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Füllwörter und Adjektive

Begonnen von Ary, 05. Dezember 2007, 16:34:15

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Thaliope

Dass eine zu substantivlastige Sprache starr und unschön ist, da sind wir uns sicher einig :) Und ich wollte natürlich auch nicth vorschlagen, jedes Adjektiv durch ein Substantiv zu ersetzen. Beim Wutschrei gab es ja kein zusätzliches Substantiv. Das Substantiv ist ja eh da ... aber wenn man das passendere Substantiv findet, kann man sich oft das Adjektiv davor sparen, wie Alana und Sunflower auch schon gesagt haben. Gleiches gilt für Verben und Adverbien.

Es kommt auf die richtige Balance zwischen Substantiven, Adjektiven und Verben an. Und auf den richtigen Rhtythmus an. Und wenn vor jedem Substantiv ein oder zwei Adjetive stehen, wird, neben den anderen beschriebenen Wirkungen, der Rhythmus leicht einschläfernd.

Der harte Kurs, der seitens Stilratgebern gegen Adjektive gefahren wird,  liegt daran, dass Schreibanfänger sie einfach viel zu häufig einsetzen und oft nicht einsehen wollen, dass ein Wort ohne Adjektivbegleitung oft wirksamer, direkter, bildhafter ist. Da hilft nur, Texte von Autoren zu analysieren, die man selbst gut findet und/oder die viele andere Leute gut finden, um dann zu sehen, welche Technik welche Wirkung hat.

Cailyn

Thaliope,
Das mit dem Rhythmus ist ein guter Punkt. Ich glaube, häufig entscheide ich "rhythmisch", wie ein Satz formuliert wird und ich überlege nicht, wie viele Adjektive oder Substantive ich gebrauche. Das hat dann aber leider zur Folge, dass es auch etwas lyrisch anmuten kann, was dann wieder eine Todsünde unter den modernen Autoren ist.

Alana

Ah, genau, den Wutschrei hatte ich vergessen. Ich finde ihn auch wesentlich besser als den wütenden Schrei. Der Wutschrei ist ja auch keine Substantivierung, sondern ein normales Substantiv und dagegen ist gar nichts einzuwenden. Der Schrei ist halt ein nicht besonders aussagekräftiges Wort, der Wutschrei hingegen schon. Deswegen finde ich ihn besser als den wütenden Schrei.

Und natürlich ist der Rhythmus auch ganz wichtig! Ich würde auch nie sagen, dass man irgendwas nicht darf. Wenn der Rhythmus einfach ein ",sagte er leise" verlangt, dann ist das völlig in Ordnung.
Alhambrana

Churke

Ich denke, dass Adjektive Distanz schaffen. Sie führen von Figuren und Szenen weg, sind beinahe Kommentare.
Ich setzte sie gerne als Stilmitteln ein, weil ich diese Distanz will.


Zum Beispiel die Kriegsberichtvolontärin im Einsatz:

Das bauchfreie Top sah man fast nicht, da sie darüber eine überdimensionierte blaue Panzerweste mit der Aufschrift ,,Journalist" trug.

cryphos

Synthesie, dich liebt ich innig süß, doch trag dich nun zu Grabe, der Adjektive wegen. Dort wird sich zu dir gesellen, das einst geliebte Oxymeron mein, sanft gebettet auf harter Erde. Ach, Rethorik unser, bald wirst du gestorben sein. Posie ist out, Prosa in, wo will der deutsche Autor hin?
Zum Substantiv, zum Substantiv – dem Beamtentum. Damit bring ich nun die Sprache um.
:ätsch:

Cailyn

Zitat von: Churke am 05. Februar 2014, 13:28:06
Das bauchfreie Top sah man fast nicht, da sie darüber eine überdimensionierte blaue Panzerweste mit der Aufschrift ,,Journalist" trug.
Hmmm :hmmm: Aber das "überdimensionierte" schafft doch gerade Nähe zum Bild. Das ist doch wie ein Lockvogel fürs Auge. Da guckt der Leser dann drauf und denkt sich, wie ausgenfällig diese Panzerweste ist. Warum schafft das für dich jetzt Distanz? Verstehe ich nicht.

Cryphos
ZitatSynthesie, dich liebt ich innig süß, doch trag dich nun zu Grabe, der Adjektive wegen. Dort wird sich zu dir gesellen, das einst geliebte Oxymeron mein, sanft gebettet auf harter Erde. Ach, Rethorik unser, bald wirst du gestorben sein. Posie ist out, Prosa in, wo will der deutsche Autor hin?
Zum Substantiv, zum Substantiv – dem Beamtentum. Damit bring ich nun die Sprache um.
:jau:

traumfängerin

Zitat von: Alana am 05. Februar 2014, 12:52:34
Eigentlich sind Adjektive einfach nur Telling. Telling kann auch sinnvoll sein, genauso wie Adjektive sinnvoll sein können. Aber Showing ist meistens besser. Ich bin dafür, lieber zu zeigen, was man mit einem hingeklatschten Adjektiv sagen will.

Diese Aussage finde ich ein wenig zu generalisierend. Natürlich gibt es Adjektive, auf die das zutrifft. Besonders häufig fällt mir das bei den Adjektiven auf, die an irgendwelche Inquit-Formeln gehängt werden: "sagte er lächelnd", "... traurig", "... laut", "... leise" usw. Das sind die Adjektive, die ich bei einer Überarbeitung auch immer versuche zu finden und zu streichen oder zu ersetzen. Solche lauern natürlich auch bei Beschreibungen zuhauf.

Aber dann gibt es auch die anderen Adjektive, die dabei helfen ein Bild plastisch vor meinen Augen entstehen lassen, z.B.: "Die Händler trieben ihre Gänse über die durch die Hitze rissig gewordene Straße zum Markt." Das ist für mich ein Adjektiv, das definitiv Showing ist. Auch bei Churkes Zitat gefällt mir das "überdimensioniert" richtig gut, weil es für mich das Bild einer kleinen zierlichen Frau entstehen lässt, die unter dieser Panzerweste fast verschwindet - ein Bild, das ich ohne das "überdimensioniert" nicht bekommen hätte.

Christian Svensson

#97
Mir ist gerade etwas Nettes unter die Augen gekommen:

"Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter auf dem geradlinigen, weißlackierten und mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb überzogen waren, warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armsessel bei ihr saß, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, die der Großvater am Fenster auf den Knien hielt.
...
Und die kleine Antonie, achtjährig und zartgebaut, in einem Kleidchen aus ganz leichter changierender Seide, den hübschen Blondkopf ein wenig vom Gesichte des Großvaters abgewandt, blickte aus ihren graublauen Augen angestrengt ... "

(aus: Thomas Mann, Buddenbrooks, S.5)

traumfängerin

Das ist der Grund, warum ich Buddenbrooks so langweilig fand, dass ich es fast nicht zu Ende gelesen hätte - und ein Beispiel für die schlechte Verwendung von Adjektiven. Denn die Hälfte der Adjektive könnte man sicherlich streichen.

Und dennoch hat Thomas Mann dafür den Nobelpreis bekommen.  :hmmm: Sehr amüsant fand ich dazu einen Kommentar der sich in dem Buch "50 Werkzeuge für gutes Schreiben" fand. Der Autor sprach sich dafür aus, keine Adjektive bei Inquit-Formeln zu verwenden - und sagte gleichzeitig, dass eine Autorin, die dies ständig und ständig tue Joanna K. Rowling sei. Wenn wir mit unseren Büchern also Millionen verdienen wollten, sollten wir es vielleicht ebenso machen.  ;D

Christian Svensson

#99
Nun ja, ich denke, dass es ein himmelweiter Unterschied, ob man für Lektoren, Kritiker und Literaturwissenschaftler schreibt - oder für das "gemeine Volk" - wie ich einer bin.
Wieviel sehr kluge, sehr sachkundige und sehr viel wissende Lektoren wurden wegen Harry Potter gefeuert?
Apropos - ich hatte letzte woche in einer privaten Pokerrunde gegen eine junge Dame gespielt, die wirklich perfektes Poker nach dem Lehrbuch gespielt hatte. sie ist als erste ausgeschieden ...

Valkyrie Tina

Thomas Mann war aber auch eine andere Zeit. Genauso wie Mark Twain eine andere Zeit war. Außerdem, wenn ich mich richtig erinnere, war der gute Mark zu Lebzeiten bei Kritikern nicht eben beliebt. Das kam erst später. Mal ganz abgesehen davon, daß die alle keine Fantasy geschrieben haben.
ich glaub, es ist verschiedentlich schon gesagt worden: Adjektive und Füllwörter an sich sind nicht böse, sondern nur, wenn man sie zu viel benutzt. Und speziell Füllwörter benutzt man viele, wenn man Anfänger ist. Ich hab mal einen Text auf einer Seite prüfen lassen, die einfach nur alle Füllwörter entfernt, und war überrascht, wie viel stärker der Text ohne Füllwörter wurde (Wens intressiert : http://www.philognosie.net/index.php/tests/testsview/135/ )

Mein Fazit: so viele Adjektive benutzen, wie der Text braucht, um richtig zu wirken (Im Zweifelsfall an nichtsahnenden Beta-versuchskaninchen ausprobieren) und wenn die Kritiker meckern- hej, wir schreiben Fantasy! Die Kritiker hassen uns eh  :prost:

Rynn

#101
Zitat von: Valkyrie Tina am 05. Februar 2014, 21:39:58
Thomas Mann war aber auch eine andere Zeit.
Das würde ich auch noch mal unterstreichen wollen. Meiner Meinung nach hilft es der Diskussion nur wenig, aus Romanen zu zitieren, die vor über 110 Jahren geschrieben wurden. Die von uns, die veröffentlichen wollen, wollen das ja in unserem Jahrhundert tun. ;D Und selbst dann müsste man wieder unterscheiden zwischen "literarisch" und "massentauglich" ...

Und mir geht es wie Alana. Mein Problem mit Adjektiven ist meistens, dass sie mir so oft überflüssige Dinge sagen oder Dinge, die besser anders gesagt worden wären. "Die gruselige Atmosphäre des Raumes"; da frage ich mich, was ist denn bitte daran gruselig? Ich will das sehen, nicht vorgesetzt bekommen. "Das grüne Kleid"; interessiert mich die Farbe des Kleides? Wenn die Farbe grün nicht eine besondere symbolhafte Bedeutung hat oder der Protagonist grün hasst und es heute nur für seine Mama trägt, dann nicht. Und das Paradebeispiel "sagt er wütend/spöttisch/fröhlich"; wieso sehe ich das nicht an dem, was er sagt? Bis ich bei dem Adjektiv angekommen bin, habe ich die wörtliche Rede in meinem Kopf sowieso schon gelesen. Chance vertan.

Ich verteufele Adjektive nicht, ich benutze sie auch (natürlich). Ich glaube, dass gut gesetzte Adjektive (sogar mal am Ende einer Inquit-Formel ;)) schön klingen können, eine Pointe setzen können. Aber gerade bei Adjektiven ist der Ratschlag "Bitte in Maßen" oft doch ein guter Weg. Denn, wie eben schon mal bemerkt wurde, vor allem Schreibanfänger greifen häufig viel zu tief in die Adjektivkiste. Und in dem Fall denke ich: lieber zu wenige als zu viele.
»Dude, suckin' at something is the first step to being sorta good at something.« – Jake The Dog

Cailyn

Also in punkto publizierte Romane, die auch viele Adjektive enthalten, habe ich mir neulich Abend mal die Mühe gemacht, die erste Seite einiger Bücher zu testen (wohlverstanden alles Bestseller aus den letzten 30 Jahren und nicht alte Bücher aus einer anderen Epoche). Da der Anfang nahezu die wichtigste Stelle für einen Autor ist, um ein Buch verkaufen zu können, gehe ich mal davon aus, dass jede dieser Autoren und Autorinnen sein Bestes rausgeholt hat. Also sollte ja die 1. Seite sicher die sprachliche Höchstqualität wiederspiegeln.

Bei folgenden bekannten Gegenwartsautoren habe ich eine "Adjektivitis" gefunden, die kaum mehr relativierbar ist: Tad Williams (Spitzenreiter, da hat man den Eindruck, er züchtet Adjektive geradezu), Diana Gabaldon, Rebecca Gablé, George R.R. Martin, T.C. Boyle, Tom Robbins, Frank Schätzing, Ken Follet, Andrew Davidson, Jo Nesbo, ...

Ich habe jetzt extra Autoren aus ganz verschiedenen Genres genommen, so dass man auch nicht auf den Gedanken kommen kann, nur Fantasy-Autoren bedienen sicher sehr vieler Adjektive, um ihre bunte Welt noch schillernder darzustellen.
Man kann sich da schon fragen, wie das denn sein kann, dass es in so vielen modernen Büchern von Adjektiven wimmelt, wenn sie so "anrüchig" geworden sind, dass Lektoren sie als rotes Tuch betrachten und gleichzeitig feiern andere Riesenerfolge (trotz der Adjektive).

Als Schreibübung habe ich übrigens versucht, ein Kapitel aus meinem Buch komplett ohne Adjektive zu schreiben. Das war schwierig, aber nicht unmöglich. Und in einem muss ich den Adjektiv-Kritikern Recht geben: häufig wählt man Adjektive aus Bequemlichkeit. Man muss schon die kreativeren Winkel des Gehirns aktivieren, damit man ohne Adjektive die gleiche Wirkung erzielen kann. Daher werde ich künftig immer ein paar Adjektive umgehen. Aber nur teilweise, denn warum sollte man etwas nicht benutzten, nur weil es bequem ist? Bequem heisst ja noch nicht, dass es unmotiviert daherkommt.

Sascha

Von Schätzing hab ich inzwischen auch schon ein paar Bücher gelesen, da ist es mir aber nie besonders aufgefallen.
Aber ich hatte mal ein Buch ausgeliehen, das hab ich nach ein paar Dutzend Seiten (so viel Chance gebe ich immer) absolut entnervt wieder zurückgebracht.
Gesa Schwartz: "Nephilim"

An sich hat die Frau die Szenen schön "gemalt", man konnte sich richtig die Stimmung vorstellen, wie ein alter Dämonenjäger in der verregneten Nacht mit dem Dämon kämpft. Aber der Stil war unglaublich! Es wimmelte von ganzen Ketten von Adjektiven, und dann Vergleiche, die müssen vor Schmerz schreien, so brutal sind sie an den Haaren herbeigezogen. Nein, nicht Vergleiche, Metaphern trifft's eher.
Echt, da konnte ich einfach nimmer, das war für mich nicht mehr lesbar. Obwohl es mich von der Geschichte her schon interessiert hätte, so weit ich die eben kennengelernt hatte.

Ich muß allerdings sagen, daß ich sogar mal einen Stephen King abgebrochen hab. Da hab ich einfach zu lange drauf gewartet, daß endlich irgendwas relevantes passiert. Ist aber was anderes als ein so anstrengender Stil.

absinthefreund

Um mal von den Adjektiven wegzukommen und auf Füllwörter im Allgemeinen zurückzukommen:

Wie handhabt ihr es mit Begriffen wie "plötzlich", "mit einem Mal", "ja", "so", "nun" etc.? Das sind Wörter, bei denen ich immer stocke, weil ich Angst habe, eine Sünde zu begehen, aber ohne sie fehlt mir etwas. Benutzt ihr diese Begriffe bedenkenlos oder habt ihr Tricks, wie man z.B. etwas, das "plötzlich passiert" einen Knalleffekt verleiht ohne das Wort zu gebrauchen?