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[Artikel] Keine heile Welt mehr im Kinderbuch

Begonnen von Chris, 12. August 2016, 14:53:55

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Chris

Das Sams und Pippi Langstrumpf verstoben inzwischen im Regal, da heile-Welt-Bücher nicht mehr gefragt sind, lautet das Fazit dieses Artikels über den Oetinger Verlag.
http://www.taz.de/!5329201/
Liebe Grüße
Chris

Silvia

Na, da werden aber auch Äpfel mit Birnen verglichen. Kinderbuch ist doch was ganz anderes als Jugendbuch vom Inhalt her.  Da liegen Jahre und Welten dazwischen! Wenn meine Maus mal 6-10 Jahre alt ist (was ja von Pipi und den Olchis die Zielgruppe sein müsste), kriegt sie von mir bestimmt noch nix über Drogen, Süchte und Alkoholismus in die Hand gedrückt ...

-> "Pippi Langstrumpf sitzt am Fenster, daneben das Sams, die Olchis. Sie wirken verstaubt. ,,Heutzutage gibt es in den Büchern inhaltlich keine Tabus mehr", sagt Weitendorf.
Das habe Anfang der 2000er angefangen, als erste Bücher über Scheidungskinder erschienen. Danach weitete sich das Spektrum: Alkoholismus, Drogen, Süchte, Sex, gleichgeschlechtliche Liebe."


FeeamPC

Es gibt Bücher, die einfach zeitlos sind. Auch bei den Kinderbüchern. Warum sollten Kinder heute Pippi Langstrumpf weniger mögen? Es dürften wohl eher die Eltern sein, die da mitmischen, schließlich kaufen sie die Bücher und nicht die Kinder selbst.
Und, ganz ehrlich, ich hasse es, wenn Kinderbücher immer nur Probleme zeigen sollen. Sehen die Kinder eh genug. Klar, die reale Welt ist so. Aber wir Erwachsene holen uns in Büchern auch Weltfluchten, weil uns die reale Welt tierisch nervt.

Ary

Zitat von: FeeamPC am 13. August 2016, 17:35:07
Und, ganz ehrlich, ich hasse es, wenn Kinderbücher immer nur Probleme zeigen sollen. Sehen die Kinder eh genug. Klar, die reale Welt ist so. Aber wir Erwachsene holen uns in Büchern auch Weltfluchten, weil uns die reale Welt tierisch nervt.

:knuddel: Dafür möchte ich dich einfach mal umarmen - ich habe als Kind nichts mehr gehasst als diese ach so pädagogisch wertvollen Problembücher. Ich habe einige der dort behandelten Themen am eigenen Leib erfahren und wollte mich in meiner Freizeit dann doch lieber mit Astrid Lindgren beschäftigen.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Aljana

Ja Fee, ich kann mich dir auch nur anschließen. Auch wenn ich selbst ganz gern mal die Problemkeule auspacke, liebe ich doch einfache Kindergeschichten wie die von früher.
Erwachsene lese gern Liebesromane und Kinder dürfen dann doch wohl auch einfach mal als superstarker superschlauer toller Held durch Phantasiewelten reisen. Ich finde das gut und zwischen all dem Ernsten braucht man das einfach mal.

Eluin

Ihr trefft genau auf den Kopf, was ich auch denke. Klar versteck ich gerade in meinen Dystopien Gesellschaftskritik, aber in meinen Kinderbüchern ist es dann doch mehr Heilewelt. Einfach mal ein Abenteuer erleben und abtauchen. Ich glaube, dass mögen Kinder heute auch immer noch. Zumindest wenn ich so die Kinder von Freunden beobachte.
Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!
Mein Spruch, mein Motto.

Aljana

Die Achtjjährige bei uns auf dem Hof liest 'Regenbogenschweif'. Da geht es um Glitzereinhörner. Und ich finde das ist auch okay.

Coppelia

#7
Ich lese jetzt immer noch gern die Klassiker (gerade wieder Pippi Langstrumpf) und habe dieses Jahr viel mit lesenden Kindern und Jugendlichen zu tun gehabt. Meiner Ansicht nach ist es so: Die Kinder sind von den heutigen Medien her (tendenziell) gewöhnt, dass die Ereignisse sich überstürzen und eine atemlose äußere Spannung aufgebaut wird. Die Schnitte sind schneller, der Actionanteil ist größer. Wenn nicht immerzu etwas Neues passiert, finden sie den Text langweilig mit der Begründung "es passiert nichts".
Wenn man sich einige der Jugendbuch-Klassiker anschaut, "passiert" äußerlich wirklich relativ wenig. Was sicher auch daran liegt, dass eine heile Welt gezeigt wird. Wenn es stärkere Probleme gibt, passiert einfach mehr. Und fairerweise muss man sagen, häufig auch an innerer Handlung. Das ist keine Abwertung der Klassiker meinerseits. Ich habe James Krüss z. B. immer geliebt. Aber wenn ich mir "Mein Urgroßvater und ich" anschaue, wo der Protagonist mit seinem Urgroßvater in der Hummerbude sitzt oder Pudding bei seiner Oma isst, dann habe ich schon oft gedacht "Das würde heute nicht mehr veröffentlicht werden". Einfach weil die Erwartung der Leser ist, dass ständig etwas passieren soll.
Bei Pippi Langstrumpf erlebt man ja auch den auktorialen Erzähler in Hochform. Das trägt zum Humor der Geschichte bei, aber ich bin nicht sicher, ob diese Erzählweise heute noch so durchginge.

Von allem, was ich in der 7. Klasse gelesen habe, hatte "Zeina und Kalle" (ein schwedisches Jugendbuch) den größten Erfolg. Ein flapsig geschriebener Roman, in dem zwei eher ungewöhnliche Kinder/Jugendliche humorvoll von ihrem Leben und der Schule berichten und davon, wie sie sich allmählich näher kommen. Nicht spektakulär, aber es ist immer was los, die Absätze sind kurz, und Probleme sind eher humorvoll behandelt. Eigentlich ein ziemlich gutes Buch.
Richtige Kinder sind die Siebtklässler zwar nicht mehr, aber zumindest am Anfang, wo ich das mit ihnen gelesen habe, waren sie noch sehr kindlich.

Sascha

Zitat von: Silvia am 12. August 2016, 22:08:43
Das habe Anfang der 2000er angefangen, als erste Bücher über Scheidungskinder erschienen. Danach weitete sich das Spektrum: Alkoholismus, Drogen, Süchte, Sex, gleichgeschlechtliche Liebe."
Die Aufzählung ist schon eigenartig. Alkoholismus ist ein Teilbereich von Drogen, die wiederum ein Teilbereich von Süchten, das selbe Thema wird also drei mal genannt. Und von dem ja unbestreitbar schlimmen Zeug springt er dann zu Sex (Wo ist das Problem?) und gleichgeschlechtlicher Liebe (erst recht: Wo ist das Problem?).
Ich weiß jetzt nicht, aus welcher Generation der stammt, aber das alles in einem Zug zu nennen ist schon komisch.
Meine Mutter (>70) hat letztens den Junior (neun) vor die Glotze gesetzt, weil gleich eine Kindersetzung kommen sollte, und dann gaaanz panisch weggeschaltet, weil das, was vor der Kindersendung lief, doch nun gar nichts für das Kind ist. Es war ein Bericht über Beate-Uhse-Läden und was es da alles gibt. Hat die einen Aufstand gemacht. :rofl:

Tigermöhre

Naja, ich finde nicht, dass Pippi Langstrumpf, Mio mein Mio, Die unendliche Geschichte, Momo, Emil und die Detektive, Krabat, Die rote Zora, Timm Thaler (mehr fallen mir gerade spontan nicht ein) so eine heile Welt haben.
Ok, Drogen und Sex kommen da eher selten vor. Aber in den genannten Büchern sind alle Kinder Waisen oder Halbwaisen und haben z.T. mit Armut und übelster Vernachlässigung zu tun. Da weiß ich echt nicht, was daran heile Welt sein soll.

Tintenteufel

#10
Also ich versteh den Aufriss nicht.
Es mag sein, dass Pippi Langstrumpf und das Sams und was nicht alles, heute nicht mehr so umsatzstark sind. Das wundert mich nach sechzig Jahren aber auch wirklich nicht. Viele Sachen sind nach sechzig Jahren aus der Mode - als Klassiker erhalten bleiben die allemal.

Ich finde auch überhaupt mehr als merkwürdig, diese Bücher jetzt als Goldstandards für Kinder machen zu wollen. Ich hab die als Kind nie gelesen. Lindgren nicht, Funke nicht, Ende nicht und Kästner nur am Rande.
Meine Großmutter hatte mal versucht, mir die näher zu bringen, aber nach einer Woche war das Thema durch und ich hab meinen Großvater gezwungen, mir wieder aus der Schatzinsel oder aus einem der hundert Gespensterbücher oder etwas über König Artus und seine Tafelrunde vorzulesen. Manchmal auch diese widerwärtig inzestuös-gewaltätige Schundliteratur, die die Grimms da gemacht haben. Die mit den vielen Giftmorden an kleinen Mädchen.

Gut, ich bin nicht in den sechzigern aufgewachsen, mag sein. Vielleicht bin ich emotional ja auch verkorkst und weiß so Heile-Welt-Eskapismus nicht zu schätzen. Aber was ich gelesen und vorgelesen bekommen habe ist von dem, was Frau Weitendorff dort beschreibt - Christiane F. ist übrigens kein Kinderbuch, Frau Verlegerin -, auch noch ziemlich weit weg.
Und ich persönlich fühle mich schon ein bisschen angegriffen, dass von dem Artikel da zwischen den Zeilen impliziert wird, Leute wie ich hätten einen guten Teil ihrer Kindheit verpasst. Ich mag Rosamunde-Pilcher-Light halt einfach nicht. Soll ich mich dafür jetzt schämen gehen?  ???

Kati

#11
Zitat von: SaschaDie Aufzählung ist schon eigenartig. Alkoholismus ist ein Teilbereich von Drogen, die wiederum ein Teilbereich von Süchten, das selbe Thema wird also drei mal genannt. Und von dem ja unbestreitbar schlimmen Zeug springt er dann zu Sex (Wo ist das Problem?) und gleichgeschlechtlicher Liebe (erst recht: Wo ist das Problem?).

Das habe ich mir auch gedacht, besonders bei dem letzten Punkt. Es gibt ein paar wirklich schöne Kinderbücher, die auch weiter von einer heilen Welt erzählen, in denen das Heldenkind zwei Mütter oder zwei Väter hat. Das ist doch wirklich kein Punkt, der auf diese Liste gehört, es sei denn, man ist selbst so verstaubt, wie man es von Pippi Langstrumpf und dem Sams behauptet. Das imselben Absatz wie das Gerede von der Vermittlung von Werten sorgt schon für komische Assoziationen.

Ich finde den Artikel eher traurig, schon allein, weil anscheinend keine Unterscheidung zwischen Kinderbuch und Jugendbuch stattfindet. Für Kinder ist Pippi Langstrumpf doch immer noch eine Heldin, genauso wie die etwas moderneren Wilden Hühner von Cornelia Funke. Da ist, wie Tigermöhre auch schon gesagt hat, auch nicht alles Heile Welt, aber Drogen und Sucht und ähnliches kommen da nun wirklich nicht vor. Als neueres Beispiel fallen mir die Vampirschwestern von Franziska Gehm ein. Sehr niedliche Fantasy für Kinder um die 10 Jahre, die keine dunkleren Themen enthält als das die beiden Heldinnen Halbvampire sind und das natürlich kindgerecht umgesetzt. Amazon schlägt mir dann als ähnliche Titel zum Beispiel die Carlotta-Reihe von Dagmar Hoßfeld vor, die aussieht wie eine Art modernes Hanni & Nanni. Es gibt also unbedingt noch viele Kinderbücher, die einfach von Abenteuern, Freundschaft und dergleichen erzählen und nicht von Problemthemen, ich glaube sogar, sie sind nach wie vor in der Mehrzahl.

Bei den Jugendbüchern sieht es anders aus. Während ich auch kein Fan von Problembüchern bin finde ich, dass sie für Leser ab 12 oder 13 schon ihre Berechtigung haben. Natürlich nicht ausschließlich, aber eine sinnvolle Auseinandersetzung mit Themen wie Drogen, Sucht und dergleichen kann man für das Alter schon machen. Aber ich glaube, es geht in dem Artikel wirklich eher um die Zielgruppe 8-12, weshalb ich es komisch finde, das oft von Jugendbüchern gesprochen wird.

Zitat von: TigermöhreNaja, ich finde nicht, dass Pippi Langstrumpf, Mio mein Mio, Die unendliche Geschichte, Momo, Emil und die Detektive, Krabat, Die rote Zora, Timm Thaler (mehr fallen mir gerade spontan nicht ein) so eine heile Welt haben. Ok, Drogen und Sex kommen da eher selten vor. Aber in den genannten Büchern sind alle Kinder Waisen oder Halbwaisen und haben z.T. mit Armut und übelster Vernachlässigung zu tun. Da weiß ich echt nicht, was daran heile Welt sein soll.

Da bin ich bei dir. Natürlich sind die Geschichten kindgerecht, ich fand sie als Kind auch toll, aber sie haben durchaus sehr dunkle Elemente, besonders Krabat, Timm Thaler und die Rote Zora. Kriminalität, Krieg, Tod, Verwaisung, das kommt alles vor und trotzdem sind das gute Kindergeschichten. Ich finde, man darf Kinder auch nicht unterschätzen. Sie brauchen keine krassen Problembücher, aber sie können mit dunkleren Elementen in ihren Abenteuergeschichten gut umgehen und wenn ich mich richtig erinnere, habe ich sowas früher auch lieber gelesen als die richtigen heile-Welt-Bücher wie zum Beispiel Hanni & Nanni (die ich aber trotzdem auch mochte).

Was mir noch einfällt: War der Oettingerverlag nicht jener welcher, der letztes Jahr durch eine sexistische Werbekampagne für ein Kinderbuch die Runde gemacht hat? Ich weiß natürlich nicht, wer genau im Verlag dafür verantwortlich war, aber das finde ich schon stark, dass derselbe Verlag jetzt von Wertevermittlung und dergleichen spricht, der damals dieses Poster gerechtfertigt hat.  :hmmm:

Judith

#12
Zitat von: Tintenteufel am 15. August 2016, 12:34:37
Ich mag Rosamunde-Pilcher-Light halt einfach nicht. Soll ich mich dafür jetzt schämen gehen?  ???
Was hat denn Pippi Langstrumpf oder eins der anderen hier genannten Bücher mit Rosamunde Pilcher zu tun? Selbst mit sehr viel Mühe finde ich da keinen gemeinsamen Nenner.  ???

Interessant finde ich ja diese Aussage, dass es heutzutage keine inhaltlichen Tabus mehr gebe und dass frühere Bücher deshalb verstaubt seien, weil sie eine heile Welt abseits solcher Tabuthemen gezeigt hätten. Also ich muss bei alten Kinderbüchern z.B. an Die rote Zora denken, in der es um Waisenkinder, alkoholisierte und gewalttätige Erwachsene, extreme Armut, Diebstahl aus Hunger, etc. geht. Oder Die Brüder Löwenherz, die mal eben Themen wie Tod, Tyrannei und Unterdrückung behandeln. Und auch wenn ich da an einige weitere Kinderbuchklassiker denke, habe ich persönlich eher den Eindruck, dass Kinderbücher heute deutlich mehr heile Welt zeigen (mal von den typischen Problembüchern abgesehen, die ich auch eher der Jugendbuchsparte zuordnen würde).

Tintenteufel

Zitat von: Judith am 15. August 2016, 19:05:59
Zitat von: Tintenteufel am 15. August 2016, 12:34:37
Ich mag Rosamunde-Pilcher-Light halt einfach nicht. Soll ich mich dafür jetzt schämen gehen?  ???
Was hat denn Pippi Langstrumpf oder eins der anderen hier genannten Bücher mit Rosamunde Pilcher zu tun? Selbst mit sehr viel Mühe finde ich da keinen gemeinsamen Nenner.  ???

Zitat, Wikipedia:
ZitatRosamunde Pilcher gilt als ,,Meisterin der Liebesschnulze": Ihre der Trivialliteratur zugeordneten Romane drehen sich zumeist um Liebe, Leid und Freundschaft (,,Heile Welt").
Hervorhebung durch mich.

JarlFrank

Meh. Wieder so ein typischer Artikel im Sinne von "das alte ist veraltet, jetzt gibt es neue Trends, springt alle auf den Trendwagen, hopp hopp!"

Fakt ist, dass sich die alten Klassiker auch heute noch verkaufen. Ob die modernen problemaufzeigenden Bücher auch so eine lange Lebensdauer haben, wird sich noch zeigen.