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Die Situation deutscher Schriftsteller

Begonnen von Manja_Bindig, 31. Mai 2011, 13:45:23

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Manja_Bindig

Hallo zusammen,

ich habe hier ein hoffentlich nicht zu ungewöhnliches Thema anzusprechen und zwar geht es mir um die Situation deutscher Schriftsteller heutzutage.
Wie ist das durchschnittliche Arbeitsaufwand-Lohn-Verhältnis (so denn einmal was am Ende bei rauskommt)? Wie lang arbeitet man im Vorraus an einem Buch, ehe man überhaupt die Chance hat, veröffentlicht zu werden?
Wie ist das Verhältnis zwischen Autor und Agentur/Verlag (bestehen Unterschiede zwischen bereits veröffentlichten und unveröffentlichten Autoren?) ? Wie sieht das Verhältnis zwischen Autor und Großverlag und Autor und Kleinverlag aus?
Wie steht der Autor - je nach Erfolg - in der Gesellschaft da? (das spielt auch in die Klischees- und Vorurteile-Ecke mit rein, die irgendwo in diesem Unterforum vor sich hinoxidiert, entsprechend kann man die Autorensterotypen allgemeiner halten)?


Wird dem Schriftsteller überhaupt ein Wert zugestanden? Woran bemisst der sich?

Seltsame Fragen, was? Vor allem, da ich einen Gutteil der Fragen schon für mich persönlich beantworten kann.
Tja, das kommt davon, dass ich studiere, was ich studiere. Ich habe die zweifelhafte Ehre, mich für meinen aktuellen Mediengeschichts-Abschnitt mit der Situation der deutschen Schriftsteller im 19. Jahrhundert zu befassen (einer meiner Haupttexte ist Andreas Meißners "Von deutschen Schriftsteller-Misere") - naja. Mir ist bei Lektüre und Recherche aufgefallen, dass das Elend sich irgendwie nicht wirklich gewandelt zu haben scheint und verfolge die Spur nun weiter, um das Thema zeitübergreifender zu gestalten.
Eine Liste mit ähnlichen Fragen habe ich auch an den Verband deutscher Autoren und an zwei kleinere Verlage geschickt, nach Agenturen schaue ich noch. Hoffen wir mal, dass sich ein rundes Bild ergibt.

Lieber Gruß,
Manja

Farean

OK, ich bin zwar kein Experte auf dem Gebiet, aber meine Einschätzung kann ich ja trotzdem mal kundtun.

Meiner Ansicht nach ist die Situation deutscher Schriftsteller zur Zeit im Durchschnitt reichlich bescheiden. Auf Grundlage meines spärlichen Wissens vermute ich, daß die Situation zwar nie wirklich rosig war, sich aber in den letzten 100 Jahren drastisch verschärft hat. Zu Zeiten Goethes und Schillers gab es über die deutschsprachigen Länder verstreut tausende von Verlegern, die jeweils nur die Klientel in ihrer Stadt oder ihrem Landkreis zu bedienen hatten. An Autoren nahmen sie weitgehend mit dem vorlieb, was sie vor Ort finden konnten, d.h. auch das Hausmütterchen, das sich nebenher Liebesgeschichten ausdachte, hatte Chancen, verlegt zu werden und ein bescheidenes Publikum von 30-50 Nachbarn zu erreichen. Auf den Buchmessen tauschten sich die Verleger aus und verbreiteten auf diese Weise auch die "Besten" (wie z.B. Goethe und Schiller) über den ganzen deutschsprachigen Raum. Anders ausgedrückt: richtig groß rauskommen und landesweit bekannt werden war auch damals das Privileg einiger weniger; die Chancen auf eine kleine, lokale Veröffentlichung hingegen standen deutlich besser als heute.

Die Modernisierung hat uns bessere Produktionsmittel und Vertriebswege eingebracht, was im Klartext bedeutet: ein einzelner Verlag hat, wenn er groß genug ist, von einem einzelnen Standort aus keine Probleme, ganz Deutschland abzudecken. Diese Konkurrenz stellt natürlich für Kleinverlage eher einen Nachteil dar, denn die Nische, lokal ein paar kleine Buchläden zu beliefern, fällt für ihn weg. Wozu soll sich ein Buchhändler an den kleinen Verleger um die Ecke wenden und Oma Pascholkes kleine Eigenbau-Schnulzen einkaufen, wenn er sein Regal mit Starautoren von Weltruf füllen kann - bei geringerem Aufwand, da der Großhändler den Kram doch sowieso vorrätig hat?

Für den Autor schrumpft damit der "Markt" an Verlegern, die er bedienen könnte, von deutschlandweit einigen tausend auf weniger als zehn zusammen. Demgegenüber ist die Anzahl von Autoren und solchen, die es werden wollen, durch Bevölkerungswachstum und gestiegenes Bildungsniveau eher noch gewachsen - und sie müssen sich zusätzlich gegen internationale Konkurrenz durchsetzen, denn gerade auf dem Phantastik-Sektor werden ja fast ausschließlich Übersetzungen von englischsprachigen Erfolgsautoren herausgebracht. Kurz zusammengefaßt: der Autor von heute hat nur 1% der Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts und dabei ein Vielfaches der Konkurrenz. Der Versuch, veröffentlicht zu werden, ist etwa genauso aussichtsreich wie die Teilnahme an einer Lotterie.

Für den Verlag bedeutet dies die (komfortable?) Situation, viel zu viel Auswahl zu haben. 99% aller Autoren müssen zwangsläufig mehr oder weniger freundlich abgelehnt werden. Der Ton zwischen Verlagen und Autoren ist frostig geworden. Autoren fühlen sich von Verlagen häufig gedemütigt, Verlage empfinden Autoren als aggressiv.

Nun zur Frage des Arbeitsaufwand-Lohn-Verhältnisses. Wenn ich meine Veröffentlichungszahl und Honorare durch den summierten Arbeitsaufwand meiner fertiggestellten Bücher teile (unvollendete Werke lasse ich für den Moment außen vor), komme ich auf folgende Zahlen:

Monatslohn: € 21,05
Vorarbeit für die Chance einer Veröffentlichung: 19 Monate.

Fazit: Die Situation deutscher Schriftsteller würde ich als suboptimal einordnen.

Franziska

ich bin auch kein Experte, aber ich würde Fearanwiedersprechen, so klein ist der Anteil deutscher Autoren auch nicht. Ich habe das mal aufgeschrieben. Pieper ca. 20-30 %, Überreuter ca 80 %, Heyne ca.10-20 %
Es gibt ca 65 deutsche Fantasy-Jugendbuchautoren und 56 Autoren für Erwachsene (Überschneidungen).
Ich gehe nicht davon aus, dass die alle davon leben können. Aber einige bestimmt schon.

ZitatWie lang arbeitet man im Vorraus an einem Buch, ehe man überhaupt die Chance hat, veröffentlicht zu werden?

ich glaube, das kann man nicht verallgemeinern. Da müsste man ja schon eine Umfrage unter allen Autoren durchfürhen. Ich habe alles gehört, von 4 Wochen bis 14 Jahren.

ZitatWird dem Schriftsteller überhaupt ein Wert zugestanden? Woran bemisst der sich?

ich weiß nicht, ob ich die Frage richtig verstehe.  Ich würde sagen, wenn jemand literarisch anspruchsvoll schreibt wird er als Intellektueller angesehen, der einen wichtigen Beitrag zur Kultur leistet und den man auch mal zu wichtigen Dingen in den Medien befragt. Dass man mit dem Schreiben auch irgendwie Geld verdienen muss verstehen viele nicht. Anders, wenn man einen Bestseller schreibt, glaube ich wird man schon bewundert. Wenn man nichts veröffentlicht hat, wird man auch nicht als Schriftsteller angesehen. (anders als wenn man malen würde oder ein Instrument spielt)

Lavendel

Zitat von: Farean am 01. Juni 2011, 10:18:23
Für den Autor schrumpft damit der "Markt" an Verlegern, die er bedienen könnte, von deutschlandweit einigen tausend auf weniger als zehn zusammen. Demgegenüber ist die Anzahl von Autoren und solchen, die es werden wollen, durch Bevölkerungswachstum und gestiegenes Bildungsniveau eher noch gewachsen - und sie müssen sich zusätzlich gegen internationale Konkurrenz durchsetzen, denn gerade auf dem Phantastik-Sektor werden ja fast ausschließlich Übersetzungen von englischsprachigen Erfolgsautoren herausgebracht. Kurz zusammengefaßt: der Autor von heute hat nur 1% der Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts und dabei ein Vielfaches der Konkurrenz. Der Versuch, veröffentlicht zu werden, ist etwa genauso aussichtsreich wie die Teilnahme an einer Lotterie.

Ich muss dir da jetzt mal widersprechen. Ich würde nicht behaupten, dass die Situation von Schriftstellern im 19. Jahrhundert besser war als heute. So gar nicht. Sieht man einmal davon ab, dass es sehr lange keine soziale Absicherung gab (dass man also nichts zu fressen und kein Dach über dem Kopf hatte, wenn es nicht lief), war auch das Copyright (auch wenn es theoretisch schon existierte) längst nicht so gesichert wie heute. Jemand wie Gustav Freytag verdiente vielleicht mit Die Ahnen eine astronomische Summe von damals 450.000 Mark, aber das war ein absoluter Ausnahmefall. Selbst Theodor Fontane verdiente, wenn ich das jetzt richtig im Kopf habe, an seinem am besten verkauften Buch 'nur' 2000 Mark. Gut, damit konnte man eine kleine Familie ein Jahr über die Runden bringen, aber man muss dabei bedenken, dass wir hier von einem sehr erfolgreichen deutschen Literaten seiner Zeit reden. Einen richtig großen Literaturmarkt gab es sowieso vor allem in England und den USA. Deutschland war über weite Strecken des 19. Jahrhunderts hinweg provinziell und lag in fast allen Entwicklungen hinter den 'Großen' Europas zurück. Berlin war im Vergleich zu London oder Paris ein Dorf. Die 'Leser' rekrutierten sich zum großen Teil aus dem Bürgertum, das in Deutschland längst noch nicht so stark war, wie beispielsweise in England (viel uneinheitlicher, und vor allem mit weniger Wirtschaftsmacht). Da kann man nicht von einem Paradies sprechen, in dem jeder Schreiber einfach nur seinen Schund auf den Markt werfen musste, wo er dann von ordentlich Lesern verschlungen wurde.
Auch damals gab es übrigens schon einen internationalen Buchmarkt. Dickens und Dostojewski wurden ja durchaus auch in Deutschland gelesen, und Titel deutscher Autoren waren selbstverständlich überall im deutschsprachigen Raum zu bekommen, wo es Buchhandlungen oder Leihbüchereien gab.

Man kann die Situation sowieso schlecht vergleichen. Der Markt funtktioniert heute unter vollkommen anderen Voraussetzungen. Ich persönlich denke, das größte 'Problem' deutsche Schriftsteller sind die vielen Lizenzen. Da sind viele Programmplätze schon mit Titeln besetzt, die durch ihren Erfolg auf dem internationalen Markt bereits eine gewisse Verkaufsgarantie haben. Dazu kommt, dass die Lesegewohnheiten mittlerweile zumindest in Teilen stark durch diese Importe geprägt sind und deutsche Autoren von manchen pauschal zurückgewiesen werden. Und in die 'wichtigen' Feuilletons schafft es sowieso (fast) nur, wer über den zweiten Weltkrieg, über die DDR oder über die Identitätssuche depressiver Großsstadtmenschen schreibt.
Schwarzmalen sollte man jetzt aber trotzdem nicht. Es ist ja nicht so, als gäbe es keine Hoffnung auf eine gut bezahlte Veröffentlichung in einem Publikumsverlag. Selbst in unserem vergleichsweise Kleinen Forum haben wir schon das ein oder andere Gegenbeispiel. Dass die allermeisten Autoren nicht im Geld schwimmen, naja, damit müssen wir uns vermutlich abfinden. Echte 'Knallerbücher' mit denen man soviel verdient, dass man sich im Prinzip zur Ruhe setzen kann, die gibt es eben selten.

Der 'Wert' des Autors (bzw. seines Textes) bemisst sich natürlich an den Verkaufszahlen, bzw an der Einschätzung eines Verlages, wie gut sie den Text verkaufen werden. Verlage behandeln Autoren durchaus nicht abfällig. Sie kriegen einfach viel Müll auf den Tisch, mit dem sie nie im Leben einen Blumentopf verdienen könnten (und der Autor auch nicht). Man muss sich auch mal an die eigene Nase fassen und sich kritisch fragen, ob das eigene Werk wirklich veröffentlichungsreif ist und wer es überhaupt kaufen soll, bevor man über die widrigen Umstände und die Gemeinheiten des Marktes jammert.

Farean

#4
Zitat von: Lavendel am 01. Juni 2011, 11:13:51
Ich muss dir da jetzt mal widersprechen. Ich würde nicht behaupten, dass die Situation von Schriftstellern im 19. Jahrhundert besser war als heute. So gar nicht. Sieht man einmal davon ab, dass es sehr lange keine soziale Absicherung gab (dass man also nichts zu fressen und kein Dach über dem Kopf hatte, wenn es nicht lief), war auch das Copyright (auch wenn es theoretisch schon existierte) längst nicht so gesichert wie heute.
OK, in Bezug auf die finanzielle und rechtliche Situation hast du recht. In Bezug auf die Chancen, überhaupt erst mal "in den Markt zu kommen", bleibe ich bei meiner Aussage. Um mit einer kleinen, bescheidenen Auflage lokal veröffentlicht zu werden, mußte man damals nicht zu den Besten der Besten der Besten gehören (wobei ich auch heute behaupten würde, daß der Erfolg eines Autors nicht zwingend mit seiner Qualität korreliert), sondern es genügte das Niveau eines Hobby-Schriftstellers.

Davon leben konnte ein solcher natürlich auch nicht, weswegen ja auch die meisten bekannten Schriftsteller jener Ära lange Zeit von einem bürgerlichen Job lebten. Aber der Einstieg war leichter. Der heutige Markt ist ein Top-oder-Flop-Markt: entweder, du bist interessant genug, um mit deinen Werken eine ganze Verlagsbelegschaft mitzuernähren, oder du bleibst draußen.

Grey

Zitat von: Farean am 01. Juni 2011, 11:21:55
Um mit einer kleinen, bescheidenen Auflage lokal veröffentlicht zu werden, mußte man damals nicht zu den Besten der Besten der Besten gehören (wobei ich auch heute behaupten würde, daß der Erfolg eines Autors nicht zwingend mit seiner Qualität korreliert), sondern es genügte das Niveau eines Hobby-Schriftstellers.

Du sagst es ja selbst: Erfolg korreliert nicht zwingend mit Qualität. "Hobby-Schriftsteller" ist m.E. auch kein Niveau, sondern es gibt dort genial gute genau wie grottenschlechte. Ein guter Hobbyautor kommt auch heute noch recht leicht in einem Kleinverlag unter - der Unterschied zu früher ist vielleicht eher, dass gerade Kleinverlage sich heutzutage sehr viel stärker spezialisieren (müssen), um mit einem guten Nischenprogramm zu bestehen. Man muss sich also vorher überlegen, wo man sein Manuskript anbietet, und da ist der lokale Verlag an der nächsten Straßenecke vielleicht nicht der passende. Aber mit unserem Technik- und Informationsstandard heute haben wir ja auch problemlos die Möglichkeiten, solche überregionalen Angebote zu nutzen. Das war im 19. Jahrhundert ganz sicher auch noch anders.

Zitat von: Farean am 01. Juni 2011, 11:21:55
Der heutige Markt ist ein Top-oder-Flop-Markt: entweder, du bist interessant genug, um mit deinen Werken eine ganze Verlagsbelegschaft mitzuernähren, oder du bleibst draußen.

Nein. Sehe ich nicht so, es sei denn, du sprichst nur von den großen Publikumsverlagen. Dass die so denken, ist klar. Aber gerade Kleinverlage sind oft genauso ein Nebenerwerb für die Betreiber, wie ihre Autoren Nebenerwerbsautoren sind. Das sind Liebhaberprojekte - und die können dann auch verlegen, was ihnen gefällt, auch wenn der Roman wahrscheinlich kein Bestseller wird.

KaPunkt

Zitat von: Lavendel am 01. Juni 2011, 11:13:51
Und in die 'wichtigen' Feuilletons schafft es sowieso (fast) nur, wer über den zweiten Weltkrieg, über die DDR oder über die Identitätssuche depressiver Großsstadtmenschen schreibt.

Völlig OT, aber dass muss ich jetzt einfach sagen:
Lavendel, du hast soeben die perfekte Formulierung für einen Umstand gefunden, der mir selbst seit Jahren auf die Nerven geht, den ich aber nicht benennen konnte.
Danke.

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Maja

Zitat von: Farean am 01. Juni 2011, 11:21:55
OK, in Bezug auf die finanzielle und rechtliche Situation hast du recht. In Bezug auf die Chancen, überhaupt erst mal "in den Markt zu kommen", bleibe ich bei meiner Aussage. Um mit einer kleinen, bescheidenen Auflage lokal veröffentlicht zu werden, mußte man damals nicht zu den Besten der Besten der Besten gehören
"Auf dem Markt" ist man damit nicht. Das ist vergleichbar dem Hobbyautor heute, der sein Gedichtbändchen bei BoD veröffentlicht oder in einem der allseits beliebten Zuschußverlage und dann drei Stück beim örtlichen Buchhändler in Kommission gibt. Gedruckt sind sie damit beide, und leben können sie davon beide nicht. Ich erinnere auch an Currer, Ellis und Acton Bell (aka. die Schwestern Bront:e), die von ihrem selbstverlegten Gedichtband so wenige Exemplare verkauft haben, daß der Großteil der Auflage als Makulatur endete und und zum Auskleiden von Schrankkoffern verwendet wurde. Ein Paradies für Schriftsteller war das ganz sicher nicht.

Ein durchaus erfolgreicher Markt, den es heute in der Form nicht mehr gibt, sind hingegen die Kolportageromane, die häppchenweise in der Tageszeitung erschienen - in ihrer Produktion mit einer Seifenoper im Fernsehen zu vergleichen, der Autor lieferte immer soviel ab, wie gerade gebraucht wurde und mußte nicht das ganze Buch auf einen Rutsch schreiben; erfolgreiche Kolportageromane konnten auf eine Länge von mehreren tausend Seiten kommen und hinterher, dann meist gekürzt, in Buchform erscheinen. Diese Art der Publikation gibt es heute nicht mehr, außer vielleicht im Internet, wo Autoren kapitelweise ihre Romane veröffentlichen; anders als die historischen Kolportageautoren können sie aber nicht davon leben. Vielleicht sind die eigentlichen modernen Kolportageautoren heute diejenigen, die Drehbücher für Seifenopern schreiben.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Farean

Zitat von: Grey am 01. Juni 2011, 11:33:43
Nein. Sehe ich nicht so, es sei denn, du sprichst nur von den großen Publikumsverlagen. Dass die so denken, ist klar. Aber gerade Kleinverlage sind oft genauso ein Nebenerwerb für die Betreiber, wie ihre Autoren Nebenerwerbsautoren sind. Das sind Liebhaberprojekte - und die können dann auch verlegen, was ihnen gefällt, auch wenn der Roman wahrscheinlich kein Bestseller wird.
:hmmm: So hatte ich das noch nicht betrachtet, OK. Allerdings scheint sich mir hier die Gewichtung seit damals verschoben zu haben. Wenn ich gerade nicht völlig irre, konnten kleine Verleger im 19. Jh. gut davon leben, da es die Konkurrenz durch die flächendeckenden Großen technikbedingt einfach noch nicht gab.

Zitat von: Maja am 01. Juni 2011, 11:35:33
"Auf dem Markt" ist man damit nicht. Das ist vergleichbar dem Hobbyautor heute, der sein Gedichtbändchen bei BoD veröffentlicht oder in einem der allseits beliebten Zuschußverlage und dann drei Stück beim örtlichen Buchhändler in Kommission gibt. Gedruckt sind sie damit beide, und leben können sie davon beide nicht.
Den Unterschied sehe ich folgendermaßen:

19. Jh.: es existierten keine großen, flächendeckenden Verlage. Die logische Anlaufstelle war der kleine Verlag in der Nachbarschaft. Sobald du dein Manuskript da untergebracht hattest, warst du veröffentlicht (wenn auch nicht mit großem kommerziellem Erfolg) und du warst in seinem "Pool", mit dem er auf die nächste Buchmesse fuhr. Du hattest also einen kleinen Erfolg schon mal in der Hand und die Chance darauf, daß er durch allmähliche Verbreitung von Messe zu Messe langsam wuchs. Alles über denselben Geschäftspartner (wobei es auch da natürlich Glückssache war, wie fähig und zuverlässig der war). Wo allerdings Lavendel einen guten Einwand gebracht hat: du hattest praktisch keinen bzw. nur schlecht durchsetzbaren Copyrightschutz. Die Verbreitung mußte also nicht zwangsläufig auch zu deinem Erfolg beitragen.

Heute: bist du bei einem Kleinverlag gelandet, bedeutet das einen kleinen Erfolg, der aber isoliert für sich steht. Keine Anbindung an einen größeren "Verbreitungspool", bestenfalls eine Referenz für eine Bewerbung bei einem der Größeren.

Zitat von: Maja am 01. Juni 2011, 11:35:33
Ich erinnere auch an Currer, Ellis und Acton Bell (aka. die Schwestern Bront:e), die von ihrem selbstverlegten Gedichtband so wenige Exemplare verkauft haben, daß der Großteil der Auflage als Makulatur endete und und zum Auskleiden von Schrankkoffern verwendet wurde.
Kleinverlag /= Selbstverlag. Auch damals schon.

Zitat von: Maja am 01. Juni 2011, 11:35:33
Ein Paradies für Schriftsteller war das ganz sicher nicht.
Ich habe nirgends von "Paradies" geredet. Mein Statement lautete, wenn ich daran erinnern darf, wie folgt:
Zitat von: Farean am 01. Juni 2011, 10:18:23
vermute ich, daß die Situation zwar nie wirklich rosig war, sich aber in den letzten 100 Jahren drastisch verschärft hat.

Lavendel

#9
Zitat von: Farean am 01. Juni 2011, 11:21:55
OK, in Bezug auf die finanzielle und rechtliche Situation hast du recht. In Bezug auf die Chancen, überhaupt erst mal "in den Markt zu kommen", bleibe ich bei meiner Aussage. Um mit einer kleinen, bescheidenen Auflage lokal veröffentlicht zu werden, mußte man damals nicht zu den Besten der Besten der Besten gehören (wobei ich auch heute behaupten würde, daß der Erfolg eines Autors nicht zwingend mit seiner Qualität korreliert), sondern es genügte das Niveau eines Hobby-Schriftstellers.

Davon leben konnte ein solcher natürlich auch nicht, weswegen ja auch die meisten bekannten Schriftsteller jener Ära lange Zeit von einem bürgerlichen Job lebten. Aber der Einstieg war leichter. Der heutige Markt ist ein Top-oder-Flop-Markt: entweder, du bist interessant genug, um mit deinen Werken eine ganze Verlagsbelegschaft mitzuernähren, oder du bleibst draußen.

Ich habe da jetzt keine Daten, aber glaube nicht, dass es damals irgendjemanden viel weitergebracht hat, in kleiner Auflage irgendwo lokal zu erscheinen. Auch heute gibt es übrigens noch jede Menge Klein- und Kleinstverlage. Da wirst du deinen Text vielleicht eher gedruckt sehen als bei einem Publikumsverlag, verdienen wirst du aber recht wenig. Die Chance, irgendwann von einem größeren Verlag entdeckt und unter Vertrag genommen zu werden ist da, aber riesig ist die auch nicht.Dafür hast du heute im Gegensatz zu damals das Internet. Du kannst deine Texte online Stellen und ganz konstenlos Leser finden. Dafür musst du auch nicht zu den Besten der Besten gehören. Maja hat übrigens so ihre Agentur gefunden - bzw. ihre Agentur hat sie gefunden. Das kommt sehr, sehr selten vor, aber offensichtlich kommt es vor.

Die Qualität eines Textes ist leider nicht so einfach festzumachen. Zum Teil gibt es zwar objektive Kriterien, zu einem genauso großen Teils ist die 'Qualität' aber eben das Geschmackssache, und man sollte auch nicht vergessen, dass es in jedem Genre gewisse Anforderungen gibt, die ein Text erfüllen sollte, damit die Leser am Ende zufrieden sind. Ein Arztroman mit wunderbar abgehobenen Formulierungen, einem komplexen Plot und psychologisch tiefschürfenden Charakteren ist in seinem Segment wohl fehl am Platz. Wenn man schreibt denkt man meist daran, was einem selbst gefällt. Man grübelt eher weniger darüber, für wen man sonst noch schreiben könnte. Vielleicht habe ich Glück und mein persönlicher Geschmack spricht auch viele andere an, vielleicht bin aber auch zu sehr Individualist und meine Ideen begeistern eben wenige Leute.

Zitat von: Maja am 01. Juni 2011, 11:35:33
Ein durchaus erfolgreicher Markt, den es heute in der Form nicht mehr gibt, sind hingegen die Kolportageromane, die häppchenweise in der Tageszeitung erschienen - in ihrer Produktion mit einer Seifenoper im Fernsehen zu vergleichen, der Autor lieferte immer soviel ab, wie gerade gebraucht wurde und mußte nicht das ganze Buch auf einen Rutsch schreiben; erfolgreiche Kolportageromane konnten auf eine Länge von mehreren tausend Seiten kommen und hinterher, dann meist gekürzt, in Buchform erscheinen. Diese Art der Publikation gibt es heute nicht mehr, außer vielleicht im Internet, wo Autoren kapitelweise ihre Romane veröffentlichen; anders als die historischen Kolportageautoren können sie aber nicht davon leben. Vielleicht sind die eigentlichen modernen Kolportageautoren heute diejenigen, die Drehbücher für Seifenopern schreiben.
.
Dieser Markt bedingte sich einfach dadurch, das gebundene Bücher noch vergleichsweise teuer waren, und dass wenige Menschen sich ein gut gefülltes Bücherregal leisten konnten. Mit der Veröffentlichung in Zeitschriften erreichte man damals eine viel größere Leserschaft. Und hier zeigt sich auch wieder, warum sich der Markt damals und der Markt heute kaum vergleichen und mit 'besser' oder 'schlechter' bewerten lassen. Die Stituation ist einfach viel zu unterschiedlich. Heute ist Papier billig, der Druck ist billig, das Buch ist billig. Jeder kann sich mal ein Taschenbuch für 9,95 kaufen. Oder für 14,95. Es erscheinen auch mehr Titel als sagen wir mal 1850. Es scheint nur auf den ersten Blick so, als ob sich vernünftige Parallelen ziehen ließen, aber in Wirkichkeit sind sie alle dazu verdammt, einen in die Irre zu führen. Schon allein die gesellschaftliche Bewertung des Romans war eine ganz andere. Heute soll er uns unterhalten, uns in fremde Welten oder zumindest an ferne Orte entführen. Der Roman ist für uns etwas magisches, eine Möglichkeit, etwas zu erleben, was wir eigentlich nicht erleben können. Damals war der Roman viel fester im alltäglichen Verankert (Realismus/Sozialroman), und man kam kaum ohne den moralisch erhobenen Zeigefinger aus, wenn man Erfolg haben wollte. Schrieb man zu anrüchig oder mit einer zu fragwürdigen Moral, schafften die Titel es nicht in die Leihbüchereien und so auch oft nicht zum Publikum. Oder der Text wurde gleich ganz verboten, so wie ganz spektakulär zum Beispiel 'Lady Chatterley's Lover' (obwohl der Titel schon aus den 1920ern ist ...)
Wenn wir über die Situation deutscher Autoren sprechen, sollten wir uns also lieber auf das Heute konzentrieren. Es ist einfach nicht konstruktiv, alten Zeiten nachzuweinen. Ich sehe nämlich keinen Hinweis dafür, dass sich die Situation von Autoren in den letzten 100 oder 150 Jahren 'drastisch verschärft' hätte, wie du sagst, Farean. Es gibt nicht umsonst die bekannten Autorenkarrikaturen aus dem 19. Jahrhundert, in denen ein armer Mensch fierend und abgemagert in einer Dachwohnung hockt und versucht zu schreiben.

Maja

Ich denke auch, Manjas Ausgangsfrage bezog sich mehr auf die gegenwärtiges Situation als auf einen historischen Vergleich. Es ist schön, dieses Thema einmal diskutiert zu haben, aber ich stimme Lavendel zu, daß wir uns mehr auf die Gegenwart konzentrieren sollten.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Weizn

Hallo,

kann zwar noch nichts Konstruktives beitragen, da ich noch nie mit Verlagen etc zu tun hatte (hab bisher nur "für mich" geschrieben), aber mich würde interessieren, wie die Situation in Österreich denn so aussieht? Ich nehme mal an, sie wird nicht unähnlich sein, darum hab ich mich gleich hier drangehängt und keinen neuen Thread eröffnet.

lg
weizn

Manja_Bindig

Das Problem der Situation im 19. Jahrhundert war:

Autoren galten gesellschaftlich als... nun ja. Nicht fein. Das Schreiben hatte einen Beigeschmack von Bohemien, von Hungerkünstler, von jemandem, der nichts bringt, nichts bekommt und - ja, man kennt das Lied von heute her.
Im Gegensatz dazu war der Buchhändler und Verleger (damals noch in Personalunion; noch ein Grund für meist Lokale Verbreitung) sehr angesehen. Wie es der gute Fontane ausgedrückt hat (auch der hatte was zu zu sagen): Diejenigen, die die Literatur verkaufen und vertreiben, verdienen sich eine goldene Nase, die, die sie produzieren, verhungern. Was auch damals schon an Preisdrückerei und am Markt lag.
Es war vor der Buchpreisbindung so: Bücher waren teuer (wegen Produktionskosten), was sich auf die Nachfrage auswirkt, die schrumpft. Dadurch steigen natürlich wieder die Preise, die Nachfrage schrumpft noch weiter - und genau diese situation wurde auch den Schriftstellern gegenüber als Rechtfertigung verwendet, warum man das aktuelle Manuskript für nur so wenig Geld einkaufen will. Was wiederum den Schriftsteller a) als Hungerkünstler brandmarkte und b) dem Verleger auf Gedeih und Verderb auslieferte - man muss Masse produzieren um zu leben. (ich fasse hier nebenbei meine beiden Hauptquellen zusammen. Eben Fontane und Meißner.)
Erschwerend kam wohl noch eine seltsame Haltung der Deutschen zu ihrer Literatur hinzu, die aus einer Mischung von Anbetung-des-Klassischen-ohne-Es-Zu-lesen (teure Werksausgaben von Goethe, die im Schrank verstauben) Vergleichen-und-Geringschätzung-neuer-Autoren-mit-besagten-Klassikern (was zur kleinen Auflage beiträgt) und einem Unwillen, sich Bücher zu kaufen zusammensetzte (anscheinend waren gerade Reichere Leute darauf versessen, Bücher aus Bibliotheken auszuleihen, statt sie zu kaufen. Während eine Leihbibliothek für ärmere Bevölkerngsteile genau dafür gemacht worden war, nutzten Reiche, die sich Bücher leisten konnten, eine Leihbücherei also, um dem Geiz zu frönen.
Plus eine eher abschätzende Haltung zur eigenen Sprache und Dichtkunst im Allgemeinen (grad vor 1871 war man der Meinung, dass man dem durch einen Nationalstaat abhelfen könnte. So von wegen Nationalbewusstsein, Liebe und Wertschätzung der eigenen Sprache, etc.)

Kurz gesagt: So you're an author? You suck. Man kann die Situation deutscher Schriftsteller ganz gut erfassen, wenn man sich Henri Murgers "Boheme" durchliest und einen Gutteil des leichten, lustigen Erzähltones wegdenkt. (ironisch, wenn man bedenkt, dass Frankreich als ein LEUCHTENDES Beispiel für die Behandlung von Schriftstellern galt. Zumindest außerhalb Frankreichs).

Es war so: Bekam man nach vier Jahren Arbeit ein Honorar von 2000 Talern, war man oben angekommen. 2000 Taler galten als extrem hohes Honorar. War ja nicht so wichtig, dass man vier Jahre im Vorraus gerackt hat. Ich bin momentan dabei, nach Brotpreisen von 1865 zu suchen. Nur so zum Vergleich.


Zurück zur Gegenwart:
Es ist unendlich lang her, aber es gab - auch hier - einmal eine Diskussion über das Einkommen eines Schriftstellers. Heute.
Irgendwas habe ich gelesen, dass es dem Gehalt eines Buchhändlers entspricht, wenn es gut läuft?
Bzw. wie wird das Gehalt heute eingeschätzt?

Farean

@Manja: Danke für diese Zusammenfassung. :)

TheaEvanda

Ein bekannter(er) selbständiger Schriftsteller, den ich neulich auf einer Tagung getroffen habe, erwähnte 40.000 Euro Umsatz pro Jahr - also etwa 3300 Euro vor Steuern und Ausgaben im Monat. Ein Viertel seiner Einnahmen bestreitet er aus Lesungshonoraren, aber durch Reisekosten etc. geht da natürlich auch wieder viel Geld weg.

Ich krebse (zugegeben, mit Kind und anderen Belastungen, die mich von Vollzeit-Arbeit abhalten) bei etwas mehr als dem Hartz IV - Handgeld herum - pi mal Daumensprung 300 bis 400 Euro Umsatz im Monat. Das Geld kommt zweimal jährlich, und dann in "dicken" Batzen.

In meinem gelernten Beruf als Handsticker würde ich für Vollzeitarbeit etwas mehr nach Hause schleifen. Und Handsticker gehören zu denen,  die sich über einen gesetzlichen Mindestlohn wirklich freuen würden.

Kommen wir zur eigentlichen Frage.

Ich bin bei einem mittelgroßen Verlag, der bei Einsteigern und Wiederholungstätern recht gleich vorgeht: Expo wird abgelehnt oder abgenickt, und dann darf der Autor schreiben. Im Gegensatz zu den Normverträgen zahlt der Verlag das Garantiehonorar erst aus, nachdem das Buch erschienen ist. Das war schon für manche Diskussion mit der KSK gut.

Beim öffentlichen Auftreten als Autor gibt es erst grosses Interesse, das bei "ich schreibe Fantasy" stärker abflaut als bei "ich schreibe Krimis". Häufig kommt bei mir auch die Nachfrage, ob ich überhaupt schon etwas veröffentlicht hätte. Wenn ich dann auf meine stolze Backlist von einem Roman, einer Novelle und einem demnächst erscheinenden Roman (plus zwei unter Vertrag!) verweise, geht das Ansehen rapide in die Höhe.
Meine Schwiegereltern versuchen, mir historisches ans Herz zu legen, weil es weniger abstrus sei als Fantasy.

Zu den anderen Fragen kann ich mich nicht so äussern ;)

--Thea
Herzogenaurach, Germany