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Zwischen den Zeilen schreiben

Begonnen von zDatze, 28. Januar 2011, 12:27:32

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Sanjani

Hallo Churke,

in beiden Fällen geht es aber m. E. darum es richtig zu machen. Es gibt ja ebenso auch kurze Situationen, die einfach von der Art her nicht gut beschrieben sind und wo man dann als Leser auch nicht reinfindet oder längere, wo man sich als Leser drin verliert, weil man so eintaucht. Ich persönlich finde aber die kurzen schwieriger zu schreiben als die längeren und ich kenne nicht viele, wo es mir richtig gefallen hat, deshalb hab ich das so herausgehoben.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Spinnenkind

Ich würde meinen Vorrednern in den genannten Aspekten soweit erst einmal zustimmen.
Körpersprache ist wichtig, und Churkes Anmerkung über das Beschreiben von Situationen finde ich auch richtig.

Ich habe mir da so noch nie Gedanken drüber gemacht, fand das Thema aber sehr interessant und habe mir mal probeweise ein Textstück von mir durchgelesen.

Mir fällt auf, dass ich persönlich gerne mit der Umgebung arbeite, in der der Charakter sich gerade befindet.
Die subjektive Wahrnehmung von Natur, Menschen etc. ist ein gutes Medium für solche subliminalen Vermittlungen.

Zum Beispiel: Der Charakter kommt aus einer Situation, die man unterschiedlich empfinden kann, je nachdem, was für Hintergedanken oder was für eine Vorgeschichte man hat. Am Himmel geht die Sonne unter (jetzt nur so als Beispiel). Jetzt sind die Fragen, die ich mir (unterbewusst) stelle: Wo ist der Himmel positioniert? Drohend über ihm? Oder breitet er sich verheißungsvoll vor ihm aus, auf gleicher Augenhöhe, von einer Klippe aus betrachtet zum Beispiel? Fließen die Farben sanft ineinander, oder trieft das Abendrot vom schmuddeligen, wolkigen Himmel?
Derlei komponierte Szenen unterlegen dann die Gedanken meiner Charakters, ohne, dass ich mit dem Zollstock auf seine Emotionen pochen muss.

(Ich sitze jetzt übrigens nicht bei jeder Szene da und mache mir stundenlang Gedanken über die Szenenkomposition ;D Es geht recht intuitiv von statten, trotzdem ist es mal interessant, die gedanklichen Vorgänge aufzudröseln).

Nikki

*prüft Staubfilter in Atemmaske, bringt Staubwedel in Position* Los geht's! :vibes:

@zDatze
ZitatEs auf ein schlichtes Show, don't tell runterzubrechen, passt meiner Meinung nach nicht. Natürlich zeigt man Gesten, Reaktionen und Blicke, doch oft kommt es auch auf das an, was man eben nicht zeigt. Die eigene Intuition spielt da stark mit. Das Timing, wann man welche Information einflechtet.
Man fängt ein Gefühl ein, ohne es tatsächlich zu benennen. Gewisserweise ein Synonym, das sich nicht auf ein Wort beschränkt, sondern über einen ganzen Absatz. Oder eine Seite. Oder eine ganze Szene.

Mir passiert es oft, dass ich dann vor meinem Text sitze und weiß, dass ich da eigentlich nur platte Emotionen fabriziere und dass es eindeutig besser - indirekter - ginge. Aber da sitzt so ein Knoten in meinem Kopf, der oft einfach nicht platzen will. Dann notiere ich mir die Stelle, schreibe erstmal weiter und hoffe auf ein kleines Wunder, wenn ich die Überarbeitung starte. Aber so wirklich glücklich bin ich mit der Lösung nicht.

Daher bin ich so unverschämt und löchere euch gleich mal mit Fragen:
Wie geht es euch mit dem "zwischen den Zeilen schreiben"? Achtet ihr beim Schreiben darauf, oder schafft ihr das ganz intuitiv? Oder erst bei der Überarbeitung?

Mir kommt dieses "Problem" immer wieder unter und ich finde es schön, dass es hier etwas so schön angesprochen wird, was grundlegend zu meinem Schreibprozess gehört. Um auf die letzten zwei Fragen direkt zu antworten: Ja, mir ist diese Problematik direkt beim Schreiben bewusst, aber ich widme mich ihr erst im Zuge der Überarbeitung.

Vor wenigen Jahren noch hätte ich jedes einzelne Wort des ersten Entwurfes abgewogen, jetzt schreibe ich drauf los und die Überarbeitungsphase ist das Stadium, das die meiste Zeit und Konzentration verlangt. Diese Umverlagerung hat dazu geführt, dass ich im ersten Entwurf bewusst Sätze einstreue, von denen ich weiß, dass sie die Überarbeitung nicht überleben werden, aber den nötigen Input geben, um zu helfen, das Nötige zwischen den Zeilen in der Endversion zu transportieren.

Ein Beispiel: Person X verhilft Person Y zur Flucht, Person Y mutmaßt über die Motive von Person X. In der ersten Version steht da so etwas wie: Person Y wusste, dass Person X ihr nicht aus reiner Herzensgüte half, doch sie [Person Y] hatte keine andere Wahl, als ihr zu vertrauen.

Im Grunde ist jener Satz nichts anderes als eine Regieanweisung (eine von vielen) für die entsprechende Szene. Die Endversion wird so aussehen, dass Person X gewisse Andeutungen fallen lassen wird, die Rückschlüsse auf ihre Motive zulassen werden, Person Y dennoch zögerlich reagiert, weil sie ahnt, dass ihr nicht die Wahrheit erzählt wird. Da personal erzählt wird, wird der innere Umschwung von "Wieso sollte mir gerade diese Person helfen?" zu "Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihre Hilfe anzunehmen" erzählt, ohne aber (hoffentlich) explizit zu sagen: Wenn ich der nicht vertraue, sterbe ich! So wird aus dem ursprünglichen "Sie wusste" ein "Sie ahnte Schlimmes, entschied sich aber dennoch dafür".

Eine andere Methode, die ich anwende, ist zunächst reinen Dialog zu schreiben und beschreibende Elemente nachträglich einzufügen. Im Kontext kann ein einzelner Satz bereits so viel Ungesagtes und doch Spürbares transportieren, dass es gar keine großen Erklärungen mehr braucht. Dann feile ich lieber an einer bestechenden Formulierung der direkten Rede als zwei extra Beschreibungssätze einzufügen.

Was für Strategien fahrt ihr da? Hast du eine gefunden, die für dich funktioniert, zDatze?  :) An die anderen, die hier schon geantwortet haben, was habt ihr in den vergangenen Jahren dazugelernt? ;D

Manouche

#18
Nikki, danke fürs Ausgraben dieses Themas!

@zDatze
ZitatIch gebe es zu. Ich will absichtlich Informationen zwischen die Zeilen schieben. Weil es mich stört, wenn alles direkt lesbar da steht und weil ich es schön finde, wenn einem Text mehr "anhaftet", als tatsächlich geschrieben steht. Ich finde es faszinierend wie diese unterschwelligen Nuancen erzeugen werden. Vielleicht kann nicht jeder etwas damit anfangen, aber ich würde diese Technik gerne beherrschen.

Vielleicht siehst du das jetzt anders als damals, @zDatze.  Aber auf mich trifft das auf jeden Fall zu. Es hat irgendwie auch damit zu tun, dass ich in einer Szene mehr als eine Information vermitteln will.
Z.B. zwei Personen treffen sich nach sehr langer Zeit wieder, in knappen Worten reden sie über vergangene Zeiten und die gegenwärtige Situation, aber zwischen den Zeilen wird deutlich, dass sie sich gegenseitig misstrauen und Fehler vorwerfen.
Hier kann ich also die momentane Situation aufzeigen, die Beziehung der beiden andeuten und Informationen über den Streitpunkt, der für den Plot von Bedeutung ist, einflechten. Edit: Am liebsten mit fast nur Dialog...
Ich bin weit davon entfernt immer solche Szenen auf Anhieb gut hinzukriegen, aber wenn es mir gelingt (zumindest für die erste Fassung passend), dann macht es richtig Freude.
Bei Dialogen fällt es mir auf jeden Fall einfacher, zwischen den Zeilen zu schreiben.
@Nikki, die Methode, zuerst nur den Dialog zu schreiben und beschreibende Elemente später einzufügen, mache ich teilweise auch so. Das entspricht mir sehr, da ich gerne Dialoge schreibe.

@Nikki
ZitatVor wenigen Jahren noch hätte ich jedes einzelne Wort des ersten Entwurfes abgewogen, jetzt schreibe ich drauf los und die Überarbeitungsphase ist das Stadium, das die meiste Zeit und Konzentration verlangt. Diese Umverlagerung hat dazu geführt, dass ich im ersten Entwurf bewusst Sätze einstreue, von denen ich weiß, dass sie die Überarbeitung nicht überleben werden, aber den nötigen Input geben, um zu helfen, das Nötige zwischen den Zeilen in der Endversion zu transportieren.

Das freut mich jetzt extrem zu lesen. Denn es kommt häufig vor, dass ich etwas schreibe und widerwillig stehen lasse, weil ich in der Handlung weiter kommen möchte und hoffe, dass ich in der Überarbeitung die richtigen Worte finde.
Ich bin ja noch bei meinem ersten Romanprojekt und noch weit von der Überarbeitung entfernt, daher freut es mich zu sehen, dass diese Arbeitsweise funktionieren kann.

Nikki

Ist der gute alte Staubwedel doch noch für etwas gut  ;D

Das freut mich, dass wir eine ähnliche Arbeitsweise haben. :) Ich finde, jeder Satz, egal, wie hölzern, ungelenk, verschachert oder redundant er auch wirken mag, ist besser als der Satz, der niemals geschrieben wurde. Mein Gehirn funktioniert nach der Devise: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ein "Das kannst du später noch machen" gibt es nicht, wenn ich es nicht schriftlich irgendwo festhalte.

Bei manchen Sätzen muss ich mir extra Randnotizen machen, um meinem späteren Ich klarzumachen, welcher Aspekt genau behaltenswert ist. Das kann beispielsweise eine wunderbare Formulierung sein, die im Moment nicht perfekt passt, aber für sich genommen genau das ausdrückt, was ich gerne vermitteln würde. Oder die Information an sich ist wichtig, aber die passende Stelle ist noch nicht gefunden. Im Erstentwurf ist mehr besser als wenig. Die Erstfassung ist wie ein rohes Stück Holz. Mit jedem Teilschn/ritt der Überarbeitung nimmt man ein Stück davon weg, bis am Ende eine wunderbar gefertigte Statue entsteht.

Manouche

ZitatIm Erstentwurf ist mehr besser als wenig. Die Erstfassung ist wie ein rohes Stück Holz. Mit jedem Teilschn/ritt der Überarbeitung nimmt man ein Stück davon weg, bis am Ende eine wunderbar gefertigte Statue entsteht.

Das ist sehr schön formuliert. In meinem Fall habe ich manchmal fast eher das Gefühl, das noch mehr möglich wäre. Um eben die Feinen Zwischentöne noch auszuarbeiten. Ich stelle es mir irgendwie so vor, dass der Plot das Gerüst ist, die erste Fassung das Haus und mit den nächsten Fassungen kommt dann die Wandbemalung und diverse Verzierungen, die das ganze Vollständig machen. Allerdings ist es gut möglich, dass ich da meine Meinung noch ändere.

(Das ist ja eigentlich auch das spannende in diesen alten Themen, die ausgegraben werden ;) wer weiss vielleicht schaue ich dann in ein paar Jahren hier vorbei und schmunzle über meine Beiträge...)

Rhagrim

#21
Sehr spannendes Thema!
Ich glaube, am besten schafft man das, wenn man seine Charakter in- und auswendig kennt und in solchen Situationen immer ihren Hintergrund und ihre wahren Absichten im Auge behält, und diese in ihr Verhalten miteinfließen lässt. In der Realität kann/sollte/will man diese ja selten auch 1:1 so ausdrücken, aber dennoch kann man - je nach Charakter - meist mehr oder weniger erahnen, wie eine Person *wirklich* zu einer Situation steht. Ich denke, dass man so eine spannende Dynamik schaffen kann, die zwischen den Zeilen bleibt, wenn man sich nicht hinreißen lässt das widersprüchliche, oder undurchschaubare Verhalten gleich lang und breit zu erklären. :hmmm:

Zitat von: Nikki am 06. Mai 2021, 21:25:24
Vor wenigen Jahren noch hätte ich jedes einzelne Wort des ersten Entwurfes abgewogen, jetzt schreibe ich drauf los und die Überarbeitungsphase ist das Stadium, das die meiste Zeit und Konzentration verlangt. Diese Umverlagerung hat dazu geführt, dass ich im ersten Entwurf bewusst Sätze einstreue, von denen ich weiß, dass sie die Überarbeitung nicht überleben werden, aber den nötigen Input geben, um zu helfen, das Nötige zwischen den Zeilen in der Endversion zu transportieren.
Oh, das ist echt ein super Tipp. Das macht es sicher um einiges leichter, nicht beim ersten Durchgang ewig an einer Szene herumzudoktern.

Zitat von: Manouche am 08. Mai 2021, 00:00:19
Z.B. zwei Personen treffen sich nach sehr langer Zeit wieder, in knappen Worten reden sie über vergangene Zeiten und die gegenwärtige Situation, aber zwischen den Zeilen wird deutlich, dass sie sich gegenseitig misstrauen und Fehler vorwerfen.
Hier kann ich also die momentane Situation aufzeigen, die Beziehung der beiden andeuten und Informationen über den Streitpunkt, der für den Plot von Bedeutung ist, einflechten.
In so einer Situation kann man schon eine Menge allein über die non-verbale Ebene ausdrücken: Sie werden (je nach Grad des Misstrauens) permanent angespannt sein, den jeweils anderen im Blick behalten und seine Bewegungen wachsam verfolgen, ihrem Gegenüber nicht den Rücken zuwenden wollen. Nur ablehnend die Arme vor der Brust verschränkt halten, oder gar offen die Hände nahe an den Waffen behalten. Bei einer schnellen Bewegung des anderen sich durch eine erschrockene/abwehrende/kampfbereite Reaktion verraten. Verächtlich, wütend, oder offen hasserfüllt das Gesicht verziehen und dem anderen vielleicht gar vor die Füße spucken. Geringschätzig lachen, falls der andere für seinen Mut, seine Milde (oder was auch immer sonst ihm von seinem Gegenüber vorgeworfen wird *nicht* zu haben) gelobt wird.
Verbal könnten sie, wenn sie nicht direkt den offenen Streit suchen, bei passiv aggressiven Andeutungen und Beleidigungen bleiben. Kleine, feindselige Seitenhiebe, in jeder sich bietenden Situation. Anspielen auf die vergangene Feigheit/den Verrat/wasauchimmer, ohne näher drauf einzugehen, aber die (charakterlichen) Schwächen bzw Verfehlungen des anderen immer wieder mal andeuten. Umso mehr, wenn andere Personen dabei sind, die vielleicht (noch) nichts von alldem wissen, um den anderen zu demütigen und ihn öffentlich als (Vorwurf hier einfügen) hinzustellen.
"No tree can grow to Heaven unless it's roots reach down to Hell."
- C.G. Jung