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Figuren mit bestimmten Eigenschaften erfinden

Begonnen von Coppelia, 01. Mai 2019, 20:16:40

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Coppelia

Irgendwie komme ich mir nicht wie ein Profi vor, wenn ich das hier schreibe, aber egal ...

Ich bin ja "Charakterschreiberin": Figuren bringen bei mir oft ihren Plot mit. Die Figuren stehen mir dann oft gleich mit all ihren Eigenschaften lebendig vor Augen. Das ist einerseits ganz nett. Andererseits habe ich aber auch festgestellt, dass es mir schwer fällt, die Eigenschaften der Figuren in solchen Fällen zu ändern, z. B. ihr Geschlecht, ihren Hintergrund u. ä.
In letzter Zeit versuche ich häufiger, Geschichten zu plotten, bei denen Figuren mehr oder weniger in festgelegte Rollen passen müssen oder bestimmte Eigenschaften aufweisen müssen, um in einer bestimmten Art Plot zu agieren (ein Beispiel wäre, dass man für das Genre Gay Romance, das ich allerdings noch nicht geschrieben habe, zwei homosexuelle Hauptfiguren braucht. Oder: In einem High-School-Setting ist die Figur "Netter Nerd" unumgänglich). Mein Problem ist in solchen Fällen oft: Ich weiß zwar, welche Eigenschaften die Figuren haben müssen, aber bei mir klappt es dann nicht, Figuren zu erfinden, die diese Eigenschaften haben und in meinem Kopf lebendig werden.

Ich kann also einerseits nicht sehr gut schon existierende Figuren so ändern, dass sie die gewünschten Eigenschaften aufweisen, und andererseits nicht gut eine "Figurenhülle" mit bestimmten Eigenschaften erfinden und die dann mit einer lebendigen Figur füllen.
Von den Figuren, die mit "unerwünschten" Eigenschaften bei mir auf der Matte stehen, will ich jetzt gar nicht reden. :P Dass ich ihnen die normalerweise nicht abgewöhnen kann, versteht sich von selbst.
Nun ja, Ausnahmen bestätigen die Regel, aber mit diesem Problem kämpfe ich immer wieder.

Da ich annehme, dass viele von euch das Problem nicht haben: Wie geht ihr vor, wenn ihr Figuren mit bestimmten Eigenschaften erfindet, sodass sie lebendig und rund werden? Ich würde mich über eure Erfahrungen freuen. Vielleicht kann ich daraus Anregungen für mich ziehen.

Edit: Was mir gerade auffällt: Wenn der Rahmen eng ist, fällt es mir aus irgendeinem Grund leichter, mir die Figur vorzustellen, als wenn er weit ist. Wahrscheinlich, weil ich mir dann eher denken kann, wie eine Person sein muss, die in diesen Rahmen "passt".

Mia Nordstern

Gerade wenn es um Charaktereigenschaften geht, frage ich mich oft, warum das so ist. Zum Beispiel:warum ist er asexuell? Weil er missbraucht wurde. Warum ist er ordnungsliebend? Weil es ihm Sicherheit gibt, weil ihn xy sonst zu sehr ängstigt. Für mich macht die Backstory viel von einer runden Figur aus. Hat sie eine Geschichte, reflektiert sie sich im gegenwärtigen Verhalten. Das muss auch nicht dem Leser klar werden.
So we beat on, boats against the current, borne back ceaselessly into the past. (F. Scot Fitzgerald, The Great Gatsby)

Araluen

Mir geht es da wie @Mia Nordstern. Figuren werden für mich erst so richtig rund und greifbar, wenn ich die Vorgeschichte kenne (Wichtig ist dabei eigentlich nur, dass ich sie kenne. Ob der Leser davon etwas erfährt, ergibt sich dann) und weiß, warum sie so sind, wie sie sind. Auch der nette Nerd von nebenan hat seinen Grund, warum er ein netter Nerd geworden ist und nicht der Starbasketballer des Schulteams. Dieses Warum versuche ich aus meinen Charakeren heraus zu kitzeln. Meistens sind sie von allein da recht mitteilsam, weshalb ich da selten Hilfsmittel brauche. Aber Charakterinterviews sollen auch helfen oder was ich tatsächlich gern mache, ist meine Charaktere einfach miteinander reden lassen. Meist passiert das nur im Kopf. Da bin ich zum Aufschreiben zu faul. Ich notier mir da die Quintessenz. Tatsächlich sind die Charaktere untereinander oft mitteilsamer als mir gegenüber ;) Manchmal kommen dabei sogar Dialoge raus, die ich doch aufschreibe und ins Manuskript einbaue.

Fianna

#3
Ich weiß nicht, ob Dir das jetzt weiter hilft, das klingt alles sehr intuitiv bei Dir.
Meine Figuren werden fast alle "gebaut": ich schaue mir an, welche Funktion sie einnehmen sollen und schraube dann so lange an dem Alter, Geschlecht und Charaktereigenschaften herum, bis es passt. Ich bin da eher wie ein Schachspieler.
Z.B. denke ich mir im Fantasykrimi: der Sidekick soll sich an die Träger des korrupten politischem Systems anschleimen, weil das ist gegensätzlich zur Hauptfigur und es bringt schön Stress. Wenn die beiden Unstimmigkeiten haben, ist es auch wahrscheinlicher, dass die vermeintliche Hauptfigur sich nicht mit seinem Sidekick abspricht, und infolge des Alleinganges getötet wird.

Dann habe ich eine wunderbare Abfolge von Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen und Ereignissen - und keinen Plan, warum der Sidekick sich bei den korrupten Machtträgern einschleimt. Das ist irgendwie nicht so sympathisch. Warum macht man sowas?
Eine grobe Vorstellung von der Figur habe ich mir ja auch schon gemacht zu diesem Zeitpunkt, das ist schon eher ein Sympathieträger (und wird nach dem Tod der vermeintlichen Hauptfigur der eigentliche Ermittler, also soll es quasi den Helden ersetzen).
Wie zur Hölle passt das zusammen?
Dann überlege ich so lange, bis mir ein Ziel einfällt, das zu der Figur passt. Ein Ziel, für das man die Kooperation dieser politischen Typen braucht. Und dann habe ich etwas, was wunderbar im Einklang mit meiner eigentlich Sympathie-erweckenden Figur steht, nur bei der Frage nach der Methodik stimmt der Freund / Vertraute / vermeintliche Hauptfigur mit seinem Sidekick eben gar nicht überein.
Dann stelle ich fest, dass beide Figuren eine kleinen Gegensatz aufweisen und baue dieses Kooperation vs. Konfrontation noch mehr aus im Charakterbau und in der Vergangenheit.
Und dann passt alles.

Im Prinzip - wie bei Lego. Man sucht solange Bausteine, bis das Konzept stimmig ist.
Wenn man jedoch ein sehr stark intuitiv handelnder Schreiber oder Plotter ist, könnte das schwierig werden. Aber vielleicht kannst Du Dir von diesem logischen Bausteinprinzip, in dem nur geringfügig Dinge verändert werden, bis es alles passt, ja doch etwas abgucken....

Coppelia

#4
Danke für eure Antworten!

Ich mache es nicht anders, als ihr schreibt. Sogar ganz genau so. Aufgrund der Eigenschaften versuche ich den Hintergrund zu finden und detalliert festzulegen. Wenn aber die Eigenschaften angeboren sind, bringt das wenig. Dann kann ich mir nur überlegen, wie der Umgang mit diesen Eigenschaften bisher war. Wenn ich dann einen Hintergrund mit Konfliktpotential entwickeln kann, kann ich meist gut einsteigen. Leider ist das je nach Eigenschaft nicht immer sinnvoll bzw. erwünscht (Diskriminierung z. B. soll oft lieber nicht thematisiert werden).

Bei meinem "Netten Nerd" habe ich ein nerdfreundliches Elternhaus u. ä. erfunden. Vielleicht wäre es eine gute Idee, grundsätzlich nicht naheliegende Gründe für die Eigenschaften zu wählen, sondern originelle.

Was ich schon häufiger mal gemacht habe: einer "Figurenhülle" eine passende und eine unpassende Eigenschaft verliehen. Durch diesen Gegensatz enstanden interessante und lebendige Figuren. In dem Fall war aber der Rahmen auch schon etwas stärker vorgegeben.

Charakterinterviews habe ich auch schon sehr viele gemacht, allerdings klappt das bei mir bei "nicht lebendigen" Figuren schwerer als bei welchen, die quasi "von sich aus" reden.

@Fianna
Was du beschreibst, klingt für mich nach einem engen Rahmen, und da hätte ich kein Problem, eine Figur zu erfinden.
Je mehr Fixpunkte festgelegt sind, desto einfacher, zu erkennen, was in den Rahmen passt, und dementsprechend jemanden zu entwickeln. Und das Beispiel, das du nennst, ist so ungewöhnlich und interessant, dass ich es in dem Fall wirklich sehr leicht fände. :D Gerade wenn Dinge bei einer Figur nicht zusammen zu passen scheinen, macht es das für mich einfach, besonders lebendige Figuren zu erfinden.

Mir geht es wohl eher darum, überhaupt Ansatzpunkte für Figuren zu finden, wenn kaum etwas festgelegt ist, dafür aber ein Schema von Genre-Erwartungen erfüllt werden muss. Also meistens nicht, wenn ich schon einen Plot habe, sondern wenn ich quasi bei Null anfange.

Es ist nicht so, als hätte ich nicht auf die Art schon jede Menge Figuren erfunden. Leser*innen fanden und finden diese Figuren auch gut. Für mich haben sie sich aber immer mehr wie Pappaufsteller angefühlt im Gegensatz zu denen, die in meinem Kopf richtig "leben". Vielleicht ist es auch wirklich nur ein subjektives Problem. Allerdings mindert es meine Schreibfreude.

Am liebsten starte ich eigentlich mit einem interessanten Konflikt für einen fesselnden Plot. Daraus ergeben sich die Figuren dann oft von selbst.

Und sobald die Figur "lebt", kann ich sie dann nur ganz schwer verändern. Wenn ich z. B. mehr Frauen im Plot bräuchte, kann ich z. B. nur schwierig Männer einfach in Frauen umwandeln, solange es Figuren sind, die in meinem Kopf "leben". Oder wenn der Hintergrund einer Figur hergibt, dass sie in der Gegend aufgewachsen ist, kann ich nicht plötzlich beschließen, dass sie nun Migrationshintergrund hat. Dann würden die Figuren für mich keinen Sinn mehr ergeben.

Ich glaube nicht, dass ich ausschließlich intuitiv arbeite, dazu plane ich deutlich zu viel, aber offenbar habe ich eine Art, meine Figuren als lebendig zu empfinden (oder nicht) und das für "richtig" zu halten (oder falsch). Inwieweit das anderen so geht, kann ich schwer beurteilen. Oder inwieweit es überhaupt angemessen ist.

Tut mir leid, wahrscheinlich ist das einfach nicht sehr aufschlussreich. Und eventuell bilde ich mir das Problem auch nur ein.

AlpakaAlex

Meine Technik ist wahrscheinlich nur bedingt brauchbar - hilft mir jedoch zumindest immer wieder. Und zwar probiere ich Charaktere in Rollenspielszenarien, also zum Beispiel bei Pen & Paper, immer mal wieder aus. Das hilft, ein stimmiges Charakterbild zu erzeugen, weil man so die Figur mit unterschiedlichen Szenarien konfrontieren kann - und mit unterschiedlichen anderen Figuren.

Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass es durchaus funktionieren kann, wenn man dasselbe als kleine Schreibübung macht. Man nehme sich eine Promptliste, nehme sich den Charakter nach Wahl und schreibe kleine Geschichten mit dem Charakter zu den Prompts und ändert bei Bedarf ein paar Kleinigkeiten bei dem Charakter ab, bis man den Charakter auf eine Art hat, die passt.

Ich gebe allerdings auch offen zu, dass ich es etwas seltsam finde, "schwul" als Charaktereigenschaft zu sehen. Schwul ist einfach nur die sexuelle Ausrichtung, aber an sich keine Eigenschaft. Es gibt schwule Machos, schwule Nerds, schwule Sportler, schwule Künstler ... Per se beeinflusst es weniger den Charakter. Natürlich beeinflusst es dennoch den Charakter - aber auf andere Art, als ich es hier herauslese. Denn je nach Welt/Setting ist es halt nun einmal so, dass die Art, wie Charaktere die Welt um sie herum erleben, von ihrer Sexualität beeinflusst wird. Es ist halt schon ein Einfluss, wenn man aufwächst, irgendwann feststellt, dass man auf andere Jungs und nicht auf Mädchen steht, aber bspw. wenig Repräsentation in den Medien findet, "schwul" als Schimpfwort durch die Gegend geworfen wird und man die "Ich habe ja nichts gegen Homos, aber ..." Tante hat. Und das ist, wenn es glimpflich abläuft. Umso mehr ist es natürlich formend, wenn man ein extrem homomisisches Umfeld hat, bspw. weil man in einer Religionsgemeinschaft aufwächst, die sehr ablehnend reagiert.

Das ist letzten Endes nicht anders, wie dass Hautfarbe keine Charaktereigenschaften mit sich bringt, die Diskriminierungserfahrungen, die man ggf. durch sie macht, aber schon.

Zitat von: Mia Nordstern am 01. Mai 2019, 20:34:32
warum ist er asexuell? Weil er missbraucht wurde.
Also hier muss ich mal kurz reingrätschen. Missbrauch macht niemanden asexuell. Asexuell bedeutet, dass man keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen hat. Das ist genau so, wie jede andere Sexualität, vorrangig angeboren und wird etwaig noch von Hormonen beeinflusst. Aber nicht von Missbrauch. Missbrauch kann dafür sorgen, dass jemand keinen Sex mehr haben will oder wirklich eine Phobie vor (bestimmten) sexuellen Handlungen entwickelt oder der Gedanke an Sex mit Unwohlsein verbunden wird etc. - aber das ist nicht dasselbe wie Asexualität.

Übrigens gibt es auch Asexuelle, die durchaus Sex haben. Wie gesagt, es bedeutet nur, dass man sich nicht sexuell angezogen fühlt und selbst keinen Sexualtrieb wahrnimmt.

Diese ganze: "Sexueller Missbrauch macht Menschen asexuell" ist furchtbar toxisch für die Ace Community. (Genau so, wie die "Die ist nur lesbisch, weil ein Mann sie vergewaltigt hat" sehr schädlich für Lesben ist.)

Sexualität hat keinen Grund. Genausowenig, wie die Augenfarbe einen Grund hat. Außer eben Gene, Hormone und biologische Prozesse.
 

Mia Nordstern

#6
ZitatIch mache es nicht anders, als ihr schreibt. Sogar ganz genau so. Aufgrund der Eigenschaften versuche ich den Hintergrund zu finden und detalliert festzulegen. Wenn aber die Eigenschaften angeboren sind, bringt das wenig.

Das habe ich vielleicht falsch ausgedrückt. Wenn ich möchte, dass die Figur eine bestimmte Eigenschaft hat beziehungsweise die Geschichte diese Eigenschaft von der Figur braucht, gebe ich dieser Eigenschaft einen Hintergrund. Also macht der Hintergrund die Eigenschaft fest (näht sie sozusagen an die Figur?). Wenn ich möchte, dass die Figur schwul ist, gebe ich ihr eine Hintergrundgeschichte, eine traurige Liebesgeschichte in der Vergangenheit usw. Damit wird das lebendig. Bei mir ist es aber auch oft so, dass ich nur die Hauptfigur fertig vor mir sehe und die Nebenfiguren schon oft stricken muss. Aber so kann ich auch die Hauptfigur(en) noch etwas ändern. Ob ich aber zum Beispiel das Geschlecht ändern könnte, weiß ich nicht.

Zitatwarum ist er asexuell? Weil er missbraucht wurde.

Also hier muss ich mal kurz reingrätschen. Missbrauch macht niemanden asexuell. Asexuell bedeutet, dass man keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen hat. Das ist genau so, wie jede andere Sexualität, vorrangig angeboren und wird etwaig noch von Hormonen beeinflusst. Aber nicht von Missbrauch. Missbrauch kann dafür sorgen, dass jemand keinen Sex mehr haben will oder wirklich eine Phobie vor (bestimmten) sexuellen Handlungen entwickelt oder der Gedanke an Sex mit Unwohlsein verbunden wird etc. - aber das ist nicht dasselbe wie Asexualität.

Übrigens gibt es auch Asexuelle, die durchaus Sex haben. Wie gesagt, es bedeutet nur, dass man sich nicht sexuell angezogen fühlt und selbst keinen Sexualtrieb wahrnimmt.

Diese ganze: "Sexueller Missbrauch macht Menschen asexuell" ist furchtbar toxisch für die Ace Community. (Genau so, wie die "Die ist nur lesbisch, weil ein Mann sie vergewaltigt hat" sehr schädlich für Lesben ist.)

Sexualität hat keinen Grund. Genausowenig, wie die Augenfarbe einen Grund hat. Außer eben Gene, Hormone und biologische Prozesse.

Da habe ich in der Eile das falsche Wort verwendet. Bzw. ich weiß nicht, ob es dafür ein Wort gibt. Die Figur (die es wirklich gibt) möchte einfach für sich keinen Sex haben. Sie ekelt sich vor der Sexualität anderer und empfindet es als triebhaft. Sie kann nicht nachvollziehen, dass es Freude macht. Aber natürlich hat sie eine Sexualität, feuchte Träume (die sie sehr anwidern) usw, die sie weitestgehend zu unterdrücken versucht.  Ich hoffe, das ist verständlicher und nachvollziehbarer. Sorry für das falsche Wort.
So we beat on, boats against the current, borne back ceaselessly into the past. (F. Scot Fitzgerald, The Great Gatsby)

Silvasurfer

#7
Oh neeeeein, die Figuren verneigen sich vor dem almmächtigen Handlungsstrang, warum, warum?! Gerade nachdem ich Game of Thrones gesehen habe, muss ich einem solchen Entschluss von meiner natur aus gleich mal die Pfanne geben  :pfanne:, Handlungsstrag soll sich gefälligst den Charakteren beugen!!!!

Spass beiseite, ich bin da von Natur so wie du, wie wir ja gerade feststellen, Charakter bestimmen den Plott. Und ich finde es ist eine Bereicherung für uns Menschen, die "andere Seite" kennen zu lernen, insofern mag ich deinen Entschluss also doch wieder.
Ich lebe nach einer Maxime: Es gibt kein Paradoxon, ein Paradoxon ist lediglich auf ein mangelndes Verständnis der Sache zurückzuführen.
Die Physik zum Beispiel findet es paradox Quantenmechanik und klassische Physik zu vereinen und ist sich dennoch auf experimenteller basis bewusst: Beide Ansichten sind wahr. Wie geht, das, wenn wir so lange in zwei Lager geteilt waren, die sich scheinbar widersprechen, wie können wir das vereinen.
Zum Glück musst du nur Wille des Plottes vereinen mit Wille der Figur. Und als leidenschaftlicher buddhist kenne ich mich mit solchen paradoxen ein wenig aus.
Manche erkennen in sich das göttliche und sagen ich bin Gott. Manche erkennen in sich den willen des Universum und fügen sich ihrem Schicksal sozusagen.
Manche wollen wunschlos glücklich sein, Bedürfnisse seien das grosse Übel andere sagen: "Tu was du willst!" - Michael Ende, die unendliche Geschichte.
Aber wie verinen wir etwas scheinbar paradoxes? Wie kannd er WIlle eines Indivdum mit dem Willen des Universums eins sein, wenn das Universum eines Will und das Individuum was anderes...  :hmmm:

Diesbezüglich habe ich mal die Welt in zwei scheinbare Gegensätze unterteilt, das was mir geschieht und das was ich will.
Und einige sagen, let it be, wenn die Welt mal nicht so ist wie sie sein sollen andere sagen, es ist nicht deine Schuld das sie so ist, es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt. Aber sind diese beiden Ansichten denn wirklich gegensätzlich und widersprechen sich? Nein. Denn man kann sich auch fragen, was muss ich akzeptieren, was kann ich ändern und vor allem lernen das zu unterscheiden, was ein Lernprozess ist der in sich schon eine Geschichte erzählt + Charakterbogen und Lernerfahrung.
Und noch ein gedanke diesbezüglich: Wer sagt, dass der eigene Wille denn nicht auch etwas ist, was mir geschieht und was ich akzeptieren muss und zwar auf gleiche Weise wie den Willen des Universums? Das Herz ist schliesslich von dieser Welt, man ist was man isst usw. Und zuletzt noch eine Beobachtung: Sowohl in der Welt da draussen, dem Leben, als auch im Innenleben existieren Dinge, die wir entscheiden können und Dinge die uns geschehen. Ich habe nicht entchieden geboren zu sein, zu atmen, das mein Herz schlägt, was ich fühle, ja selbst was ich will habe ich nicht entschieden. Manchmal wäre ich lieber zufrieden mit mir ohne zu schreiben, das würde mir Schweissarbeit und viel Selbstzweifel ersparen, wenn ich zufrieden wäre mit mir als jemand der einfach eine Ausbildung macht und eine ganz normale Karriere angeht. Ist mein Wille nicht irgendwie auch etwas, das mir geschieht, etwas wofür ich vllt auch vom Universum so gemacht worden bin, wie ich bin?

Hmmm... Mit desen Überlegungen jetzt mal zu Charakteren und Handlungsstrang. Du bist das Universum der Charakter ist der Mensch, der sich selbst noch finden und erkennen muss.
Du hast den Charakter zu einem Zweck erschaffen, den er nicht erfüllt, der faule Sack. Schon hast du Konflikt und jede gute Geschichte braucht Konflikt. Hier bin ich, hier bin ich nicht, Pickaboo, meine kleine 2 ährige liebt díeses SPiel. Wo ist Papa? Hier ist der Papa!
Der Handlungsstrang ist Papa und der Leser ist das 2 jährige Mädchen das begeistert in die Hände Klatscht und die Figur weiss nicht, dass das ganze nur ein Spiel ist, sie nimmt es ernst. Ironie... ;)
Pack deine Figur in eine x-beliebige Situation und entweder passt die Situation zu dem was sie zu sein glaubt und sie findet sich selbst. Oder die Situation hat nichts mit dem zu tun, wer sie sein möchte und wir haben eine Identitätskrise.
Dementsprächend haben wir Motivation.

Konkret: Deine Figur soll also in einen bestimmten Plott passen? Frage dich nicht, wie verbinde ich, was scheinbar zwei Dinge sind, würde ich sagen. frage dich immer noch, wie du es kennst, wer ist sie, die Figur und natürlich passt diese überlegung unabhängig vom Ergebnis auf die eine oder andere Weise in den Handlungsstrang. Und entweder ist sie, so wie sie ist und mit dem was sie will bereits eins mit dem Handlungsstrang oder eben nicht und das sein-oder-nicht-sein-spiel kann beginnen.
Sie kann ja zum Beispiel denken, dass dein Handlungsstrang das ist was sie will, eigenmotivation, was wiederum sogar eine Illusion sein kann, weil es nicht das ist was sie wirklich will, sondern nur das was alle anderen wollen. Dann hast du ein klassisches Schaf, netter Nerd. Oder sie ist ein schwarzes Schaf unabhänngig vom Handlungsstrang, den du dir für sie überlegt hast wird sie gegen dich den Autor rebellieren und natürlich am Ende diesen Kampf verlieren, haha. Und auf diese folgt sie oder fügst sich deinem Handlungsstrang, was sinn macht, weil sie es (scheinbar) will, aber wer weiss schon was er wirklich will. Oder es ist umgekehrt: Sie wird in deinen Handlungsstrang hineingezwungen. Tod der Eltern, Sklaverei, sie hat keine Wahl, wie auch immer, ist egal, sie wird in beiden Fällen in deinem Sinne handeln, ob sie es will oder nicht und entweder damit in einem inneren Konflikt stehen oder eben selbsterfüllung finden oder vielleicht nur scheinbare selbsterfüllung. Sie kann ja immer noch der Illusion erlegen, dass das ihre Bestimmung ist bzw ihr Wille. Dein Handlungsstrang und was sie will steht entweder im Konflikt oder nicht und aus beidem entsteht ein entsprechendes innenleben über das du schreiben kannst. Das authentische innenleben der Figur eben, so wie sie ist gepaart mit dem Handlungsstrang den du ihr einfahc mal diktatorisch so verpasst hast und der in ihrem Sinne ist oder nicht. Beides kann unabhängig voneinander sein sogar im Kontrast zueinander stehen und gleichzeitig wunderbar miteinander sinn ergeben im Rahmen deiner Geschichte, als innerer und äusserer konflikt eben plus Illusion ist auch immer möglich.
Ein wahres Katz und Mausspiel ist das.

PS: Natürlich bin höchst subjekt in meinen Aussagen, das ist alles Meinungssache...

Kerstin

Ich bin mir nicht sicher, ob ich dein Problem ganz verstanden habe.

Wenn ich weiß, dass ich einen bestimmten Typus Figur brauche und den von Null an erschaffen muss, dann frage ich mich einfach, warum die Figur so ist. Wenn dann nur so Standard-Kram kommt, dann frage ich mich, was es für einen unwahrscheinlichen / außergewöhnlichen Grund geben könnte, dass die Figur sich so entwickelt hat.
Als "angeboren" betrachte ich da nichts - selbst Augenfarbe, Haarfarbe, Aussehen im allgemeinen ... kann heute verändert werden; die Figur braucht nur eine ausreichende Motivation. Die Persönlichkeit sehe ich in der Figurenetwicklung ausschließlich als vom sozialen Umfeld erschaffen an.
Bei meiner Kriminalkommissarin in meiner Thriller-Reihe (ich wusste, dass ich eine Polizistin als Ermittlerin will) war eine der grundlegenden Fragen "Warum ist sie Polizistin geworden?". Ich habe es mit einer anderen Idee kombiniert und ihr Eltern gegeben, die Serienkiller waren und einen Adoptivvater, der glaubt, dass sie genetisch zum "Bösen" verdammt ist. Ab da fing die Figur für mich zu "leben" an.

Wenn ich bereits eine Figur habe, die ich aber etwas verändern muss, dann gehe ich da wie eine Spielleiterin bei einem Pen-&-Paper-Rollenspiel ran, die eine widerspenstige Gruppe hat, die einfach nicht dem Handlungsbogen des Abenteuers folgen will. Ich überlege mir, wie ich die Figur "motivieren" kann, sich wie gewünscht zu verhalten. Entweder sie bekommt einen aktuellen äußeren oder inneren Grund auferlegt, der auch gerne als Nebenhandlung auftauchen kann (z.B. Neben-Antagonist ist anfangs ein Mistkerl, weil er erpresst wird - in Wahrheit ist er aber nett) oder ich überlege mir, was der Figur in der Vergangenheit passiert sein muss, dass sie sich so gewandelt hat.

Was ich auch immer sehr, sehr gut finde, um Figuren lebendig werden zu lassen, ist der plot embryo. Den exerziere ich inzwischen für sämtliche Haupt- und wichtigere Nebenfiguren durch.

Allein durch das Grübeln über die Figuren werden sie dadurch bei mir immer lebendig.

Araluen

Oh ja, ich bin auch seit dem letzten NaNo ein Jünger des Plotembryo. Damit lassen sich wunderbar Charaktere generieren. Damit hatte ich den kompletten Cast meines NaNo18 Romans gebastelt und bis auf die Hauptfigur hatten alle am Anfang vor allem Rollen (hexenhafte Oma, beste Freundin, Charming Boy, nette Nerd von nebenan, Wolf im Schafspelz, usw.) und bekamen die Seele erst danach eingehaucht.
Ich habe auch in meinem langjährigen Hauptprojekt das Emrbyo auf meine Figuren noch einmal angewandt, von denen ich eigentlich glaubte, sie absolut zu kennen. Ich habe trotzdem noch neue Facetten gefunden.

Silvasurfer

@Araluen den Begriff Plottembryo kannte ich ja gar nicht!  :rofl:

Araluen

Den Begriff hat sich Dan Harmon ausgedacht, vermutlich wegen des Entwicklungscharakters und weil die visuelle Darstellung ein Kreis ist, wie ein zusammengekauertes Embryo ;) Es ist eine Abwandlung der klassischen Heldenreise nach Joseph Campbell. Hier wird es sehr gut erklärt, gerade in dem Video.

Churke

Damit hatte ich hatte noch nie Schwierigkeiten.

Ich konstruiere die Figuren als Archetypen. Archetypen sind selbsterklärend. Der verrückte Wissenschaftler, der Bürohengst, der Drogendealer, das blonde Gift...
Man kann Archetypen invidualisieren, indem man sie karikiert und ihnen eine Geschichte gibt.

Silvasurfer

@Araluen also eine Abwandlung ist das, nach dem Lesen vom Artikel nicht, irgendwie. Es ist die Heldenreise nur vereinfacht und verkürzt auf das wesentliche...

Araluen

@Silvasurfer: Wortklauberei in meinen Augen. Harmon hat sich die Heldenreise zum Vorbild genommen und etwas eingedampftes, für sich besser funktionierendes draus gemacht. Ob man das nun Vereinfachung oder Abwandlung nennt, ist da eigentlich gleich. Abwandlung macht sich nur im Marketingzirkus besser, klignt mehr nach was eigenem und nicht abgekupfert ;) Aber nun back to topic.