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Problematische Szene im Jugendbuch

Begonnen von Maja, Gestern um 13:30:13

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Maja

Ich sitze gerade über dem Exposé für "Seelenlos", um es meiner Sensitivitiyleserin schicken zu können. Damit sie die Möglichkeit hat, alle Fallstricke im Vorfeld zu finden, soll es für meine Verhältnisse sehr detailiert werden, sprich, ich muss mir deutlich mehr Plot im Vorfeld ausdenken, als ich das sonst tue. Jetzt ist mir eine Szene eingefallen, die sehr schön und stimmig ist, aber in einem Jugenbuch ab 12 problematisch sein könnte, weswegen ich sie einmal an euch vorbeitragen möchte.

Die Situation:

Kano, die gelähmt ist, darf ihr Dorf nicht verlassen, wo sie beschützt und behütet wird, damit ihr nichts zustößt. Wie alle Kinder und Jugendlichen bis zu einem gewissen Alter besitzt sie nur eine provisorische Seele, mit der sie im Todesfall nicht ins Jenseits einziehen kann und zu einem rastlosen Geist würde. Um eine vollwertige, unsterbliche Seele zu bekommen, müssen die Jugendlichen den Berg besteigen, auf dem die Götter leben, und von ihnen eine Seele empfangen - etwas, das Kano wegen ihrer Behinderung nicht möglich scheint.

Aber Kano hat gute Freunde unter den gleichaltrigen Jugendlichen, und als die soweit sind, sich selbst auf den Berg zu machen, beschließen sie, Kano einfach (oder auch nicht ganz so einfach) mitzunehmen, sie mit vereinten Kräften bis zum Gipfel zu tragen. Das Problem ist nur: Die Erwachsenen des Dorfes würden das nie erlauben, und wenn sich die vier auf den Weg machen, würden sie ganz schnell wieder eingesammelt und zurückgepfiffen.

Die Lösung, die mir vorgestern in einer schlaflosen Nacht gekommen ist, sieht folgendermaßen aus: Wenn Kano auf anderem Weg aus dem Dorf kommt, können ihre Freunde sie auf dem Weg zum Berg heimlich mitnehmen. Aber es gibt genau eine Möglichkeit, wie Kano das Dorf verlassen kann: Wenn sie in den Urwald gebracht wird, um dort, fern des Dorfes, zu sterben und es nicht als Geist heimzusuchen. So schmieden die Freunde einen bitteren Plan.

Kano erklärt, dass sie nicht mehr leben will, wenn sie nicht auch die Möglichkeit bekommt, eine richtige Seele zu erlangen. Ihre Eltern versuchen, ihr das auszureden, aber Kano bleibt fest: Sie will nicht mehr Leben. Unter Tränen trägt ihr Vater sie in den Wald, aber Kanos Freund und Ziehbruder Jono folgt ihnen, um zu wissen, wo sie Kano am nächsten Tag wiederfinden und einsammeln können.

Das gibt mir die Option auf eine wirklich herzzerreißende Szene, wenn mindestens Kanos Vater denkt, seine Tochter zu verlieren, und sie ihn bittet, etwas zu singen, um ihr den Abschied leichter zu machen (in Wirklichkeit, damit Jono ihnen leichter folgen kann). Und wenn das ein Buch für Erwachsene wäre, hätte ich keine Manschetten, die Szene auch so zu schreiben.

Bloß, es ist ein Buch für Zwölfjährige. Kann ich in einem Buch ab zwölf (das dann wahrscheinlich auch schon von Zehnjährigen gelesen wird) so eine Situation drin haben? Selbst wenn ich - in Kanos Perspektive - von Anfang an mit offenen Karten spiele und klar mache, dass sie natürlich nicht wirklich sterben will, aber verzweifelt genug ist, alles zu versuchen, um an ihre Seele zu kommen?

Ich danke euch für eure Einschätzungen! Wer mehr zur Geschichte wissen will, kann auch einen Blick in meinen Romanthread werfen.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Mondfräulein

Ich würde keine Szene ins Buch einbauen, in dem der Suizidwunsch einer Person so einfach hingenommen wird. Das wäre mir zu nah an Suizidverherrlichung dran. Mein Problem wäre hier vor allem der Umgang aller anderen mit ihren Suizidgedanken, auch wenn sie nicht wirklich sterben will. Sie sind traurig, nehmen es aber einfach hin und helfen ihr sogar noch bei ihrem scheinbaren Suizidversuch. Das würde ich, egal für welche Altersgruppe, auf keinen Fall so ins Buch aufnehmen.

Machst du es dir nicht selbst ein wenig schwer damit, wenn du sagst, dass es keine andere Möglichkeit für sie gibt, um heimlich den Berg zu erklimmen? Kano heimlich aus dem Dorf zu schmuggeln kann doch auch eine echt spannende Szene sein. Wenn die Kinder alle zusammenarbeiten kann ich mir nicht vorstellen, dass es da keine andere Möglichkeit geben kann.

Ary

Ich find's schwierig, auch wenn von Anfang an klar ist, dass Kano nicht sterben will, sondern nur verzweifelt nach einem Weg aus dem Dorf raus sucht. Dass ihre Eltern darauf eingehen, ist für mich der schwierige Part daran.

Da würde ich mich eher nach einer anderen Lösung umsehen. Kommen vielleicht mal Wagen/Händler ins Dorf und verlassen es auch wieder? Könnten ihre Freunde sie so vielleicht hinausschmuggeln? Haben sie vielleicht doch eine*n Erwachsenen als Verbündeten, der irgendwie helfen kann?
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Jammy


Ich schließe mich Mondfräulein an. Die Szene würde ich in einem Jugendbuch so nicht aufnehmen. Kanos Freunde und sie selbst wissen zwar, dass sie nicht wirklich suizidgefährdet ist und überleben wird, aber die Reaktion des Vaters wäre für mich problematisch. Selbst dann, wenn die Lesenden es von vornherein wissen. Er unterstützt Kano beim vermeintlichen Selbstmord, und wenn er für sein Kind aufgrund der Erkrankung (Erlangung der vollwertigen Seele aufgrund der Lähmung scheinbar nicht möglich) nur den Ausweg Tod sieht, hätte ich als Leser bei der Sache ehrlich gesagt kein gutes Gefühl.

Es gibt sicher Gründe, warum die Erwachsenen keine Möglichkeit haben, Kano auf den Berg zu tragen. Aber ich würde es tatsächlich bevorzugen, wenn die Jugendlichen einen Weg finden, sie heimlich aus dem Dorf zu bringen.
So spontan fällt mir Folgendes ein, aber das ist dann wahrscheinlich doch ein bisschen zu verworren: Der Vater tut so, als wäre er mit dem Selbstmord einverstanden und begleitet sie in den Wald. Aber tatsächlich hat er mitbekommen, welchen Plan die Freunde hegen und unterstützt diesen heimlich. Und obwohl er sich scheinbar für immer verabschiedet hat, weiß er, dass sie den Berg hinaufgetragen wird. Vielleicht folgt er ihnen sogar heimlich (falls das geht), um im Notfall eingreifen zu können.


"Als ich 25000 Wörter im Kasten hatte, merkte ich, dass ich mich in eine Sackgasse geschrieben hatte. Mein Roman hatte zwei Charaktere, und zu meiner Bestürzung stellte ich fest, dass ich beide umgebracht hatte. Das war ein ziemlich gravierender Handlungsfehler."

J. Simpson: The beckoning silence

Alana

Ich würde das auch in einem Buch für Erwachsene nicht machen. Auch deswegen, weil es mir ehrlich gesagt nicht so auswegmlos vorkommt, dass man zu solchen Mitteln greifen müsste.
Alhambrana

Maja

Danke für eure Kommentare, das ist eindeutig und bekräftigt mich darin, dass die Idee in die Tonne gehört.

Ich werde jetzt im Exposé erstmal offen lassen, wie genau sie Kano aus dem Dorf und auf den Berg bekommen, und mir für die konkrete Lösung Zeit lassen, bis ich das Buch wirklich schreibe - ist für den Nano geplant, abhängig von dem, was die Sensitivityleserin sagt und dann die Lektorin.

Da ich dann eventuell auch eure Hilfe nochmal brauchen könnte, lasse ich den Thread so lange offen und melde mich beizeiten nochmal. Vielen Dank!
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Alana

#6
Ich stolpere übrigens auch etwas über den Begriff der unsterblichen Seele. Der ist für mich sehr stark christlich katholisch besetzt mit allen Implikationen. Natürlich haben Christen das Konzept nicht gepachtet, ich würde aber, wenn es meine Geschichte wäre, eine andere Bezeichnung dafür finden wollen. Ich weiß jetzt auch nicht, wie dein Plot am Ende ausgeht, aber ich denke, man muss hier sehr vorsichtig sein, nicht in die Richtung abzurutschem, dass nur Menschen, die den Glaubensrichtlinien entsprechen, in den "Himmel" kommen. Ich würde mir bei so einem Buch die kritische Betrachtung gerade solcher toxischen Lehren und ein entsprechendes Ende wünschen, wo nicht die Lösung ist, dass alle eine unsterbliche Seele erhalten, sondern dass festgestellt wird, dass die "Erlösung" aus einem selbst kommt oder dergleichen. Aber vielleicht hast du das eh geplant, Es fiel mir nur ein und ich dachte, ich lasse dir das da.
Alhambrana

Fianna

#7
Das von Dir beschriebene Szenario setzt voraus, dass die Erwachsenen wissen, das Kano das Dorf verlässt.

Im Prinzip müsste sie doch vor allem ungestört in ihrem Haus sein, damit niemand merkt, dass sie weg ist.
Sie könnte doch eine unangenehme, aber nicht schwerwiegende (fiebrige?) Krankheit vortäuschen, die sowieso gerade im Dorf umgeht, und aus Ansteckungsgründen gibts nur eine Bezugsperson, die Kano pflegt.
Diese ist aber eingeweiht (vielleicht auch eher jung, ältere Teenagerin?)und tut nur so, als würde sie Kano Essen & Medikamente bringen.

Dann müssen die Kids nur noch Kano aus dem Dorf schmuggeln, aber das müsste trotz strenger Verbote und Sicherheitsmassnahmen möglich sein.

Z.b. Wachpersonal, das einnickt, weil am Vortag ein Verwandter Geburtstag feierte, oder hat lange Karten gespielt oder gelesen ... die Kids könnten entweder das Rausschmuggeln davon abhängig machen, an welchem Tag die tendenziell unzuverlässige Person dran ist, oder die Schlaflosigkeit provozieren (ein Bruder oder Cousin wird angestiftet, mit der Wachperson zu wetten & daher wird solange abends gespielt o.ä.).