• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Die schreckliche Deutsche Sprache

Begonnen von Tenryu, 08. Dezember 2008, 20:49:06

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Aithoriell

Nana, Falckensteyn! Eigentlich ist Latein gar nicht so tot und auch Griechisch nicht. Wie kann etwas wirklich tot sein, wenn es fortlebt in der Grammatik der aktuellen Sprachen. Wir könnten auch Wem-Fall sagen aber wir sagen Dativ (im Deutsch-LK wird das sogar verlangt!), wir könnten Wie-Wort sagen aber wir sagen Adjektiv.  ;D

Lomax

Zitat von: Aithoriell am 09. Dezember 2008, 11:20:30..., dann empfindet man auch Deutsch nicht mehr als sperrig und schwer, da unsere Grammatik immer noch an die Grammatik der Lateiner angelehnt ist.
Äh, nein. Ist sie nicht. Die Regeln der "Schulgrammatik" sind oft ans Lateinische angelehnt, weil die ersten Gelehrten, die sich damit befasst haben, oft auch unpassende Kategorien aus dem "verehrten" Latein fürs Deutsche übernommen haben - eine eher sprachpflegerische den sprachwissenschaftliche Herangehensweise, aus der auch viele Probleme und "Unplausibilitäten" der "klassischen" Grammatikregeln resultieren.
  An diesem bis ins 19. Jhdt. hinein praktiziertem Versuch, die deutsche Sprache zu "latinisieren", laboriert man noch heute.

Falckensteyn

Zitat von: Aithoriell am 09. Dezember 2008, 12:51:34
Nana, Falckensteyn! Eigentlich ist Latein gar nicht so tot und auch Griechisch nicht.

Nun, mit tot meinte ich nur, dass es vermutlich niemanden mehr gibt, der noch in Lateinisch "denkt" oder sie als Muttersprache spricht. Dass die katholische Kirche und die Wissenschaft die lateinische Sprache weiterhin verwendet, ist mir natürlich auch bekannt. Aber, werte Aithoriell, ich will natürlich niemandem auf den Schlips treten  ;)

Liebe Grüsse

Falckensteyn

Aithoriell

@Falckensteyn ;)
Ich weiß doch, dass du mir nicht auf den Schlips treten willst  :D
Aber es diskutiert sich doch so herrlich über dieses Thema. Im übrigen wird im Vatikan tatsächlich noch Latein gesprochen und ist in diesem "Land" Amtssprache.

@Lomax
Äh, doch ist sie doch! Es wird hier immer von Deutsch als Sprache gesprochen, als hätte es sie bereits seit den Zeiten Karls des Großen gegeben. Das ist aber nicht so. Selbst das frühe Mittelhochdeutsch hat mit der Sprache, die wir heute - versuchen - zu sprechen nicht viel gemein. Vielleicht reden wir aneinander vorbei, weil ich mich mehr mit dem Ursprung der Sprachen im Mittelalter beschäftige und du mit der Sprachentwicklung der frühen Zeit Deutschlands?

Lomax

Zitat von: Aithoriell am 09. Dezember 2008, 17:35:00Äh, doch ist sie doch! Es wird hier immer von Deutsch als Sprache gesprochen, als hätte es sie bereits seit den Zeiten Karls des Großen gegeben. Das ist aber nicht so. Selbst das frühe Mittelhochdeutsch hat mit der Sprache, die wir heute - versuchen - zu sprechen nicht viel gemein. Vielleicht reden wir aneinander vorbei, weil ich mich mehr mit dem Ursprung der Sprachen im Mittelalter beschäftige und du mit der Sprachentwicklung der frühen Zeit Deutschlands?
Nein. Natürlich hat sich die deutsche Sprache verändert, wie jede andere Sprache auch. Aber das heißt nicht, dass die Grammatik des Deutschen an die des Lateinischen "angelehnt" wäre. Zumindest dann nicht, wenn man die "reale" deutsche Grammatik betrachtet - dass heißt die Regeln, nach denen die deutsche Sprache beobachtbar funktioniert.
  Was an das Lateinische angelehnt ist, ist die "klassische" Grammatiklehre - also das, was heutzutage gemeinhin als "Schulgrammatik" vermittelt wird. Aus dieser Diskrepanz lassen sich viele Probleme ableiten, weil diese grammatische Beschreibungsweise eben nicht immer beobachtungsadequat zum tatsächlichen Funktionieren der deutschen Sprache ist.
  Natürlich hat das Lateinische die reale Entwicklung der deutschen Sprache beeinflusst, auf zweierlei Weise. Zum einen, indem das Lateinische über lange Zeit hin Leit- und Gelehrtensprache war, und wie das Englische heute oder das Französische über die Normannen im Englischen seine Spuren hinterließ.
  Zum anderen aber auch, weil das Lateinische für lange Zeit die einzige Sprache war, für die ein grammatisches Beschreibungssystem existierte. Was dann dazu führte, dass man für das Deutsche zunächst kein "eigenes" System entwickelte, sondern einfach versuchte, das Lateinische zurechtzubiegen, bis es auf deutsche Grammatikphänomene "passte". Was ganz nebenbei auch dafür sorgte, dass viele grammatische Phänome im Deutschen heute dieselben Bezeichnungen tragen wie im Lateinischen - aber nicht, weil sie sich ans "Lateinische" anlehnen, sondern weil es universelle Phänomene sind, die in vielen Sprachen vorkommen, und für die man halt nur zufällig die lateinischen Begriffe übernommen hat, weil sie zuerst da waren.
  Dieses zunächst nur mäßig beobachtungsadequate deskriptive System, das man aus der lateinischen Grammatik fürs Deutsche abgeleitet hat, wurde dann als normatives System vermittelt und wurde dann zum zweiten Faktor, durch denn lateinische Grammatikeinflüsse auf die reale deutsche Sprache einwirken konnten. Allerdings war es früher noch mehr als heute so, dass sich ein Sprachsystem nur sehr schwerfällig von oben verordnen lässt, so dass auch heute noch die vom Lateinischen abgeleiteten Komponenten im Sprachsystem eher marginal bleiben.
  Sonsten hätten wir hier ja eine romanische und keine germanische Sprache mehr ;)
  Jedenfalls muss man, wenn man von "Grammatik" spricht, deutlich zwischen den Regelmäßigkeiten unterscheiden, denen die Sprache tatsächlich folgt, und den Regelwerken, die versuchen, diese Regelmäßigkeiten zu beschreiben.

Das "Deutsche" hatte natürlich schon zu Anfang seiner Entwicklung eine eigene Grammatik im Sinne dieser "Regelmäßigkeiten", auch wenn die damals nicht in "Regelwerken" festgehalten war. Und an diese Ursprünge lehnt sich auch das Deutsche heute noch sehr viel stärker an als an die lateinische Grammatik - obwohl die moderne Grammatik natürlich weder mit dem einen noch mit dem anderen identisch ist.
  Vergleicht man die Veränderungen zwischen modernem Hochdeutsch, mittelhochdeutsch etc., neigt man allerdings leicht dazu, das Ausmaß der Veränderung zu überschätzen. Nicht alles, was wir heute als "anders" wahrnehmen, ist der Zeit und der Entwicklung geschuldet. Grundlage für die "Hochsprache" bildet stets ein regionaler Dialekt, beim Mittelhochdeutschen beispielsweise das Süddeutsche ... und noch früher lässt sich gar keine "Hochsprache" verorten. Frühere Formen des Deutschen haben also mit heutigen Dialekten aus dem mundartlichen Raum, aus dem auch die frühsprachlichen Quellen kommen, durchaus noch mehr zu tun, als wenn man nur das "Hochdeutsch" als modernes Deutsch betrachtet. Ich beispielsweise als gebürtiger Münchner habe Mittelhochdeutsch immer als recht vertraut empfunden - zumindest dann, wenn ich die recht artifizielle Schreibweise in den geschriebenen Editionen für mich in "gesprochenes Deutsch" übersetzt habe. ;)

Aidan

Ich bin im Moment nicht fit genug, um inhaltlich berauschend etwas zum Thema beizutragen, aber ich muss eines einfach mal erwähnen:

Es ist klasse euch zuzuhö- lesen! Ihr widerlegt gerade gewaltig den Titel des Threads! So gefällt mir die deutsche Sprache, so habe ich sie gelernt und genieße ich sie!

Ich mag diese Sprache, wobei es auch die einzige ist, die ich flüssig sprechen kann. Englisch mochte ich noch nie. Französisch habe ich gerne gelernt und gesprochen, bin aber nie weit gekommen und Latein haben wir nie sprechen dürfen, nur vorlesen, übersetzen und Vokabeln pauken. Und dennoch hat mir Latein gefallen. Und mit dem Lateinunterricht habe ich die grammatischen Regeln verstanden - nicht im Deutschunterricht - und die ersten Schritte zu einer bewussten Rhetorik kennengelernt: die Stilmittel.
"Wenn du fliegen willst reicht es nicht, die Flügel auszubreiten. Du musst auch die Ketten lösen, die dich am Boden halten!"

,,NEVER loose your song! Play it. Sing it. But never stop it, because someone else is listening."

Steffi

Zitat von: Lomax am 09. Dezember 2008, 18:42:13
Ich beispielsweise als gebürtiger Münchner habe Mittelhochdeutsch immer als recht vertraut empfunden - zumindest dann, wenn ich die recht artifizielle Schreibweise in den geschriebenen Editionen für mich in "gesprochenes Deutsch" übersetzt habe. ;)

Huch, und ich war immer der Auffassung, das Mittelhochdeutsche sei mit dem Niederdeutschen verwandt. Zumindest hatten meine Kommilitonen, die Nahe der Grenze zu Holland wohnten und so zwangsläufig eher in Kontakt mit dem Niederländischen kamen, wesentlich weniger Probleme mit den Übersetzungsaufgaben als ich.
Sic parvis magna

Lomax

Zitat von: Winterkind am 09. Dezember 2008, 19:32:18... mit dem Lateinunterricht habe ich die grammatischen Regeln verstanden - nicht im Deutschunterricht
... was im übrigen durchaus ein interessanter Beitrag zum Thema ist. Von dieser Erfahrung berichten nämlich viele. Und sie kommt nicht von ungefähr: Gerade weil das, was man in der Schule an Grammatik lernt, sehr stark ans Lateinische angelehnt ist, muss man im Deutschen meist nicht lange rumprobieren, bis man auf Ausnahmen und Widersprüche stößt. Das verwirrt dann natürlich und verstellt oft den Blick auf das Kernverständnis der Regeln.
  Beim Latein hingegen "funktioniert" die Grammatik und gewinnt dadurch eine nachvollziehbare Ordnung. Und wenn man die erst mal durchschaut hat, fällt es einem auch leichter, Grammatikphänomene im Deutschen zuzordnen - und mit den Grenzbereichen, wo's Probleme gibt, klarzukommen.
  Ich für meinen Teil hatte den Verständnisschub leider erst an der Uni, als auch für's Deutsche stringente Grammatikregeln vorgestellt wurden und die Probleme der klassischen Grammatik explizit benannt - nicht schamhaft drumherumgeredet, wie's im Deutschunterricht meist geschieht. Was sicher auch damit zu tun hat, dass man in den Hauptseminaren zur Syntax eigentlich kaum jemals einen Lehramtsstudenten sitzen sieht ;)

Lomax

Zitat von: Steffi am 09. Dezember 2008, 19:40:49Huch, und ich war immer der Auffassung, das Mittelhochdeutsche sei mit dem Niederdeutschen verwandt. Zumindest hatten meine Kommilitonen, die Nahe der Grenze zu Holland wohnten und so zwangsläufig eher in Kontakt mit dem Niederländischen kamen, wesentlich weniger Probleme mit den Übersetzungsaufgaben als ich.
Es gab natürlich auch regional anders beeinflusste Quellen - aber das, was man als "überregionales" Mittelhochdeutsch kennt, ist eindeutig süddeutsch geprägt. Der Königshof setzt das kulturelle Zentrum ;)

Churke

Zitat von: Steffi am 09. Dezember 2008, 19:40:49
Huch, und ich war immer der Auffassung, das Mittelhochdeutsche sei mit dem Niederdeutschen verwandt. Zumindest hatten meine Kommilitonen, die Nahe der Grenze zu Holland wohnten und so zwangsläufig eher in Kontakt mit dem Niederländischen kamen, wesentlich weniger Probleme mit den Übersetzungsaufgaben als ich.

Der Grund ist wahrscheinlich der, dass dem Niederdeutschen einige Lautverschiebungen fehlen, die es auch im Mittelhochdeutschen noch nicht gab.

Lomax

Zitat von: Churke am 09. Dezember 2008, 20:24:39Der Grund ist wahrscheinlich der, dass dem Niederdeutschen einige Lautverschiebungen fehlen, die es auch im Mittelhochdeutschen noch nicht gab.
Wundert mich aber doch, dass mit den Niederdeutschen. Denn ich verstehe von Mittelhochdeutsch ehrlich gesagt intuitiv deutlich mehr als bei tiefstem niederdeutschen Dialekt. Ehrlich gesagt ist bei mir schon in der Eifel Schluss. Da hab ich mich ja mal, als eine Arbeitskollegin mit Zuhause telefoniert hat, gewundert, dass die auch türkisch kann :-X

Manja_Bindig

*lach* Genau das meine ich damit, wenn ich sage, dass die Deutsche Schriftprache vereinheitlicht werden musste - bevor der werte Herr Duden das gemacht hat, hat ja jeder geschrieben, wie er gesprochen hat(so, wie Tenryu es auch eingangs gefordert hat),

Problem ist nun mal bei der Sache - für einen Sachsen ist Bayrisch schon gesprochen ein absoluter Horror.

Und Dialekte in Schriftform sind schlimmer als Suaheli rückwärts. Es musste nun mal vereinheitlicht werden.

Churke

Zitat von: Manja am 10. Dezember 2008, 00:06:42
*lach* Genau das meine ich damit, wenn ich sage, dass die Deutsche Schriftprache vereinheitlicht werden musste - bevor der werte Herr Duden das gemacht hat, hat ja jeder geschrieben, wie er gesprochen hat(so, wie Tenryu es auch eingangs gefordert hat),
Die Entstehung des Hochdeutschen ist simpel: Luther verwendete die sächsische Kanzleisprache, weil die von allen Deutschen am besten verstanden wurde. Und was die Rechtschreibung betrifft, wenn ich mir die alten Bücher im Schrank anschaue, oder auch alte Quellen, dann wird da keineswegs drauflos geschrieben, sondern die Leute hielten sich an im wahrsten Sinne des Wortes ungeschriebene Regeln. Als absolut peinlich galten Grammatikfehler wie z.B. der Klassiker "das" statt "dass" bzw. "daß", weil man damit offenbarte, dass man kein Deutsch konnte.

Aithoriell

@Lomax
Ja, ich bin halt nur Hobbysprachwissenschaftler und Stammtischphilosoph! Danke für deine Ausführlichkeit. So lasse ich mir Dinge gerne erklären. Bin ja nicht unbelehrbar. Bleibt allerdings die Frage - und die ist bisher noch gar nicht beantwortet - woher dann kommt das Deutsch? Es war ja nicht *schwupp* einfach da. Es ist nämlich immer so, dass von den Germanen als Einheit gesprochen wird (besonders von ein paar braunen Granitköpfen) aber diese gab es ja nicht. Hast denn dazu auch noch einen kleinen Abriss für ein wissbegieriges Menschlein?

Lomax

Zitat von: Aithoriell am 10. Dezember 2008, 14:29:08Bleibt allerdings die Frage - und die ist bisher noch gar nicht beantwortet - woher dann kommt das Deutsch? Es war ja nicht *schwupp* einfach da.
Was soll man dazu sagen? Sprachen haben einen Stammbaum, ebenso wie die Menschen, die sie sprechen. Irgendwann auf diesem Stammbaum, und gar nicht mal sooo weit zurück, hatten auch "Deutsch" und "Latein" denselben Vorfahren. Insofern haben die beiden Sprachen schon deshalb eine Menge gemeinsam, weil sie noch vergleichsweise eng verwandt sind.
  Man könnte jetzt hingehen und den Stammbaum einfach über eine Entwicklungslinie zum Mittelhochdeutschen, Althochdeutschen, Germanischen, Indogermanischen ... zurückverfolgen. Wobei das Problem ist, dass all diese Bezeichnungen auch nicht wirklich die "echten" Ursprünge sind, sondern ebenso später gesetzte Kunstbegriffe, denen tatsächlich mehrere, real gesprochene, aber ähnliche "Dialekte" zugerechnet werden. Genau wie neben dem heutigen "Hochdeutsch" ja auch jede Menge regionale Färbungen und Mundarten existieren, die auch allesamt Deutsch sind.
  Ich denke also, man kann durchaus vereinfacht festhalten, dass sich das "Deutsche" aus dem "Germanischen" entwickelt hat - wenn man im Hinterkopf behält, dass es nie eine einzige und einheitliche "germanische" Sprache gab. Es sind Sammelbegriffe, und die werden oft auch politisch zugeordnet. Selbst heute noch. Rein sprachlich betrachtet ist beispielsweise das Niederländische eine niederdeutsche Mundart, genauso viel oder wenig eigenständig gegenüber dem Hochdeutschen wie "Plattdeutsche" oder "Bayerische" Sprachvarianten. Trotzdem werden all diese anderen regionalen Varianten nur als Mundarten angesehen, während das Niederländische auf sein Recht als eigenständige Sprache pocht.
  Deswegen sollte man auch nicht so sehr auf die Namen schauen, sondern auf die Inhalte dahinter.

Das Problem ist, dass es eben keine reine, geradlinige Entwicklung von diesen "Vorgängern" zum heutigen Deutsch gab. Nehmen wir als Beispiel das "Mittelhochdeutsche". Vereinfach lässt sich sagen: Hochdeutsch hat sich aus dem Mittelhochdeutschen entwickelt. Problem 1: Es gab nie eine Sprache "Mittelhochdeutsch". Man hat eine Fülle von Quellen aus einem "mittelhochdeutschen Zeitalter", die mehr oder minder unterschiedlichen Regionen entstammen und daher je nach Herkunft sehr unterschiedlich sind. Natürlich gab es zu diesen Zeiten allerdings "kulturelle Zentren", die mit ihrer Sprache ein gewisse Strahlkraft hatten, in denen viel geschrieben wurde oder aber bedeutsame Werke, die anderen Schreibern als Vorbild dienten. Der Einfachkeit halber konstruiert die Altgermanistik also ein einheitliches Konstrukt "Mittelhochdeutsch", das sich am Sprachgebrauch dieser kulturellen Zentren und der davon beeinflussten Literatur orientiert. Was zum Unterproblem zwei führt: Neben den Quellen aus dem "mittelhochdeutschen Zeitalter", die abseits der kulturellen Zentren geschrieben wurden und die daher selbst mit Kenntnissen der "zeitgenössischen Hochsprache" nur noch schwer zu lesen sind, sind diese Zentren dann auch noch ein wenig gewandert, so dass im Idealkonstrukt "Mittelhochdeutsch" mehrere leicht unterschiedliche Variationen zusammenfließen, die real nicht gleichzeitig existiert haben.
  Dieser Wust an Variationen, der im "mittelhochdeutschen Zeitalter" existierte und mehr oder minder nah an dem dran war, was wir heute als "Mittelhochdeutsch" bezeichnen, hat sich dann im Laufe der Zeit verändert. Problem 2 (oben angesprochen): Was wir dann heute als Hochdeutsch kennen, ist nicht einfach nur das Ergebnis dieser zeitlichen Veränderung. Wie Churke schon ansprach, es ist zusätzlich eine regionale Verschiebung. Wobei das heutige Hochdeutsch auch nicht einfach nur eine Verschiebung von den tendenziell süddeutschen Schwerpunkten des Mittelhochdeutschen hin zur sächsischen Kanzleisprache ist, aus der sich dann durch zeitliche Veränderung der heutige Stand entwickelt hat. Während dieses Zeitraums fand auch noch eine weitere regionale Verschiebung statt. Während des ganzen Zeitraums der Entwicklung ergab sich also immer der aktuelle Stand der "Leitsprache" aus der zeitlichen Veränderung der Mundarten & der alten Leitsprache + dem Einfluss, den die letzte "Leitsprache" durch ihre Dominanz kulturprägender Schriften (bspw. die Lutherbibel ;)) ausübte + dem Einfluss der regionalen Mundart, in der sich das neue kulturelle Zentrum befand. Und während sich die "Leitsprache" auf diese Weise entwickelte, bestanden alle vorhandenen Mundarten daneben fort oder entwickelten sich auf ihre eigene Weise, um dann in Zukunft wieder die Leitsprache zu beeinflussen.
  So war es vom Mittelhochdeutschen bis heute. Und so war es wohl auch zwischen dem Mittelhochdeutschen und dessen "Vorfahren". Das Deutsche hat sich also durchaus aus dem Germanischen entwickelt - aber nicht in einer eindeutigen, diachronen "Entwicklungslinie", sondern eher in einem komplexen "Wirkungsnetz".