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Wachstum der Figuren (von der Schwäche zur Stärke)

Begonnen von Cailyn, 01. Juni 2016, 14:23:35

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Cailyn

Jede Hautfigur hat ja Stärken und Schwächen. Kennen wir. Die Schwächen bringen Konflikte (innere oder äussere). Und schliesslich sollte es ja darum gehen, dass ein Romanheld im Verlauf der Geschichte eine Wandlung durchmacht, indem er zumindest eine seiner Schwächen überwinden kann. Ich halte das aber nicht immer für einfach, denn die Schwäche am Anfang und die Stärke am Schluss müssen ja irgendwie auch zusammenpassen. Hört sich zwar logisch und einfach an, aber mir gelingt das nicht immer. Oder es kommt auch vor, dass ich weiss, wohin sich die Figur entwickeln soll, aber ich kenne die Ausgangslage (die Schwäche) nicht.   

Ich fände es daher eine gute Übung (falls ihr Lust habt), wenn wir hier im Workshop Charakterpaare fänden, welche die Entwicklung einer Figur ausmachen könnte. Das dürfen klassische Wandlungen sein oder aber auch ungewöhnliche, die aber dennoch nachvollziehbar sind.

Als erstes Beispiel:
Angst - Mut
Schüchternheit - Mut
Angepasstheit - Mut
Vorsicht - Mut

Klar, Schüchternheit und Angepasstheit sind natürlich Unterformen der Angst, aber ich fände es auch gut, Finessen zu erwähnen bzw. nicht nur übergeordnete Begriffe.

Weitere Paare meinerseits:
Zaudern - Entschlossenheit
Misstrauen - Vertrauen
Pessimismus - Vertrauen (weil Pessimismus ja auch auf Misstrauen aufbaut)
Jähzorn - Ausgeglichenheit
Sturheit - Toleranz

etc. Welche Paare findet ihr? Gibt es welche, die ihr an Romanfiguren nicht mögt? Was eignet sich eurer Meinung nach schlecht für Hauptfiguren? (Ich halte z.B. einen Zauderer für ganz schlecht, weil Zauderer sind passiv und gehen mir ziemlich rasch auf den Geist).

Nycra

Zitat von: Cailyn am 01. Juni 2016, 14:23:35
Mist, jetzt hab ich das in die falsche Rubrik gestellt! Zuhilf! Das sollte eigentlich zum Workshop gehören :wums:
Ich war mal so frei, zu verschieben.  ;)

Schneerabe

#2
Ich finde fast, dass der Ausdruck - Schwächen werden zu Stärken es nicht unbedingt trifft. Ein extrem naiver Protagonist könnte am Ende eines Romans durch diverse traumatische Erfahrungen zynisch und paranoid sein - klingt auch nicht unbedingt berauschend oder nach einer Stärke, ist aber auch eine Wandlung, also ich wollte nur anmerken, dass es nicht immer positive Veränderungen sein müssen und das Stärken natürlich subjektiv ausfallen - zumindest einige.  :)

Zaudern ist für den einen zum Beispiel Feigheit und lästig und Entschlossenheit ist gut, der nächste kann in der Entschlossenheit impulsives/ unüberlegtes Handeln und im Zaudern eine genauere Abwägung der Dinge sehen und das dementsprechend anders beurteilen - soviel dazu, was die Paare angeht fallen mir spontan:

Leichtgläubigkeit - Realismus
Selbstsucht - Nächstenliebe/ Rücksicht auf andere
Eitelkeit - Tiefsinnigkeit
Geiz - Großzügigkeit

ein.

Dummheit und Intelligenz sind eine Frage für sich - inwieweit kann man das wandeln? :D

Ich mag es nicht wenn ein Charakter einer 180° Wendung bis zur Unkenntlichkeit macht und wenn alle seine Schwächen am Ende restlos ausgemerzt sind und keine neuen dazugekommen sind, ich mag die Dinge ein wenig zwiegespaltener. Nach einer Weile regen mich extrem gutgläubige und sehr moralische Figuren ein wenig auf.
"To hell or to Connacht."

Cailyn

#3
Danke Nycra fürs Verschieben!

Schneerabe
Ja, aber es geht hier ja nicht um alle Schwächen und Stärken, die der Prota hat und auch nicht um die Konsequenzen einer Veränderung. Natürlich kann ein Prota auch negative Konsequenzen davontragen, wenn er sich verändert. Aber ich rede da ja vom dem, was der Held erreichen will und soll. Und da geht es - zumindest in der Genreliteratur - fast immer um die Überwindung einer Schwäche, die dann zur Stärke wird. Ob diese neugewonnene Stärke andere negativen Seiten zutage bringt, ist dann noch eine andere Sache. Aber ich spreche hier wirklich nur vom Hauptthema des Romans für die Hauptfigur. Vieles kann ein Prota nicht lösen oder viele Schwächen behält er, aber zumindest eine muss er lösen, sonst ist er kein Held, sondern eine Hose, nicht? Ich meine jetzt ein Extrembeispiel: Ein Detektiv, heruntergekommen, Säufer und Griesgram löst einen Fall. Am Ende des Buches kann der noch genau so griesgrämig sein wie zu Beginn. Aber irgendwo muss er sich verbessern, damit er am Ende den verzwickten Fall lösen kann. z.B. überwindet er seine Abneigung gegen Recherche und genaues Studieren von Akten oder seine Angst vor offenen Konflikten, und darum kann er den Fall lösen. Es mag sein, dass ihn der Fall noch mehr in den Alkohol getrieben hat oder er noch verlumpter umherläuft, aber das hat nichts mit dem Hauptkonflikt und Ziel der Geschichte zu tun. Das wäre eine Nebenwirkung.

Ich denke nicht, dass man in der Genreliteratur Helden erschaffen sollten, die sich dann von der Stärke zur Schwäche entwickeln. Das gibt es fast nur in der E-Literatur. Aber wir schreiben ja hier Geschichten über Figuren, die mittels Konflikten etwas erreichen wollen. Ich hätte jetzt noch nie in der Genre-Literatur gelesen, dass sich eine Hauptfigur zum schlechten entwickelt. Es kommt höchstens vor, dass die Erfahrung seinen Charakter negativ formt. Aber in dieser einen Sache, in der es im Buch geht, muss er Erfolg haben. Sonst funktioniert eine Geschichte ja gar nicht.

Loki

Geiz zu Großzügigkeit? Naja

Wie wäre es mit:
Selbstsucht zu Weitsicht
Lethargie zu lebendigkeit
Grobheit zu (mehr) Feinfühligkeit
Ignoranz zu Aufgeschlossenheit

Fianna

Ich mag das Modell "starting character entwickelt sich" bekanntermaßen nicht so gerne. Daher arbeite ich also oft auch mit Änderungen von Meinungen oder Weltanschauungen.
Beispielsweise: Zu Beginn leugnet der Protagonist eine Tatsache oder einen Sachverhalt (mir fällt gerade nur ein eigenes Beispiel ein, da geschieht es in Einklang mit nahezu 100 Prozent seiner Umwelt), , am Ende nimmt er ihn als wahrhaftig an.

Oder: Zu Beginn steht der Protagonist einer Entwicklung oder einer Dauer-Situation positiv gegenüber, am Ende widersetzt er sich dem (da er der Protagonist ist also idealerweise an wichtiger Position: Anführer/Initiator oder Schlüsselfigur).

Oder ein bestimmtes Verhaltensmuster wird aufgebrochen, öhems, da muss ich mir mal ein Beispiel aus den Fingern saugen: durch Anstiftung von Freund / Sidekick gerät der Protagonist in einer Situation, die Katalysator für die negative Entwicklung des Plots ist. Laut Hintergrundgeschichte ist das so ein Muster, das er durch dessen Ideen in Schwierigkeiten gerät.
Am Ende weicht er einer solchen Situation aus, indem er sich nicht mehr zu Unsinn verleiten lässt.

Immer eine dauerhafte Veränderung von einer Schwäche zu einer Stärke zu lesen ist auch auf Dauer langweilig, also finde ich das Aufbrechen von Verhaltensmustern ganz interessant als Alternative, wenn man es anbringen kann.

criepy

Ich mag eher negative Veränderungen.  ;D

Was ich aber eine "schöne" Veränderung finde ist immer wieder Gläubig - Ungläubig und umgekehrt. Sowas beeinflusst den Charakter teilweise stark und wirft viele Ansichten des Protas über den Haufen. Außerdem mag ich es, wenn ein eher zynischer und herrischer Charakter seine sanfte und zuvorkommende Seite findet, aber gleichzeitig auch noch seine zynische Ader behält.
Sowieso finde ichs immer besser, wenn nicht alles von dieser Charaktereigenschaft verschwindet und man noch "Nachwirkungen" sieht.

Trippelschritt

Und ich arbeite ungern mit Charakterpaaren und folge stattdessen lieber einer allgemeinen Veränderung. Meine Helden lernen und lernen bedeutet für mich auch leben. In einem Punkt habe ich es da auch einfacher, weil ich mit der Jugendzeit meiner Figuren beginne und am Ende der Geschichte sind sie erwachsene Menschen oder sogar in der Altersweisheit angekommen. Einige Weltanschauungen verschieben sich, andere Eigenschaften bleiben unverrückbar. Ich schreibe also eher so, wie es im wirklichen Leben ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Cailyn

Fianna

Ich sehe das natürlich nicht so eingeengt, also nur mit Charakterzügen. Ich finde auch, dass das genauso gut eine Weltanschauung sein kann oder halt, im praktischen, physischen Sinne, dass sich der Prota gegen einen Zustand auflehnt. Aber wenn er sich auflehnt, geschieht ja auch innerlich etwas mit ihm. Wenn einer z.B. von seinem Arbeitgeber torpediert wird und es später schafft, für sich einzustehen, dann könnte man ja sagen, er wurde vom devoten zum selbständigen bzw. selbstverantwortlichen Arbeitnehmer. Wenn aber ein Prota nichts lernen muss, um etwas zu erreichen, dann finde ich es auch schnell mal langweilig. Anderes Beispiel, wenn ein Ritter, der bereits stark und mutig ist, im Krieg sein Leben verteidigt, ist es ja nur halb so spannend, wenn man schon zuvor weiss, wie stark und mutig er ist. Ist er hingegen stark, aber noch nicht mutig, bringt das viel mehr Spannung rein.

Loki
Schöne Beispiele. Selbstsucht zu Weitsicht finde ich spannend, denn das sind ja an sich keine Gegenstücke. Jemand kann selbstsüchtig und zugleich weitsichtig sein, muss aber nicht. Trotzdem ist das ein gutes Beispiel für eine individuelle Veränderung einer Figur.

Criepy
Ich hoffe, du verstehst mich hier schon richtig. Ich meine mit positiver Veränderung nicht das, was die Gesellschaft als positiv betrachtet, sondern rein aus der Perspektive des Protas. Wenn die Hauptfigur ein Dieb und Betrüger ist, könnte die positive Veränderung sein, dass er am Ende noch viel gewitzter Leute hinters Licht führen kann.  ;D Eine negative Veränderung wäre für ihn dann wohl, wenn er seine "skills" ablegt, rechtschaffen und unglücklich wird.
Stimmt, das mit der Gläubigkeit ist ein gutes Thema. Wobei ich auch hier dem Prota überlassen würde, was für ihn besser ist. Aber es ist spannend. Innere Glaubensbekenntnisse oder Abschwörungen reichen meist tief. Das muss ja nicht mal mit Religion zu tun haben, sondern auch mit anderen Glaubenssätzen, die Menschen so mit sich herumtragen. Das könnten dann so verinnerlichte Glaubenssätze sein, die man aus der Kindheit mitgenommen hat und schwerlich los wird. Bei einer Figur kann das zu vielen Konflikten führen. Sie will etwas unbedingt, ist aber blockiert wegen diesem oder jenem, was ihm in die Seele gebrannt ist.

Trippelschritt
Also ich halte das fürs Schreiben denklich ungeeignet. Natürlich ist es gut, wenn man die Biographie seiner Figuren im Detail kennt. Aber eine realistische Abbildung mit allen Facetten verwischen am Ende den Charakter. Ich halte es für unabdingbar, ein bis zwei positive Eigenschaften und ein bis zwei negative Eigenschaften hervorzuheben. Wenn man versucht, eine Figur so realistisch darzustellen wie Menschen aus dem richtigen Leben, wird das für den Leser schwammig und schwer nachvollziehbar. Ein realistischer Mensch ist so derart komplex mit zig Ungereimtheiten, dass man das kaum darstellen kann. Man sollte sich deshalb auf ein paar wenige beschränken. Das muss ja nicht heissen, dass eine Figur dann nur gütig und nachtragen ist (so als Beispiel für eine positive und eine negative Eigenschaft), sondern diese sollten hervorgehoben werden, wenn diese auch was mit der erzählten Geschichte zu tun haben. Die anderen Eigenschaften kann man gerne hier und da mit einfliessen lassen. Ich würde sie aber nicht betonen. Vielleicht machst du das ja intuitiv ohnehin schon so. Aber es gibt halt einige Autoren, die ihre Figuren zu wenig klar darstellen. Sie wirken dann so formlos und irgendwie ausgefranst. Das packt nicht zum lesen und man kann sich mit ihnen schon gar nicht identifizieren.

canis lupus niger

Eine Veränderung kann ja durchaus auch in Kurven vor sich gehen. Zum Beispiel habe ich in meinem gerade abgeschlossenen Projekt einen Hauptcharakter, der durch Mobbing zunächst sehr unsicher wird, aber durch ein dramatisches Erlebnis gezwungen wird, sich gegen seine Quälgeister durchzusetzen und Stärke zu zeigen.

Churke

Ob man eine Charaktereigenschaft als Stärke oder als Schwäche interpretiert, ist zu einem Gutteil eine subjektive Wertung.
Hinter "Mut" kann Dummheit stecken, "Entschlossenheit" kann Borniertheit sein und "Stärke" ist vielleicht Konformität.

Aristoteles argumentierte mit dem rechten Maß: Feigheit - Mut - Tollkühnheit. Mut ist die Tugend, die anderen beiden sind Laster. Alles schön und gut - nur verrät einem das nicht, ob eine Person jetzt feige, mutig oder tollkühn drauf ist.  ::)

Beim Schreiben ist das insofern anders, als der Autor Gott ist und daher wirklich weiß, ob eine Figur nun gerade eine Schwäche oder eine Stärke zeigt. Trotzdem ist diese Bewertungsambivalenz ein wichtiges Werkzeug im Figurenbaukasten: Dass man den Leser im Dunkeln tappen lässt, ob der Protagonist nun gerade stark oder schwach ist.   

Cailyn

Canis lupus niger
Stimmt. Das ist es ja, was dann auch die überraschenden Wendungen reinbringt. Wenn jemand sich linear verbessern würde, wäre es wohl zu vorausschaubar.

Churke
Ja, so was wie an Gott hab ich auch gedacht. Ich mein, es geht ja nicht darum, dass der Leser unbedingt die Eigenschaften als solche definieren kann, sondern mehr wir als Autoren.

Trippelschritt

Zitat von: Cailyn am 02. Juni 2016, 10:40:37

Trippelschritt
Also ich halte das fürs Schreiben denklich ungeeignet. Natürlich ist es gut, wenn man die Biographie seiner Figuren im Detail kennt. Aber eine realistische Abbildung mit allen Facetten verwischen am Ende den Charakter. Ich halte es für unabdingbar, ein bis zwei positive Eigenschaften und ein bis zwei negative Eigenschaften hervorzuheben. Wenn man versucht, eine Figur so realistisch darzustellen wie Menschen aus dem richtigen Leben, wird das für den Leser schwammig und schwer nachvollziehbar. Ein realistischer Mensch ist so derart komplex mit zig Ungereimtheiten, dass man das kaum darstellen kann. Man sollte sich deshalb auf ein paar wenige beschränken. Das muss ja nicht heissen, dass eine Figur dann nur gütig und nachtragen ist (so als Beispiel für eine positive und eine negative Eigenschaft), sondern diese sollten hervorgehoben werden, wenn diese auch was mit der erzählten Geschichte zu tun haben. Die anderen Eigenschaften kann man gerne hier und da mit einfliessen lassen. Ich würde sie aber nicht betonen. Vielleicht machst du das ja intuitiv ohnehin schon so. Aber es gibt halt einige Autoren, die ihre Figuren zu wenig klar darstellen. Sie wirken dann so formlos und irgendwie ausgefranst. Das packt nicht zum lesen und man kann sich mit ihnen schon gar nicht identifizieren.

Ich scheine mich nicht jklar genug ausgedrückt zu haben. Das "wie im richtigen Leben" bezog sich darauf, dass sich einige Eigenschaften nie ändern - und ich muss entscheiden, welche das sind) und andere durchaus. Und auch da muss ich entscheiden, welche das sind. Aber es sind deutlich mehr als zwei. Müssen es ja auch sein, denn wenn jemand sein Weltbild ändert (das jetzt einmal als ein Beiispiel), dann mag das nur ein oder zwei Punkte betreffen, aber die wiederum verändern anderes und das wieder anderes, sodass man manchmal das Gefühl haben kann, man steht vor einem anderen Menschen. Und das ist eine sehr dankbare Art des Schreibens.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Cailyn

Also ich begreife jetzt nicht so ganz, was du mit "dankbare Art des Schreibens" meinst. Fühlt es sich für dich besser an oder denkst du, dass deine Figuren dabei besser herauskommen? Kannst du mir ein Beispiel machen von einer Figur, die was ändert und die vielen Konsequenzen, die das dann nachziehen kann? Würde mich sehr im Konkreten interessieren, weil ich mir nicht viel darunter vorstellen kann. Auch deshalb nicht, weil die Figur die Veränderung ja am Ende des Plots erst umsetzen kann und man das weitere Leben der Figur dann nicht mehr mitkriegt, weil die Geschichte ja dann zu Ende ist. Ok, in Mehrteilern würde das eine grosse Rolle spielen, aber in einem Einzelband erlebt der Leser ja die Nachkonsequenzen nicht mehr. Die veränderte Figur kriegt natürlich eine "Belohnung" (ein neues Lebensgefühl, etwas Materielles, eine neue Lebenssituation etc.), aber was daraus im Endeffekt entstehen wird, wäre ja wieder eine neue Geschichte.

Mal ein plumpes (aber anschauliches) Beispiel. Genre Liebesroman. Eine schüchterne Frau überwindet ihre Ängste und findet so zu ihrem Traummann. Am Ende hat ihr diese Veränderung ein besseres Leben beschert, ihr einen Wunsch erfüllt. Aber dann ist die Geschichte zu Ende. Nach dem, was du schreibst (so wie ich es verstehe) würde die Frau dann auch sonst im Leben selbstsicherer werden, vielleicht auch durchsetzungsfähiger, beharrlicher, eine bessere Rednerin... Aber das ist ja nicht Gegenstand der Geschichte. Gegenstand wäre ja, dass sie es überhaupt schafft, die Schüchternheit zu überwinden. Dafür stehen ihr ein paar Hindernisse im Weg, an welchen sie zu wachsen lernt. Oder siehst du das anders?

Denamio

Ich bin nicht Trippelschritt, aber was du hier erwähnst finde ich interessiert, weil das bei mir ein "Ja, aber..." auslöst.

ZitatAm Ende hat ihr diese Veränderung ein besseres Leben beschert, ihr einen Wunsch erfüllt. Aber dann ist die Geschichte zu Ende. Nach dem, was du schreibst (so wie ich es verstehe) würde die Frau dann auch sonst im Leben selbstsicherer werden, vielleicht auch durchsetzungsfähiger, beharrlicher, eine bessere Rednerin... Aber das ist ja nicht Gegenstand der Geschichte.

Da ist der Unterschied wohl im Ansatzpunkt. Eine Veränderung, Wachstum von mir aus, ist für mich ein Prozess, keine dichotomische Unterscheidung in vorher und nachher. Die Veränderung ist für mich der Verlauf der Geschichte, der erklärt warum und wie sie ihre Angst überwindet und wie ihr Leben sich um diese fortlaufende Veränderung herum entwickelt.
Ich mein, dass die Frau am Ende ihre Schüchternheit überwindet, wird wohl kaum ein Fall von "sie hört auf sich so anzustellen" sein. Sondern sie wird vielleicht ihre toxische ehemalige beste Freundin aus ihrem Leben entfernen, nach einem bösen Streit. Sie entdeckt womöglich eine neue Stilrichtung die sie total anspricht und mit der sie sich identifizieren kann. Im Beruf muss sie plötzlich vor fremden Leuten sprechen, blockiert tagelang in Panik bis sie dem nicht mehr ausweichen kann - und meistert es mit Kompetenz. Ihre Mutter ruft an und bittet sie um Verzeihung weil sie nie für sie da war und sie entdeckt die Kraft in sich, ihr zu vergeben, wenn sie auch nicht vergessen kann. Sie wird scheitern und dann hilft ihr eine fremde Person wieder hoch, gibt ihr eine neue Perspektive fürs Leben. Stück für Stück, dutzende kleine Änderungen im Leben sorgen dafür, dass sie WÄHREND der Geschichte im Beruf selbstsicherer wird, dass sie zunehmend ihre Ängste überwindet und eine bessere Rednerin wird. WÄHREND sie versucht Kontakt zu ihrem Traumpartner aufzubauen.
Die "Veränderung" ist da die Kulmination des Prozesses in einem Schlüsselmoment, die Auflösung des Konfliktes ob sie es schafft ihre Schüchternheit zu überwinden. Aber die Veränderung selbst füttert sich aus dutzenden Momenten und Szenen.