Es ist ungewohnt und wahrscheinlich auch ungewöhnlich, da gebe ich dir Recht. Ob es der Mehrheit gefällt, weiß ich erst, wenn ich es im Herbst veröffentliche. Das bisherige Feedback war dann negativ(er), wenn die Personen nicht gut auseinander haltbar waren und es zu Verwirrung kommt, wer denn nun was sagt. Mir wurden eher auktoriale Einschübe angekreidet als Perspektivenwechsel, wo mir mein eigenes Gefühl auch sagt, dass auktoriale Sätze raus müssen.
Ich denke, es kommt auf die Mischung an und ob sich die Geschichte dafür eignet. Wenn im gesamten Roman 99% nur eine Perspektive da ist und dann plötzlich eine neue auftaucht, weil es einfach nicht anders geht, dann würde es mich stören - außer mir wird eine stichhaltige Begründung angeboten. Ich habe sehr viele Erzählstränge, die genügend Input für unterschiedliche Perspektiven beinhalten. Je komplexer die Handlung, je größer das Personal ist, desto eher halte ich Multiperspektive auf diese Weise passend, weil einfach mehr Leute Unterschiedliches zu denken, zu sagen und zu tun haben.
In einem Satz selbst würde ich nie die Perspektive wechseln, das ist einfach nur verwirrend. Ein Satz = ein Gedanke eines*r Perspektiventräger*in. Ein Absatz, wenn er lang genug ist, kann bei Person A anfangen und mit Person B aufhören. Aber auch nur wenn die Perspektive Person B länger anhält als nur wenige Sätze. Generell trenne ich mittels Absätzen (keine Leerzeilen dazwischen), einfach weil ein Absatz in der Regel auch für eine kurze Abfolge von Gedanken, Handlung etc. innerhalb einer Miniargumentation steht.
In einer ruhigeren Szene, wenn eher resümmiert wird, was in der actiongeladeneren passiert ist, habe ich meistens nur eine Perspektive, weil die dann auch eher das Mindset hat, das Verhalten von anderen zu registrieren, zu reflektieren und darauf zu reagieren.
In einer actiongeladenen Szene kann ich schon mal viel mehr Perspektiven haben [ich krame in meinem Manuskript]: Bei 13 Figuren mit Dialog habe ich in einer Szene (= 1 zugrundeliegender Konflikt, meistens auch an einem Ort) an die 7 Perspektiven drinnen, wovon einige mehr Raum einnehmen als andere. Diese 7 Perspektiven sind durch mindestens ein "einzigartiges" Element in der Szene geprägt, sodass sie sich (abgesehen von den individuellen Persönlichkeiten der Erzähler*innen) auseinanderhalten, in dem Fall wären das Skepsis, Hybris, Beschützerinstinkt, Interesse, der Wille, zu glauben, Angst und Überforderung (das Fantasy-Element tritt zum ersten Mal offensichtlich in Erscheinung für die menschlichen Protagonist*innen). Das sind jeweils die vorherrschenden Motive der einzelnen Perspektiven, denen "Miniplots" unterliegen, um die restlichen Figuren miteinzuflechten. Diese Szene dauert ca. 10-15 NS (je nachdem, ob man die "Einführung" dazu zählt oder nicht).
Wichtig finde ich: Die Perspektiven müssen verlässlich und unterscheidbar sein (was sie für gewöhnlich sind, wenn sie verlässlich sind). Verlässlich heißt, ich als Autor*in kenne meine Figuren in- und auswendig und habe sie auch so gut ausgearbeitet, dass Leser*innen nur einen Satz lesen brauchen und genau wissen, aus wessen Perspektive der stammt. Wenn zwei Perspektiven genau dasselbe sagen, denken und auf dieselbe Weise reagieren, kommt man locker mit einer Perspektive aus. Wie gesagt, es kommt auf den Mehrwert an, den die Szene durch jede weitere Perspektive erhält.
In deinem Beispiel würde ich entweder die Perspektive der anderen Figur ausbauen, sodass diese nicht erst dann zu "sprechen" beginnt, wenn es offensichtlich ist, dass du sie nur jetzt zu Wort kommen lässt, um die Abwesenheit der Protagonistin zu kommentieren, oder sie streichen.
Was ich persönlich gar nicht ausstehen kann, sind Bücher in der Ich-Perspektive und dann kommen Kapiteleinsprengsel in der 3. Person, die die Gedankenwelt der Antagonist*innen bzw. Nebenfiguren beleuchten sollen. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass die Ich-Perspektive nicht gereicht hat, um alles, was erzählenswert ist, unterzubringen, und man noch krampfhaft versucht, aus einer anderen Ecke Infos einzustreuen.