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Zeitrechnung vor Christus in Europa

Begonnen von Luciel, 15. August 2009, 16:54:15

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Luciel

Darüber etwas zu finden erwies sich als schwieriger als ich gedacht habe ....

Wie haben die Menschen damals eigentlich ihre Zeit benannt? Sie konnten ja nicht sagen: "Ich wurde 320 vor Christus geboren."

Bisher habe ich heraus bekommen, dass die Römer ihre Zeit nach Konsulen benannten und die Griechen nach Olympiaden. Aber so recht kann ich mir da nichts drunter vorstellen. Wie benenne ich da z.B. einen Geburtstag?
20. Juli (der heißt sicher auch anders) im 3. Jahr vor der 10. Olympiade??

Gibt es darüber vernünftige Internetseiten oder zur Not Bücher? Oder kennt sich da jemand gut aus?

TheaEvanda

#1
Der jüdische Kalender geht aktuell ins Jahr 5770 (wenn ich mich nicht verrechnet habe), und zählt ab der Schöpfung der Welt (laut biblischen Chroniken im Jahr 3761 v. Chr.). Soweit ich weiß, zählt die Levante noch zu Europa?

Die Römer zählten auch ab der Gründung der Stadt Rom (ab Urbe condita), aber da kann dir Coppelia sicher besser weiterhelfen.

Du kannst dich auch am makedonischen Kalender orientieren, während die Ägypter ihre Jahre in Pharaonen der jeweiligen Dynastien zählten.

Prinzipiell gibt es ein paar "Startdaten" für die Zeitrechnung:

* Gründung einer Stadt/eines Reichs/eines Tempels. Diese Gründung wird selten von vorneherein als wichtige Caesur verstanden sondern mit etwas zeitlichem Abstand "zurückberechnet" und die zwischenliegenden Zeiten werden umdatiert.

* Geburt oder Berufung einer Erlösergestalt. Bekannt von Jesus Christus. Auch dieser Zeitpunkt wird "nachbelegt" - der historische "Junge Wilde" Jesus ist wohl 4 vor Christus geboren.

* Eine wichtige Schlacht, ein wichtiges Ereignis. Zum Beispiel Mohammed erreicht Medina: Der Beginn der islamischen Zeitrechnung am 16.7.622. Auch hier wurde der Kalender "erst" (legendär) 638 eingeführt, nach anderen Quellen aber erst deutlich später.
Irgendeine nordamerikanische Indianernation rechnete in Jahren nach der letzten Sonnenfinsternis... da finde ich aber keine Quellen mehr dazu.

* Lebenszeit eines Herrschers. Dies ist zum Beispiel immer noch in Japan üblich. Mit dem Amtsantritt eines neuen Tenno wird die "alte Zeitrechnung" neu gesetzt und beginnt bei "1". Wenn man also in Japan Butter kauft, die am 10.12.14 abläuft, ist sie am 12. Oktober im 14. Jahr des Heisei-Tenno überfällig... Das war 2004, wenn ich mich recht erinnere.
Die Gruppierung größerer Jahresabschnitte geht in Japan nach der Hauptstadt.
(Der Vollständigkeit halber: Japan rechnet offiziell nach dem gregorianischen Kalender und schreibt auch das Jahr 2009).
Dieses System war weltweit sehr beliebt, solange es gekrönte Häupter gab.

* Für den Maya-Kalender mit seinen großen und kleinen Zyklen musst du dich selber bemühen, den habe ich nicht durchschaut.

* Die Ägypter hatten mehrere Kalendersysteme nebeneinander. Der Sothis-Kalender richtete sich nach dem siderischen Jahr, also nach dem Aufgang des Sirius (Hundsstern). Jahr Null ist mir nicht bekannt.

Ich hoffe, das half etwas?

Thea
Herzogenaurach, Germany

Churke

Das hier sollte die meisten Fragen beantworten:
http://de.wikipedia.org/wiki/Zeitrechnung

Wie die Griechen die Olympiaden gezählt haben, weiß ich leider nicht.

Bei den Römern ist mir eine Zählung nach ab urbe condita noch nie begegnet. Ein römisches Konulatsdatum sieht jedenfalls in etwa so aus:

Kalenden XV des Dezembers im Jahr des VII. Konsulats des Honorius und des II. des Theodosius.
17. November 407

Die gängige Formulierung ist "im Jahr, als X und y Konsuln waren".
Manchmal hat man auch nach Vorjahreskonsuln benannt ("Im Jahr nach dem Konsulat des X und Y").

Eine andere Jahreszählung findet man im Lukas-Evangelium:
praeside Syriae Cyrino

"als Cyrinus Statthalter in Syrien war"
Und weil den Cyrinus keiner mehr kennt, weiß auch niemand, wann das gewesen sein soll... oh, hab ich dich vollgelabert?  ::)

Judith

#3
Ich hab jetzt mal meine Proseminar-Unterlagen von der Altertumskunde rausgekramt und dort folgendes zu Griechenland gefunden:

In der klassischen griechischen Polis hat man nach Beamten gerechnet (nach dem Archon Eponymos, dem obersten Gerichtsherr und Vorstand der Archonten).

Im Hellenismus gab es dann neue Formen:
- ab der Gründung einer Stadt
- dynastische Ären: also ab der Gründung einer Dynastie (eine wichtige war z.B. die Seleukiden-Ära, die 314 v. Chr. begann)
- nach Olympiaden: eine Olympiade bezeichnet die Zeit zwischen 2 olympischen Spielen wobei als 1. Olympiade 776 v. Chr. gerechnet wird

Mit vernünftigen Internetseiten kann ich nicht dienen, aber Bücher gibt es natürlich; am brauchbarsten sind:
- Elias J. Bickerman, Chronology of the Ancient World, London 1980
- Marieluise Deissmann, Daten zur antiken Chronologie und Geschichte, Stuttgart 2006 (reclam)

EDIT: Hilfreich ist vielleicht noch DIE Internetadresse für römische Antike, nämlich:
http://www.imperiumromanum.com/index.htm
Dort unter Kultur >> Kalender >> Griechenland >> Jahreszählung; Da ist die Zählung nach Olympiaden erklärt


Churke

Falls es hilft: Auf dieser Seite sind alle römischen Konsuln seit 509 v. Chr verzeichnet.

http://www.gottwein.de/roge/his_0510.php

Tenryu

Ich glaube, in der alten Zeit war Zeitrechnung nicht so wichtig. Die Menschen brauchten kein verläßliches System, um Jahrhunderte von Geschichte chronologisch ordnen zu können, sondern orientieren sich an ihrer eigenen Erinnerung. Daher auch die Zählung nach Dynastien. Da sich kaum jemand über die Chronologie von Ereignissen über 500 Jahre Gedanken  machte, spielte es keine Rolle, daß nur ganz wenige Gelehrte die Lebens- und Regierungsdaten der Herrscher kannten.
Hinzu kam, daß es kaum Kontakte zu anderen Kulturen gab.

Man stelle sich vor, wir müßten heute so rechnen. Der eine erzählte etwas von fünften Jahr in Kohl und der andere vom 136. seit der Gründung der Republik und der dritte faselte etwas von Jahr 6874 seit die Mondgöttin sich mit dem Sonenngot vereinigt habe...

Da die meisten Menschen und Völker damals noch sehr primitiv waren und weder Lesen noch Schreiben konnten, gab es auch keine Geschichtsschreibung. Es gab keine Bürokratie. Und die Menschen rechneten eher in Jahreszeiten oder Jahren ihrer eigenen Lebenszeit.
Eine Jahreszählung kam daher erst mit der Gründung zentralistisch regierter Reiche und einer entsprechenden Verwaltung auf, wie bei den Hochkulturen des Vorderen Orients.

Da es in Europa in der Antike keine hochentwickelten Staatswesen gab, und die alten Germanen so gut wie keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben, kann wohl niemand sagen, ob und wie damals die Jahre bezeichnet wurden. Vermutlich gar nicht.

Luciel

Hui, danke an euch alle. Das sind wirklich beeindruckende Erklärungen und Ausführungen.

@ TheaEvanda
Das japanische Zeitsystem gibt eine gute Vorstellung davon wie es früher wohl gewesen ist. Heutzutage kann man sich da kaum noch reinversetzen.

@ Churke
Niemand labert mich voll, wenn ich ein Frage stelle. Ich bin wissensdurstig und habe lieber mehr Informationen als zu zuwenig  :buch:

@ Judith
Danke für den tollen Link, den kannte ich noch nicht.

@ Tenryu
Da hast du ganz sicher recht. Die Vorstellung, nach "Kolhl" oder "Merkel" zu rechnen, fände ich aber witzig. Das würde sich der Wahlen beeinflussen  ;D (...bloß nicht schon wieder ein neuer Kanzler, sprich neue Zeitrechnung).
Doch es gab auch in Europa Hochkulturen und ich könnte mir vorstellen, dass gebildete Menschen durchaus ein Interesse daran hatten zu wissen, in welchem Kontext sie zur Geschichte standen. Das war sícher nicht so einfach heraus zu finden, wenn man sich dafür durch Königslisten wühlen musste.

Steffi

@TheaEvanda: ich war zwar nicht der Fragende, aber das war tierisch interessant. da hatte ich mir vorher noch nie so Gedanken drüber gemacht. Faszinierend, wie ein bekannter Vulkanier sagen würde.
Sic parvis magna

Judith

#8
Zitat von: Tenryu am 15. August 2009, 20:24:49
Da es in Europa in der Antike keine hochentwickelten Staatswesen gab, und die alten Germanen so gut wie keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben, kann wohl niemand sagen, ob und wie damals die Jahre bezeichnet wurden.
Äh? Mykene? Die griechischen Poleis? Römisches Reich? Die hatten sehr wohl hochentwickelte Staatswesen und haben auch die Jahre bezeichnet, wie hier in diesem Thread ja bereits ausführlich besprochen.

Übrigens sollte man das Wissen der römischen Bürger darüber, wann wer Konsul war, nicht unterschätzen. Das war nicht nur eine Sache der Gelehrten.

TheaEvanda

@Tenryu:
Du machst es dir ein bisschen einfach. Es gibt schon steinzeitliche (Neolithische) Kulturen, die über ein hoch entwickeltes Kalendersystem verfügten (als Beispiele die Dynastien des alten Reiches Ägyptens mit seinen Königslisten und astronomischen Daten, die heute noch zur Verifiziert werden können, oder die Sumerische Zeitrechnung). Das Bedürfnis, die Vergangenheit und Zukunft kalendarisch zu strukturieren ist also ein Grundinstinkt des Menschen.
Nur weil wir heute eine "einfache" Zeitrechnung haben, die sich weltweit als Vergleichs-Norm durchgesetzt hat, heißt das noch lange nicht, dass alle anderen Kalendersysteme unpraktisch waren. Sie haben damals nur anders funktioniert, als wir es heute gewohnt sind. Der jüdische Kalender ist schließlich auch noch in Gebrauch, und der älteste und "zukunftsweisendste" Kalender, der nicht mehr benutzt wird, ist der der Maya. An der Ausrottung dieser Kultur haben die Europäer irgendwie eine winzige Mitschuld...
Unsere Vorfahren waren nicht primitiver. Das waren sie nie. Sie haben nur anders gedacht und andere Prioritäten gesetzt als wir es tun.

@Churke:
Ich habe gerade noch einmal nachgesehen, und es waren nicht die alten Römer, die mit "ab urbe condita" gerechnet haben, sondern die Chronisten des Frühmittelalters bis etwa 1000 n. Chr. Um 1000 n. Chr. setzte sich dann die Zeitrechnung "nach Christi Geburt" flächendeckend unter den Gelehrten durch. Ich fühle mich korrigiert.

--Thea
Herzogenaurach, Germany

Luciel

#10
Ich muss noch mal nachfragen, weil mein Plot so gaaaanz langsam ein Gesicht bekommt. Ich stelle mir vor, einige Kapitel in Tagebuchform erscheinen zu lassen, womit ich dann schon wieder beim Datum bin. Ich denke, die eigenen biografischen Ergüsse hat man schon zu allen Zeiten datiert.

Es wird von Griechenland um 350 v.Chr. handeln. Der Einfachheit halber habe ich mich entschieden, die Jahresdatierung nach dem jeweiligen König vorzunehmen. Das fühlt sich für mich so an, als würde es jemand, der mehr für sich selbst einen Anhaltspunkt braucht, wann er was aufschreibt, so machen. Das scheint mir einfacher, als nach irgendwelchen, alle 4 Jahre stattfindenden Olympiaden zu zählen ...

Aber was ist mit den Monaten??
Gingen die damals von Januar bis Dezember? Und wie hießen die zu dieser Zeit?

Tut mir leid, wenn ich mit meinen Fragen nerve .... Ich hoffe, dass sie zumindest von allgemeinem Interesse sind.

Luciel

Hm, jetzt muss ich mir mal selbst antworten und schauen, ob ich das so richtig verstanden habe ...
Zu dieser Zeit galt dann wohl der Makedonisch-solonische Kalender, oder? Der ist allerdings etwas seltsam, da gab es wohl alle 2 Jahre einen Schaltmonat, so dass die Monate durch die Jahreszeiten wechselten!?! Sehr eigenartig.
Na, für meine Geschichte ist das zweitrangig.
Das habe ich bei Wiki gefunden (ich liebe die ägyptischen Namen, die habe ich mir schon für meinen Fantasy-Roman ausgeborgt *hüstel*)

Makedonisch-
Solonisch                Ägyptisch                 Gregorianisch

1. Xanthikos           22. Pharmouthi         8. Juni 247 v. Chr.

1. Artemisios           22. Pachon            8. Juli

1. Daisios             21. Payni                6. August

1. Panemos          20. Epiphi             4. September

1. Loos              20. Mesori                4. Oktober

1. Gorpiaios            14. Thot               2. November

1. Hyperberetaios    14. Phaophi         2. Dezember

1. Dios               13. Hathyr                31. Dezember

1. Apellaios              13. Choiak               30. Januar 246 v. Chr.

1. Audynaios           12. Tybi               1. März

1. Peritios              12. Mechir                31. März

1. Dystros            11. Phamenoth          29. April

1. Dystros II (Schaltmonat)    11. Pharmouthi         29. Mai


Mit der Einführung dieses Kalendertyps in der Zeit von Solon wurde jeweils im zweiten Jahr ein Schaltmonat eingeschoben. Die Monate verlagerten sich mit der Zeit und durchliefen die Jahreszeiten.

Denkt ihr, ich kann die makedonischen Monatsnamen bedenkenlos so verwenden?

Churke

Zitat von: Luciel am 02. September 2009, 12:40:52
Zu dieser Zeit galt dann wohl der Makedonisch-solonische Kalender, oder? Der ist allerdings etwas seltsam, da gab es wohl alle 2 Jahre einen Schaltmonat, so dass die Monate durch die Jahreszeiten wechselten!?! Sehr eigenartig.

Es handelt sich dabei um einen Mondkalender, der das Sonnenjahr nur näherungsweise wiedergeben kann. Damit verschieben sich zwangsweise die Jahreszeiten. Sie verschieben sich also nicht wegen des Schaltmonats, sondern würden sich ohne Schaltmonat noch stärker verschieben. Für die Landwirtschaft ist das sehr unwillkommen, weil sich der Termin für die Aussaat nicht mehr zuverlässig bestimmen lässt.

ZitatDenkt ihr, ich kann die makedonischen Monatsnamen bedenkenlos so verwenden?
Bedenkenlos? Nein.
Der Leser weiß nicht, was z.B. ein Hyperberetaios ist. Diesem Problem musst du dich stellen. Bei einzelnen Daten kann man eine Erklärung nachschieben oder eine Fußnote setzen, aber in einem Tagebuch stelle ich mir das irgendwie wenig elegant vor.

Luciel

Ich denke, es ist für den Leser nicht weiter wichtig, was dieser Monatsname genau bedeutet. Wenn oben steht:
"zweiundzwanzigster im Monat Hyperberetaios im zehnten Jahr Philipps" dann ist klar, dass es sich um ein Datum handelt. Wenn mein zukünftiger Verlag Erläuterungen notwendig findet, dann kann man ja noch eine Seite anhängen, in der kurz die Zeitrechnung erklärt wird.

Churke