• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Perspektivenwechsel

Begonnen von Alaun, 14. Juli 2009, 15:56:19

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Alaun

Hallo,

ich frage mich gerade, ob es zu verwirrend wird, wenn man eine Erzählung aus der Perspektive jeder einzelnen Figur erzählt. Es gibt bei mir schon einige Figuren, aus deren Sichtweise ich erzählen wollen würde, insgesamt 7 bis 8. Nur aus Sicht der Hauptfigur wäre mir auf Dauer irgendwie zu einseitig...

Wie macht ihr das? Bleibt ihr bei einer Sicht oder wechselt ihr ständig in den Perspektiven? Ab welcher Anzahl von Figuren findet ihr es störend und verwirrend?

Viele liebe Grüße,
*Alaun


Jara

Ich finde es durchaus schön, wenn eine Geschichte nicht nur aus der Sicht einer Person beschrieben wird.
Das sorgt für Abwechslung und außerdem machen es verschiedene Handlungsstränge zumeist sowieso notwendig zwischen den Perspektiven zu wechseln.
Dabei kann man mitunter auch Szenen von verschiedenen Sichtweisen beleuchten, was das Ganze für den Leser interessanter macht.

Aber ich muss ehrlich sagen 7 oder 8 Perspektiven wären mir zuviel. Das solltest du auf keinen Fall machen, wenn es sich nur um ein einzelnes Band handelt. In einem Mehrteiler geht das schon, weil man die verschiedenen Perspektivträger dann auf die Bände verteilen kann.

Wie viele Perspektiven letztendlich noch verständlich sind oder ab wann es anfängt unübersichtlich zu werden, hängt wohl in erster Lienie von der Art der Umsetzung ab. Springe ich schon in einer Szene hin und her? Oder wechseln die Perspektiven mit den Kapiteln? Das ist dann meist kaum ein Problem für den Leser.

Nicht zu häufig zu wechseln ist auch deshalb wichtig, weil sich sonst keine Beziehung zwischen dem Leser und deinen Charakteren aufbauen kann. Wenn du von einem zum anderen springst und das jeweilige Innenleben nur leicht ankrazt, trägt das nicht all zu sehr zur Identifikation bei.

Ich selber habe bis jetzt noch nie mehr als zwei Perspektiven in einen Roman eingebaut. Abgesehen von einzelnen Szenen, in denen der POV dann mal bei jemandem lag, der ihn bis dahin noch nicht hatte und danach meist auch nicht mehr ::). Aber für mich ist es außerordentlich wichtig meine Hauptfiguren gut zu kennen, deshalb bietet sich mehr da nicht an. Ganz davon abgesehen, dass ich sonst wohl in einem heilosen Durcheinander versinke.
Aber das ist selbstverständlich nur meine persönliche Erfahrung ;)


Churke

Die Frage ist nicht, ob ich aus der Sicht einer Figur erzählen will, sondern ob ich aus ihrer Sicht erzählen muss, damit der Leser die Geschichte versteht.
Einfach nur mal so zu wechseln, weil eine Figur so cool oder süß oder sonstwas ist, halte ich für ein No-Go und Anzeichen eines schlecht konstruierten Plots. Man sollte zu seiner Hauptfigur stehen und mit ihr durch Dick und Dünn gehen. Wenn sich nicht einmal der Autor mit ihr identifiziert, wie soll das dann der Leser tun?  ::)

In der Regel reichen mir 2 Perspektivträger. Ich hatte auch schon 7, weil es nicht anders ging, aber das war ein historischer Plot und mit seinen vielen Handlungssträngen ein Spezialfall. So etwas würde sich kein Mensch freiwillig ausdenken wollen.

Alaun

#3
Bei mir entwickeln sich die Handlungen anfangs in 2 unterschiedlichen Welten, die dann zusammenlaufen. Um die Welten zu beleuchten, muss ich mehr als die Perspektive meiner Hauptfigur haben- allerdings habe ich gerade nochmal geguckt und glaube, ich komme mit 4 Perspektiven aus. Dann müsste es eigentlich gehen. Die Perspektiven wechseln auch nicht innerhalb der Kapitel, ich denke, so bleibt es einigermaßen übersichtlich.


Schreiberling

Hallo Alaun,
Ich wechsle innerhalb eines Romans sehr gerne mal die Perspektiven und lese es auch sehr gerne. Das arbeiten mit mehreren Figuren macht mir auch viel Spaß. Auf Dauer finde ich mehrere Perspektiven interessanter, wenn es gut umgesetzt ist.
ABER zu viele Perspektiven können auch verwirren und als Leser wären mir 7-8 Perspektiven zu viel. Ich glaube einfach, dass dafür ein Roman von normaler Länge zu kurz ist, um alle Figuren ausreichend zu beleuchten. Wenn nur alle Figuren angekratzt werden, wäre ich als Leser spätestens nach der vierten genervt.
Bedenken muss man dabei auch, dass man alle Figuren auch einführen muss und wenn ich dann in den ersten sechs Szenen vier Personen habe, wird das schnell unübersichtlich.

Liebe Grüße,
Schreiberling

Berjosa

Hallo Alaun,

ich zähle meine Perspektiventräger eigentlich nicht. Klar gibt es ein bis zwei Hauptfiguren, die sich den größten Teil des Romans teilen. Aber wenn in einer bestimmten Szene eben keins von beiden anwesend ist, kriegt jemand anders die Perspektive. Das finde ich meistens spannender als eine Rückblende. Diese Figuren sind dann in der Regel schon aus der Sicht der anderen eingeführt, keine völlig Unbekannten, und ich achte auch darauf, dass niemand an die Reihe kommt, der an der betreffenden Stelle zu viel verraten könnte.

(Hab gerade doch mal gezählt und komme in meinem letzten Roman auf 6 Perspektivträger; in dem davor waren es definitiv mehr - auch was Historisches, hallo Churke.)

Tenryu

Ich bevorzuge eigentlich die Perspektive des neutralen Erzählers.
In einer Geschichte habe ich (fast) jedes Kapitel aus der Perspektive einer anderen Figur geschildert. Ich halte diese Geschichte aber nicht für besonders gelungen.

Coppelia

Churkes Beitrag find ich sehr sinnvoll, unterschreib ich völlig ... von einem "neutralen Erzähler" würde ich dagegen abraten, wenn das gemeint ist, was ich denke. Das kann der Tod der Spannung sein. Es ist meiner Meinung nach nötig, das Geschehen ständig aus der Sicht einer handelnden Figur mitzuverfolgen, damit es spannend wird.

Ich bin sehr penibel mit meinen Erzählperspektiven und greife auf so wenig wie möglich zurück. Was ich für ein No-Go halte (was aber trotzdem gern gemacht wird) ist, Perspektiventräger für 1 Szene oder so zu erschaffen, die dann nie mehr auftreten (z. B. weil sie sterben). Generell dürfen Perspektiventräger gern sterben, aber das obige halte ich für billige Effekthascherei. Nicht, dass sowas nicht absolut üblich wäre, aber ich muss es ja nicht machen!

Ich nehme immer so wenig Perspektiven wie möglich. Dafür sehe ich zu, dass auch alle ihren Sinn haben. Meist sind die einzelnen Handlungsstränge bei mir auf einen Perspektiventräger beschränkt. Es gibt ja auch Charaktere, die eignen sich nicht fürs "Perspektive tragen". Welche Kriterien ich dafür habe, kann ich jetzt aber auch nicht sagen, das müsst ich mal überlegen ...
Es ist natürlich wichtig, dass man sicherstellt, alle wichtigen Ereignisse aus der Perspektive einer Figur zu erzählen, wenn sie direkt in der Handlung vorkommen wollen. Also sorge ich lieber dafür, dass ein Perspektiventräger bei dem Ereignis anwesend ist, als dass ich mir einen neuen suche, der nur die Aufgabe hat, Zeuge bei diesem Ereignis zu sein. Wenn mehrere Figuren infrage kommen, such ich die, bei der die Perspektive am aufregendsten und konfliktreichsten ist. :)

Die Anzahl von Figuren kann einen eigentlich nicht überfordern. Aber alle Figuren müssen schon gut ausgearbeitet sein, sodass man ihre "Erzählstimme" unterscheiden kann, und es sollte möglichst keine Beliebigkeit erkennbar sein.

Wobei mir einfällt, ich hab Probleme, einen Perspektiventräger für einen Handlungsstrang bei mir auszuwählen ... zwei kommen infrage, aber der Mann istn bisschen dämlich, und die Frau ist unsympathisch ... beides keine guten Optionen.

Kaeptn

Tja, Perspektiven - da erzählt einem jeder was anderes.

Ich weiß noch, wie meine Lektorin mich damals zusammenstauchte, weil ich ausnahmsweise mal innerhalb eines Absatzes die Perspektive gewechselt hatte. Liest man heute Phillip Pullman oder Licia Troisi, die machen das dauernd...

Für Pullman sind 8 Perspektiven auch gar nix, ich fand das aber auch zu viel. 2-3, bei epischen romanen (wo sich z.B. eine gruppe aufteilt, siehe Herr der Ringe/Star Wars...) auch mal 4-5, aber dann is langsam sense, weil das Identifikationspotential verloren geht, wenn man die Innensicht von Charakteren für mehree Kapitel aus den Augen verliert, finde ich.

FeeamPC

Bei mehreren Erzählsträngen, die zeitlich und/oder örtlich weit auseinander liegen, ist es manchmal einfach zwingend erforderlich, verschiedene Perspektiventräger zu haben. Es hängt halt sehr stark von der Struktur des Plots ab.

Ich selbst arbeite immer zwischen Extremen- entweder Bücher mit einer einzigen Perspektive, meistens ein Ich-Erzähler, oder Bücher mit den oben erwähnten vielen Perspektivträgern.

Die Ich-Erzähler kommen meist zum Tragen, wenn das Buch einen relativ engen Zeitraum mit kompakter Handlung (Tage) umfaßt, die verschiedenen Perspektivträger ergeben sich eher in epischen Werken, die eine Geschichte über einen längeren Zeitraum (Jahre) laufen lassen.

Romy

Bei mir sind Perspektiventräger i.d.R. identisch mit den Hauptfiguren und da ist meine eingeschworene Lieblingszahl 2. Bei meinem aktuellen Roman hatte ich ursprünglich ungefähr in der Mitte einige andere Perspektiven verwendet, bis mir beim fertigen "Werk" auffiel, dass meine beiden Protas über 3 Kapitel überhaupt nicht mehr auftauchten, oder zumindest nicht ihre Perspektive. Das ist eine Sache, wo ich jetzt bei der Überarbeitung noch mal ganz konkret drauf achte, die entsprechenden Szenen umschreibe, oder aus der Sicht eines meiner Protas erzähle. Zumindest eine Szene habe ich auch komplett rausgeschmissen. Da sieht mein Prota dann am Ende nur das Ergebnis und ich finde auch, dass das reicht.
So aus der "Perspektive zu fallen" und Perspektiventräger nur für 1-2 Szenen herzunehmen, davon halte ich nicht allzuviel.  ;)

In meinem "Epos", das sich z.Z. bei 700 Seiten befindet und das ich bei der nächsten Überarbeitung zu 1000 Seiten ausbauen will (jaja, sehr unrealistisch, das jemals zu veröffentlichen, weiß ich  ;) ) habe ich 5 Protas/Perspektiventräger. Aber da habe ich ja auch wirklich sehr viel Platz, um jeden ausreichend zu beleuchten und oft befinden sie sich auch an unterschiedlichen Orten, wo überall was los ist. Also ich brauche die schon und ich muss auch sagen, dass es ein gewisses "Ranking" unter ihnen gibt, was ihre Zeit als Perspektiventräger angeht. Einige kommen doch mehr zum Einsatz als Andere.

Mehr als 5 würde ich persönlich aber nicht empfehlen. Ich hab da zwar noch 2 andere Romänchen, wo ich mehr Perspektiventräger/Protas habe, aber die gehören eher zu meinen "Frühwerken" und ganz sicher nicht zu meinen Glanzstücken. Falls ich die jemals noch mal überarbeite, wird sicherlich die ein oder andere Perspektive raus fallen ...

Also ich kann mich den Anderen nur anschließen: Verwende so viele Perspektiven, wie unbedingt nötig sind, mehr muss nicht sein.  :D 4 klingt doch eigentlich wie ein vernünftiger Kompromiss.

Sialan

Hi Alaun,
ich sage mal wie es ist: Ich kann nicht ohne viele Perspektiven schreiben. Habe zweimal einen Roman mit einer einzigen Perspektiventrägerin begonnen; aus beiden ist nichts geworden. Mein "besserer" fertiger Roman hat wasweißichwieviele Perspektiven. In der Regel wechsle ich sie bei jedem Abschnitt, das kann in einem Kapitel schon mal des öfteren hin und her und woanders hin und wieder hin und her und nochmal ganz woanders hin gehen. Ja, ich erinnere mich da z.B. an ein Kapitel wo der Reihe nach die Perspektiven der Protagonisten eingenommen wurden, immer unterbrochen von einer Feindperspektive und anschließend einer meist ganz neuen Perspektive, die das Geschehen in der Welt widerspiegelte. War eine besondere Situation, die diesen geregelten Perpektivwechsel für das Kapitel nahe legte, in aller Regel wechsle ich die Perspektiven weniger geordnet.
Ich muss zugeben, dass die Identifikation mit Charakteren nicht gerade eine Stärke des Werkes ist. Aber die Story ist dadurch umso ausgeklügelter, wendungsreicher und spannender.
Die Perspektiven sind auch in ihrer Häufigkeit sehr unterschiedlich, von 1x bis immer wieder vorkommend. Wobei 1x ja nun wirklich nicht heißen muss, dass der Perspektiventräger am Ende der Szene tot ist. Es kann auch einfach eine Szene sein, die Ereignisse einleitet, von denen zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß und deren Auswirkungen später aus einer anderen Perspektive erlebt werden.

Nagi Naoe

Ich habe in meinem aktuellen Projekt nur 3 Perspektiven. Einmal mein männlicher Prota, dann der weibliche und gegen Ende hat ihre biestige Gegenspielerin noch zwei, drei Kapitel nur für sich zum Rumtoben und Krallenwetzen.

Gegen Perspektivträger, die nur in einem Kapitel auftauchen und gleich wieder sterben, habe ich eigentlich nichts. Ein gutes Beispiel dafür sind in meinen Augen einige Scheibenwelt-Bücher (in Schweinsgalopp kommen ein oder zwei solche Szenen vor).
Allerdings finde ich das nur bei kürzeren Kapitel okay, ab zehn Seiten ist es umständlich, finde ich, weil man sich dann schon an die Figur gewöhnt hat. Da ist es mir lieber, der Tod kommt schnell, oder die Szene wird gleich anders erzählt (das schließt auch *gar nicht* mit ein).

Joscha

Ich persönlich bevorzuge weniger Perspektivträger. Sieben oder acht wären mir auf jeden Fall viel zu viel, je nach Länge des Romanes empfinde ich schon vier verschiedene Perspektivträger als störend; ich persönlich habe mir drei Perspektiven als Maximum gesetzt, da ich es für sehr wichtig halte, dass der Leser sich gut und schnell mit den Perspektivträgern identifiziert.

Bei zu vielen Perspektiven verliere ich häufig die Lust aufs Lesen, da ich wissen will, was mit einem der Charaktere passiert und den anderen zwangsläufig nicht so viel Beachtung schenke, wie man ihnen zukommen lassen sollte. Durch deren Szenen "quäle" ich mich eher durch, um möglichst schnell wieder zu anderen Perspektiven wechseln zu können.

Grüße
Joscha

Coppelia

ZitatIch muss zugeben, dass die Identifikation mit Charakteren nicht gerade eine Stärke des Werkes ist. Aber die Story ist dadurch umso ausgeklügelter, wendungsreicher und spannender.
Spannender eher nicht. Spannend ist eine Story nämlich nur dann, wenn man sich mit Charakteren identifiziert, also wissen will, was mit ihnen passiert.