevor sie handeln, obwohl mir da jetzt sofort zwei Ausnahmen einfallen, die trotzdem keine "Mädchen in Männerkleidern" sind.
Ich glaube, es kommt gar nicht so sehr auf das Geschlecht des Protas an, sondern eher auf seinen Charakter, die Zeit in der er oder sie lebt und seine Umgebung. Mit Stereotypen sollte man da glaube ich nicht arbeiten.

Wenn ich mir so die Bücher in meinem Regal angucke, fällt mir noch auf, dass weibliche Protas meist romantischer denken und sich mehr mit der Liebesgeschichte beschäftigen, da glaube ich aber, liegt das an der Zielgruppe (Ich habe viel Urban Fantasy...). Und wirklich gefallen tut mir das gerade auch nicht...  :hmmm:

Churke

Zitat von: Moa-Bella am 23. Dezember 2010, 12:24:10
Das Problem ist nur, wie kann ich diesen Unterschied deutlich machen?

Man muss den Leuten *einfach* aufs Maul schauen.
Studiere reale Vorbilder und achte darauf, was sie sagen, wie sie es sagen und wie sie sich verhalten.
Das eigentlich Schwierige dabei ist, sich Zugang zu den entsprechenden Kreisen zu verschaffen. Tipp: Auf Partys genau dort abhängen, wo dich die Gespräche der anderen am wenigsten interessieren.  ;D

Malinche

Zitat von: KatiIch glaube, es kommt gar nicht so sehr auf das Geschlecht des Protas an, sondern eher auf seinen Charakter, die Zeit in der er oder sie lebt und seine Umgebung. Mit Stereotypen sollte man da glaube ich nicht arbeiten.

Dem würde ich mich anschließen.

Was Männlein/Weiblein betrifft, habe ich auch eher die Erfahrung, dass es "einfach kommt". Bei meinen Kurzgeschichten gibt es einige, die aus einer männlichen Perspektive erzählt sind, was man beim Lesen auch merkt.

Ich mache mir jetzt aber auch nicht so stark Gedanken über diese geschlechtliche Perspektive, sondern gehe stärker von dem Charakter an sich aus. Die Erzählperspektive muss mit der Gesamtfigur in Einklang stehen, dann ergibt sich das männlich/weiblich meiner Meinung nach von selbst. Von Stereotypen würde ich auch abraten. Schließlich stellt sich dann die Frage: was ist denn männlich oder weiblich?

Es hängt immer auch damit zusammen, in was für einer Gesellschaft deine Prots leben und wie dort die Rollen definiert sind. Sicher, ich schätze, dass es in den meisten Fällen auf recht "klassische" Rollenbilder hinausläuft oder dass Klischees mit einem gewissen Wiedererkennungswert schon greifen, aber voraussetzen würde ich das nicht.

Wichtiger ist da dann, sich um den Gesamtcharakter Gedanken zu machen, finde ich. Ein junger Mann: Kommt er vom Land oder aus der Stadt? Ist er ein Romantiker oder ein Zyniker? Hat er viele Geschwister oder ist er Einzelkind? Krieger oder Dichter? Mädchenschwarm oder pummeliges Spottobjekt? Hat er Zauberkräfte oder nur Mundgeruch? Ein Universalrezept gibt es da sicher nicht, aber ich denke - oder habe zumindest selbst diese Erfahrung gemacht -, wenn man seine Prots gut kennt, hat man auch im Gefühl, ob ihre Perspektive stimmig ist und der Erzählton so zu ihnen passt. Beziehungsweise nehmen sie einem ja auch oft die Zügel aus der Hand und erweisen sich als quengeliger, sarkastischer oder naiver, als man selbst gedacht hätte.

»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Lomax

Also, geschlechtsspezifische Unterschiede sind statistisch, nicht individuell - das heißt, wenn Frauen und Männer anders denken, dann denken sie "im Durchschnitt" anders, aber trotzdem findet man zu jeder Persönlichkeitsausprägung, Weltsicht, jeder "Art zu denken" auch Vertreter in beiden Geschlechtern. Persönliche Unterschiede sind da immer stärker als geschlechtsspezifische.
  Du musst dir also erst mal wenig Sorgen machen, dass ein Charakter deswegen unglaubwürdig ist. Ein Problem wird erst dann daraus, wenn irgendwie alle Figuren in deinem Roman "eher weiblich" wirken. Oder wenn dein männlicher Protagonist so viele typisch weibliche Denk- und Verhaltensweisen zeigt, dass es jedem Leser sofort auffällt - nur irgendwie jede andere Figur in dem Roman so tut, als wäre das im Gegenteil "typisch männlich" ::)
  Also, ein Problem wird es erst dann, wenn es wirklich dick aufgetragen ist. Und die beste Möglichkeit, das zu vermeiden, hast du ja schon gefunden - indem du dir darum halt Gedanken machst. Dann wirst du vermutlich auch von selbst die Stellen sehen, an denen man "stolpern" könnte, und wirst auch auf Hinweise achten, dass irgendwas nicht rund läuft. Krampfhaft darauf zu achten, dass deine Männer auch "typisch Mann" sind und deine Frauen "typisch Frau", wäre eher kontraproduktiv.
  Und weil individuelle Unterschiede immer größer sind als geschlechtsspezifische, fällt es dir vermutlich sogar leichter, einen Mann zu beschreiben, der dir in vielen Dingen ähnlich ist, als eine Frau, mit der du persönlich gar nicht klarkommen würdest und die du auch nicht verstehst. Beispiele dafür trifft man im täglichen Leben vermutlich genug, und wenn man sich zutraut, solche Typen in Romanen auftauchen zu lassen, sollte man vor der Geschlechtergrenze auch keine Angst haben.

Geschlechtsspezifische Unterschiede war ein interessantes Thema auch damals für mein Examen in pädagogischer Psychologie, und ich hab mich da mit einer Menge Input in Form von einschlägigen Studien gefüttert. Interessant war, dass alle messbaren Unterschiede bei psychologischen Tests in den letzten Jahrzehnten aufeinander zulaufen - sprich: Es gibt zwar beispielsweise einen messbaren Unterschied in der durchschnittlichen mathematischen Begabung und im Sprachvermögen, aber der Unterschied schrumpft kontinuierlich. Es ist also davon auszugehen, dass die meisten praktisch relevanten Unterschiede im "Denken" weniger mit dem Geschlecht zu tun haben, als vielmehr mit der Erziehung, den Lebensumständen, den Kultur - nur so ist zu erklären, dass mit der Angleichung der Lebensverhältnisse auch die meisten "Kennzahlen" aufeinander zulaufen.
  Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Wenn die Veränderung kultureller Einflüsse so eine deutliche Dominanz über evtl. biologische Prädispositionen zeigt, wirst du auch viel eher Gefahr laufen, den Einfluss einer fremden Kultur auf deinen Protagonisten falsch einzuschätzen als den Einfluss des Geschlechts. Wenn du also wissen willst, wie dein männlicher Protagonist denkt, solltest du nicht zuerst dran denken, dass er ein Mann ist - du solltest dir Gedanken machen über das Umfeld, in dem er lebt, und wie dieses Umfeld das Verhalten eines Mannes prägen dürfte. In Fantasygeschichten, die nicht auf unserer Welt spielen, dürfte dieses Problem Frauen wie Männer gleichermaßen betreffen, und womöglich stellst du dort die Männer sogar ganz von selbst glaubwürdiger dar, weil du da nicht so leicht von dir selbst auf die Protagonisten schließt und die unterschiedliche Prägung aus den Augen verlierst - das ist übrigens ein Mangel, den ich bei vielen weiblichen Figuren in vielen historischen Romanen von Autorinnen beobachte, dass nämlich die Figuren gar nicht so wirken, als wären sie in der Kultur aufgewachsen, in der sie leben und dargestellt werden.
  Auch hier würde ich also sagen, es gibt dramatischere Probleme als die Geschlechtergrenze, über die man sonst beim Bücherschreiben viel leichtfertiger hinweggeht - da muss man sich also auch nicht sooo viele Sorgen drum machen.

Die einzige psychologische Geschlechterdifferenz, die seit Beginn der diachronen Testauswertung gleich geblieben ist (was also etwa den Zeitraum seit den 50ern abdecken dürfte), ist die Aggression. Männer neigen mehr zu Aggression als Frauen, und alle Erziehung und alle Abkehr vom "braven Mädchen" seit den 50ern haben an dem Grad des Unterschieds überhaupt nichts messbares verändert ... man mag es kaum glauben.
  Es dürfte also sicher sein, davon auszugehen, dass "mehr Neigung zu Aggression" noch die ausgeprägteste typisch männliche Verhaltensweise ist - lass deinen Protagonisten also vielleicht etwas aggressiver auftreten, als du es unter Berücksichtigung aller Umstände für richtig halten würdest, und flechte das ein bisschen in die feiner ausdifferenzierten Charaktereigenschaften ein. Das wäre dann vielleicht noch ein praktischer kleiner Hinweis zu Abgrenzung.

Churke

Also gerade bei OT-Threads bilde ich mir ein, am Geschriebenen in ca. 70 % der Fälle das Geschlecht der Verfasserin zu erraten.
Als Möchtgern-Schriftsteller studiere ich das genau und bereite mich darauf vor, das zu kopieren.  ;D

Moa-Bella

Danke schonmal für die Antworten. Also werde ich mich auf jeden Fall nochmal mit dem Umfeld und Rollenbild beschäftigen. Interessieren würde mich aber, was ihr als typisch weibliche Verhaltensweisen anseht. Mein Roman spielt im 19. Jahrhundert, also war das klischeehafte Männer- und Frauenbild noch aktuell und anwendbarer als jetzt.

Zitat von: Churke am 23. Dezember 2010, 14:39:42
Also gerade bei OT-Threads bilde ich mir ein, am Geschriebenen in ca. 70 % der Fälle das Geschlecht der Verfasserin zu erraten.
Als Möchtgern-Schriftsteller studiere ich das genau und bereite mich darauf vor, das zu kopieren.  ;D

Woran errätst du das? Irgendwelche Merkmale oder so?

gbwolf

#7
Als Ergänzung zwei Hinweise auf ältere Threads mit ähnlicher Thematik:
Männliche und weibliche Charaktere
Männlein oder Weiblein?

Ist kein Rüffel. Nur eine Ergänzung. Ich bin gerade zu müde, um einen eigenen Beitrag zu leisten *pfeif* Außerdem ist das ein Thema, das Lomax und Churke ja immer kompetent mitdiskutieren, da muss ich nur noch zugucken  ;D

Lomax

Zitat von: Churke am 23. Dezember 2010, 14:39:42Also gerade bei OT-Threads bilde ich mir ein, am Geschriebenen in ca. 70 % der Fälle das Geschlecht der Verfasserin zu erraten.
Aber genau diese Art der Datenerhebung zur Ermittlung geschlechtsspezifischer Eigenarten ist dann auch besonders anfällig dafür, den typischen Fehler klinischer Erhebungen zu machen - die nichtrepräsentative Auswahl der Versuchsgruppe. ;D
  Selbst wenn dem also so ist, kann man daraus schlecht ableiten, wie eine "typische Frau" so spricht. Man erfasst halt nur diejenigen, die sich typischerweise zu bestimmten OT-Themen zu Wort melden und die halt besonders präsent sind bei Themen, die typischerweise im OT-Bereich auftauchen. Das verrät trotzdem wenig darüber, wie die 99,999999....% der Frauen so ticken, die sich nicht in diesem speziellen OT-Threads zu Wort melden. Man kann allenfalls vermuten, dass die dort beobachteten Phänomene repräsentativ stehen für zumindest eine zahlenmäßig relevante Teilgruppe der nicht dort vertretetenen Individuen.
  Aber mehr als ein Beispiel, wie Individuen (auch) sein können, hat man halt nicht. Obwohl Beispiele allein schon nützlich genug sein können, um das Figurenpersonal von Romanen zu füllen. Solange man nur genug davon sammelt, muss man sich auch nicht jedesmal überlegen, wie repräsentativ sie sind  ;)

Lomax

Zitat von: Die Wölfin am 23. Dezember 2010, 14:59:26
Außerdem ist das ein Thema, das Lomax und Churke ja immer kompetent mitdiskutieren
Ja, ja - typisch männlich  ;D
Zitat von: Die Wölfin am 23. Dezember 2010, 14:59:26
da muss ich nur noch zugucken
Ja, ja - typisch weiblich :snicker: *pfeif*

Churke

Zitat von: Lomax am 23. Dezember 2010, 16:17:47
Man kann allenfalls vermuten, dass die dort beobachteten Phänomene repräsentativ stehen für zumindest eine zahlenmäßig relevante Teilgruppe der nicht dort vertretetenen Individuen.

Dass keine Statistik einen Kausalzusammenhang beweist, ist in informierten Kreisen so neu nicht.  ;)
Ob dies allerdings auch für Erfahrungswerte gilt, ist eine andere Frage. Ich bilde mir jedenfalls ein, die *weibliche* Syntax und Semantik auch in andere Foren zu entdecken.
Wahrscheinlich gibt es auch eine *männliche* Syntax und Semantik - nur fehlt mir wahrscheinlich das Gespür dafür.
Unter dem Strich erstaunt mich  immer wieder, wie zuverlässig Männlein und Weiblein in bestimmte Verhaltsmuster verfallen, denen man sofort und blind den Stempel "Klischee" aufdrücken würde. Selbstverständlich gibt es auch immer Ausnahmen und Gegenbeispiele - aber als Autor bin ich versucht, diese auch als solche zu kennzeichnen.

Moa-Bella

Zitat von: Churke am 23. Dezember 2010, 16:36:57
Dass keine Statistik einen Kausalzusammenhang beweist, ist in informierten Kreisen so neu nicht.  ;)
Ob dies allerdings auch für Erfahrungswerte gilt, ist eine andere Frage. Ich bilde mir jedenfalls ein, die *weibliche* Syntax und Semantik auch in andere Foren zu entdecken.
Wahrscheinlich gibt es auch eine *männliche* Syntax und Semantik - nur fehlt mir wahrscheinlich das Gespür dafür.
Unter dem Strich erstaunt mich  immer wieder, wie zuverlässig Männlein und Weiblein in bestimmte Verhaltsmuster verfallen, denen man sofort und blind den Stempel "Klischee" aufdrücken würde. Selbstverständlich gibt es auch immer Ausnahmen und Gegenbeispiele - aber als Autor bin ich versucht, diese auch als solche zu kennzeichnen.

Was für Verhaltensmuster sind das denn? Ich will ja nicht meinen kompletten Prota danach ausrichten, nur eine Idee davon haben, wie er sich unterscheiden könnte.

Lomax

Zitat von: Churke am 23. Dezember 2010, 16:36:57Ob dies allerdings auch für Erfahrungswerte gilt, ist eine andere Frage. Ich bilde mir jedenfalls ein, die *weibliche* Syntax und Semantik auch in andere Foren zu entdecken.
Hm, typisch männliche/weibliche Gesprächsthemen, typisch männlich/weibliche Gesprächsführung ... meinetwegen. Aber an geschlechtsspezifischer Syntax und Semantik zweifle ich dann aber doch sehr stark. Dazu habe ich dann doch zu oft verwegene Beispiele von Leuten erlebt, die das Geschlecht von Autoren am Schreibstil erkennen zu können glaubten - dann aber doch daran gescheitert sind, sobald man diese Fähigkeit mit Textausschnitten auf die Probe gestellt hat, die gezielt so ausgewählt waren, dass man keine Querverbindung zu Thema und Genre ziehen konnte.
  Erfahrungswerte haben in der Regel halt einen Aufmerksamkeitspsychologischen Bias, der noch erheblich schwerer zu kalkulieren ist als bei Statistiken. So gesehen sind Erfahrungswerte im Vergleich zu Statistik das, was der gesunde Menschenverstand im Rahmen der Wissenschaft ist :snicker:

Aber andererseits, vielleicht gibt es da doch noch etwas. Da fällt mir gerade das Beispiel eines Autors ein, mit dem ich auch Mailkontakt hatte - und erst später erfuhr, dass hinter dem männlichen Pseudonym eine Autorin steckte. Und lustigerweise stellte ich später fest, dass ich in sämtlichen Mails konsequent eine geschlechtsspezifische Anrede vermieden habe, was auch zu ungewöhnlich wäre, um Zufall zu sein. Da habe ich also auch einen "Erfahrungswert", dass man unterschwellig vielleicht doch etwas bemerkt, was über die Inhalte hinausgeht ... aber, um zu Moas Frage zurückzukommen: Wenn man das nicht klar greifen und quantifizieren kann, kann man wohl auch kaum einen Algorithmus zur Reproduktion in eigenen Texten geben.
  Das wäre dann eine Aufgabe für die "Intuition", die ja wohl für unterschwellig wahrgenommene Informationen zuständig ist.
Zitat von: Churke am 23. Dezember 2010, 16:36:57Unter dem Strich erstaunt mich  immer wieder, wie zuverlässig Männlein und Weiblein in bestimmte Verhaltsmuster verfallen, denen man sofort und blind den Stempel "Klischee" aufdrücken würde.
"Klischees sind meistens wahr" ist ja sonst mein Standardspruch. Trotzdem sehe ich auch solche Erfahrungswerte recht skeptisch. Das Problem ist da halt, dass auffällt, was auffällig ist - nicht das, was regelmäßig passiert. Man nimmt also die Fälle wahr, die so auffällig einem Klischee entsprechen, dass es schon wieder lustig ist; oder die Fälle, die offensichtliche Ausnahmen sind. All das, was dazwischenfällt, vergisst man leicht. Wenn sich eine Frau in einer Hinsicht besonders klischeehaft verhält, oder ein Mann irgendeine Eigenschaft "typisch Mann" zeigt, dann registriert man immer wieder erstaunt, wie zutreffend Klischees dann sind.
  Dass aber dieselbe Person womöglich nur eines von Hunderten im Umlauf befindlichen Klischees reproduziert, in Bezug auf andere aber unauffällig bleibt, wird dabei gerne übersehen. Womöglich also verfallen Männlein und Weiblein also auch nur deshalb zuverlässig in "typische Verhaltensweisen", weil es bei den zahllosen "typischen Verhaltensweisen" einfach nur statistisch wahrscheinlich ist, dass das Individuum zumindest eine dieser typischen Verhaltensweisen auch zeigt - die dann als Bestätigung wahrgenommen wird?
  Das mag die Wahrnehmung ebenso verzerren wie die Tatsache, dass Personen, die gleich ein ganzes Bündel dieser Eigenschaften aufweisen, dann auch ganz besonders auffallen, genau wie diejenigen, die dann bündelweise die scheinbar "falschen" Verhaltensweisen zeigen.
  Es gibt da auch nach meinem Empfinden ein klar beobachtbares und unterschiedliches Spektrum - das sich aber aus so vielen Einzeleigenschaften zusammensetzt, die selbst wiederum eine unterschiedliche Verteilung aufweisen. dass am Ende doch ein ziemlich umfassendes Kontinuum aufgespannt wird, das so ziemlich das ganze Spektrum umfasst und vermutlich jeden in irgendeiner Beziehung zur "Ausnahme" macht. Und was es schwer macht, geschlechtsspezifische Eigenarten von individuellen und kulturbedingten abzugrenzen.
  Der Vorteil an Erfahrungswerten ist da m.E. nicht, dass man daraus allgemeine Erkenntnisse ableiten könnte. Er liegt vielmehr darin, dass man schon mal Beispiele hat, die man als Vorlagen für glaubwürdige Figuren nehmen kann, ohne sich eben Gedanken um die Allgemeingültigkeit und statistische Relevanz machen zu müssen. Denn was man persönlich erlebt hat, gibt es schon mal und kann darum potenziell auch in Geschichten auftauchen, ohne dass man sich viele Sorgen um die Glaubwürdigkeit machen muss.