Ich glaube, wir tangieren hier auch die Grundsatzdiskussion "Wie genau soll ich erzählen?". Wenn ich beschreibe, ist es wichtig, dass die Leser*innen wissen, wie viele Zentimeter die Körpergröße meiner Figuren ergibt, wie viel Kilogramm sie wiegen, wie der Stoff ihrer Kleidung fällt etc.? Ich glaube, dieses Detailwissen ist per se uninteressant, kann aber in gewissen Situationen eine Erwähnung wert sein.
Die weiße Überrepräsentation in den Medien stellt uns meiner Meinung nach vor ein zweischneidiges Problem: Wenn wir nichtweiße Figuren schreiben wollen, müssen wir das auf die eine oder andere Weise erwähnen, indem wir Merkmale herausstreichen, die darauf schließen lassen, dass die Figur nicht weiß ist, sonst spielt das Unerwähntgelassensein jener "Marker" der weißen Defaulteinstellung in die Hände.
Gleichzeitig führt die Erwähnung aber auch zu einer gewissen Erwartungshaltung, wenn betont wird, dass eine Figur nichtweiß ist, denn sie provoziert die Frage: Wieso wird mir das jetzt unter die Nase gerieben, dass die Figur nicht weiß ist? Steckt darin irgendeine Anspielung/Andeutung?
Ich nehme mal ein Beispiel, das wohl die meisten hier kennen: Im Fernsehen/Radio wird über ein Verbrechen berichtet. Hat die*r Täter*in österreichische Nationalität (= default in Österreich), wird dies unter den Tisch fallen gelassen. Ist aber eine andere als die österreichische Nationalität im Spiel, wird das "natürlich" erwähnt. Wieso? Weil man uns glauben lassen will, alle, die nicht österreichische Nationalität sind, wären krimineller als jene mit.
Ich beziehe mich jetzt noch immer auf die Darstellung von Nebenfiguren, die praktisch unwichtig sind. Jetzt kann die Erwähnung von nichtweißer Merkmale so neutral wie möglich stattfinden, wenn sie aber für den Kontext völlig irrelevant sind, bin ich der Meinung, dass das voreingenommene Denken der Leser*innen anspringen lässt und mehr zwischen den Zeilen gelesen wird, als tatsächlich dasteht. Ich weiß nicht mehr, in welchem Video die
Youtuberin Riley folgendes Beispiel gebracht hat (ich zitiere jetzt aus dem Gedächtnis): "Wenn ihr erzählt, ihr habt ein Video von einer trans Youtuberin über Themen über trans Erfahrungen gesehen, ist das okay. Wenn ihr aber sagt, ihr hättet ein Video einer trans Youtuberin übers Reisen gesehen, frage ich mich, wieso müsst ihr erwähnen, dass diese Person trans ist? Im ersten Fall ist die Info, dass die Youtuberin trans ist, relevant, da sie ihre Kompetenz, über derlei Themen zu sprechen, legitimiert. Im zweiten Fall tut es nichts zur Sache, ob die Youtuberin trans ist oder nicht."
Ich verstehe dein Beispiel @Rabe, worauf du achtest, wenn dir eine Person auf der Straße begegnet, aber müssen all diese Dinge tatsächlich erwähnt werden? Welcher erzählerischer Mehrwert ergibt sich daraus?
Letztens ist mir eine Person beim Joggen begegnet. Sie ist mir zuerst auf dem ersten Kilometer begegnet und dann 45 Minuten später auf dem letzten wieder. Beim zweiten Mal hat sie mich angesprochen und mir voller Stolz auf ihrem Handy gezeigt, wie sie gelaufen ist und hat mir erzählt, dass sie jeden Tag 10 km läuft. Wir haben uns davor noch nie gesehen und seitdem auch nicht wieder. Was ich wahrgenommen habe - mit meiner vorurteilbehafteten Wahrnehmung -, war: Ein Mann, 50+, mit türkischem Akzent (ich bin ganz schlecht mit Akzenten, es hätte genauso gut ein serbischer, kroatischer etc. sein können). Ich habe mich über diese zweifache Zufallsbekanntschaft und ihre offene Art so gefreut, dass ich so von ihr erzählt habe: "Eine Person, älter als ich, so um die 50, denke ich, hat mir erzählt, dass sie täglich 10km läuft." Die restlichen, von mir wahrgenommenen Merkmale habe ich nicht erwähnt, weil sie nichts zur Sache taten. Was ich für erwähnenswert bei der Beschreibung der Person hielt, war ihr Alter, weil ich diese Einschätzung im Zusammenspiel mit der Info, sie würde täglich 10 km laufen (was viel mehr ist, was ich laufe, obwohl ich ein paar Jahrzehnte jünger bin, als ich sie schätze) für interessant hielt. Der für mich fremde Akzent war ein Merkmal der Person und wahrscheinlich auch ein Teil ihrer Identität, aber muss ich sie darauf reduzieren, indem ich genau dieses Detail eines Aufeinandertreffens von wenigen Sekunden hervorhebe?
Das ist mein Zugang zu Nebenfiguren wie im anfangs gebrachten Beispiel mit der Bushaltestelle. Sie kommen nur wenige Sekunden/Zeilen vor, ihre Nationalität, ihr Phänotyp haben keinerlei Auswirkungen darauf, wie sie sich gegenüber der perspektiventragenden Figur verhalten, wieso sollte ich also gerade diese Dinge erwähnen? Wenn sich ein längeres Gespräch ergibt, könnte ein Akzent erwähnt werden, der gewisse Wörter besonders klingen lässt. Aber auch da muss man aufpassen, keinen Stereotypen zu verfallen.
Daraus ergeben sich zwei Grundsätze, mit denen ich mich bis jetzt am wohlsten fühle, und auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, führe ich sie hier (noch einmal) in aller Kürze aus:
- Gleichbehandlung meiner Figuren - erwähne ich ein Merkmal (Hautfarbe, Haarfarbe, Statur etc.) bei einer Figur, sollte dieses Merkmal bei dem Großteil meiner Figuren ebenso erwähnt werden. (Siehe das Beispiel mit dem Akzent, wenn ich es erwähne, dann sollten Aussprache und Satzmelodie auch bei anderen Figuren thematisiert werden)
- Beschreibung nichtweißer Figuren, wenn sie angemessen ist, Qualität geht über Quantität.