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Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?

Begonnen von Maria, 10. September 2019, 13:20:56

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Mondfräulein

Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 19:59:27
Aber deine Aussage halte ich für absolut untragbar und gefährlich. Nicht nur aus Kommunikationswissenschaftlicher Sicht (Stichwort "4 Seiten einer Nachricht" und "Den Inhalt einer Botschaft definiert ausschließlich der Empfänger, der sie autonom verarbeitet", was bedeutet, dass die Verantwortung dafür, dass die richtige Botschaft ankommt bei beiden liegt. Das nur auf den Weißen abzuschieben ist einfach nicht zielführend oder hilfreich. Zumindest nicht pauschalisiert. Sonst muss ich in Zukunft bevor ich mit irgendwem der andere ethnische Wurzeln hat, erstmal seinen spezifischen Verhaltenskatalog erfragen, bevor ich mich ihm gegenüber überhaupt verhalte) [...]

Kommunikationswissenschaftlich greifst du da aber auch etwas zu kurz. Ja, wir haben das Sender-Empfänger-Modell und Schulz von Thun, damit haben wir die beiden eingängigsten und bekanntesten Modelle einmal genannt, aber was du hier tust ist sie zu missbrauchen, um die Schuld nur der Person zuzuschieben, die sich beleidigt fühlt. Denn in der Kommunikationswissenschaft wird niemand jemals sagen, dass die Interpretation einer Nachricht nur beim Empfänger liegt. Du ignorierst vollkommen, dass marginalisierte Menschen und Menschen, die ohne diese Diskriminierungserfahrungen leben, Informationen dadurch auch unterschiedlich verarbeiten. Und wenn du schon wissenschafltich an die Sache herangehen willst, dann ignoriere auch nicht die Forschung, die es zu Rassismus durchaus schon gibt.

Du ignorierst außerdem, dass niemand gefordert hat, vor jeder Interaktion einen spezifischen Verhaltenskatalog zu erfragen, sondern einfach nur zuzuhören, bevor du Dinge aus deiner persönlichen Sichtweise heraus als nicht diskriminierend einstufst (Strohmann-Argument ist hier ein Konzept, das du dir wirklich mal anschauen solltest).

Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 19:59:27
[...] sondern auch aus Sicht der Traumaforschung und den Grundlagen beispielsweise der Gestalttherapie, die in der Praxis immer wieder bestätigen, dass nicht Situationen sondern unser Umgang und unsere Bewertungen ausschlaggebend dafür sind, ob und wie stark wir durch etwas traumatisiert sind. Bei weniger starken Empfindungen (wobei anhaltende Rassismusserfahrungen durchaus traumatisierende Wirkungen haben können - nur psycho-physiologisch betrachtet nicht so einfach wie der Satz es vermuten lässt.)
Dazu kommt der Fokus, der dafür sorgt, dass auch Betroffene einen Tunnelblick bekommen. Hier genauso wie bei allem anderen worauf ich meinen Fokus lenke. Was ich wahrnehmen und wie ich das ganze Interpretiere (Hier ein tolles Konzept "Leiter der Schlussfolgerungen oder Leiter der Abstraktion"), die verdeutlichen, dass es eben nicht so einfach ist.

Ich weiß auch nicht, was du hier jetzt Gestalttherapie willst, weil du das Argument nur benutzt, um die Schuld wieder auf die zu schieben, die diskriminiert werden. Ihr Umgang mit und ihre Bewertung von Diskriminierungserfahrungen ist also Schuld an Traumatisierung. Zudem bist du hier die erste, die überhaupt von Traumatisierung spricht, das wirfst du nur in den Raum, um Traumaforschung als Argument missbrauchen zu können. Damit reißt du die Gestalttherapie vollkommen aus dem Kontext. Das ist eine Therapieform, bei der es um das Individuum geht, darum, einer Person zu helfen, nicht darum, zu ermitteln, wie unser gesellschaftliches Zusammenleben aussehen soll, welche Erfahrungen durch strukturellen Rassismus geprägt sind, welche Wirkungen Stereotype in Geschichten auf die Einstellungen von Menschen haben. Es ist ein Ansatz, um Menschen zu helfen, nicht um solche gesellschaftlichen Zusammenhänge zu erklären. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.

Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 19:59:27
Genauso wenig wie man sagen etwas war nicht rassistisch, weil ich es nicht so gemeint habe, kann man sagen, das war rassistisch, weil ich das so empfunden habe. Das sind schlicht unsinnige Kriterien, wenn man lösungsorientiert darauf schauen will.

Inwiefern ist das unsinnig, wenn ich lösungsorientiert arbeiten will? Was hat das hier überhaupt mit lösungsorientierten Ansätzen zu tun? Oder wie würde ein lösungsorientierter Ansatz hier aussehen? Was hat das mit irgendetwas zu tun? Oder wirfst du das Wort nur einfach so in den Raum? Und was definiert dann für dich überhaupt eine rassistische Aussage wenn nicht, dass es jemand als rassistisch empfunden hat?

Du kannst deine Meinungen haben, aber was du nicht tun solltest, ist Konzepte und Theorien so aus dem Kontext zu reißen, um sie zu stützen. Du hast an keiner Stelle genannt, warum diese Haltung jetzt gefährlich sein soll, sondern nur anderen die Schuld in die Schuhe für ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen in die Schuhe geschoben.

Anj

#121
Meine Worte waren unter anderem:
Zitatwas bedeutet, dass die Verantwortung dafür, dass die richtige Botschaft ankommt bei beiden liegt.
Hervorhebung für diese Antwort eingefügt. Das wollte ich nur noch mal klarstellen.
Ansonsten bleib ich raus aus der Diskussion.

Edit: Ich möchte doch noch weitere Aspekte zur Sicherheit noch einmal formulieren: Ich finde die angesprochenen Konzepte hilfreich für diese Kontexte. Ich habe sie genannt, damit sie bei Interesse recherchiert und selbständig auf das Thema, bzw. die Forderung angewandt werden können. Oder halt nicht. Das bleibt jedem selbst überlassen. Niemand muss meine Ansichten einfach übernehmen. Aber um sie zu prüfen finde ich es hilfreich, zu offenbaren was mich zu der Meinung bringt.

Und von Schuld habe ich zu keiner Zeit gesprochen, sondern von Verantwortung. Das sind für mich unterschiedliche Dinge. Ich könnte Ergebisse aus der Kinesiologie zu den Konzepten Schuld und Verantwortung aufführen, aber das führt in dieser Diskussion dann vermutlich endgültig zu weit.
Die Schuld sehe ich bei niemandem, weil ich Schuld und Schuldzuweisungen grundsätzlich nicht hilfreich finde.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Soly

Ich unterbreche mein von Anfang an gewahrtes Schweigen jetzt doch, weil ich mich vor ein paar Tagen noch gefreut habe, dass die Diskussion etwas empathischer wird und jetzt plötzlich doch wieder die Gräben aufreißen.
Wer sich berufen fühlt, auf das hier zu antworten, möge bitte bis ganz zum Schluss lesen - danke im Voraus.

@NelaNequin
Zitat von: NelaNequin am 19. September 2019, 18:32:38
Mir geht es darum, dass einige hier nicht-weißen Menschen absprechen, dass sie unter bestimmten Darstellungen in der Fantasy-Literatur leiden, nur um sich selbst aus der Verantwortung nehmen zu können, über das Selbstgeschriebene zu reflektieren. Weil sie ja angeblich keine Botschaft hätten und sie ja angeblich nichts dafür können, was andere in ihren Büchern lesen.
(Herborhebung von mir)

Au. Auch wenn ich bisher nur Zuschauer war. Aber AUTSCH!
Waren wir nicht vor einigen Tagen schon mal bei der Erkenntnis angekommen, dass wir im Grunde alle Ähnliches wollen, aber in unterschiedlichen Ausprägungen? Dass wir unsere Differenzen eigentlich nur in Begriffsdefinitionen finden, dass die meisten Probleme hier nur auftreten, weil verschiedene Formulierungen verschiedene Leute auf verschiedene Weisen triggern?
Und dass es vor allem nicht nötig ist, sich gegenseitig zu verurteilen, weil wir tief drin letzten Endes sehr, sehr nah beieinander sind, was unsere Weltsicht betrifft?

Du behauptest jetzt folgendes:
1) Es existieren Menschen, die anhand bestimmter Beiträge in dieser Diskussion die folgende Einstellung zeigen.
2) Diese Menschen sprechen nicht-weißen Menschen deren Leidensdruck [der durch bestimmte Darstellungen in der Literatur erzeugt wird] ab.
3) Diese Menschen tun das mit dem expliziten Ziel, jede Verantwortung für diesen Leidensdruck von sich zu weisen und sich klar der Selbstreflexion zu verweigern.

Frage: Wer?
Beide Punkte müssten sich theoretisch in spezifischen Beiträgen finden lassen. Entweder weil sie explizit geschrieben worden, oder weil sie implizit drinstecken - was bedeuten würde, dass du sie als Empfänger der Botschaft hineininterpretierst.
Da gehört es aber eigentlich zum guten Ton, zumindest mal nachzufragen, ob du das jetzt richtig verstanden hast. Und erst wenn du dir ganz sicher bist, kannst du diese deftigen Anklagen fallen lassen. Oder wenn das ganze Nachfragen dir zu anstrengend ist, kannst du als Mindestmaß an Respekt wenigstens grob darstellen, aus welchen wörtlichen Äußerungen du mit welchen Randannahmen diese Anklagen herleitest.
Das würde es uns anderen ermöglichen, auf dich zuzukommen, Missverständnisse zu klären und unsere gegenseitigen Wahrnehmungen dieser DIskussion zu verstehen. Dann sehen wir uns auch wieder als Menschen an und nicht als Verfechter extremer und unteilbarer Positionen.

@Mondfräulein
Zitat von: NelaNequin am 19. September 2019, 18:32:38
Und ja, wenn nicht-weiße etwas rassistisch empfinden, dann hat ein weißer Mensch das zu akzeptieren, anstatt zu sagen "Stell dich nicht so an" oder "Sehe ich aber nicht so". Das ist das mindestmaß an Respekt.

Das klingt an sich nach einem Satz, den ich sofort unterschreiben würde, ausgehend von den Bildern und Repräsentationen, die dadurch in meinem Kopf aktiviert werden.
ABER:
Zitat von: Anjana am 19. September 2019, 19:59:27
"Den Inhalt einer Botschaft definiert ausschließlich der Empfänger, der sie autonom verarbeitet", was bedeutet, dass die Verantwortung dafür, dass die richtige Botschaft ankommt bei beiden liegt. Das nur auf den Weißen abzuschieben ist einfach nicht zielführend oder hilfreich. Zumindest nicht pauschalisiert.
(Hervorhebung von mir)

Auch das klingt für mich erstmal nachvollziehbar. Denn ja, es stimmt durchaus, dass Kommunikation immer zwei Seiten hat - wobei ich das Veröffentlichen einer Geschichte jetzt auch einfach mal als Kommunikation bezeichne.
Wenn wir uns vorstellen, dass eine Geschichte geschrieben wird und einzig und allein der Autor dafür verantwortlich ist, dass niemand sich auf den Schnürsenkel getreten fühlt, dann läuft es letzten Endes darauf hinaus, dass jeder einzelne Absatz, der von irgendjemandem bemängelt wird, neu geschrieben werden müsste. Pauschalisiert gesehen.
Deshalb sollten wir es nicht :no: pauschalisiert betrachten.

Das zumindest ist es, was ich aus @Anjanas Post herausgelesen habe.
Wenn ich ehrlich bin, habe ich den Rest des Posts nicht vollständig verstanden, deshalb sage ich auch nichts dazu.
Aber dieser Satz ist in meinen Augen durchaus berechtigt. Und auf keinen Fall würdig, solche massiven Anschuldigungen ins Gesicht zu bekommen. Da gilt dann dasselbe wie oben: Erst stringent darstellen, wie du Anjanas Aussagen verstehst, welche Randannahmen du triffst und warum dich das stört.
Dann anklagen.

Zurück zum umstrittenen Statement.
***Nicht alle Kritik ist berechtigt, auch wenn sie von einer nicht-weißen Person kommt und eine weiße Person betrifft.***
"Nicht alle" bedeutet in diesem Fall genau das - nicht alle.
"Nicht alle" bedeutet nicht "Keine".
Wenn eine einzelne Person sich von einer Formulierung in einem Buch angegriffen fühlt, die für hundert Personen der gleichen Gruppe kein Problem darstellt, dann sollte es nicht als Pflicht gesehen werden, alles zu ändern. Dann liegt das Problem vielleicht doch eher beim Empfänger als beim Sender.
Wenn dagegen aber viele Personen sich unabhängig voneinander angegriffen fühlen, dann liegt das Problem eindeutig beim Sender (=Autor) und sollte von diesem auch behoben werden.


Ich hoffe, ich habe es geschafft, möglichst deutlich zu machen, was ich sagen will, und was ich nicht sagen will.
Wenn nicht...
Wenn ihr euch angegriffen fühlt...
Wenn ihr in diesem Post unhaltbare Positionen vertreten seht...
...dann sagt mir das. Macht es für euch selbst und mich nachvollziehbar, woran ihr euch stört und warum, was genau dasteht und wie viel davon implizite Annahmen sind. Dann können wir weiter darüber reden, und vor allem könnt ihr dann mir aufzeigen, wo ich vielleicht meinen eigenen anerzogen Rassismen unterliege.
Aber zeigt es mir konkret. Wenn ihr mir einfach irgendwas vorwerft und es als bestehenden Fakt framt, motiviert ihr mich nur, nicht auf euch einzugehen. Wenn ihr mir eine Kette von Implikationen aufzeigt und die als eure Wahrnehmung framt, bringt ihr mich dazu, über mich selbst nachzudenken.

Besten Dank.
Im Sinne der von mir vor einiger Zeit angestoßenen systemischen Debatte - ich bin optimistisch.
Ihr seid toll.
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.

Maria


Nach längerer Zeit mal wieder in den Thread reingeschaut und ich bin erstaunt, wie heiß da diskutiert wurde.

Ich habe die Orks aus meiner Geschichte genommen.

Was mich noch sehr interessiert hätte, wäre:

Zitat von: Tintenteufel am 19. September 2019, 18:12:57
Beweisen, dass mit mehr Diversität tatsächlich bessere Kunst rauskommt.

Das fände ich echt interessant und hilfreich.

Irgendwo weiter vorn hat jemand beklagt, dass Fantasy immer auf Mittelalter beruht und das Mittelalter weiß ist.
Es gibt auch andere Settings, wie das von "Children of Blood and Bone" . Hat das jemand von euch gelesen?
https://www.goodreads.com/book/show/34728667-children-of-blood-and-bone?from_search=true

Ich bin sicher, es wird noch weitere Bücher geben, in denen das Setting sich von europäischem Mittelalter entfernt und an die Mythen, Legenden, Kultur anderer Weltregionen anlehnt.
Vielleicht sind ja auch hier in diesem Zirkel solche Geschichten schon geschrieben worden bzw. werden gerade geschrieben.

Die großen Verlage haben sicher ein offenes Ohr für Neues und Spannendes, das mehr Diversität in ihr Programm bringt.

FeeamPC

#124
ZitatDie großen Verlage haben sicher ein offenes Ohr für Neues und Spannendes, das mehr Diversität in ihr Programm bringt.

Nope. Die großen Verlage haben ein offenes Ohr für alles, was Geld in ihre Kassen zu spülen verspricht. Unabhängig vom Inhalt. Die haben meist keine politische Agenda, sondern im schlechtesten Fall zu befriedigende Aktionäre, denen Bücher egal sind.

Amanita

Zitat von: FeeamPCNope. Die großen Verlage haben ein offenes Ohr für alles, was Geld in ihre Kassen zu spülen verspricht. Unabhängig vom Inhalt. Die haben meist keine politische Agenda, sondern im schlechtesten Fall zu befriedigende Aktionäre, denen Bücher egal sind.
Naja, aber ein bisschen Greenwashing, oder in dem Fall "sein Bekenntnis zur Diversität und gegen Rassimus ablegen" kommt ab und an auch ganz gut. ;)

Amber

Zitat von: FeeamPC am 01. Oktober 2019, 16:12:11
ZitatDie großen Verlage haben sicher ein offenes Ohr für Neues und Spannendes, das mehr Diversität in ihr Programm bringt.

Nope. Die großen Verlage haben ein offenes Ohr für alles, was Geld in ihre Kassen zu spülen verspricht. Unabhängig vom Inhalt. Die haben meist keine politische Agenda, sondern im schlechtesten Fall zu befriedigende Aktionäre, denen Bücher egal sind.

Na ja, rechtsradikale Inhalte werden schon abgelehnt, siehe Akif Pirincci und Random House.

Und es wird schon auch mal Neues probiert, aber eben sehr zögerlich, wenn mit dem alten Kram nicht mehr so gut Geld zu verdienen ist oder die Leute, die das Neue blockiert haben, an Macht verlieren.

Churke

Man kann's auch monetarisieren. Hollywood pusht progressive Agenden, weil die Kritiker das super finden. Das ist leicht verdienter Metacritics-Score. Wenn dann im Fandom der Flame War tobt, kann man den auch wieder medial ausschlachten. 


Mondfräulein

Zitat von: AngelikaD am 01. Oktober 2019, 14:13:35
Irgendwo weiter vorn hat jemand beklagt, dass Fantasy immer auf Mittelalter beruht und das Mittelalter weiß ist.

Ich würde eher sagen, dass Fantasy auf einer Idee vom Mittelalter beruht, in der alles weiß ist, aber tatsächlich kann ich mir nicht vorstellen, dass das so gewesen ist. Die Römer haben sich bis nach Afrika hin ausgebreitet und ich kann mir nicht vorstellen, dass das nicht dazu geführt hat, dass auch jemand aus diesen Gebieten nach Europa gekommen ist und sich dort niedergelassen und Kinder bekommen hat. Später gab es dann auch im Mittelalter Handel mit dem Orient, Teile Europas waren unter arabischer Herrschaft. Die Sache ist nur, dass unsere jetzige Vorstellung vom Mittelalter durch den Rassismus der Kolonialzeit geprägt ist, wodurch wir den Rassismus dieser Zeit oft einfach aufs Mittelalter übertragen. (Bitte korrigiert mich, wenn ich das ganz falsch wiedergebe, ich bin keine Historikerin und nicht wahnsinnig bewandert auf diesem Gebiet.)

Zitat von: Tintenteufel am 19. September 2019, 18:12:57
Beweisen, dass mit mehr Diversität tatsächlich bessere Kunst rauskommt.

Beweisen im wissenschaftlichen Sinne lässt sich das nicht, weil es schwer ist überhaupt zu definieren, was bessere Kunst ist. Die Wissenschaft tut sich da schwer. Natürlich gibt es bestimmte Kriterien, an denen ich es messen kann, aber es gibt kein einheitliches Kriterium. Ich kann nach dem finanziellen Erfolg eines Werks gehen, aber der ist niemals unbeeinflusst von Marketing und vielen anderen Faktoren, außerdem diskutieren wir dann wieder schnell darüber, ob 50 Shades of Grey wirklich so ein wahnsinnig tolles Buch war, wie es sein Erfolg vermuten lassen würde. Ich Kriterien aufstellen und ein Buch bewerten lassen, aber dann beeinflusse ich durch die Auswahl der Kriterien und der Rater, wie ein Werk bewertet wird. Professionelle Literaturkritiker*innen werden wahrscheinlich Buch X über ein sehr ernstes Thema besser bewerten als Twilight, 14jährige Schülerinnen sehen das aber vielleicht anders und wie kann ich dann urteilen, wer eher Recht hat? Nehme ich Leute vom Fach oder durchschnittliche Leser*innen? Aber Geschmäcker sind nunmal verschieden. Ich hasse zum Beispiel Krimis und habe überhaupt keinen Spaß daran, sie zu lesen, aber das heißt nicht, dass alle Krimis schlecht sind. Sehr viele Leute lesen sehr, sehr gerne Krimis.

Ich glaube auch nicht, dass Diversität ein Werk per se besser macht. Es wird dadurch nicht automatisch spannender oder angenehmer zu lesen. Was Diversität, wenn gut umgesetzt, aber tut, ist zum einen, dass sich ein breiteres Spektrum an Leser*innen mit den Büchern identifizieren kann und dass es die Realität besser wiederspiegelt. In der Welt, in der ich lebe und in der ich mich bewege, sind queere Menschen ein Teil meines Alltags. Wenn ich mich mit Freunden unterhalte, nehmen wir nicht mehr automatisch an, dass jeder heterosexuell ist. Es ist in meinem Alltag Thema, deshalb kommt es mir weniger realistisch vor, wenn es in einem Buch auch dann ausgeklammert wird, wenn es meinem Empfinden nach aufkommen sollte. Zum anderen kann Diversität, und damit beziehe ich mich vor allem auf queere Figuren, dabei helfen kann, feste Muster aufzubrechen. Heterosexuelle Liebesgeschichten haben sich oft in den gleichen langweiligen Muster festgefahren, die für gleichgeschlechtliche Romanzen auf einmal nicht mehr gelten, was solche Liebesgeschichten für mich attraktiver und besser macht. Das kann ich natürlich auch, wenn ich gut genug schreibe, mit einer heterosexuellen Romanze erreichen, aber ich habe beobachtet, dass es durchaus hilfreich sein kann, bei Liebesgeschichten nicht in althergebrachten Rollenmustern zu denken.

Was wahrscheinlich am meisten Sinn machen würde, wäre zu zeigen, dass sich auch auf dem deutschen Buchmarkt diverse Bücher sehr gut verkaufen können, damit Verlage mehr Mut aufbringen, sie zu verlegen. Auf dem englischen Literaturmarkt erscheinen in den letzten Jahren sehr, sehr viele Bücher mit diversen Protagonist*innen, aber nur ein Bruchteil davon wird übersetzt. Ich hoffe, dass sich das bald auch bei uns ändert.

Maria

Zitat von: Mondfräulein am 01. Oktober 2019, 17:20:46
Beweisen im wissenschaftlichen Sinne lässt sich das nicht, weil es schwer ist überhaupt zu definieren, was bessere Kunst ist.

Wie ist es mit der Shortlist zum Deutschen Buchpreis? Ich kenne die Bücher jetzt nicht, aber wäre das nicht ein Maßstab, was von Fachmenschen als literarische Kunst eingestuft wird?
Weiß jemand, wie divers diese Werke sind?

Zitat von: Mondfräulein am 01. Oktober 2019, 17:20:46
Ich glaube auch nicht, dass Diversität ein Werk per se besser macht. Es wird dadurch nicht automatisch spannender oder angenehmer zu lesen. Was Diversität, wenn gut umgesetzt, aber tut, ist zum einen, dass sich ein breiteres Spektrum an Leser*innen mit den Büchern identifizieren kann und dass es die Realität besser wiederspiegelt. In der Welt, in der ich lebe und in der ich mich bewege, sind queere Menschen ein Teil meines Alltags.

Ich dachte, Fantasy wird vor allem gelesen, weil die Menschen etwas anderes als ihren Alltag lesen wollen?

Zitat von: Mondfräulein am 01. Oktober 2019, 17:20:46
Heterosexuelle Liebesgeschichten haben sich oft in den gleichen langweiligen Muster festgefahren, die für gleichgeschlechtliche Romanzen auf einmal nicht mehr gelten, was solche Liebesgeschichten für mich attraktiver und besser macht. Das kann ich natürlich auch, wenn ich gut genug schreibe, mit einer heterosexuellen Romanze erreichen, aber ich habe beobachtet, dass es durchaus hilfreich sein kann, bei Liebesgeschichten nicht in althergebrachten Rollenmustern zu denken.
Da bringst du mich auf eine spannende Spur, denn als ich in Twitter gefragt habe, ob jemand eine queere Romanze kennt, die keine Spur von Erotik beinhaltet, ein historisches Setting wie in Georgette Heyers Werken, auf pointierten Dialogen und einem scharf gezeichneten Bild derselben Zeit, konnte mir niemand einen Titel nennen. Vielleicht kannst du mir da weiterhelfen, sowas hätte ich gern gelesen.

Zitat von: Mondfräulein am 01. Oktober 2019, 17:20:46
Was wahrscheinlich am meisten Sinn machen würde, wäre zu zeigen, dass sich auch auf dem deutschen Buchmarkt diverse Bücher sehr gut verkaufen können, damit Verlage mehr Mut aufbringen, sie zu verlegen. Auf dem englischen Literaturmarkt erscheinen in den letzten Jahren sehr, sehr viele Bücher mit diversen Protagonist*innen, aber nur ein Bruchteil davon wird übersetzt. Ich hoffe, dass sich das bald auch bei uns ändert.

Da bin ich ganz bei dir. Die Children of Blood and Bone war ja ein solcher Versuch.

AlpakaAlex

Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Wie ist es mit der Shortlist zum Deutschen Buchpreis? Ich kenne die Bücher jetzt nicht, aber wäre das nicht ein Maßstab, was von Fachmenschen als literarische Kunst eingestuft wird?
Weiß jemand, wie divers diese Werke sind?
Warte mal, ist deine Frage gerade ernsthaft: "Was halten denn alte weiße cishetero Männer von Diversität?" Weil es liest sich so, als wäre das deine Frage. Denn Rate mal, wer einen nicht unerheblichen Teil der "Fachmenschen" ausmacht, die ihrerseits einen Bias gegen Geschichten haben, in denen ihre Art nicht die Hauptrolle spielt?
Das ist so, wie zu sagen, Oscarnominierungen sagen was über die besten Filme im Jahr. Tun sie nicht. Sie sagen nur, welche Filme es am besten geschafft haben, eine sehr, sehr spezifische Zielgruppe (im Fall der Oscars weiße, cishetero Schauspieler jenseits der 50) anzusprechen. Und welche Filme von ihrem Studio entsprechend gut vermarktet wurden oder die besten Geschenke mit sich gebracht haben.
Genau so sagen Publikumspreise sehr wenig aus, da sie eben auch nur sagen, wie sehr sich ein allgemeines Publikum - in diesem Fall die "breite Masse" - von einem Buch angesprochen gefühlt haben. Aber erneut natürlich auch etwas über das Marketing.

Es ist nun einmal so: Ein objektives Gut gibt es nicht in der Kunst. Sicher, man kann bei Geschichten Dinge, wie den Handlungsaufbau, Charakterentwicklung, Stil und Rechtschreibung bewerten, aber selbst da wird es schwer. Denn was für den einen eine Nachvollziehbare Charakterentwicklung ist, klingt für den nächsten komplett weit hergeholt - oft abhängig von den unterschiedlichen Lebensrealitäten und Weltwahrnehmung. Ich habe auf meinen Roman nur eine wirklich negative Kritik bekommen und diese beruhte zentral darauf, dass die Kritikerin, die offenbar in ihrem Leben wenig Erfahrung mit Depression hatte, einige Entscheidungen, die die Protagonistin aus ihrer Depression heraus trifft, absolut nicht nachvollziehen konnte. Unterschiedliche Lebenserfahrung halt.

Und sowas zeigt sich auch bei Geschichten (egal in welchem Medium), die über Erfahrungen mit Sexismus, Rassismus oder Queermisia aus erster Hand schreiben. Diverse Leute finden dass dann "unrealistisch" oder "übertrieben", und bewerten die Geschichte dann schlecht, weil sie nicht wissen, wie es wirklich ist.

Ich lege einen hohen Wert auf Glaubwürdigkeit. Deswegen ist mir Diversität wichtig, weil Bücher ohne nun einmal nicht glaubwürdig sind, außer sie spielen in einem sehr, sehr begrenzten Setting mit einem sehr, sehr kleinen Cast.

Zitat von: AngelikaD am 02. Oktober 2019, 04:30:00
Ich dachte, Fantasy wird vor allem gelesen, weil die Menschen etwas anderes als ihren Alltag lesen wollen?
Sorry, aber das klingt für mich nur nach einem furchtbaren Bad Faith Argument, dass einfach nur eine Ausrede geben soll, sich nicht mehr anzustrengend. Die fantastischen Elemente entführen aus dem Alltag - wenn du fantastische Weißheit oder fantastische Cisheterokeit brauchst, um deinem Alltag zu entfliehen und dich wirklich wohl zu fühlen ... dann sagt das in meinen Augen einiges aus und nichts davon ist gut.

Ich bin ein queerer Mensch. Meine Alltagsflucht in Fantasy setzt unter anderem auch voraus, dass es eine Fantasie ist, in die ich fliehen kann. Deswegen finde ich in Hogwarts beispielsweise keinen Escapism, weil es nun einmal so wirkt, als wäre meine Existenz mit der Welt nicht vereinbar. Und ich weiß von einigen behinderten Freund*innen, dass es ihnen ähnlich geht.
 

Amanita

Meiner Meinung nach hängt die Antwort auf die Frage, ob Diversität eine Geschichte besser macht, damit zusammen, wie sie sich in den jeweiligen Weltenbau einfügt und ob dies ein schlüssiges Ganzes ergibt, oder nicht.

Wenn man eine Geschichte über Soldaten schreibt und die in einer Gesellschaft spielt, in der Krieg eben Männersache ist, kann die Geschichte gut sein, auch wenn nur Männer im Mittelpunkt stehen. Einfach Soldatinnen dazufügen, damit man mehr Diversität hat, macht sie nicht notwendigerweise besser, wenn der Fokus auf den Soldaten bleiben soll. Man könnte dann aber entweder auch die Geschichte der Frauen in dieser Kriegssituation erzählen, oder eine Kultur entwickeln, in der es üblich ist, dass Frauen bei der Armee beteiligt sind. Beides könnte ebenfalls zu guten Geschichten führen, ob sie notwendigerweise besser sind, kommt darauf an. Wenn das Ziel darin besteht, beispielsweise die Erfahrungen eines Soldaten im Ersten Weltkrieg zu schildern, kann Version 1 die beste sein. (Im Westen nichts Neues wurde ja auch kritisiert, weil Frauen darin zu wenig vorkommen, finde ich in diesem speziellen Zusammenhang aber völlig gerechtfertigt.) Wenn man über Krieg allgemein schreiben möchte, wäre die zweite Version die beste und die dritte, wenn es beispielsweise um eine Armee geht, die an die heutige israelische angelehnt ist. (Ist jetzt das erste Beispiel, das mir bei Wehrpflicht für Frauen einfällt.)

Ähnlich ist es bei der ethnischen Diversität. Wenn man über eine moderne, mobile, globalisierte Welt schreibt, sollte die ethnische Zusammensetzung dem entsprechen. Schreibt man über ein Reich, dem mehrere Völker angehören, sollten auch Angehörige dieser Völker zu finden sein, in einer internationalen Handelsmetropole Menschen aus allen Ländern, die dort Handel treiben.
Schreibt man aber über eine wenig mobile Gesellschaft, wo die meisten gerade mal bis zum Nachbardorf reisen, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass diese ethnisch sehr homogen sein dürfte und wie die Leute dann aussehen, steht zunächst einmal im Bezug zu den regionalen Gegebenheiten, wobei dann die vorwiegend weiße, pseudoeuropäische Gesellschaft durchaus eine Option ist.
Allgemein gehört es meiner Meinung nach zum guten Weltenbau, dass die ethnische Zusammensetzung irgendwo nachvollziehbar ist, also durch Handelsbeziehungen, Eroberungen, Migration, Zugehörigkeit zum selben Reich etc.
Wenn einfach die heutige ethnische Zusammensetzung von New York einschließlich der dortigen Konflikte in ein Fantasydorf transplantiert wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass daraus eine gute Geschichte wird, eher gering.

FeeamPC

Genauso ist es, @Amanita . @AngelikaD schreibt Welten, die aus ihrer Historie heraus ziemlich homogen sind, aber mit Figuren, denen ich spontan beim Lesen keinerlei Rassesortierung gebe, weil die Beschreibung genug Spielraum für Fantasie lässt. Die Konflikte sind mehr von innen heraus als von außen herangetragen. Aber es gibt benachteiligte Gruppen, eindeutig (Frauen generell, Mischlinge mit einem Nachbarvolk), die ihren Platz finden wollen und behaupten wollen. Innerhalb des Weltenbaus ist also eine gewisse Diversität mit angelegt, und mehr gibt die Welt einfach nicht her, ohne ihren Charakter grundlegend zu veränder - was schade wäre, denn die Welt ist gut durchdacht und funktioniert hervorragend.

Ich denke, wir müssen, genauso, wie Diversität normal werden soll, akzeptieren, dass es eben auch völlig normal ist, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und zu lesen. Alles andere wäre Intoleranz von der anderen Seite.

Silvia

Danke, Amanita und FeeamPC. Genau so sehe ich das auch. Es hängt einfach von der Geschichte ab, die man erzählen möchte. Und auch von persönlichen Vorlieben, welche Figuren man einbaut und interagieren lässt. Finde ich diese oder jene samt ihren Problemstellungen interessant, dann immer rein damit, wenn es zur Geschichte beiträgt. Kann ich mit dieser oder jener aber so gar nichts anfangen, dann wird die auch nicht auftauchen, nur um auf der imaginären Liste "muss heutzutage mit rein" ein Häkchen zu machen. Weil es dann ein Pappkamerad werden würde, der nur durch das Bild läuft und ansonsten nichts zu Story hinzufügt.

Guddy

Zitat von: FeeamPC am 02. Oktober 2019, 10:35:15

Ich denke, wir müssen, genauso, wie Diversität normal werden soll, akzeptieren, dass es eben auch völlig normal ist, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und zu lesen. Alles andere wäre Intoleranz von der anderen Seite.
Es ist seit Jahrzehnten normal, nicht-diverse Geschichten zu schreiben und so zu tun, als wäre weiß und cis-männlich die Default-Einstellung.

Ist es jedoch nicht. Auch wenn das als weißer Mensch unangenehm zu verstehen und zu sehen sein kann.