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Harter Tobak - Wie viel ist zu viel?

Begonnen von Maja, 24. August 2019, 06:56:55

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Churke

Das ist individuell unterschiedlich. Es gibt Pegeltrinker, die voll ansprechbar sind. Sie haben eine Fahne, eine herabgesetzte Hemmschwelle und sind kognitiv eingeschränkt.

Und dann gibt es welche, die sind hochgradig dement. Ich habe mal versucht, so jemandem zu erklären, dass ihm gerade eine Räumungsklage zugestellt wurde.
Das war dann ein Typ, dem man ansah und - roch, dass er letzte Woche in seiner Kotze aufgewacht ist, weil er seitdem weder sich noch seine Klamotten gewaschen hat. Aus der Entgiftung kam er trocken, rasiert und gewaschen und reden konnte man mit ihm auch wieder. Dass das immer noch der Fall ist, bezweifle ich allerdings. Solche Leute nässen sich auch mal ein, geistern in Unterhose durchs Treppenhaus, urinieren in den Hausflur, beschmieren Wände mit Kot usw.. Das sind keine Einzelfälle, das hört man von Vermietern und Ehefrauen.



Steffi

@Churke: Die von mir begleitete schwere Alkoholikerin ist mittlerweile trocken, leidet aber am am Korsakoff-Sydrom (hat also Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis) und war, als es ganz schlimm wurde, auch inkontinent. Sicherlich mag es von Fall zu Fall unterschiedlich sein, aber "wacht in seinem Erbrochenem auf" als den Marker für Alkoholismus zu benutzen, damit es realistisch wirkt, ist einfach falsch.
Sic parvis magna

Ahneun

#32
Der Link von @KaPunkt, bzw. dessen Inhalt ist in dieser Frage sehr aufschlussreich. "Was soll man denn alles Triggern, ... und, vor was soll ich (als Autor) alles warnen?"
Bezogen auf @Maja, ich würde auch die "Kamera draufhalten".

Allgemein kommt es natürlich auf das Genre an. Da bin ich bei @Wildfee.
@Anila schreibt aus der Sicht einer Ärztin, die, wie sie schreibt, "so Einiges gewöhnt ist".

Da stellt sich mir persönlich die Frage; -> Welcher Personenkreis gehört zu meiner Leserschaft? Ich habe doch zu Beginn meines Buches ein Genre festgelegt in dem sich mein Roman befindet.
Dazu gehören doch Leser, die sich mit einer "Grundeinstellung" an das Buch heranwagen. Genre bezogen. Entweder, ich habe als Autor einen Ruf und der Leser weiß auf was er sich einlässt, oder, ich bin ein Autor mit einem breiten Spektrum an Genres, wo der Leser nicht weiß, was ihn erwartet. Oder, ich bin ein Autor der neu auf dem Markt ist und der Leser weiß noch gar nichts von mir und ICH muss mich als Autor erst etablieren. Da ist der Erstroman ein wichtiger Baustein in der Autorenkarriere gleich zu Beginn.

Natürlich, und da gebe ich Wildfee absolut Recht, muss in einem Fantasy-Roman, das Erbrochene nicht auch noch seziert bzw. analysiert werden. (nur mal als Beispiel)
Anders ist es in einem Horror-Roman. Da möchte ich, als Autor, schon die Einzelheiten einer Szene beschreiben um entsprechende Gefühlszustände bei meinen Lesern auszulösen.

Ich kann das auch in meinem Klapptext andeuten, ohne groß auf den Inhalt einzugehen. Daraufhin entscheidet doch der Leser, kaufen - oder - stehenlassen. Das Risiko, ob ein Roman Mist oder Top ist, entscheidet letztendlich die breitgefächerte Leserschaft.
- Ein Diamant
ist

Maja

@Steffi
Kevron ist Alkohol gewöhnt, und er kennt sein Limit. Ich habe mir sehr viele Gedanken darüber gemacht, wie viel er trinkt und wann - due Geschichte erfordert, dass er, wenn auch unfreiwillig, über längere Zeit ohne Alkohol auskommen muss, ohne am Entzug zu sterbrn, was bei Alkoholismus ha ein echtes Thema ist. Wenn er trinkt, dann nicht bis zum Koma. Normalerweise.

Die betreffende Szene passiert aber unter ganz anderen Umständen: Nachdem Kevron erzwungenermaßen eine Weile ohne Alkohol auskommen musste, mit ständigem Druck, aber ohne dem nachgeben zu können, wird ihm von einer anderen Figur, die ihn zu gut krnnt, Alkohol verabreicht - kein Wein, womit er dich auskennt, sondern ein Gemisch aus Alkohol und Wasser mit schwer zu kontrollierender Dosierung.

Kevron ist gerade dabei, einer anderen Figur zur Flucht zu verhelfen, er will sich eigentlich  nicht ausgerechnet jetzt betrinken, weil er sich noch braucht, aber er wird genötigt und kann ja schlecht zugeben, dass da gerade diese Fluchtaktion anläuft. Stattdessen beschließt er, den Alkohol für sein Alibi zu verwenden, damit es so aussieht, als wöre die Person hinter seinem Rückrn geflohen, während er seinen Rausch ausschläft. Zu diesem Zeck zwingt er sich in kurzer Zeit große Mengen Alkohol herunter, ganz anders, als er normalerweise trinkt. Und wenn jemand, der üblicherweise seine zwei Flaschen Wein über den Tag trinkt, eine Flasche Wodka ext, dann rebelliert der Körper. Das ist dann die Situation, in der er aufgefunden wird.

Ich kenne mich mit Alkoholismus leider besser aus, als mur lieb ist, und in dem Buch steckt viel Recherche,  keine Sorge.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Ahneun

In diesem Fall, @Maja, was Du hier schreibst, ist doch das Daraufzeigen und Schildern von Handlungen sinnvoll. Vielleicht musst Du nicht alles bis in's kleinste Detail ausbreiten. Aber, wie Du schreibst, Du hast recherchiert und leider dahingehend eigene Erfahrungen sammeln müssen, kannst Du die Dinge ruhig beim Namen nennen. Das Thema Alkoholismus ist harter Toback. Es ist eine Krankheit. Und, es gibt Gesellschaftspolitisch keinen Grund, darüber hinweg zu sehen. Hier muss man die Dinge beim Namen nennen.
- Ein Diamant
ist

Kunstmut

ZitatWas kann man den Lesern zumuten?

Was ist ein Leser? Wer liest? Warum liest man? Wie alt ist die Person, die liest? Ich würde mir einen klaren Filter setzen. Da ich lange genug auf fanfiktion unterwegs war, finde ich die Richtlinien vom Jugendschutz nach wie vor passend. Es gibt die drei groben Einschränkungen FSK 12, FSK 16 und FSK 18 - wie bei Filmen und Videospielen. Ein "Life Is Strange" wäre also FSK 16 (wie man das Thema Suizid auf FSK 12 bringen kann, ist mir ein Rätsel), ein "The Last Of Us" dagegen eindeutig FSK 18. In der Literatur macht man das ja gerne daran fest, wie hoch das Maß an Gewalt ist und wer in der Perspektive die moralische Instanz ist. Sherlock Holmes steht für das Gute und bekämpft das Verbrechen, also gut geeignet für den Nachwuchs? Als ich das in der Grundschule gelesen habe, war ich irritiert, dass niemand über die eine Szene eine Warnung gesetzt hat, in der ein Mann mit einer Harpune aufgespießt an der Wand hängt. Und in einer anderen Kurzgeschichte "Das gefleckte Band" wird eine Giftschlange in der Nacht, während alle schlafen, durch den Lüftungsschacht geschickt. Oder wer erinnert sich noch an den süßen Anime Detektiv Conan? Die Doppelfolge "Der Nebelkobold" hat mein Blut eingefroren, weil die Folge gekonnt Horrorelemente einsetzt. Selbst als Erwachsener kann einem das Szenario Angst machen.

Dass die Amerikaner mit ihrem rigorosen Free Speech ankommen, liegt in deren bisweilen sonderbaren Kultur. Da darf auch jeder eine Schusswaffe haben, weil ein Nichtbesitz von Waffen ein Verbot vom "Nanny"- Staat wäre. Und man darf alles sagen, zum Beispiel den Holocaust leugnen - weil Meinungsfreiheit. Wer mit deutschem Recht aufwächst, wundert sich, wie es sein kann, dass auf youtube, reddit usw. Nutzer nicht gesperrt werden, obwohl sie mit der Rassenlehre anfangen und einen Sehnsuchtskult rund um die Nazis aufbauen. Was dank Spielen wie Wolfenstein oder Filmen wie Indiana Jones mit Hakenkreuzen bis zum Exitus schleichend passiv gefördert wird. Auch wenn sich alle immer mit der "Kunstfreiheit" und der "Verantwortung des Individuums" herausreden. Nicht umsonst kursiert eine Karikatur auf twitter, in der Toleranz (free speech) gegenüber Rechtsextremismus dazu führt, dass man letztlich alles sagen und schreiben kann. Bis hin zum Bau einer Mauer, Verhöhnung von Vergewaltigungsopfern, Bezeichnung anderer Länder als Slums. Deshalb bin ich ein Verfechter für Triggerwarnungen! Allerdings ist ein Aufwachen in Erbrochenem, wenngleich ekelhaft und unangenehm, noch kein Grund für eine Triggerwarnung. Das kann man problemlos verkraften. Oder ich habe einfach zu viele Schnapsleichen im schalen Echo basslastiger Ballermannmusik gesehen. Eine Triggerwarnung ist zum Beispiel zwingend für Geschichten, in denen es zu Lobotomie oder Genitalverstümmelung kommt, niemand die Aktion verhindert und die Täter ungestraft davonkommen, weil es eben eine realistische Geschichte sein soll. Aber solche krassen Sachen sollte man beim Schreiben oder Testlesen erkennen.

Der Thread heißt: Wie viel ist zu viel? Und ich finde den Einwand mit der künstlerischen oder ästhetischen Entscheidung hier entscheidend. Wenn ich mich beim Schreiben für einen Stil entscheide, kann ich vom Publikum in Schubladen einsortiert werden. Wobei sich die "Weltliteratur" gerne dadurch arrogant beweihräuchert, dass hier ein besonders vornehmer und edler Stil behauptet wird, während man die Belletristik fast schon abwertend bis untauglich abkanzelt. Gerade Deutschland ist hier (oder war hier) super spießig. Schulen zum Sprachenlernen heißen immer noch Goethe-Institute und die Anmaßung und Arroganz in Person - Marcel Reich-Ranicki - hat sich sogar dazu erhoben mit diesem Blödsinn eines nationalen Kanons der Literatur - nach seinem Geschmack - anzufangen. Dabei gibt es durchaus Fälle wo jemand im einen Moment einen hardboiled Krimi schreibt, der wortkarg, derb und bisweilen boshaft pervertiert daherkommt, während die exakt selbe Person wenig später ein freundliches und naives Buch für Kinder schreibt. Wenn ich etwas von Michael Ende lese, erwarte ich Neugierde, Wärme, Phantasie, Lieblichkeit und eine gewisse lustige Entrücktheit von der Welt. Es ist wie ein Besuch eines Weihnachtsmarktes, man erwartet gemütliche Holzhäuschen, frohe Beleuchtung und dampfenden Glühwein, während es im Sonnenuntergang sanft schneit. Wenn ich dagegen Jean-Christophe-Grangé lese, muss ich damit rechnen, dass ein nackter Mann in Embryonalstellung in einer Gletscherspalte gefunden wird. Wenig später gibt dann der Pathologe einen sehr nüchternen Bericht darüber ab, wie die Person erst mit glühenden Eisenstäben verbrannt wurde und wie im Anschluss bei lebendigem Leibe mit dem Skalpell die Augäpfel aus dem lebenden und gefesselten Opfer entfernt wurden. Ja nun, puh. Nicht jeder wird Grangé lesen, sein Publikum aber will genau das, wie man an dutzenden weiteren Romanen erkennt, die als brutale Thriller in dieselbe Kerbe schlagen.

Ganz subjektiv und persönlich bin ich ein Fan von "weniger ist mehr" plus Schockmomente an der richtigen Stelle. Also eine Vorgehensweise wie in dem Film "Drive". Die meiste Zeit ist es ruhig, bis dann jemand einfach knochentrocken und ohne einen Wirbel darum zu machen, eiskalt getötet wird. Lovecraft macht das in seinen Horrorgeschichten ebenfalls andauernd. Ellenlang werden pseudowissenschaftliche Erkenntnisse und Beschreibungen eingebracht - wie zu Beginn von "Berge des Wahnsinns" - bis man fast beim Lesen einschläft. Und dann zack, reißt die Verbindung zu einem Lager ab, die handelnde Person begibt sich dort hin, und ohne Rücksicht auf die Nerven der Leser wird hart und sachlich, klipp und klar beschrieben in welchem Zustand der Verwüstung sich das Zeltlager befindet und wie die Überreste der Menschen aussehen. Gerade weil das alles so intensiv beschrieben ist, wie der realistische Bericht einer Tatortuntersuchung, entsteht jenes Gefühl des langsam stärker werdenden Grauens. In einer Liebesgeschichte vor dem wildromantischen Hintergrund der schottischen Highlands will man solche Szenen sicherlich mit allen Mitteln verhindern.

Zwei Geschichten habe ich bislang nicht weitergelesen, weil mir der Stil zuviel wurde. Das eine ist "Das Parfum" von Patrick Süskind, das andere "Wendekreis des Krebses" von Henry Miller. Beim ersten Beispiel war es nur ein Auszug damals im Deutschbuch, in der eine Geburt in der Gosse beschrieben wird, dazu dann all der Dreck, Morast, Unrat und alles weitere, was man in diesem Moment nicht lesen möchte. Beim zweiten Beispiel war es insgesamt der Stil, der eine deftige Zote an die nächste reiht und auf eine Weise schreibt, die nur schwer zu ertragen ist. Beide Beispiele sind literarisch faszinierend, aber genauso kann man zum Frühstück Milch mit Granitsteinen essen. Die einzige Geschichte, die bei mir bislang Ekel hervorgerufen hat, ist übrigens "In der Strafkolonie" von Franz Kafka. Die dort beschriebene Foltermethode, die dann über Seiten diabolisch ausgekostet wird, ist nur schwer zu ertragen. Kafka ist allgemein ein Autor, der mich beim Lesen anstrengt und enorm erschöpft, aber dieser Text ist die Härte. Als gelungenes Beispiel für Grenzüberschreitungen halte ich "Watchmen" von Alan Moore. Das geht weiter als die meisten anderen Sachen, zum Beispiel in der Szene mit Rorschach und den Fleischermessern auf der Suche nach einer Kinderleiche, während draußen die Kampfhunde offensichtlich um Reste eines Kinderbeines raufen. Aber die härtesten Szenen werden dann doch nicht gezeigt, beziehungsweise, die Comicpanels wechseln den Standpunkt. Das, was ich bisher von Game Of Thrones gesehen habe, wirkt überwiegend wie ein 0815 Abklatsch der Rosenkriege und des typischen europäischen Mittelalters gemischt mit einigen Softpornoszenen. Für Menschen, die wohl schon "Shades Of Grey" fälschlicherweise als verrucht, lasterhaft und heiß fehlinterpretiert haben.

Fazit: Die Szene mit dem Erbrochenen würde ich genauso drin lassen. Es ist immer gut zu sehen, wenn Charaktere Fehler machen und die Konsequenzen tragen müssen. Allerdings sollte man die Beschreibung der Szene kurz halten. Müsste ich mehr als 400 Worte über Erbrochenes lesen, würde ich den Teil wohl überspringen und schauen, wo die Szene endet und es weiter geht. Aber die Schreibschulen sind verschieden. Hemingway würde jetzt sagen, dass man es ganz streichen kann. James Joyce würde dich jetzt ermutigen, die Szene aus mindestens drei verschiedenen Perspektiven zu erzählen und sie auf mindestens 3000 Worte auszudehnen. Und du müsstest alle wichtigen Biersorten und Schnapssorten erklären und alle Vokabeln zum Thema "Alkohol" einbauen, die dir in allen Dialekten der deutschen Sprache einfallen. Aristoteles würde etwas von der goldenen Mitte schwafeln, um einen gelingenden Übergang zur Katharsis zu schaffen. Und Gertrude Stein würde sagen: Ein Erbrochenes ist Erbrochenes ist Erbrochenes. Dazu gibt es die üblichen zehn Leser, die es mochten, zehn, die es nicht mochten, zehn, denen es nicht aufgefallen ist, und zehn, denen es egal ist.

AlpakaAlex

Das ist ein wenig ein kompliziertes Thema.

In erster Linie würde ich sagen: Jedes Buch braucht Triggerwarnungen und diese sollten eben vor entsprechenden Themen warnen. Dabei kann man eben in den Triggerwarnungen auch deutlich machen, ob ein Thema nur angedeutet oder sehr explizit vorkommt. Entsprechend können Leute, die über bestimmte Dinge nicht lesen wollen, auch selbst entscheiden, es dann nicht zu lesen.

Aber gut, was kann man schreiben und was nicht? Ist halt wirklich ein kompliziertes Thema. Natürlich kann man alles schreiben, aber die Frage ist halt, ob es sinnvoll ist. Ist es eben in der Geschichte wirklich notwendig, diese explizite Szene mit dem Alkoholmissbrauch zu haben?

Denn Fakt ist halt, dass viele solcher Szene häufig als Schockfaktor drin sind. Und wenn es als Schockfaktor drin ist, bin ich halt kein Fan davon. Das ist für mich dann einfach billige Effekthascherei, die meistens nicht notwendig sind, um die Geschichte zu erzählen.

Ich habe beispielsweise eine Geschichte, in der Vergewaltigung und Folter vorkommen, aber ich schreibe beides kaum aus, weil es halt für die Leserschaft nicht wirklich einen Unterschied macht. Leser*innen verstehen auch so, was da passiert, ohne dass ich jetzt genau beschreibe, auf welche Art die Hauptfigur gefoltert wird.

Entsprechend sollte man sich meiner Meinung nach Gedanken darüber machen, ob man es wirklich braucht für die Geschichte. Also ob es mehr als einfach nur Schock der Geschichte hinzufügt.