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Jester: Besseres erschaffen aus scharfen Scherben

Begonnen von Arcor, Heute um 11:39:11

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Arcor

Liebe TiZis, kurz vor Weihnachten bekommen wir Zuwachs aus der Schweiz, der sich selbst als Sklave seiner Katze bezeichnet und liebend gern seinem Kopfkissen zuhört. Herzlich Willkommen Jester!


Wer bist du?
Eine ausgesprochen philosophische Frage. Glücklicherweise verfüge ich über einen Master in Philosophie und bin dementsprechend in der Lage, mit einem durchdachten «nicht sicher» zu antworten.

Grundsätzlich handelt es sich bei einem Ich um eine Person in einem bestimmten Kontext. Ich bin also eine Person – Tag auch – und ich befinde mich immer mal wieder in einem anderen Kontext:

Zu den üblichen Öffnungszeiten arbeite ich als Texter und Projektleiter bei einer Kommunikationsagentur in Zürich (darum sind meist keine «ß» von mir zu erwarten). Unmittelbar vor bzw. nach den üblichen Öffnungszeiten bin ich Pendler, der sich stumm über schmatzende Opas im Zug nervt. Vor bzw. nach meinem Dasein als Pendler fülle ich meinen Magen mit allem, was Italiens Küchen zu bieten haben, und höre mit grosser Passion meinem Kopfkissen zu – es erzählt traumhafte Geschichten. Vor bzw. nach einer Arbeitswoche pflege ich den Garten unseres 16-jährigen Golden Retrievers, schraube irgendwelchen Dinger mit mehr oder weniger praktischem Nutzen zusammen, klatsche Farbe auf Leinwände oder lache mit meiner Frau.

Neben diesen variablen Kontexten gibt es drei, die konstant bestehen: 1) Ich bin der Sklave unserer Katze. 2) Ich trage immer Masken, wie ihr auch. 3) In meinem Kopf schreiben sich Geschichten.


Was schreibst du?
Mit ca. 18 habe ich erste Versuche gewagt, das, was sich in meinem Kopf abspielt, in Worte zu fassen. Talent fürs Schreiben besitze ich höchstens in durchschnittlicher Menge, aber ich glaube, meine Ideen und Perspektiven sind zum Teil interessant.

Ich befasse mich gern mit komplexen Charakteren, mit dem Absurden und mit der Interaktion verschiedener Strukturen des Geschichtenerzählens: Wie sich Worldbuilding in den Charakteren und im Plot widerspiegelt. Wie eine Beschreibung nicht in erster Linie die Landschaft, sondern die Gefühle der Protas zeigen kann. Wie das Theme jeden Aspekt einer Geschichte durchzieht und zusammenhält wie die Schwerkraft das Universum.

Bislang durfte ich ein paarmal in einem Literaturmagazin und einmal in einer Anthologie publizieren, zum Teil Fantasy, zum Teil Undefinierbares. Momentan sammle ich wie verrückt Absagen für ein Buchmanuskript, das nebenbei entstanden ist: ViktorI∀, ein Roboter der nahen Zukunft, fühlt wie ein Mensch. Originell, wie Grosskonzerne so sind, haben sie aus ihm einen Sexroboter gemacht. Denn sein Empathievermögen hilft ihm dabei, seine Dienstleistungen perfekt zu erbringen. Die Kehrseite: Er fühlt die Misere seiner eigenen Existenz. Die Geschichte dreht sich darum, wie ViktorI∀ um die Welt reist und Glück sucht (want), bis er sein Menschsein akzeptieren kann (need). Kurz: AI meets Frankenstein.

Und dann gibt's da noch dieses andere Manuskript ...

Warum wir? Warum du?
Wegen des anderen Manuskripts. (Überraschend, ich weiss.) Das Theme dieser High Fantasy-Geschichte lautet: Wie sollen verfluchte Person mit ihrem Fluch umgehen? Akzeptieren? Ignorieren? Leugnen? Oder brechen um jeden Preis? Dazu geht es um die Auseinandersetzung mit Fantasy Tropes, um psychische Gesundheit und um Fragen der Realität. Für mehr Jahre, als ich eingestehen möchte, habe ich meine Seele für dieses Projekt ausgekotzt. Die Ablehnungen der Agenturen und die Ausscheidung in der Vorrunde beim PAN waren entsprechend hart anzunehmen.

Momentan bin ich also damit beschäftigt, mein zersplittertes Selbstwertgefühl und den Glauben an mein Werk zusammenzuwischen und einen guten Sekundenkleber zu finden. Da ich mit dieser Erfahrung wohl nicht allein bin, dachte ich, dass ich im Tintenzirkel vielleicht andere dabei unterstützen kann, aufzustehen und weiterzumachen, wenn es schwer wird. Wir brauchen eure Geschichten. Und je länger, je mehr bin ich davon überzeugt, dass Kunst in jeder Form explizit nicht «competitive» sein und sich nicht um Geld drehen darf. Der Tintenzirkel schafft in diesem Sinn einen wertvollen Gegenpol im Buchmarkt, den ich gern verstärken möchte.


Kurze Kostprobe
Eisblumen wucherten wie Unkraut über die Fensterscheiben der Kutsche. Zum hundertsten Mal mähten Talantons Fingernägel die Blüten nieder, damit er in der Nacht draußen etwas erkennen konnte. Die verschneiten Hügel leuchteten silbern im Schein der drei Monde. Eine einsame Wettertanne verbog sich unter der Last des Schnees und der Eiszapfen, die an ihren Ästen hingen. Von Laternen oder Feuern fehlte noch immer jeglicher Schimmer. Talanton seufzte, und die Atemwolke, die er dabei ausstieß, beschlug das Fenster. Nahrung für neue Eisblumen.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Barra

Willkommen Jester.
ZitatUnd dann gibt's da noch dieses andere Manuskript ...
Na, dann bist du hier richtig. Aufstehen, Krone richten, weitermachen. Ich selbst betrachte es auch weniger als ein gegen meine Mitautor*innen, wenn mein Projekt zum Beispiel bei PAN nicht weiterkommt. Sondern gönne es allen die weiterkommen und freue mich mit allen, die sich überwunden haben ein Exposé angefertigt zu haben. :prost:
Ich hoffe du kannst dich hier gut einfinden.
Bunte Grüße Barra