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Korrekturlesen - was tun, wenn man einfach nicht mehr mag?

Begonnen von Julia, 14. November 2007, 20:26:55

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Julia

So, ich habe jetzt die Suchfunktion bemüht, und bisher nichts dazu gefunden. Deshalb jetzt einmal meine Frage an Euch:

Kennt Ihr das? Man hat sein Manuskript, man liest es immer und immer wieder, man feilt und verbessert ... und irgendwann kommt der Punkt, an dem man einfach nicht mehr mag.
Dabei ist es nicht einmal das Problem, dass man seine eigene Geschichte nicht mehr sehen kann - denn die finde ich immer noch (ganz subjektiv) richtig gut. Muss man wohl auch, wenn man sie (eben genau für diese leidige Korrektur) immer und immer wieder liest.
Einerseits ist es ja nun ein gutes Gefühl zu sagen: ich habe meine Story jetzt sechs, sieben Mal gelesen (oder acht oder neun Mal), und ich mag sie immer noch.
Was ich aber nicht mehr leiden kann, ist es, immer und immer wieder die gleichen Sätze zu lesen. Die Formulierungen sind gut (ebenfalls nach subjektivem Empfinden), aber sie könnten perfekt sein, und das sind sie noch nicht.
Man feilt und feilt, bis die Sätze klingen und ein eigene Melodie bekommen - aber man wird immer langsamer und langsamer in seiner Arbeit, bis man schließlich stehen bleibt und sagt - soweit, sogut, eigentlich hätte ich nur noch achzig Seiten. Aber ich will nicht mehr.
Und dann?
Pause machen - zur Not auch mehrere Wochen. Klar, das wäre logisch. Aber selbst wenn ich mein Manu auf das Regal verbanne - es flüstert durch den Vorhang (und selbst durch die geschlossene Tür meines Arbeitszimmers): Hey, ich bin noch nicht fertig. Ich bin noch nicht das Beste, was Du aus mir machen konntest. Und jetzt stehe ich hier - und Du kümmerst Dich nicht mehr um mich...

Kennt Ihr das auch? Und wie geht ihr damit um?

Etwas gefrustete Grüße von Julia

(und ihrem Skript, dass sie auch jetzt gerade wieder von der Seite belauert)

Maja

Wie lange ist es her, daß du das Buch fertiggestellt hast?
Es ist nach meiner Erfahrung unklug, direkt nachdem man die letzte Seite geschrieben hat, auf Seite eins mit dem Überarbeiten anzufangen. Man braucht einen gewissen Abstand, vor allem zeitlich, um das Buch mit der nötigen Distanz zu sehen. Du kannst also das Buch ein Jahr lang ruhen lassen - es sei denn, es ist eine Auftragsarbeit, auf die jemand wartet, versteht sich - und es dann mit neuen Augen lesen. Dir wird vieles auffallen, was du vorher nicht gemerkt hast - die Punkte, die es von der Perfektion trennen.

Man kann das auch übertreiben. Ich habe mein Epos "Die Spinnwebstadt" von 1997 bis 2003 geschrieben. 2003 habe ich es, direkt im Anschluß zu überarbeiten angefagen - da die ersten beiden Bände von 1998 waren und ich seither viel dazugelernt hatte, war das durchaus sinnvoll. Damit habe ich das ganze dann auf einen homogenen Stil bekommen. Bis ich mit dem Überarbeiten aller vier Bände durch war, schrieben wir aber schon 2005, und mir gefiel wiederum den Anfang nicht mehr. Ich habe also wieder mit Kapitel Eins zu überarbeiten angefangen. Ergebnis: Bis heute hat kein Verlag dieses Werk, von dem ich weiß, daß es grandios ist, zu sehen bekommen. Eben weil ich will, daß es perfekt sein soll. Zu meinen guten Vorsätzen für 2008 gehört daher, es endlich mal aus dem Haus zu schicken.

Also, zumindest kann ich dir sagen: Du bist nicht allein.
Übrigens: Der Suchbegriff "Überarbeiten", auf "nur Betreffe der Themen" eingeschränkt, hätte dir dieses Ergebnis gegeben: http://forum.tintenzirkel.de/index.php?topic=1087.0
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Lynn

Ich möchte eine - vielleicht ketzerische - These in den Raum stellen:

Was ist, wenn du die einzige bist, für die das Skript noch nicht perfekt ist?

Ich kenne das von mir. Am allerliebsten hätte ich stets und  immer 200% - aber inzwischen hab ich ein neues Wort gelernt: Verschlimmbessern.

Irgendwann tut man dem Skript mit dem Feilen keinen gefallen mehr - zumindest, wenn man es selbst tut. Dann müssen nochmal Probeleser rann (die dann auch schon einiges aus dem entsprechenden Genre (oder zumindest verwandten Genres) gelesen haben sollten), die das Skript noch nicht kennen und ganz unvoreingenommen beurteilen können, ob das Skript nach ihrer Meinung 'fertig' ist, oder ob sie noch über die ein oder andere Sequenz / Satz etc. gestolpert sind.

Linda

Zitat von: Julia am 14. November 2007, 20:26:55
Kennt Ihr das auch? Und wie geht ihr damit um?
Etwas gefrustete Grüße von Julia

Hallo Julia,

ich glaube, das kennt jeder Autor. Zumindest jeder, der sich die Mühe des Überarbeitens überhaupt macht. (Ja, es gibt Schreiber, die ihr Werk nach dem "Ende" schreiben sofort lossenden.)

Was Maja gesagt hat, ist schon richtig. Ich denke nur, 1 Jahr Pause muss nicht sein. Tatsächlich, wenn man beruflich schreibt und auch schon mal weniger Zeit hat, als einem lieb wäre, merkt man, dass jede einzelne Woche hilft, Abstand zu gewinnen. Nach dem Erstschreiben wohlgemerkt.
Wieder und wieder lesen innerhalb weniger Wochen, das nervt. Ich kenne das von eigenen Projekten und Übersetzungen. Irgendwann ändert man aber nur noch und verbessert nichts mehr, wenn du verstehst.

Ich habe den Eindruck, dass du jetzt an dem Punkt bist, wo du alleine nicht weiterkommst und das Manuskript reif für einen oder zwei Betaleser ist.
Und in der Zeit, die die brauchen, nimmst du dir Auszeit oder schreibst was anderes.
Arbeiten mit Widerwillen ist meist kontraproduktiv. Also warte lieber etwas, und beschäftige dich intensiv mit anderen Dingen. Je intensiver du die Zeit verbringst und deinen Geist beschäftigt hälst, desto größer wird der innere Abstand.
Aber warte nicht zu lange. Wenn man nämlich völlig aus der Welt der Geschichte raus ist (und das wäre ich z.B. nach einem Jahr), dann weiß man bisweilen auch nicht mehr, wohin man eigentlich vorher wollte und ob das, was da steht so ok ist. Und wenn man kein Ziel mehr im Auge hat, beginnt das lavieren.
Also vor jedem Durcharbeiten für ausreichenden Abstand sorgen. Wie und wie lange ist persönliche Sache.

Gruß,

Linda

Julia

@ Maja: Danke für den Link, da hatte ich wohl mit dem falschen Suchbegriff gearbeitet. Ich werde das jetzt einmal durchforsten...

Das Buch ist jetzt seit einem knappen Jahr "fertig". In dem Sinne, dass die Story stimmig ist und keine (gröberen) Logikfehler mehr drin sein dürften (obwohl: feinere eigentlich auch nicht, hoffe ich).
Seitdem bin ich (allerdings mit Pausen) dabei, den Stoff zu überarbeiten. Das Verschlimmbessern, dass Lynn angesprochen hat (so ketzerisch finde ich die Frage übrigens gar nicht), ist für mich gar nicht so sehr das Problem, denn ich merke, dass ich an meinem Skript nach wie vor wachse, sprich: dass sich meine "Schreibe" weiterentwickelt und sich durchaus in die richtige Richtung bewegt (zumindest ist das meine subjektive Wahrnehmung).
200%ig, das trifft es schon eher - ich glaube an meine Geschichte, und ich ich glaube auch daran, dass sie es verdient hat, so gut wie nur irgend möglich zu werden. Nur: Perfektionsanspruch kann irgendwann in einer Sackgasse enden, dass habe ich jetzt auch schon gemerkt.
Aber man möchte sein Baby ja irgendwann auch mal beim Verlag anbieten, und dann soll es ja wiederum möglichst perfekt ... arrgh!
Egal, ich denke mal es hilft nichts, ich werde die Sache jetzt mit viel Disziplin zu Ende bringen. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass ich mit meinem Problem nicht allein bin  ;)

Deshalb schon einmal Danke und liebe Grüße,

Julia

DarkDreamer

Ich habe das Problem ganz einfach gelöst, wenn ich einfach nicht mehr überarbeiten kann. Finger weg und etwas anderes machen. Deswegen bin ich meist auch am Schreiben von mehreren Sachen. Eins überarbeiten, eins schreiben und manchmal schon eins planen. Zumindest bei KGs klappt das wunderbar. Bei Romanen würde das zu viel Zeit in Anspruch nehmen, aber eine KG nebenher kann auch nicht schaden.
Ich habe festgestellt, dass diese Arbeitsweise prima funktioniert ... zumindest bei mir klappt es seitdem wunderbar!

Coppelia

Also, ich denke, wenn man das Gefühl hat, die Geschichte ist gut, ist auch das Problem nicht mehr so groß. Es ist ja eine altbekannte Wahrheit, dass nichts jemals perfekt ist, und ganz bestimmt auch das eigene Buch nicht. Wenn man das akzeptiert, ist es schon mal hilfreich.
Ich bin ja von Natur aus mit einer großzügigen Haltung ausgestattet. Dafür verurteile ich manche Bücher, auch meine eigenen zum Teil, genauso großzügig. ;)
Wie ist es, wenn man die Examensarbeit abgibt? Hier noch eine kleine Wiederholung, hier eine leicht schwammige Passage, einmal das Einrücken vergessen ... und wie ist die Abschlussnote? Wird einem für jeden winzigen Fehler eine Note abgezogen? Nein, die Gesamtnote ist ist trotzdem hervorragend, wenn der Gesamteindruck stimmt und die Arbeit insgesamt überzeugt.
Grundbedingung ist natürlich Talent und dass man sich auch beim Überarbeiten Mühe gegeben hat ... aber es gibt keine Perfektion. Nirgends. Und es gibt auch niemanden, der das wirklich verlangt, außer vielleicht einem selbst. Wir sind ja alle nur Menschen.

Ich hasse übrigens alles, was wirklich perfekt zu sein scheint ... es gibt nichts Langweiligeres. Und nichts Liebenswerteres als die kleine Schwäche. Aber das ist eine andere Sache.

Lomax

Ja, es gibt keine Perfektion in der realen Welt. Deshalb sollte man Dinge als fertig betrachten, wenn man sie nicht mehr sehen kann - nicht, wenn man sie für perfekt hält. Immerhin meldet man sich an der Uni ja auch nicht dann zum Examen an, wenn man glaubt, man wüsste alles, was es in dem Fach zu lernen gibt, sondern wenn man sich denkt: "Jetzt reicht's aber mit dem Studium" ;)

Antigone

Wenn man einfach nicht mehr mag? Na, dann sollte man es auch nicht tun. Wir sind doch hier keine Horde Masochisten, die Dinge tun, die ihnen keinen Spaß machen.

Wenn man glaubt, dass es noch nicht fertig/nicht gut genug ist? Ah, das ist ja ne ganz andere Sache. Ich würd folgendes vorschlagen:

1. Liegenlassen. Versuchen, Abstand zu gewinnen. Wenn du aufgehört hast, rund um die Uhr an deine Protas zu denken, ist ein guter Zeitpunkt gekommen, mal wieder reinzuschauen.
2. Überarbeiten
3. dem 1. Betaleser in die Hand drücken
4. Überarbeiten
5. dem 2. Betaleser in die Hand drücken
6. wie Punkt 4
Und so weiter, und so weiter. Wenn du nicht beliebig viele Testleser hast, schau vor allem darauf, dass nicht alle nur eine Version lesen, weil dann wollen sie meistens die Überarbeitung nicht auch noch mal durchschauen. dh. teil sie dir gut ein.
Ja, und wenn du das ein paar Mal durchgespielt hast, kommt vielleicht doch mal der Zeitpunkt, wo du zufrieden bist. Oder auch nicht.... mein Werk ist gerade in der 5. Überarbeitungsrunde...

Lg, A.

Julia

Danke für Eure Rückmeldungen, dass baut mich wieder auf  :D

Das mit der Perfektion ist leider so eine Sache mit zwei Seiten. Natürlich weiss ich, dass mein Werk nie perfekt sein wird - das ist die eine, die rationale Seite.
Die zweite Seite ist aber, dass man trotzdem eine bestimmte Vorstellung von seiner Arbeit hat. Ich persönlich wünsche mir bei meinen Geschichten, dass sie eine gute, spannende Story besitzen (damit bin ich soweit ja auch zufrieden), und dass sie ausserdem in einer "schönen" Sprache verfaßt sind, die das Ganze - nun ja: tanzen lässt.
In der Musik würde man vermutlich sagen: es muss grooven.
Und das tat es bislang noch nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Inzwischen nähert sich das Skript zwar schon langsam meinen hehren Vorstellungen an, aber dafür verdurste ich jetzt auf den letzten Metern - sozusagen.
Mein Problem ist dabei, dass ich unglaublich stur bin: Ich will dieses Skript fertigbekommen. Und zwar so, dass ich stolz darauf bin (selbst wenn alle anderen Leser sagen würden: Oh, das ist dein Buch? Das ist ja *gähn* spannend... (ogottogott, hoffentlich sucht sie sich bald ein anderes Hobby).
Aber es ist wohl wie beim Marathon: der letzte Kilometer ist der längste.
Aber wie gesagt, ich ziehe das jetzt durch (siehe oben).

Liebe Grüße,

Julia

P.S.: Die Betaleser-Horde ist schon durchgezogen. Zum Inhalt wurde auch einiges gesagt, zum Schreibstil leider nicht ("Wieso, das war doch okay? Man konnte doch alles lesen.")

Maja

@Julia
Such dir andere Betaleser und bitte sich, insbesondere auf die Sprache zu achten.
Oder: Setz dich hin und lies dir vor (freiwillige Opfer finden sich leider nicht so häufig). Dabei fallen unglückliche Formulierungen und holprige Sprache immer am besten auf.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Julia

@ Maja: Das "laut vorlesen" mache ich schon. Ich denke, es liegt bei mir auch weniger am "können" als am "wollen".

Liebe Grüße von Julia, die sich jetzt wieder ganz stur an die nächsten 5 Seiten ihres Skripts setzen wird  ;)

Dreamcatcher

Ich kenne dieses Problem nur zu gut. Ich gehöre (leider) auch zu der Sorte, die nie vollkommen mit dem Geschrieben zufrieden ist und immer das Gefühl hat: "da steckt noch mehr dahinter, du kannst noch mehr rausholen ... "
Es ist nicht so, dass ich eine ewige "Schwarzmalerin" bin, die nichts gut findet, was sie schreibt. Ich denke schon, dass einige meiner Texte wirklich Potential haben, teilweise sogar richtig gut sind - aber ich bin nie 100 Prozent zufrieden. Da ist immer diese leise Stimme in meinem Hinterkopf, die mir zuflüstert, ich hätte mich noch mehr reinhängen können, dass ich noch nicht alle Register gezogen hätte.
Aber irgendwann gelange ich dann an den Punkt, an dem ich mich frage: reicht dein Ehrgeiz und deine Ausdauer, um wieder und wieder Wort für Wort alles durchzugehen und daran herumzuschleifen, bis zu zufrieden bist? Und vor allem: wirst du je zufrieden sein?

Schwierig ...  ::)

Alaun

Puuuhh, das kenne ich auch gut...da hat man schon gefeilt und gemacht und getan und trotzdem bleibt immer noch dieses Gefühl von "Es muss doch irgendwie noch besser gehen, noch runder klingen,...". Ich habe mit der Zeit 2 Möglichkeiten herausgefunden, damit umzugehen.
Möglichkeit 1 sieht in etwa so aus  :wums: und bringt, nun ja- wenig bis nichts.
Möglichkeit 2: Anstand gewinnen, das Skript am Besten in irgendeiner Schublade verschwinden und reifen lassen. Dann nach (mindestens 3 sind es bei mir) Wochen wieder angucken und plötzlich mit anderen Augen lesen. Da tut sich dann von selbst schon so einiges. Und vieles, was ich in der "Akutphase" grauslig fand, ist auf einmal auch ganz ok, oh Wunder  :)

Ich glaube wirklich, der Abstand macht den Unterschied.

Shay

#14
Zitat von: Alaun am 10. Mai 2009, 00:03:05
...
Möglichkeit 2: Anstand gewinnen,
...
:rofl:

Ich selber bin in der glücklichen Position, eine perfekt zu mir passende Koautorin zu haben. Wir lesen immer abwechselnd Korrektur und wenn dann wirklich beide mit einer Formulierung zufrieden sind, dann kann man sie auch so lassen. Durch das ständige Hin- und Hergeben machen unsere Texte aber sowieso irrsinnig viele Korrekturzyklen durch, zumindest die Stellen, die uns beim ersten Mal nicht so recht gefallen.