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Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?

Begonnen von Maria, 10. September 2019, 13:20:56

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Maria

Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 09:34:39
Warte mal, ist deine Frage gerade ernsthaft: "Was halten denn alte weiße cishetero Männer von Diversität?" Weil es liest sich so, als wäre das deine Frage. Denn Rate mal, wer einen nicht unerheblichen Teil der "Fachmenschen" ausmacht, die ihrerseits einen Bias gegen Geschichten haben, in denen ihre Art nicht die Hauptrolle spielt?

Ich habe ein bisschen auf der Buchpreisseite gestöbert.
Es sind zwei Frauen und fünf Männer, geboren zwischen 1948 und 1975.
Und ich habe mir die Bücher angesehen, ich denke für Diversitätsinteressierte ist gleich der zweite Titel interessant:
https://www.fischerverlage.de/buch/miku_sophie_kuehmel_kintsugi/9783103974591
Da kommt auch ein queeres Paar vor als zentrale Hauptfiguren. Und offenbar hat die Textqualität überzeugt.
Das finde ich mal sehr ermutigend.
Und ich sträube mich, alle Menschen über einen Kamm zu scheren, in einen Topf zu werfen, allein wegen ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe und ihres Alters.

Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 09:34:39
Sorry, aber das klingt für mich nur nach einem furchtbaren Bad Faith Argument, dass einfach nur eine Ausrede geben soll, sich nicht mehr anzustrengend. Die fantastischen Elemente entführen aus dem Alltag - wenn du fantastische Weißheit oder fantastische Cisheterokeit brauchst, um deinem Alltag zu entfliehen und dich wirklich wohl zu fühlen ... dann sagt das in meinen Augen einiges aus und nichts davon ist gut.

Schlechte Gläubigkeit? Das Wort kann ich in diesem Zusammenhang nicht richtig einordnen.  ???
Ja, ich lese Fantasy, SF und Historische Romane und keine Gegenwartsliteratur, weil ich die Gegenwart erlebe, über andere Medien mitbekomme und daher gern eine halbe bis eine Stunde am Tag davon abschalte.
Wenn das bedenklich ist, werde ich mit meinem Arzt reden müssen.

Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 09:34:39
Ich bin ein queerer Mensch. Meine Alltagsflucht in Fantasy setzt unter anderem auch voraus, dass es eine Fantasie ist, in die ich fliehen kann. Deswegen finde ich in Hogwarts beispielsweise keinen Escapism, weil es nun einmal so wirkt, als wäre meine Existenz mit der Welt nicht vereinbar. Und ich weiß von einigen behinderten Freund*innen, dass es ihnen ähnlich geht.

Ich lese sehr viele Geschichten, wo Männer die Hauptrolle haben, vor allem auch ich-Perspektive. Aus dem einfachen Grund, weil ich keine Romanzen lesen mag. Und Männer können Abenteuer erleben, ohne sich verlieben zu müssen. Frauen können das leider so gut wie nie.
Die sexuelle Orientierung der Figuren ist daher absolut uninteressant für mich als Leserin. Je weniger Herzschmerz, desto besser. Über diese Seiten blättere ich meist drüber. Wenn ich romantische Szenen schreibe, dann weil es meine Zielgruppe lesen möchte, nicht weil ich es gern lese.
Je mehr Widrigkeiten, die Figur erlebt, ohne sich zu beugen oder zu brechen und sich durchkämpft, desto spannender.  Je stärker sich die Figur entwickelt, desto fesselnder.
Und solange mir eine Figur das bietet, bleibe ich an ihr dran. Egal wie ihre sexuelle Orientierung ist.

Mondfräulein

Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Wie ist es mit der Shortlist zum Deutschen Buchpreis? Ich kenne die Bücher jetzt nicht, aber wäre das nicht ein Maßstab, was von Fachmenschen als literarische Kunst eingestuft wird?

Das wäre eher problematisch, weil das dann nominalskalierte Daten wären. Entweder ein Buch ist auf der Shortlist oder nicht, aber dazwischen gibt es keine Abstufungen. Damit lässt es sich nicht gut rechnen. Außerdem gibt es nur begrenzt viele Bücher auf der Shortlist, aber kann ich davon ausgehen, dass nur so und so viele Bücher wirklich gut sein können? Hinzu kommt, dass die Liste von Expert*innen erstellt wird und ich erstmal begründen müsste, warum ich deren Meinung über die der durchschnittlichen Leser*innen stelle. Dann noch, dass die Jury einige Genres eindeutig anderen bevorzugt, aber wie kann ich sagen, dass andere Genres nicht gut sein können? Insgesamt also eher ein schlechter Maßstab.

Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Ich dachte, Fantasy wird vor allem gelesen, weil die Menschen etwas anderes als ihren Alltag lesen wollen?

Das widerspricht sich aber nicht. Auch in Fantasyromanen will ich mich mit den Protagonist*innen identifizieren können. Wenn ich einen Roman lese, der in einer vollkommen anderen Welt spielt, dann kommen mir bestimmte Themen dennoch bekannt vor. Der Prinz mit seinem Konflikt mit dem Vater, der am Ende seinen eigenen Weg finden muss. Die Freundschaft zwischen einem Zwerg und einem Elf, die merken, dass sie doch nicht so verschieden sind. Die Frage, was richtig ist und was falsch. Das begegnet uns ähnlich auch im Alltag. Zumal auch nicht jeder Fantasyroman in einer anderen Welt spielt.

Darüber hinaus ist das aber auch gerade der Grund, warum wir uns mehr Diversität wünschen. Wenn ich in meinem Alltag mit Homophobie konfrontiert bin, will ich vielleicht auch einfach mal ein Buch über queere Figuren, die nicht damit zu kämpfen haben sondern einfach glücklich sein können.

Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Da bringst du mich auf eine spannende Spur, denn als ich in Twitter gefragt habe, ob jemand eine queere Romanze kennt, die keine Spur von Erotik beinhaltet, ein historisches Setting wie in Georgette Heyers Werken, auf pointierten Dialogen und einem scharf gezeichneten Bild derselben Zeit, konnte mir niemand einen Titel nennen. Vielleicht kannst du mir da weiterhelfen, sowas hätte ich gern gelesen.

Ich lese leider sehr wenige historische Romane. Die Diviners-Serie von Libba Bray hat eine schwule Nebenfigur, die Adrian Mayfield Reihe ist absolut keine Romanze und hat viele explizite Sexszenen. Ich würde aber mal empfehlen, sich im Englischsprachigen Bereich nach Listen umzusehen, da gibt es viele Blogger, die genau nach so etwas schauen. Der deutsche Buchmarkt übersetzt aber leider viele queere Bücher einfach nicht. Wenn ich queere Bücher will, lese ich meistens auf Englisch.

Zitat von: Amanita am 02. Oktober 2019, 10:12:38
Meiner Meinung nach hängt die Antwort auf die Frage, ob Diversität eine Geschichte besser macht, damit zusammen, wie sie sich in den jeweiligen Weltenbau einfügt und ob dies ein schlüssiges Ganzes ergibt, oder nicht.

Wann auch immer eine Geschichte nicht in unserer realen Welt spielt, kann ich Diversität einbauen, denn ich bin Gestalter*in dieser Welt. Alle Gründe, warum eine Welt nicht divers ist, sind am Ende Gründe, die ich selbst geschaffen habe.

Die reale Welt ist da mehr Beschränkungen unterworfen, aber wenn ich einen Roman über Soldaten im ersten Weltkrieg schreibe, kann ich zumindest recherchieren, ob es da wirklich ausschließlich weiße, ur-britische Soldaten gegeben hat. Queere Soldaten hat es auf jeden Fall gegeben. Wenn ich divers schreiben will, dann finde ich auch da einen Weg.

Und natürlich muss ich nicht immer in jedem Roman jede Art von Diversität einbauen. Aber klein anzufangen ist auch schon ein Anfang. Die Welt ist bunt und war es schon immer.

Zitat von: Guddy am 02. Oktober 2019, 12:11:55
Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 10:35:15

Ich denke, wir müssen, genauso, wie Diversität normal werden soll, akzeptieren, dass es eben auch völlig normal ist, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und zu lesen. Alles andere wäre Intoleranz von der anderen Seite.
Es ist seit Jahrzehnten normal, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und so zu tun, als wäre weiß und cis-männlich die Default-Einstellung.

Ist es jedoch nicht. Auch wenn das als weißer Mensch unangenehm zu verstehen und zu sehen sein kann.

Jedes Mal, wenn eine Minderheit von der Mehrheit Toleranz fordert, kommt von der Mehrheit die Forderung, ihr doch auch Toleranz entgegen zu bringen. Ich glaube, das liegt daran, dass manche Menschen nicht wissen, wie es ist, diskriminiert zu werden und das dann dafür halten. Manche Menschen wissen eben auch nicht, wie es ist, wenn man sich selbst nie in Geschichten findet und wenn auf die Bitte, nicht mehr bewusst ausgeklammert zu werden*, nur damit reagiert wird, dass man auch mehr Verständnis für die geschönte und ausschließende "Norm" haben soll, dann frage ich mich, worum es in der Forderung eigentlich geht.

* Denn das ist es doch letztendlich. Die Welt ist divers und ich will nicht mehr sagen, dass Diversität mehr inkludiert werden soll, als gehöre sie nicht in die Bücher und weiß-cis-hetero wäre die Norm. Eher werden bestimmte Gruppen aus der Medienlandschaft ausgeschlossen. Und ja, natürlich ist mir klar, dass das daran liegt, dass es manchen Menschen einfach nicht bewusst ist. Das ging mir auch so. Aber wenn wir nicht mehr über das Schreiben einzelner Menschen diskutieren sondern das Problem an sich, dann ist es nunmal so, dass ein großer Teil der Bevölkerung bewusst ausgeschlossen wird und nicht, dass neuerdings ein paar Autor*innen auf die Idee gekommen sind, das jetzt auch in ihre Bücher einzubauen als ginge es um fliegende Nashörner und alle anderen sollen jetzt auch drüber schreiben.

Churke

Zitat von: Mondfräulein am 02. Oktober 2019, 13:03:13
Wann auch immer eine Geschichte nicht in unserer realen Welt spielt, kann ich Diversität einbauen, denn ich bin Gestalter*in dieser Welt. Alle Gründe, warum eine Welt nicht divers ist, sind am Ende Gründe, die ich selbst geschaffen habe.

Man kann es auch anders herum betrachten und sagen, dass Diversität begründet werden will. Klaus Störtebeker hat in jedem Hafen ne andere? Jo Mei! Der Hafen ist Osaka und die Dame eine Kunoichi? Hmm....  :hmmm:

Zitat
Die Welt ist bunt und war es schon immer.

Die Welt als Ganzes ja, aber ein Setting ist ein begrenzter Ausschnitt. Das Kennzeichende an Kulturräumen ist ihre (nicht notwendigerweise ethnische) Homogenität. Die Herrschenden haben ein natürliches Interesse, Homogenität herzustellen. Diversität bededeutet Opposition und bedroht ihre Macht. Sie ist die klassische Sollbruchstelle, die von fremden Mächten ausgenutzt werden kann. Daraus lassen sich tolle Storys spinnen, aber die machen richtig Arbeit.

FeeamPC

#138
ZitatJedes Mal, wenn eine Minderheit von der Mehrheit Toleranz fordert, kommt von der Mehrheit die Forderung, ihr doch auch Toleranz entgegen zu bringen.

Wo kommt denn das schon wieder her?
Noch einmal: Ich fordere keine spezielle Toleranz für wen oder was auch immer. Ich verlange nur, dass jeder es akzeptiert, dass auch die Mainstream-Schreiberei ihre Berechtigung hat. Nicht Toleranz. Ich sehe ganz einfach alle Spielarten als selbstverständlich berechtigt an. dafür brauche ich keine Toleranz, nur gesunden Menschenverstand.

Wer das nicht akzeptiert, egal ob von der diversen oder der cis-weißen Seite oder vom Marsmännchen, ist intolerant.

Schneerabe

#139
ZitatDie Welt als Ganzes ja, aber ein Setting ist ein begrenzter Ausschnitt.
Ganz genau ein Ausschnit und vielleicht noch wichtiger - eine Simplifizierung. Das sind Bücher ja naturgegeben - selbst ein tausend Seiten Roman wird nicht einmal seinen Protagonisten in einer Komplexität darstellen können, die auch nur annährend an die Vielschichtigekeit eines realen Menschen herankommt. Man muss eben immer selektieren was wichtig ist und das unwichtige/ablenkende herauslassen (aus Platzgründen und aus ästetischen Gründen).

Das könnte man teilweise auch aufs Setting beziehen. Denn je mehr fiktive Ethnien oder Rassen ich in meine Metropole einbaue, desto mehr sollte ich ja auch auf sie eingehen oder? Ich muss sie ja etablieren und ihnen Leben einhauchen. Selbst wenn mein Setting hochdivers ist, aber ich auf die meisten Rassen kaum eingehe (storybedingt etwa - manche Autoren schreiben mit einem sehr kleinen Cast) könnte man mir ja wieder vorwerfen, nur fiktive ,,quotenschwarze" eingebaut zu haben... Insofern... mhm. Für Menschen die sich mit der Thematik nicht auskennen, ist es durchaus ein Risiko sowas zu machen, wohingegen sie kein Risiko hätten, wenn sie es nicht täten - davon abgesehen, dass es auch Menschen gibt, deren Inspiration von sehr homogenen Settings kommt.

Wenn man etwa das Feeling der alten europäischer Mythologien wiederaufleben lassen möchte, einfach weil einen das inspiriert ... was ist denn dann so tragisch daran, wenn es auch mal ein Buch von vielen anderen gibt, das sehr eurozentrisch ist? Ich bin mir bei der Diskussion mittlerweile auch nicht mehr ganz sicher, ob hier Pauschalforderungen existieren, dass alle Schreiberlinge immer in jedem ihrer Werke Diversität einbringen müssen oder nicht. (Manchmal klingt es so)

Insgesamt finde ich es ganz interessant, mit welcher Vehemenz hier teilweise debattiert wurde... Was ist so schrecklich daran, wenn es noch Autoren gibt die ,,klassisch-eurozentrische" Fantasy schreiben. Also so lange es nicht wirklich viele Menschen explizit beleidigt... Das man ein paar Menschen beleidigt, weil man eurozentrisch schreibt.... kann vorkommen. Ich kann Leute aber auch durch (ihrer Ansicht nach schlechte) Darstellungen von Diversität beleidigen – ich kann Leute durch wirklich alles beleidigen, ohne es zu wollen. Ich sehe das irgendwie recht pazifistisch: Wenn es Autoren gibt, die gern homogen Schreiben möchten, sollen sie das doch tun, solange es eine Zielgruppe gibt, die gern homogene Fantasy lesen möchte, warum nicht.

Zeitgleich gibt es dann selbstverständlich auch Autoren, die das Thema Diversität in ihren Romanen bearbeiten und auch dafür gibt, es eine Zielgruppe - auch das finde ich völlig legitim und in Ordnung. Warum lässt man nicht einfach das Publikum entscheiden, was es gerne ließt (und ich denke das war ein wenig Tintenteufels Punkt mit der ,,besseren Literatur")

Wenn dem Publikum in einigen Jahren diverse Romane sehr viel besseren gefallen, als homogene (und Autoren lesen ja auch, dass heißt sie werden dann automatisch mehr mit dem Thema in Berührung kommen und sich mehr damit identifizieren) dann entstehen automatisch auch mehr Bücher mit mehr diversen Gruppen. Wenn sich aber zeigt, dass die europäische Leserschaft in unserer hochkomplexen Zeit zu einem großen Teil eben doch noch gerne etwas eskapistische homogene Fantasyromane ließt, vielleicht weil sie dabei ein nostalgisches Gefühl für eine verlorene europäische Vergangenheit bekommt oder derlei, dann ist das doch auch legitim oder nicht?

Wie hier schon festgehalten wurde, werden wirklich politisch unkorrekte Romane (etwa von Rechtsradikalen) in der Regel gar nicht verlegt, insofern denke ich nicht, dass wir unsere Kultur ruinieren, wenn wir weiterhin einfach den Interessen der Zielgruppen entsprechend schreiben (und unseren eigenen Interessen entsprechend.)

Es gibt ja mittlerweile Autoren, die das Thema Diversität in der Fantasy bearbeiten und die nun auch Romane für die Minderheiten schreiben, denen es in den Medien bisher an Bezugspunkten fehlte. Die Leute existieren hier im Forum ja offenbar und sie haben offensichtlich auch eine Zielgruppe für die sie schreiben können. Eigentlich alles  perfekt oder?
Nur warum klingt in der Diskussion manchmal für mich an, dass man das gesamte Literaturfeld gleichschalten und alle dazu ,,zwingen" sollte, nur noch Romane voller Diversität zu schreiben. Was ist so tragisch daran, wenn es beides gibt und man es dem Leser überlässt, was ihm besser gefällt? Ich glaube, niemand hatte hier hat Ambitionen Leuten zu verbieten Fantasy mit diversen Casts zu schreiben. Warum hält man es umgekehrt nicht einfach genauso pazifistisch und lässt die Leute auch Romane mit eher homogenen Casts schreiben, wenn sie sich damit wohler fühlen und einige ihrer Leser eben auch? Es geht hier ja nun wirklich nicht darum, dass irgendwer hetzerische oder sonstig verwerfliche Themen massenhaft veröffentlichen wollen würde und der Markt ist doch wirklich groß genug für uns alle oder nicht?
"To hell or to Connacht."

Churke

Wenn man den Schriftsteller im Brechtschen Sinne als Arzt an der Gesellschaft begreift, fällt es schwer zu akzeptieren, dass Kollegen nur Wellness und Schönheitschirurgie anbieten.

Soly

Ich kann das unterwegs am Handy leider nicht so ausführlich schreiben, wie ich möchte, aber ich will auch nicht bis heute Nacht warten, weil es dann schon zu spät sein könnte.

Zitat von: Mondfräulein
link=topic=24447.msg1171804#msg1171804 date=1570014193

Zitat von: Guddy am 02. Oktober 2019, 12:11:55
Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 10:35:15

Ich denke, wir müssen, genauso, wie Diversität normal werden soll, akzeptieren, dass es eben auch völlig normal ist, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und zu lesen. Alles andere wäre Intoleranz von der anderen Seite.
Es ist seit Jahrzehnten normal, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und so zu tun, als wäre weiß und cis-männlich die Default-Einstellung.

Ist es jedoch nicht. Auch wenn das als weißer Mensch unangenehm zu verstehen und zu sehen sein kann.

Jedes Mal, wenn eine Minderheit von der Mehrheit Toleranz fordert, kommt von der Mehrheit die Forderung, ihr doch auch Toleranz entgegen zu bringen.

Oh, Vorsicht. Vor allem Vorsicht vor Generalisierungen.
Es gibt sicherlich den Fall, in dem die Mehrheit die Forderung nach Toleranz umdreht, nur um die Diskussion abzubrechen o.ä. Aber ich glaube nicht, dass das auch für die Diskussion hier im Forum gilt.

@FeeamPC sag mir bitte, wenn ich dich falsch verstanden habe, aber...
...so wie ich es verstehe, wird nicht von den Nicht-Weißen gefordert, Geschichten mit homogen Weißem Cast toll zu finden. Es wird von weißen Autoren gefordert, es zu tolerieren, wenn andere weiße Autoren Geschichten mit homogen weißem Cast schreiben - weil es dafür verschiedene Gründe geben kann, von denen ex- oder impliziter Rassismus nur einer ist.

Was eben auch bedeuten würde, dass die Toleranzforderung von der Fee berechtigt ist und eigentlich nur etwas ausspricht, bei dem wir uns alle schon mal einig waren.
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.

FeeamPC

Niemand muss etwas toll finden, was er nicht mag. Aber jeder sollte die Freiheit haben, etwas, das er toll findet, genießen zu dürfen. Wobei es nie schadet, auch über den Tellerrand zu blicken, mal etwas außerhalb der eigenen Bequemzone zu probieren, aber das darf nicht zur Forderung werden. Dann nämlich, wenn eine Gruppe etwas für alle verbindlich fordert, egal, wie klein oder groß sie ist, ist das intolerant.

Ist das wirklich rassistisch oder unterdrückend, wenn ich in meiner Freizeit gemütlich einen schönen Roman lesen will, der gewisse gesellschaftliche Probleme ausklammert? Bin ich verpflichtet, alle Probleme der Welt stets gegenwärtig zu halten?
Für mich habe ich entschieden, dass dem nicht so ist. Genauso, wie ich nicht in jedem Buch eine kaputte Umwelt und verheerende Seuchen und politische Attentate finden will, will ich nicht überall gesellschaftliche Probleme finden. Die haben ihren Platz in meinem Bewusstsein, auch in einigen meiner Bücher, gelesen oder geschrieben, aber die Literatur auf diese Spielfelder einzuengen, finde ich unzulässig. Es gibt auch noch den schlichten Faktor Unterhaltung, einfach eine gute Geschichte genießen, und das haben Menschen aller Farben, sexueller Vorlieben und sozialer Stände seit Entstehung der Menschheit genossen. Das gehört zum Erbe der Menschheit.
Wollen wir dieses Erbe wirklich ausschlagen?

Schneerabe

#143
ZitatWenn man den Schriftsteller im Brechtschen Sinne als Arzt an der Gesellschaft begreift, fällt es schwer zu akzeptieren, dass Kollegen nur Wellness und Schönheitschirurgie anbieten.

Einige, aber nicht alle - mit den anderen kannst du dich dann ja auf einer Wellenlänge verständigen. Davon abgesehen dass diese Aussage ziemlich pauschalisierend ist und es neben Diversität auch noch zahlreiche andere Problemfelder gibt, die man ansprechen kann.


Im Übrigen muss ich @FeeamPC recht geben, es muss ja bei weitem auch nicht jede Literatur irgendwelche Problemfelder ansprechen - man will ja selbst auch nicht ständig irgendwelche hochtrabende Gesellschaftskritik lesen. Manchmal sucht man einfach nach einer richtig guten, entspannenden und unterhaltsamen Geschichte. Also haben solche Romane und Autoren die solche Romane schreiben selbstredend ebenfalls ihre Berechtigung.
"To hell or to Connacht."

Judith

#144
Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 18:20:29
Ist das wirklich rassistisch oder unterdrückend, wenn ich in meiner Freizeit gemütlich einen schönen Roman lesen will, der gewisse gesellschaftliche Probleme ausklammert? Bin ich verpflichtet, alle Probleme der Welt stets gegenwärtig zu halten?
Für mich habe ich entschieden, dass dem nicht so ist. Genauso, wie ich nicht in jedem Buch eine kaputte Umwelt und verheerende Seuchen und politische Attentate finden will, will ich nicht überall gesellschaftliche Probleme finden.

Zitat von: Schneerabe am 02. Oktober 2019, 18:42:50
Davon abgesehen dass diese Aussage ziemlich pauschalisierend ist und es neben Diversität auch noch zahlreiche andere Problemfelder gibt, die man ansprechen kann.

Aber das ist doch gerade der Punkt, um den es hier immer wieder geht, wenn von Diversität in Fantasy gesprochen wird: Dass es schön wäre, wenn es einfach öfter mal in Büchern Diversität gäbe, ohne dass das ein Problem oder ein Kampf ist. Wenn es einfach mal queere Figuren gibt, ohne dass diese mit ihrer Identität oder mit Homophobie kämpfen müssen. Wenn People of Color vorkommen, ohne auf Stereotype reduziert zu werden oder mit Rassismus kämpfen müssen. Wenn man gemütlich einen schönen Roman lesen könnte, in dem es Diversität gibt.
Und gerade in der Fantasy haben wir die Möglichkeiten, so etwas zu erschaffen, viel mehr als in Romanen, die in unserer Realität angesiedelt sind.

Angela

Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 18:20:29
Niemand muss etwas toll finden, was er nicht mag. Aber jeder sollte die Freiheit haben, etwas, das er toll findet, genießen zu dürfen. Wobei es nie schadet, auch über den Tellerrand zu blicken, mal etwas außerhalb der eigenen Bequemzone zu probieren, aber das darf nicht zur Forderung werden. Dann nämlich, wenn eine Gruppe etwas für alle verbindlich fordert, egal, wie klein oder groß sie ist, ist das intolerant.
Ja, seh ich auch so.

Ich lebe gerade wieder in einer sehr fortschrittlichen Gesellschaft, Vancouver. Sehr angenehm, zum Teil auch sehr speziell, wenn man aus einer anderen Kultur stammt. Mein Mann hatte vor ein paar Tagen ein schönes Erlebnis: Er ist ja Sportler und trifft da ständig neue Leute, nun also eine Person, von der er bislang nur den Vormnamen kannte. Sehr beliebt, hatte er nur nie gesehen. Sie war dann tatsächlich auch sehr nett - und hatte einen ausgeprägten Männerkopf plus Adamsapfel. Das ist für uns vielleicht noch eher ungewöhnlich, interessiert hier keine Sau, zumindest nicht in unserem sozialen Umfeld.
Will sagen, wir ändern uns und unsere Ansichten, was normal ist, (hoffentlich) auch. Das sollte sich dann auch in unseren Büchern finden. Ich schreibe Diversität eigentlich fast immer mit hinein, nicht aufgedrängt und vielleicht auch nicht mit dem Holzhammer, aber da. Hat sich noch nie jemand drüber beschwert, übrigens.

AlpakaAlex

Was Judith sagt. Darum geht es doch: Es geht darum, dass Figuren, die nicht dem weißen, ablebodied, cishetero Standard entsprechen, ebenfalls einfach existieren dürfen. Niemand sagt, ihr sollt den Kram problematisieren. Im Gegenteil: Bitte, bitte problematisiert es nicht. Denn darum geht es doch: Darum, dass "wir" nicht anders sein wollen, sondern einfach nur ein Teil davon. Und das ist wichtig. Vor allem ist es wichtig, dass sich so etwas auch im Mainstream findet, da sich sonst das Weltbild nicht verändern kann, dass weiß, ablebodied, cishetero eben "Normal" ist, während alles andere ein "Problem" sei.

Ich finde es ehrlich gesagt auch sehr schlimm, dass auch einige Frauen das hier nicht verstehen können. Immerhin sind Frauen bis heute noch immer davon betroffen, dass ihre Rollen eher übergangen oder rund um Romantik herum aufgebaut werden, was viele nicht lesen mögen. Genau so, wie ich weiß, dass viele Frauen sich nun einmal auch nicht über ihr "Leid" (bspw. indem sich ihr ganzer Plot um Zwangsheirat, den Kampf gegen ein System, das keine Frauen zulässt, oder Vergewaltigung dreht) definiert werden wollen.

Warum ist es so schwer zu verstehen, dass bspw. queere Personen auch nicht wollen, dass queere Charaktere immer über Romanzen und Beziehungen definiert werden? Dass wir Fantasy wollen, in dem es voll normal ist, dass homosexuelle Menschen heiraten, man andere nach ihrem Pronomen fragt und Leute das einfach akzeptieren? Was daran ist so schwer?
 

Trippelschritt

Zitat von: NelaNequin am 02. Oktober 2019, 19:03:13
Warum ist es so schwer zu verstehen, dass bspw. queere Personen auch nicht wollen, dass queere Charaktere immer über Romanzen und Beziehungen definiert werden? Dass wir Fantasy wollen, in dem es voll normal ist, dass homosexuelle Menschen heiraten, man andere nach ihrem Pronomen fragt und Leute das einfach akzeptieren? Was daran ist so schwer?

Das ist nicht schwer zu verstehen, und ich glaube, dass das auch allgemein so verstanden wird. Was mich wundert, ist nur, warum diese queeren Personen sich nicht hinsetzen und genau diesen Typ von Romanen schreiben, die sie haben wollen. Wenn ich eines über das Schreiben gelernt habe, dann eines: Man kann nur gut oder interessant über Dinge schreiben, die einen wirklich interessieren. In meinen Augen macht es daher nicht viel Sinn von anderen oder irgend jemandem zu verlangen, dass er bitte für eine vorhandene Lesergruppe die passenden Geshichten schreibt.

Oder aber ich habe diese Diskussion auch mal wieder komplett missverstanden.

Trippelschritt
(kein Diskussionsbeitrag, sondern eine einfach Frage)

AlpakaAlex

Zitat von: Trippelschritt am 02. Oktober 2019, 19:12:26
Das ist nicht schwer zu verstehen, und ich glaube, dass das auch allgemein so verstanden wird. Was mich wundert, ist nur, warum diese queeren Personen sich nicht hinsetzen und genau diesen Typ von Romanen schreiben, die sie haben wollen.
Sorry, aber ich finde diese Frage einfach nur schrecklich beleidigend. Was meinst du, was wir denn tun? Wir schreiben. Wir schreiben Bücher mit queeren Figuren, mit nicht-weißen Figuren, mit behinderten Figuren ... Und tun uns dann schwer, es veröffentlicht zu bekommen - jedenfalls im Mainstream. Und um den geht es nun mal. Ja, cool, es gibt Nischenverläge, die sich auf Fantasy mit Minderheiten spezialisiert haben. Cool. Finde ich auch toll von den jeweiligen Verlägen. Aber Queer-Sein ist keine Nische. Nicht-Weiß-Sein auch nicht. Das ist Alltag. Das sollte man im Mainstream finden. In normalen Buchhandlungen.

Aber was finde ich da? Den zehntausendsten Roman in einer generischen weißen Fantasy-Welt, die so tut, als sie sie Mittelalter, mit weißen, cishetero Figuren - wahrscheinlich männlich - die sehr weiß und sehr cishetero sind. Das meiste oft auch von Autoren, mit nur einzelnen Autorinnen dazwischen, da diesbezüglich das Veröffentlichungsverhältnis ebenfalls mies ist. Gerade in der SciFi, aber auch in Fantasy. (Sofern nicht YA.)
 

Schneerabe

#149
ZitatUnd tun uns dann schwer, es veröffentlicht zu bekommen - jedenfalls im Mainstream. Und um den geht es nun mal. Ja, cool, es gibt Nischenverläge, die sich auf Fantasy mit Minderheiten spezialisiert haben. Cool. Finde ich auch toll von den jeweiligen Verlägen.

(Rowling hat meines Wissens auch in einem kleinen Verlag veröffentlicht und wurde dann groß, weil das was sie geschrieben hat die Massen begeistert hat... Hier greift wieder Tintenteufels Argument finde ich. Wenn du etwas richtig gutes machst und einen Funken Glück hast, findet es die breite Öffentlichkeit, wenn es sie denn berührt. Aber du kannst Menschen nicht zwingen, sich für das zu interessieren, was dich interessiert... Das ist... eben so.

ZitatAber was finde ich da? Den zehntausendsten Roman in einer generischen weißen Fantasy-Welt, die so tut, als sie sie Mittelalter, mit weißen, cishetero Figuren - wahrscheinlich männlich - die sehr weiß und sehr cishetero sind.

Ja... zum einen liegt das gewiss daran, dass große Verlage jede Welle "totreiten" weil sie wenig risikobereit sind. Zum anderen liest der Mainstream nun einmal das was ihn interessiert und berührt. Da die meisten Leute in Deutschland/Europa meines Wissens nach eher hetherosexuell und eher weiß sind,  (so grob statistisch betrachtet, glaube ich sollte das hinhauen) identifizieren sie sich eher mit entsprechenden Settings und Figuren und kaufen solche Bücher eben auch eher. Und weil sie die Mehrheit sind werden die meisten Bücher eben so geschrieben dass sie der Erfahrungswelt des Mainstreams entgegenkommen, das ist... wie gesagt eben so.

Du kannst Menschen deine Interessen nicht aufzwingen, du kannst nur ein verdammt gutes Buch schreiben, so gut dass es auch Mainstreamleser in seinen Bann zieht, sodass sie sich vielleicht mehr für die Thematik interessieren. Das ist alles was du tun kannst. Du musst den Leuten etwas geben, sie mitnehmen und abholen. Wenn du vom Mainstream etwas verlangst, blockt er vermutlich eher ab, befürchte ich.
"To hell or to Connacht."